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Die Frau in Weiss

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»Und warum nicht,« sagte der Graf, »wenn es sich doch in zwei Worten thun läßt? Wenn ein Narr einen Mord begehen wollte, da wäre Dein See wahrscheinlich der erste Ort,·den er sich dazu ausersehen würde. Wollte aber ein gescheidter Mann einen Mord begehen, so wäre es der allerletzte Ort dazu. Ist das, was Du sagen wolltest? Dann hast Du also hiermit Deine Erklärung. Nimm sie, mein guter Percival, mit Deines Fosco’s Segen.«

Laura schaute den Grafen mit einem Gesichtsausdrucke an, der ihr Mißfallen an ihm etwas zu deutlich verrieth, doch war er so von seinen Mäusen in Anspruch genommen, daß er dies nicht bemerkte.

»Es thut mir leid zu hören, wie man diese Seeansicht mit einer so schrecklichen Idee, wie der eines Mordes in Verbindung bringt,« sagte sie, »und wenn Graf Fosco Mörder classificiren will, so scheint er mir in der Wahl seiner Ausdrücke kein besonderes Glück gehabt zu haben. Mir scheint, daß wenn man sie als Narren bezeichnet, man eine Nachsicht gegen sie übt, zu der sie nicht berechtigt sind, und sie gescheidte Leute zu nennen scheint mir geradezu ein Widerspruch. Ich habe immer gehört, daß wahrhaft gescheidte Menschen zugleich wahrhaft gute Menschen sind und tiefen Abscheu gegen alles Verbrechen hegen.«

»Meine verehrte Dame,« sagte der Graf, »das sind herrliche Gefühle, und ich habe sie oft als Vorschriften in Schönschreibebüchern gesehen.« Er nahm eine der weißen Mäuschen und setzte sie auf seine Handfläche; dann hielt er ihr auf seine launige Weise eine kleine Rede. »Mein lieber, hübscher, glatter kleiner Spitzbube,« sagte er, »hier ist eine Moral für Dich. Eine wahrhaft gescheidte Maus ist eine wahrhaft gute Maus. Sei so gütig, dies Deinen Gefährten bekannt zu machen und nage Dein Lebelang nicht wieder an den Stäben Deines Käfigs.«

»Es ist eine Kleinigkeit, Alles ins Lächerliche zu ziehen,« sagte Laura entschlossen; »aber Sie werden es nicht ganz so leicht finden, Graf Fosco, mir ein Beispiel von einem gescheidten Manne zu geben, der ein großer Verbrecher gewesen wäre.«

Der Graf zuckte mit den Achseln und lächelte Laura auf das Freundlichste an.

»Sehr wahr!« sagte er. »Des Narren Verbrechen ist dasjenige, welches entdeckt, und des gescheidten Mannes das, welches nicht entdeckt wird. Wenn ich Ihnen ein Beispiel geben könnte, so wäre es nicht mehr das eines gescheidten Mannes. Liebe Lady Glyde, Ihr gesunder englischer Verstand hat mich geschlagen. Diesmal bin ich schachmatt; wie, Miß Halcombe?«

»Laß Dich nicht verblüffen, Laura,« spottete Sir Percival, der von der Thüre aus zugehört hatte. »Sage ihm auch noch, daß Verbrechen durch eigenes Verschulden des Thäters entdeckt werden. Da hast Du noch eine Schönschreibebuch-Moral, Fosco. Verbrechen werden durch des Thäters eigenes Verschulden entdeckt. Welch’ verdammtes Gewäsch!«

»Ich glaube, daß es wahr ist,« sagte Laura ruhig.

Sir Percival lachte laut auf – so heftig, so übertrieben, daß er uns Alle erschreckte, den Grafen aber am meisten.

»Ich glaube dasselbe,« sagte ich, Laura zu Hülfe eilend.

Sir Percival, den die Bemerkung seiner Frau in so unbegreiflichem Grade belustigt hatte, war durch die meinige in demselben Grade erzürnt. Er stieß heftig mit dem neuen Spazierstocke auf den Boden und ging fort.

»Dieser gute Percival!« rief der Graf, ihm fröhlich nachblickend; »er ist das Opfer englischen Spleens. Aber meine liebe Miß Halcombe, theuerste Lady Glyde, glauben Sie wirklich, daß Verbrechen durch des Thäters eigenes Verschulden entdeckt werden? Und Du, mein Engel,« fuhr er zu seiner Gemahlin gewendet hinzu, welche noch kein Wort gesagt hatte, »glaubst Du es auch?«

»Ich lasse mich belehren,« entgegnete die Gräfin in einem Tone eisigen Vorwurfes gegen Laura und mich gerichtet, »ehe ich mir anmaße, in Gegenwart wohlunterrichteter Männer zu urtheilen.«

»Wirklich?« sagte ich. »Ich weiß doch die Zeit noch, Gräfin, wo Sie die Rechte der Frauen vertraten, und eines derselben war Meinungsfreiheit.«

»Wie denkst Du über den Gegenstand, Graf?« frug die Gräfin, ruhig mit Anfertigung ihrer Cigarretten fortfahrend und ohne die geringste Notiz von mir zu nehmen.

Der Graf streichelte eine seiner weißen Mäuse nachdenklich mit dem kleinen Finger, ehe er Etwas erwiderte.

»Es ist wahrhaft staunenswerth,« sagte er, »wie leicht die Gesellschaft für die schlimmsten ihrer Vergehen sich durch ein Stückchen Gemeinplatz tröstet. Die Maschinerie, welche sie zur Entdeckung von Verbrechen eingesetzt hat, ist auf eine erbärmliche Weise unzureichend, und dennoch – es erfinde nur Einer ein moralisches Epigramm und sage, daß es von guter Wirkung sei, und sofort wird er Alles gegen die Fehler desselben verblendet haben. Also Verbrechen werden durch des Thäters eigenes Verschulden entdeckt? Und ›Es ist Nichts so fein gesponnen, es kommt doch an’s Licht der Sonnen‹ wie? Fragen Sie die Richter, Lady Glyde, welche in großen Städten bei Leichenschauen gegenwärtig sind, ob dies wahr sei. Fragen Sie Secretaire, die bei Lebensversicherungsgesellschaften angestellt sind, Miß Halcombe, ob dies der Fall ist. Lesen Sie die öffentlichen Blätter. Sind nicht unter den wenigen Fällen, die ihren Weg in die Zeitungen finden, Beispiele von erschlagen gefundenen Körpern, deren Mörder unentdeckt bleiben? Multipliciren Sie die Fälle, welche berichtet sind, mit denen, die unberichtet bleiben, und die Leichname, die gefunden werden, mit denen, die verborgen bleiben, zu welchem Schlusse kommen Sie da? Zu folgendem. Daß es ungeschickte Verbrecher giebt, die entdeckt werden, und gescheidte Verbrecher, die der Entdeckung entgehen. Worin besteht das Verhehlen oder das Aufdecken eines Verbrechens? In Schlauheitversuchen der Polizei auf der einen und des Individuums auf der andern Seite. Wenn der Verbrecher ein brutaler, unwissender Narr ist, so siegt die Polizei in zehn Fällen neun Mal; ist er aber ein entschlossener, gebildeter, in hohem Grade intelligenter Mensch, so verliert die Polizei in demselben Verhältnisse. Wenn die Polizei siegt, hören Sie gewöhnlich den ganzen Hergang der Sache – verliert sie dagegen, so hören Sie meistens kein Wort von der Geschichte. Und auf diese wackelige Grundlage bauen Sie Ihre gemüthliche moralische Maxime, daß Verbrechen durch des Thäters eigenes Verschulden entdeckt werden! Ja – alle Verbrechen, von denen Sie etwas wissen, Wie aber steht’s mit den übrigen?«

»Verflucht wahr das, und sehr gut dargethan,« rief eine Stimme am Eingange des Boothauses. Sir Percival hatte seinen Gleichmuth wieder gewonnen und war zurückgekehrt, während wir dem Grafen zuhörten.

»Es mag zum Theil wahr sein und ist Alles sehr gut dargethan,« sagte ich. »Aber ich sehe nicht ein, warum Graf Fosco den Sieg des Verbrechers über die Gesellschaft mit solchem Frohlocken feiere, oder warum Sie, Sir Percival, ihm so enthusiastisch dafür applaudiren sollten.«

»Hörst Du es, Fosco?« sagte Sir Percival spöttisch. »Nimm meinen Rath und schließe Frieden mit Deinen Zuhörern. Sage ihnen, daß es etwas Herrliches um die Tugend ist – das wird ihnen gefallen, kann ich Dir versprechen.«

Der Graf lachte still in sich hinein, und zwei von den weißen Mäusen in seiner Weste stürzten, über das Erdbeben unter derselben entsetzlich erschrocken, heraus, und eilten in ihren Käfig zurück.«

»Die Damen,« sagte er, »sollen mir von der Tugend erzählen, mein guter Percival. Sie haben darüber ein besseres Urtheil als ich; denn sie wissen, was Tugend ist, und ich weiß es nicht.«

»Hört ihn an!« sagte Sir Percival, »ist das nicht entsetzlich?«

»Es ist wahr,« sagte der Graf ruhig. »Ich bin ein Weltbürger und habe in meinem Leben schon so viele verschiedene Arten von Tugend kennen gelernt, daß ich jetzt in meinen alten Tagen nicht im Stande bin, die rechte Sorte von der unrechten zu unterscheiden. Hier in England giebt es eine Sorte und da hinten in China eine andere. John Engländer sagt, die meine ist die echte Tugend, und John Chinese sagt, nein, die meine ist die echte. Und ich sage Ja zu dem Einen oder Nein zu dem Andern und bin dabei über das Richtige ebenso sehr im Unklaren bei John in den Reitstiefeln, wie bei John mit dem Zopfe. Ach! meine süße kleine Maus! komm’ und küsse mich. Wie denkst du über tugendhafte Leute, mein Mäuselinichen? Daß es Leute sind, die Dich warm halten und Dir reichlich zu speisen geben? Gar keine schlechte Idee und jedenfalls eine verständliche.«

»Einen Augenblick, Graf,« unterbrach ich ihn, »auf Ihr Beispiel eingehend, so haben wir doch ohne Frage eine Tugend in England, die ihnen in China fehlt. Die chinesischen Gerichtsobrigkeiten tödten Tausende von unschuldigen Menschen auf irgend einen abscheulichen nichtigen Vorwand hin. In England sind wir von aller derartigen Schuld fern, so fürchterliche Verbrechen begehen wir nicht, wir verabscheuen sorgloses Blutvergießen von ganzem Herzen.«

»Ganz recht, Marianne,« sagte Laura, »ein guter Gedanke und gut ausgedrückt.«

»Bitte, gestatten Sie dem Grafen, fortzufahren,« sagte die Gräfin mit strenger Höflichkeit »Sie werden finden, meine Damen, daß er nie Etwas sagt, wofür er nicht die vortrefflichsten Gründe hätte.«

»Ich danke Dir, mein Engel,« sagte der Graf, »darf ich Dir einen Bonbon anbieten?« Er nahm eine niedliche kleine Schachtel aus der Tasche und stellte sie offen auf den Tisch. »Chocolat à la Vanille,« rief dieser unerschütterliche Mann, indem er fröhlich die Schachtel schüttelte und sich rundum gegen die Gesellschaft verneigte. »Als ein Act der Huldigung Fosco’s gegen die bezaubernde Gesellschaft.«

»Sei so gut und fahre fort, Graf,« sagte seine Frau mit einem tückischen Blicke auf mich; »thu’ mir den Gefallen, Miß Halcombe zu widerlegen.«

»Miß Halcombe ist unwiderlegbar,« entgegnete der höfliche Italiener – »das heißt, in soweit sie geht. Ja! ich stimme mit ihr überein. John Bull verabscheut des Chinesen Greuelthaten. Es giebt in der Welt keinen flinkern alten Herrn als ihn, um die Fehler Anderer wahrzunehmen und keinen langsamern, wo es auf die Entdeckung seiner eigenen ankommt. Ist er aber wirklich auf seine Art so viel besser, als die Leute, die er verdammt? Die englische Gesellschaft, Miß Halcombe, ist ebenso oft die Mitschuldige des Verbrechens, wie sie dessen Feindin ist. Ja! ja! Das Verbrechen ist in diesem Lande gerade dasselbe, was es in andern Ländern ist – ebenso oft der gute Freund eines Mannes und Derer, die zu ihm gehören, als es sein Feind und der ihrige ist. Ein großer Schurke sorgt für seine Frau und Kinder: je schlechter er ist, desto lebhafter erregt er Eure Theilnahme für seine Familie. Oft sorgt er auch für sich selbst. Ein ausschweifender Verschwender, der fortwährend Geld borgt, wird mehr aus seinen Freunden machen, als der streng rechtliche Mann, der nur einmal in der bittersten Nothwendigkeit von ihnen borgt. In ersterem Falle werden die Freunde durchaus nicht erstaunen und deshalb herhalten, im zweiten werden sie sehr überrascht sein und daher zögern, ehe sie Etwas herausgeben. Ist das Gefängniß, in welchem Herr Schurke am Ende seiner Laufbahn Wohnung bekommt, ein unangenehmerer Aufenthalt, als das Landarbeitshaus, in dem Herr Biedermann am Ende der seinigen sich zurückziehen muß? Wenn John Howard-Menschenfreund Elend erleichtern will, so sucht er es in Gefängnissen auf, wo es verbrecherisches Elend ist, nicht aber in den Hütten der Armuth, wo es tugendhaftes Elend ist. Wer ist derjenige englische Poet, der sich die allgemeinste Theilnahme errungen, der den leichtesten Gegenstand zu pathetischer Dichtung und pathetischer Malerei abgiebt? Jener charmante junge Mann, der das Leben mit einer Fälschung begann und es mit Selbstmord beendete – Euer lieber, romantischer, interessanter Chatterton. Welche von zwei verhungernden Nähjungfern kommt Ihrer Ansicht nach wohl am besten weg, die, welche der Versuchung widersteht und ehrlich bleibt, oder die, welche ihr weicht und stiehlt? Ihr wißt Alle recht gut, daß diese Person durch diesen Diebstahl ihr Glück macht, es ist eine Reclame für sie von einem Ende zum andern des gutmüthigen, mildthätigen England, und als Uebertreterin eines Gebotes wird ihr geholfen, während man sie hätte verhungern lassen, so lange sie das Gebot gehalten. Komm her, meine lustige kleine Maus! Hei! presto! flink! Ich verwandle dich für den Augenblick in eine respectable Dame. Bleib’ hier in der Fläche meiner schrecklich großen Hand, mein Mäuschen, und höre mir zu. Du heirathest den armen Mann, den du liebst, Maus, und die eine Hälfte Deiner Bekannten bemitleidet dich, während die andere dich tadelt. Jetzt aber verkaufst du dich im Gegentheil für Gold einem Manne, um den Du Dich keinen Pfifferling scheerst, und alle deine Bekannten jubeln; und der Verwalter des öffentlichen Gottesdienstes weihet den schändlichsten aller menschlichen Handelsverträge und lächelt und grinst hernach an Deinem Tische, wenn Du so gütig gewesen bist, ihn zum Frühstück einzuladen. Hei! presto! flink! Sei wieder eine Maus und quikse; denn wenn du noch länger eine Dame bliebst, so würdest du mir zunächst sagen, daß die Gesellschaft das Verbrechen verabscheute, und dann, Maus, würde ich daran zweifeln, ob deine eigenen Augen und Ohren dir wirklich von geringstem Nutzen seien. Ach! ich bin ein schlechter Mann, Lady Glyde, nicht wahr? Ich spreche aus, was andere Leute blos denken, und wenn die ganze übrige Welt sich verschwört, die Maske für das Gesicht anzunehmen, so ist die meine die verwegene Hand, welche die plumpe Pappe hinwegreißt und die nackten Knochen darunter zeigt. Ich will mich auf meine großen Elephantenbeine erheben, ehe ich mir in Ihrer unschätzbaren Meinung noch mehr Schaden thue, ich will mich erheben und einen kleinen Spaziergang, machen. Theure Damen, wie Ihr vortrefflicher Sheridan sagt, ich gehe und lasse meinen Charakter in Ihren Händen zurück.«

 

Er stand auf, stellte den Käfig auf den Tisch und blieb einen Augenblick, um die Mäuse in demselben zu zählen. »Eins, zwei, drei, vier – ha!« rief er mit einem Blicke des Entsetzens, »wo, ins Himmels Namen, ist die fünfte – die jüngste, weißeste, liebenswürdigste von Allen – mein Mäuse-Benjamin?«

Weder Laura noch ich waren im Geringsten aufgelegt, belustigt zu sein, denn des Grafen schamloser Cynismus hatte uns einen neuen Einblick in seinen Charakter verschafft, vor dem wir Beide zurückbebten. Aber der komische Schmerz eines so umfangreichen Mannes über den Verlust einer so kleinen Maus war unwiderstehlich. Wir lachten widerwillen, und als die Gräfin Fosco sich erhob und uns das Beispiel gab, das Boothaus zu räumen, damit der Graf in dessen entlegensten Winkel Nachsuchung halten könne, standen wir ebenfalls auf, um demselben zu folgen.

Ehe wir noch drei Schritte gethan hatten, entdeckte des Grafen scharfes Auge schon die verlorene Maus unter dem Sitze, den wir eingenommen hatten. Er zog die Bank auf die Seite und nahm das kleine Thier in die Hand; plötzlich aber kniete er nieder und blickte aufmerksam auf einen Flecken am Boden dicht vor ihm.

Als er sich wieder aufrichtete, zitterte seine Hand so, daß er die Maus kaum in ihren Käfig zu setzen vermochte, und sein Gesicht war mit einer matten Blässe bedeckt.

»Percival!« rief er flüsternd. »Percival! Komm’ her.«

Sir Percival hatte während der letzten zehn Minuten uns nicht beachtet. Er war beschäftigt gewesen, Zahlen in den Sand zu malen und sie dann mit seinem Stocke wieder zu verwischen.

»Was ist jetzt los?« sagte er, unbekümmert in das Boothaus schlendernd.

»Siehst Du dort Nichts?« sagte der Graf, ihn mit der einen Hand zitternd am Kragen fassend und mit der anderen auf die Stelle deutend, neben welcher er die Maus wiedergefunden hatte.

»Ich sehe eine Menge trocknen Sandes,« entgegnete Sir Percival, »und mitten darin einen Kothflecken.«

»Kein Koth,« flüsterte der Graf, plötzlich auch die andere Hand auf Sir Percival’s Kragen legend und ihn in seiner Aufregung zerrend, »Blut!«

Laura stand nahe genug, um das letztere Wort, so leise es auch gesprochen ward, zu hören. Sie wandte sich mit einem Blick des Schreckens zu mir.

»Unsinn, mein Herz,« sagte ich. »Es ist kein Grund zur Unruhe vorhanden. Es ist Nichts, als das Blut eines verlaufenen kleinen Hundes.«

Alle waren erstaunt und richteten fragend ihre Blicke auf mich.

»Woher wissen Sie das?« frug Sir Percival, zuerst das Wort nehmend.

»Ich fand den Hund hier im Sterben an dem Tage, wo Sie Alle von der Reise ankamen,« erwiderte ich. »Das arme Thier hatte sich in die Anlagen verlaufen und wurde von Ihrem Wildwärter dafür erschossen.«

»Wem gehörte der Hund?« frug Sir Percival. »Es war doch nicht einer von den meinigen?«

»Versuchtest Du nicht, das arme Thierchen zu retten?« frug Laura mit ernstem Gesichte. »O gewiß, Marianne, Du versuchtest es doch?«

»Ja,« sagte ich, »die Haushälterin und ich thaten unser Möglichstes, aber der Hund war tödtlich verwundet und starb uns unter den Händen.«

»Wessen Hund war es?« wiederholte Sir Percival etwas gereizt. »Einer von den meinigen?«

»Nein, keiner von den Ihrigen.«

»Wessen also? Wußte die Haushälterin es?«

In dem Augenblicke, wo er die Frage that, fiel mir ein, daß die Haushälterin gesagt hatte, Mrs. Catherick wünsche nicht, daß Sir Percival Etwas von ihrem Besuch in Blackwater Park erfahre, und ich zweifelte halb an der Rathsamkeit, die Frage zu beantworten. Doch war ich in meiner Besorgniß, die allgemeine Unruhe zu beseitigen, unvorsichtigerweise zu weit gegangen um zurückzutreten, ohne dadurch Verdacht zu erregen, der die Sache nur noch verschlimmert hätte. Es blieb mir also Nichts weiter übrig, als sofort und ohne alle Rücksichtnahme auf etwaige Folgen zu antworten.

»Ja,« sagte ich. »Die Haushälterin kannte ihn. Sie sagte mir, er gehöre Mrs. Catherick.«

Sir Percival war bisher mit dem Grafen innerhalb des Boothauses geblieben, während ich von der Thüre aus zu ihm sprach. Aber sowie ich Mrs. Catherick’s Namen aussprach, drängte er sich ungehalten an dem Grafen vorbei und stellte sich unter dem hellen Tageslichte mir dicht gegenüber.

»Wie kam die Haushälterin dazu, zu wissen, daß der Hund Mrs. Catherick gehöre?« frug er, indem er die Augen mit einer finstern Aufmerksamkeit auf die meinigen heftete, die mich halb erzürnte und halb erschreckte.

»Sie wußte es,« sagte ich gelassen, »weil Mrs. Catherick den Hund mitbrachte.«

»Ihn mitbrachte? Wohin brachte sie ihn mit?«

»Ins Haus.«

»Was, zum Teufel, hatte Mrs. Catherick im Hause zu thun?«

Die Art und Weise, in welcher er die Frage that, war fast noch beleidigender als die Ausdrücke, deren er sich bediente.

Ich gab ihm meinen Unwillen darüber zu verstehen, indem ich mich schweigend von ihm abwandte.

In demselben Augenblick legte der Graf ihm seine Hand auf die Schulter und sagte in überredendem Tone:

»Mein lieber Percival! – sachte! sachte!«

Sir Percival blickte sich zornig um. Der Graf lächelte nur und wiederholte seine Beruhigungsformel:

»Sachte, mein guter Freund! sachte!«

Sir Percival zögerte, ging mir ein paar Schritte nach und machte mir zu meinem größten Erstaunen eine Entschuldigung.

»Ich bitte um Verzeihung, Miß Halcombe,« sagte er. »Mir ist in letzter Zeit nicht recht wohl gewesen, und ich fürchte, es hat mich etwas reizbar gemacht. Aber ich möchte gern wissen, was in aller Welt Mrs. Catherick hier wollte. Wann kam sie? War die Haushälterin die einzige Person, die sie sah?«

»Soviel ich weiß, war sie die einzige,« entgegnete ich.

Der Graf legte sich abermals dazwischen.

»In dem Falle würde ich die Haushälterin befragen,« sagte er. »Warum nicht gleich zur Quelle gehen, Percival?«

»Ganz recht!« sagte Sir Percival. »Natürlich ist die Haushälterin die rechte Person zu befragen. Sehr dumm von mir, das nicht gleich zu sehen.« Mit diesen Worten verließ er uns augenblicklich, um zum Hause zurückzukehren.

Des Grafen Beweggrund, den Vermittler zu machen, verrieth sich, sowie Sir Percival den Rücken gewandt hatte. Er hatte mir eine Masse Fragen über Mrs. Catherick und den Zweck ihres Besuches in Blackwater Park vorzulegen, die er in seines Freundes Gegenwart kaum hätte thun können. Ich machte meine Antworten so kurz, wie es die Höflichkeit zuließ, denn ich hatte bereits beschlossen, jeder Annäherung zu vertrauten Mittheilungen zwischen dem Grafen und mir von vorn herein entgegenzutreten Laura half ihm jedoch unbewußterweise, indem sie selbst mir Fragen vorlegte, die mir keine andere Wahl ließen, als entweder sie zu beantworten, oder allen Beiden in dem sehr falschen und wenig beneidenswerthen Charakter einer Mitwisserin von Sir Percival zu erscheinen. Das Ende davon war, daß in ungefähr zehn Minuten der Graf ebensoviel über Mrs. Catherick und über die Ereignisse wußte, die uns auf so seltsame Weise mit ihrer Tochter Anna in Verbindung gebracht hatten, als ich selbst, und zwar von dem Augenblicke an, wo Walter Hartright ihr begegnete, bis auf diesen Tag.

Die Wirkung dieser meiner Auskunft auf ihn war in einer Beziehung ziemlich bemerkenswerth. So intim er auch mit Sir Percival ist, und so gut er auch von dessen Privatangelegenheiten im Allgemeinen unterrichtet zu sein scheint, ist er doch offenbar ebenso weit entfernt wie ich, Etwas von der wahren Geschichte von Anna Catherick zu wissen. Das ungelöste Geheimniß in Bezug auf diese unglückliche Frau wird jetzt in meinen Augen doppelt verdächtig durch die feste Ueberzeugung, daß Sir Percival den Schlüssel zu demselben selbst seinem vertrautesten Freunde vorenthalten hat. Es war unmöglich, die eifrige Neugier in den Blicken und Manieren des Grafen zu mißdeuten, als er begierig jedem Worte lauschte, das von meinen Lippen fiel. Ich weiß wohl, daß es viele verschiedene Arten von Neugier giebt; aber die einer vollkommenen Ueberraschung ist unverkennbar, und falls ich sie jemals sah, so war dies in dem Augenblicke im Gesichte des Grafen.

Während dieser Fragen und Antworten waren wir Alle langsam durch die Anlagen zum Hause zurückgekehrt. Sowie wir hier anlangten, war das Erste, was wir sahen, Sir Percival’s Gig, das angespannt vor der Thüre hielt, und der Groom, der in seiner Stalljacke das Pferd hielt. Nach diesen unerwarteten Erscheinungen hatte das Verhör der Haushälterin bereits wichtige Erfolge gehabt.

»Ein schönes Pferd, mein Freund,« sagte der Graf mit der bezauberndsten Vertraulichkeit zum Reitknechte. »Ihr wollt ausfahren?«

»Ich fahre nicht, Sir,« sagte der Mann, auf seine Stalljacke blickend, in sichtbarem Verwundern, ob der ausländische Herr sie wohl für seine Livree halte. »Mein Herr fährt sich selbst.«

»Aha?« sagte der Graf. »In der That? Mich wundert’s, daß er sich die Mühe nimmt, da er doch Euch dazu hat. Wird er das schöne blanke Pferd mit einer langen Fahrt ermüden?«

 

»Ich weiß nicht, Sir,« entgegnete der Groom. »’S ist ein Mutterpferd, Sir, und das muthigste Thier, das wir im Stalle haben. Sie heißt die braune Molly, Sir, und geht bis sie umfällt. Sir Percival nimmt Isak von York gewöhnlich für kurze Entfernungen.«

»Und Eure blanke, muthige, braune Molly für die langen?«

»Ja wohl, Sir.«

»Der logische Schluß, Miß Halcombe,« sagte der Graf, sich schnell zu mir umwendend, »ist demnach, daß Sir Percival heute eine lange Fahrt vor hat.«

Ich erwiderte Nichts. Ich zog nach dem, was ich von der Haushälterin gehört und was ich vor mir sah, meine eigenen Schlüsse, und es lag mir nicht daran, dieselben mit Graf Fosco zu theilen.

Als Sir Percival in Cumberland war (dachte ich bei mir), machte er einen langen Spaziergang, um die Familie zu Todd’s Ecke über Anna auszufragen. Ist er etwa jetzt in Hampshire im Begriffe, eine noch längere Spazierfahrt zu machen, um Nachfragen über Anna bei Mrs. Catherick zu Welmingham anzustellen?

Wir gingen Alle ins Haus. Als wir über den Flur gingen, trat Sir Percival aus der Bibliothek uns entgegen. Er schien in Eile und sah blaß und sorgenvoll aus, war aber dessenungeachtet in seiner höflichsten Laune, als er uns anredete.

»Ich bedaure zu sagen, daß ich Euch verlassen muß,« begann er – »ich habe eine lange Fahrt vor – eine Sache, die ich nicht gut verschieben kann. Ich werde morgen bei guter Zeit wieder da sein; ehe ich aber gehe, möchte ich die kleine Geschäftsformalität beseitigen, von der ich heute Morgen sagte. Laura, willst Du in die Bibliothek kommen? Es wird Dich keine Minute aufhalten, eine blose Formalität. Darf ich Sie ebenfalls bemühen, Gräfin? Ich wünsche blos, daß Ihr, Du und die Gräfin, Zeugen einer Unterschrift seid, weiter Nichts. Kommt gleich und macht die Sache ab.«

Er hielt die Thür der Bibliothek für sie offen, bis sie Alle eingetreten waren, folgte ihnen und schloß sie leise hinter sich.

Ich blieb einen Augenblick allein in dem Flur stehen, während mein Herz heftig pochte und schlimme Ahnungen sich bei mir einschlichen. Dann wandte ich mich zur Treppe und stieg langsam hinauf nach meinem Zimmer.

Gerade als ich die Hand auf die Thürklinke gelegt, hörte ich Sir Percival’s Stimme, die mir von unten zurief:

»Ich muß Sie bitten, wieder herunter zu kommen« sagte er. »Es ist Fosco’s Schuld, nicht die meine, Miß Halcombe. Er hat irgend einen unsinnigen Einwand dagegen zu machen, daß seine Frau Zeugin ist und mich daher genöthigt, Sie zu bitten, zu uns in die Bibliothek zu kommen.«

Ich trat sofort mit Sir Percival ins Zimmer. Laura stand wartend beim Schreibtische und drehte ihren Gartenhut unruhig in den Händen herum. Die Gräfin saß neben ihr in einem Lehnstuhle, in ihren Zügen malte sich unerschütterliche Bewunderung für ihren Gemahl, welcher am andern Ende des Zimmers am Fenster stand und die welken Blätter von den Blumen ablas.

Sowie ich herein trat, kam der Graf mir entgegen, um mir seine Erklärung zu geben.

»Ich bitte tausendmal um Vergebung, Miß Halcombe,« sagte er »Sie wissen, welchen Charakter man in England meinen Landsleuten beilegt? Wir Italiener sind nach des guten John Bull’s Dafürhalten Alle von Natur hinterlistig und argwöhnisch. Nehmen Sie gütigst an, daß ich um Nichts besser bin als meine Landsleute. Ich bin ein hinterlistiger, argwöhnischer Italiener. Sie haben dies selbst schon gedacht, verehrte Dame, nicht wahr? Nun gut! Es macht einen Theil meiner Hinterlist und meines Argwohns aus, Etwas dawider zu haben, daß die Gräfin Zeugin von Lady Glyde’s Unterschrift sei, wenn ich selbst ein Zeuge bin.«

»Es giebt auch nicht den Schatten eines Grundes für seine Weigerung,« sagte Sir Percival. »Ich habe es ihm erklärt, daß das englische Gesetz seiner Frau sowohl als ihm gestattet, Zeugen bei derselben Unterschrift zu sein.«

»Ich gebe es zu,« sagte der Graf »Das Gesetz von England sagt Ja, aber Fosco’s Gewissen sagt Nein.« Er spreizte seine dicken Finger über seiner Brust aus und verbeugte sich feierlich, wie wenn er uns hiermit sein Gewissen als einen erhabenen Zuwachs der Gesellschaft vorstelle. »Was dies für ein Document sein mag, welches Lady Glyde zu unterzeichnen im Begriffe ist,« fuhr er fort, »weiß ich nicht, noch wünsche ich es zu erfahren. Ich sage blos, daß zu irgend einer Zeit der Zukunft die Umstände sich so gestalten können, daß Sir Percival sich genöthigt sehe, sich auf die beiden Zeugen zu berufen, in welchem Falle es sicherlich wünschenswerth ist, daß diese Zeugen zwei Ansichten verträten, die von einander völlig unabhängig wären. Dies kann nicht sein, wenn meine Frau mit mir unterzeichnet, denn zwischen uns Beiden giebt es nur eine Ansicht und das ist die meinige. Ich will nicht, daß man jemals sagen könne, die Gräfin habe auf meinen Befehl gehandelt und sei demzufolge eigentlich gar kein Zeuge. Ich spreche in Percival’s Interesse, wenn ich vorschlage, daß mein Name als der von Percival’s nächstem Freunde erscheine, und Miß Halcombe’s Name als der von seiner Gemahlin nächststehender Freundin. Ich bin ein Jesuit – wenn es Ihnen gefällt, so zu denken, ein Wortklauber, ein Kleinigkeitskrämer, ein Mann von Grillen und Scrupeln, aber ich hoffe, daß Sie mir aus Barmherzigkeit gegen meinen argwöhnischen italienischen Charakter und mein beunruhigtes italienisches Gewissen willfahren werden.« Er verbeugte sich abermals, trat ein paar Schritte von dem Tische zurück und entzog sein Gewissen unserer Gesellschaft so höflich, wie er es uns vorgestellt hatte.

Des Grafen Skrupel mochten rechtlich und vernünftig genug sein, aber in seiner Art und Weise, sie auszusprechen, lag Etwas, das meinen Widerwillen, mit der Unterschrift irgendwie zu thun zu haben, noch vermehrte. Keine Rücksicht von geringerer Wichtigkeit als meine Gefühle für Laura hätte mich bewogen, überhaupt Zeugin zu werden. Doch ein einziger Blick auf ihre beunruhigten Züge bestimmte mich, lieber Alles zu riskiren, ehe ich sie verließe.

»Ich bin bereit, dazubleiben,« sagte ich. »Und falls ich keine Gründe sehe, meinerseits Einwendungen zu machen, dürfen Sie auf mich als Zeugin rechnen.«

Sir Percival sah mich scharf an, als ob er Etwas zu sagen im Begriffe sei. In demselben Augenblicke aber zog die Gräfin seine Aufmerksamkeit auf sich, indem sie sich von ihrem Platze erhob. Sie hatte offenbar einen Blick vom Grafen erhalten, der ihr Befehl ertheilte, das Zimmer zu verlassen.

»Sie brauchen nicht zu gehen,« sagte Sir Percival.

Die Gräfin sah sich abermals nach Befehl von ihrem Gemahl um, erhielt ihn, sagte, sie ziehe es vor, uns unserem Geschäfte zu überlassen, und ging entschlossen hinaus. Der Graf zündete sich eine Cigarrette an, kehrte zu den Blumen am Fenster zurück und blies in einem Zustande tiefster Aufmerksamkeit, dem Tode der Insecten gewidmet, kleine Rauchwolken auf die Blätter.

Unterdessen öffnete Sir Percival eine Schublade unter einem der Bücherschränke und nahm aus derselben ein Document, das viele Male der Länge nach zusammengefaltet lag. Er legte es auf den Tisch, öffnete blos die letzte Falte und legte seine Hand auf das Uebrige. Aus dieser letzten Falte sah man ein Stück unbeschriebenen Papieres, auf das an gewissen Stellen Oblaten geklebt waren. Jede Zeile der Schrift war in dem Theile verborgen, den er mit der Hand bedeckt hielt. Laura und ich schauten einander an. Ihr Gesicht war bleich, doch zeigte es weder Unentschlossenheit noch Furcht.

Sir Percival tauchte eine Feder ins Tintenfaß und reichte sie seiner Frau·

»Schreibe Deinen Namen hierher,« sagte er, auf eine Stelle deutend. »Sie und Fosco werden hernach Ihre Namen hier diesen Oblaten gegenüber niederzuschreiben haben, Miß Halcombe. Komm’ her, Fosco! Man giebt nicht einen Zeugen bei einer Unterschrift ab, indem man aus dein Fenster gafft und Rauch auf die Blumen bläst.«