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Armadale

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Mitternacht. Endlich bin ich allein. Bin ich stark genug, die Geschichte dieses entsetzlichen Abends zu schreiben, wie sie sich begeben hat? Unter allen Umständen bin ich stark genug, ein neues Blatt umzuschlagen und den Versuch zu machen.

Ende des fünften Bandes

Sechster Band

Erstes Kapitel

»Wir gingen nach San-Carlo Selbst. in einer so einfachen Sache, wie das Besorgen einer Theaterloge, zeigte sich Armadales Einfalt. Er hatte die Oper mit dem Schauspiele verwechselt und eine Loge dicht an der Bühne genommen, im Wahne, daß bei einer musikalischen Ausführung die Hauptsache sei, die Sänger und Sängerinnen so nahe und deutlich wie möglich zu sehen! Zum Glücke für unsere Ohren sind Bellini’s liebliche Melodien größtentheils sanft und zart instrumentiert, sonst hätte uns das Orchester taub machen können.

Anfangs saß ich hinten in der Loge, dem Publikum ganz aus dem Gesicht; denn ich konnte nicht sicher sein, daß nicht zufällig einer meiner alten Bekannten von meinem frühem Aufenthalt hier im Theater war. Allmälig aber lockte mich die süße Musik aus meiner Zurückgezogenheit heraus. Ich war so entzückt und hingerissen, daß ich, ohne es zu wissen, mich verbeugte und auf die Bühne sah.

Eine Entdeckung, die ich machte und bei der mir buchstäblich das Blut in den Adern erstarrte, ließ mich erst meine Unvorsichtigkeit gewahr werden. Einer der Sänger im Chore der Druiden sah mich an, während er unter den andern sang. Langes weißes Haar verbarg seinen Kopf und ein wallender weißer Bart bedeckte, dem Charakter angemessen, den unteren Theil seines Gesichts vollkommen. Die Augen aber, die mich anblickten, waren die Augen des einen Mannes auf Erden, welche wiederzusehen ich mich am allermeisten fürchten mußte – Manuel’s.

Hätte ich nicht mein Riechfläschchen bei mir gehabt, so glaube ich, wäre ich ohnmächtig geworden. So zog ich mich wieder in den Schatten des Hintergrundes zurück. Selbst Armadale bemerkte die Veränderung, die mit mir vorgegangen war; er wie Mitwinter fragten, ob ich unwohl sei. Ich sagte, die Hitze sei mir lästig, ich hoffe indeß alsbald mich wieder besser zu fühlen, und suchte allen meinen Muth zusammenzunehmen. Es gelang mir auch, meiner so weit wieder mächtig zu werden, daß ich, ohne mich selbst zu zeigen, von neuem auf die Bühne sehen konnte, als der Chor wieder auftrat. Da war der Mann wieder. Jedoch zu meiner unsäglichen Erleichterung sah er nicht ein einziges Mal wieder nach unserer Loge. Diese willkommene Gleichgültigkeit von seiner Seite trug dazu bei, mir die Beruhigung zu geben, daß ich eine merkwürdige zufällige Aehnlichkeit, nichts mehr, gesehen hätte, und nach gelassener Erwägung des Ganzen blieb ich auch bei diesem Schlusse; allein mein Gemüth würde doch viel ruhiger sein, als es ist, wenn ich das Gesicht des Mannes ohne die Bühnenmummerei, welches jede genaue Untersuchung ausschloß, hätte vor mir haben können.

Als nach dem ersten Acte der Vorhang fiel, kam der albernen italienischen Mode gemäß ein langweiliges italienisches Ballett als Zwischenspiel an die Reihe. Obschon ich nach und nach den ersten Schrecken überwunden hatte, war meist Bestürzung doch zu ernster Natur gewesen, als daß ich mich im Theater hätte behaglich fühlen können. Ich sah schon alles mögliche Unglück mir bevorstehen, und als Midwinter und Armadale von neuem nach meinem Befinden fragten, sagte ich ihnen, ich fühle mich nicht wohl genug, um bis zum Schlusse der Vorstellung im Theater bleiben zu können.

Am Portale des Theaters wollte uns Armadale gute Nacht sagen, doch Midwinter, der sich offenbar vor einem allein mit mir zuzubringenden Abende fürchtete, bat ihn zum Nachtessen, wenn ich nichts dawider hätte. Ich sprach die nöthigen Höflichkeitsphrasen, und alle drei fuhren wir zusammen nach Hause.

Zehn Minuten einsamer Ruhe in meinem Zimmer zusammen mit etwas Eau de cologne und frischem Wasser stellten mich wieder her. Ich Folgte dann den Männern zu Tische. Sie nahmen meine Entschuldigungen, sie der Oper entführt zu haben, mit der galanten Versicherung aus, daß damit keiner von ihnen nur das mindeste Vergnügen, geopfert hätte. Midwinter erklärte, wie er zu vollständig erschöpft sei, um sich für etwas Anderes zu interessieren, als für die beiden großen Wohlthaten, welche das Theater nicht bieten könne, Ruhe und frische Luft. Armadale seinerseits sagte mit dem zur Verzweiflung bringenden Stolze der Engländer auf seine eigene Dummheit, wo es sich um Gegenstände der Kunst handelt, er habe aus der Vorstellung nicht klug werden können. Ich, setzte er gutmüthig genug hinzu, habe ja am meisten, entbehren müssen, denn ich verstehe fremde Musik und könne sie genießen, wie die Damen in der Regel. Seine »süße kleine Neelie —«

Nach dem Vorfall im Theater war ich nicht in der Stimmung, mich mit seiner »süßen Neelie« quälen zu lassen. War es der Zustand meiner Nerven oder stieg mir die Bau de Cologne zu Kopfe, die bloße Erwähnung des Mädchens brachte mich in Hitze. Ich suchte Armadales Aufmerksamkeit auf das Abendessen zu lenken; er antwortete sehr höflich, allein er hatte keinen Appetit mehr. Ich bot ihm Wein an, Landwein, denn andern vorzusetzen gestattet uns unsere Armuth nicht. Er dankte abermals. Der fremde Wein sei nicht viel mehr nach seinem Geschmack als die fremde Musik, mir zu Liebe wolle er indeß noch ein Glas trinken, und er that’s und trank meine Gesundheit nach altmodischer Männer, mit den besten Wünschen für die glückliche Zeit, wo wir alle wieder in Thorpe-Ambrose, zusammen sein würden und mich eine Herrin in seinem Hause willkommen heißen könne.

War er wahnsinnig, daß er in dieser Weise fortfuhr? Nein; sein Gesicht antwortete für ihn er lebte vielmehr in der Einbildung, daß er sich mir ganz besonders angenehm mache.

Ich sah Midwinter an. Hätte er seinerseits mich angeblickt, so hätte er vielleicht Grund gefunden, der Unterhaltung eine andere Wendung zu geben. Aber er saß schweigend in seinem Stuhle, reizbar und erschöpft, in stillen Gedanken und die Augen auf den Boden geheftet.

Ich stand auf und trat— ans Fenster. Noch immer, ohne daß ihm das Bewußtsein seines Ungeschicks und seiner Langweiligkeit aufdämmerte, folgte mir Armadale. Wäre ich stark genug gewesen, ihn zum Fenster hinaus ins Meer zu werfen, gewiß hätte ich’s in diesem Augenblicke gethan. Da ich dazu nicht stark genug war, sah ihn unverwandt nachdem jenseitigen Ufer der Bucht und gab ihm einen Wink, den derbsten und gröbsten, den man sich denken kann, daß er gehen möchte.

»Ein wunderlieblicher Abend zum Spazierengehen«, sagte ich, »wenn Sie Lust haben, zu Fuße in Ihr Hotel heimzukehren?«

Ich glaube kaum, daß er mich hörte. Jedenfalls machten meine Worte keinen Eindruck auf ihn. Er stand und starrte sentintental in den Mondschein hinaus und – ich finde wirklich kein anderes Wort dafür – blies einen Seufzer heraus. Ich ahnte, was kommen würde, wenn ich ihm nicht den Mund stopfte, dadurch daß ich zuerst wieder sprach.

»Bei aller Ihrer Vorliebe für England«, hob ich an, »müssen Sie doch zugeben, daß wir daheim solchen Mondschein nicht haben.«

Er sah mich geistesabwesend an und blies einen neuen Seufzer heraus.

»Ich mischte wissen, ob heute in England, so ein schöner Abend ist wie hier«, entgegnete er. »Ob wohl mein liebes kleines Mädchen zu Hause auch den Mondschein betrachtet und an mich denkt?«

Länger konnte ich’s nun nicht mehr aushalten. Ich fiel endlich über ihn her.

»Gott im Himmel, Mr. Armadale«, rief ich, »ist denn in der kleinen Welt »in welcher Sie leben, nur ein Gegenstand der Erwähnung werth? Ihrer Miß Milroy bin ich nachgerade herzlich satt. Bitte, sprechen Sie von etwas Anderem.«

Sein großes, breites, dummes Gesicht erröthete bis an die Wurzeln seines häßlichen gelben Haares.

»Verzeihen Sie«, stammelte er mit einer gewissen närrischen Verwunderung. »Ich konnte, nicht annehmen —« stockte er verwirrt und sah von mir zu Midwinter hinüber. Ich verstand, was der Blick sagen sollte. »Ich konnte nicht annehmen, daß sie auf Miß Milroy eifersüchtig ist, nachdem sie Dich geheirathet hat!« das würde er Midwinter gesagt haben, wenn ich die Beiden allein zusammen gelassen hätte.

Midwinter hatte uns gehört. Bevor ich von neuem das Wort nehmen, bevor Allan weiter sprechen konnte, beendete er den Satz seines Freundes in einem Tone, welchen ich jetzt zum ersten Male vernahm, und mit einem Blicke, den ich zum ersten Male an ihm gewahr wurde.

»Du konntest nicht annehmen, Allan«, sagte er, »daß eine Dame so leicht sich zu übler Stimmung reizen läßt.«

Das erste bittere, ironische Wort, der erste böse Blick der Verachtung, die mir von ihm zu Theil geworden sind! Und Armadale schuld daran!

Auf der Stelle schwand mein Zorn. Ein anderes Gefühl trat an seine Stelle, das mich im Augenblicke alle meine Kraft und Festigkeit wiedergewinnen und mich schweigend aus dem Zimmer gehen ließ.

Ich setzte mich allein in meinem Schlafzimmer hin und hatte ein paar Minuten lang meine stillen Gedanken, die ich selbst auf diesen geheimen Blättern nicht einmal in Worte fassen mag. Ich stand auf und schloß etwas auf – Niemand geht es an, was – dann ging ich an den Tisch neben Midwinter’s Bett und nahm etwas zur Hand – gleichgültig, was es war. Zuletzt, ehe ich das Zimmer wieder verließ, sah ich nach meiner Uhr. Es war halb elf, Armadale’s gewöhnliche Aufbruchszeit. Sofort fand ich mich wieder bei den beiden Männern ein.

Gutgelaunt trat ich zu Armadale heran und sagte zu ihm —

Nein, nach nochmaliger Ueberlegung will ich nicht niederschreiben, was ich ihm sagte oder was ich darauf vornahm. Ich werde über das, was im Laufe der nächsten Stunde, zwischen halb elf und. halb zwölf, geschah, hinweggehen und meine Geschichte erst von dem Augenblicke an wieder aufnehmen, wo uns Armadale verlassen hatte. Kann ich sagen, was zwischen mir und Midwinter stattfand, sobald uns unser Gast den Rücken gekehrt hatte? Warum in diesem Falle nicht über das Geschehene hinweggehen so gut wie in jenem? Warum mich durch Niederschreiben des Vorgefallenen aufregen? Ich weiß es nicht! Warum führe ich überhaupt ein Tagebuch? Warum sind wir nicht in Allem, was wir thun, vernünftig? Warum bin ich nicht jederzeit auf meiner Hut? Warum niemals mir selbst ungetreu wie der schlechte Charakter in einer Novelle? Warum? Warum? Warum?

 

Es ist mir einerlei, warum! Ich muß niederschreiben, was sich zwischen mir und Midwinter heute Abend begeben hat, weil ich muß. Das ist ein Grund, den Niemand erklären kann, ich selbst nicht.

Es war halb zwölf. Armadale war fort. Ich hatte meinen Morgenrock angezogen und war eben daran, mein Haar für die Nacht zu arrangiren, als ich durch ein Klopfen an der Thür überrascht wurde und Midwinter eintrat.

Er war zum Erschrecken blaß. Seine Augen sahen mich mit einer in ihnen lodernden fürchterlichen Verzweiflung an. Er antwortete nicht, als ich ihm meine Verwunderung ausdrückte, daß er so viel früher als gewöhnlich komme; selbst als ich ihn fragte, wollte er mir nicht einmal sagen, ob er unwohl sei. Gebieterisch nach dem Stuhle zeigend, auf welchem ich mich bei seinem Eintritte erhoben hatte, ersuchte er mich, wieder Platz zu nehmen, und fügte dann, nach einem Momente des Schweigens, die Worte hinzu: »Ich habe etwas Ernstes mit Dir zu besprechen.«

Ich dachte an dass, was ich gethan; nein, an das, was ich zu thun versucht hatte in jener Zwischenzeit zwischen halb elf und halb zwölf, die ich in meinem Tagebuche unerwähnt gelassen habe, und eine Todesangst, wie ich sie nie empfunden hatte, überkam mich. Ohne Midwinter anzureden und ohne ihn anzusehen, setzte ich mich, wie mir geboten war, wieder hin.

Er schritt einmal im Zimmer auf und ab und blieb dann bei mir stehen.

»Wenn Allan morgen kommt«, begann er, »und wenn Du ihn siehst —«

Seine Stimme bebte und er sagte nichts weiter. Ein entsetzlicher Kummer nagte an seinem Herzen, den er zu bemeistern suchte. Aber es gibt Zeiten, wo sein Wille eisern ist. Er machte einen neuen Gang durch das Zimmer und kämpfte den Schmerz nieder. Dann stellte er sich wieder zu mir hin.

»Wenn Allan morgen herkommt«, fuhr er fort, »so laß ihn in mein Zimmer kommen, falls er mich zu sprechen wünscht. Ich werde ihm sagen, daß es mir unmöglich ist, die Arbeit, welche ich gerade vorhabe, so rasch, wie ich gehofft, zu vollenden, und daß er sich deshalb? einrichten muß, ohne Beistand meinerseits sich eine Mannschaft für die Yacht zu verschaffen. Will er in seiner Enttäuschung seine Zuflucht zu Dir nehmen, so mache ihm keine Hoffnung, daß ich mich frei machen kann, auch wenn er wartet. Bestimme ihn, die erste beste Hilfe anzunehmen, die er von Fremden erlangen kann, und ohne weiteren Verzug an die Bemannung seines Schiffs zu gehen. Je mehr er Beschäftigung findet, die ihn von uns fern hält, und je weniger Du ihn zum Bleiben aufforderst, wenn er kommt, desto angenehmer wird es mir sein. Vergiß das nicht und vergiß auch die eine letzte Weisung nicht, welche ich Dir zu ertheilen habe. Wenn das Fahrzeug segelfertig ist und wenn Allan uns einladet, ihn auf der Fahrt zu begleiten, so ist es mein Wunsch, daß Du diese seine Einladung unbedingt ausschlägst. Er wird Dich zu einem andern Entschluß zu bringen suchen, denn natürlich werde ich meinerseits ablehnen, Dich in diesem fremden Hause und in diesem fremden Lande allein zu lassen. Einerlei, was er erwidert, laß Dich durch nichts von Deinem Entschlusse abwendig machen. Lehne es positiv und endgültig ab! Weigere Dich, ich bestehe darauf, den Fuß auf die neue Yacht zu setzen!«

Er schloß ruhig und fest, ohne Beben seiner Stimme und ohne Zeichen von Zaudern oder Nachgeben in seinen Zügen. Das Gefühl der Befremdung, das ich sonst wohl bei den wunderlichen Worten empfunden hätte, die er an mich gerichtet, ging in dem Gefühle der Erleichterung auf, welche sie mit gegeben hatten. Die Angst vor jenen andern Worten, die ich von ihm zu hören erwartete, schwand so plötzlich, wie sie gekommen war. Ich konnte ihn wieder ansehen, konnte wieder zu ihm sprechen.

»Du kannst Dich darauf verlassen«, antwortete ich, »daß ich genau thun werde, was Du mir vorschreibst. Muß ich Dir aber blind gehorchen, oder darf ich den Grund der außerordentlichen Weisungen erfahren, die Du mir ertheilt hast?«

Sein Gesicht umdüsterte sich und er setzte sich an der andern Seite; meines Toilettentisches mit einem schweren Seufzer nieder.

»Du sollst den Grund erfahren«, sagte er, »wenn Du es wünschest.« Er hielt einen Augenblick inne und sann nach; »Du hast ein Recht, den Grund zu vernehmen«, begann, er wieder, »denn Du selbst kommst dabei ins Spiel.« Er hielt abermals inne und fuhr dann fort: »Ich kann Dir die seltsame Bitte, die ich so eben ausgesprochen habe, nur in einer Weise erklären«, sprach er traurig; ich muß Dich an das, erinnern, was da drüben im Nebenzimmer geschah, ehe uns Allan verließ.«

Er sah mich mit einem eigenthümlichen Ausdrucke an. Anfangs kam mir’s vor, als bedauere er mich. Dann schien mir’s Grausen zu sein, was ich ihm einflößte. Von neuem begann ich mich zu ängstigen, während ich schweigend seine nächsten Worte erwartete.

»Ich weiß, daß ich in der letzter Zeit zu angestrengt gearbeitet habe«, sprach er weiter, »und daß meine Nerven in trauriger Abspannung sind. In dem Zustande, in dem ich mich befinde, kann ich das Geschehene unbewußt leicht falsch verstanden oder nicht recht beobachtet haben. Du wirst mir darum einen Gefallen erzeigen, wenn Du mein Gedächtniß durch das Deinige unterstützen und auffrischen willst. Hat meine Phantasie etwas übertrieben, läßt mich mein Gedächtniß irgendwie im Stiche, dann wirft Du mir es sagen und meiner Erzählung Einhalt thun.«

Ich beherrschte mich so weit, um zu fragen, welche Umstände er meine und inwiefern ich dabei ins Spiel komme.

»Folgendermaßen berührt Dich die Sache«, antwortete er. »Die Umstände, auf welche ich mich beziehe, begannen, als Du, wie mir dünkte, in sehr unüberlegter und sehr ungeduldiger Weise zu Allan von Miß Milroy sprachst. Wie ich fürchte, drückte ich mich meinerseits ebenso heftig aus, und ich bitte, verzeihe mir, was ich in der Aufregung des Moments Dir sagte. Du gingst aus dem Zimmer. Nach kurzer Abwesenheit kamst Du wieder und machtest Allan Deine ganz und gar schicklichen Entschuldigungen wegen Deines Benehmens, die er mit gewohnter Güte und Sanftmuth aufnahm. Während dies vorging, standest Du und Allan am Eßtische und der letztere kam wieder auf den neapolitanischen Wein zu sprechen, von welchem Ihr Euch schon vorher unterhalten hattet. Mit der Zeit, sagte er, würde er ihn trinken lernen, und bat noch um ein Glas von dem Weine, der auf dem Tische stand. Ist es soweit richtig?«

Die Worte erstarben mir fast aus den Lippen, aber ich zwang sie heraus und erwiderte ihm, daß bis dahin Alles richtig sei.

»Du nahmst Allan die Flasche aus der Hand«, fuhr er fort, »und sagtest ihm freundlich: »Ich weiß, daß Sie eigentlich den Wein nicht mögen, Mr. Armadale. Lassen Sie mich Ihnen etwas zurecht machen, was vielleicht mehr nach Ihrem Geschmacke ist. Ich habe ein ganz besonderes Recept zu Limonade. Darf ich es für Sie versuchen?« Genau in diesen Worten machtest Du ihm Deinen Vorschlag und er nahm ihn an. Bat er Dich nicht auch um Erlaubniß, zusehen zu dürfen, um zu lernen, wie die Limonade bereitet würde? Und sagtest Du ihm nicht, daß dies Dich genierte und daß Du ihm lieber das Recept abschreiben wolltest, wenn er es gern haben wolle?«

Diesmal fand ich wirklich keine Worte. Ich konnte nur mit dem Kopfe nicken. Midwinter sprach weiter.

»Allan lachte und. trat an das Fenster, um auf den Golf hinauszublicken, Ich ging mit ihm. Nach einer Weile warf er scherzend hin, der bloße Ton der Flüssigkeiten, welche Du ausgössest, mache ihn durstig. Bei diesen Worten wandte ich mich vom Fenster und kam zu Dir heran. »Die Limonade braucht lange Zeit«, sagte ich. Als ich wieder dem Fenster zuschreiten wollte, hieltest Du mich am Arme fest und reichtest mir das bis zum Rande gefüllte Kelchglas. Im selben Augenblicke verließ Allan seinen Platz am Fenster und ich gab ihm das Glas. Ist das vielleicht nicht richtig?«

Das ungestüme Klopfen meines Herzens erstickte mich beinahe. Ich konnte nur. mit dem Kopfe schütteln – mehr war ich nicht im Stande.

»Ich sah, wie Allan das Glas an seinen Mund setzte. Sahst Du es auch? Den Augenblick darauf sah ich, wie er erbleichte. Bemerktest Du es auch? Ich sah, wie ihm das Glas aus der Hand fiel, sah, wie er wankte, und fing ihn in meinen Armen auf, ehe er zu Boden« stürzte. Ist das Alles wahr? Um Gotteswillen strenge Dein Gedächtniß an und sage mir: ist das Alles wahr?«

Das Klopfen meines Herzens schien einen Augenblick nachzulassen. Im nächsten Moment durchzuckte mich’s wie Feuer, als sollte ich wahnsinnig werden. Ohne an die Folgen zu denken, sprang ich wüthend auf, verzweifelt genug, um etwas zu sagen.

»Deine Fragen sind Beleidigung! Deine Blicke sind Beleidigung!« brach ich los. »Denkst Du, ich hätte ihn vergiften wollen?«

Unwillkürlich kamen mir die Worte über die Lippen. »Es waren Worte, die ein Weib in meiner Lage am allerletzten hätte sprechen sollen. Und dennoch sprach ich sie!

Erschrocken stand er aus und gab mir ein Riechfläschchen. »Pst, Pst!« sagte er. »Auch Du bist abgespannt, auch Du nervös von Allem, was heute Abend passirt ist. Du sprichst toll und entsetzlich. Guter Gott! Ist’s denn möglich, daß Du mich so ganz und gar mißverstanden hast? Fasse Dich, bitte, fasse Dich!«

Er hätte ebenso gut einem wilden Thiere sagen können, daß es sich fassen solle. War ich toll genug, jene Worte zu sprechen, so war ich nicht minder toll genug, auf das Thema von der Limonade zurückzukommen, trotz seiner flehentlichen Bitten, still zu sein.

»Ich habe Dir gesagt, was ich in das Glas that im Augenblicke, als Mr. Armadale ohnmächtig wurde«, fuhr ich fort, erpicht darauf, mich vertheidigen zu wollen, wo Niemand mich angriff. »Ich habe Dir gesagt, daß ich die Flasche Branntwein nahm, die an Deinem Bette steht, und etwas daraus in die Limonade goß. Wie habe ich wissen können, daß er einen nervösen Widerwillen vor Geruch und Geschmack von Branntwein hat? Sagte er mir nicht selbst, als er wieder zu sich kam: »Ich bin schuld daran; ich hätte Sie warnen sollen, Branntwein dazu zu nehmen«? Hat er Dich nicht selbst an die Zeit erinnert, wo er mit Dir auf der Insel Man war und der Doctor in seiner Unschuld ganz denselben Mißgriff machte, den ich heute Abend beging?«

Ich legte einen großen Nachdruck auf meine Unschuld und auch mit einigem Rechte. Wie ich auch sonst sein mag, ich darf mich rühmen, keine Heuchlerin zu sein. Soweit Branntwein in Frage kommt, war ich unschuldig Ich hatte ihn in die Limonade gethan, in reiner Unkenntniß von Armadale’s seltsamer Idiosynkrasie, um den Geschmack von etwas Anderem zu maskieren! Worauf ich mir außerdem etwas einbilde, das ist, daß ich nie von meinem Ziele abschweife.

Midwinter sah mich einen Augenblick an, als dächte er, ich sei nicht mehr bei Sinnen. Dann kam er zu mir herüber und beugte sich über mich.

»Kann Dich nicht beruhigen, daß Du meine Motive ganz falsch auslegst«, sagte er, »und daß mir nicht einfällt, Dir in der Sache Vorwürfe zu machen, so lies das da!«

Er zog ein Papier aus der Brusttasche seines Rocks und entfaltete es vor meinen Augen. Es war die Erzählung von Armadale’s Traum.

Augenblicklich war mir die ganze Last von der Brust genommen. Ich fühlte mich wieder Herrin meiner selbst und verstand ihn endlich.

»Weißt Du, was das ist?« fragte er. »Entsinnst Du Dich noch dessen, was ich Dir in Thorpe-Ambrose über Allan’s Traum gesagt habe? Ich sagte Dir damals, daß zwei der drei Visionen sich bereits erfüllt hätten. Jetzt sage ich Dir, daß in diesem Hause heute Abend auch die dritte Vision in Erfüllung gegangen ist.«

Er schlug die Blätter des Manuscripts um und wies auf die Zeilen, welche ich lesen sollte.

Ich las die folgenden oder mindestens annähernd die folgenden Worte, wie sie Midwinter aus Allan’s Munde vernommen und niedergeschrieben hatte:

»Zum dritten Male that sich die Finsterniß auf und zeigte mir den Schatten des Mannes und den Schatten des Weibes bei einander. Der erstere war der vorderste, das Weib stand im Hintergrunde. Von der Stelle, wo er stand, kam ein Ton, gleich dem leisen Ausgießen einer Flüssigkeit. Ich sah, wie der Schatten den des Mannes mit einer Hand berührte und ihm mit der andern ein Glas reichte. Er nahm das Glas und gab es mir. Im Augenblicke, wo ich es an die Lippen setzen wollte, überkam mich eine tiefe Ohnmacht. Als ich wieder zu mir kam, waren die Schatten verschwunden und das Traumgesicht zerronnen.«

 

Für den Moment war ich von dem wunderbaren Zusammentreffen so bestürzt wie Midwinter selbst.

Er legte die eine Hand auf das offene Manuscript und faßte mich mit der andern fest am Arme.

»Jetzt verstehst Du, warum ich zu Dir gekommen bin?« fragte er. »Jetzt weißt Du, daß die letzte Hoffnung, an welche ich mich anklammerte, die Hoffnung war, Deine Erinnerung der Ereignisse dieses Abends möchte mein Gedächtniß Lügen strafen? Jetzt weißt Du, weshalb ich Allan nicht behilflich sein will, warum ich nicht mit ihm in See gehen mag, warum ich lüge und complotire und Dich zu Lügen und Complots anstifte, um meinen liebsten und besten Freund von unserm Hause fern zu halten?«

»Hast Du Mr. Brocks Brief vergessen P« fragte ich.

Er schlug leidenschaftlich auf das offene Manuscript. »Hätte Mr. Brock erlebt, was wir heute Abend gesehen haben, er würde auch empfinden, was ich empfinde, würde sagen, was ich sage!« Seine Stimme sank zu einem geheimnißvollen Flüstern herab und seine großen schwarzen Augen funkelten, als er diese Antwort gegeben hatte. »Dreimal warnten die Schatten Allan in seinem Traume und dreimal haben nachher die Schatten in Dir und in mir Körper gewonnen«, fuhr er fort. »Du und Niemand anders stand an des Weibes Stelle am Teiche. Ich und kein Anderer war an Stelle des Mannes am Fenster. Und Du und ich zusammen standen wieder an der Beiden Stelle, welche die letzte Vision des Traums gezeigt hatte. Zu dem Zwecke ist der jammervolle Tag heraufgedämmert, wo wir uns beide zuerst erblickt haben. Zu dem Zwecke hat mich der Einfluß zu Dir gezogen, als mich mein Schutzengel vor Dir warnte und mich Deinen Anblick fliehen hieß. Auf unser beider Leben ruht ein Fluch! An unsere Fußtapfen heftet sich das Verhängniß! Allan’s ganze Zukunft hängt davon ab, daß er sofort und für immer von uns scheidet. Treibe ihn hinweg von der Stätte, wo wir wohnen, und aus der Luft, welche wir athmen. Jage ihn zu Fremden; die Schlechtesten und Gottlosesten unter ihnen werden ihm minder zum Unheile gereichen als wir! Laß seine Yacht ohne uns segeln, und wenn er uns auf seinen Knieen anfleht, ihn zu begleiten, und sage ihm, wie ich ihn in einer andern Welt lieben will, wo die Bösen aufhören, Uebles zu thun, und die Müden Ruhe finden!«

Sein Schmerz übermannte ihn, seine Stimme ward zu einem Schluchzen, als er diese letzten Worte sprach. Er nahm die Erzählung des Traums vom Tische und verließ mich so jählings, wie er hereingekommen war.

Als ich ihn die Thür schließen hörte, die ihn von mir schied, dachte ich an das zurück, was er mir über mich selbst gesagt hatte. Ueber dem Gedanken an den jammervollen Tag, wo wir uns zuerst gesehen hätten, und an den Schutzengel, der ihn vor mir gewarnt, vergaß ich alles Andere. Was ich empfand, ist gleichgültig. Ich würde es nicht gestehen, selbst wenn ich es der treuesten Freundin anvertrauen könnte. Wer fragt nach dem Elend eines Weibes, wie ich, bin? Wer glaubt daran? Ohnedies sprach er unter dem Einfluß des wahnsinnigen Aberglaubens, welcher ihn ganz in Beschlag genommen hat. Für ihn gibt es alle mögliche Entschuldigungen, für mich gibt es keine. Ich kann mir nicht helfen, ich muß ihm gut sein trotz alledem, ich muß die Folgen auf mich nehmen und darunter leiden. Es geschieht mir recht, daß ich leide, ich verdiene Niemandes Liebe und Mitleid. Gott im Himmel, wie thöricht ich bin! Und wie unnatürlich das Alles erscheinen würde, stände es in einem Romane geschrieben!

Es hat eins geschlagen. Noch immer geht Midwinter ruhelos in seinem Zimmer auf und nieder.

Wahrscheinlich ist er in Gedanken versunken. Nun, ich bin auch in Gedanken. Was soll ich zunächst nun beginnen? Ich werde warten und zusehen. Manchmal passieren seltsame Dinge, und die Ereignisse rechtfertigen vielleicht den lieben Mann im nächsten Zimmer, der den Tag verflucht, wo er mich zuerst erblickte. Vielleicht verflucht er ihn noch aus ganz andern Gründen, als er es jetzt thut. Bin ich das Weib, das der Traum bezeichnet, so wird mir in kurzem eine andere Versuchung entgegentreten, und dann wird kein Branntwein in Armadales Limonade sein, wenn ich sie ihm zum zweiten Male mische.

Den 24. October. Erst zwölf Stunden sind verflossen, seit ich das letzte Wort in mein Tagebuch eintrug, und schon ist jene andere Versuchung gekommen und hat mich überwunden.

Diesmal hatte ich keine Alternative. Sofortige Bloßstellung und augenblicklicher Untergang starrten mir in das Gesicht, ich hatte keine Wahl, ich mußte nachgeben, wollte ich mich selbst schützen. In noch deutlichem Worten, es war keine zufällige Aehnlichkeit, welche mich gestern Abend im Theater erschreckte. Der Opernchorsänger war Manuel selbst!

Kaum hatte Midwinter zehn Minuten unser Wohnzimmer verlassen, um sich in seinem Kabinet an die Arbeit zu begeben, als unsere Hausfrau mit einem schmutzigen dreieckigen Billet in der Hand erschien. Ein Blick auf die Handschrift der Adresse sagte mir genug. Er hatte mich in der Loge erkannt und das Ballet im Zwischenacte ihm Zeit gelassen, meiner Spur nach Hause zu folgen. Soviel war mir klar, noch ehe ich den Brief erbrochen hatte. In zwei Zeilen zeigte er mir an, daß er in einer zum Golf hinabführenden Seitengasse warte und daß, wenn ich nicht binnen zehn Minuten bei ihm erscheine, er dies als eine Aufforderung auslegen werde, mich in meiner Wohnung aufzusuchen.

Die Begebnisse des gestrigen Tages müssen mich wohl gestählt haben. Jedenfalls dachte und empfand ich nach der Lection des Briefes mehr wie das Weib, welches ich einst gewesen, als ich seit Monaten gedacht und empfunden habe. Ich setzte meinen Hut auf, ging die Treppe hinab und zum Hause hinaus, als sei nichts vorgefallen.

Am Eingange des Gäßchens wartete er auf mich. Im Augenblicke da wir uns von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden, trat mir mein ganzes elendes früheres Leben wieder vor die Seele. Ich dachte an mein Vertrauen, das er getäuscht, ich dachte an die grausame Trauungskomödie, die er mir gespielt hatte, ich dachte an die Zeit, wo ich in Verzweiflung mir das Leben zu nehmen suchte, weil er mich, verlassen. Als ich mir alles dies ins Gedächtniß zurückrief und unwillkürlich Midwinter mit dem gemeinen, elenden Schurken vergleichen mußte, an den ich einst geglaubt hatte, da wußte ich zum ersten Male, was ein Weib empfindet, welches auch den letzten Schatten von Selbstachtung verloren hat. Hätte er mich in dem Momente insultirt, ich glaube, ich hätte mir’s gefallen lassen.

Doch es fiel ihm nicht ein, mich zu insultiren, wenigstens nicht in dem rein brutalen Sinne des Wortes. Ich war ihm auf Gnade und Ungnade anheimgegeben, und um mich das fühlen zu lassen, nahm er schlau die Maske der Reue und Hochachtung vor. Ich ließ ihn nach Lust und Neigung sprechen, ohne ihn zu unterbrechen, ohne ihn nur noch einmal anzusehen, ohne daß nur mein Kleid ihn streifen durfte, während wir neben einander einer stilleren Srelle des Strandes zuwandelten. Die elende Beschaffenheit seiner Garderobe und das gierige Funkeln seiner Augen, als ich den ersten Blick auf ihn richtete, waren mir nicht entgangen, und ich wußte, es würde, wie es auch geschah, auf eine Bitte um Geld hinauslaufen.

Ja! Nachdem er mir dereinst den letzten Heller, den ich selbst besaß, und den letzten Heller, welchen ich von meiner alten Herrin erpressen konnte, abgenommen hatte, fragte er mich, während wir jetzt zusammen an der See standen, ob ich es mit meinem Gewissen vereinbaren könnte, daß er solch einen Rock trüge, wie er ihn anhätte, und als Chorsänger sich seinen jämmerlichen Lebensunterhalt verdienen müßte!

Mein Abscheu mehr als meine Empörung veranlaßte mich endlich zum Sprechen.