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Armadale

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In einer kleinen Weile kamen beide wieder heraus, und der Wassermann führte Pedgift der Reihe nach zu dem ersten, zweiten, dritten, vierten und sechsten Fiakerkutscher, deren Wagen sich auf der Station befanden. Die längste Unterredung fand mit dem sechsten Manne statt und endete damit, daß der Fiaker plötzlich der Stelle zufuhr, wo Allan wartete.

»Steigen Sie ein, Sir«, sagte Pedgift, die Wagenthür öffnend. »Ich habe den Mann gefunden. Er erinnert sich der Dame, und obgleich er den Namen der Straße vergessen, glaubter doch das Haus, nach dem er sie gefahren, wiederfinden zu können, sowie er in dessen Nachbarschaft kommt. Ich freue mich, Ihnen sagen zu können, daß wir bis hierher vom Glück begünstigt gewesen sind, Mr. Armadale Ich bat den Wassermann, mir die regelmäßigen Droschkenkutscher der Station anzugeben, und es zeigte sich, daß eines derselben Mrs. Mandeville gefahren hatte. Der Wassermann steht für ihn; er ist eine Ausnahme von der Regel, ein respectabler Fiakerkutscher, fährt mit seinem eigenen Pferd und ist nie in Ungelegenheiten gewesen. Das ist der Schlag von Leuten, Sir, der unsern Glauben an die menschliche Natur lebendig erhält. Ich habe mir unsern Freund angesehen und bin mit dem Wassermanne einverstanden – ich denke, wir dürfen ihm trauen.«

Die Nachforfchungen erforderten anfangs einige Geduld. Erst nachdem die Strecke zwischen Bayswater und Pimlico zurückgelegt war, begann der Kutscher langsamer zu fahren und sich umzublicken. Nachdem er ein- oder zweimal wieder umgekehrt, bog er in eine stille Nebenstraße ein, an deren Ende sich eine blinde Mauer mit einer Thür befand, und hielt dann vor dem letzten Hause auf der linken Seite still, das der Mauer zunächst stand.

»Hier ist’s, meine Herren«, sagte der Mann, die Wagenthür öffnend.

Allan und sein Rathgeber stiegen aus und betrachteten beide mit demselben Gefühle des Mißtrauens das Haus. Häuser haben ihre Physiognomie, namentlich Häuser in großen Städten, und das Gesicht dieses Hauses hatte in seinem Ausdruck etwas wesentlich Verstohlenes. Die Fenster der Fronte waren sämmtlich geschlossen und die Jalousien heruntergelassen. Von vorn gesehen, erschien es nicht größer als alle andern Häuser der Straße, aber es zog sich arglistig nach der Hinterseite hinaus und gewann durch seine Tiefe an räumlicher Bequemlichkeit. Es that so, als sei es im Erdgeschoß ein Laden, allein es zeigte durchaus gar nichts in dem Zwischenraume vom Fenster bis zu einem rothen Vorhange, der das ganze Innere den Blicken entzog. Auf der einen Seite befand sich die Ladenthür, deren Glasfenster aus der Hinterseite ebenfalls mit rothen Vorhängen versehen war und auf deren Holzwerk ein Messingschild mit der Inschrift: Mrs. Oldershaw angebracht war. Auf der andern Seite war die Thür des Privateingangs mit einer Klingel, unter der geschrieben stand: Geschäftlich und noch ein Messingschild welches anzeigte, daß diese Seite des Hauses von einem Arzte bewohnt werde, denn der Name auf demselben lautete: Doktor Downward. Haben jemals Ziegel und Mörtel gesprochen, so sagten Ziegel und Mörtel hier deutlich: »Wir haben drinnen unsere Geheiniiiisse und wollen sie für uns behalten.«

»Dies kann nicht das Haus sein«, sagte Allan. »Hier muß ein Irrthum obwalten.«

»Sie wissen es am besten, Sir«, versetzte Pedgift mit seiner sardonischen Gemessenheit. »Sie kennen Mrs. Mandeville’s Gewohnheiten.«

»Ich!« rief Allan »Sie werden es vielleicht mit Erstaunen hören, aber Mrs. Mandeville ist mir durchaus fremd.«

»Das überrascht mich nicht im geringsten, Sir; die Wirthin in Kingsdown-Crescent theilte mir mit, daß Mrs. Mandeville eine alte Frau sei. Ich denke, wir erkundigen uns«, setzte der unerschütterliche Pedgift hinzu, während er die rothen Vorhänge mit dem starken Argwohn betrachtete, Mrs. Mandeville’s Enkelin möge hinter denselben versteckt sein.

Zuerst ward die Ladenthür versucht. Sie war verschlossen. Man klingelte. Ein hageres und gelbliches junges Frauenzimmer, mit einem zerlesenen französischen Romane in der Hand, öffnete.

»Guten Morgen, Miß«, sagte der junge Pedgift. »Ist Mrs. Mandeville zu Hause?«

Das gelbe junge Frauenzimmer stierte ihn verwundert an. »Hier wohnt keine Person dieses Namens«, antwortete sie mit fremdem Accent.

»Man kennt sie vielleicht am Privateingange«, meinte Pedgift Junior.

»Kann sein«, sagte die gelbe Person und schlug ihm die Thür vor der Nase zu.

»Ein etwas reizbares junges Wesen das, Sir«, sagte Pedgift. »Ich wünsche Mrs. Mandeville Glück, daß sie nicht mit ihr bekannt ist.« Mit diesen Worten ging er Allan voran nach Doctor Downwards Seite des Hauses und klingelte.«

Diesmal ward die Thür von einem Manne in einer schäbigen Livree geöffnet. Auch er stierte, als Mrs. Mandeville’s Name genannt wurde, und auch er wußte von keiner solchen Person im Hause.

»Seht merkwürdig«, sagte Pedgift zu Allan.

»Was ist merkwürdig?« fragte ein leise austretender, leise sprechender Herr in Schwarz, der plötzlich aus der Schwelle der Stubenthür erschien.

Pedgist junior erklärte höflich, um was es sich handle, und bat um die Erlaubniß, fragen zu dürfen, ob er das Vergnügen habe, mit Doctor Downward zu sprechen.

Der Doctor verbeugte sich. Er war – wenn man den Ausdruck verzeihen will – einer von jenen sorgsam construirten Aerzten, in welche das Publikum – namentlich das weibliche – ein unbedingtes Zutrauen zu setzen pflegt. Er hatte den erforderlichen kahlen Kopf, die erforderliche doppelte Lorgnette, den erforderlichen schwarzen Anzug und das erforderliche freundliche Benehmen. Seine Stimme war einnehmend, sein Wesen ruhig und sein Lächeln vertraulich. Welchem besondern Zweige seines Berufs Doctor Downward sich widmete, war auf dem Messingschilde nicht angegeben; war er aber kein Damenarzt, so hatte er seinen Beruf ganz verfehlt.

»Sind Sie ganz sicher, daß Sie sich nicht im Namen irren?« fragte der Doctor mit lauernder Besorgniß in seinem Wesen. »Ich habe sehr ernstliche Unannehmlichkeiten aus Irrthümern in Namen entstehen sehen. Also wirklich kein Versehen? In dem Falle, meine Herren, kann ich nur wiederholen, was mein Diener Ihnen bereits gesagt. Bitte, keine Entschuldigung. Guten Morgen.« Der Doctor verschwand ebenso geräuschlos wieder, wie er erschienen war; der Mann in der ischäbigen Livree öffnete schweigend die Thür, und Allan und sein Gefährte sahen sich wieder auf der Straße.

»Mr. Armadale«, sagte Pedgift, »ich weiß nicht, was Sie fühlen. Ich fühle mich consternirt.«

»Das ist sehr fatal«, sagte Allan. »Eben wollte ich Sie fragen, was wir nun anfangen sollen.«

»Mir gefällt weder das Aussehen des Hauses, noch das der Ladenmamsell, noch das des Doctors«, fuhr der Andere fort. »Und dennoch kann ich nicht sagen, daß ich glaube, sie hintergehen uns; ich kann nicht sagen, daß ich glaube, sie kennen dennoch Mrs. Mandevilles Namen.«

Pedgift’s Eindrücke täuschten ihn selten, und auch diesmal hatten sie ihn nicht irre geleitet. Die Vorsicht, welche Mrs. Oldershaw zu ihrem spurlosen Verschwinden aus Bayswater bestimmt, war der Art, die sich meistens selbst beträgt. Dieselbe hatte sie bewogen, Niemand in Pimlico den Namen anzuvertrauen, unter dem sie Miß Gwilt empfohlen, ohne sie im geringsten auf die Eventualität vorzubereiten, welche nun wirklich eingetreten war. Mit einem Worte, Mrs. Oldershaw hatte für Alles ihre Maßregeln getroffen, nur, nicht für die rein undenkbare Möglichkeit einer spätern Erkundigung über Miß Gwilt’s Charakter.

»Jrgend etwas muß geschehen«, sagte Allan; »es scheint mir nutzlos, hier noch länger zu warten.«

Noch Niemand hatte Pedgift’s Auskunftsmittel erschöpft gesehen, auch Allan sah ihn jetzt noch nicht am Ende derselben. »Ich bin ganz Ihrer Ansicht, Sir«, sagte er. »Wir müssen etwas thun. Wir wollen den Kutscher ins Kreuzverhör nehmen.«

Der Kutscher erwies sich unerschütterlich. Da man ihn beschuldigte, sich im Hause geirrt zu haben, deutete er auf das leere Ladensenster. »Ich weiß nicht, was Sie vielleicht gesehen haben, meine Herren«, bemerkte er, »aber das ist das einzige Ladenfenster, das ich je gesehen habe, worin nichts zur Schau gestellt war. Dieser Umstand prägte mir das Haus fest ins Gedächtniß, und ich erkenne es daher wieder, so wie ich es sehe.« Eines Irrthums betreffs der Person oder des Tags oder des Hauses beschuldigt, aus dem er erstere abgeholt, zeigte der Mann sich abermals unangreifbar. Das Dienstmädchen, das ihn geholt, war eine auf der Fiakerstation wohlbekannte Person. Der Tag war ihm als der unglücklichste Arbeitstag im ganzen Jahre erinnerlich und die Dame durch den Umstand, daß sie zu rechter Zeit seinen Fahrlohn bereit gehabt, was unter Hunderten kaum eine ältliche Dame gewöhnlich habe, und nicht mit ihm über denselben gestrittem was ebenfalls unter Hunderten kaum eine ältliche Dame unterlasse. »Nehmen Sie meine Nummer, meine Herren«, schloß der Kutscher, »und bezahlen Sie mir meine Zeit, dann will ich, was ich angegeben, beschwören, wo Sie wollen.«

Pedgift notirte sich die Nummer des Mannes in seinem Taschenbuche. Nachdem er zu derselben noch den Namen der Straße und die Namen auf den beiden Messingplatten hinzugefügt, öffnete er ruhig den Wagenschlag. »So weit befinden wir uns völlig im Dunkeln«, sagte er. »Wollen wir nach dem Hotel zurückkehren?«

Er sprach und sah ernster aus als gewöhnlich. Der bloße Umstand, daß Mrs. Mandeville ihre Wohnung verändert, ohne eine Adresse zu hinterlassen, nach der man ihr etwaige Briefe nachsenden könne – ein Umstand, den Mrs. Milroy’s eifersüchtige Bosheit als an sich unzweifelhaft verdächtig ausgelegt – hatte auf das unparteilichere Urtheil von Allan’s Rechtsfreund keinen großen Eindruck gemacht. Gar manche Leute verlassen ihre Wohnungen ganz ebenso und zwar mit völlig triftigen Gründen dafür. Aber das Aussehen des Hauses, nach dem der Kutscher Mrs. Mandeville gefahren zu haben beharrlich behauptete, ließ den Charakter und das Benehmen dieser geheimnißvollen Dame für Pedgift in einem neuen Lichte erscheinen. Sein persönliches Interesse an den Nachforschungen wuchs plötzlich, und er begann hinsichtlich der wirklichen Natur von Allan’s Angelegenheit eine Neugierde zu fühlen, von der er bisher unberührt geblieben.

 

»Es ist mir gar nicht klar, Mr. Armadale«, sagte er, während sie nach dem Hotel zurückführen, »was unser nächster Schritt sein muß. Denken Sie, daß Sie mir noch einige weitere Einzelnheiten anvertrauen könnten?«

Allan zögerte, und Pedgift junior sah, daß er etwas zu weit gegangen sei. »Ich darf es nicht erzwingen«, dachte er; »ich muß ihm Zeit und ihn von selbst damit herauskommen lassen. – Was meinen Sie dazu, Sir, wenn ich in Ermangelung anderer Auskunft einige Nachforschung über jenen merkwürdigen Laden und über die Namen auf den Thürschildern anstellte? Mein Geschäft in London ist juristischer Art und führt mich, wenn ich Sie verlassen werde, in das rechte Viertel für derlei Nachforschungen, wenn diese überhaupt thunlich sind.«

»Es kann wohl kein Arg darin liegen, wenn wir weiter nachforschen«, erwiderte Allan.

Auch er sprach ernster als gewöhnlich, auch er begann eine Alles üherwältigende Neugier, mehr zu erfahren, zu empfinden. Eine unbestimmte Verbindung, deren Spur er nicht zu folgen vermochte, zwischen der Schwierigkeit, sich über Miß Gwilt’s Familienangelegenheiten zu unterrichten, und der Schwierigkeit, der Dame zu nahen, die sich für Miß Gwilt verbürgt hatte, schien ihm obzuwalten. »Ich will aussteigen und zu Fuße weiter gehen und Sie Ihren Geschäften überlassen«, sagte er. »Ich muß mir die Sache ein wenig überlegen, und ein Spaziergang und eine Cigarre werden mir dabei behülflich sein.«

»Mein Geschäft wird zwischen ein und zwei Uhr abgemacht sein, Sir«, sagte Pedgift, als das Cab gehalten hatte und Allan ausgestiegen war. »Wollen wir um zwei Uhr wieder im Hotel zusammentreffen?«

Allan nickte und der Wagen fuhr von dannen.

Zweites Kapitel

Zwei Uhr kam heran und Pedgift junior stellte sich pünktlich ein. Seine Lebhaftigkeit vom Morgen hatte sich gänzlich verloren; er begrüßte Allan mit seiner gewohnten Höflichseit, doch ohne sein gewohntes Lächeln, und als der Oberkellner erschien, sich seine Instructionen zu erbitten, ward er angenblicklich mit Worten entlassen, wie sie in diesem Hotel noch nie von Pedgift’s Lippen gehört worden: »Nichts für jetzt.«

»Sie scheinen nicht bei Laune zu sein«, sagte Allan »Können wir keine Auskunft erlangen? Kann Ihnen Niemand etwas über das Haus in Pimlico mittheilen?«

»Drei verschiedene Personen haben mir darüber Mittheilungen gemacht, Mr. Armadale, und alle drei haben sie dasselbe gesagt«

Allan schob begierig seinen Sessel näher an den seines Gefährten heran. Die Reflexionen, die er seit seinem Scheiben von Pedgift gemacht, hatten nicht zu seiner Beruhigung beigetragen. Jene seltsame Verbindung, so leicht fühlbar und so schwer zu verfolgen, zwischen der Schwierigkeit, sich von Miß Gwilt’s Familienangelegenheiten zu unterrichten, und der Schwierigkeit, die Dame aufzufinden, die sich für Miß Gwilt verbürgt, welche bereits seine Gedanken beschäftigt, hatte sich nach und nach darin immer fester gesetzt. Er fühlte sich von Zweifeln gequält, die er weder zu begreifen noch auszudrücken im Stande war. Eine Neugier erfüllte ihn, welche zu befriedigen er sich halb sehnte, halb fürchtete.

»Ich muß Sie leider mit ein paar Fragen behelligen, Sir, ehe ich zur Sache kommen kann«, sagte Pedgift junior. »Ich möchte mich nicht in Ihr Vertrauen eindrängen, ich möchte nur in einer scheinbar sehr unangenehmen Sache den Weg klar vor mir sehen. Haben Sie nichts dawider, mir zu sagen, ob außer Ihnen noch Andere bei diesen Nachfragen betheiligt sind?«

»In der That sind noch Andere dabei betheiligt«, erwiderte Allan. »Ich sehe keinen Grund, Ihnen dies zu verhehlen.«

»Ist außer dieser Mrs. Mandeville noch eine andere Person Gegenstand Ihrer Nachforschungen?« fuhr Mr. Pedgift fort, sich noch etwas tiefer in das Geheimniß einschleichend.

»Ja; dieselben betreffen allerdings noch eine andere Person«, antwortete Allan mit einigem Widerstreben.

»Ist diese Person eine junge Dame, Mr. Armadale?«

Allan erschrak. »Wie kommen Sie dazu, das zu errathen?« begann er; dann schwieg er plötzlich, als es bereits zu spät war. »Legen Sie mir keine weitern Fragen vor«, sagte er dann. »Ich verstehe mich schlecht darauf, einem schlauen Menschen, wie Sie, auszumachen, und ich bin gegen Andere in Ehren verpflichtet, die Einzelnheiten der Sache für mich zu behalten«

Pedgift junior hatte offenbar für seinen Zweck´genug gehört. Er zog seinerseits seinen Sessel näher zu Allan heran. Er war sichtlich aufgeregt und verlegen, aber die Macht der Gewohnheit ließ sein geschäftsmäßiges Wesen bald wieder die Oberhand gewinnen. »Ich bin mit meinen Fragen zu Ende, Sir, und habe jetzt meinerseits etwas zu sagen. In Abwesenheit meines Vaters sind Sie vielleicht freundlichst geneigt, mich als Ihren rechtlichen Rathgeber zu betrachten. Wenn Sie meinem Rathe folgen wollen, so thun Sie keinen Schritt weiter in diesen Nachforschungen.«

»Was wollen Sie damit sagen?« unterbrach ihn Allan.

»Es ist wohl möglich, Mr. Armadale, daß der Fiakerkutscher trotz seiner entschiedenen Behauptung sich geirrt hat. Ich empfehle Ihnen sehr, diesen Irrthum als ausgemacht anzunehmen und damit die Sache fallen zu lassen.«

Diese Warnung war gut gemeint, kam aber zu spät. Allan that dasselbe, was an seiner Stelle neunundnennzig von hundert Leuten gethan haben würden – er wies den Rath von der Hand.

»Nun, Sir«, sagte Pedgift junior; »wenn Sie darauf bestehen, so müssen Sie es hören.«

Er beugte sich zu Allan hin und flüsterte ihm das, was er von dem Hause in Pimlico und den darin wohnenden Leuten gehört, ins Ohr.

»Machen Sie mir skeinen Vorwurf, Mr. Armadale«, setzte er, nachdem die Worte gesprochen worden,«hinzu. »Ich wollte Sie schonen.«

Allan ertrug den Schlag, wie alle großen Schläge ertragen werden – stillschweigend. Sein erster Impuls hätte ihn seine Zuflucht zu der Ansicht über die Aussage des Kutschers nehmen lassen, die ihm so eben anempfohlen worden war, wenn ihm nicht ein erschwerender Umstand unerbittlichsin den Weg getreten wäre. Miß Gwilt’s unzweifelhaftes Widerstreben, sich über ihr vergangenes Leben auszulassen, stieg unabweislich in seiner Erinnerung auf, als indirecte, aber fürchterliche Bestätigung des Zeugnisses, welches die Person, die sich für Miß Gwilt verbürgt, mit dem Hause in Pimlico in Verbindung brachte. Nur ein Schluß drängte sich seinem Geiste auf, der Schluß, zu dem Jeder hätte kommen müssen, nachdem er gehört, was Allan so eben vernommen, und wenn er nicht mehr wußte, als Allan bekannt war. Ein elendes gefallenes Weib, das in seiner äußersten Noth nach der Hilfe von schändlichen Geschöpfen gegriffen hat, die in verbrecherischen Heimlichkeiten bewandert sind, das sich vermittelst einer gefälschten Empfehlung wieder in anständige Gesellschaft und eine achtbare Beschäftigung eingeschmuggelt hat und dessen Stellung ihm jetzt die fürchterliche Nothwendigkeit beständiger Verheimlichung und beständigen Betrugs hinsichtlich seiner Vergangenheit auferlegte – so stellte sich die schöne Erzieherin zu Thorpe-Ambrose Allan’s Augen dar.

Falsch oder wahr? Hatte sie sich durch gefälschte Empfehlung wieder in anständige Gesellschaft und achtbare Beschäftigung eingeschmuggelt? Ja. Legte ihre. Stellung ihr die fürchterliche Nothwendigkeit beständiger Verheimlichung und beständigen Betrugs hinsichtlich ihres frühem Lebens auf? Ja. War sie das beklagenswerthe Opfer eines unbekannten Mannes, für das Allan sie hielt? Nein, ein solches beklagenswerthes Opfer war sie nicht. Der Schluß, den Allan zog, der Schluß, der sich ihm nach den ihm vorliegenden Thatsachen aufdrängte, war nichtsdestoweniger von allen Schlüssen derjenige, welcher der Wahrheit am fernsten lag. Die wahre Geschichte von Miß Gwilt’s Beziehungen zu dem Hause in Pimlico und den Leuten, die dasselbe bewohnten, einem Hause, von dem ganz richtig angegeben worden, daß es schåndliche Geheimnisse barg, und Leuten, die mit Recht als solche bezeichnet waren, welche sich in beständiger Gefahr befinden, den Arm des Gesetzes zu fühlen, war eine Geschichte, die erst durch die bevorstehenden Ereignisse an den Tag kommen sollte, eine Geschichte, bei weitem weniger empörend und dennoch bei weitem entsetzlicher, als Allan oder Allan? Gefährte sich träumen ließ.

»Ich wollte Sie gern schonen, Mr. Armadale«, wiederholte Pedgift. »Vor allem lag mir daran, Ihnen, wenn es irgendwie zu vermeiden sei, nicht weh zu thun.«

Allan sah auf und machte eine Anstrengung, sich zu fassen. »Sie haben mir entsetzlich weh gethan«, sagte er. »Sie haben mich förmlich zu Boden geschmettert. Aber das ist nicht Ihre Schuld. Ich sollte vielmehr fühlen, daß Sie mir einen Dienst geleistet haben, und ich werde es fühlen, sobald ich mich wieder etwas erholt habe. Doch eins«, fügte er nach einem kurzen schmerzlichen Nachsinnen hinzu, »muß sofort zwischen uns abgemacht werden. Der Rath, den Sie mir so eben ertheilten, war sehr freundlich gemeint, und es war der beste, den Sie mir geben konnten. Ich will denselben dankbar annehmen. Wenn Sie mir die Liebe erzeigen wollen, reden wir nie wieder davon, und ich bitte Sie, auch nie irgend einer andern Person davon zu sagen. Wollen Sie mir das versprechen?«

Pedgift gab das Versprechen mit ersichtlicher Aufrichtigkeit, doch ohne seine gewohnte Sicherheit. Die Bekümmerniß in Allan’s Gesicht schien ihm zu Herzen zu gehen. Nach einem Augenblicke ihm sonst sehr wenig eigenthümlichen Zögerns verließ er rücksichtsvoll das Zimmer.

Als sich Allan allein sah, ließ er sich Schreibmaterialien bringen und nahm den von der Majorin erhaltenen verhängnißvollen Empsehlungsbrief an Mrs. Mandeville aus seinem Taschenbuche.

Ein Mann, der die Folgen zu bedenken und mit Ueberlegung zu handeln gewohnt gewesen, hätte sich in Allan’s gegenwärtiger Lage gewiß einigermaßen im Unklaren befunden, welches Verfahren jetzt das für ihn mindest schwierige und gefährliche sein möchte. Doch Allan, der sich bei jeder Gelegenheit vom Impulse des Moments leiten ließ, handelte auch in dieser kritischen Lage nach demselben. Obgleich seine Zuneigung zu Miß Gwilt nichts mit dem tiefen Gefühle gemein hatte, für das er sie in aller Ehrlichkeit gehalten, so hatte jene doch in ungewöhnlichem Grade seine Bewunderung gewonnen, und es war kein gewöhnlicher Kummer, mit dem er ihrer jetzt gedachte. Sein einziger alles Andere überwiegender Wunsch in diesem kritischen Augenblicke war der männliche, barmherzige Wunsch, die unglückliche, die seine Achtung verloren, ohne darum ihre Ansprüche auf schonende Nachsicht und schützendes Mitleid einzubüßen, vor Bloßstellung und Untergang zu bewahren.

»Ich kann nicht nach Thorpe-Ambrose zurückkehren; ich getraue mich nicht, sie wiederzusehen oder zu sprechen. Aber ich kann ihr trauriges Geheimniß, bewahren, und ich will’s!« Mit diesem Gedanken im Herzen machte Allan sich an die erste Pflicht, die ihm jetzt oblag, die Pflicht, an Mrs. Milroy zu schreiben. Hätte er eine höhere geistige Begabung und einen klarem Blick besessen, so würde dieser Brief ihm nicht leicht geworden sein. So aber berechnete er die Folgen nicht und sah deshalb keine Schwierigkeiten. Sein Instinct mahnte ihn, sofort die Stellung aufzugeben, die er angenblicklich der Majorin gegenüber einnahm, und was dieser Instinkt ihm unter den obwaltenden Umständen eingab, schrieb er so schnell nieder, als seine Feder es nur auf dass Papier zu tragen vermochte.

»Dunn’s Hotel, Convent-Garden.
Dienstag.

Verehrte Frau! Entschuldigen Sie mich, wenn ich nicht, wie ich versprach, schon heute nach Thorpes-Ambrose zurückkehre. Unvorhergesehene Umstände nöthigen mich, noch in London zu bleiben. Ich bedaure, Ihnen sagen zu müssen, daß es mir nicht gelungen, Mrs. Mandeville zu sehen, aus welchem Grunde ich Ihren Auftrag nicht auszuführen im Stande bin; deshalb stelle ich Ihnen mit vielen Entschuldigungen den mir gegebenen Empfehlungsbrief wieder zu. Ich hoffe, Sie werden mir zum Schlusse zu sagen gestatten, daß ich Ihnen für Ihre Güte sehr verbunden bin und diese nicht weiter in Anspruch zu nehmen wage.

Aufrichtig der Ihre
Allan Armadale.«

Mit diesen arglosen Worten gab Allan der Frau, in welche er noch immer kein Mißtrauen setzte, die Waffe in die Hand, die sie gesucht.

Sobald der Brief mit seiner Einlage einmal versiegelt und adressirt war, hatte Allan volle Muße, an sich selbst und seine Zukunft zu denken. Während er müßig dasaß und mit seiner Feder auf dem Löschpapier zeichnete, füllten sich seine Augen zum ersten Male mit Thränen, Thränen, an denen das Weib, das ihn hintergangem keinen Antheil hatte. Sein Herz war zu seiner verstorbenen Mutter zurückgekehrt. »Wäre sie am Leben gewesen«, dachte er, »ihr hätte ich vertrauen können und sie würde mich getröstet haben.« Es war nutzlos, bei dem Gedanken zu verweilen; er wischte sich also die Thränen aus den Augen und wandte seine Gedanken mit der krankhaften Resignation, die wir alle kennen, lebenden und gegenwärtigen Dingen zu.

 

Mit ein paar Zeilen setzte er Mr. Bashwood in Kenntniß, daß seine Abwesenheit von Thorpe-Ambrose wahrscheinlich etwas länger dauern werde und daß er alle etwaigen Instructionem die unter den gegenwärtigen Umständen nothwendig sein dürften, durch den ältern Pedgift erhalten solle. Als dies geschehen und die Briefe zur Post gegeben waren, kehrten seine Gedanken nochmals zu ihm selbst zurück. Die Zukunft lag abermals leer vor ihm und harrte der Ausfüllung, und sein Herz wandte sich abermals widerstrebend von ihr ab und suchte seine Zuflucht in der Vergangenheit.

Diesmal tauchten außer dem Bilde seiner Mutter noch andere in seinem Geiste auf. Lebendig und heftig erwachte das eine prädominirende Interesse seiner ersten Jugendzeit in ihm: er dachte ans Meer; er dachte an seine Yacht, welche müßig in dem Fischerhafen seiner westlichen Heimat lag. Die alte Sehnsucht erfaßte ihn, wieder das Plätschern der Wellen zu hören, das Schwellen der Segel zu sehen und das Schiff, das er mit eigenen Händen erbaut, wieder unter sich schaukeln zu fühlen. Mit seinem gewohnten Ungestüm erhob er sich, um sich den Eisenbahnfahrplan bringen zu lassen und mit dem nächsten Zuge nach Sommersetshire abzureisen, als die Furcht vor den Fragen, die Mr. Brock ihm verlegen, und die Ahnung von der Veränderung, die dieser an ihm wahrnehmen dürfte, ihn wieder auf seinen Sessel zwang. »Ich will schreiben«, dachte er, »und die Yacht neu auftakeln und herrichten lassen, und dann warten, bis Midwinter mit mir kommen kann« Er seufzte, indem er seines abwesenden Freundes gedachte. Noch nie hatte er die Leere, die Midwinters Abwesenheit in sein Leben gebracht, so schmerzlich empfunden wie jetzt in der trostlofesten aller menschlichen Einsamkeitem der Einsamkeit eines Fremden in London, der in einem Hotel allein sitzt.

Nach einer Weile sah Pedgift herein, sich wegen der Störung entschuldigend. Allan fühlte sich zu verlassen und zu freundlos, um die Rückkunft seines Gefährten nicht dankbar willkommen zu heißen. »Ich werde nicht sogleich nach Thorpe-Ainbrose heimreisen«, sagte er. »Ich denke eine kleine Weile in London zu bleiben. Hoffentlich werden Sie bei mir bleiben können?« Pedgift war, um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, durch die vereinsamte Lage, in welcher der Besitzer der großen Güter von Thorpe-Ambrose in diesem Augenblicke vor ihm erschien, gerührt. Während seines ganzen Verkehrs mit Allan hatte er seine Geschäftsinteressen noch nie so sehr aus den Augen verloren wie jetzt.

»Sie thun vollkommen recht, Sir, hier zu bleiben. London ist der rechte Ort, Sie zu zerstreuen«, sagte Pedgift heiter. »Alle Geschäftssachen sind mehr oder weniger elastisch, Mr. Armadale; ich werde die meinigen etwas ausdehnen und Ihnen mit dem größten Vergnügen Gesellschaft leisten. Wir befinden uns beide auf der richtigen Seite der Dreißig, Sir – lassen Sie uns davon profitiren. Was meinen Sie dazu, wenn wir zeitig zu Mittag speisten, dann ins Theater gingen und uns morgen nach dem Frühstück die große Industrieausstellung im Hyde-Park ansehen? Wenn wir nur wie Kampfhähne leben und uns unausgesetzt den öffentlichen Ergötzlichkeiten widmen, werden wir in größter Geschwindigkeit das mens sanna in corpore sano der Alten erreichen. Erschrecken Sie nicht über das Citat, Sir. Nach den Geschäftsstunden schäkere ich gern ein wenig mit meinem Latein und erhöhe meine Sympathien dafür durch gelegentliches Studium der heidnischen Schriftsteller unter dem Beistande eines Lehrers. – William, wir speisen um fünf Uhr, und da die Sache heute besonders wichtig, so will ich selber mit dem Koch reden.«

Der Abend verging, der folgende Tag verging, der Donnerstag kam und brachte Allan einen Brief. Die Aufschrift zeigte Mrs. Milroy’s Handschrift, und schon die Form der Anrede ließ Allan ahnen, daß etwas nicht war, wie es sein sollte.

»Parkhäuschen, Thorpe-Ambrose.
Mittwoch.

»Sir, so eben habe ich Ihr geheimnißvolles Schreiben erhalten. Dasselbe hat mich nicht nur überraschh es hat mich wirklich beunruhigt Nachdem ich Ihnen in der freundschaftlichsten Weise entgegengekommem sehe ich mich plötzlich aus das unbgreiflichste und, wie ich hinzufügen muß, aus das unhöflichste von Ihrem Vertrauen ausgeschlossen. Es ist mir völlig unmöglich, die Sache da ruhen zu lassen, wo Sie dieselbe haben fallen lassen. Der einzige Schluß, den ich aus Ihrem Briefe zu ziehen vermag, ist der, daß irgendwie mein Vertrauen mißbraucht worden ist und daß Sie weit mehr wissen, als Sie mir mitzutheilen geneigt sind. Im Interesse meiner Tochter ersuche ich Sie, mich von den Umständen in Kenntniß zu setzen, die Sie verhindert, Mrs. Mandeville zu sehen, und Sie bewogen haben, das unbedingte Versprechen Ihres Beistandes zurückzunehmen, welches Sie mir in Ihrem Briefe vom letzten Montag gaben.

Bei dem Zustande meiner Gesundheit ist es mir nicht möglich, mich in eine lange Correspondenz einzulassen. Ich muß jedem etwaigen Einwande von Ihrer Seite vorbeugen und Alles, was ich überhaupt zu sagen habe, in meinem gegenwärtigen Briefe sagen. Für den Fall, den ich nur höchst ungern in Betracht ziehe, daß Sie sich weigern sollten, die Bitte zu erfüllen, die ich so eben an Sie gerichtet habe, muß ich Sie benachrichtigen, daß ich es für meine Pflicht gegen meine Tochter halte, mir eine vollständige Aufklärung über diese unangenehme Geschichte zu verschaffen. Höre ich nicht mit umgehender Post und zu meiner völligen Befriedigung von Ihnen, so sehe ich mich genöthigt, meinem Gatten mitzntheilen, daß sich Dinge ereignet haben; die uns rechtfertigen, wenn wir die Achtbarkeit der Person, die uns Miß Gwilt empfohlen hat, einer sofortigen Prüfung unterwerfen. Und wenn er mich nach meiner Quelle fragt, werde ich ihn an Sie beweisen.

Ihre gehorsame Dienerin
Anne Milroy.«

Also ließ die Majorin die Maske fallen und ihr Opfer mit Muße die Schlinge betrachten, in der sie es gefangen hatte. Allan hatte so unbedingt und aufrichtig an Mrs. Milrotys Ehrlichkeit geglaubt, daß ihr Brief ihn einfach verblüffte. Er hatte das vage Bewußtsein, daß man ihn in irgend einer Weise hintergangen habe und daß Mrs. Milroy’s nachbarliches Interesse an ihm durchaus nicht das gewesen sei, als was es auf seiner Oberfläche erschienen war; weiter sah er nichts. Die Drohung, sich an den Major zu wenden, von der Mrs. Milroy in frauenhafter Unkenntniß der Männernatur den größten Effect erwartet hatte, war die einzige Stelle des Briefes, die Allan mit einiger Genugthuung laß anstatt Beunruhigung gewährte sie ihm Erleichterung. »Wenn es durchaus einen Streit geben muß«, dachte er, »so wird es jedenfalls ein Trost sein, ihn mit einem Manne auszufechtens.«

Fest in seinem Entschlusse, die unglückliche zu schützen, deren Geheimnis er entdeckt zu haben wähnte, setzte Allan sich hin, um der Majorin seine Entschuldigungen zu machen. Nachdem er drei höfliche Erklärungen in dichter Marschordnung hinter einander aufgestellt hatte, zog er sich vom Schlachtfelde zurück.

»Er bedaure außerordentlich, Mrs. Milroy beleidigt zu haben. Jegliche Absicht, Mrs. Milroy beleidigen zu wollen, liege ihm ganz fern. Er habe die Ehre, Mrs. Milroy’s ergebenster Diener zu sein.« Allan’s übliche Kürze in der Briefstellerei hatte ihm noch nie bessere Dienste geleistet als bei dieser Gelegenheit. Hätte er im Gebrauch der Feder nur etwas größere Geschicklichkeit besessen, so würde er dem Feinde jedensalls noch größere Macht gegen sich in die Hände gegeben haben, als derselbe bereits hatte.