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Nr. 6. Herr Lionel Varleigh von Boston in den Vereinigten Staaten von Nordamerika bezeugt und sagt aus:

Mein erster Schritt nach meiner Genesung war der, zu den Verwandten des Hauptmanns Stanwick in London zu gehen, um bei ihnen Erkundigungen über ihn einzuziehen. Ich will mich nicht auf Kosten dieses unglücklichen Mannes rechtfertigen. Es ist wahr, ich liebe Fräulein Laroche zu sehr, um sie, außer, wenn sie es selbst wünschte, einem anderen zu überlassen. Es ist ferner wahr, dass Hauptmann Stanwick mich mehr als einmal gröblich beschimpfte und ich dies ruhig hinnahm. Er hatte schwer an einem Sonnenstich gelitten, der ihn in Indien befiel, und in Augenblicken der Erregung konnte er kaum für seine Handlungen verantwortlich gemacht werden. Erst als mir ein tätlicher Angriff von seiner Seite drohte, ging mir die Geduld aus. Wir griffen zum Degen. Ich war fest entschlossen, sein Leben zu schonen; er aber hatte zweifellos die Absicht, mich zu töten. Ich habe ihm vergeben und will darüber nichts weiter sagen.



Seine Verwandten teilten mir mit, dass bei ihm nach dem Duelle die Symptome des Wahnsinns zu Tage getreten seien, dass er bisher in einer Irrenanstalt verwahrt worden, aber aus ihr entwichen sei, und dass es bisher nicht gelungen sei, seinen Aufenthalt zu ermitteln.



In dem Augenblicke, wo ich dies hörte, erfasste mich die Furcht, dass Stanwick wieder seinen Weg zu Fräulein Laroche gefunden haben könnte. Nach einer Stunde war ich auf dem Wege nach Nettlegrove Hall.



Ich kam dort spät abends an und fand Fräulein Laroches Tante in großer Unruhe um die Sicherheit ihrer Nichte. Die junge Dame war gerade in diesem Augenblicke im Park und im Gespräche mit Stanwick, und sie hatte nur einen älteren Herrn, den Pfarrer, zu ihrem Schutze bei sich.



Dies veranlasste mich, mich sogleich auf den Weg zu machen, um ihr auch meine Fürsorge angedeihen zu lassen. Ein Diener begleitete mich, um mir den Ort der Zusammenkunft zu zeigen. Wir hörten zwar undeutlich Stimmen, aber wir sahen niemand. Der Diener zeigte auf einen Pfad, der durch die Tannen führte. Ich selbst ging rasch vorwärts, während ich den Diener so weit zurückließ, dass ich ihn zu jeder Zeit herbeirufen konnte. In einigen Minuten bemerkte ich sie in geringer Entfernung an dem Ufer eines Baches. Die Furcht, Fräulein Laroche ernstlich zu erschrecken, wenn ich mich ihnen plötzlich zeigte, beraubte mich für einen Augenblick meiner Geistesgegenwart. Indem ich stehen bleibend überlegte, was zu tun sei, war ich durch die Bäume weniger verdeckt worden, als ich vermutet hatte. Fräulein Laroche hatte mich gesehen; ich hörte ihren Angstschrei. Einen Augenblick später sah ich Hauptmann Stanwick den Bach überspringen und die Flucht ergreifen. Dies brachte mich in Bewegung. Ohne mich aufzuhalten und ohne ein Wort der Erklärung zu sagen, verfolgte ich ihn. Unglücklicherweise glitt ich im Halbdunkel aus und fiel auf dem freien Raume jenseits des Baches zur Erde. Als ich wieder auf meinen Füßen stand, war Stanwick unter den Bäumen verschwunden, die die Grenze des Parkes vor mir bildeten. Ich konnte von ihm weder etwas sehen, noch hören, als ich auf die Landstraße hinausgekommen war. Ich traf dort einen Arbeiter, der mir den Weg nach dem Dorfe zeigte. Aus dem Wirtshause schrieb ich Fräulein Laroches Tante einen Brief, in dem ich ihr mitteilte, was sich zugetragen hatte, und sie um die Erlaubnis bat, am nächsten Tage in ihrer Wohnung vorsprechen zu dürfen.



Früh morgens kam der Pfarrer zu mir in das Wirtshaus und brachte traurige Nachrichten. Fräulein Laroche litt an einem nervösen Anfall und mein Besuch musste verschoben werden. Als wir sodann von dem vermissten Manne sprachen, erfuhr ich alles, was Herr Loring mir sagen konnte. Meine genaue Bekanntschaft mit Stanwick setzte mich in den Stand, aus den mitgeteilten Tatsachen meine Schlüsse zu ziehen. Sofort fuhr mir der Gedanke durch den Kopf, dass der Unglückliche vielleicht an derselben Stelle sühnenden Selbstmord begangen haben könnte, an der er versucht hatte, mich zu töten. Ich überließ dem Pfarrer, die erforderlichen Erkundigungen einzuziehen, und nahm Postpferde nach Maplesworth, um den Weg nach dem Hernewald einzuschlagen. Als ich von der Landstraße dem Walde zuschritt, sah ich in geringer Entfernung zwei Personen – einen Mann in dem Anzuge eines Wildhüters und einen jungen Burschen. Ich war zu sehr erregt, um von ihnen besondere Notiz zu nehmen; ich eilte auf dem Pfade vorwärts, der zur Lichtung führte. Meine Ahnung hatte mich nicht getäuscht. Dort lag er tot an dem Platze des Duells, und an seiner Seite lag ein blutbeflecktes Rasiermesser. Ich fiel an dem Leichnam auf die Knie; ich nahm seine kalte Hand in die meinige, und ich dankte Gott, dass ich ihm in den ersten Tagen meiner Wiedergenesung vergeben hatte.



Ich kniete noch nieder, als ich von hinten ergriffen wurde. Ich arbeitete mich wieder auf die Füße und stand dem Wildhüter gegenüber. Er hatte mich in den Wald eilen sehen, sein Verdacht war rege geworden, und er und sein Bursche waren mir gefolgt. An meinen Kleidern befand sich Blut, und in meinem Gesicht war Entsetzen ausgeprägt. Der Schein war deutlich gegen mich; ich hatte keine andere Wahl, als dem Wildhüter vor den nächsten Untersuchungsrichter zu folgen.



Die Weisungen, die ich meinem Verteidiger gab, untersagten es ihm, für meine Freisprechung in der Weise zu plädieren, dass er etwa gewohnheitsmäßige Einwendungen gegen das formelle Verfahren des Richters oder des Leichenbeschauers geltend mache. Ich bestand nur darauf, dass meine Zeugen auf das Bureau meines Verteidigers bestellt würden und dass ihnen gestattet werde, in ihrer Weise das anzugeben, was sie wahrheitsgemäß über mich auszusagen wüssten, und ich stellte es anheim, meine Verteidigung lediglich auf das so erlangte Beweismaterial zu stützen. Unterdessen wurde ich natürlich in Haft behalten. Damit erreichte das Trauerspiel des Duells seinen Höhepunkt: ich wurde angeklagt, den Mann ermordet zu haben, der versucht hatte, mir das Leben zu nehmen.



Mit dem Bericht dieses Vorfalles geht das, was in meinem Beitrag zur gegenwärtigen Erzählung erwähnenswert erscheint, zu Ende.



Es fand eine gerichtliche Verhandlung statt, wie dies nach Recht und Gerechtigkeit nicht anders sein konnte. Aber der Beweis, wie er durch die Vernehmung der Zeugen auf dem Bureau meines Verteidigers geführt wurde, war nur der Form, nicht aber dem Wesen nach ein anderer, wie der durch die Vernehmung der Zeugen vor dem Gerichtshof geführte. Meine Verteidigung befriedigte die Geschworenen so vollständig, dass sie gegen das Ende der Verhandlung ungeduldig wurden und ihren Wahrspruch auf Nichtschuldig abgaben, ohne zu einer längeren Beratung sich zurückzuziehen.



Es ist gewiss unnötig, mich dabei aufzuhalten, welchen Gebrauch ich zuerst von meiner ehrenvollen Freisprechung machte. Ob ich den beneidenswerten Platz, den ich in Berthas Meinung behauptete, verdient habe, darüber steht mir ein Urteil nicht zu. Ich will die Entscheidung darüber der Dame überlassen, die nun aufgehört hat, Fräulein Laroche zu sein – ihr, die so liebenswürdig gewesen ist, meine Frau zu werden.



Fräulein Minna und der Reitknecht.

(Miss Minna and the groom)

I

Ich höre, dass die »anstößige Geschichte meiner Aufführung« auf dem Balle allgemein verbreitet wurde und dass die öffentliche Meinung (unter den Damen) im ganzen Saale dafür hielt, dass ich mich entehrt hätte.



Aber in diesem Chore allgemeiner Verdammung gab es doch

eine

abweichende Stimme. Sie, gnädige Frau, sprachen mit dem ganzen Gewichte Ihres ausgezeichneten Rufes und Ihres hohen Ranges. Sie sagten: »Die junge Dame, die der Gegenstand tadelnder Bemerkungen ist, ist mir persönlich fremd. Wenn ich also mich einzumischen wage, so geschieht es nur, um Sie daran zu erinnern, dass jede Sache ihre zwei Seiten hat. Darf ich fragen, ob Sie gewartet haben, ein Urteil zu fällen, bis Sie gehört haben, was die Angeschuldigte zu ihrer eigenen Verteidigung zu sagen hat?«



Diese gerechten und edlen Worte brachten, wenn ich recht unterrichtet bin, eine Totenstille hervor. Nicht eine der Frauen, die mich verdammt hatten, hatte meine Verteidigung gehört. Nicht eine wagte, Ihnen zu antworten.



Wie ich in der Meinung von Leuten, wie diese, stehe, ist mir vollkommen gleichgültig. Mein einziges Bestreben ist, zu zeigen, dass ich Ihres rücksichtsvollen Eintretens für meine Person nicht ganz unwürdig bin. Wollen Sie mir die Ehre erweisen, zu lesen, was ich in diesen Blättern für mich selbst zu sagen habe.



Ich will so schnell wie möglich über die Verhältnisse meiner Familie hinweggehen und es aus Gründen der Dankbarkeit und Ehre unterlassen, in meiner Erzählung Zunamen zu nennen.



Mein Vater war der zweite Sohn eines englischen Edelmanns. Eine deutsche Dame war seine erste Frau und meine Mutter. Nachdem er Witwer geworden war, heiratete er zum zweiten mal; die zweite Frau war eine Amerikanerin von Geburt. Sie fasste die Abneigung einer Stiefmutter gegen mich – welche ich, wie ich gestehen muss, einigermaßen wenigstens verdiente.



Als das neuvermählte Paar nach den Vereinigten Staaten ging, ließ es mich nach meinem eigenen Wunsche in England zurück, um dort unter dem Schutze meines Oheims, eines Generals zu leben. Die Ehe dieses guten Mannes war kinderlos geblieben und seine Frau (Frau Claudia) war, vielleicht aus diesem Grunde, ebenso bereitwillig, wie ihr Gatte, mich in der Eigenschaft einer Adoptivtochter bei sich aufzunehmen. Ich darf hier noch hinzufügen, dass ich den Taufnamen meiner deutschen Mutter Wilhelmina führe. Alle meine Freunde pflegten zu der Zeit, da ich noch Freunde hatte, in Minna abzukürzen. Erweisen Sie mir die Freundschaft, mich auch Minna zu nennen.



Wollen Sie nach diesen wenigen einleitenden Worten sich gedulden, wenn ich versuche, Sie mit meinem Oheim und meiner Tante besser bekannt zu machen, und wenn ich auf Umstände anspiele, die mit meinem neuen Leben verbunden sind und die, wie ich fürchte, meinen Charakter zum Schlimmeren veränderten?

 



II

Wenn ich an die väterliche Güte des guten Generals gegen mich denke, so bin ich in der Tat in Verlegenheit, so über ihn zu schreiben, wie es die Gerechtigkeit erfordert. Um die Wahrheit zu gestehen – die Tränen treten mir in die Augen und die Zeilen verschwimmen so wirr ineinander, dass ich sie selbst nicht lesen kann. Was meine Beziehungen zu meiner Tante betrifft, so ist es nur die Wahrheit, wenn ich sage, dass sie ihre Pflichten gegen mich ohne die geringste Anmaßung und in der liebenswürdigsten Weise erfüllte.



In einem Alter von nahezu fünfzig Jahren war Frau Claudia noch immer eine bewunderte Frau, obgleich sie den einen Reiz, der sie vor meiner Zeit auszeichnete – den Reiz einer vollendet schönen Gestalt – verloren hatte. Mit schönem Haar und ausdrucksvollen Augen war sie sonst eine einfache Frau. Ihre anspruchslose Gewandtheit und ihre bezaubernden Manieren waren ohne Zweifel die Eigenschaften, welche sie überall beliebt machten. Wir stritten niemals miteinander. Nicht dass ich immer liebenswürdig gewesen wäre, nein, deshalb nicht, sondern weil meine Tante dies nicht geduldet haben würde. Sie behandelte mich, wie sie ihren Gatten behandelte, mit vollendetem Takte. Mit gewissen gelegentlichen Zurechtweisungen leitete sie den General in unbeschränkter Weise. Die Eigenheiten seines Charakters machten ihn zu einem Manne, der sich von einer gewandten Frau leicht beherrschen ließ. Obwohl sie seiner Meinung dem Anscheine nach zustimmte, brachte es Frau Claudia am Ende doch gewöhnlich fertig, ihren eigenen Weg zu gehen. Ausgenommen wenn er in seinem Klub war, glücklich in seinem Klatsch, bei seinem guten Mittagsmahl und seinem Whist, lebte mein vortrefflicher Oheim unter einem Despotismus, aber in der glücklichen Täuschung, dass er Herr in seinem Hause sei.



So glücklich und angenehm mein Leben auch im Äußeren erschien, so hatte es für ein junges Mädchen doch auch seine düstere Seite.



Im gewöhnlichen Verlaufe unseres Lebens, demjenigen reicher Leute im höheren Stande, gab es nichts, was die Entwicklung besserer Fähigkeiten, die in mir vorhanden sein mochten, fördern konnte. So aufrichtig ich auch meinen Oheim liebte und bewunderte, so konnte er doch weder seinem Alter, noch seinem Charakter nach der erwähnte Vertraute meiner geheimsten Gedanken, der Freund meines innersten Herzens sein, der mir zeigen konnte, wie am besten und am meisten Vorteil aus meinem Leben zu ziehen sei. Unter Freunden und Verehrern in Menge hatte ich nicht einen gefunden, der diese Stellung zu mir hätte behaupten können. Mitten in der Gesellschaft war ich, ohne es zu wissen, ein einsames Wesen.



Wie ich mich erinnere, so waren die Stunden die glücklichsten, in welchen in Zuflucht zur Musik und zu meinen Büchern nahm. Außerhalb des Hauses war das Reiten meine einzige immer willkommene und immer neue Zerstreuung. Ohne falsche Bescheidenheit darf ich erwähnen, dass ich sowohl Liebhaber als auch Bewunderer hatte, aber nicht einer von ihnen machte einen Eindruck auf mein Herz.



In allem, was sich auf mein zarteres Gefühl, wie es genannt wird, bezog, war ich ein verschlossenes Wesen. Der Einfluss, den Männer auf Frauen haben, nur weil sie Männer sind, war mir wirklich und wahrhaftig ein Geheimnis. Ich schämte mich meiner eigenen Kälte – ich versuchte, ja ich versuchte es ehrlich, anderen Mädchen nachzuahmen, und mein Herz in der Gegenwart des einen auserwählten Mannes schlagen zu fühlen. Es war unmöglich. Wenn ein Mann mir die Hand drückte, fühlte ich es in meinen Ringen, nicht in meinem Herzen.



Nachdem ich diese Geständnisse gemacht habe, bin ich mit der Vergangenheit fertig und kann nun die Ereignisse erzählen, von denen meine Freundinnen behauptet haben, dass sie eine »anstößige Geschichte« bildeten.



III

Während der Saison waren wir in London. Eines Morgens ritt ich mit meinem Oheim wie gewöhnlich nach Hyde Park hinaus.



Der General hatte beim Heere in einem Reiterregiment gedient und sich so ausgezeichnet, dass seine Verdienste seine schnelle Beförderung zu den höheren Stellen seines Berufs rechtfertigten. Auf der Jagd war er als einer der verwegensten und tüchtigsten Reiter der Umgegend bekannt. Es machte ihm immer Vergnügen, junge und mutige Pferde zu reiten und dieser Gewohnheit blieb er auch in seinem späteren Leben treu, als er den aktiven Dienst bereits verlassen hatte. Niemals war ihm ein Unfall zugestoßen, der erwähnenswert gewesen wäre, bis an jenem unglücklichen Morgen, an dem er mit mir hinausritt.



Sein Pferd, ein feuriger Fuchs, ging mit ihm durch nach jener Gegend der Parkpromenade, die Row genannt wird. In der Absicht, von anderen Reitern fern zu bleiben, gab er seinem Durchgänger die Sporen nach dem Geländer zu, welches den Korso von dem grasreichen Gehege an seiner Seite trennte. Das erschreckte Tier bog beim Anlauf zur Seite ab und schleuderte seinen Reiter gegen einen Baum.



Mein Oheim war furchtbar erschüttert und auch verletzt, aber seine kräftige Konstitution führte zuletzt seine Wiederherstellung herbei, und es blieb nur das eine Bein gelähmt, ein Leide, das sich indessen als unheilbar erweisen sollte.



Die Ärzte vereinigten sich, als sie ihren Patienten entließen, in der Ermahnung, dass er bei seinem Alter doch ja keine widerspenstigen Pferde mehr reite, sondern stets seines geschwächten Beines eingedenk sei. »Ein ruhiges Pferdchen, Herr General«, brachten sie alle in Vorschlag. Mein Oheim war empfindlich gedemütigt und verletzt. »Wenn ich für nichts mehr als für ein ruhiges Pferdchen tauglich bin«, sagte er bitter, »so will ich lieber gar nicht mehr reiten.« Er hielt Wort. Niemand sah den General jemals wieder zu Pferde.



Da meine Tante keine Reiterin war, so hätte ich unter diesen traurigen Umständen offenbar keine andere Wahl gehabt, als das Reiten ebenfalls aufzugeben. Aber mein gütiger Oheim war nicht der Mann, mich seinem eigenen Missgeschicke zu opfern. Sein Reitknecht war einer seiner Burschen beim Reiterregiment gewesen – ein sonderbarer, mürrischer, alter Mann und durchaus keine Persönlichkeit, eine junge Dame zu begleiten, die ihre Reitübungen allein machte. »Wir müssen einen aufgeweckten Burschen auftreiben, auf den man sich verlassen kann«, sagte der General. »Ich werde im Klub nachfragen.«



Eine Woche später suchte eine Schar von Bewerbern, die von Freunden empfohlen worden waren, um die zu besetzende Stelle nach.



Der General fand aber unüberwindliche Bedenken bei jedem von ihnen. »Ich will euch sagen, was ich getan habe«, erklärte er eines Tages mit der Miene eines Mannes, dem eine große Entdeckung gelungen ist, »ich habe in den Zeitungen annonciert.« Frau Claudia blickte mit dem ihr eigenen sanften Lächeln von ihrer Stickerei auf. »Ich habe es nicht gern, wegen eines Dieners zu annoncieren«, sagte sie. »Du bist einem Fremden preisgegeben und weißt nicht, ob du nicht einen Trunkenbold oder einen Dieb in den Dienst nimmst.«



»Oder ob du nicht von einem schlechten Charakter betrogen wirst«, fügte ich von meiner Seite hinzu. Ich wagte es selten, bei häuslichen Beratungen meine Meinung unaufgefordert zu sagen, – aber die Annahme eines neuen Reitknechtes war eine Sache, an der ich ein starkes persönliches Interesse hatte. In einem gewissen Sinne sollte er ja

mein

 Diener sein.



»Ich bin euch beiden sehr verbunden für den Wink, dass ich so leicht zu täuschen bin«, bemerkte spöttisch der General. »Unglücklicherweise ist das Unheil geschehen. Drei Männer haben meine Annonce schon beantwortet. Ich erwarte sie morgen hier, um sie für die Stelle zu prüfen.«



Frau Claudia sah wieder von ihrer Stickerei auf. »Bist du willens, dies selbst zu tun?« fragte sie sanft. »Ich dachte, der Verwalter –«



»Ich habe mich bisher für einen besseren Beurteiler eines Reitknechtes gehalten als meinen Verwalter«, fiel ihr der General in die Rede. »Bekümmert euch indessen nicht; ich will nach dem Winke, den ihr mir gegeben habt, nicht auf meine eigene Verantwortlichkeit allein handeln. Du und Minna sollt beide mir euren schätzbaren Beistand gewähren und ermitteln, ob sie Diebe und Trunkenbolde, oder ob sie es nicht sind, ehe ich noch selbst den geringsten Argwohn hege.«



IV

Wir vermuteten natürlich, dass der General scherze. Nein. Dies war eine von jenen seltenen Gelegenheiten, bei denen Frau Claudias Takt – der in Sachen von Wichtigkeit unfehlbar war – in einer Kleinigkeit versagte. Der Stolz meines Oheims war an einer empfindlichen Stelle berührt worden und er war entschlossen, uns dies fühlen zu lassen. Am nächsten Morgen kam uns eine höfliche Aufforderung zu, in der Bibliothek zur Besichtigung der Bewerber anwesend zu sein. Meine Tante, die zwar immer mit ihrem Lächeln bereit, aber selten versucht war, laut aufzulachen, lachte diesmal doch recht herzlich. »Es ist wirklich zu lächerlich«, sagte sie. Indessen verfolgte sie doch ihre gewohnte Politik, zuerst immer nachzugeben. Wir gingen zusammen zur Bibliothek. Die drei Bewerber wurden in der Reihenfolge vorgelassen, in der sie sich zur Probe angemeldet hatten. Zwei von ihnen trugen das unvertilgbare Kennzeichen des Wirtshauses so deutlich in ihrem gemeinen Gesicht, dass ich selbst es sehen konnte. Mein Oheim bat uns spöttisch, ihn mit unserer Meinung zu beehren. Frau Claudia antwortete mit ihrem süßesten Lächeln: »Verzeihe, General – wir sind hier, um zu lernen.« Die Worte waren nichts, aber die Art und Weise, in der sie gesprochen wurden, war vorzüglich. Nur wenige Männer hätten dieser feinen Beeinflussung widerstehen können – und der General war keiner von diesen wenigen. Er strich seinen Schnurrbart und kehrte zu seinem Weiberregiment zurück. Die beiden Bewerber wurden entlassen.



Der Eintritt des dritten und letzten Mannes aber überraschte mich vollständig.



Wenn der kurze Rock und die engen Hosen des Fremden seinen Beruf nicht verraten hätten, so würde ich es für ausgemacht gehalten haben, dass irgend ein Irrtum vorliege und dass wir mit dem Besuche eines uns unbekannten Herrn beehrt würden. Seine Gesichtsfarbe hielt die Mitte zwischen hell und dunkel; er hatte offen blickende, blaue Augen; er war ruhig und klug, wenn dem äußeren Scheine zu trauen war, gewandt in seinen Bewegungen, höflich in seinem Benehmen, aber vollkommen frei von Unterwürfigkeit. »Höre einmal!« platzte der General heraus, sich vertraulich an meine Tante wendend, »

der

 sieht aus, als wenn er passte; meinst du nicht auch?«



Die Erscheinung des jungen Mannes schien auf Frau Claudia dieselbe Wirkung wie auf mich gemacht zu haben, aber sie überwand ihr erstes Gefühl der Überraschung eher als ich. »Du weißt es am besten«, antwortete sie mit der Miene einer Frau, die nicht gern sich damit quälen will, ein bestimmtes Urteil abzugeben.



»Treten Sie näher, junger Mann«, sagte der General. Der Bewerber verließ seinen Platz an der Tür, verneigte sich und blieb am unteren Ende des Tisches stehen, während mein Oheim am Kopfende und meine Tante und ich selbst an beiden Seiten desselben saßen. Die unvermeidlichen Fragen begannen.



»Wie ist Ihr Name?«



»Michael Bloomfield.«



»Ihr Alter?«



»Sechsundzwanzig Jahre.«



Das mangelnde Interesse meiner Tante an diesem Vorgang äußerte sich in einem schwachen Seufzer. Sie lehnte sich mit Ergebung in ihren Stuhl zurück.



Der General fuhr in seinen fragen fort: »Welche Erfahrung haben Sie bereits in Ihrem Dienst?«



»Ich begann meine Lehrzeit, gnädiger Herr, ehe ich noch zwölf Jahre alt war.«



»Ja! Ja! Ich meine, in welchen Familien Sie bereits gedient haben.«



»In zwei Familien, gnädiger Herr.«



»Wie lange sind Sie in Ihren beiden Stellungen gewesen?«



»Vier Jahre in der ersten und drei Jahre in der zweiten.«



Der Blick des Generals drückte angenehme Überraschung aus. »Sieben Jahre in nur zwei Stellungen, das ist ein gutes Zeichen«, erwiderte er. »Was haben Sie für Zeugnisse?«



Der Reitknecht legte zwei Papiere auf den Tisch.



»Ich nehme keine geschriebenen Zeugnisse«, sagte der General.



»Bitte, gnädiger Herr, lesen Sie meine Papiere«, entgegnete der Reitknecht.



Mein Oheim blickte scharf nach ihm über den Tisch. Der Reitknecht hielt den Blick unter ehrerbietiger, aber unerschütterlicher Gemütsruhe aus. Der General ergriff die Papiere und schien, als er sie las, abermals einen günstigen Eindruck zu erhalten. »Persönliche Auskünfte in jedem Fall, wenn nötig, zur Ergänzung der angelegentlichen Empfehlung von seinen beiden Dienstherren«, belehrte er meine Tante. »Schreibe die Adresse ab, Minna. Sehr befriedigend muss ich sagen. Meinst du nicht auch?« fuhr er fort, sich wieder an meine Tante wendend.

 



Frau Claudia antwortete mit einer artigen Verneigung des Kopfes. Der General fuhr in seinen Fragen fort. Sie bezogen sich auf die Behandlung der Pferde und wurden zu seiner vollständigen Zufriedenheit beantwortet.



»Michael Bloomfield, Sie kennen Ihr Geschäft«, sagte er, »und Sie haben ein gutes Zeugnis. Lassen Sie mir Ihre Adresse. Wenn ich persönliche Erkundigungen eingezogen habe, sollen Sie weiter von mir hören.«



Der Reitknecht nahm eine unbeschriebene Karte aus der Tasche und schrieb Namen und Adresse darauf. Ich blickte über meines Oheims Schulter, als er die Karte empfing. Eine neue Überraschung! Die Handschrift war einfach untadelhaft – die Zeilen bildeten eine vollständig gerade Linie und jeder Buchstabe war von vollendeter Form. Als dieser Mann, der uns beinahe in Verlegenheit setzte, seine bescheidene Verbeugung machte und sich zurückzog, rief ihn der General, von einem plötzlichen Gedanken erfasst, von der Tür wieder zurück.



»Noch etwas«, sagte mein Oheim. »Was Freunde und Gesellschafter anlangt – ich betrachte es meinen Bediensteten gegenüber als Pflicht, ihnen zu erlauben, dass sie zuweilen ihre Verwandten sehen; dagegen erwarte ich, dass sie sich ihrerseits gewissen Bedingungen fügen –«



»Verzeihung, gnädiger Herr«, fiel der Reitknecht ein, »ich werde Ihnen deshalb keinen Verdruss bereiten, ich habe keine Verwandten.«



»Keine Brüder oder Schwestern?« fragte der General.



»Keine, gnädiger Herr!«



»Mutter und Vater beide tot?«



»Ich weiß es nicht, gnädiger Herr.«



»Sie wissen es nicht? Was soll das heißen?«



»Ich sage Ihnen die reine Wahrheit, gnädiger Herr. Ich erfuhr niemals, wer mein Vater und meine Mutter waren und erwarte auch nicht, es jetzt zu erfahren.«



Mit bitterer Fassung sagte er diese Worte, die einen schmerzlichen Eindruck auf mich machten. Frau Claudia war weit davon entfernt, zu fühlen, was ich fühlte. Ihr schwaches Interesse an der Anstellung des Mannes schien völlig erschöpft zu sein. Sie erhob sich in ihrer ruhigen, anmutigen Weise und blickte zum Fenster hinaus in den Hof und nach dem Springbrunnen, nach dem Haushunde in der Hütte und nach dem Blumenkästchen in dem Fenster des Kutschers.



Unterdessen blieb der Reitknecht in der Nähe des Tisches und wartete ehrerbietig auf seine Entlassung. Der General sprach zum ersten mal scharf. Ich konnte sehen, dass mein guter Oheim den harten Ton, mit dem er flüchtig seine Eltern erwähnte, bemerkt und darüber so wie ich nachgedacht hatte.



»Noch ein Wort, ehe Sie gehen«, sagte er. »Wenn ich Sie nicht gefühlvoller gegen meine Pferde gestimmt finde, als Sie es gegen Vater und Mutter zu sein scheinen, so werden Sie nicht lange in meinem Dienste bleiben. Sie mögen mir gesagt haben, dass Sie niemals erfahren hätten, wer Ihre Eltern seien, aber sprechen Sie nicht so, als wenn Ihnen nichts daran liege, es zu erfahren.«



»Darf ich mir die Freiheit nehmen, ein Wort zu meiner Verteidigung zu sagen, gnädiger Herr?«



Er stellte die Frage sehr ruhig, aber zu gleicher Zeit so entschieden, dass er selbst meine Tante überraschte. Sie blickte vom Fenster aus um sich, drehte sich alsdann wieder um und streckte die Hand nach dem Vorhang aus, indem sie nach meiner Vermutung beabsichtigte, ihn in anderer Weise zu ordnen. Der Reitknecht fuhr fort:



»Darf ich fragen, gnädiger Herr, warum ich mich um einen Vater und eine Mutter kümmern soll, die mich verließen? – Geben Sie acht, was Sie tun wollen, gnädige Frau!« rief er, plötzlich meine Tante anredend. »Da ist eine Katze in den Falten dieses Vorhanges; die könnte Sie erschrecken.«



Er hatte kaum die Worte gesprochen, als des Hausherrn große, gestreifte Katze, die in einer Schleifenfalte des Vorhanges ihre Mittagsruhe hielt, heraussprang und nach der Tür lief.



Frau Claudia war, wie natürlich, ein wenig in Verlegenheit bei der Wahrnehmung des Mannes, dass ein Tier vollständig in dem Vorhang verborgen sei. Sie schien der Meinung zu sein, dass jemand, der nur Reitknecht sei, sich unschicklich benommen habe, als er es wagte, sie in Verlegenheit zu setzen. Gerade so wie ihr Gemahl sprach sie nun auch schärfer mit Michael.



»Sahen Sie die Katze?« fragte sie.



»Nein, gnädige Frau.«



»Wie konnten Sie dann wissen, dass das Tier im Vorhang war?«



Zum ersten mal, seitdem er das Zimmer betreten hatte, schien Michael ein wenig in Verlegenheit zu sein. »Es ist eine Art Anmaßung von einem Manne in meiner Stellung, einer nervösen Schwäche unterworfen zu sein«, antwortete er. »Ich bin einer von denjenigen (Sie wissen ja, gnädige Frau, die Schwäche ist nicht selten), die durch ihre eigenen