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Blinde Liebe

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Achtundvierzigstes Kapitel

Am nächsten Morgen verließ Lord Harry das Haus in Begleitung des Doktors.

Nach langer Abwesenheit kam er allein zurück. Die schlimmsten Vermutungen seiner Gattin, die durch das, was Fanny ihr mitgeteilt hatte, wach geworden waren, wurden mehr als bestätigt durch die auffallende Veränderung, die sie jetzt an ihm wahrnahm. Seine Augen waren blutunterlaufen, sein Gesicht entstellt und seine Bewegungen langsam und matt. Er sah aus wie ein Mann, der durch einen inneren Konflikt heftig mitgenommen und fortwährend in Angst und Furcht erhalten war.

»Ich bin zum Tode müde,« sagte er; »gib mir ein Glas Wein!«

Rasch kam sie seinem Wunsche nach und wartete ängstlich auf die belebende Wirkung des Reizmittels.

Ohne ihn anzusehen sagte Iris:

»Du scheinst schlechte Nachrichten bekommen zu haben?«

Ebenfalls ohne aufzublicken, antwortete Lord Harry:

»Ja, auf dem Zeitungsbureau.«

Sie wußte, daß er sie belog, und sie fühlte, daß er es wußte. Eine Zeit lang sprachen beide kein Wort.

Die trägsten aller langsamen Minuten, die Minuten, die der Zweifel zählt, schlichen zögernd und immer zögernder dahin, bevor die ersten Anzeichen einer Veränderung sichtbar wurden. Er hob sein niedergesunkenes Haupt. Traurig und verlangend blickte er nach ihr hin. Der untrügliche Instinkt bewog sie, ihn anzureden.

»Ich wünschte, ich könnte Dir Deine Sorgen erleichtern,« sagte sie einfach. »Gibt es denn wirklich nichts, wodurch ich Dir helfen kann?«

»Komm her zu mir, Iris!«

Sie stand auf und ging zu ihm. In den vergangenen Tagen der Flitterwochen und ihrer süßen Tändeleien hatte sie oft auf seinen Knieen gesessen. Er zog sie auch jetzt wieder auf seine Kniee und schlang seinen Arm um sie.

»Gib mir einen Kuß!« sagte er.

Aus vollem Herzen küßte sie ihn. Er seufzte schwer; seine Augen ruhten auf ihr mit einem vertrauensvollen, bittenden Blicke, den sie noch niemals in ihnen bemerkt hatte.

»Warum trägst Du Bedenken, mir Dein Vertrauen zu schenken?« fragte sie. »Liebster Harry, glaubst Du denn, ich könnte nicht sehen, daß Dich etwas bedrückt?«

»Ja,« sagte er, »ich bedaure wirklich etwas!«

»Was denn?«

»Iris,« antwortete er, »ich bin betrübt darüber, daß ich Vimpany aufgefordert habe, zu uns zu kommen.«

Bei diesem unerwarteten Bekenntnis überflog ein leuchtender Strahl der Freude und des Stolzes das Gesicht seiner jungen Frau. Wiederum war es der untrügliche Instinkt der wahren Liebe, welcher sie zur Entdeckung der Wahrheit führte. Ihre Ansicht über seinen schlechten Freund mußte sich im Laufe der geheimen Unterredung am heutigen Tage als zutreffend erwiesen haben. In der Absicht, ihren Gatten zu etwas Schlimmem zu verleiten, hatte Vimpany Worte ausgesprochen, die diesen verletzten und beleidigten. Das Ergebnis war, wie sie kaum zweifeln konnte, die Wiederherstellung ihres Einflusses im Hause – ob nur für eine Zeit lang oder für immer, darnach in diesem Augenblicke des Glückes zu forschen, lag nicht in ihrer Natur.

»Ich bin auch,« sagte sie, »von Herzen froh darüber, Dich allein nach Hause kommen zu sehen.«

Sie lebte der Hoffnung, daß der freundschaftliche Verkehr zwischen den beiden Männern nun zu Ende sei. Harrys Antwort enttäuschte sie bitter.

»Vimpany,« sagte er, »ist nur in Paris geblieben, um einen Empfehlungsbrief abzugeben. Er wird später nachkommen.«

»Bald?« fragte sie traurig.

»Ich denke, zum Diner.« Sie saß immer noch auf seinen Knieen. Zärtlich drückte sie sein Arm an sich, als er sagte: »Hoffentlich wirst Du heute mit uns speisen, Iris?«

»Ja – wenn Du es wünschest.«

»Ich wünsche es sogar sehr. Es schreckt mich etwas davon ab, mit Vimpany allein zu speisen. Außerdem ist ein Mittagessen zu Hause ohne Dich gar kein Mittagessen.«

Sie dankte ihm für dieses kleine Kompliment durch einen freundlichen Blick. Doch wurde ihre Freude über die Liebenswürdigkeit ihres Gatten durch die Aussicht auf die Rückkehr des Doktors verbittert.

»Er wird wohl noch oft bei uns essen?« fragte sie gerade heraus.

»Ich hoffe nicht.«

Vielleicht war er sich bewußt, daß er eine etwas zu bestimmte und bejahende Antwort gegeben hatte, denn er suchte wenigstens das Gespräch auf einen ihm angenehmeren Gegenstand zu bringen.

»Liebe Iris, Du hast den Wunsch ausgesprochen, mir meine Sorgen zu erleichtern,« sagte er; »Du kannst mir in der That beistehen. Ich habe einen Brief zu schreiben, Iris, der sowohl für Dein als auch für mein Interesse von großer Wichtigkeit ist. Er muß noch mit der heutigen Post nach Irland abgehen. Du sollst ihn jedoch vorher lesen und mir dann sagen, ob Du mein Vorgehen billigst. Sorge dafür, daß ich nicht gestört werde, denn dieser Brief, kann ich Dir sagen, wird schwere Anforderungen an mein armes Gehirn stellen. Ich muß mein Zimmer aufsuchen, um ihn dort zu schreiben.«

Als Iris mit ihren Gedanken, die in der verschiedenartigsten Weise ihren Geist beschäftigten, allein gelassen war, wurde ihre Aufmerksamkeit bald von neuen Eindrücken in Anspruch genommen. Fanny Mere kam zurück, um ihr über ihre Erlebnisse in Paris Bericht zu erstatten.

Fanny hatte ihre Abfahrt von Passy so eingerichtet, daß sie vor Lord Harry und Mr. Vimpany in Paris ankam und dort auf deren Ankunft mit einem späteren Zuge wartete. Vom Bahnhof waren sie nach dem Zeitungsbureau gefahren, und das Mädchen war ihnen in einem andern Wagen gefolgt. Nachdem sich die beiden Herren getrennt hatten, begab sich der Doktor zu Fuß nach dem Luxembourg-Garten. Fanny, die ein einfaches schwarzes Kleid trug und durch einen dichten Schleier sich vor Erkennung geschützt hatte, ging ihm nach, hielt aber vorsichtigerweise immer einen genügenden Abstand inne, bald auf der einen Seite der Straße, bald auf der andern. Als Mylord wieder mit ihm zusammengetroffen war, behielt sie beide im Auge. Das war aber auch alles, was sie erreichen konnte, denn sie gingen in dem einsamsten und freiesten Teile des Gartens, den sie ausfindig machen konnten, in eifrigem Gespräche auf und ab. Nachdem sie sich ausgesprochen hatten, trennten sie sich wieder. Ihr Herr war der erste gewesen, der den Garten verließ und auf die Straße trat; er ging schnell davon und schien sich in aufgeregter und verzweifelter Stimmung zu befinden. Später erschien Mr. Vimpany; beide Hände in den Hosentaschen, schlenderte er ganz gemächlich einher und machte ein äußerst vergnügtes Gesicht, als ob ihn seine eigenen heimtückischen Gedanken höchlich amüsirten. Fanny war jetzt noch mehr als vorher darauf bedacht, ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Der Weg, den er einschlug, führte sie nach dem berühmten Hospital, welches den Namen »Hotel Dieu« führt.

Sie sah, wie er am Eingange einen Brief aus der Tasche zog und denselben dem Portier übergab. Bald darauf erschien ein Mann, der ihn höflich begrüßte und in das Haus führte. Länger als eine Stunde wartete Fanny, um den Doktor wieder heraustreten zu sehen; aber sie wartete vergeblich. Was konnte er wohl in einem französischen Hospital zu thun haben? Und warum blieb er so lange in dieser Anstalt? Da Fanny dieses Geheimnis zu ihrem großen Verdrusse nicht enträtseln konnte und außerdem von dem vielen Umherwandern sehr ermüdet war, hielt sie es für das Beste, wieder nach Hause zurückzukehren, um ihrer Herrin Bericht zu erstatten und mit ihr das weitere zu überlegen.

Aber selbst, wenn Iris im stande gewesen wäre, ihr eine Aufklärung zu geben, hätte jetzt dazu die Zeit und die Gelegenheit gefehlt, denn Lord Harry betrat das Zimmer und hielt den Brief, den er soeben geschrieben, in der Hand. Selbstverständlich mußte Fanny das Zimmer verlassen.

Neunundvierzigstes Kapitel

Der irische Lord hatte einige erklärende Worte vorauszuschicken, bevor er seiner Frau den Brief zu lesen gab.

Auf dem Zeitungsbureau hatte eine Versammlung der Besitzer des neuen Blattes stattgefunden, um die Bedingungen für eine neue Subskription festzustellen, welche sich infolge unvorhergesehener, aber im Interesse des Unternehmens nicht zu umgehender Ausgaben durchaus notwendig machte. Der Beschluß, der nach sorgfältiger Beratung gefaßt wurde, stellte eine Forderung an die Geldbeutel der Eigentümer, welche in einschneidendster Weise die Summe verminderte, welche Lord Harry noch besaß. Gänzlicher Ruin starrte ihm ins Gesicht, wenn er nicht die nötigen Mittel beschaffen konnte, um den pekuniären Erfolg des Unternehmens ruhig abzuwarten; darüber konnten aber nach den verschiedenen Schätzungen noch sechs, vielleicht sogar noch zwölf Monate ins Land gehen.

»Unsere Lage ist verzweifelt genug,« sagte er, »um nach einem verzweifelten Hilfsmittel zu greifen. Erschrick nicht, Iris – ich habe an meinen Bruder geschrieben.«

Iris blickte ihn mit unverhohlenem Mißmut an.

»Du hast mir doch erzählt,« sagte sie, »daß Du früher einmal an Deinen Bruder geschrieben hättest und daß er Dir in der schonungslosesten Weise durch seinen Advokaten hätte antworten lassen.«

»Ganz recht, liebe Iris. Aber diesmal spricht ein Umstand zu unseren Gunsten – mein Bruder steht im Begriff, sich zu verheiraten. Die junge Dame soll eine reiche Erbin sein und einen außerordentlich liebenswürdigen Charakter besitzen; wer mit ihr verkehrt, bewundert und verehrt sie. So eine glückliche Aussicht muß doch gewiß selbst das härteste Gemüt erweichen. Lies, was ich geschrieben habe, und sage mir dann, was Du davon denkst.«

Die Meinung der geliebten Frau ermutigte den verzweifelten Ehemann: der Brief wurde noch an demselben Tag mit der Post abgeschickt.

Wenn geräuschvolle Heiterkeit einen Mann bei Tisch angenehm machen kann, dann spielte in der That Mr. Vimpany nach seiner Rückkehr in die Villa die Rolle eines gern gesehenen Gastes. Er war unerschöpflich in galanten Aufmerksamkeiten gegen die Frau seines Freundes; er erzählte in der unterhaltendsten Weise die lustigsten Geschichten; er trank vergnügt den ausgezeichneten weißen Burgunder seines Wirtes und pries mit großer Sachkenntnis die wohlschmeckenden französischen Gerichte; er sprach mit Lord Harry über Politik, Sport und – was besonders merkwürdig in unseren Tagen – über Literatur. Der mit anderen Gedanken beschäftigte irische Edelmann war für alle drei Gegenstände in gleicher Weise unzugänglich. Als das Dessert auf den Tisch getragen wurde, brachte Mr. Vimpany, immer noch eifrig bemüht, sich Lady Harry so angenehm wie möglich zu machen, das Gespräch auf die Pflanzenzucht. Im Interesse des hübschen kleinen Gartens der Lady befürwortete er einen vollständigen Wechsel in dem System der Pflege und stützte sich dabei auf ein unlängst erschienenes und Iris wohlbekanntes Buch über Gartenbau und Blumenpflege in so widersinniger Weise, daß Iris in dem Eifer, ihn zu widerlegen, vom Tisch wegeilte, um das Buch zu holen. In demselben Augenblick, wo es ihm endlich gelungen war, sie aus dem Zimmer zu entfernen, wendete sich der Doktor an Lord Harry. Sein Wesen und seine Miene veränderten sich plötzlich und nahmen einen gebieterischen Ausdruck an.

 

»Nun, was haben Sie gethan,« fragte er, »seitdem wir unser Gespräch in dem Luxembourg-Garten beendigt haben? Haben Sie sich Ihren leeren Geldbeutel betrachtet und sind Sie nun vernünftig genug geworden, meinen Vorschlag, wie er wieder gefüllt werden kann, anzunehmen?«

»So lange mir noch die leiseste Hoffnung bleibt,« antwortete Lord Harry, »werde ich zu jedem andern Mittel greifen, meine Kasse zu füllen, nur nicht zu dem Ihrigen.«

»Soll das heißen, daß Sie ein solches anderes Mittel gefunden haben?«

»Thun Sie mir den Gefallen, Vimpany, alle Fragen bis ans Ende der Woche aufzusparen.«

»Und dann soll ich die Antwort bekommen?«

»Ganz gewiß, ich verspreche es! – Still!«

Iris kam mit dem Buch in das Speisezimmer zurück, und der höfliche Mr. Vimpany gestand in der bereitwilligsten Weise zu, daß er sich geirrt habe.

Die noch übrigen Tage der Woche schlichen langsam dahin. Während dieser Zeit bewahrte Lord Harrys Freund sorgfältig die Haltung eines musterhaften Gastes – er verursachte so wenig Störung wie nur möglich. Jeden Morgen nach dem Frühstück fuhr der Doktor mit der Bahn nach Paris; jeden Morgen mit der gleichen Regelmäßigkeit folgte ihm die entschlossene Fanny Mere. Auf seinen Gängen durch die verschiedensten Stadtteile der französischen Hauptstadt blieb er jedesmal vor einem öffentlichen Gebäude stehen, zog jedesmal einen Brief aus der Tasche und wurde infolge dessen jedesmal gebeten, einzutreten. Die Erkundigungen, welche Fanny mit bewunderungswürdiger Geduld immer wieder einzog, führten jedesmal zu dem gleichen Ergebnis. Die verschiedenen öffentlichen Gebäude, die Mr. Vimpany betrat, waren alle demselben wohlthätigen Zweck gewidmet. Wie das Hotel Dieu waren sie alle Hospitäler. Der Grund aber, weswegen sie der Doktor besuchte, blieb nach wie vor ein tiefes Geheimnis.

Am letzten Tag der Woche traf morgens in aller Frühe die Antwort von Lord Harrys Bruder ein. Als Iris es erfuhr, eilte sie sofort in das Zimmer ihres Gatten. Sie fand den Brief, schon in Stücke zerrissen, auf dem Boden liegend. Wie der Ton in dem Brief des herzlosen Earls das erstemal gewesen war, so war er auch jetzt wieder.

Iris schlang ihre Arme um den Hals ihres Gatten.

»O mein armer Liebling, was soll nun geschehen?«

Er antwortete mit dem einen trostlosen Wort:

»Nichts!«

»Gibt es denn niemand, der uns helfen kann?« fragte sie.

»O ja, es ist vielleicht noch eine Person da, die es könnte.«

»Wer ist es?«

»Wer sollte es anders sein als Du selbst, liebes Herz?«

Sie sah ihn mit unverhohlenem Erstaunen an.

»Sage mir nur, Harry, was ich thun kann.«

»Schreibe an Mountjoy und bitte ihn, mir das Geld zu leihen.«

Er sprach es aus. Mit diesen schamlosen Worten sprach er es aus. Sie, die Mountjoy dem Mann geopfert, den sie geheiratet hatte, sie wurde jetzt von diesem Mann aufgefordert, Mountjoys Liebe zu ihr zur Zahlung der Schulden ihres Gatten zu mißbrauchen! Mit einem Schrei der Entrüstung wendete sich Iris von ihm weg.

»Schlägst Du mir es ab?« fragte er.

»Willst Du mich beleidigen, indem Du daran zweifelst?« antwortete sie.

Wütend riß er an der Glocke und stürzte aus dem Zimmer. Iris hörte, wie er auf der Treppe fragte, wo Mr. Vimpany sei. Der Diener erwiderte:

»In dem Garten, Mylord!«

Seine Cigarre gemächlich rauchend, sah der Doktor seinen aufgeregten irischen Freund aus dem Hause hervorstürzen.

»Laufen Sie doch nicht so,« rief er ihm in seiner unverschämten guten Laune entgegen, »und verlieren Sie nicht gleich den Kopf. – Nun, wie steht's? Wollen Sie endlich meinen Vorschlag annehmen, um aus Ihren Verlegenheiten herauszukommen? – Ja oder nein?«

»Sie teuflischer Schurke – ja!«

»Mein bester Lord, ich gratulire Ihnen.«

»Wozu?«

»Daß Sie ein ebenso großer Schurke sind wie ich!«

Fünfzigstes Kapitel

Lord Harrys unwürdiger Vorschlag hatte einen Zustand bewußter Entfremdung zwischen Mann und Frau geschaffen.

Iris schloß sich in ihrem Zimmer ab. Ihr Gatte verbrachte die Stunden jedes Tages außerhalb des Hauses, zuweilen in der Gesellschaft des Doktors, zuweilen mit seinen Freunden in Paris. Seine Frau litt schwer unter der selbst auferlegten Trennung, zu welcher sie verwundeter Stolz und lebhafte Entrüstung veranlaßt hatten. Kein Freund war in ihrer Nähe, zu dessen teilnahmsvollem Rat sie hätte Zuflucht nehmen können. Selbst ihr Mädchen brachte der einsamen Frau kein Mitgefühl entgegen.

Fanny Mere, die einzig und allein die Wohlfahrt ihrer Herrin im Auge hatte, lebte der festen Ueberzeugung, daß es für Lady Harry besser und heilsamer sei, wenn sie und ihr Gatte in Zukunft getrennt leben würden. Je länger Mylord darauf bestand, den Doktor als Gast in seinem Hause zu behalten, um so gefahrbringender wurde für ihn die Gesellschaft dieses gewissenlosen Schurken, der fähig war, jeden zu verderben, der ihm etwa hinderlich im Wege stand, mochte es nun Mann oder Frau, eine hochgestellte oder eine gewöhnliche Person sein. So weit ein Mädchen in ihrer Lage sich die Freiheit nehmen durfte, that Fanny ihr Möglichstes, um die Kluft zwischen ihrer Herrin und ihrem Gatten zu erweitern.

Kräftigere Truppen als sie führte mittlerweile der Doktor ins Gefecht.

»Ihre reizende Frau,« erklärte er, »hat einen ganz unversöhnlichen Charakter. Ziehen Sie daraus auf kluge Weise Nutzen; sagen Sie, Sie würden keine lästigen Einwendungen dagegen erheben, wenn Ihre Frau eine Trennung auf gegenseitiges stillschweigendes Uebereinkommen wünsche. Verstehen Sie mich aber jetzt nicht falsch. Ich empfehle Ihnen nur die Art der Trennung, welche unserem Uebereinkommen günstig ist. Sie wissen so gut wie ich, daß Sie mit einem einzigen Pfiff Ihre Frau zurückrufen können –«

Lord Harry unterbrach den Doktor rauh:

»Das ist eine gemeine Ausdrucksweise!«

»Nennen Sie es, wie es Ihnen beliebt,« entgegnete der Doktor ruhig. »Wenn wir Lady Harry zu unserem großen Plan nötig haben, dann müssen Sie sie zurückrufen können. Inzwischen – ich bin ein sehr vorsichtiger und aufmerksamer Mann, wo es sich um Frauen dreht – handeln wir Mylady gegenüber doch nur sehr zartfühlend, wenn wir ihr die Entdeckung des – der – nun, wie soll ich nur unser zukünftiges Unternehmen nennen? – sagen wir einfach unseres kühnen Schelmenstückchens, ersparen, das Sie in der Achtung Ihrer Frau ganz und gar ruiniren könnte. Sehen Sie jetzt unsere Lage, wie sie wirklich ist? – Schön! Nun geben Sie mir aber die Flasche; lassen wir das Thema für heute ruhen.«

Der nächste Morgen brachte ein Ereignis, das den genialen Plan des Doktors, Iris von dem Schauplatz der Handlung zu entfernen, zunichte machte. Lord und Lady Harry begegneten sich zufällig auf der Treppe.

Da sie sich selbst mißtraute, wenn sie etwa wagen sollte, ihren Gatten anzusehen, wendete Iris die Augen von ihm weg. Lord Harry sah darin fälschlicherweise einen Ausdruck ihrer Verachtung. Zorn übermannte ihn und er beschloß, Mr. Vimpanys Rat sofort zu befolgen.

Er öffnete die Thür des Speisezimmers, das in diesem Augenblick gerade leer war, und sagte zu Iris, er wünsche mit ihr zu sprechen. Was ihm sein schurkischer Freund in Betreff der Trennung zu sagen geraten hatte, das wiederholte er jetzt mit einer abstoßenden Kälte, die weit davon entfernt war, der Ausdruck seiner wirklichen Gefühle zu sein. Das Vorgehen war schlecht, aber es erreichte seine Wirkung. Zum erstenmale richtete seine Frau wieder das Wort an ihn. »Ist das Deine wirkliche Meinung?« fragte sie.

Der Ton, in welchem sie diese Worte sprach, verriet in ergreifender Weise ihr schmerzliches Erstaunen; die süße Erinnerung an vergangene glückliche Tage in ihren Augen, die zitternde Angst, die sich in ihren halbgeöffneten, nach Atem ringenden Lippen kennzeichnete, rührte sein Herz, obgleich falscher und häßlicher Stolz dieses schöne Gefühl unterdrücken wollte. Er blieb still.

»Wenn Du unseres ehelichen Lebens müde bist,« fuhr sie fort, »so sage es, und laß uns von einander gehen. Ich werde von Dir scheiden ohne Bitten und ohne Vorwürfe. Welchen Schmerz ich auch empfinde, Du sollst es nicht bemerken.«

Ein flüchtiges Rot färbte vorübergehend ihre Wangen, dann wurden sie wieder so blaß wie vorher. Sie zitterte unter dem Bewußtsein der wiederkehrenden Liebe – der blinden Liebe, die sie auf so grausame Weise irre geführt hatte. In dem Augenblick, wo sie gerade Festigkeit so nötig hatte, sank ihr der Mut. Aber sie kämpfte tapfer gegen ihre Schwäche und fand sich auch wieder. Ruhig und sogar fest forderte sie von ihrem Gatten Erklärung.

»Soll Dein Schweigen bedeuten, daß es wirklich Dein Wunsch ist, ich soll Dich verlassen?« fragte Iris.

Kein Mann, der sie so zärtlich geliebt hatte wie ihr Gatte, konnte dieser rührenden Selbstbeherrschung widerstehen. Er antwortete seiner Frau, ohne ein Wort laut werden zu lassen – er streckte ihr beide Arme entgegen. Die verhängnisvolle Versöhnung wurde stillschweigend geschlossen.

Beim Mittagessen erwartete Mr. Vimpany ein überraschender Anblick; seine Lippen verzogen sich zu einem unverschämten, höhnischen Lächeln. Mylady erschien wieder auf ihrem Platz an der Mittagstafel. Zur gewöhnlichen Zeit ließ später Iris die beiden Herren beim Wein allein. Der leichtsinnige, sorglose irische Lord, erfreut über die Wiederversöhnung mit seiner Gattin, leerte in der heitersten Stimmung sein Glas. Des Doktors mephistophelische Heiterkeit, der seinen Freund verstand, zugleich aber auch verachtete, erging sich darauf in allerlei witzigen Erinnerungen an sein eigenes eheliches Leben.

»Wenn ich für jeden Streit zwischen Mrs. Vimpany und mir,« sagte er, »einen Sovereign hätte fordern können, so würde ich mich jetzt entschieden zu niedrig taxiren, wenn ich meinen Wert auf tausend Pfund angeben würde. Wie steht es denn mit Eurer Lordschaft in dieser Beziehung? Könnten wir ein Dutzend Streite in Ihrer Ehe bis jetzt annehmen?«

»Sagen Sie zwei Zwiste; es werden keine weiteren folgen!« antwortete sein Freund heiter.

»Keine weiteren folgen?« wiederholte der Doktor. »Meine Erfahrung sagt, daß noch genug kommen werden. Ich habe noch niemals in meinem ganzen Leben zwei Menschen gesehen, welche weniger darnach angethan sind, ein friedliches Eheleben zusammen zu führen, wie Sie und Mylady. Ha, ha, Sie lachen darüber? Es ist meine Gewohnheit, meine einmal geäußerte Meinung aufrecht zu erhalten. Ich wette ein Dutzend Flaschen Champagner, daß zwischen Ihnen und Ihrer Frau, bevor noch dieses Jahr vergangen ist, ein Streit ausbrechen wird, welcher Sie beide für immer trennt. Nehmen Sie die Wette an?«

»Angenommen!« rief Lord Harry. »Leeren wir ein volles Glas auf das Wohl meiner Frau, Vimpany! Sie soll das erste Glas von Ihrem Champagner auf das Verderben aller falschen Propheten trinken!«

Die Post brachte am nächsten Morgen zwei Briefe, von denen einer den Poststempel London trug und an Lady Harry Norland adressirt war. Er kam von Mrs. Vimpany und enthielt auch einige Zeilen, welche Hugh beigefügt hatte.

»Meine Kräfte kehren jetzt langsam zurück,« schrieb er. »Meine liebenswürdige und treue Pflegerin sagt, daß alle Gefahr der Ansteckung vorüber sei. Sie können nun wieder an Ihren alten Freund schreiben, wenn Lord Harry nichts dagegen hat, so harmlos wie in der glücklichen Vergangenheit. Meine schwache Hand fängt schon wieder an zu zittern. Wie glücklich ich sein werde, von Ihnen zu hören, brauche ich gar nicht ausdrücklich zu bemerken.«

In ihrer Freude über den Empfang dieser guten Nachrichten nahm Iris ohne weiteres an, ihr Gatte würde sie seinerseits ebenso freudig begrüßen. Sie bestand daher darauf, ihm den Brief vorzulesen. Kalt antwortete Lord Harry: »Es freut mich sehr, daß es Mr. Mountjoy wieder gut geht,« und vertiefte sich von neuem in seine Zeitung. War die unwürdige Eifersucht noch mächtig genug, ihn selbst in diesem Augenblick zu beherrschen? Seine Frau hatte sie vergessen, warum hatte er sie nicht auch vergessen?

 

Am nämlichen Tag beantwortete Iris Hughs Schreiben mit demselben Vertrauen und derselben Aufrichtigkeit wie in den vergangenen Tagen vor ihrer Heirat. Nachdem sie das Couvert geschlossen und adressirt hatte, fand sie, daß ihr kleiner Vorrat von Briefmarken erschöpft sei, und rief nach ihrem Mädchen. Mr. Vimpany ging gerade an der geöffneten Thür des Zimmers vorüber, als sie eine Briefmarke verlangte; er hörte, wie Fanny sagte, daß sie ihrer Herrin, nicht aushelfen könnte.

»Erlauben Sie, mich nützlich zu machen,« sagte der höfliche Doktor, entnahm seinem Notizbuch eine Briefmarke und klebte sie selbst auf das Couvert. Nachdem er darauf die Treppe hinuntergegangen war, konnte es Fanny nicht unterlassen, ihrem Mißtrauen gegen den Doktor wieder Ausdruck zu geben.

»Er wollte nur wissen, an wen Sie geschrieben haben,« sagte sie. »Ich werde Ihren Brief selbst auf die Post tragen, damit er auch sicher fortkommt,« und fünf Minuten später lag er im Briefkasten.

Inzwischen war Mr. Vimpany in den Garten gegangen und hatte den zweiten der Briefe gelesen, welche heute morgen gekommen waren. Der Brief war an ihn adressirt.

Als Fanny von dem Postamt zurückgekommen war, hatte sie Gelegenheit, ihn zu beobachten, während sie sich in dem Gewächshaus zu schaffen machte. Sie wollte die vertrockneten Blumen begießen, welche während der letzten unruhigen Tage in der Villa sehr vernachlässigt worden waren.

Nachdem der Doktor seinen Brief zum zweitenmale durchgelesen hatte, bemerkte er Fanny, schickte sie in das Haus und ließ Lord Harry um eine Unterredung bitten. Lord Harry kam in den Garten herunter, sah sich den Brief an, gab ihn wieder zurück und wendete sich ab. Der Doktor folgte ihm und sagte etwas, worauf Lord Harry zu widersprechen schien. Nichtsdestoweniger fuhr Mr. Vimpany zu sprechen fort und erreichte auch augenscheinlich seinen Zweck. Die beiden Herren studirten darauf eifrig den Eisenbahnfahrplan und eilten dann zusammen weg, um noch zur rechten Zeit den Zug nach Paris zu erreichen.

Fanny Mere kehrte in das Gewächshaus zurück und nahm ihre Beschäftigung bei den Pflanzen zerstreut wieder auf. Zu welchem gefährlichen Zweck hatte der Doktor das Haus verlassen, und warum hatte er diesmal den Lord mitgenommen?

Die Zeit war vorüber, wo Fanny es versuchen konnte, diese Frage dadurch zu beantworten, daß sie kühn den beiden Herren nach Paris folgte und dank ihrem dichten Schleier und ihrem Glück und dadurch, daß sie einen andern Wagen des Zuges wählte, einer Entdeckung entging. Obgleich ihre falsch beurteilte Einmischung in die häuslichen Angelegenheiten der Lady Harry ihr verziehen worden, hatte sie ihre Herrin doch nicht wieder rückhaltlos in ihr Vertrauen aufgenommen. Lady Harry hatte ihr zur Bedingung gemacht, daß sie sich jeder weiteren Meinungsäußerung über ihren Gatten enthalte und die Beschützung ihrer Herrin, wenn eine solche überhaupt notwendig war, demjenigen überlasse, dem sie allein zustand: Lord Harry.

»Ich erkenne dankbar Ihre freundlichen Absichten an,« hatte Iris mit ihrer gewohnten zarten Rücksichtnahme auf die Gefühle anderer gesagt, »aber ich wünsche von Ihnen niemals wieder über Mr. Vimpany zu hören und ebensowenig über den eigentümlichen Argwohn, der Sie zu beunruhigen scheint.«

Fanny blieb nichtsdestoweniger ihrer Herrin in der dankbarsten Weise ergeben; sie sah diesen Wechsel in dem Verhalten Myladys als eine der bedauernswürdigen Folgen ihrer Wiederversöhnung mit Lord Harry an und wartete ergeben auf die Zeit, die ihr kluges Mißtrauen gegen die beiden in der Wahl ihrer Mittel nicht sehr bedenklichen Herren rechtfertigen würde.

Auf diese Weise für jetzt zur Unthätigkeit verdammt, ging Lady Harrys Kammermädchen in dem Gewächshaus gereizt auf und ab und vergaß auch ihrerseits die Blumen. Durch die offene Thür an der Rückseite der Villa ließ die billige Uhr ihre rauhe, dünne Stimme ertönen, indem sie die Stunde anzeigte. »Ich möchte doch wissen,« sagte Fanny zu sich selbst, »ob diese beiden Elenden wieder den Weg in irgend ein Hospital eingeschlagen haben.«

Zufälligerweise traf ihre Vermutung das Richtige. Die Beiden traten um dieselbe Zeit wirklich in ein Hospital, das dem Doktor durch mehr als einen früheren Besuch wohlbekannt war. An der Thüre trafen sie mit einem französischen Arzt zusammen, der an der Anstalt angestellt war. Es war derselbe, welcher den Brief geschrieben hatte, den Mr. Vimpany heute morgen empfing.

Der Herr ging voraus und zeigte ihnen den Weg. Er führte die beiden Fremden in den Kreis der französischen Berühmtheiten, welche gerade bei einem interessanten Fall versammelt waren.

Mr. Vimpany hatte sich in der befriedigendsten Weise eingeführt. Er war ein Mitglied der Genossenschaft der englischen Aerzte; er war zugleich der Freund und Kollege des berühmten Vorsitzenden dieser Genossenschaft, welcher ihn an den leitenden Oberarzt des Hotel Dieu empfohlen hatte. Andere Empfehlungen an hervorragende Pariser Aerzte waren aus der einen hervorgegangen. Auf diese Vorteile gestützt, erklärte Mr. Vimpany, daß er die Entdeckung einer neuen Behandlungsweise von Lungenkranken gemacht habe. Da er in Paris seine ärztliche Bildung genossen, so fühle er sich auch in dankbarster Anerkennung veranlaßt, sich unter die Protektion der Fürsten der Wissenschaft zu stellen, welche in der glänzenden Hauptstadt Frankreichs wohnten. In diesem Hospitale habe er endlich nach vielen fruchtlosen Nachforschungen in ähnlichen Anstalten einen Patienten gefunden, der an der Form von Lungenschwindsucht darniederliege, die ihm den Fall gewähre, den er brauche. Es wäre unmöglich, daß er seinem neuen System gerecht werden könnte, wenn nicht die Umstände ganz ausnahmsweise günstig wären. Reine Luft, die besser sei als gewöhnlich die Luft einer großen Stadt, und die Annehmlichkeit eines Zimmers, das nicht von anderen Kranken geteilt würde, seien zwei für den Erfolg des Versuches ganz unerläßliche Bedingungen. Diese und andere Vorteile seien ihm nun durch seinen edlen Freund in hochherziger Weise zur Verfügung gestellt worden. Lord Harry Norland sei bereit, jede nähere Erklärung abzugeben, welche die gerade anwesenden Berühmtheiten zu fordern für nötig hielten. – Nach diesen einleitenden Erörterungen, die volle Billigung fanden, traten alle zusammen an das Bett des Kranken, der der Gegenstand des wissenschaftlichen Interesses des englischen Arztes war.

Der Patient hieß Oxbye. Von Geburt ein Däne, bekleidete er in seiner Heimat die Stellung eines Lehrers. Seine Kenntnis der englischen und französischen Sprache hatte ihm die Möglichkeit gewährt, nach Paris zu gehen, wo er Beschäftigung als Uebersetzer und Abschreiber fand. Während er sich auf diese Weise seinen kärglichen Lebensunterhalt verdiente, hatte ihn ein Lungenleiden auf das Krankenlager geworfen, welches ihn zwang, seine Zuflucht zu dem Hospital zu nehmen. Nachdem der französische Arzt, unter dessen Behandlung der Kranke sich befand, erklärt hatte, er habe seine bisherigen Beobachtungen in einem Schreiben an den englischen Kollegen niedergelegt, und nachdem er noch offen eingestanden, daß seine Behandlungsweise nicht die erwarteten Erfolge gehabt habe, wurde dem Dänen mitgeteilt, was Mr. Vimpany mit ihm beabsichtige, und die Frage an ihn gerichtet, ob er hier bleiben oder das Anerbieten von Mr. Vimpanys wohlthätigem Freund annehmen wolle.

Die glückliche Aussicht auf eine Veränderung und auf ein eigenes Zimmer, welche ihm die Aufnahme in das Haus des vornehmen Mannes gewährte, das überdies auch einen Garten hatte, in dem er spazieren gehen und sein Auge an dem Anblick der Blumen erfreuen konnte, sobald es ihm wieder besser ging, bestimmten Oxbye, das hochherzige Anerbieten sofort anzunehmen.