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V

»Du gedenkst wohl nicht den Mann anzunehmen?« sagte frau Claudia, als die Tür sich schloss.



»Warum nicht?« fragte mein Oheim.



»Ich habe eine Abneigung gegen ihn gefasst.«



Diese kurze Antwort widersprach so vollständig dem Charakter meiner Tante, dass der General sie freundlich bei der Hand nahm und sagte:



»Ich fürchte, dass du nicht wohl bist.«



Sie zog gereizt ihre Hand zurück.



»Ich fühle mich nicht wohl, aber es hat nichts zu sagen.«



»Es hat etwas zu sagen, Claudia. Was kann ich für dich tun?«



»Schreibe dem Manne« – sie unterbrach sich und lächelte verächtlich. »Denke dir einen Reitknecht, der Widerwillen gegen Katzen hat!« sagte sie, sich an mich wendend. »Ich weiß nicht, was du darüber denkst, Minna. Aber ich selbst habe ein ernstes Bedenken gegen Dienstboten, die sich über ihre Stellung im Leben erheben.«



»Schreibe«, wiederholte sie, sich an ihren Gemahl wendend, »und sage ihm, dass er sich um eine andere Stelle umsehen möge.«



»Welches Bedenken kann ich ihm gegenüber geltend machen?« fragte der General verlegen.



»Guter Himmel! Kannst du keine Entschuldigung finden? Sage ihm doch, dass er zu jung sei.«



Mein Oheim blickte in bedeutsamem Schweigen nach mir – schritt langsam zum Schreibtische – und warf einen Blick auf seine Frau in der schwachen Hoffnung, dass sie noch ihre Meinung ändern möchte. Ihre Augen begegneten sich – und sie schien die Herrschaft über ihr Gemüt wiederzuerlangen. Sie legte schmeichelnd die Hand auf die Schulter des Generals.



»Ich erinnere mich der Zeit«, sagte sie sanft, »da eine Laune von mir dir ein Befehl war. Ach, ich war damals noch jünger!«



Durchaus bezeichnend für ihn. Er küsste zuerst die Hand seiner Frau und alsdann schrieb den Brief. Meine Tante belohnte ihn mit einem Blicke und verließ die Bibliothek.



»Was zum Henker ist mit ihr los?« sagte mein Oheim zu mir, als wir allein waren. »Missfällt dir der Mann auch?«



»Gewiss nicht. Soweit ich es beurteilen kann, scheint er mir gerade der Mann zu sein, den wir brauchen.«



»Und er versteht sich gründlich auf die Behandlung von Pferden, meine Liebe. Was mag nur deine Tante gegen ihn einzuwenden haben?«



Als diese Worte über seine Lippen kamen, öffnete Frau Claudia die Tür der Bibliothek.



»Ich schäme mich über mich selbst«, sagte sie zärtlich. »in meinem Alter habe ich mich noch wie ein verwöhntes Kind betragen. Wie gut bist du gegen mich! Lass mich versuchen, mein schlechtes Verhalten wieder gut zu machen. Willst du mir erlauben?«



Damit ergriff sie den Brief des Generals, ohne auf eine Erlaubnis zu warten, zerriss ihn, freundlich lächelnd, in Stücke, und warf die Fetzen in den Papierkorb. »Als wenn du es nicht besser verstündest als ich!« sagte sie, indem sie ihn auf die Stirn küsste. »Nimm den Mann doch ja in Dienst.«



Sie verließ das Zimmer zum zweiten Mal. Zum zweiten Mal blickte mein Oheim in vollständiger Fassungslosigkeit nach mir – und ich nach ihm in derselben Stimmung. Der Ton der Frühstücksglocke brachte uns beiden die gleiche Erleichterung. Nicht ein Wort wurde mehr von dem neuen Reitknechte gesprochen. Seine Zeugnisse wurden durch die eingeholte Auskunft bestätigt, und nach drei Tagen trat er in den Dienst des Generals ein.



VI

Immer besorgt um das, was meine Wohlfahrt anging, wie geringfügig es auch immer sein mochte, vertraute mich mein Oheim dem neuen Reitknechte nicht allein an, als er zuerst in unseren Dienst trat. Zwei alte Freunde des Generals begleiteten mich auf sein besonderes Ersuchen und berichteten, dass der Mann durchaus geeignet und vertrauenswürdig sei. Hiernach ritt Michael allein mit mir aus, da den mir befreundeten jungen Damen selten darum zu tun war, mich zu begleiten, wenn ich den Park mit den stillen Landstraßen im Norden und Westen von London vertauschte. War es unrecht von mir, mit ihm auf diesen Ausflügen zu plaudern? Es hieße sicherlich einen Menschen wie das Vieh behandeln, wenn ich niemals die geringste Notiz von ihm genommen hätte – zumal da sein Verhalten ausnahmslos ehrerbietig gegen mich war. Nicht ein einziges Mal nahm er sich durch Worte oder durch Blicke in der Stellung etwas heraus, die meine Gunst ihn einnehmen ließ.



Muss ich erröten, wenn ich bekenne, dass er mich interessierte, obgleich er nur ein Reitknecht war?



Zunächst lag etwas Romanhaftes gerade in dem unbeschriebenen Blatte seiner Lebensgeschichte.



Er war in seiner Kindheit in den Stallungen eines vornehmen Mannes zurückgelassen worden, der in Kent, in der Nähe der Landstraße zwischen Gravesend und Rochester lebte. Am selben Tage war der Stalljunge einer Frau begegnet, die, von dem Hunde verfolgt, eben aus dem Hofe eilte. Sie war eine Fremde und nicht gut gekleidet. Während der Stalljunge sie in Schutz nahm, indem er den Hund an die Hütte anband, war sie rasch genug, um sich der Verfolgung zu entziehen.



Es ergab sich bei der Untersuchung, dass der Anzug des Kindes aus der feinsten Leinwand gefertigt war. Es war in einen schönen Schal warm eingehüllt, der ausländisches Fabrikat zu sein schien, welches allen Anwesenden, selbst dem Herrn und der Frau vom Hause, ganz unbekannt war. In den Falten des Schals fand man einen offenen Brief ohne Datum und Unterschrift und ohne Adresse, welche die Frau vermutlich vergessen hatte.



Gleichwie der Schal, so war auch das Papier ein ausländisches Fabrikat. Die Handschrift zeigte einen scharf ausgeprägten Charakter, und die Schreibart des Briefes ließ deutlich die Fehler einer Person wahrnehmen, die die englische Sprache nicht genügend kannte. Nachdem in dem Briefe die für den Lebensunterhalt des Kindes bereitgestellten Mittel erwähnt worden waren, meldete er, dass der Schenkende die Torheit begangen hatte, die Summe von hundert Pfund in einer Banknote beizufügen, »um die Kosten zu bestreiten.« In einer Nachschrift wurde sodann noch Verabredung für eine nach sechs Monaten an der östlichen Seite von London Bridge stattfindende Zusammenkunft getroffen. Des Stalljungen Beschreibung von der Frau, die an ihm vorübergegangen war, zeigte, dass diese der geringsten Klasse angehörte. Einer solchen Person würden hundert Pfund schon ein Vermögen sein. Sie hätte ohne Zweifel das Kind preisgegeben und mit dem Gelde sich aus dem Staube gemacht. Niemals wurde eine Spur von ihr entdeckt.



An dem für die Zusammenkunft verabredeten Tage bewachte die Polizei die östliche Seite von London Bridge, jedoch ohne irgendein Ergebnis.



Durch die Güte des Herrn, in dessen Stall der Knabe aufgefunden worden war, verlebte dieser die ersten zehn Jahre seines Lebens unter Obhut einer milden Stiftung. Man gab ihm den Namen eines der kleinen Insassen, welcher gestorben war, und sandte ihn dann in fremden Dienst hinaus, ehe er noch elf Jahre alt war. Er wurde streng behandelt und lief weg; er warnderte zu einigen Rennställen in der Nähe von Newmarket, fesselte die Aufmerksamkeit des Stallmeisters zu seinen Gunsten, wurde zu den anderen Burschen in Dienst genommen und fand an der Beschäftigung Gefallen. Als er zum Manne herangewachsen war, hatte er als Reitknecht in einzelnen Familien gedient. Dies war die Geschichte der sechsundzwanzig Lebensjahre Michaels.



Aber es lag auch etwas in dem Manne selbst, das die Aufmerksamkeit auf ihn zog und an ihn denken ließ, auch wenn man ihn nicht sah.



Ich will damit sagen, dass er eine Kraft in sich hatte, sein Geschick zu ertragen, wie sie sehr selten bei dienenden Menschen seines Standes gefunden wird. Ich erinnere mich, dass ich den General »bei einer der regelmäßig vorgenommenen Stallvisitationen« begleitete. Er war so wohl befriedigt, dass er seine Untersuchungen auch auf das eigene Zimmer des Reitknechtes auszudehnen erklärte.



»Wenn Sie nichts dagegen einzuwenden haben, Michael?« fügte er in seiner gewohnten Rücksichtnahme auf das Ehrgefühl seiner Bediensteten hinzu. Michael verfärbte sich ein wenig; er blickte nach mir. »Ich fürchte, die jugne Dame wird mein Zimmer nicht ganz so nett finden, wie dies sein sollte«, sagte er, als er uns die Tür öffnete.



Die einzige Unordnung in dem Zimmer des Burschen war aber zu unserer Überraschung durch seine Bücher und Papiere hervorgebracht.



Wohlfeile Ausgaben englischer Dichter, Übersetzungen lateinischer und griechischer Klassiker, Lehrbücher zur Erlernung des Französischen und des Deutschen »ohne Lehrer«, sorgfältig geschriebene »Übungen« in dieser Kunst waren rings um die Studierlampe in der Mitte des Tisches ausgebreitet, was deutlich für seine nächtlichen Studien sprach. »Ei, was bedeutet das alles?« rief der General. »Haben Sie die Absicht, Michael, uns zu verlassen und eine Schule zu errichten?«



Michael antwortete mit trauriger, unterwürfiger Stimme: »Ich versuche mich noch weiter auszubilden, gnädiger Herr, obgleich ich zuweilen Mut und Hoffnung verliere.«



»Worauf Hoffnung?« fragte mein Oheim. »Sind Sie nicht zufrieden, Diener zu sein? Müssen Sie in der Welt emporkommen, wie man zu sagen pflegt?«



Der Reitknecht erschrak ein wenig bei dieser unerwarteten Frage. »Wenn ich Verwandte hätte, die sich auf dem schweren Lebenswege um mich kümmerten und mir hülfen«, sagte er, »so könnte ich, gnädiger Herr, zufrieden sein, zu bleiben, was ich bin; aber so, wie es jetzt ist, habe ich niemand, an den ich denken könnte, außer mir selbst – und ich bin töricht genug, zuweilen über mich hinauszublicken.«



Bis dahin hatte ich Schweigen beobachtet, aber ich konnte mich nicht länger enthalten, ihm ein Wort der Ermutigung zu sagen, da sein Geständnis so wehmütig und geduldig gemacht worden war. »Sie sprechen zu strenge von sich selbst«, sagte ich; »die besten und größten Männer haben gleich wie Sie damit angefangen, über sich hinauszublicken.«



Für einen Augenblick begegneten sich unsere Blicke. Ich bewunderte den armen, verlassenen Burschen, der so bescheiden und rechtschaffen versuchte, sich auszubilden – und ich machte mir nichts daraus, dies zu verbergen. Er blickte zuerst von mir weg; irgendeine unterdrückte Gemütsbewegung ließ ihn tödlich erblassen. War ich die Ursache davon? Ich fühlte mich erzittern, als sich mir diese kühne Frage aufdrängte. Der General lenkte mit einem scharfen Blicke nach mir das Gespräch – nach meiner Meinung nicht sehr zartfühlend – auf das Missgeschick bei Michaels Geburt hin.

 



»Ich habe gehört, dass Sie in Ihrer Kindheit von einer unbekannten Frau im Stiche gelassen worden sind«, sagte er. »Was ist aus den Sachen geworden, in die Sie eingehüllt waren, und aus dem Briefe, der bei Ihnen gefunden wurde? Diese Gegenstände könnten jetzt zu einer Entdeckung führen.« Der Bursche lächelte.



»Der letzte Herr, bei dem ich diente, dachte gerade so wie Sie, gnädiger Herr. Er war so gütig, an den Herrn zu schreiben, dem zuerst die Sorge um mich oblag – und daraufhin wurden mir die Sache geschickt.«



Er ergriff eine unverschlossene Ledertasche, die sich öffnete, wenn man einen Messinknopf berührte, und zeigte uns den Schal, das Leinenzeug, von der Zeit arg mitgenommen, und den Brief. Wir waren betroffen, als wir den Schal erblickten. Mein Oheim, der im Orient gedient hatte, meinte, er sähe wie eine sehr seltene Art persischer Arbeit aus. Wir besichtigten mit Interesse den Brief und die feine Wäsche. Als Michael, während wir ihm die Gegenstände zurückgaben, ruhig bemerkte: »Sie enthalten das Geheimnis, wie Sie sehen«, konnten wir nur einander ansehen und gestehen, dass weiter nichts zu sagen sei.



VII

In der darauffolgenden Nacht floh mich der Schlaf und ich dachte über das Erlebte nach. Dabei machte ich die Entdeckung, dass eine große Veränderung mit mir vorgegangen sei. Ich fühlte mich wie neugeboren.



Noch niemals war mein Leben der Freude so zugänglich gewesen wie jetzt. Ich war mir einer köstlichen Sinnesfreudigkeit bewusst. Die einfachsten Dinge ergötzten mich; ich war bereit, gegen jedermann freundlich zu sein und alles zu bewundern. Selbst das gewöhnliche Schauspiel meines Ausreitens in den Park enthüllte Schönheiten, die ich vorher niemals wahrgenommen hatte. Der Zauber der Musik rührte mich zu Tränen. Ich war vollständig in meine Hunde und meine Vögel verliebt – und was meine Zofe betraf, so verwirrte ich diese durch Geschenke und gab ihr Ausgehtage, noch ehe sie um solche bitten konnte. In körperlicher Hinsicht fühlte ich außerordentlich erhöhte Kraft und Tätigkeit. Dem lieben alten General gegenüber war ich ein Wildfang und küsste wirklich eines Morgens Frau Claudia, anstatt mich, wie gewöhnlich, von ihr küssen zu lassen. Meine Freundinnen gewahrten diese Äußerungen von Fröhlichkeit und Leben bei mir – und wollten gern wissen, wodurch dies hervorgebracht worden sei. Ich kann aufrichtig sagen, dass ich es auch gerne wissen mochte! Erst in jener schlaflosen Nacht, die unserm Besuche in Michaels Zimmer folgte, gelangte ich zu einem klaren Verständnis meiner selbst. Der nächste Morgen vervollständigte die Aufklärung. Ich unternahm meinen gewöhnlichen Spazierritt. Als ich in den Sattel stieg und Michael mir hierbei behilflich war, überströmte mich ein Gefühl des Glückes wie Feuersglut, und ich wusste nun, wer mich von dem Augenblick an in ein neues Wesen umgewandelt hatte.



Das erste Gefühl der Verwirrung, das mich überwältigte, zu beschreiben, wäre ich unfähig, auch wenn ich geübter im Schreiben wäre.



Ich zog meinen Schleier nieder und ritt in einer Art Verzückung weiter. Zu meinem Glücke lag unser Wohnhaus am Park, und ich hatte nur über die Landstraße zu reiten. Im anderen Fall würde mir, wenn ich durch die Straßen geritten wäre, ohne Zweifel ein Unfall zugestoßen sein. An diesem Tage wusste ich nicht, wohin ich ritt. Das Pferd ging ruhig seinen eigenen Weg – und der Reitknecht folgte mir.



Der Reitknecht! Gibt es ein menschliches Wesen, das von gehässigem, unchristlichen Ahnenstolze so frei ist, wie ein Weib, das zum ersten mal im Leben von ganzem Herzen und von ganzer Seele liebt? Ich sage nur die Wahrheit – in welch ungünstiges Licht dies mich auch stellen mag – wenn ich offen gestehe, dass meine Verwirrung nur eine Folge der Entdeckung meiner Liebe war. Aber ich schämte mich nicht, dass ich Michael liebte. Dem Manne hatte ich mein Herz gegeben; was lag an seiner zufälligen Stellung? Wenn ein anderer Zufall seine Tasche mit Geld füllte und einen Titel vor seinen Namen setzte, würde er in Sprache, Sitte und Talent ein vornehmer, seines Reichtums und seines Ranges würdiger Mann sein.



Selbst die so natürliche Besorgnis, was meine Verwandten und Freundinnen sagen möchten, wenn sie mein Geheimnis erführen, schien mir ein so unwürdiges Gefühl zu sein, dass ich herumblickte und ihm zurief, mit mir zu sprechen, und dass ich Fragen über ihn selbst an ihn richtete, die ihn zwangen, beinahe an meiner Seite zu sein. Ach, wie freute mich die Ehrerbietung und das feine Benehmen, als er mir antwortete! Er wagte es kaum, die Augen zu mir zu erheben, wenn ich nach ihm blickte. In das von mir selbst geschaffene Paradies versunken, ritt ich langsam weiter und wurde erst gewahr, dass Freundinnen an mir vorüber geritten waren und mich erkannt hatten, als ich sah, dass Michael den Hut lüftete. Ich blickte um mich und gewahrte die Damen, die beim Vorüberreiten höhnisch lächelten. Dieser eine Umstand weckte mich aus meinem Traume. Ich ließ Michael wieder auf seinen gewöhnlichen Platz zurückgehen und beschleunigte den Gang meines Pferdes; ärgerlich über mich, ärgerlich über die Welt überhaupt – änderte ich dann plötzlich meine Stimmung, und ich war töricht und kindisch genug, mich dem Weinen nahe zu fühlen. Wie lange diese wechselnden Stimmungen währten, weiß ich nicht. Bei der Rückkunft nach Hause, ließ ich mein Pferd in den Stall laufen, ohne darauf zu warten, dass Michael mir helfe, und eilte ohne Abschiedsgruß ins Haus.



VIII

Nachdem ich mein Reitkleid abgelegt und meine heiße Stirne angEfeuchtet und mit Kölnischem Wasser benetzt hatte, ging ich in das Damenzimmer hinunter. Das Klavier in demselben war mein Lieblingsinstrument – und ich hatte den Einfall, zu versuchen, was Musik tun könnte, um mich zu beruhigen.



Als ich vor dem Klavier saß, hörte ich das Öffnen der Tür des Frühstückszimmers, das von mir nur durch einen gehängten Bogengang getrennt war, und zugleich Frau Claudias Stimme, welche fragte, ob Michael zum Stall zurückgekehrt sei.



Als der Diener dies bejahte, befahl sie, ihn sogleich zu ihr zu schicken. Ohne Zweifel musste ich entweder das Zimmer verlassen oder meiner Tante von meiner Anwesenheit Kenntnis geben. Ich tat weder das eine noch das andere. Ihre erste Abneigung gegen Michael hatte allem Anschein nach aufgehört. Sie hatte wirklich ein– und das andere Gelegenheit genommen, freundlich mit ihm zu sprechen. Ich glaubte aber, dass dies nur von einer augenblicklichen Laune komme. Auch ließ der Ton ihrer Stimme bei dieser Gelegenheit vermuten, dass sie irgend einen boshaften Plan im Auge hatte, als sie nach Michael schickte. Ich wusste, dass es meiner unwürdig war – und doch wartete ich absichtlich, um zu hören, was zwischen ihnen vorgehe.



Frau Claudia begann.



»Sie sind heute mit Fräulein Minna ausgeritten?«



»Ja, gnädige Frau.«



»Wenden Sie sich gegen das Licht. Ich wünsche die Leute zu sehen, wenn ich mit ihnen spreche. Sie wurden von einigen meiner Freundinnen beobachtet; Ihr Verhalten gab zu Bemerkungen Anlass. Kennen Sie die Obliegenheiten eines Reitknechts Damen gegenüber?«



»Ich habe hierin eine siebenjährige Erfahrung, gnädige Frau.«



»Ihr Pflicht ist es, in einer bestimmten Entfernung hinter Ihrer Herrin zu reiten. Hat Ihre Erfahrung Sie dies gelehrt?«



»Ja, gnädige Frau.«



»Sie ritten aber nicht hinter Fräulein Minna – Ihr Pferd war beinahe an der Seite Ihrer Herrin. Leugnen Sie dies?«



»Nein, gnädige Frau.«



»Sie benahmen sich mit der größten Unschicklichkeit, denn Sie wurden gesehen, wie Sie mit Fräulein Minna plauderten. Leugnen Sie dies?«



»Nein, gnädige Frau.«



»Verlassen Sie das Zimmer. Nein! Kommen Sie her. Haben Sie irgendeine Entschuldigung vorzubringen?«



»Keine, gnädige Frau.«



»Ihre Unverschämtheit ist unerträglich! Ich werde mit meinem Gemahl sprechen.«



Das Geräusch einer sich schließenden Tür folgte diesen Worten.



Ich wusste nun, was das Lächeln auf den falschen Gesichtern dieser Freundinnen zu bedeuten hatte, die mir im Park begegnet waren. Ein gewöhnlicher Mann würde an Michaels Stelle meine eigene Aufmunterung als ausreichende Entschuldigung vorgebracht haben. Er aber hatte mit dem angeborenen Zartgefühl und der Verschwiegenheit des gebildeten Mannes die ganze Schuld auf sich genommen. Unwillig und beschämt ging ich nach dem Frühstückszimmer, fest entschlossen, ihn augenblicklich zu rechtfertigen.



Als ich den Vorhang beiseite zog, wurde ich durch einen Laut erschreckt, der von einer schluchzenden Frau herzurühren schien. Ich blickte vorsichtig hinein. Frau Claudia lag auf dem Sofa ausgestreckt, verbarg ihr Gesicht mit den Händen und vergoss leidenschaftlich Tränen.



Ich zog mich in großer Verwirrung zurück. Die außergewöhnlichen Widersprüche in dem Benehmen meiner Tante waren noch nicht zu Ende. Später am Tage ging ich zu meinem Oheim, entschlossen, Michael bei ihm zu rechtfertigen und ihm anheimzustellen, mit Frau Claudia zu sprechen. Der General war sehr missmutig; er schüttelte bedenklich den Kopf, als ich Michaels Namen erwähnte. »Ich möchte behaupten, dass der Mann es nicht böse gemeint hat, aber der Vorfall hat die Aufmerksamkeit anderer auf sich gezogen. Ich kann dich nicht zu einem Gegenstande des Skandals werden lassen, Minna. Meine Frau betrachtet es als eine Ehrensache – Michael muss gehen.«



»Du willst doch nicht sagen, dass sie darauf bestanden hat, Michael wegzuschicken?«



Ehe er mir antworten konnte, erschien ein Bedienter mit einer Meldung. »Gnädige Frau wünscht Sie zu sehen, mein Herr.«



Der General erhob sich sofort. Meine Neugier hatte jetzt alle Zurückhaltung aufgegeben. Ich war wirklich unfein genug, zu fragen, ob ich mit ihm gehen dürfe! Er starrte mich mit großen Augen an. Ich bestand auf meinem Verlangen; ich sagte, ich wünschte persönlich Frau Claudia zu sehen. Die feine Lebensart meines Oheims, die alles ziemlich genau nahm, widerstand mir noch immer. »Deine Tante könnte mich unter vier Augen zu sprechen wünschen«, entgegnete er. »Warte einen Augenblick, ich will dich dann rufen lassen.«



Ich war unfähig zu warten: meine Hartnäckigkeit hatte etwas Überraschendes. Ich glaube, der bloße Gedanke, dass Michael seine Stelle durch meine Schuld verlieren könnte, brachte mich zur Verzweiflung. »Ich will dich nicht belästigen, nochmals nach mir zu schicken«, beharrte ich, »ich will sogleich mit dir bis zur Tür gehen und dort hören, ob ich hineinkommen darf.« Der Bediente war noch anwesend und hielt die Tür offen. Der General gab nach. Ich hielt mich so dicht hinter ihm, dass meine Tante mich sah, als ihr Gemahl das Zimmer betrat. »Komm herein, Minna«, sagte sie mit Wort und Blick der bezaubernden Frau Claudia, der Alletags–Tante. War dies die Frau, welche ich vor kaum einer Stunde auf dem Sofa ihr Herz ausweinen sah?



»Nach abermaliger Überlegung«, fuhr sie fort, sich an den General wendend, »finde ich, dass ich ein wenig voreilig gewesen bin. Verzeihe mir, dass ich dich deshalb nochmals belästige – hast du schon mit Michael gesprochen? Noch nicht? Nun, dann wollen wir Milde walten lassen und sein übles Verhalten für diesmal übersehen.«



Mein Oheim fühlte augenscheinlich eine große Erleichterung. Ich ergriff die Gelegenheit, meine Beichte abzulegen und die ganze Schuld auf mich zu nehmen. Frau Claudia unterbrach mich mit der vollendeten Liebenswürdigkeit, über die sie verfügte.



»Mein gutes Kind, mache dir keinen Kummer! Mache keine Berge aus Maulwurfshügeln!« Sie streichelte mir mit zwei vollen, weißen Fingern, die sich tödlich kalt anfühlten, die Wange. »Ich überlegte auch nicht immer, Minna, als ich in deinem Alter war. Zudem ist deine Neugier auf ganz natürliche Weise in Betreff eines Dieners erregt, der – wie soll ich ihn doch nennen? – ein Fremdling ist.«



Sie machte eine Pause und heftete aufmerksam ihre Augen auf mich. »Was erzählte er dir?« fragte sie. »Ist es eine recht romantische Geschichte?«



Der General fing an, sich in seinem Stuhle unruhig hin und her zu bewegen. Wenn ich meine Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet hätte, so würde ich in seinem Gesicht eine Mahnung zu schweigen gefunden haben. Aber mein Interesse wurde in diesem Augenblicke von meiner Tante in Anspruch genommen. Von ihrem freundlichen Entgegenkommen ermutigt, argwöhnte ich nicht nur nicht die Falle, die sie mir gestellt hatte – ich war sogar bei meiner Liebe zu Michael töricht genug, zu glauben, dass ich ihn in ihrer Achtung erhöhen könnte, wenn ich ihr seine Geschichte genau so erzählte, wie ich sie schon in diesen Blättern mitgeteilt habe. Ich sprach mit Erregung. Wird man es glauben? Ihre Gemütsstimmung änderte sich wiederum. Sie geriet auf einmal, zum ersten mal in ihrem Leben, in vollen Zorn gegen mich.

 



»Lügen!« rief sie. »Offenbare, unverschämte Lügen, erfunden, um an deine Teilnahme zu appellieren. Wie darfst du dich unterstehen, sie zu wiederholen? General! Wenn Minna dies nicht selbst herbeigeführt hätte, so würde die Unverschämtheit dieses Mannes es rechtfertigen, ihn augenblicklich zu entlassen. Denkst du nicht gerade so?«



Des Generals Sinn für ehrliches Vorgehen trieb ihn für diesmal dazu, sich seiner Frau offen zu widersetzen.



»Du bist ganz im Irrtum«, sagte er. »Minna und ich, wir beide haben den Schal und den Brief in unseren Händen – gehabt und – was gab es noch außerdem? – ach ja, das Leinenzeug sogar, in welches das Kind eingewickelt war.«



Was bei diesen Worten imstande war, Frau Claudias Zorn in seiner vollen Heftigkeit zu bändigen, das zu verstehen war ich ganz außer Stande. Wenn ihr Gatte ihr eine Pistole an den Kopf gesetzt hätte, so hätte er sie kaum nachdrücklicher zum Schweigen bringen können. Sie schien über ihren Wutausbruch nicht erschreckt oder beschämt zu sein – sie saß untätig und sprachlos da, die Augen auf den General gerichtet und die Hände im Schoß gefaltet. Nachdem mein Oheim einen Augenblick gewartet hatte, da er, wie ich, gern wissen wollte, was dies bedeute, erhob er sich mit seiner gewohnten Ergebung und verließ sie. Ich folgte ihm. Er war ungewöhnlich still und nachdenklich; nicht ein Wort wurde zwischen uns gesprochen. Ich gewahrte nachher, dass der arme Mann zu fürchten anfing, der Verstand seiner Frau müsse in irgendeiner Weise angegriffen sein, und dass er an eine Beratung mit dem Arzte dachte, der uns in Fällen der Not beistand.



Was mich betrifft, so war ich entweder zu beschränkt, oder zu harmlos, eine bestimmte Ahnung von der Wahrheit bis jetzt zu haben. Als ich nach dem Frühstück allein im Gewächshause war, kam mein Zimmermädchen zu mir und fragte mich im Auftrage Michaels, ob ich irgendwelche Befehle für ihn am Nachmittage hätte. Ich hielt dies für ein wenig sonderbar; aber es fiel mir dann ein, dass er für sich selbst vielleicht einige Stunden nötig haben könnte.



Ich erkundigte mich daher, und zu meinem Erstaunen meldete mir das Mädchen, dass Michael für Frau Claudia selbst einen Gang zum Buchhändler machen solle, um ihm einen Brief zu übergeben und die Bücher mitzubringen, welche sie bestellt habe. Es waren drei müßige Lakaien im Hause, deren Aufgabe es war, derartige Dienste zu verrichten; warum nahm sie den Reitknecht von seiner Arbeit weg? Diese Frage erfüllte so vollständig meinen Sinn, dass ich wirklich Mut genug hatte, zu meiner Tante zu gehen. Ich sagte ihr, dass ich beabsichtigt hätte, diesen Nachmittag in meinem Ponywagen auszufahren, und ich fragte, ob sie etwas dagegen einzuwenden hätte, dass wegen ihrer Bücher an Michaels Stelle einer der drei Diener im Hause geschickt werde.



Sie empfing mich mit einem seltsamen harten Blick und antwortete mit eigensinniger, selbstbewusster Fassung: »Ich wünsche, dass Michael geht.« Keine Erklärung folgte. Es mochte mit Recht geschehen oder nicht, es mochte mir angenehm oder nicht angenehm sein, sie wünschte, dass Michael gehe.



Ich bat um Entschuldigung, dass ich mich eingemischt hätte, und erwiderte, dass ich den Plan, an diesem Tage auszufahren, aufgeben würde. Sie machte keine weitere Bemerkung. Ich verließ das Zimmer, fest entschlossen, ihr aufzulauern. Mein Vorhaben war nicht zu rechtfertigen; es war ohne Zweifel gemein und ungeziemend. Ich wurde aber von einer inneren Gewalt fortgezogen, der zu widerstehen ich nicht einmal versuchen konnte. Ich versichere, ich bin von Natur wirklich kein gemeiner Charakter.



Zuerst dachte ich daran, mit Michael zu sprechen; nicht aus irgendeinem besonderen Beweggrunde, sondern einfach deshalb, weil ich mich zu ihm als zu dem Führer und Helfer hingezogen fühlte, auf den mein Herz in dieser Entscheidungsstunde meines Lebens vertraute. Ein wenig Überlegung machte mir indessen klar, dass ich gesehen werden konnte, wenn ich mit ihm spräche, und ihm so Nachteil bringen könnte. Während ich noch unschlüssig war, kam mir der Gedanke, dass der Beweggrund meiner Tante für Michaels Sendung der sein könnte, ihn zu entfernen.



Aus dem Hause? Nein. Sein Platz war ni