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Die Frau in Weiss

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Der Plan, der mir nun eingefallen, war: durch mein Wohnstubenfenster auf dieses Dach zu steigen, geräuschlos darauf entlang zu schleichen, bis ich an die Stelle kam, die sich unmittelbar über dem Bibliothekzimmer befand, und dann zwischen den Blumentöpfen und mit dem Ohre am Eisengitter niederzukauern. Falls Sir Percival und der Graf sich heute Abend zum Rauchen hinsetzten, wie ich sie schon manchen Abend hatte sitzen sehen, nämlich dicht an den offenen Fenstern, wobei ihre Füße auf den gußeisernen Gartensesseln ruhten, welche in der Veranda standen, so mußte jedes Wort, das sie lauter als im Flüstertone mit einander sprachen (und jeder Mensch weiß, daß eine lange Unterhaltung nicht im Flüstertone fortgesetzt werden kann) unfehlbar bis zu meinen Ohren dringen. Sollten sie aber heute Abend vorziehen, mehr im Inneren des Zimmers zu sitzen, so hatte ich Aussicht, wenig oder Nichts zu hören, und mußte in diesem Falle die weit ernstlichere Gefahr laufen, sie unten zu überlisten zu suchen.

So sehr ich mich auch durch das Verzweifelte unserer Lage in meinem Entschlusse bestärkt fühlte, so hoffte ich doch von ganzem Herzen, dieser letzteren Nothwendigkeit zu entgehen. Mein Muth war doch immer nur Frauenmuth, und er verließ mich beinahe, als ich daran dachte, mich in stiller Nacht ins Erdgeschoß hinunter zu wagen und der Möglichkeit auszusetzen, von Sir Percival und dem Grafen überrascht zu werden.

Ich kehrte leise in mein Schlafzimmer zurück, um das weniger gefährliche Experiment auf dem Dache der Veranda zuerst zu versuchen.

Eine vollständige Veränderung in meinem Anzuge war unumgänglich nothwendig, und zwar aus verschiedenen Gründen. Ich legte erstens mein seidenes Kleid ab, weil das geringste Rauschen desselben mich in der stillen Nacht verrathen hätte; dann die weißen und schwerfälligen Unterkleider, an deren Stelle ich einen Rock von dunklem Wollenzeuge anzog und darüber einen dunklen Reisemantel, dessen Kappe ich über den Kopf zog. In meiner gewöhnlichen Abendtoilette nahm ich Raum für wenigstens drei Männer ein, in meinem gegenwärtigen Costume dagegen hätte ich jedem Manne durch die engsten Räume folgen können. Der geringe Raum auf dem Dache der Veranda zwischen den Blumentöpfen und den Fenstern des Hauses machte dies zur unerläßlichen Bedingung. Wer konnte sagen, was die Folgen sein würden, falls ich irgend Etwas umstieß oder das geringste Geräusch machte?

Nachdem ich Zündhölzchen neben das Licht gestellt, löschte ich dasselbe aus und schlich im Finstern wieder in mein Wohnzimmer zurück. Ich verschloß die Thüre, wie ich schon die meines Schlafzimmers verschlossen hatte, dann stieg ich leise aus dem Fenster und setzte die Füße vorsichtig auf die Bleiplatten der Veranda. Meine beiden Zimmer lagen an dem inneren Ende des neuen Flügels, welchen wir Alle bewohnten, und ich mußte an fünf Fenstern vorbei, um zu der Stelle zu gelangen, die unmittelbar über der Bibliothek lag. Das erste Fenster war das eines Fremdenzimmers, welches augenblicklich unbewohnt war. Die beiden nächstfolgenden gehörten zu Laura’s, das vierte zu Sir Percival’s und das fünfte zum Zimmer der Gräfin. Die übrigen, an denen ich nicht mehr vorbei zu gehen brauchte, waren die Fenster in des Grafen Ankleidezimmer, der Badestube und der zweiten leeren Fremdenstube.

Kein Laut ließ sich vernehmen – tiefe Finsterniß umgab mich, als ich die Füße auf die Veranda gesetzt hatte, ausgenommen an der Stelle, über welcher das Fenster der Gräfin lag. Da, gerade an der Stelle über der Bibliothek, wo ich meinen Posten nehmen mußte, gerade da sah ich einen Lichtstrahl. Die Gräfin war noch nicht zu Bette gegangen.

Es war zu spät, um umzukehren, und keine Zeit, um zu warten. Ich beschloß, auf alle Gefahr hin weiter zu schreiten und meiner Vorsicht und der Dunkelheit der Nacht zu vertrauen. »Es geschieht für Laura!« dachte ich bei mir selbst, indem ich den ersten Schritt auf dem Dache vorwärts that, wobei ich mit der einen Hand meinen  Mantel fest um mich hielt und mit der anderen meinen Weg an der Wand entlang fühlte. Lieber konnte ich mit den Kleidern an die Wand streifen, als mich der Gefahr aussetzen, mit den Füßen an die Blumentöpfe zu stoßen, welche nur wenige Zoll auf der anderen Seite von mir entfernt waren.

Ich ging an dem dunklen Fenster des Fremdenzimmers vorüber, indem ich, ehe ich es wagte, mit meinem ganzen Gewichte auf dem Bleidache zu ruhen, erst mit dem Fuße die Sicherheit desselben untersuchte. Dann kam ich an Laura’s dunklem Fenster vorbei (»o, Gott, segne sie und erhalte sie in dieser Nacht!«) und dann an Sir Percival’s dunklem Fenster. Dann aber stand ich einen Augenblick still; darauf kniete ich nieder, stützte mich mit den Händen auf den Boden und kroch so unter dem Schutze der niedrigen Mauer zwischen dem Dache der Veranda und dem hellen Fenster unter dem Letzteren dahin.

Als ich zum Fenster hinauf zu blicken wagte, sah ich, daß nur das obere Fenster offen und das Rouleau inwendig herabgelassen war. Während ich noch hinschaute, sah ich den Schatten der Gräfin auf dem weißen Felde des Rouleau’s vorübergleiten und dann langsam wieder zurückschweben. Bis hierher konnte sie mich noch nicht gehört haben, oder der Schatten hätte sicherlich am Rouleau stille gestanden, selbst wenn es ihr an Muth gefehlt hätte, aus dem Fenster zu sehen.

Ich stellte mich mit der Seite gegen das Eisengitter, nachdem ich mich zuvor, indem ich nach ihnen fühlte, von der Stellung der Blumentöpfe unterrichtet hatte. Es war gerade Raum genug, daß ich zwischen ihnen niederkauern konnte. Die duftenden Blüthen zu meiner Linken streiften mein Gesicht, als ich leise den Kopf an das Gitter legte.

Die ersten Laute, welche von unten zu mir heraufdrangen, wurden durch das Oeffnen oder Schließen (wahrscheinlich das letztere) dreier Thüren nacheinander verursacht – ohne Zweifel der des Vorsaals und der zwei anderen, die von der Bibliothek in die daneben liegenden Zimmer führten, welche der Graf sich zu untersuchen anheischig gemacht hatte. Das Nächste, was ich sah, war wieder der Funke, welcher abermals in der Dunkelheit unter der Veranda hervorkam, nach meinem Fenster hin schwebte, einen Augenblick dort wartete und dann zu der Stelle zurückkehrte, von welcher er ausgegangen war.

»Zum Henker mit Deiner Unruhe! Wann gedenkst Du Dich einmal zu setzen?« brummte Sir Percival’s Stimme unter mir.

»Puh! Welch eine Hitze!« sagte der Graf mit einem Seufzer der Erschöpfung.

Seinem Ausrufe folgte das Knirschen der Gartenstühle auf dem Pflaster der Veranda, welches aus Kieselsteinen besteht – ein willkommenes Geräusch, daß mir sagte, daß sie sich, wie gewöhnlich, dicht an’s Fenster zu setzen im Begriff waren. Bis hierher war das Glück mir günstig. Die Uhr im Thurme schlug ein Viertel vor zwölf, als sie sich auf ihren Plätzen niederließen. Ich hörte durch’s Fenster, wie die Gräfin gähnte, und sah dann ihren Schatten nochmals auf dem weißen Felde des Rouleau’s hinschweben.

Inzwischen fingen Sir Percival und der Graf unten ihre Unterhaltung an, indem ihre Stimmen hin und wieder etwas leiser wurden, aber nie bis zum Flüstern sanken. Die Seltsamkeit und Gefahr meiner Lage, sowie die Furcht vor der Gräfin erleuchtetem Fenster, welche ich nicht bemeistern konnte, machten es mir schwer, ja fast unmöglich, gleich zu Anfang meine Geistesgegenwart zu behalten und meine Aufmerksamkeit ausschließlich auf die unten vor sich gehende Unterhaltung zu richten. Während einiger Minuten gelang es mir bloß, den allgemeinen Inhalt derselben zu erfassen. Ich verstand, daß der Graf sagte, das eine helle Fenster sei das seiner Frau; daß im Erdgeschosse Alles ruhig sei, und sie sich jetzt ohne Furcht vor Störung oder Unfall unterhalten könnten. Sir Percival antwortete hierauf, indem er seinem Freunde vorwarf, den ganzen Tag auf die unverantwortlichste Weise seine Wünsche unberücksichtigt gelassen und sein Interesse vernachlässigt zu haben, wogegen der Graf sich vertheidigte, indem er erklärte, daß er von gewissen Unruhen und Besorgnissen erfüllt gewesen, die seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hätten, und daß seiner Ansicht nach die einzige sichere Zeit zu einer Unterredung zwischen ihnen die sei, wo sie weder Störer, noch Lauscher zu befürchten hätten. »Wir stehen vor einer wichtigen Krisis in unseren Angelegenheiten, Percival,« sagte der Graf, »und wenn wir überhaupt einen Entschluß über die Zukunft fassen wollen, so muß dies heimlich in dieser Nacht geschehen.«

Diese Rede des Grafen war das Erste, was meine Aufmerksamkeit gerade so, wie sie gesprochen wurde, zu erfassen vermochte. Von diesem Punkte an heftete sich mein ganzes Interesse mit gewissen kurzen Unterbrechungen fest und athemlos auf die Unterhaltung, und ich folgte ihr Wort für Wort.

»Krisis?« wiederholte Sir Percival, »Ja, und zwar eine schlimmere Krisis, als Du Dir denkst, kann ich Dir sagen!«

»So sollte man nach Deinem Betragen während der letzten paar Tage allerdings vermuthen«, entgegnete der Andere trocken. »Aber warte einen Augenblick. Ehe wir zu dem schreiten, was ich nicht weiß, laß uns ganz klar darüber sein, was ich weiß. Laß uns erst sehen, ob ich in Bezug auf die Vergangenheit vollkommen unterrichtet bin, ehe ich Dir Vorschläge über die Zukunft mache.«

»Warte, bis ich erst den Rum und das Wasser bringe. Trinke auch ein Glas.«

»Ich danke Dir, Percival. Frisches Wasser mit Vergnügen, dazu einen Löffel und etwas Zucker. Zuckerwasser, mein Freund, Nichts weiter.«

»Zuckerwasser für einen Mann in Deinen Jahren! – Da! mach Dir Deine abscheuliche Mischung. Ihr Ausländer seid doch Einer wie der Andere.«

»Jetzt höre mich an, Percival; ich will Dir unsere Lage so klar vorlegen, wie ich sie verstehe, und dann sollst Du mir sagen, ob ich Recht oder Unrecht habe. Wir Beide kehrten vom Festlande in dieses Haus zurück in Geldverlegenheiten sehr ernster Natur –«

»Mach’s kurz! Ich brauchte einige Tausende und Du einige Hunderte, und ohne das Geld hatten wir Beide die schönste Aussicht, schmählich auf den Hund zu kommen. Das ist unsere Lage. Mache d’raus, was Du kannst, und fahre fort.«

 

»Nun gut, Percival, wie Du Dich in Deinem soliden Englisch ausdrückst: Du brauchtest einige Tausende und ich einige Hunderte, und die einzige Art und Weise, sie zu erhalten, war die, das Geld mit Hülfe Deiner Frau für Deine eigenen Bedürfnisse aufzunehmen (mit einem schmalen Rande für meine armen kleinen Hunderte). Was habe ich Dir auf unserm Heimwege nach England über Deine Frau gesagt? und was habe ich Dir gesagt, als wir hierher kamen und ich selbst im Stande war zu beurtheilen, was für eine Art von Charakter Miß Halcombe sei?«

»Was weiß ich davon? Du hast natürlich wie gewöhnlich Alles in Grund und Boden geschwatzt.«

»Ich sagte dies: der menschliche Scharfsinn, mein Freund, hat bis dato erst zweierlei Weisen entdeckt, in denen ein Mann ein Weib regieren kann. Die eine derselben besteht darin, sie zu Boden zu schlagen, eine Methode, die unter der brutalen niedern Klasse des Volkes großen Anklang findet, den höheren und gebildeten Ständen aber im höchsten Grade ein Greuel ist. Die andere Weise (die viel langsamer, viel schwieriger ist, aber nichts destoweniger ebenso sicher zum Ziele führt) ist die, sich niemals durch ein Weib aufreizen zu lassen. Dies schlägt bei Thieren an und bei Kindern und Weibern, welche Letzteren nichts Anderes sind, als ausgewachsene Kinder. Ruhige Entschlossenheit ist diejenige Eigenschaft, die sowohl Thieren und Kindern, als den Frauen fehlt. Sowie es ihnen gelingt, diese überlegene Eigenschaft in ihrem Meister zu erschüttern, so bemeistern sie ihn. Falls ihnen aber dies niemals gelingt, so regiert er sie. Ich sagte zu Dir: Denke an diese einfache Wahrheit, wenn Du Dir durch Deine Frau das Geld verschaffen lassen willst. Ich sagte: Denke doppelt und dreifach daran in Gegenwart von der Schwester Deiner Frau, von Miß Halcombe. Hast Du daran gedacht? Nicht ein einziges Mal in all’ den Verwickelungen, die sich um uns herum gezogen haben, seitdem wir in diesem Hause sind. Du hast keine einzige Gelegenheit unbenutzt vorüber gehen lassen, Dich von Deiner Frau oder Miß Halcombe reizen zu lassen. Durch Deine tolle Heftigkeit verlorst Du die Unterschrift zum Documente, verlorst das baare Geld, triebst Miß Halcombe das erste Mal, an ihren Advokaten zu schreiben –«

»Das erste Mal? Was willst Du damit sagen«?

»Dies: Miß Halcombe hat heute zum zweiten Male an den Advokaten geschrieben.«

Unten auf dem Pflaster der Veranda fiel ein Stuhl um – mit einem Krachen, als ob er absichtlich wüthend umgestoßen oder geschleudert worden. Es war ein Glück für mich, daß des Grafen Mittheilung Sir Percival in diesem Grade in Wuth versetzte, denn als ich hörte, daß ich abermals verrathen, verließ mich im kritischen Augenblicke alle Selbstbeherrschung, und ich fuhr dermaßen zusammen, daß das Gitter, an das ich mich lehnte, laut krachte. Wie, in des Himmels Namen, hatte er dies erfahren? Die Briefe hatten meine Tasche keine Sekunde verlassen, bis ich sie im Wirthshause Fanny’s Händen übergab.

»Du kannst Deinem Glücksterne danken, daß Du mich im Hause hast«, hörte ich den Grafen sagen, »um das Unheil ebenso schnell wieder gut zu machen, wie Du es anrichtest. Danke Deinem Glückssterne, daß ich Nein sagte, als Du tollerweise davon sprachst, Miß Halcombe einzusperren, wie Du in Deiner unheilvollen Narrheit schon Deine Frau eingesperrt hattest. Wo hast Du Deine Augen? Kannst Du Miß Halcombe anschauen und nicht sehen, daß sie die Entschlossenheit und Umsicht eines Mannes besitzt? Hätte ich das Weib zur Freundin, da schlüge ich der ganzen Welt ein Schnippchen. Da sie aber meine Feindin ist, so wandle ich, Fosco, der ich schlau bin wie der Teufel selbst – wie Du mir zu hunderten von Malen wiederholt hast – auf Eierschalen, wie Ihr in England sagt! Und dieses superbe Weib – ich trinke ihr Wohlsein hiermit in Zuckerwasser – dieses superbe Weib, das in der Kraft seiner Liebe und seines Muthes fest wie ein Felsen zwischen uns Beiden und Deiner erbärmlichen, hübschen Blondine von Frau steht – dieses herrliche Wesen, das ich von ganzer Seele bewundere, obgleich ich ihm in Deinem Interesse und dem meinigen entgegenarbeite, treibst Du auf’s Aeußerste, als ob es um Nichts schlauer oder kühner wäre als die Uebrigen seines Geschlechts. Percival! Percival! Du verdienst, daß es Dir mißlänge, und es ist Dir mißlungen.«

Es trat eine Pause ein. Ich schreibe des Elenden Worte über mich selbst, weil ich sie nicht vergessen will, und weil ich noch auf den Tag hoffe, an welchem ich werde sprechen und sie ihm Wort für Wort in die Zähne zurückwerfen können.

Sir Percival war der Erste, welcher das Schweigen wieder brach.

»Ja wohl; Du magst bramarbasiren und poltern, soviel Du Lust hast«, sagte er mürrisch; »die Geldverlegenheit ist nicht unsere einzige Schwierigkeit. Du würdest ebenfalls für strenge Maßregeln mit den Weibern sein, wenn Du wüßtest, was ich weiß.«

»Wir wollen seiner Zeit auch auf diese zweite Schwierigkeit kommen«, fuhr der Graf fort. »Du magst Dich selbst nach Belieben verwirrt machen, Percival, mich aber mußt Du damit verschonen. Laß uns zuerst die Geldfrage erledigen. Habe ich Dich von Deiner Halsstarrigkeit überzeugt? Habe ich Dir’s klar gemacht, daß Deine Heftigkeit Dir nichts helfen wird? Oder muß ich wieder von vorn anfangen und (wie Du Dich in Deinem geliebten, offenen Englisch ausdrückst) noch ein wenig mehr bramarbasiren und poltern?«

»Bah! Es ist leicht genug, über mich zu schelten. Sage lieber, was dabei zu thun ist, das ist doch ein wenig schwerer.«

»So? meinst Du? Bah! Dies ist dabei zu machen: Du giebst von heute Abend an die ganze Leitung der Sache in meine Hände und überläßt sie ihnen für die Zukunft. Ich spreche zu einem praktischen Britten, wie? Nun, praktischer Britte, was sagst Du dazu?«

»Was beabsichtigst Du zu thun, falls ich es Dir überlasse?«

»Beantworte mir erst meine Frage. Giebst Du die Sache in meine Hände oder nicht?«

»Angenommen, sie wäre in Deinen Händen – was dann?«

»Erlaube mir erst ein paar Fragen, Percival; ich muß ein wenig warten, um mich durch die Umstände leiten zu lassen, und muß nach jeder Richtung hin wissen, welcher Art diese Umstände wahrscheinlicherweise sein können. Es ist keine Zeit zu verlieren. Ich habe Dir bereits gesagt, daß Miß Halcombe heute schon zum zweiten Male an den Advocaten geschrieben hat.«,

»Wie bist Du dahinter gekommen? Was hat sie ihm geschrieben?«

»Wenn ich Dir das erzählte, Percival, so würden wir am Ende nur zu dem Punkte zurückkommen, an dem wir jetzt stehen. Genüge es, daß ich dahinter gekommen bin, und die Mittel hierzu waren es, die mich den ganzen Tag mit Besorgniß erfüllten und zugleich mich Dir so unzugänglich machten. Jetzt aber gilt es, mein Gedächtniß in Bezug auf Deine Angelegenheiten aufzufrischen, es ist schon ziemlich lange her, daß ich mit Dir darüber sprach. Das Geld ist in Ermangelung der Unterschrift von Deiner Frau vermittelst Wechsel, die in drei Monaten fällig werden, aufgenommen worden, und zwar mit einem Verluste, daß sich bei dem Gedanken daran mein armes ausländisches Haar sträubt! Wenn nun diese Wechsel fällig werden, giebt es dann wirklich und wahrhaftig in der ganzen Welt kein anderes Mittel für Dich, sie zu bezahlen, als mit Hülfe Deiner Frau?«

»Keins.«

»Was! Hast Du gar kein Geld bei Deinem Banquier?«

»Ein paar hundert Pfund, für die ich gerade so viele Tausend gebrauche.«

»Hast Du keine einzige andere Sicherheit zu bieten, auf die Du borgen könntest?«

»Keinen Fetzen!«

»Was hast Du in der Wirklichkeit augenblicklich mit Deiner Frau bekommen?«

»Nichts als die Zinsen von ihren zwanzigtausend Pfund – kaum genug für unsere täglichen Ausgaben.«

»Was hast Du noch von ihr zu erwarten?«

»Dreitausend Pfund jährliche Renten, wenn ihr Onkel stirbt.«

»Ein hübsches Vermögen, Percival. Was für eine Art von Mensch ist dieser Onkel? Alt?«

»Nein – weder alt noch jung.«

»Ein munterer, gut lebender Mann? Verheirathet? Nein – mich dünkt, meine Frau hat mir gesagt, daß er nicht verheirathet ist.«

»Natürlich nicht. Wenn er verheirathet wäre und einen Sohn hätte, so wäre ja Lady Glyde nicht die nächste Erbin der Güter. Ich will Dir sagen, was er ist. Er ist ein kläglicher, egoistischer Narr und langweilt alle Leute, die ihm zu nahekommen, mit seinem Gesundheitszustande zu Tode.«

»Die Art Leute leben lange, Percival, und wenn man es am wenigsten erwartet, heirathet er aus reiner Bosheit. Ich gebe Dir nicht viel für Deine Aussicht auf die Dreitausend des Jahres, mein Freund. Bringt Deine Frau Dir sonst Nichts mit?‹

»Nichts.«

»Durchaus gar Nichts?«

»Durchaus gar Nichts – ausgenommen falls sie stirbt«

»Aha! falls sie stirbt also?«

Es trat nochmals eine Pause ein. Der Graf trat von der Veranda auf den Kiesweg hinaus. Ich konnte dies nach seiner Stimme beurtheilen. »Da ist endlich der Regen,« hörte ich ihn sagen. In der That, es hatte zu regnen angefangen. Der Zustand meines Mantels bewies mir, daß es bereits eine kleine Weile ziemlich heftig geregnet haben mußte.

Der Graf kehrte unter die Veranda zurück, ich hörte den Stuhl unter seinem Gewichte knarren, als er seinen Platz wieder einnahm.

»Nun, Percival,« sagte er, und was bekommst Du, falls Lady Glyde stirbt?«

»Wenn sie keine Kinder hinterläßt –«

»Was nicht wahrscheinlich ist?«

»Was im höchsten Grade wahrscheinlich ist –«

»Nun?«

»Nun, dann bekomme ich ihre zwanzigtausend Pfund.«

»Baar ausgezahlt?«

»Baar ausgezahlt.«

Sie schwiegen abermals. Als ihre Stimmen aufhörten, verdunkelte der Schatten der Gräfin nochmals das Rouleau. Anstatt aber vorüber zu gleiten, blieb er diesmal stehen. Ich sah ihre Finger sich um die eine Kante des Rouleaus stehlen und dasselbe zur Seite ziehen. Der undeutliche, blasse Umriß ihres Gesichtes erschien gerade über mir hinter dem Fenster – ich verhielt mich ganz ruhig, vom Kopf bis zu den Füßen in meinen schwarzen Mantel gehüllt. Der Regen, welcher mich durchnäßte, schlug an das Fenster und verwehrte ihr die Aussicht. »Noch mehr Regen!« hörte ich sie zu sich selbst sprechen. Dann ließ sie das Rouleau wieder fallen, und ich athmete freier.

Unten wurde die Unterhaltung fortgesetzt, diesmal aber vom Grafen wieder aufgenommen.

»Percival! hältst Du viel von Deiner Frau?«

»Fosco! Die Frage scheint mir sehr offen.«

»Ich bin ein offener Mann und wiederhole sie.«

»Was, zum Henker, siehst Du mich so an?«

»Du willst mir nicht antworten? Nun denn, wir wollen annehmen, Deine Frau stürbe, ehe der Sommer vorüber ist –«

»Laß das, Fosco!«

»Nehmen wir an, Deine Frau stürbe –«

»Laß das, sage ich Dir!«

»In dem Falle würdest Du zwanzigtausend Pfund gewinnen; und verlieren würdest Du –«

»Die Aussicht auf dreitausend Pfund jährliche Renten.«

»Die entfernte Aussicht, Percival – nur die entfernte Aussicht. Und Du brauchst sofort Geld. Der Gewinn ist in Deiner Lage gewiß – der Verlust zweifelhaft.«

»Sprich für Dich sowohl, als für mich. Ein Theil des Geldes, das ich brauche, wurde für Dich geborgt. Und wenn Du doch von Gewinn sprichst, so würde der Tod meiner Frau der Deinigen zehntausend Pfund in die Tasche spielen. So pfiffig Du auch bist, so scheinst Du doch bei dieser Gelegenheit das Legat der Gräfin Fosco vergessen zu haben. Sieh mich nicht so an! Ich verbitte es mir! Es überläuft mir die Haut wahrhaftig ganz eisig bei Deinen Blicken und Reden!«

»Die Haut? Bedeutet Haut etwa im Englischen: Gewissen? Ich spreche von dem Tode Deiner Frau, wie von einer Möglichkeit. Und warum wohl nicht? Die achtungswerthen Advocaten, die Eure Urkunden und Testamente kritzeln und kratzen, sehen doch dem Tode lebender Leute gerade ins Gesicht. Machen Die Euch die Haut schaudern? Warum sollte ich sie Dir also schaudern machen? Ich habe es mir heute Abend zur Aufgabe gemacht, mir Deine Lage so auseinanderzusetzen, daß ich kein Versehen machen kann, und jetzt bin ich damit zu Ende. Dies ist Deine Lage: falls Deine Frau am Leben bleibt, so bezahlst Du jene Wechsel mit ihrer Unterschrift. Stirbt sie, so bezahlst Du sie mit ihrem Tode.«

Während er sprach, erlosch das Licht im Zimmer der Gräfin, und die ganze zweite Etage des Hauses lag jetzt in Dunkelheit da.

»Wie Du faselst!« brummte Sir Percival; »wenn man Dich anhört, sollte man denken, daß wir die Unterschrift meiner Frau bereits in der Tasche hätten.«

»Du hast die Sache in meine Hände gegeben,« entgegnete der Graf; ich habe mehr als zwei Monate vor mir, um mich umschauen zu können. Sprich für jetzt nicht weiter darüber. Sobald die Wechsel fällig werden, wirst Du sehen, ob mein ›Faseln‹ zu Etwas nütze ist, oder nicht. Und jetzt, Percival, da die Geldgeschäfte für heute Abend abgemacht sind, stelle ich Dir meine Aufmerksamkeit zu Diensten, falls Du mich über jene zweite Schwierigkeit zu Rathe zu ziehen wünschest, die sich in unsere kleinen Verlegenheiten gemischt und Dich seit Kurzem so ungünstig verändert hat, daß ich Dich kaum wieder erkenne. Sprich, mein Freund, und verzeihe mir, wenn ich nochmals Deine hitzigen nationalen Gefühle verletze, indem ich mir noch ein Glas Zuckerwasser mische.«

 

»Es ist Alles ganz gut, wenn Du sagst: sprich,« erwiderte Sir Percival in einem weit ruhigeren und höflicheren Tone, als er sich noch bisher anzuschlagen bequemt; »aber es ist nicht so leicht zu wissen, wie man anfängt.«

»Soll ich Dir helfen?« sagte der Graf. »Soll ich dieser Deiner Privatverlegenheit einen Namen geben? Wie wär’s, wenn ich sie – Anna Catherick nennte?«

»Sieh’ her, Fosco, wir Beide kennen einander seit langer Zeit; und wenn Du mir schon ehedem ein paar Mal aus der Klemme geholfen hast, so habe ich meinerseits mein Möglichstes gethan, um Dir Gegendienste zu leisten, soweit Geld mich dazu in Stand setzte. Wir haben einander, soviel wir Männer nur können, gegenseitige Freundschaftsdienste geleistet; aber wir haben natürlich auch unsere Geheimnisse vor einander gehabt, – wie?«

»Du hast allerdings ein Geheimniß vor mir gehabt, Percival. Du hast hier in Blackwater Park so ein Skelett im Schranke, das während dieser letzten paar Tage schon Anderen, außer Dir, ins Gesicht gesehen hat.«

»Nun gesetzt, das wäre der Fall. Wenn es aber Dich Nichts angeht, brauchst Du nicht neugierig darauf zu sein, wie?«

»Sehe ich aus, als ob ich neugierig darauf wäre?«

»Ja, das thust Du.«

»So! so! also mein Gesicht spricht die Wahrheit? Welch eine unbeschreiblich gute Grundlage in der Natur eines Mannes sein muß, der mein Alter erreicht, und dessen Gesicht noch immer die Gewohnheit, die Wahrheit zu sprechen, bewahrt! – Komm, Glyde, laß uns offen gegen einander sein. Dies Dein Geheimniß hat mich aufgesucht, anstatt daß ich es aufgesucht hätte. Wir wollen annehmen, ich sei neugierig, bittest Du mich, als Deinen alten Freund, Dein Geheimniß zu achten und es ein für allemal Dir selbst zu überlassen?«

»Ja, das ist eben, warum ich ausdrücklich bitte.«

»Dann ist meine Neugier zu Ende. Sie stirbt von diesem Augenblicke an in mir.«

»Meinst Du das im Ernste?«

»Warum zweifelst Du daran?«

»Ich habe einige Erfahrung in Deinen Schlichen und Umwegen, Fosco, und bin mir nicht sicher, daß Du es nicht doch noch einmal aus mir herauszerrst.«

Der Stuhl unten krachte abermals laut, und ich fühlte, wie der Gitterpfeiler unter mir erbebte. Der Graf war aufgesprungen und hatte voll Entrüstung mit der Hand dagegen geschlagen.

»Percival! Percival!« rief er aufgeregt. »Kennst Du mich noch nicht besser? Hat all’ Deine Erfahrung Dir noch Nichts von meinem Charakter gezeigt? Ich bin ein Mann nach dem Typus des Alterthums! Ich bin der erhabensten, tugendhaftesten Handlungen fähig, wenn ich Gelegenheit dazu habe. Es ist das Unglück meines Lebens gewesen, wenige solche Gelegenheiten zu finden. Meine Auffassung von der Freundschaft hat etwas Göttliches! Ist es meine Schuld, daß Dein ›Skelett‹ mich angeschaut hat? Warum bekenne ich meine Neugier? Du armer, oberflächlicher Engländer! nur, um meine Selbstbeherrschung zu zeigen. Ich könnte, wenn ich es wollte, Dein Geheimniß aus Dir herausziehen, wie ich diesen Finger durch meine Handfläche hinziehe – das weißt Du auch recht gut! Aber Du hast meine Freundschaft angerufen, und die Pflichten der Freundschaft sind mir heilig. Sieh her, ich trete meine erniedrigende Neugier mit Füßen. Meine großen Gefühle heben mich darüber hinweg. Erkenne sie an, Percival! Ahme sie nach, Percival! Gieb mir die Hand, ich vergebe Dir.«

Seine Stimme bebte bei den letzten Worten – bebte, wie wenn er Thränen vergösse!

Sir Percival suchte sich voll Verwirrung zu entschuldigen. Aber der Graf war zu hochherzig, um ihn ausreden zu lassen.

»Nein!« sagte er, »wenn mein Freund mich verletzt hat, so kann ich ihm vergeben, ohne daß er mir Entschuldigungen macht. Sage mir mit einfachen Worten, ob Du meiner Hülfe bedarfst?«

»Ja, und zwar sehr.«

»Und Du kannst sie von mir fordern, ohne Dich und Dein Geheimniß bloszustellen.«

»Ich kann es wenigstens versuchen.«

»Versuche es also.«

»Nun, die Sache steht so: ich sagte Dir heute, daß ich mein Möglichstes gethan, um Anna Catherick zu finden, und daß es mir nicht gelungen.«

»Ja; ganz recht.«

»Fosco! ich bin verloren, wenn ich sie nicht finde.«

»Ha! Ist die Sache so ernsthaft?«

Ein kleiner Lichtstrom kam unter die Veranda und fiel auf den Kiespfad. Der Graf hatte die Lampe aus dem Innern des Zimmers geholt, um das Gesicht seines Freundes deutlicher zu sehen.

»Ja!« sagte er. »Diesmal spricht Dein Gesicht die Wahrheit. Sehr ernsthaft – fast ebenso ernsthaft wie die Geldverlegenheit.«

»Weit ernsthafter! So wahr ich hier sitze – weit ernsthafter!«

Das Licht verschwand wieder, und die Unterhaltung wurde fortgesetzt.

»Ich zeigte Dir doch den Brief an meine Frau, den Anna Catherick für sie im Sande versteckte,« fuhr Sir Percival fort; »in dem Briefe prahlt sie nicht, Fosco, sie kennt das Geheimniß!«

»Sage in meiner Gegenwart so wenig wie möglich von dem Geheimnisse, Percival. Weiß sie es durch Dich?«

»Nein, durch ihre Mutter.«

»Zwei Weiber im Besitze Deines Geheimnisses – schlimm, schlimm, schlimm, guter Freund! Erlaube mir hier eine Frage, ehe wir weiter gehen. Dein Beweggrund, indem Du die Tochter ins Irrenhaus sperrtest, ist mir jetzt klar genug, aber die Art und Weise ihrer Flucht ist mir nicht ganz so klar. Hast Du die Leute, deren Sorgfalt sie übergeben war, im Verdacht, auf Ersuchen irgend eines Feindes, der sie dafür bezahlen konnte, absichtlich die Augen geschlossen zu haben?«

»Nein, sie war die folgsamste und ruhigste aller Patientinnen der Anstalt, und man war dumm genug, ihr zu trauen. Sie ist gerade wahnsinnig genug, um eingesperrt werden zu können, und gerade vernünftig genug, um mich zu verderben, wenn sie in Freiheit – falls Du dies verstehen kannst?«

»Ich verstehe es. Nun, Percival, komm gleich zur Sache, und dann werde ich wissen, was ich zu thun habe. Wo steckt augenblicklich die Gefahr Deiner Lage?«

»Anna Catherick ist in der Nachbarschaft und in Verbindung mit Lady Glyde, das ist die Gefahr, und mir scheint sie klar genug. Wer kann wohl den Brief lesen, den sie im Sande versteckte, und nicht daraus sehen, daß meine Frau im Besitz des Geheimnisses ist, wie sehr sie es auch leugnen mag?«

»Einen Augenblick, Percival. Falls Lady Glyde wirklich das Geheimniß kennt, so muß sie zugleich wissen, daß es ein compromittirendes für Dich ist. Als Deine Frau liegt es doch natürlich in ihrem Interesse, es zu bewahren?«

»So? meinst Du? Ich werde gleich darauf kommen. Es läge vielleicht in ihrem Interesse, wenn sie sich einen Pfifferling um mich scheerte. Aber ich bin zufälligerweise einem andern Manne im Wege. – Sie war in ihn verliebt, ehe sie mich heirathete, sie ist noch jetzt in ihn verliebt, ein verdammter Vagabonde von einem Zeichnenlehrer – Hartright heißt er.«

»Mein bester Freund? Was ist denn daran so Außerordentliches? Sie sind Alle in einen andern Mann verliebt. Wer hätte wohl je das Erste von dem Herzen eines Weibes bekommen? In allen meinen Erfahrungen bin ich noch keinem Ehemanne begegnet, der Numero Eins gewesen wäre.Zuweilen wohl Numero Zwei; und Numero Drei, Vier und Fünf häufig. Aber Numero Eins nie! Es existirt natürlich, aber begegnet bin ich ihm nie!«

»Warte! ich bin noch nicht zu Ende. Wer, glaubst Du wohl, half Anna Catherick den Vorsprung gewinnen, als die Leute aus dem Irrenhause hinter ihr her waren? – Hartright. Wer, glaubst Du wohl, sah sie hernach in Cumberland wieder? –·Hartright. Beide Male sprach er allein mit ihr! Halt! unterbrich mich nicht. Der Schuft ist ebenso vernarrt in meine Frau, wie sie in ihn. Er weiß das Geheimniß, und sie weiß es. Laß sie einmal wieder zusammenkommen, so ist es ihr Beider Interesse, ihre Kenntniß desselben als Waffe gegen mich zu richten.«