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Armadale

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Ich will meinen Brief beiseite legen und einen Blick in mein Tagebuch werfen. Mit deutlichem Worten, ich muß erft sehen, was ich riskire, wenn ich Dir traue, und mein Tagebuch wird mich lehren, was ohne Hilfe zu berechnen mein Kopf zu müde ist. In letzter Zeit habe ich die Geschichte meiner Tage (und zuweilen meiner Nächte) weit regelmäßiger als gewöhnlich niedergeschrieben, da ich unter gegenwärtigen Verhältnissen meine Gründe zu besonderer Vorsicht habe. Thue ich schließlich, was ich jetzt zu thun im Sinne habe, so wäre es Wahnsinn, wollte ich mich nur auf mein Gedächtniß verlassen. Das leiseste Vergessen des unbedeutendsten Ereignisses, das sich seit dem Abend meiner Unterredung mit Midwinter bis zu diesem Augenblicke zugetragem dürfte mein völliges Verderben herbeiführen.

»Ihr völliges Verderben!« wirst Du sagen. »Was für ein Verderben kann sie meinen?«

Warte ein wenig, bis ich mein Tagebuch befragt habe, ob ich es Dir mit Sicherheit sagen darf.«

Achtes Kapitel

»Den 21. Juli. Montag Abend elf Uhr.

So eben hat er mich verlassen. Auf meinen Wunsch schieden wir an dem Pfade, der aus dem Gebüsch führt, worauf er seinen Weg nach dem Hotel und ich den meinigen nach meiner Wohnung einschlug.

Einer zweiten Zusammenkunft mit ihm bin ich ausgewichen, indem ich ihm morgen früh zu schreiben versprach. So habe ich die Nacht, mich wieder zu sammeln und, wenn es möglich, meinen Geist zu meinen eigenen Angelegenheiten zurückzuführen. Ich sage, wenn es möglich, denn mir ist’s, als hätte seine Geschichte sich meiner bemächtigt, um mich nie wieder loszulaffen. Wird die Nacht vergehen und der Morgen mich noch immer mit dem Gedanken an den Brief beschäftigt finden, der ihm vom Sterbelager seines Vaters zugesandt wurde, an die Nacht, die er am Bord des Wracks durchwachte und vor allem an den ersten spannungsvollen Augenblick, wo er mir seinen wahren Namen mittheilte?

Könnte ich diese Eindrücke wohl abschütteln, wenn ich sie niederzuschreiben versuchte? So würde ich wenigstens nichts Wichtiges vergessen. Jedenfalls ist es der Mühe werth, es zu versuchen. In meiner gegenwärtigen Lage muß mein Gemüth frei genug sein, um sich mit andern Dingen beschäftigen zu können, sonst werde ich mich nimmermehr durch all die Schwierigkeiten hindurchwinden, die mir in Thorpe-Ambrose noch bevorstehen.

Laß sehen. Was verfolgt mich also?

Die Namen verfolgen mich. Fortwährend sage ich mir: Beide dieselben! Taufnamen und Familiennamen, beide dieselben! Ein blonder Allan Armadale, von dem ich längst gewußt habe und der der Sohn meiner ehemaligen Herrin ist. Ein brünetter Allan Armadale von welchem ich erst jetzt erfahre und der Andern nur unter dem Namen Ozias Midwinter bekannt ist. Und noch seltsamer – nicht die Verwandtschaft, kein Zufall ist es, der sie zu Namensvettern gemacht hat Der Vater des blonden Armadale war der Mann, dem der Familienname durch die Geburt zufiel und der des Familienerbes verlustig ging. Der Vater des brünetten Armadale war der Mann, der den Namen annahm und zwar unter der Bedingung, dadurch das Erbe zu erhalten, und der es erhielt.

Es sind also ihrer zwei – ich kann mich des Gedankens nicht erwehren – und beide unverheirathet. Der blonde Armadale, der dem Weibe, das sich seiner versichern kann, solange er lebt, ein Vermögen von achttausendspPfund jährlicher Renten bietet, der seiner Gattin bei seinem Ableben zwölfhundert Pfund Jahresrenten hinterläßt, der mich aus diesen beiden goldenen Gründen heirathen muß und soll und den ich hasse und verabscheue, wie ich noch nie einen Mann gehaßt und verabscheut habe. Und der schwarze Armadale, der ein armseliges kleines Einkommen hat, welches vielleicht gerade hinreicht, die Putzmacherrechnungen seiner Frau zu bezahlen, vorausgesetzt, daß diese sparsam wäre, der so eben in der Ueberzeugung von mir gegangen ist, daß ich ihn heirathen will, und den ich – nun, den ich einst, ehe ich das Weib war, das ich jetzt geworden bin, vielleicht hätte lieben können.

Und Allan, der Blonde, weiß nicht, daß er einen Namensvetter hat! Allan, der Schmarze, hat das Geheimniß vor allen bewahrt, mich und den Pfarrer in Sommersetshire ausgenommen, auf dessen Verschwiegenheit er sich verlassen kann.

Es gibt zwei Allan Armadale – zwei Allan Armadale – zwei Allan Armadale! So! Drei ist eine glückliche Zahl. Danach verfolge mich noch, wenn Du kannst!

Was kommt dann? Der Mord auf dem Holzschiffe? Nein, der Mord ist ein guter Grund, weshalb der schwarze Armadale, dessen Vater denselben beging, das Geheimniß vor dem blonden Armadale bewahren sollte, dessen Vater getödtet ward; aber das geht mich nichts an. Ich erinnere mich, wie damals auf Madeira ein Argwohn rege war, daß etwas nicht in Ordnung sei. War es Unrecht? War dem um seine Frau betrognen Mann ein Vorwurf zu machen, wenn er die Kajütenthür schloß und den Mann, der ihn hintergangen, auf dem Wrack ertrinken ließ? Ja, denn die Frau war dessen nicht würdig.

Was geht mich nun wirklich selbst an?

Eines sehr wichtigen Umstandes bin ich. gewiß. Ich weiß bestimmt, daß Midwinter – ich muß ihm nach wie vor seinen häßlichen falschen Namen geben, sonst verwechsele ich noch die beiden Armadales mit einander – ich weiß bestimmt, daß Midwinter keine Ahnung hat, daß ich und der kleine zwölfjährige Kobold, der Mrs. Armadale zu Madeira bediente und die Briefe abschrieb, die angeblich aus Westindien anlangten, eine und dieselbe Person sind. Es wird nicht viele zwölfjährige Mädchen geben, welche die Handschrift eines Mannes nachahmen und dann darüber hätten schweigen können, wie ich es that; doch das ist jetzt von keinem Belang. Von Belang aber ist, daß Midwinter’s Glaube an den Traum sein einziger Grund ist, warum er, mich mit Armadale’s Aeltern in Beziehung glaubend, mich mit Allan Armadale selbst in Verbindung zu bringen sucht. Ich fragte ihn, ob er mich wirklich für alt genug halte, eins von beiden gekannt zu haben. Und der arme Junge sagte so verdutzt wie nur möglich nein. Würde er wohl nein sagen, wenn er mich in diesem Augenblicke sähe? Soll ich an den Spiegel treten und mich überzeugen, ob ich wirklich wie fünfunddreißig Jahre alt aussehe, oder soll ich weiter schreiben? Ich will weiter schreiben.

Eins verfolgt mich fast ebenso hartnäckig wie die Namen.«

Ob ich wohl recht thue, wenn ich auf Midwinter’s Aberglauben baue (wie ich dies thue), daß dieser mir behülflich sein wird) mich gegen seine Zudringlichkeiten zu schützen? Nachdem ich mich durch die Aufregung des Augenblicks dazu habe verleiten lassen, mehr zu sagen, als ich zu sagen brauchte, wird er mich ganz sicher zu drängen suchen; ganz sicher wird er mit der verhaßten Selbstsucht und Ungeduld der Männer in solchen Dingen auf die Heirathsfrage zurückkommen. Wird der Traum mir behilflich sein, ihn abzuwehren? Nachdem er abwechselnd an denselben geglaubt und nicht geglaubt hat, ist er, seinem eigenen Bekenntnisse nach, jetzt wieder so weit, daß er daran glaubt. Darf ich sagen, daß ich ebenfalls daran glaube? Ich habe für diesen Glauben bessere Gründe, als er ahnt. Nicht nur bin ich dieselbe Person, welche Mrs. Armadale’s Heirath beförderte, indem sie ihr ihren Vater hintergehen half, ich bin die Person, die sich ertränken wollte, die Person, die die Reihe von Unfällen eröffnete, welche dem jungen Armadale zum Besitze des Vermögens verhalfen, die Person, die nach Thorpe-Ambrose kam, um ihn um seines Vermögens willen zu heirathen, und, was noch erstaunlicher ist, die Person, die an der Stelle des Schattens am Teiche stand! Dies mögen Zufälle sein, aber es sind sehr seltsame Zufälle. Ich fange wahrlich an mir einzubilden, daß ich ebenfalls an den Traum glaube!

Gesetzt, ich sage zu ihm: Ich theile Ihren Glauben. Ich sage dasselbe, was Sie in Ihrem Briefe an mich sagen; scheiden wir, ehe ein Unglück geschieht. Verlassen Sie mich, ehe die dritte Vision des Traums sich verwirklicht. Verlassen Sie mich und legen Sie Meere und Berge zwischen sich und den Mann, der Ihren Namen trägt!

Gesetzt, auf der andern Seite, daß seine Liebe ihn gegen alles Andere gleichgültig macht, gesetzt, er wiederholt jene verzweiselten Worte, die ich mir jetzt erklären kann: »Was sein soll, wird sein. Was habe ich damit zu schaffen, und was sie?« Gesetzt – gesetzt —

Ich will nicht weiter schreiben. Mir ist das Schreiben widerwärtig. Es gewährt mir keine Erleichterung, im Gegentheih ich kann viel weniger an das denken, woran ich denken muß, als in dem Augenblicke, da ich mich zum Schreiben niedersetzte. Es ist nach Mitternacht, bereits tagt es, und da sitze ich als das dümmste Frauenzimmer von der Welt! Mein Bett ist der einzige passende Ort für mich.

Mein Bett! Wenn es vor zehn Jahren wäre, anstatt heute, und wenn ich Midwinter aus Liebe geheirathet hätte, so würde ich jetzt vielleicht mit keiner andern Sorge auf der Seele mein Nachtlager aufsuchen, als einen leisen Besuch in der Kinderstube abzustatten, um mich zu überzeugen, ob die Kleinen ruhig in ihren Bettchen schliefen. Ob ich nur meine Kinder würde geliebt haben, wenn ich je welche gehabt hätte? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Einerlei.

Dienstag Morgen zehn Uhr. Wer war der Mann, der das Laudanum erfand? Wer er immer sei, ich danke ihm von ganzem Herzen. Wenn alle die Elenden, die an Leib und Seele leiden und deren Tröster er gewesen, sich vereinigen könnten, um sein Lob zu singen, welch einen Chor das geben würde! Ich habe sechs köstliche Stunden der Vergessenheit genossen und mit beruhigtem Gemüthe bin ich erwacht, ich habe einen ganz kleinen Brief an Midwinter geschrieben, ich habe meine vortreffliche Tasse Thee mit wahrem Behagen getrunken, ich habe mit einem köstlichen Gefühle der Erleichterung meine Morgentoilette gemacht und alles dies durch das bescheidene kleine Fläschchen, das ich in diesem Augenblicke auf dem Kaminsimse meines Schlafzimmers sehe. Tropfen, ihr seid UUbezahlbar! Liebe ich in der Welt auch sonst nichts, euch liebe ich doch!

 

Ich habe meinen Ortes an Midwinter durch die Post gesandt und ihn gebeten, mir auf demselben Wege zu antworten.

Wegen seiner Antwort ängstige ich mich nicht; er kann nur in einer Weise antworten. Ich habe mir etwas Bedenkzeit erbeten, da meine Familienverhältnisse dies in seinem Interesse sowohl als in dem meinigen verlangen. Ich habe mich verpflichtet, ihm das nächste Mal, wenn wir zusammenkommem zu sagen, welcher Art diese Verhältnisse sind (was kann ich ihm nur sagen?), und ihn gebeten, inzwischen Alles, was zwischen uns geschehen, geheim zu halten. Was er in der Zwischenzeih während ich angeblicherweise überlege, selbst zu thun hat, habe ich seiner eigenen Bestimmung überlassen, ihn blos daran erinnernd, daß sein Bleiben in Thorpe-Ambrose in unserer gegenwärtigen Lage zu Muthmaßungen über seine Beweggründe Anlaß geben könne, und daß ein Versuch von seiner Seite, mich wiederzusehen, solange unser Verhältniß zu einander nicht veröffentlicht werden dürfe, meinem Rufe schaden würde. Wenn er es wünsche, wolle ich an ihn schreiben; schließlich habe ich ihm versprochen, die Zeit unserer nothwendigen Trennung thunlichst abzukürzen.

Dieser einfache, unaffectirte Brief, den ich ihm schon gestern Abend hätte schreiben können, wenn mir nicht seine Geschichte so im Kopfe herumgegangen wäre, hat, wie ich wohl weiß, einen Fehler. Allerdings hält er ihn fern, während ich meine Netze auswerfe, um zum zweiten Male meinen Goldfisch im Herrnhause zu fangen, aber wenn dies mir gelingt, stellt er mir zugleich einen fatalen Tag in Aussicht, wo ich mich vor Midwinter rechtfertigen muß. Was soll ich mit ihm anfangen? Was soll ich beginnen? Ich sollte diesen beiden Fragen so kühn wie immer begegnen, allein ich weiß nicht, wie es kommt, der Muth läßt mich im Stiche; ich denke nicht eben gern daran, wie ich jener Schwierigkeit begegnen soll, bis der Augenblick kommt, wo derselben begegnet werden muß. Soll ich meinem Tagebuche das Bekenntniß ablegen, daß Midwinter mir leid thut und daß ich einigermaßen vor dem Gedanken an den Tag erschrecke, wo er hören wird, daß ich Gutsherrin werden soll?

Aber noch bin ich nicht Herrin, und ich kann keinen Schritt zu dem Ende thun, bevor ich nicht Antwort aus meinen Brief erhalten habe und weiß, daß Midwinter aus dem Wege ist. Geduld! Geduld! Ich muß suchen, mich an meinem Klavier zu vergessen. Die Mondschein-Sonate liegt dort aufgeschlagen auf dem Notenpulte und lockt mich zu sich. Ob ich wohl den Muth habe, sie zu spielen? Oder wird sie mich, wie neulich, mit ihrem geheimnißvollen Grausen schaudem machen?

Fünf Uhr. Ich habe seine Antwort. Mein leisester Wunsch ist ihm Befehl. Er ist fort und schickt mir seine Londoner Adresse. »Zwei Punkte sind es«, schreibt er, »die mich zum Theil damit aussöhnen, Dich zu verlassen. Erstens, weil Du es willst und es nur auf kurze Zeit ist; zweitens, weil ich in London Maßregeln treffen zu können glaube, durch Arbeit mein Einkommen zu erhöhen. Für mich selbst hat das Geld nie großen Werth gehabt, aber Du kannst Dir keine Vorsiellung machen, wie sehr ich bereits um meines Weibes willen Luxus und Genüsse des Lebens zu schätzen beginne, wie sie das Geld verschaffen kann?

Der arme Junge! Fast wollte ich, ich hätte nicht an ihn geschrieben; ich wollte fast, ich hätte ihn nicht von mir fortgeschickt.

Wenn Mutter Oldershaw diese Seite meines Tagebuchs sähe! Ich habe heute Morgen einen Brief von ihr erhalten, in dem sie mich an meine Verpflichtungen gegen sie erinnert und mir sagt, sie vermuthe, es gehe hier Alles, wie es nicht gehen solle. Immerhin mag sie vermutheni Ich werde mir nicht die Mühe nehmen, ihr zu antworten, in meiner gegenwartigen Gemitthsverfassung kann ich mich von dem alten Geschöpfe nicht quälen lassen.

Ein herrlicher Nachmittag; ein Spaziergang thut mir noth, ich darf nicht an Midwinter denken. Soll ich meinen Hut aufsetzen und sofort mein Glück im Herrnhause versuchen? Alles ist mir günstig. Ich werde von keinem Spione mehr verfolgt und kein Advocat ist jetzt da, der mir den Eingang verwehrt. Bin ich heute schön genug? Nun ja, schön genug, um einem kleinen, schlumpigen, einfältigen, sommerfleckigen Geschöpf die Spitze zu bieten, das auf der Schulbank sitzen und an ein Bret geschnallt liegen sollte, um seinen krummen Rücken gerade zu machen.

Acht Uhr. Eben bin ich aus dem Herrnhause zurück. Ich habe ihn gesehen und gesprochen, und das Ende davon läßt sich in vier deutlichen Worten sagen: es ist mir mißglückt. Ich habe ebenso wenig Aussicht, Mrs. Armadale auf Thorpe-Ambrose als Königin von England zu werden.

Soll ich das der Oldershaw schreiben? Soll ich nach London zurückkehren? Nicht eher, als bis ich zu weiterer Ueberlegung Zeit gehabt habe. Auf der Stelle nicht.

Die Geschichte ist mir also fehlgeschlagen, und zwar, obschon alle Umstände mir günstig waren. Ich traf ihn allein auf der Auffahrt vor dem Hause. Er war entsetzlich bestürzt, aber zugleich sehr bereit, mich anzuhören. Zuerst versuchte ich’s ganz ruhig mit ihm, dann mit Thränen und allem Zubehör. Ich stellte mich ihm in der Rolle des armen, schuldlosen Weibes dar, das er zu kränken das Werkzeug gewesen sei. Ich verwirrte, ich interessirte, ich überzeugte ihn. Ich ging zu dem rein christlichen Theile meiner Botschaft über und sprach mit solchem Gefühl von seiner Trennung von seinem Freunde, für die ich unschuldigerweise verantwortlich sei, daß ich sein unausstehliches rothes Gesicht ganz bleich machte und ihn zu der Bitte veranlaßte, ihn nicht zu betrüben. Doch welche Gefühle ich auch immer in ihm erregte, sein altes Gefühl für mich vermochte ich nicht wieder zu erwecken. Ich sah dies in seinen Augen, wenn er mich ansah; ich fühlte es an seinen Fingern, als wir uns die Hände schüttelten Wir schieden in Freundschaft, aber auch weiter nichts.

Habe ich darum einen Morgen nach dem andern der Versuchung widerstanden, wenn ich wußte, daß Sie allein im Park waren, Miß Milroyß Ich habe Ihnen eben Zeit gelassen, sich einzuschleichen und meine Stelle in Armadales guter Meinung einzunehmen, nicht wahr? Noch nie habe ich einer Versuchung widerstanden, ohne daß ich später ähnlich dafür zu büßen hatte! Wäre ich nur an dem Tage, da ich Sie verließ, meinen ersten Gedanken gefolgt, mein werthes Fräulein – nun, nun, das ist jetzt einerlei. Ich habe die Zukunft vor mir; noch sind Sie nicht Mrs. Armadale! Und ich kann Ihnen noch eins sagen: wen er auch heirathen mag, Sie heirathet er nimmermehr. Wenn ich mich nicht anders an Ihnen räche, verlassen Sie sich darauf, hierin wenigstens werde ich mich rächen!

Zu meiner eigenen Verwunderung habe ich keinen meiner gewohnten Wuthanfälle. Das letzte Mal, daß ich bei so ernstlicher Aufregung vollkommen gelassen blieb, entstand etwas daraus, das ich selbst meinem geheimen Tagebuche nicht anzuvertrauen wage. Es sollte mich nicht überraschem wenn auch jetzt etwas daraus entstünde.

Auf meinem Heimwege sprach ich bei Mr. Bashwood in der Stadt ein. Er war nicht zu Hause und ich hinterließ den Auftrag, daß er heute Abend herkommen solle, um mit mir zu sprechen. Ich will ihn sofort der Pflicht überheben, Armadale und Miß Milroy zu bewachen. Ich mag mir noch nicht über die Art und Weise klar sein, ihre Aussichten auf Thorpe-Ambrose ebenso gründlich zu zerstören, wie sie die meinigen zerstört hat, aber wenn die Zeit kommt und ich mir klar darüber bin, so weiß ich nicht, wie weit mein Gefühl der Beleidigung mich führen mag, und es dürfte unbequem und möglicherweise gar gefährlich sein, ein so hasenfüßiges Geschöpf wie Mr. Bashwood in mein Vertrauen gezogen zu haben.

Es will mich bedünken, als sei ich von alledem mehr angegriffen, als ich anfangs glaubte. Midwinter’s Geschichte beginnt mich wieder und zwar ohne allen Grund zu verfolgen.

Ein leises, schnelles, zitterndes Klopfen an der Hausthür! Ich weiß, wer dies ist. Keine Hand außer der des alten Bafhwood könnte so anklopfen.

Neun Uhr. Eben bin ich ihn losgeworden. Er hat mich in Verwunderung gesetzt, indem er sich in einem neuen Charakter gezeigt hat.

Es scheint, er war, obgleich ich seiner dort nicht gewahr wurde, im Herrnhause, während ich mich in Armadales Gesellschaft befand. Er sah uns an der Auffahrt mit einander sprechen und hörte später, was die Diener sagten, die uns ebenfalls bemerkten. Die weise Ansicht im Souterrain geht dahin, daß wir uns »wieder vertragen« und daß der Herr mich schließlich doch wohl noch heirathen wird. »Er hat sich in ihr rothes Haar verliebt«, lautet die elegante Phrase, mit der man sich, in der Küche ausdrückte. »Das kleine Fräulein kann ihr’s darin nicht gleich thun und wird sich wohl packen müssen.« Wie ich die gemeine Ausdrucksweise der niedern Klassen hasse!

Mich dünkt, der alte Bashwood sah, während er mir dies erzählte, sogar noch Verwirrter und furchtsamer aus als gewöhnlich. Aber erst, nachdem ich ihm gesagt, daß er alle fernere Beobachtung Mr. Armadale’s und Miß Milroy’s für die Zukunft mir zu überlassen habe, kam ich dahinter, was ihm wirklich fehlte. Jeder Tropfen Blut in dem Körper des schwächlichen alten Menschen schien ihm ins Gesicht zu schießen. Er machte eine überwältigende Anstrengung; er sah wirklich aus, als ob er vor Angst vor seiner eigenen Verwegenheit todt niederfallen müsse; dennoch aber gelang es ihm, stammelnd und stotternd und während beide Hände an dem Rande seines scheußlichen großen Huts herumkneteten, die Frage herauszubringen: »Ich bitte um Verzeihung, Miß G— G— Gwilt! Sie wollen doch nicht w— w— wirklich Armadale heirathen?« Eifersüchtig – wenn ich es je im Gesichte eines Mannes sah, so sah ich es in dem seinigen – in seinem Alter wirklich eifersüchtig auf Armadale! Wäre ich in der Laune gewesen, so würde ich ihm ins Gesicht gelacht haben. So aber ward ich böse und verlor alle Geduld mit ihm. Ich sagte ihm, er sei ein alter Narr, und befahl ihm, sich ruhig seinen Geschäften zu widmen, bis ich ihm sagen ließe, daß ich seiner wieder bedürfe Wie immer fügte er sich, aber in seinen wässerigen alten Augen lag, als er sich von mir verabschiedete, ein unbeschreibliches Etwas, das ich bisher noch nie darin bemerkt habe. Man behauptet von der Liebe, sie bewirke allerlei seltsame Umwandlungen. Ist es denn wirklich möglich, daß die Liebe Mr. Bashwood so weit zum Manne gemacht hat, daß er mir zürnen kann?

Mittwoch. Meine Kenntniß von Miß Milroy’s Gewohnheiten erweckte gestern Abend einen Verdacht in mir, den aufzuklären mir heute Morgen wünschenswerth erschien.

Während meines Aufenthalts im Parkhäuschen pflegte sie vor dem Frühstück einen Spaziergang zu machen. Da ich häufig dieselbe Zeit zu meinen heimlichen Zusammenkünften mit Armadale gewählt hatte, fiel mir ein, meine frühere Schülerin werde wahrscheinlich meinem Beispiele folgen, und ich dürfte vielleicht einige neue Entdeckungen machen, wenn ich meine Schritte zur rechten Zeit dem Garten zulenkte. Ich versagte mir meine Tropfen, um mich des rechtzeitigen Erwachens zu versichern, verbrachte demzufolge eine abscheuliche Nacht und war um sechs Uhr völlig bereit, in der frischen Morgenluft von meiner Wohnung nach dem Parkhäuschen zu spazieren.

Kaum hatte ich fünf Minuten auf der Parkseite der Gartenhecke gewartet, als ich sie herauskommen sah. Sie schien ebenfalls eine schlechte Nacht gehabt zu haben; ihre Augen waren schwer und roth und ihre Lippen und Wangen geschwollen, als ob sie geweint hätte. Sichtlich hatte sie etwas auf dem Herzen, etwas, das sie, wie sich bald herausstellte, aus dem Garten in den Park hinausführte. Sie schritt – wenn man bei solchen Beinen wie die ihrigen von schreiten reden kann! – gerade auf das Sommerhäuschen zu, öffnete die Thür, ging über die Brücke und mit immer schnellern Schritten dem tief liegenden Theile des Parks zu, wo die Bäume am dichtesten stehen. Da sie ganz in Gedanken versunken war, so konnte ich ihr unbemerkt folgen, und als sie unter den Bäumen langsamer zu gehen anfing, war ich ebenfalls schon unter den Bäumen und fürchtete nicht von ihr gesehen zu werden.

Gleich darauf drang aus dem in einer Vertiefung des Bodens stehenden Unterholz das krachende, trampelnde Geräusch von schweren Füßen zu uns. Ich kannte diese Schritte ebenso gut wie sie: »Da bin ich«, sagte sie mit matter, leiser Stimme. Im Zweifel darüber, auf welcher Seite Armadale aus dem Unterholze herauskommen würde, hielt ich mich einige Schritte entfernt hinter den Bäumen versteckt. Er kam auf der entgegengesetzten Seite des Baums, hinter dem ich stand, aus der Vertiefung herauf. Sie setzten sich am Abhange auf den Rasen. Ich kauerte mich hinter dem Baume nieder, sah sie durchs Unterholz hindurch an und hörte ohne Mühe jedes Wort, das sie sprachen.

Die Unterhaltung begann damit, daß er bemerkte, sie sehe traurig aus; dann fragte er, ob sich im Parkhäuschen irgend etwas Unangenehmes ereignet habe. Die hinterlistige kleine Creatur verlor keine Zeit, den nothwendigen Eindruck auf ihn zu machen; sie begann zu weinen. Natürlich faßte er ihre Hand und versuchte in seiner plumpen, offenen Manier sie zu trösten. Nein, sie sei nicht zu trösten. Eine unerträgliche Perspective liege vor ihr, vor dem Gedanken daran habe sie die ganze Nacht nicht geschlafen. Ihr Vater habe sie am vergangenen Abend auf sein Zimmer beschieden, habe über ihre Erziehung gesprochen und ihr unumwunden gesagt, daß sie in Pension gehen müsse. Er habe die Wahl einer solchen schon getroffen und die Bedingungen seien festgestellt, und sobald ihre Garderobe in Ordnung gebracht sein werde, solle sie fortgeschickt werden. »Solange jene verhaßte Miß Gwilt im Hause war«, sagte diese musterhafte junge Person, »wäre ich gern zur Schule gegangen, ja ich wünschte es. Jetzt aber ist Alles anders, jetzt sehe ich die Sache nicht mehr in demselben Lichte; ich fühle mich zu alt für die Schule. Es bricht mir das Herz, Mr. Armadale.« Hier hielt sie inne, als ob sie noch mehr hätte sagen wollen, und warf ihm s einen Blick zu, der dem Satz deutlich die Worte hinzufügt« »Es bricht mir das Herz, Mr. Armadale, mich jetz, da wir wieder Freunde sind, von Ihnen zu trennen!« Was offene, unverschämte Frechheit betrifft, deren ein erwachsenes Frauenzimmer sich schämen würde, so geht doch nichts über die der jungen Mädchen, deren Vescheidenheit heutzutage von den ekelhaften häuslichen Sentimentalisten so beharrlich hervorgehoben wird!

 

Selbst der Tölpel Armadale verstand sie Nachdem er sich in einem Wortlabyrinth verirrt hatte, das nirgendwohin führte, umschlang er ihre, man kann kaum sagen ihre Taille, denn sie hat keine, also die Stelle, wo das letzte Hestel ihres Kleides sitzt, und machte ihr, um ihr eine Zuflucht gegen die Schmach zu bieten, in ihrem Alter noch in die Schule geschickt zu werden, mit deutlichen Worten einen Heirathsantrag.

Hätte ich sie in diesem Augenblicke beide umbringen können, wenn ich meinen kleinen Finger aufgehoben, so bezweifle ich keine Sekunde, daß ich denselben ohne Bedenken diese Bewegung hätte machen lassen. Wie die Sachen aber standen, wartete ich blos ab, was Miß Milroy sagen würde.

Sie schien es für nothwendig zu halten, da sie vermuthlich fühlte, daß sie ohne Vorwissen ihres Vaters mit ihm zusammengekommen war, und sich erinnerte, wie ich ihr in Mr. Armadales guter Meinung vorangegangen, ihre Würde durch einen Ausbruch tugendhafter Entrüstung zu behaupten. Sie wundere sich, wie er nach seinem Benehmen gegen Miß Gwilt und nachdem ihr Vater ihm den Zutritt zu seinem Hause versagt, noch an so etwas denken könne! Wolle er sie etwa fühlen lassen, wie unverzeihlich sie vergessen habe, was sie sich selbst schuldig sei? Sei es denn eines Gentleman würdig, etwas vorzuschlagen, von dem er ebenso wohl wie sie wisse, daß es unmöglich wäre? Und so weiter und so weiter. Jeder Mensch mit einem Gehirn im Kopfe würde sofort begriffen haben, was diese Tirade in Wirklichkeit zu bedeuten habe, Armadale aber nahm sie so errtstlich auf, daß er sich wirklich zu vertheidigen suchte. In seiner hastigen, tölpelhaften Art erklärte er, daß er es völlig ernstlich meine; er und ihr Vater könnten sich versöhnen und wieder Freunde werden; und sollte der Major darauf bestehen, ihn als einen Fremden zu behandeln, so seien schon häufig junge Leute mit einander entflohen, um sich zu heirathen, und die Aeltern, die ihnen vorher nicht hätten verzeihen wollen, hätten ihnen nachher doch vergeben. Ein so unerhört offenes Cortrmachen ließ Miß Milroh natürlich nur die Alternative, entweder zu bekennen, daß sie nein gesagt, während sie ja gemeint habe, oder zu einem abermaligen Ausbruche von Entrüstung ihre Zuflucht zu nehmen. »Wie können Sie sich unterstehen, Mr. Armadale! Verlassen Sie mich augenblicklich! Es ist rücksichtslos es ist herzlos, es ist geradezu schändlich, so zu mir zu sprechen!» Und so weiter und so weiter. Es scheint unglaublich, aber es ist nichtsdestoweniger wahr, daß er Narr genug war, sie beim Worte zu nehmen. Er bat sie um Verzeihung und ging fort, wie ein Kind, das man in den Winkel schickt, der verachtungswürdigste Gegenstand in Gestalt eines Mannes, der je mit Augen erblickt ward!

Sie blieb, nachdem er gegangen war, um sich wieder zu beruhigen, und ich wartete hinter den Bäumen, um zu sehen, wie ihr dies gelingen werde. Ihre Augen wandten sich schlau dem Pfade zu, auf dem er sie verlassen hatte. Sie lächelte (bei einem Munde. wie dem ihrigen, sollte man vielmehr feixen sagen), that ein paar Schritte auf den Fußspitzen, um ihm nachzublicken, wandte sich wieder um und brach plötzlich in Thränen aus. Ich lasse mich nicht so leicht hintergehen wie Armadale und sah deutlich genug, was dies Alles zu bedeuten habe.

Morgen, dachte ich bei mir, wirft Du Dich ganz zufällig wieder im Park einfinden, mein Fräulein. Am Tage darauf wirft Du ihn dahin bringen, daß er Dir zum zweiten Male einen Heirathsantrag macht. Den Tag darauf wird er auf das Thema von den Entführungsheirathen zurückkommem und Du wirst nur eine kleidsame Verwirrung an den Tag legen. Und den folgenden Tag wirst Du, wenn er einen Plan in Vorschlag zu bringen hat und Deine Garderobe zum Einpacken für Deine Reise zur Pension bereit ist, ihn anhören. Ja, ja, wo es sich um ein Weib handelt, ist die Zeit stets auf der Seite des Mannes, wenn nur der Mann Geduld genug besitzt, um sich von der Zeit helfen zu lassen.

Sie ahnte durchaus nicht, daß ich sie betrachtet hatte, und ging nach dem Parkhäuschen zurück. Ich blieb unter den Bäumen und überlegte. Die Wahrheit zu gestehen, fühlte ich mich von dem, was ich gehört und gesehen, in einer Weise ergriffen, die nicht leicht zu beschreiben ist. Die ganze Geschichte stellte sich mir dadurch in neuem Lichte dar. Es ward mir klar, was ich bis heute Morgen nie geahnt hatte, daß sie ihn wirklich liebt.

Wie schwer meine Verpflichtung gegen sie immer sei, nunmehr ist keine Gefahr vorhanden, daß ich mich derselben nicht bis auf den letzten Heller entledige. Es wäre keine Kleinigkeit für mich gewesen, mich zwischen Miß Milroy und ihren Ehrgeiz zu stellen, eine der ersten Damen der Grafschaft zu werden, aber wo es sich um ihre erste Liebe handelt, mich zwischen Miß Milroy und den Wunsch ihres Herzens zu drängen, das ist mir unendlich mehr Werth. Soll ich meiner eigenen Jugend gedenken und sie schonen? Nein! Sie hat mich der einzigen Aussicht beraubt, die Kette zu zersprengen, die mich an eine Vergangenheit fesselt, welche zu fürchterlich ist, als daß ich daran denken möchte. Ich sehe mich in eine Lage zurückgeschleudert, mit der verglichen die Stellung einer Ausgestoßenen auf der Straße erträglich, ja beneidenswerth ist. Nein, Miß Milroy, nein, Mr. Armadale, keins von Euch beiden will ich schonen.

Schon einige Stunden bin ich wieder heim. Ich habe nachgesonnen und es ist nichts dabei herausgekommen. Seit ich vorigen Sonntag jenen seltsamen Brief von Midwinter erhalten, hat meine gewohnte Gewandtheit in dringenden Verlegenheiten mich gänzlich im Stich gelassen. Wenn ich nicht an ihn oder seine Geschichte denke, ist mir’s, als wäre mein Geist völlig betäubt. Ich, die ich bei andern Gelegenheiten stets gewußt, was ich zu thun hatte, weiß nicht, was ich jetzt beginnen soll. Natürlich wäre es leicht genug, Major Milroy von dem Vorhaben seiner Tochter zu unterrichten. Aber der Major hat seine Tochter lieb; dem jungen Armadale ist daran gelegen, sich mit ihm auszusöhnen. Armadale ist reich und angesehen und bereit, sich dem ältern Manne zu fügen, und früher oder später werden sie wieder Freunde werden, und das Ende davon wird die Heirath sein. Eine Warnung für den Major bereitet ihnen blos eine augenblickliche Verlegenheit, das ist nicht der Weg, sie gänzlich von einander zu scheiden.