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Die Frau in Weiss

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»Zum Teufel! was meinst Du damit,« rief Sir Percival aus, als der Graf ruhig mit seiner Frau der Thür zuschritt.

»Gewöhnlich meine ich, was ich sage, diesmal aber, was meine Frau sagt,« erwiderte der unerschütterliche Italiener. »Wir haben für diesmal die Rollen vertauscht, Percival, und der Gräfin Ansicht ist ganz – die meine.«

Sir Percival zerknitterte das Papier in seiner Hand, und sich vor den Grafen drängend, stellte er sich mit einem zweiten Fluche zwischen ihn und die Thür.

»Du sollst Deinen Willen haben,« sagte er mit verhaltener Wuth und mit leiser, flüsternder Stimme – »Du sollst Deinen Willen haben und dann sehen, was danach kommt.« Mit diesen Worten verließ er das Zimmer.

Die Gräfin schaute ihren Mann fragend an. »Er ist plötzlich gegangen,« sagte sie, »was hat das zu bedeuten?«

»Das bedeutet, daß wir Beide den heftigsten Mann in ganz England zu Verstande gebracht haben,« antwortete der Graf. »Es bedeutet, Miß Halcombe, daß der Lady Glyde zugefügten groben Beschimpfung ein Ende gemacht wird, und Sie keine Wiederholung der unverzeihlichen Beleidigung, die Ihnen zu Theil geworden, zu befürchten, haben. Gestatten Sie mir, Ihnen meine Bewunderung für Ihr Benehmen und Ihren Muth in einem außerordentlich schwierigen Augenblicke auszusprechen.«

»Aufrichtige Bewunderung,« meinte die Gräfin.

»Aufrichtige Bewunderung,« rief der Graf ihr wie ein Echo nach.

Ich hatte nicht länger die Kraft meines ersten zornigen Widerstandes gegen Schimpf und Beleidigung, um ruhig und gefaßt zu bleiben. Der herzbeklemmende Wunsch, Laura zu sehen, sowie meine hülflose Unkenntniß dessen, was sich im Boothause zugetragen, lagen mit einem unerträglichen Gewichte auf meinem Gemüthe. Ich versuchte, mit dem Grafen und der Gräfin in dem Tone zu sprechen, den sie für gut erachtet, gegen mich anzunehmen. Doch erstarben mir die Worte auf der Zunge, ich athmete mühsam und schnell, und meine Augen wandten sich sehnsüchtig der Thür zu. Der Graf, der meine Besorgniß begriff, öffnete sie, ging hinaus und schloß sie wieder hinter sich. In demselben Augenblicke hörte ich Sir Percival’s schweren Tritt die Treppe herunter kommen. Ich hörte dann Beide draußen zusammen flüstern, während die Gräfin mir mit ihrer ruhigsten Alltagsstimme die Versicherung gab, daß sie sich um unser Aller willen freue, daß Sir Percival sie und ihren Gemahl nicht durch sein Betragen gezwungen habe, Blackwater Park zu verlassen. Ehe sie noch geendet hatte, hörte das Flüstern auf, die Thüre öffnete sich, und der Graf trat herein.

»Miß Halcombe,« sagte er, »es macht mich glücklich, Sie benachrichtigen zu können, daß Lady Glyde wieder Herrin ihres eignen Hauses ist. Ich glaubte, es dürfte Ihnen weniger unangenehm sein, diesen günstigen Wechsel von mir zu hören, als von Sir Percival, und kam dieserhalb ausdrücklich zurück, um Sie davon in Kenntniß zu setzen.«

»Unvergleichliches Zartgefühl,« sagte die Gräfin, dem Grafen seine Lobsprüche in gleicher Münze und auf gleiche Manier zurückgebend. Er lächelte und verbeugte sich, wie wenn ihm irgend ein Fremder ein höfliches Compliment gesagt hätte, und trat dann auf die Seite, um mich vorübergehen zu lassen.

Sir Percival stand in dem Flur. Als ich die Treppe hinauf eilte, hörte ich, wie er dem Grafen ungeduldig zurief, aus der Bibliothek zu kommen.

»Wozu wartest Du da noch?« sagte er. »Ich habe mit Dir zu sprechen.«

»Und ich habe erst noch allein zu überlegen,« entgegnete der Andere. »Warte bis später, Percival, warte bis später.«

Weder er noch sein Freund sprachen ferner. Ich war oben angelangt und lief den Corridor entlang. In meiner Hast und Aufregung ließ ich die Thür des Vorzimmers offen, doch schloß ich die des Schlafzimmers, sowie ich eingetreten war.

Laura saß allein am andern Ende des Zimmers, ihre Arme ruhten müde auf dem Tische und ihr Gesicht in ihren Händen. Als sie mich erblickte, sprang sie mit einem matten Freudenausrufe empor.

»Wie bist Du hergekommen?« frug sie. »Wer gab Dir Erlaubniß dazu? Gewiß nicht Sir Percival?«

In meiner überwältigenden Bangigkeit über das, was sich zugetragen, konnte ich ihr nicht antworten, sondern blos Gegenfragen an sie richten. Doch erwies sich Laura’s Begier, zu wissen, was unten vorgegangen sei, zu stark, um sich abweisen zu lassen. Sie wiederholte beharrlich ihre Fragen.

»Natürlich der Graf,« sagte ich ungeduldig, »wer sonst besäße im Hause wohl Einfluß genug –?«

Sie unterbrach mich mit einer Bewegung des Widerwillens.

»Sprich nicht von ihm!« rief sie aus, »der Graf ist der elendeste Mensch, den es auf Erden giebt! Der Graf ist ein nichtswürdiger Spion –!«

Ehe weder die Eine noch die Andere von uns ein Wort hinzufügen konnte, wurden wir Beide durch ein leises Klopfen an der Thür beunruhigt.

Ich hatte mich noch nicht gesetzt, und ging daher, um zu sehen, wer es sei. Als ich die Thür öffnete, stand die Gräfin, mein Taschentuch in der Hand haltend, vor mir.

»Sie ließen dies unten fallen, Miß Halcombe,« sagte sie, »und da ich auf meinem Wege nach meinem Zimmer hier vorbeikam, wollte ich es Ihnen gleich überbringen.« Ihr Gesicht, welches von Natur blaß ist, war so gespenstisch weiß in diesem Augenblicke, daß es mich förmlich erschreckte. Ihre Hände, sonst so sicher und ruhig, zitterten heftig, und ihre Augen blickten durch die geöffnete Thür an mir vorbei und hefteten sich mit einem wolfartigen Ausdrucke auf Laura.

Sie hatte gehorcht, ehe sie klopfte! Das sah ich in ihrem weißen Gesichte, in ihren zitternden Händen, in ihrem wilden Blicke.

Nachdem sie eine Minute gezögert, wandte sie sich um und ging langsam fort.

Ich schloß die Thür wieder. »O Laura, Laura! wir werden Beide den Tag zu bereuen haben, an dem Du jene Worte sprachst!«

»Du hättest sie selbst gesprochen, Marianne, hättest Du gewußt, was ich weiß. Anna Catherick hatte Recht. Es war in der That gestern eine dritte Person bei unserer Unterredung zugegen, und diese war –«

»Weißt Du es gewiß, daß es der Graf war?«

»Ganz gewiß. Er war Sir Percival’s Spion, Sir Percival’s Berichterstatter. Er bewog Sir Percival, Anna Catherick und mir den ganzen Morgen aufzulauern.«

»Haben sie Anna gefunden? Sahst Du sie am See?«

»Nein, sie hat sich gerettet, indem sie ausblieb. Als ich im Boothause anlangte, war dort kein Mensch.«

»Ja? nun?«

»Ich ging hinein, setzte mich und wartete einige Minuten. Doch ließ mich meine Unruhe wieder aufstehen und umhergehen. Als ich hinaus trat, sah ich dicht vor dem Boothause Spuren im Sande. Ich bückte mich, um genauer hinzusehen und fand ein Wort mit großen Buchstaben in den Sand geschrieben. Dies Wort war »Suchet!«

»Und Du scharrtest den Sand fort und machtest ein Loch in die Erde?«

»Woher weißt Du das, Marianne?«

»Ich sah es, als ich Dir nach dem Boothause gefolgt war. Aber fahre fort – fahre fort!«

»Ja, ich scharrte den Sand fort, und nach einer kleinen Weile fand ich einen Streifen beschriebenen Papiers. Das Geschriebene war mit Anna Catherick’s Anfangsbuchstaben unterzeichnet.«

»Wo ist es?«

»Sir Percival hat es mir genommen.«

»Erinnerst Du Dich, was auf dem Papier geschrieben stand? Glaubst Du, daß Du es mir genau wiederholen könntest?«

»Den Inhalt kann ich Dir genau sagen, Marianne, denn er war sehr kurz. Du hättest es Wort für Wort im Gedächtnisse behalten.«

»Versuche, mir den Inhalt zu sagen, ehe wir weiter gehen.«

Sie that es. Ich schreibe die Zeilen gerade so hier nieder, wie sie mir dieselben hersagte. Sie lauteten folgendermaßen:

»Wir wurden gestern von einem großen, starken, alten Manne zusammen gesehen, und ich mußte laufen, um mich zu retten. Er war nicht flink genug auf den Füßen und verlor mich unter den Bäumen. Ich wage nun nicht, heute um dieselbe Zeit wieder hieher zu kommen. Ich schreibe dies, um Sie hiervon zu unterrichten, um sechs Uhr Morgens und werde es im Sand verbergen. Wenn wir das nächste Mal von Ihres gottlosen Gemahls Geheimnisse sprechen, da muß es an einem sicheren Orte sein oder gar nicht. Suchen Sie sich in Geduld zu fassen. Ich verspreche Ihnen, daß Sie mich wiedersehen sollen, und zwar bald.

A. C.«

Die Worte »großer, starker, alter Mann« (von deren Richtigkeit Laura überzeugt war) ließen keinen Zweifel übrig in Bezug auf die Identität des Störers. Ich entsann mich, daß ich Sir Percival in Gegenwart des Grafen gesagt hatte, Laura sei nach dem Boothause gegangen, um ihre Broche zu suchen. Wahrscheinlich war er ihr in seiner zudringlichen Dienstfertigkeit dorthin gefolgt, um sie, gleich nachdem er mir im Gesellschaftszimmer Sir Percival’s Sinnesänderung in Bezug auf das Document mitgetheilt, ebenfalls darüber zu beruhigen. In diesem Falle konnte er jedoch erst in dem Augenblicke, wo Anna Catherick ihn entdeckte, beim Boothause angelangt sein. Die verdächtige Eile, in der sie Laura verließ, hatte ihn wahrscheinlich zu dem fruchtlosen Versuche, ihr zu folgen, bewogen – aber von der vorher stattgehabten Unterredung konnte er Nichts gehört haben. Die Entfernung vom Hause bis zum See und die Zeit, zu der er mich im Salon verließ, verglichen mit der, zu welcher Laura sich mit Anna Catherick unterhielt, ließen hierüber wenigstens keinen Zweifel obwalten.

Da ich hierüber ziemlich einig mit mir geworden, war mein nächstes Interesse darauf gerichtet, zu erfahren, welche  Entdeckungen Sir Percival gemacht habe, nachdem der Graf ihm seine Mittheilungen gemacht.

»Wie bist Du des Briefes verlustig geworden?« frug ich sie. »Was machtest Du damit, nachdem Du ihn im Sande gefunden hattest?«

»Nachdem ich ihn ein Mal durchgelesen,« sagte sie, »nahm ich ihn mit mir ins Boothaus, um mich zu setzen und ihn nochmals zu lesen. Während ich dies that, fiel ein Schatten auf das Papier. Ich blickte auf und sah Sir Percival im Eingange stehen und mich beobachten.«

 

»Versuchtest Du, den Brief zu verbergen?«

»Ja, ich versuchte es, aber er verhinderte mich. ›Du brauchst Dich nicht zu bemühen, das da zu verstecken,‹ sagte er, ›ich habe es bereits gelesen.‹ Ich konnte Nichts sagen, sondern ihn blos hülflos anschauen. ›Verstehst Du mich?‹ fuhr er fort; ›ich habe es gelesen. Ich scharrte es vor zwei Stunden aus dem Sande, grub es dann wieder ein, schrieb das Wort wieder darüber und ließ es bereit für Dich liegen. Jetzt kannst Du Dich nicht aus Deinen Schlichen herauslügen. Du hast gestern heimlich Anna Catherick gesprochen, und in diesem Augenblicke hältst Du ihren Brief in der Hand. Sie habe ich noch nicht erwischt, aber Dich habe ich. Gieb den Brief her.‹ Er trat dicht zu mir heran – ich war allein mit ihm, Marianne – was konnte ich machen? Ich gab ihm den Brief«

»Was sagte er, als Du ihm denselben gabst?«

»Zuerst sagte er Nichts. Er faßte mich beim Arme, führte mich aus dem Boothause und schaute sich nach allen Seiten hin um, als ob er fürchte, daß man uns hören oder sehen könne. Dann drückte er meinen Arm fest mit seiner Hand und flüsterte: ›Was hat Anna Catherick Dir gestern gesagt? – Ich befehle Dir, mir jedes Wort von Anfang bis zu Ende zu wiederholen!‹«

»Sagtest Du es ihm?«

»Ich war allein mit ihm, Marianne, seine grausame Hand kniff meinen Arm – was konnte ich thun?«

»Ist die Stelle noch auf Deinem Arm zu sehen? Zeige sie mir.«

»Wozu willst Du sie sehen?«

»Ich will sie sehen, Laura, weil heute unser Dulden ein Ende haben und unser Widerstand beginnen muß. Jene Stelle ist eine Waffe, mit der wir ihn treffen können. Laß’ sie mich gleich sehen, vielleicht werde ich sie später zu beschwören haben.«

»O, Marianne, blicke nicht so! sprich nicht so! Es thut mir jetzt nicht mehr weh’!«

»Zeige mir’s!«

Sie zeigte mir die Stelle. Ich war jetzt über den Gemüthszustand hinweg, in dem ich über den Anblick geklagt, geweint und geschaudert hätte. Man sagt, wir Frauen seien entweder besser oder schlechter denn die Männer. Wäre die Versuchung, die sich manchen anderen Frauen geboten und sie schlechter gemacht hat, in diesem Augenblick mir entgegengetreten – – – Gott sei Dank; mein Gesicht verrieth Nichts, das seine Frau hätte lesen können. Das sanfte, unschuldige, liebende Herz glaubte nur, ich fürchte für sie und härme mich um sie – und dachte an weiter Nichts.

»Denke nicht zu strenge darüber, Marianne,« sagte sie ruhig, indem sie den Aermel ihres Kleides wieder über die Stelle zog. »Es schmerzt jetzt nicht mehr.«

»Ich will Deinetwegen ruhig daran zu denken versuchen, mein liebes Herz. – Schon gut! schon gut! Also Du sagtest ihm Alles, was Anna Catherick Dir gesagt hatte – Alles, was Du mir erzählt hast?«

»Ja, Alles. Er bestand darauf – Ich war allein mit ihm – ich konnte ihm Nichts verschweigen.«

»Sagte er Etwas, als Du geendet?«

»Er sah mich an und lachte bitter vor sich hin. ›Ich will auch das Uebrige noch aus Dir herausbringen,‹ sagte er, ›hörst Du? auch das Uebrige.‹ Ich erklärte ihm mit feierlichen Worten, daß ich ihm Alles gesagt habe, was ich wisse ›Fällt Dir nicht ein!‹ sagte er; ›Du weißt mehr, als es Dir zu sagen beliebt. Du willst nicht heraus damit, aber Du sollst es! Ich will Dir’s schon zu Hause auspressen, wenn mir’s hier nicht gelingt.‹ Dann führte er mich auf einem mir unbekannten Pfade durch die Anlagen, ein Pfad, auf dem keine Aussicht war, Dir zu begegnen, und sagte Nichts mehr, bis wir das Haus sehen konnten. Dann stand er still und sagte: ›Wenn ich Dir noch einmal Gelegenheit gebe, willst Du Dich eines Bessern besinnen? Willst Du mir das Uebrige sagen?‹ Ich konnte blos die Worte wiederholen, die ich bereits vorher zu ihm gesprochen. Er fluchte meiner Hartnäckigkeit, setzte dann seinen Weg fort uns führte mich ins Haus. ›Du kannst mich nicht hintergehen,‹ sagte er; ›Du weißt mehr, als Dir zu sagen beliebt. Ich will aber Dein Geheimniß noch aus Dir heraus haben und aus Deiner Schwester ebenfalls. Es soll kein Complottiren und Flüstern mehr zwischen Euch stattfinden. Ihr sollt Euch einander nicht eher wiedersehen, als bis Ihr mir die Wahrheit gebeichtet habt. Ich will Euch Tag und Nacht bewachen lassen, bis Ihr die Wahrheit gesteht.‹ Er war taub gegen Alles, was ich sagen konnte, und führte mich sofort auf mein Zimmer. Hier saß Fanny, mit einer Arbeit für mich beschäftigt; er schickte sie augenblicklich hinaus. ›Ich will wenigstens dafür sorgen, daß Sie nicht auch mit in die Verschwörung gezogen werden,‹ sagte er. ›Sie werden noch heute das Haus verlassen. Wenn Ihre Herrin einer Jungfer bedarf, so soll es eine sein, die ich ihr aussuche.‹ Er schob mich ins Zimmer und verschloß die Thür hinter mir, dann stellte er jenes dumme Mädchen draußen als Wache auf, Marianne! Er sah aus und sprach wie ein Wahnsinniger; Du wirst es kaum begreifen, aber es ist wirklich wahr.«

»Ich begreife es, Laura. Er ist in der That wahnsinnig – wahnsinnig aus Furcht vor dem Verrath seines gottlosen Geheimnisses. Jedes Deiner Worte überzeugt mich fester und fester, daß, als Anna Catherick Dich gestern verließ, Du im Begriffe warst, ein Geheimniß zu entdecken, das Deines elenden Mannes Untergang sein könnte, und er denkt, daß Du es bereits erfahren hast. Nichts, das Du sagen oder thun kannst, wird dieses schuldbewußte Mißtrauen beseitigen, oder seine falsche Natur von der Wahrhaftigkeit der Deinigen überzeugen. Ich sage dies nicht, Liebe, um Dich zu beunruhigen. Ich sage es nur, um Dir die Augen zu öffnen, damit Du Deine Lage begreifst, und um Dich von der dringenden Nothwendigkeit zu überzeugen, daß ich handeln und Dich nach Kräften schützen muß, so lange uns noch die Gelegenheit dazu bleibt. Des Grafen Vermittelung hat mir heute den Zutritt zu Dir verschafft; morgen aber mag er schon seine Fürsprache zurücknehmen. Sir Percival hat bereits Fanny entlassen, weil sie ein gescheidtes Mädchen und Dir von Herzen ergeben ist, und ihre Stelle einer Person gegeben, die sich nichts um Dich kümmert, und deren Verstandeskräfte mit denen des Kettenhundes unten im Hofe auf gleicher Stufe stehen. Es ist unmöglich zu sagen, welche gewaltsame Maßregeln er zunächst ergreifen wird, falls wir nicht den besten Gebrauch von der uns noch bleibenden Gelegenheit machen.«

»Was können wir thun, Marianne? O, wenn wir doch nur dies Haus verlassen könnten, um es niemals wiederzusehen!«

»Höre mich an, liebe Laura, und suche Dich davon zu überzeugen, daß Du nicht ganz hülflos bist, solange ich bei Dir bin.«

»Das will ich, das thue ich. Aber vergiß nicht die arme Fanny ganz, indem Du Dich mit mir beschäftigst. Auch sie bedarf der Hülfe und des Trostes.«

»Ich werde sie nicht vergessen, Ich habe mit ihr gesprochen, ehe ich zu Dir heraufkam, und bin mit ihr einig geworden, sie heute Abend noch von mir hören zu lassen. In der Posttasche sind unsere Briefe hier in Blackwater Park nicht sicher, und ich werde heute zwei in Deinen Angelegenheiten zu schreiben haben, die durch keine anderen, als Fanny’s Hände gehen müssen.«

»Was für Briefe?«

»Ich beabsichtige erstens an Mr. Gilmore’s Compagnon zu schreiben, Laura, da er uns für jede neue Verlegenheit seine Hülfe angetragen hat. So wenig ich auch das Gesetz kenne, so sicher bin ich dessenungeachtet, daß es eine Frau gegen solche Behandlung schützen kann, wie sie Dir heute von diesem rohen Wütherich geworden ist. Ich will in keine Einzelheiten über Anna Catherick eingehen, weil ich hierüber keine bestimmten Mittheilungen zu machen habe. Aber der Advokat soll von jener Stelle auf Deinem Arme und von der Gewaltthätigkeit wissen, die man Dir in diesem Zimmer angethan – und zwar ehe ich eine Nacht vorher schlafe!«

»Aber bedenke nur das Aufsehen, Marianne!«

»Ich rechne darauf. Sir Percival hat mehr davon zu fürchten als Du. Die Aussicht auf Blosstellung mag ihn vielleicht zur Vernunft bringen, wenn dies durch sonst Nichts geschehen kann.«

Ich stand auf, indem ich sprach, aber Laura bat mich dringend, sie nicht zu verlassen.

»Du wirst ihn zur Verzweiflung treiben,« sagte sie, »und unsere Gefahren noch um das Zehnfache vergrößern.«

Ich fühlte das Wahre, das entmuthigend Wahre dieser Worte. Aber ich vermochte es nicht über mich, ihr dies offen zu bekennen. In unserer schrecklichen Lage gab es keine Hülfe oder Hoffnung für uns, als indem wir das Schlimmste wagten. Ich sagte ihr dies mit vorsichtigen Worten. Sie seufzte bitterlich, doch machte sie keine Einwendungen. Dann frug sie nach dem zweiten Briefe, den ich zu schreiben beabsichtige. Für wen war er bestimmt?

»Für Deinen Onkel,« sagte ich. »Mr. Fairlie ist Dein nächster männlicher Verwandter und das Haupt der Familie. Er muß und soll sich ins Mittel legen.«

Laura schüttelte traurig den Kopf.

»Ja, ja,« fuhr ich fort, »ich weiß wohl, daß Dein Onkel ein schwacher, selbstsüchtiger, weltlich gesinnter Mensch ist. Aber er ist immer noch nicht Sir Percival Glyde und hat keinen solchen Freund um sich, wie den Grafen Fosco. Ich erwarte Nichts von seiner Güte oder Liebe zu Dir oder zu mir. Aber er wird Alles thun, um seiner Trägheit zu fröhnen, und seine Ruhe zu sichern. Laß mich ihn überzeugen, daß er sich dadurch, daß er sich jetzt ins Mittel legt, für später unvermeidliche Mühe, Unannehmlichkeit und Verantwortlichkeit erspart, und er wird sich um seiner selbst willen schon rühren. Ich weiß, wie man ihn nehmen muß, Laura, ich habe einige Uebung darin gehabt.«

»Wenn Du ihn nur dazu bewegen könntest, mich wieder auf eine Weile nach Limmeridge zurückkommen und dort ruhig mit Dir leben zu lassen, Marianne, da könnte ich fast wieder so glücklich sein, wie ich vor meiner Heirath war!«

Diese Worte gaben meinen Gedanken eine neue Richtung. Wäre es vielleicht möglich, Sir Percival zwischen die beiden Alternativen zu stellen, daß er sich entweder der Blosstellung gerichtlicher Dazwischenkunft zu Gunsten seiner Frau unterziehe oder sonst ihr gestatten müsse, ihn auf eine Weile unter dem Vorwande eines Besuches bei ihrem Onkel, zu verlassen? Und durfte man in diesem Falle mit Zuversicht darauf rechnen, daß er Letzteres wählen werde? Es war zweifelhaft – mehr als zweifelhaft. Und dennoch – so hoffnungslos das Experiment auch erschien, war es nicht eines Versuches werth? Ich beschloß, ihn zu machen – aus bloser, verzweifelter Rathlosigkeit.

»Dein Onkel soll von Deinem Wunsche unterrichtet werden,« sagte ich, »auch will ich den Advokaten darüber zu Rathe ziehen. Es mag und wird, wie ich hoffe, Gutes danach kommen«

Mit diesen Werten erhob ich mich nochmals und nochmals versuchte Laura, mich zurückzuhalten.

»Verlaß mich nicht,« sagte sie mit unruhigem Blicke »Mein Schreibepult steht ja hier auf dem Tische. Du kannst hier schreiben.«

Es ging mir durch’s Herz, es ihr zu verweigern, ungeachtet dies in ihrem eigenen Interesse geschah. Aber wir waren bereits zu lange zusammen eingeschlossen gewesen. Unsere Aussicht, einander wieder zu sehen, hing vielleicht ganz davon ab, daß wir keinen ferneren Verdacht erregten. Es war reichlich an der Zeit, daß ich ruhig und unbekümmert vor den Bösewichtern erschiene, die vielleicht in diesem Augenblicke unten an uns dachten und über uns sprachen. Ich erklärte Laura diese schlimme Nothwendigkeit und vermochte sie, dieselbe, wie ich, anzuerkennen.

»Ich will in einer Stunde oder noch früher wieder bei Dir sein, liebes Herz,« sagte ich. »Das Schlimmste ist für heute vorbei. Verhalte Dich ruhig und fürchte Nichts«

»Ist der Schlüssel in der Thür, Marianne? Kann ich mich von innen einschließen?«

»Ja, hier ist der Schlüssel. Verschließe Deine Thür und öffne Niemandem, bis ich wieder zurückkomme.«

Ich küßte sie und ging. Es verursachte mir ein Gefühl der Erleichterung, als ich sie die Thür von innen verschließen hörte und somit wußte, daß ihr Alleinbleiben in ihrer eigenen Gewalt sei.

Ich war kaum bis an die Treppe gelangt, als mich das Verschließen der Thür von Laura’s Zimmer daran erinnerte, daß es vielleicht gerathen sein möchte, wenn auch ich die meinige verschlösse und den Schlüssel bei mir trüge, so lange ich nicht in meinem Zimmer sei. Mein Tagebuch war bereits nebst anderen Papieren in meinem Tischauszuge verschlossen, aber meine Schreibmaterialien lagen noch offen da. Unter diesen befand sich ein Petschaft, das die sehr gewöhnliche Wappenfigur zweier Tauben, die aus einer Schale trinken, trug, und einige Bogen Löschpapier, auf denen noch der Abdruck der letzten Zeilen, die ich gestern Abend in diese Blätter eintrug, zu sehen war. Unter dem Einflusse des Argwohns, der jetzt ein Theil meines Selbst geworden zu sein schien, erhielten selbst solche Kleinigkeiten, wie diese, ein zu gefährliches Ansehen, als daß sie ohne Schutz gelassen werden durften – sogar der verschlossene Tischauszug schien mir in meiner Abwesenheit nicht hinlänglich verwahrt, bis nicht auch die Mittel, dazu zu gelangen, sorgfältig abgeschlossen waren.

 

Ich fand kein Anzeichen, daß irgend Jemand in meiner Stube gewesen wäre, während ich mich mit Laura unterhalten hatte. Meine Schreibmaterialien (welche anzurühren ich dem Stubenmädchen streng untersagt hatte) lagen ziemlich wie gewöhnlich über den Tisch zerstreut. Der einzige Umstand, der mir in Bezug hierauf etwas auffiel, war, daß das Petschaft ordentlich neben Bleistiften und Siegellack in der kleinen Cristallmulde lag. Es war (wie ich zu meinem Bedauern gestehe) nicht meine Gewohnheit, es hier so ordentlich hineinzulegen, noch erinnerte ich mich, dies gethan zu haben. Da ich mich jedoch auf der anderen Seite nicht entsinnen konnte, wo ich es hingeworfen, und ob ich es nicht vielleicht ganz mechanischer und zufälliger Weise diesmal an die rechte Stelle gethan, ließ ich mich durch diese Kleinigkeit nicht noch mehr verwirren, als ich es in Folge der Ereignisse des Tages bereits war. Ich schloß die Thür ab, steckte den Schlüssel in die Tasche und ging hinunter.

Die Gräfin war allein auf dem Flur und betrachtete das Wetterglas.

»Es fällt noch immer,« sagte sie, »ich fürchte, wir müssen noch mehr Regen erwarten.«

Ihr Gesicht trug wieder seinen gewohnten Ausdruck und seine gewohnte Farbe. Aber die Hand, mit der sie auf den Zeiger des Wetterglases deutete, zitterte noch. Konnte sie ihrem Manne erzählt haben, daß sie gehört, wie Laura ihn mir als einen »Spion« bezeichnet hatte? Mein starker Verdacht, daß sie es ihm gesagt haben mußte, meine unüberwindliche Angst (die durch ihre Unbestimmtheit um so überwältigender wurde) vor den Folgen, die dies haben konnte; meine feste Ueberzeugung, welche durch verschiedene kleine unwillkürliche Gefühlskundgebungen von Seiten der Gräfin (die Frauen so schnell aneinander wahrnehmen) in mir wach gerufen, daß sie, ungeachtet all ihrer äußerlich angenommenen Höflichkeit, es ihrer Nichte nie verziehen habe, daß sie das unschuldige Hinderniß war, welches zwischen ihr und dem Legate von zehntausend Pfund stand: Alles dies schoß mir plötzlich durch den Sinn, und drängte mich zu sprechen, in der eitlen Hoffnung, durch meinen Einfluß und meine Ueberredungskraft im Stande zu sein, Laura’s Fehler wieder gut zu machen.

»Darf ich von Ihrer Güte, Gräfin, hoffen, daß sie mich entschuldigen wird, falls ich es wage, über einen höchst peinlichen Gegenstand mit Ihnen zu sprechen?«

Sie faltete ihre Hände vor sich und neigte feierlich den Kopf, ohne ein Wort zu sagen, und ohne den Blick von mir zu verwenden.

»Als Sie so freundlich waren, mir mein Taschentuch zu bringen,« fuhr ich fort, »müssen Sie, wie ich sehr fürchte, zufällig Etwas gehört haben, das Laura sagte, welches ich ungern wiederholen möchte und nicht zu entschuldigen versuchen will. Darf ich nur zu hoffen wagen, daß es Ihnen von zu geringer Wichtigkeit erschien, um den Grafen davon zu unterrichten?«

»Es hat nicht die geringste Wichtigkeit in meinen Augen,« sagte die Gräfin Fosco schnell und scharf. »Aber,« fuhr sie fort, indem sie augenblicklich wieder in ihr eisiges Wesen verfiel, »ich verschweige meinem Manne nie Etwas, selbst Kleinigkeiten nicht. Als er soeben bemerkte, daß ich bekümmert aussähe, war es meine peinliche Pflicht, ihm die Ursache hiervon zu sagen, und ich gestehe Ihnen offen, Miß Halcombe, daß ich es ihm nicht verschwiegen habe.«

Ich war hierauf vorbereitet gewesen, und doch durchrieselte es mich eisig, als sie diese Worte sagte.

»Lassen Sie mich es Ihnen, Gräfin, und auch dem Grafen ernstlich an’s Herz legen, daß Sie die traurige Lage berücksichtigen, in der meine Schwester sich augenblicklich befindet. Sie sprach unter dem Einflusse des Schmerzes, den ihr die Beschimpfung und Ungerechtigkeit ihres Mannes verursacht hatten, und sie war außer sich, als sie jene unbedachten Worte sprach. Darf ich hoffen, daß sie rücksichtsvoll und großmüthig vergeben sind?«

»Ganz gewiß,« sagte des Grafen ruhige Stimme hinter mir. Er hatte sich mit seinem geräuschlosen Schritte, mit einem Buche in der Hand aus der Bibliothek zu uns herangeschlichen.

»Als Lady Glyde jene übereilten Worte sprach,« fuhr er fort, »beging sie eine Ungerechtigkeit gegen mich, die ich beklage und vergebe. Lassen Sie uns des Gegenstandes nie wieder erwähnen, Miß Halcombe, lassen Sie uns Alle einander gegenseitig geloben, ihn von diesem Augenblicke an zu vergessen.«

»Sie sind sehr freundlich,« sagte ich, »es ist mir eine unbeschreibliche Erleichterung –«

Ich wollte fortfahren, aber seine Augen waren auf mich geheftet; sein tödtliches Lächeln, das Alles verbirgt, lag fest und hart auf seinem großen glatten Gesichte. Die Ahnung, die ich von seiner unergründlichen Falschheit hatte, das Gefühl meiner Erniedrigung, indem ich mich herabließ, zu versuchen, ihn und seine Frau mit uns auszusöhnen, dies Alles drückte und verwirrte mich dergestalt, daß mir die nächsten Worte auf den Lippen erstarben und ich schweigend dastand.

»Ich bitte Sie auf meinen Knien, Miß Halcombe, kein Wort weiter darüber zu sagen, – es ist mir ernstlich schmerzlich, daß Sie es für nothwendig hielten, überhaupt Etwas darüber zu erwähnen.« Mit diesen höflichen Worten ergriff er meine Hand, o, wie ich mich verachte! wie geringen Trost ich in dem Bewußtsein finde, daß ich es nur um Laura’s willen erduldete! – er faßte meine Hand und führte sie an seine giftigen Lippen. Noch nie bis zu diesem Augenblicke war ich mir meines ganzen Widerwillens gegen ihn bewußt geworden. Diese harmlose Vertraulichkeit machte mein Blut kriechen, als ob es die größte Beschimpfung gewesen wäre, die ein Mann mir hätte anthun können. Und dennoch verbarg ich ihm meinen Widerwillen, ich versuchte zu lächeln; ich, die ich sonst erbarmungslos den Betrug in Frauen verdammte, war jetzt so falsch, wie die falscheste unter ihnen, so falsch wie der Judas, dessen Lippen meine Hand berührt hatten.

Ich hätte nicht meine erniedrigende Fassung behalten können – und dies Bewußtsein ist das Einzige, was mir einigermaßen meine Selbstachtung wiedergiebt – hätte er noch fortgefahren, mich mit seinen Blicken zu fixiren. Die tigerartige Eifersucht seiner Frau kam zu meiner Erlösung herbei und zwang ihn, sowie er meine Hand ergriffen hatte, seine Aufmerksamkeit von mir abzuziehen. Ihre kalten blauen Augen fingen Feuer, ihre mattweißen Wangen erglühten, und in einem Augenblicke sah sie um viele Jahre jünger aus.

»Graf!« sagte sie. »Die englischen Frauen verstehen dergleichen ausländische Höflichkeitsformen nicht.«

»Ich bitte um Vergebung, mein Engel! Die beste und theuerste aller englischen Frauen versteht sie.« Mit diesen Worten ließ er ruhig meine Hand sinken und erhob statt ihrer die seiner Frau an seine Lippen.

Ich eilte zurück die Treppe hinaus, um eine Zuflucht in meinem Zimmer zu suchen. Wäre Zeit zum Denken übrig gewesen, so würden mir meine Gedanken, sobald ich mich allein sah, bittere Schmerzen verursacht haben. Aber es blieb mir dazu keine Zeit, zum Glücke für die Bewahrung meiner Ruhe und meines Muthes war zu nichts Anderem, als zum Handeln Zeit.

Ich hatte noch die Briefe an den Advokaten und an Mr. Fairlie zu schreiben, und ich setzte mich daher, ohne einen Augenblick zu zögern, um mich mit ihnen zu beschäftigen. Es standen mir wenig Hülfsmittel zu Gebote – es gab durchaus Niemanden in der Nähe, auf den ich mich hätte verlassen können, außer mir. Sir Percival besaß weder Bekannte noch Verwandte in der Umgegend, deren Vermittelung ich hätte ansprechen können. Er stand den Familien seines Standes, die in seiner Nachbarschaft lebten, auf dem kältesten, in einigen Fällen auf dem feindseligsten Fuße gegenüber. Wir beide Frauen hatten weder einen Vater, noch einen Bruder, welcher hätte ins Haus kommen und uns in Schutz nehmen können. Es blieb mir keine andere Wahl, als diese beiden zweifelhaften Briefe zu schreiben, oder, indem wir Blackwater Park heimlich verließen, Laura sowohl wie mich, in eine falsche Lage zu bringen und jedes friedliche Arrangement für die Zukunft unmöglich zu machen. Nichts, als die drohendste Gefahr hätte dieses letztere Verfahren rechtfertigen können. Die Briefe mußten zuerst versucht werden, und so schrieb ich sie denn.