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Die Frau in Weiss

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IV

Da ich mit einem Frühzuge reiste, kam ich zur Essenszeit in Limmeridge an. Die Leere des Hauses war drückend und trübe. Ich hatte erwartet, daß in Abwesenheit der jungen Damen die gute Mrs. Vesey wenigstens mir Gesellschaft geleistet hätte; aber eine Erkältung fesselte sie an ihr Zimmer. Die Diener waren so erstaunt über meine Ankunft, daß sie in lächerlicher Eile und Aufregung umherwirthschafteten und allerlei ärgerliche Versehen machten. Sogar der Kellermeister, der doch alt genug war, um es besser zu wissen, brachte mir eine Flasche Portwein, die eiskalt war. Die Berichte über Mr. Fairlie’s Befinden waren dieselben wie gewöhnlich, und als ich ihn von meiner Ankunft benachrichtigen ließ, kündigte man mir an, daß er sich freuen werde, mich am folgenden Morgen zu sehen, daß aber die unerwartete Nachricht meiner Ankunft ihn für den Rest des Abends mit Herzklopfen daniedergestreckt habe. Der Wind heulte die ganze Nacht ganz abscheulich, und in dem alten leeren Hause ließen sich allerlei seltsame krachende, stöhnende, Geräusche vernehmen. Ich schlief so schlecht wie möglich, und stand nächsten Morgens in der allerschlechtesten Laune auf, um mein Frühstück allein einzunehmen.

Um zehn Uhr wurde ich zu Mr. Fairlie geführt Er war in seinem gewöhnlichen Zimmer, in seinem gewöhnlichen Lehnstuhle und in seinem gewöhnlichen unerträglichen Körper- und Geisteszustande. Als ich eintrat, stand sein Kammerdiener vor ihm und hielt ihm einen schweren Band von Federzeichnungen zur Besichtigung vor, der so groß und breit war, wie das Pult in meinem Bureau. Der jämmerliche Ausländer grinste auf das Unterwürfigste und war nahe daran, vor Ermüdung umzufallen, während sein Herr ganz gelassen die Blätter umschlug und ihre verborgenen Schönheiten mit Hülfe eines Vergrößerungsglases ans Licht brachte.

»Sie allerbester der besten alten Freunde,« sagte Mr. Fairlie, sich träge zurücklehnend, ehe er mich ansehen konnte, »sind Sie ganz wohl? Wie hübsch von Ihnen, herzukommen und mich in meiner Einsamkeit zu besuchen. Sie lieber Gilmore!«

Ich hatte erwartet, daß er den Kammerdiener nach meinem Erscheinen entlassen werde; aber er dachte nicht daran. Da stand er gerade vor seines Herrn Sessel und zitternd unter dem Gewichte der schweren Zeichnungen; und da saß Mr. Fairlie und drehte voll Seelenruhe das Vergrößerungsglas zwischen einem weißen Daumen und Zeigefinger hin und her.

»Ich bin gekommen, um über eine sehr wichtige Angelegenheit mit Ihnen zu sprechen,« sagte ich, »und Sie werden daher verzeihen, wenn ich vorschlage, daß wir dazu lieber allein sind.«

Der bejammernswürdige Kammerdiener blickte mich dankbar an. Mr. Fairlie wiederholte mit schwacher Stimme meine letzten drei Worte »lieber allein sind« mit allen Anzeichen des unbeschreiblichsten Erstaunens.

Ich war nicht in der Laune für Narrheiten und beschloß daher, ihm begreiflich zu machen, was ich meine.

»Erzeigen Sie mir den Gefallen, diesem Manne da Erlaubniß zu geben, sich zurückzuziehen,« sagte ich, auf den Kammerdiener deutend.

Mr. Fairlie zog in sarkastischem Erstaunen seine Augenbrauen in die Höhe und spitzte verächtlich den Mund.

»Mann!« wiederholte er, »Sie widerwärtigster aller Gilmore, was in aller Welt können Sie damit sagen wollen, daß Sie ihn einen Mann nennen? Er ist nichts dergleichen. Er mag möglicherweise vor einer halben Stunde, ehe ich meine Federzeichnungen gebrauchte, ein Mann gewesen sein und in einer halben Stunde später, wenn ich mit ihm fertig bin, wieder ein Mann werden; aber augenblicklich ist er nichts als ein Mappenhalter. Was können Sie gegen einen Mappenhalter haben, Gilmore?«

»Ich habe allerdings Etwas dagegen und bitte Sie zum dritten Male, Mr. Fairlie, uns allein sein zu lassen.«

Mein Ton und Benehmen ließen ihm keine andere Wahl als meinen Wunsch zu erfüllen. Er sah den Diener an und, indem er verdrießlich auf einen Sessel an seiner Seite deutete:

»Lege die Zeichnungen nieder und geh’ hinaus,« sagte er, »und ärgere mich nicht, indem Du die Stelle verlierst. Hast Du die Stelle verloren oder nicht? Weißt Du ganz gewiß, daß Du sie nicht verloren hast? Und hast Du meine Handglocke so hingestellt, daß ich sie erreichen kann? Ja? Warum zum Teufel gehst Du da nicht?«

Der Kammerdiener ging hinaus Mr. Fairlie drehte sich auf seinem Sessel herum, polirte das Vergrößerungsglas mit seinem zarten Battisttaschentuche und gönnte sich einen Seitenblick auf die offene Mappe von Federzeichnungen. Es war unter diesen Umständen schwer, nicht die Geduld zu verlieren, aber ich verlor sie nicht.

»Ich bin mit großer persönlichen Unbequemlichkeit hergekommen,« sagte ich, »um den Interessen Ihrer Nichte und Ihrer Familie zu dienen, und denke, daß ich mir einigermaßen das Recht erworben, dafür mit Ihrer Aufmerksamkeit beehrt zu werden.«

»Zanken Sie mich nicht aus!« sagte Mr. Fairlie, indem er hülflos in seinen Sessel zurücksank und die Augen schloß. »Bitte, zanken Sie mich nicht aus. Ich bin wirklich nicht stark genug, um es zu ertragen.«

Ich war, um Laura Fairlie’s willen, entschlossen, mich nicht von ihm aufreizen zu lassen.

»Der Zweck meines Besuches,« fuhr ich fort, »ist, Sie ernstlich zu bitten, Ihren Brief wieder zu erwägen und mich nicht zu zwingen, die gerechten Ansprüche Ihrer Nichte und Aller, die zu ihr gehören, aufzugeben. Lassen Sie mich Ihnen die Sache noch einmal und zum letzten Male auseinander setzen.«

Mr. Fairlie schüttelte den Kopf und seufzte jämmerlich.

»Dies ist herzlos von Ihnen, Gilmore – furchtbar herzlos,« sagte er, »einerlei, fahren Sie fort.«

Ich setzte ihm die Sache in allen ihren Punkten und in jedem erdenklichen Lichte auseinander. Während der ganzen Zeit, daß ich sprach, lehnte er sich mit geschlossenen Augen in seinem Sessel zurück. Als ich zu Ende war, öffnete er träge die Augen, nahm sein silbernes Riechfläschchen vom Tische und roch daran mit einer Miene sanften Behagens.

»Sie guter Gilmore,« sagte er in den Pausen zwischen dem Riechen, »wie allerliebst dies von Ihnen ist! Wie Sie Einen mit der Menschheit aussöhnen!«

»Geben Sie mir eine deutliche Antwort auf eine deutliche Frage, Mr. Fairlie. Ich wiederhole es Ihnen, Sir Percival Glyde hat nicht den Schatten eines Rechtes, mehr als die Zinsen des Geldes zu erwarten. Das Geld selbst sollte, falls ihre Nichte keine Kinder hat, unter ihrer Controle sein, und in ihre Familie zurückkehren. Falls Sie fest sind, muß Sir Percival nachgeben – er muß nachgeben, sage ich Ihnen, oder sich der verächtlichen Beschuldigung aussetzen, daß er Miß Fairlie ausschließlich um ihres Geldes willen heirathet.«

Mr. Fairlie drohte mir scherzhaft mit seinem Riechfläschchen.

»Sie lieber alter Gilmore, wie Sie doch Rang und Adel hassen, nicht wahr? Wie Sie den armen Glyde verabscheuen, blos weil er Baronet ist! Was Sie für ein Radikaler sind – o mein Gott, was Sie für ein Radikaler sind!«

Ein Radikaler!!! Ich ließ mir viel gefallen, aber, nachdem ich mein Lebelang ein unerschütterlicher Conservativer gewesen, konnte ich mich nicht einen Radikalen nennen lassen. Mein Blut kochte – ich sprang von meinem Stuhle in die Höhe – ich war sprachlos vor Entrüstung.

»Erschüttern Sie das Zimmer nicht so!« schrie Mr. Fairlie – »um Gottes willen, erschüttern Sie das Zimmer nicht so! Edelster aller Gilmore, ich beabsichtigte keine Beleidigung damit. Meine eignen Ansichten sind so außerordentlich liberal, daß ich glaube, ich bin selbst ein Radikaler. Ja. Wir sind ein Paar Radikale. Bitte, seien Sie nicht böse. Ich kann mich nicht streiten – ich habe nicht Stamina genug dazu. Wollen wir den Gegenstand fallen lassen? Ja. Kommen Sie, und sehen Sie sich diese reizenden Federzeichnungen an. Bitte, lassen Sie mich Sie lehren, das himmlisch Perlenartige dieser Linien zu begreifen. Bitte, Sie lieber guter Gilmore!«

Während er auf diese Weise fortfaselte; faßte ich mich glücklicherweise für meine Selbstachtung wieder. Als ich wieder sprach, war ich ruhig genug, um seine Impertinenz mit der schweigenden Verachtung zu behandeln, welche ihr gebührte.

»Sie sind völlig im Irrthum,« sagte ich, »wenn Sie denken, daß es irgend ein Vorurtheil gegen Sir Percival Glyde ist, das mich so sprechen läßt. Ich bedaure wohl, daß er sich in dieser Angelegenheit so rückhaltslos den Händen seines Advokaten übergeben, daß es uns unmöglich ist, an ihn selbst zu appelliren; aber ich bin auf keine Weise gegen ihn eingenommen. Was ich gesagt habe, würde auf jeden Mann, ob hoch oder niedrig, in seiner Lage anzuwenden sein. Der Grundsatz, den ich zu behaupten wünsche, wird als ein solcher von allen Rechtsgelehrten anerkannt. Falls Sie sich in der nächsten Stadt hier an den ersten besten respectabeln Praktikanten wendeten, so würde er Ihnen, als Fremder, gerade dasselbe sagen, was ich Ihnen als Freund gesagt habe. Er würde Ihnen sagen, daß es gegen jede Regel ist, das Geld der Dame gänzlich dem Manne zu überlassen, der sie heirathet. Er würde, nach ganz gewöhnlicher juristischer Vorsicht, sich weigern, dem Manne ein Interesse von zwanzigtausend Pfund an dem Tode seiner Frau zu geben!«

»Wirklich, Gilmore?« sagte Mr. Fairlie. »Wenn er etwas nur halb so Abscheuliches sagte, so versichere ich Sie, daß ich Louis klingeln und ihn augenblicklich aus dem Hause werfen lassen würde.«

»Sie sollen mich nicht aufreizen, Mr. Fairlie – um Ihrer Nichte und um ihres Vaters willen sollen Sie mich nicht aufreizen. Sie sollen die ganze Verantwortlichkeit dieses schimpflichen Handels auf ihre eigenen Schultern laden, ehe ich dies Zimmer verlasse.«

»Bitte, nein! – o bitte, nein!« sagte Mr. Fairlie. »Bedenken Sie, wie kostbar Ihre Zeit ist, Gilmore, und werfen Sie sie nicht fort. Ich wollte wohl mit Ihnen disputiren, wenn ich es könnte, aber ich kann’s nicht, ich habe nicht das Stamina dazu. Sie wollen mich ärgern; sich selbst ärgern, Glyde ärgern und Laura ärgern, und – mein Gott! das Alles um das allerunwahrscheinlichste Ereigniß von der Welt. Nein, lieber Freund – um der Sache des Friedens und der Ruhe willen, entschieden Nein!«

 

»Ich soll also darunter verstehen, daß Sie bei dem Entschlusse bleiben, den Sie in Ihrem Briefe aussprechen?«

»Ja, bitte. Freut mich so sehr, daß wir einander endlich verstehen. Setzen Sie sich wieder – bitte!«

Ich ging sofort zur Thüre, und Mr. Fairlie klingelte voll Ergebung mit seinem Handglöckchen. Ehe ich das Zimmer verließ, wandte ich mich um und redete ihn zum letzten Male an.

»Was sich auch immer in Zukunft ereignen möge, Sir,« sagte ich, »erinnern Sie sich wohl, daß ich meine Pflicht gethan, indem ich Sie gewarnt habe. Als treuer Freund und Diener Ihrer Familie sage ich Ihnen zum Abschiede, daß, wenn ich eine Tochter hätte, sie sich nimmer mit einem Manne, wer er auch sei, unter solchen Bedingungen verheirathen sollte«, wie Sie mich für Ihre Nichte zu machen zwingen.«

Die Thüre öffnete sich hinter mir, und der Kammerdiener stand auf der Schwelle und wartete.

»Louis,« sagte Mr. Fairlie, »lasse Mr. Gilmore hinaus und komme dann wieder und halte mir die Mappe vor. »Lassen Sie sich unten ein gutes Frühstück geben, Gilmore – bitte, lassen Sie sich von meinen faulen Eseln von Bedienten ein gutes Frühstück geben.«

Ich war zu entrüstet, um noch Etwas zu entgegnen, und ging daher schweigend hinaus. Es ging Nachmittags um zwei Uhr ein Zug nach London, und mit diesem Zuge kehrte ich zurück.

Am Dienstage sandte ich den veränderten Contract ein, welcher in Wirklichkeit gerade diejenigen Personen enterbte, welche Miß Fairlie mir mit eigenen Lippen als die von ihr gewünschten Erben bezeichnet hatte. Aber ich hatte keine Wahl. Hätte ich mich geweigert, den Contract aufzusetzen, so hätte ein anderer Advocat es gethan.

Meine Aufgabe ist zu Ende. Mein persönlicher Antheil an den Ereignissen in dieser Familiengeschichte erstreckt sich nicht weiter, als bis zu dem Punkte, den ich jetzt erreicht habe. Andere Federn als die meinige werden die seltsamen Umstände beschreiben, welche in Kurzem folgten. Ich schließe diesen kurzen Bericht mit schwerem, kummervollem Herzen. Und mit schwerem, kummervollem Herzen wiederhole ich hier meine Abschiedsworte in Limmeridge House: wenn ich eine Tochter hätte, so sollte sie sich nimmer mit einem Manne, wer er auch sei, unter solchen Bedingungen verheirathen, wie ich für Laura Fairlie zu machen gezwungen war.

Miß Halcombe’s Aussage

Aus ihrem Tagebuche.1
Limmeridge House, den 7. November

Heute Morgen hat Mr. Gilmore uns verlassen. Seine Unterredung mit Laura hatte ihn offenbar mehr betrübt und erstaunt, als ihm zu bekennen lieb war. Ich fürchtete nach seinem Aussehen und Benehmen beim Abschiede, daß sie ihm unachtsamerweise das wahre Geheimniß ihrer Niedergeschlagenheit und meiner Besorgniß für sie verrathen habe. Dieser Zweifel wuchs in dem Grade in mir, daß ich es ausschlug, mit Sir Percival auszureiten, und statt dessen zu Laura auf ihr Zimmer ging.

Nachdem ich entdeckt, wie wenig ich die Stärke von Laura’s unglücklicher Neigung gekannt hatte, war ich in dieser schwierigen Sache sehr mißtrauisch gegen mich selbst geworden. Ich hätte wissen sollen, daß das Zartgefühl, Ehrgefühl und die Selbstverleugnung, durch welche mir der arme Hartright so werth wurde und die mich ihn so aufrichtig achten und bewundern ließen, gerade die Eigenschaften waren, die den unwiderstehlichsten Eindruck auf Laura’s fühlendes Gemüth und edle natürliche Großmuth machen mußten. Und doch ahnte ich nicht, daß dieses neue Gefühl so tief in ihrem Herzen Wurzel geschlagen habe, bis sie von selbst ihr Herz gegen mich öffnete. Ich glaubte erst, daß Zeit und Sorge es verwischen werde. Jetzt aber fürchte ich, daß es in ihr leben und sie auf immer verändern wird. Die Entdeckung, daß ich einen solchen Fehler in meinem Urtheile gemacht, macht mich in allem Andern zaghaft. Ich bin angesichts der klarsten Beweise zaghaft in Bezug auf Sir Percival. Ich bin sogar zaghaft, mit Laura zu sprechen. Diesen Morgen noch war ich, als ich schon die Hand auf der Thürklinke hatte, zweifelhaft, ob ich die Fragen, die ich an sie zu richten gekommen war, thun solle oder nicht.

Als ich in ihr Zimmer trat, ging sie in großer Ungeduld auf und ab. Sie sah erhitzt und aufgeregt aus und kam mir sogleich entgegen und sprach, ehe ich noch die Lippen öffnen konnte.

»Ich habe gewünscht, daß Du kämest,« sagte sie. »Komm, und setze Dich zu mir aufs Sopha. Marianne! ich kann dies nicht länger ertragen – ich muß und will es enden.«

Es war zu viel Farbe in ihren Wangen, zu viel Energie in ihrem Benehmen, zu viel Festigkeit in ihrer Stimme. Das kleine Heft mit Hartright’s Zeichnungen, das unglückselige Heft, über dem sie träumt, wenn sie allein ist – war in ihrer Hand. Ich nahm es sanft, aber fest von ihr und legte es auf einen Seitentisch, wo sie es nicht sah.

»Sage mir ruhig, was Du zu thun wünschest, mein Herz,« sagte ich. »Hat Mr. Gilmore Dir Rath ertheilt?«

Sie schüttelte das Haupt. »Nein, nicht über das, woran ich jetzt denke. Er war sehr freundlich und gut gegen mich, Marianne – und ich schäme mich, sagen zu müssen, daß ich ihn durch Thränen betrübte. Ich bin so hülflos; ich kann mich nicht beherrschen. Um meiner selbst willen und um unser Aller willen, muß ich Muth genug haben, es zu enden.«

»Meinst Du, Muth genug, um Deine Freilassung zu fordern?« fragte ich.

»Nein,« sagte sie einfach, »Muth, Liebe, um die Wahrheit zu sagen.«

Sie schlang ihre Arme um meinen Nacken und legte ihr Haupt ruhig auf meine Brust. An der gegenüberliegenden Wand hing das Miniaturgemälde ihres Vaters. Ich beugte mich über sie herab und sah, daß sie es anschaute, während ihr Kopf an meiner Brust ruhte.

»Ich kann niemals meine Freilassung fordern,« fuhr sie fort. »Wie es auch immer enden mag, für mich muß es traurig enden. Alles, was ich thun kann, Marianne, ist, mein Elend nicht noch durch das Bewußtsein, mein Versprechen gebrochen und meines sterbenden Vaters letzte Worte vergessen zu haben, zu vergrößern.«

»Was beabsichtigst Du da zu thun?« fragte ich.

»Sir Percival mit meinen eigenen Lippen von der Wahrheit zu unterrichten,« entgegnete sie, »und ihn mich freigeben lassen, wenn er will, nicht, weil ich ihn darum bitte, sondern weil er Alles weiß.«

»Was willst Du mit ›Alles‹ sagen, Laura? Sir Percival wird genug wissen (das hat er mir selbst gesagt), wenn er weiß, daß die Verbindung gegen Deine Wünsche ist.«

»Kann ich ihm das sagen, wenn mein Vater sie mit meiner Zustimmung einging? Ich hätte mein Versprechen gehalten, nicht sehr froh, wie ich fürchte, aber doch zufrieden« – sie schwieg, wandte ihr Gesicht mir zu und legte ihre Wange wieder fest an die meinige, »ich hätte mein Versprechen gehalten, Marianne, wenn in meinem Herzen nicht eine andere Liebe aufgewachsen wäre, die nicht da war, als ich versprach, Sir Percival zu heirathen.«

»Laura! Du wirst Dich doch nicht so erniedrigen, ihm ein Bekenntniß zu machen?«

»Ich würde mich in der That erniedrigen, wenn ich meine Freiheit von ihm erhielte, indem ich ihm das vorenthalte, was er ein Recht zu wissen hat.«

»Er hat nicht den Schatten eines Rechtes darauf, es zu wissen!«

»Falsch, Marianne, falsch! Ich sollte Niemanden täuschen – am allerwenigsten aber den Mann, dem mich mein Vater, dem ich selbst mich gab.« Sie küßte mich. »Meine herzige Schwester,« sagte sie leise, »Du hast mich so viel zu lieb, bist so viel zu stolz für mich, daß Du in meinem Falle vergissest, was Du in dem Deinigen wohl bedenken würdest. Lieber soll Sir Percival meine Beweggründe bezweifeln und mein Betragen mißdeuten, wenn er will, als daß ich erst in Gedanken falsch gegen ihn wäre und dann kleinlich genug, meinen eigenen Interessen zu dienen, indem ich meine Falschheit versteckte.«

Ich hielt sie voll Erstaunen von mir ab. Zum ersten Male in unserm Leben hatten wir die Rollen gewechselt; alle Entschlossenheit war auf ihrer Seite, alle Zaghaftigkeit auf der meinigen. Ich schaute in das blasse, ruhige, ergebene junge Gesicht; ich sah das reine, unschuldige Herz in den zärtlichen Augen, die in die meinigen blickten – und die armseligen, weltlichen Warnungen und Einwürfe, die zu meinen Lippen stiegen, schwanden und erstarben in ihrer eigenen Nichtigkeit. Ich senkte schweigend den Kopf. An ihrer Stelle wäre der verächtliche, kleinliche Stolz, der so viele Frauen falsch macht, mein Stolz gewesen, und hätte auch mich falsch gemacht.

»Sei nicht böse mit mir, Marianne,« sagte sie, mein Schweigen mißdeutend.

Ich konnte nur antworten, indem ich sie fester an mich drückte. Ich fürchtete zu weinen, wenn ich spräche. Meine Thränen fließen nicht so leicht, wie sie wohl sollten, sie kommen fast wie Männerthränen, mit einem Schluchzen, das mir die Brust zu zerreißen scheint und Alle, die um mich sind, erschreckt.

»Ich habe schon seit mehreren Tagen daran gedacht, Liebe,« fuhr sie fort, während sie mein Haar mit jener kindischen Unruhe um ihre Finger wand, welche die gute Mrs. Vesey noch immer so geduldige und so vergebene Versuche machte, ihr abzugewöhnen – »ich habe sehr ernstlich daran gedacht, und ich kann mich auf meinen Muth verlassen, wenn mein Gewissen mir sagt, daß ich recht thue. Laß mich morgen zu ihm sprechen, in Deiner Gegenwart, Marianne. Ich will Nichts sagen, das nicht recht wäre, Nichts, dessen Du oder ich uns zu schämen brauchten – aber, o, es wird mir das Herz so sehr erleichtern, dieser erbärmlichen Verheimlichung ein Ende zu machen! Laß mich nur wissen und fühlen, daß ich keinen Betrug zu verantworten habe; und dann, wenn er gehört, was ich zu sagen habe,  laß ihn in Bezug auf mich thun, was er will.« Sie seufzte und legte ihren Kopf wieder an seine alte Stelle an meiner Brust. In meinem Herzen erhoben sich trübe Ahnungen über das Ende von dem Allem; aber, da ich mir noch immer mißtraute, sagte ich ihr, ich wolle thun, was sie wünsche. Sie dankte mir, und wir sprachen dann allmälig von andern Dingen.

Sie kam heute zu Tische hinunter und war unbefangener und mehr dieselbe gegen Sir Percival, als ich sie noch gesehen habe. Nach Tische setzte sie sich ans Clavier, wählte aber von der neuen künstlichen, unmelodischen, brillanten Musik. Die lieblichen alten Melodien, die der arme Hartright so gern hörte, hat sie, seitdem er fort ist, noch nicht wieder gespielt. Das Heft liegt nicht mehr auf dem Notentischchen; sie selbst trug es fort, damit Niemand es finde und sie etwa bitte, daraus zu spielen.

Ich hatte keine Gelegenheit zu erfahren, ob ihre mir morgens mitgetheilte Absicht unverändert sei, bis sie Sir Percival gute Nacht wünschte; da aber gab sie es ausdrücklich« kund. Sie sagte sehr gefaßt, daß sie nach dem Frühstück mit ihm zu sprechen wünsche, und er sie dann mit mir in ihrem Wohnzimmer finden werde. Er wechselte die Farbe bei diesen Worten, und als ich an die Reihe kam, ihm gute Nacht zu wünschen, fühlte ich seine Hand leicht erzittern. Der folgende Morgen sollte über seine Zukunft entscheiden, und dies war ihm offenbar nicht unbekannt.

Ich ging, wie gewöhnlich, durch die Thür, welche unsere beiden Schlafzimmer trennte, hinein, um Laura, ehe sie einschliefe, gute Nacht zu wünschen. Als ich mich auf sie herabbeugte, um sie zu küssen, sah ich Hartright’s kleines Zeichenbuch halb unter dem Kissen verborgen, gerade an der Stelle, wo sie als Kind ihr liebstes Spielzeug zu verstecken pflegte. Ich konnte es nicht übers Herz bringen. Etwas darüber zu sagen;·aber ich deutete auf das Heft und schüttelte den Kopf. Sie schlang beide Hände um meinen Nacken und zog mein Gesicht zu sich herab, bis unsere Lippen sich begegneten.

»Laß es diese Nacht noch da,« flüsterte sie; »morgen mag ein grausamer Tag sein und mich zwingen, ihm auf immer Lebewohl zu sagen.«

Den 8. November.

Das erste Ereigniß des Morgens war nicht von einer Beschaffenheit, mich froh zu stimmen; es kam ein Brief für mich von dem armen Walter Hartright. Es ist die Antwort auf den meinigen, in welchem ich ihm schrieb, auf welche Weise Sir Percival Glyde den Argwohn beseitigte, den Anna Catherick’s Brief auf ihn geworfen. Er schreibt kurz und bitter über Sir Percival’s Erklärungen, indem er blos sagt, daß er nicht das Recht hat, eine Meinung über Diejenigen abzugeben, welche höher stehen als er. Dies ist traurig Aber seine gelegentlichen Bemerkungen über sich selbst betrüben mich noch mehr. Er sagt, daß die Anstrengung, seine alten Gewohnheiten und Beschäftigungen wieder aufzunehmen, ihm täglich, anstatt leichter zu werden, schwerer wird; und bittet mich dringend, falls ich irgendwie Einfluß habe, denselben dazu zu verwenden, daß ich ihm eine Anstellung verschaffe, die es nothwendig für ihn mache, England zu verlassen und unter ganz neuen Verhältnissen und Leuten zu leben. Ich werde diese Bitte um so bereitwilliger erfüllen, als mich eine Stelle am Schlusse seines Briefes fast beunruhigt hat.

 

Nachdem er gesagt, daß er von Anna Catherick weder Etwas gehört noch gesehen hat, bricht er plötzlich ab und spielt auf die unerwartetste, geheimnißvollste Weise darauf an, daß, seit er nach London zurückgekehrt ist, fremde Männer ihn fortwährend verfolgen und ihm aufpassen. Er bekennt, daß er für diesen sonderbaren Verdacht keine Beweise beibringen kann indem er bestimmte Personen bezeichnet; aber er erklärt, daß der Verdacht selbst ihn Tag und Nacht begleitet. Dies hat mich erschreckt, weil es fast aussieht, als ob seine fixe Idee in Bezug auf Laura seine Geisteskräfte wanken machte. Ich will sogleich nach London an einige von den einflußreichen ehemaligen Bekannten meiner Mutter schreiben und ihre Aufmerksamkeit für sein Ersuchen in Anspruch nehmen. Abwesenheit und neue Beschäftigung kann zu dieser Krisis seines Lebens wirklich seine Rettung sein.

Zu meiner großen Erleichterung ließ Sir Percival sich beim Frühstück entschuldigen. Er hatte schon bei Zeiten eine Tasse Kaffee auf seinem Zimmer getrunken und war dort noch mit Briefen beschäftigt. Um elf Uhr, falls diese Stunde uns bequem sei, werde er die Ehre haben, Miß Fairlie und Miß Halcombe seine Aufwartung zu machen.

Meine Augen ruhten auf Laura’s Gesicht, während diese Botschaft abgegeben wurde. Ich hatte sie unbegreiflich ruhig und gefaßt gefunden, als ich früh in ihr Zimmer kam und während des ganzen Frühstücks blieb sie dieselbe. Selbst, als wir auf dem Sopha in ihrer Stube saßen und auf Sir Percival warteten, blieb ihre Selbstbeherrschung unerschüttert.

»Sorge Du nicht um mich, Marianne,« war Alles, was sie sagte; »ich mag mich wohl einem alten Freunde, wie Mr. Gilmore, oder einer lieben Schwester, wie Du, gegenüber vergessen, aber Sir Percival Glyde gegenüber soll dies nicht geschehen.«

Ich sah und hörte sie mit schweigendem Erstaunen an. Während der langen Jahre unseres vertrauten Umganges war diese duldende Kraft ihres Charakters unentdeckt geblieben – selbst mir unbekannt geblieben, bis die Liebe sie fand – und das Leiden sie zur Thätigkeit rief.

Als die Wanduhr auf dem Kaminsims Elf schlug, klopfte Sir Percival an die Thür und trat herein. Unterdrückte Besorgniß und Aufregung drückte sich in allen seinen Zügen aus. Der trockne, schneidende Husten, der ihn gewöhnlich belästigt, schien ihn mehr denn je zu quälen. Er nahm uns gegenüber am Tische Platz, und Laura blieb neben mir sitzen. Ich betrachtete Beide aufmerksam und sah, daß er von Beiden am bleichsten war.

Er sagte ein paar unwesentliche Worte, in dem sichtbaren Bestreben, seine gewohnte Unbefangenheit zu bewahren. Aber seine Stimme war unsicher und die unstäte Besorgniß in seinen Augen nicht zu verbergen. Er mußte dies selbst fühlen, denn er hielt mitten in einem Satze inne, und gab den Versuch, seine Verwirrung zu verbergen auf.

Es trat ein einziger Augenblick der Todtenstille ein, den Laura endete.

»Ich wünsche über einen Gegenstand mit Ihnen zu sprechen, Sir Percival, der für uns Beide von der größten Wichtigkeit ist. Meine Schwester ist anwesend, weil ihre Gegenwart mir hilft und Muth macht. Aber übrigens hat sie mir mit keinem Worte in dem, was ich Ihnen zu sagen habe, Rath ertheilt: ich spreche meine eignen Gedanken aus, nicht die ihrigen. Ich bin überzeugt, daß Sie die Güte haben werden, dies wohl zu verstehen, ehe ich fortfahre?«

Sir Percival verbeugte sich. Sie hatte soweit mit vollkommener äußerer Ruhe und Fassung gesprochen. Sie blickte ihn an und er sie. Sie schienen zu Anfang wenigstens entschlossen, einander genau zu verstehen.

»Ich höre von Marianne,« fuhr sie fort, »daß ich nur meine Freiheit von Ihnen fordern darf, um sie zu erlangen. Es war nachsichtig und großmüthig von Ihnen, Sir Percival, mir das sagen zu lassen. Es ist nicht mehr, als gerecht gegen Sie, Ihnen meine Dankbarkeit für das Anerbieten auszudrücken; und ich hoffe und glaube, daß es nicht mehr als gerecht gegen mich ist, zu sagen, daß ich dasselbe nicht annehme.«

Sein gespannt aufmerksames Gesicht nahm einen Ausdruck der Erleichterung an, und er schien freier zu athmen. Aber ich sah, wie er leise und unaufhörlich mit einem Fuße auf den Teppich klopfte, und ich fühlte, daß er im Geheimen noch immer von derselben Besorgniß erfüllt war.

»Ich habe nicht vergessen, daß Sie sich der Erlaubniß meines Vaters versicherten, ehe Sie mich mit Ihrem Antrage beehrten. Vielleicht haben auch Sie nicht vergessen, was ich sagte, indem ich meine Einwilligung gab? Ich wagte, Ihnen zu sagen, daß hauptsächlich meines Vaters Einfluß und Rath mich bestimmt hatten, Ihnen mein Versprechen zu geben. Ich ließ mich von meinem Vater leiten, weil ich in ihm immer den treuesten aller Rathgeber, den besten und zärtlichsten Beschützer und Freund gefunden hatte. Ich habe ihn verloren und kann nur noch sein Andenken lieben; aber mein Vertrauen zu dem lieben todten Freunde hat noch nie gewankt. Ich glaube noch in diesem Augenblicke so fest, wie je vorher, daß er wußte, was am besten für mich sei, und daß seine Hoffnungen und Wünsche auch die meinigen sein sollten.«

Ihre Stimme bebte zum ersten Male, Ihre unruhigen Finger stahlen sich in meinen Schooß und klammerten sich in eine meiner Hände. Es trat eine augenblickliche Pause ein und dann sprach Sir Percival.

»Darf ich fragen,« sagte er, ob ich mich jemals des Vertrauens unwürdig bewiesen, dessen Besitz ich mir bisher zur größten Ehre und zum größten Glücke angerechnet habe?«

»Ich habe in Ihrem Betragen nichts entdeckt, das ich tadeln könnte;« entgegnete sie. »Sie sind mir immer mit gleichem Zartgefühl und gleicher Nachsicht begegnet. Sie haben mein Vertrauen verdient, und, was bei mir von weit größerer Wichtigkeit ist, Sie haben meines Vaters Vertrauen, aus welchem das meinige entstand, verdient. Sie haben mir keine Ursache gegeben, selbst wenn ich einer solchen bedurfte, um meine Freilassung fordern zu dürfen. Was ich bis jetzt gesagt, habe ich in dem Wunsche gesprochen, meine ganze Verpflichtung Ihnen gegenüber anzuerkennen. Meine Achtung für diese Verpflichtung, für meines Vaters Andenken und für mein eignes Versprechen verbietet mir, meinerseits das Beispiel zu geben, von unserm jetzigen Verhältnisse zu einander zurückzutreten. Die Auflösung desselben muß einzig und allein Ihr Wunsch, Ihr Thun sein, Sir Percival – nicht das meinige.«

Sein Fuß hielt plötzlich mit dem unruhigen Klopfen inne, und er lehnte sich begierig über den Tisch hinüber.

»Mein Thun?« sagte er. »Welchen Grund könnte ich möglicherweise haben, um mich zurückzuziehen?«

Ich hörte ihren Athem schneller gehen und fühlte ihre Hand kalt werden. Ungeachtet dessen, was sie zu mir gesagt hatte, als wir allein waren, begann ich für sie zu fürchten. Aber ich hatte unrecht.

»Einen Grund, Sir Percival, den Ihnen zu sagen mir sehr schwer fällt,« entgegnete sie. »Es hat eine Veränderung in mir stattgefunden, eine Veränderung, die von hinreichender Bedeutung ist, um Sie sich selbst und mir gegenüber zu rechtfertigen, indem Sie das bestehende Verhältniß auflösen.«

Er erbleichte wieder bis zu den Lippen. Er erhob den Arm, welcher auf dem Tische lag, wandte sich auf seinem Sessel ein wenig um und stützte den Kopf auf die Hand, so daß wir nur sein Profil noch sehen konnten.

»Was für eine Veränderung?« fragte er.

Sie seufzte tief und beugte sich etwas zu mir herüber, so daß ihre Schulter an der meinigen ruhte. Ich fühlte, wie sie zitterte, und suchte sie zu schonen, indem ich selbst das Wort nähme. Sie verhinderte mich aber durch einen warnenden Druck der Hand und wandte sich dann wieder zu Sir Percival; doch diesmal ohne ihn anzusehen.

1Die Stellen, welche hier und anderswo in Miß Halcombe’s Tagebuche ausgelassen worden, sind nur solche, die auf keine Weise Miß Fairlie oder irgend eine andere Person, mit denen sie in dieser Erzählung in Berührung kommt, betreffen.