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Armadale

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Die andere Gesellschaft am entgegengesetzten Ende des Boots schien Mrs. Pentecost’s Zweifel, ob die Heiterkeit der Picknickpartie bis zu Ende vorhalten werde, zu bestätigen. Der natürliche Verdruß der armen Neelie, den Allan’s Ungeschicklichkeit ihr verursacht, war jetzt durch das nagende Bewußtsein der erlittenen Niederlage und Demüthigung bis zu entschiedenem stillen Groll gestiegen. Der Major war in sein gewohntes träumerisches zerstreutes Wesen versunken, sein Geist schwang sich mit den Rädern seines Uhrwerkes einförmig um. Der geistliche Herr barg seine Indigestion noch immer in der Kajüte vor den Blicken der Sterblichen, und seine Mutter saß mit einer zweiten Dosis in Bereitschaft und hielt Wache an der Thür. Frauen in Mrs. Pentecost’s Alter und von ihren Gemüthsanlagen, finden meistens Vergnügen an ihrer eigenen üblen Laune. »Dies also«, seufzte die alte Dame, mit einer Miene sauerer Genugthuung den Kopf hin- und herwiegend, »nennt man eine Lustpartie wie? Acht wie thöricht wir sind, unseren bequemen häuslichen Herd zu verlassen!«



Inzwischen glitt das Boot sanft zwischen den Windungen des Wasserlabyrinths hin, welches zwischen den beiden »Breiten« lag. Rechts und links gab es jetzt keine andere Aussicht, als endlose Reihen von Schilf. Nah und fern ließ sich kein Laut vernehmen, – nirgendwo erschien eine Spur von bebautem oder bewohntem Boden. »Ein klein wenig öde hier herum, Mr. Armadale«, sagte der ewig heitere Pedgift. »Aber wir haben es eben überstanden. Sehen Sie sich um, Sir! Da sind wir bei Hurle Mere angelangt.«



Das Schilfrohr wich rechts und links zurück und das Boot glitt plötzlich in den weiten Kreis eines Teiches. Die zunächst liegende Hälfte dieses Teiches säumte noch immer das ewige Schilf; um die ferner liegende zeigte sich wieder festes Land, bald als kahle Hügel, bald als grasige Anhöhen über dem Wasser aufragend. An einer Stelle war der Boden zu einer Pflanzung benutzt, und an einer andern standen die Wirthschaftsgebäude eines alten rothen Ziegelhauses neben dem sich, der Gartenmauer entlang laufend, ein schmaler Nebenweg hinzog, der am Teiche endete. Die Sonne sank am klaren Himmel und das Wasser begann schon da, wo es von der Sonne nicht vergoldet ward, die kalte schwarze Farbe der Nacht anzunehmen. Die Einsamkeit, die auf der andern Breite wohlthuend gewesen war, und die Stille, die dort etwas Magisches gehabt hatte, solange der Tag noch auf seiner Höhe stand, waren hier eine Einsamkeit, welche traurig machte – und eine Stille, die in der Ruhe und Melancholie des sinkenden Tages kalt ans Herz schlug.



Das Boot wurde über den See nach einer Bucht des grünen Ufers gelenkt. Ein paar jener flachen kleinen Nachen, die den »Breiten« eigenthümlich sind, lag in der Bucht, und die Schilfschneider, denen die Fahrzeuge gehörten, kamen, von dem Anblick von Fremden überrascht, hinter einer Ecke der Gartenmauer hervor und glotzten dieselben schweigend an. Kein anderes Lebenszeichen ringsum. Die Schilfschneider hatten keinen Ponywagen gesehen; kein Fremder, weder Mann noch Weib, hatte sich heute noch an dem Ufer des Hurle Mere gezeigt.



Der junge Pedgift warf abermals einen Blick auf seine Uhr und wandte sich zu Miß Milroy. »Mögen Sie nun die Gouvernante vorfinden oder nicht, wenn Sie nach Thorpe-Ambrose zurückkehren«, sagte er, »hier aber können Sie dieselbe nicht mehr erwarten. Sie wissen am besten, Mr. Armadale«, wendete er sich an diesen, »ob« darauf zu rechnen ist, daß Ihr Freund seiner Uebereinkunft mit Ihnen getreu bleibt!«



»Gewiß ist darauf zu rechnen«, erwiderte Allan, indem er mit unverhohlenem Bedauern über Midwinter’s Abwesenheit sich rings umsah.



»Sehr gut«, fuhr Pedgift junior fort. »Wenn wir unser Feuer zum Zigeunerthee auf der offenen Stelle dort anzünden, so wird Ihr Freund uns durch den Rauch auffinden können, Sir. Das ist ein Indianerkniff, um einen Verlorengegangenen auf der Prairie wiederzufinden, Miß Milroy – und es ist hier fast wild genug zu einer Prairie, nicht wahr?«



Es gibt gewisse Versuchungen, namentlich leichterer Art, denen zu widerstehen nicht im Bereiche der weiblichen Natur liegt. Die Versuchung, die ganze Macht ihres Einflusses als des der einzigen jungen Dame der Gesellschaft geltend zu machen, um Allan’s Vorkehrungen zum Rendezvous mit seinem Freunde über den Haufen zu werfen, war zu groß für die Tochter des Majors. Mit einem Blicke, der ihn hätte niederschmettern sollen – doch was hätte je einen Advocaten niedergeschmettert? – wandte sie sich an den lächelnden Pedgift.



»Mir scheint, das da ist der einsamste, ödeste und abscheulichste Platz, den ich je in meinem ganzen Leben gesehen habe!« sagte Miß Neelie. »Wenn Sie darauf bestehen, hier Thee zu machen, Mr. Pedgift, so bereiten Sie keinen für mich. Nein! Ich werde im Boote bleiben, und obgleich ich geradezu verdurste, werde ich doch nichts anrühren, bis wir wieder auf dem andern See sind!«



Der Major öffnete die Lippen, um Einsprache zu erheben. Zur unaussprechlichen Freude seiner Tochter stand jedoch Mrs. Pentecost von ihrem Sitze auf, ehe er noch ein Wort sagen konnte, und fragte, nachdem sie die ganze Landschaft überschaut und darin nichts erspäht hatte, was einem Fuhrwerke glich, voll Entrüstung ob sie den ganzen Weg bis dahin zurück machen müßten, wo sie Mittags die Wagen verlassen hätten. Da sie fand, daß dies in der That beabsichtigt wurde und daß die Wagen wegen der Natur der Umgebungen nicht nach Hurle Mere hätten bestellt werden können, ohne zugleich den ganzen Weg nach Thorpe-Ambrose zurück zu machen, erklärte Mrs. Pentecost augenblicklich, im Interesse ihres Sohnes, daß nichts sie dazu bewegen solle, nach Einbruch der Nacht noch länger auf dem Wasser zu bleiben. »Rufen Sie mir ein Boot!« schrie die alte Dame in großer Aufregung. »Ueberall wo Wasser ist, da ist auch immer ein Nachtnebel, und wo ein Nachtnebel ist, da erkältet sich mein Sohn Samuel jedesmal. Reden Sie mir nicht von Ihrem Mondschein und Ihrem Thee vor – Sie sind Alle nicht recht bei Sinnen. Hollah! Ihr beiden Männer dort!« rief Mrs. Pentecost den schweigsamen Schilfschneidern am Ufer zu. »Ich gebe Euch Jedem einen Sixpence, wenn Ihr mich und meinen Sohn in Eurem Boote zurückfahrt!«



Ehe der junge Pedgift sich noch ins Mittel legen konnte, beseitigte Allan selbst die Schwierigkeit in vollkommen guter Laune und Geduld.



»Es kann nicht davon die Rede sein, Mrs. Pentecost«, sagte er, »daß Sie in irgendeinem andern Boote zurückfahren, als in dem, in welchem Sie gekommen sind. Da der Ort Ihnen und Miß Milroy mißfällt, so ist nicht die mindeste Nothwendigkeit vorhanden, daß außer mir hier noch irgendwer ans Land geht. Ich aber

muß

 ans Land. Mein Freund Midwinter hat mir noch nie sein Wort gebrochen, und ich kann Hurle Mere nicht verlassen, so lange noch die Möglichkeit existiert, daß er unser Rendezvous einhält. Aber es liegt nicht der geringste Grund vor, daß ich deshalb irgendwie im Wege sein sollte. Sie haben den Major und Mr. Pedgift als Beschützer bei sich, und wenn Sie sogleich umkehren, können Sie noch vor Dunkelwerden zu den Wagen zurückgelangen. Ich will hier noch eine halbe Stunde auf meinen Freund warten – und dann kann ich Ihnen in einem der Schilfboote folgen.«



»Das ist das Vernünftigste, was Sie heute noch gesagt haben, Mr. Armadale«, bemerkte Mrs. Pentecost, sich in gewaltiger Eile wieder niedersetzend »Sagen Sie ihnen, daß sie sich beeilen!« rief die alte Dame, die Faust gegen die Bootsleute schüttelnd. »Sagen Sie ihnen, daß sie sich beeilen!«



Allan gab die nothwendigen Befehle und stieg ans Land. Der kluge Pedgift suchte, sich fest an seinen Clienten schmiegend, ihm zu folgen.



»Wir können Sie hier nicht allein lassen, Sir«, versicherte er eifrig flüsternd »Lassen Sie den Major nach den Damen sehen und mich bei Ihnen am See bleiben.«



»Nein, nein!« sagte Allan ihn zurückdrängend. »Sie sind Alle in schlechter Stimmung am Bord. Wollen Sie sich mir nützlich machen, so bleiben Sie als guter Gesell da, wo Sie sind, und halten das Ganze im Gange.«



Er winkte mit der Hand und die Leute stießen vom Ufer ab. Alle schwenkten die Hand zum Gruße, nur die Majorstochter nicht, welche das Gesicht unter ihrem Sonnenschirme verbarg. In Neelie’s Augen standen schwere Thränen. Ihr letzter Groll gegen Allan erstarb und ihr Herz flog reuig zu ihm zurück, sowie er das Boot verlassen hatte. »Wie gut er gegen uns Alle ist!« dachte sie, »und welch’ ein elendes Geschöpf ich bin!« Sie stand auf, dem drängenden Impulse ihres Herzens folgend, ihr Unrecht gegen ihn wieder gut zu machen. Sie stand auf und schaute ihm, ohne sich an die Rücksichten der Convenienz zu kehren, mit sehnsüchtigen Blicken und gerötheten Wangen nach, wie er einsam am Ufer stand. »Bleiben Sie nicht lange, Mr. Armadale!« sagte sie mit völliger Nichtachtung dessen, was die Gesellschaft denken würde.



Das Boot war bereits weit ins Wasser hinausgestochen, und trotz Neelie’s Entschlossenheit waren doch ihre Worte mit so leiser Stimme gesprochen, daß sie nicht bis zu Allan’s Ohr dringen konnten. Der einzige Laut, den er hörte, als das Boot am entgegengesetzten Ende des Sees anlangte und langsam zwischen dem Schilf verschwand, waren die Töne der Harmonien. Der unermüdliche Pedgift hielt – offenbar unter Mrs. Pentecost’s Auspicien – das Amüsement im Gange, indem er ein Kirchenlied präludirte.



Nun allein, zündete sich Allan eine Cigarre an und ging am Ufer aus und ab. »Sie hätte wohl beim Scheiden ein Wort zu mir sprechen können!« dachte er. »Ich habe Alles nach meinen besten Kräften gethan; ich habe ihr so gut wie gesagt, daß ich sie lieb habe, und so behandelt sie mich jetzt!« Er blieb stehen und schaute zerstreut nach der sinkenden Sonne und auf das schnell dunkelnde Wasser des Sees. Irgendwelche unbegreifliche Gewalt der Scene schlich sich unvermerkt in sein Gemüth und lenkte seine Gedanken von Miß Milroy ab zu seinem Freunde. Er schrak zusammen und sah sich um.

 



Die Schilfschneider hatten sich wieder in ihr Asyl hinter der Mauer zurückgezogen, kein lebendes Wesen war zu sehen, kein Klang zu hören an dem öden Gestade. Selbst Allan’s Stimmung begann zu sinken. Es war fast eine Stunde über die Zeit, zu der Midwinter am Hurle Mere eiuzutreffen versprochen hatte. Er selbst hatte Alles angeordnet, um zu Fuße nach dem Teiche gelangen zu können, indem er sich von einem Stalljungen von Thorpe-Ambrose auf Nebenwegen und Fußpfaden führen lassen wollte, welche die Entfernung um ein Bedeutendes abkürzen würden. Der Knabe war mit diesen Richtwegen wohl vertraut und Midwinter hielt immer höchft pünktlich Wort. War in Thorpe-Ambrose etwas passiert? War ihm unterwegs ein Unfall zugestoßen? Entschlossen, nicht länger müßig und in Ungewißheit allein zu bleiben, entschloß sich Allan, sich am See landeinwärts zu begeben, in der Hoffnung, so seinem Freunde zu begegnen. Sofort ging er an die Mauerecke und fragte einen der Schilfschneider nach dem Wege nach Thorpe-Ambrose.



Der Mann führte ihn von der Straße ab und deutete auf eine kaum sichtbare Lichtung in den Bäumen der Pflanzung. Nachdem er still gestanden, um noch einen nutzlosen Blick ringsum zu werfen, kehrte Allan dem See den Rücken und schlug die Richtung nach jenen Bäumen ein.



Ein paar Schritte lang lief der Pfad quer durch die Baumpflanzung hin. Dann machte er eine plötzliche Biegung – und Wasser und offenes Land entschwanden zugleich dem Blicke. Allan folgte dem Rasenpfade vor ihm und sah und hörte nichts, bis er an eine abermalige Biegung des Weges kam. Während er in dieser neuen Richtung dahinschritt, erblickte er unter einem Baume die unklaren Umrisse einer sitzenden menschlichen Gestalt. Zwei Schritte genügten, um ihn die Gestalt erkennen zu lassen. »Midwinter!« rief er erstaunt. »Das da ist nicht die Stelle, wo wir uns treffen wollten! Auf was wartest Du hier?«



Ohne zu antworten, stand Midwinter auf. Das Abend dunkel unter den Bäumen, das sein Gesicht verhüllte, machte sein Schweigen doppelt befremdlich.



Allan setzte seine Fragen ungestüm fort. »Bist Du allein gekommen?« fragte er. »Ich dachte, der Knabe sollte Dich führen.«



Diesmal antwortete Midwinter: »Ich sandte den Knaben zurück, als wir an die Bäume hier gelangten. Er sagte mir, ich sei dem Orte ganz nahe und könne ihn nicht verfehlen.«



»Weshalb bliebst Du hier, als er Dich verließ?« fragte Allan weiter. »Warum bist Du nicht weiter gegangen?«



»Lache mich nicht aus«, erwiderte der Andere, »ich wagte es nicht.«



»Du wagtest es nicht!« wiederholte Allan. Er schwieg einen Augenblick. »O, ich weißt« sagte er dann, indem er fröhlich seine Hand auf Midwinter’s Schulter legte. »Dir bangt noch vor den Milroys. Welche Thorheit, nachdem ich Dir selber gesagt, daß man im Parkhäuschen wieder mit Dir ausgesöhnt ist!«



»An Deine Freunde im Parkhäuschen habe ich nicht gedacht, Allan. Die Wahrheit zu gestehen, bin ich heute kaum mein altes Selbst. Ich fühle mich krank und nervenschwach; jede Kleinigkeit erschreckt mich.« Er schwieg und suchte sich Allans ängstlich forschendem Blicke zu entziehen. »Wenn Du darauf bestehst, es zu wissen«, sagte er leidenschaftlich, »so will ich Dir gestehen, das Grausen jener Nacht am Bord des Wracks hat mich wieder gepackt; ich fühle einen fürchterlichen Druck im Kopfe, eine fürchterliche Beklommenheit im Herzen – ich fürchte, daß uns etwas zustößt, wenn wir nicht von einander scheiden, ehe der Tag zu Ende ist. Ich kann mein Dir gegebenes Versprechen nicht brechen; um Gotteswillen entbinde Du mich davon und laß mich heim gehen!«



Für Jeden, der Midwinter kannte, war es augensichtlich, daß Gegenvorstellungen vergeblich sein würden. Allan willfahrte ihm. »Komm’ aus diesem dunklen stickigen Holze heraus«, sagte er; »wir wollen darüber reden. Das Wasser und der offene Himmel sind keinen Steinwurf weit von uns entfernt. Ich mag das Holz am Abend nicht leiden. Es macht selbst mich melancholisch. Du hast zu angestrengt über den Rechnungsbüchern gesessen Komm’ und athme frei in der lieben frischen Luft.«



Midwinter blieb stehen, überlegte einen Augenblick und gab plötzlich nach.



»Du hast Recht«, sagte er, »und ich habe, wie immer, Unrecht. Ich verschwende die Zeit und betrübe Dich ganz umsonst. Welche Thorheit von mir, Dich zu bitten, mich zurückgehen zu lassen! Wenn Du ja gesagt hättest!«



»Nun?« fragte Allan.



»Nun«, erwiderte Midwinter, »dann würde schon bei meinem ersten Schritte etwas geschehen, was mich dann verhindert hätte – weiter nichts. Komm.«



Schweigend schritten sie zusammen auf dem Wege zum See dahin.



Bei der letzten Biegung desselben ging Allan’s Cigarre aus. Während er stehen blieb, um sie wieder anzubrennen, ging Midwinter ihm voran und war der erste, der das offene Land erblickte.



Eben hatte Allan sein Streichhölzchen angezündet, als zu seinem Erstaunen sein Freund wieder um die Biegung auf ihn zukam. Es war noch hell genug, um die Gegenstände in diesem Theile der Baumpflanzung deutlich erkennen zu lassen. Als Midwinter dicht vor ihm stand, fiel Allan das Streichhölzchen aus der Hand.



»Gerechter Gott!« rief er zurückfahrend, »Du siehst wieder gerade so aus wie damals am Bord des Wracks!«



Midwinter erhob die Hand zum Zeichen des Schweigens Die stieren Blicke fest auf Allan’s Gesicht gerichtet, sagte er, seine bleichen Lippen hart an dessen Ohr:



»Du erinnerst Dich, wie ich

aussah

«, flüsterte er; »entsinnst Du Dich auch dessen, was ich

sagte

, als Du und der Doctor von dem Traume sprachet?«



»Ich habe den Traum vergessen«, erwiderte Allan. Bei dieser Antwort faßte Midwinter Allan’s Hand und führte ihn um die letzte Windung des Pfades.



»Erinnerst Du Dich seiner jetzt?« fragte er und deutete auf den See.



Die Sonne sank am wolkenlosen Abendhimmel hinab. Unten lagen die Wasser des Sees, von ihren letzten Strahlen roth gefärbt. Das offene Land streckte sich, in bereits melancholischem Dunkel, rechts und links weit dahin, und an dem zunächst liegenden Rande des Teiches, wo vorher Alles einsam gewesen zeigte sich jetzt dem Sonnenuntergange gegenüber eine weibliche Gestalt.



Schweigend standen die beiden Armadales neben einander und blickten auf die einsame Gestalt und die düstere Landschaft.



Midwinter sprach zuerst.



»Deine eigenen Augen haben es gesehen«, sagte er. »Jetzt sieh auch Deine eigenen Worte an.«



Er machte sein Taschenbuch auf, holte die niedergeschriebene Erzählung von dem Traume heraus und hielt sie Allan hin. Seine Finger deuteten auf die Zeilen, welche das erste Traumgesicht schilderten; seine Stimme, die immer leiser und leiser ward, wiederholte die Worte:



»Es kam mir das Bewußtsein, daß man mich in der Dunkelheit allein gelassen hatte.



»Ich wartete.



»Das Dunkel verschwand und zeigte mir – wie in einem Bilde – einen großen einsamen Teich, der von offenen Gefilden umgeben war. Ueber dem am fernsten liegenden Rande sah ich den wolkenlosen Abendhimmel roth, glühend im Sonnenuntergange.



»An dem zunächst liegenden Rande des Teiches stand der Schatten eines Weibes.«



Er schwieg und ließ die Hand, die das Geschriebene hielt, herabsinken. Die andere Hand wies auf die einsame Gestalt, welche, der untergehenden Sonne gegenüber, ihnen den Rücken kehrend, dastand.



»Dort«, sagte er, »steht das lebendige Weib anstatt des Schattens! Dort spricht die erste der Traumwarnungen zu Dir und zu mir! Laß uns noch ferner beisammen bleiben – und die zweite Gestalt, die dann an der Stelle des Schattens steht, wird die

meine

 sein.«



Selbst Allan fühlte sich durch die fürchterliche Gewißheit der Ueberzeugung zum Schweigen gebracht, mit der Midwinter sprach.



Während der hierauf folgenden Pause bewegte sich die Gestalt am Teiche und schritt langsam am Ufer hin. Allan trat völlig aus den Bäumen hervor und gewann dadurch eine weitere Aussicht. Der erste Gegenstand, dem seine Blicke begegneten, war der Ponywagen von Thorpe-Ambrose.



Mit einem Lachen der Erleichterung wandte er sich nach Midwinter um. »Was Du für Unsinn geschwatzt hast!« sagte er. »Und welchen Unsinn« ich angehört habe! Es ist die Gouvernante, die endlich eingetroffen ist.«



Midwinter erwiderte nichts. Allan faßte ihn am Arm und versuchte ihn fortzuziehen. Er machte sich indeß jählings los und faßte Allan mit beiden Händen – indem er ihn von der Gestalt am See zurückhielt, wie er ihn von der Kajütenthür auf dem Verdeck des Holzschiffes zurückgehalten. Die Anstrengung war abermals vergeblich. Allan befreite sich wiederum ebenso leicht von ihm, wie er es dazumal gethan hatte.



»Einer von uns muß mit ihr sprechen«, sagte er; »und wenn Du’s nicht willst, so will ich es thun.«



Er hatte nur wenige Schritte dem See zu gethan, als er eine leise Stimme ihm einmal nur, ein einziges Mal »Lebewohl« zurufen hörte, oder zu hören glaubte. Mit einem Gefühl von Befremden und Unruhe blieb er stehen und sah sich um.



»Warst Du das, Midwinter?« fragte er.



Keine Antwort erfolgte. Nachdem er noch einen Augenblick gezögert, ging er wieder in das Holz. Midwinter war fort.



Er blickte nach dem Teiche zurück, unschlüssig in dieser neuen Verlegenheit, was er zunächst thun solle. Inzwischen hatte die einsame Gestalt ihre Richtung verändert: sie hatte sich umgewandt und nahte sich den Bäumen. Offenbar war Allan entweder gesehen oder gehört worden. Es war unmöglich, ein Weib in dieser hilflosen Lage und an einem so einsamen Orte unbeschützt zu lassen. Zum zweiten Male trat denn Allan aus den Bäumen hervor ihr entgegen.



Als er ihr nahe genug war, um ihr Gesicht sehen zu können, blieb er in überwältigendem Erstaunen stehen. Der plötzliche Anblick ihrer Schönheit, wie sie lächelte und ihn fragend anschaute, machte die Bewegung in seinen Gliedern und die Worte aus seinen Lippen erstarren. Ein unbestimmter Zweifel überkam ihn, ob das wirklich die Gouvernante sei.



Er ermannte sich jedoch und nannte, ein paar Schritte näher tretend, seinen Namen. »Darf ich fragen«, fügte er hinzu, »ob ich das Vergnügen habe —?«



unbefangen und anmuthig kam ihm die Dame auf halbem Wege entgegen.



»Major Milroy’s Gouvernante«, sagte sie; »Miß Gwilt.«



Sechstes Kapitel

Alles war still in Thorpe-Ambrose. Der Hausflur war öd und die Zimmer waren finster. Die Diener, die im Garten hinter dem Hause die Stunde des Nachtessens abwarteten, schauten zum klaren Himmel und dem aufsteigenden Mond hinauf und erklärten einstimmig, es sei wenig Aussicht vorhanden, daß die Picknick-Gesellschaft viel vor Mitternacht heimkehren werde. Die allgemeine Meinung, von der hohen Autorität der Köchin vertreten, ging dahin, daß man sich ohne. Furcht vor Störung durch die Klinge! zum Nachtessen niederlassen dürfte. Zu diesem Schlusse gelangt, setzte die Dienerschaft sich zu Tische, und gerade in dem Augenblicke, als Alle Platz genommen, ging die Klingel.



Verwundert stieg der Lakei trepp auf, die Thür zu öffnen, und fand zu seinem Erstaunen Midwinter allein auf der Thürschwelle, welcher nach Ansicht des Bedienten entsetzlich krank aussah. Er bat um ein Licht und zog sich mit der Bemerkung, daß er nichts weiter bedürfe, sofort auf sein Zimmer zurück. Der Bediente begab sich zu seinen Cameraden zurück und berichten, daß dem Freunde seines Herrn sicherlich etwas zugestoßen sein müsse.



Auf seinem Zimmer angelangt, schloß Midwinter die Thür und packte hastig eine Handtasche mit den nothwendigsten Reiseeffecten. Dann nahm er aus einer verschlossenen Schublade einige kleine Geschenke, die Allan ihm gemacht – eine Cigarrentasche, eine Börse und eine Garnitur von Hemdknöpfen von einfachem Golde – und steckte dieselben in die Brusttasche seines Stockes. Nachdem er diese Andenken in Sicherheit gebracht, ergriff er die Handtasche und legte die Hand auf die Thürklinke. Da aber hielt er zum ersten Male inne – da ließ mit einem Mal die jagende Hast seines bisherigen Gebahrens nach, und der Zug starrer Verzweiflung in seinem Gesichte begann sich zu mildern: die Hand auf der Thürklinke, blieb er wartend stehen.



Bis zu diesem Augenblicke war er sich nur eines Beweggrundes, nur eines Zieles bewußt gewesen, das er zu erreichen entschlossen war. »Um Allan’s willen!« hatte er zu sich selber gesprochen, als er auf die unheilvolle Landschaft zurückgeblickt und Allan hatte von ihm gehen sehen, um dem Weibe am Teiche zu begegnen. »Um Allan’s willen« hatte er nochmals gesprochen, als er über das offene Feld jenseits des Holzes dahingeschritten, und ferne im grauen Zwielicht die lange Linie des Dammes und das ferne Schimmern der Bahnlampen erblickt hatte, die ihm zu der Eisenstraße hinzuwinken schienen.



Erst jetzt, als er vor der hinter ihm geschlossenen Thür stehen blieb – erst jetzt, da seine ungestüme Hast zum ersten Male zu einer Pause kam – erst jetzt erhob sich die edlere Natur des Mannes gegen die abergläubische Verzweiflung, die ihn von Allem, was ihm theuer war, von hinnen trieb. Seine Ueberzeugung von der Nothwendigkeit, daß er Allan zu dessen eigenem Besten verlassen müsse, hatte seit dem Momente, wo er am Ufer des Sees die Verwirklichung seines ersten Traumgesichts geschaut, nicht gewankt. Jetzt aber stand sein eigenes Herz mit unabweislichem Vorwurfe gegen ihn auf. »Geh, wenn du gehen mußt und willst! aber gedenke der Zeit, da du krank warst und er an deinem Bette saß – da du freundlos warst und er dir sein Herz erschloß – und schreibe, wenn du dich zu sprechen fürchtest; schreib’ und bitte ihn, dir zu vergeben, ehe du auf immer von ihm scheidest!«

 



Die halb geöffnete Thür ward leise wieder geschlossen. Midwinter setzte sich an den Schreibtisch und ergriff die Feder. Wieder und wieder versuchte er das Abschiedswort zu schreiben; er versuchte es, bis der Boden rings um ihn her mit zerrissenen Papierblättern bestreut war. Wie immer er sich von ihnen abwandte – die alten Zeiten kehrten zurück und traten ihm vorwurfsvoll entgegen. Das geräumige Schlafgemach, in dem er saß, verwandelte sich unwillkürlich in die Bodenkammer des kranken Hilfslehrers in jenem Wirthshause des Westens. Die liebevolle Hand, die ihm einst aus die Schulter geklopft, berührte ihn wieder; die freundliche Stimme, die ihn aufgeheitert, sprach unverändert in den alten, liebevollen Tönen. Er warf seine Arme vor sich auf den Tisch und ließ in thränenloser Verzweiflung das Haupt auf dieselben niedersinken. Das Scheidewort, das seine Zunge nicht zu sprechen vermochte, war seine Feder nicht zu schreiben im Stande. Mit erbarmungsloser Strenge hieß sein Aberglaube ihn gehen, so lange er noch Zeit dazu habe, und ebenso strenge gebot seine Liebe zu Allan ihn zu bleiben, bis er die letzte Bitte um Vergebung und Mitleid würde geschrieben haben.



Mit einem raschen Entschlusse stand er auf und schellte dem Diener. »Wenn Mr. Armadale heimkehrt«, sagte er, »so bittet ihn, mich zu entschuldigen, wenn ich heute nicht hinunterkomme, und sagt, daß ich mich zu Bett gelegt habe.« Er verschloß die Thür, löschte das Licht aus und saß allein in der Dunkelheit. »Die Nacht wird sich zwischen uns legen«, sprach er bei sich, »und mit der Zeit werde ich schreiben können. Ich kann am frühen Morgen fortgehen; ich kann gehen, während —« Der Gedanke erstarb unvollendet in ihm, und der schneidende Schmerz des Kampfes entriß seinen Lippen den ersten Jammerschrei.



Er wartete im Finstern. Wie die Zeit verging, blieben seine Sinne mechanisch wach, aber sein Geist begann unter der Pein, die ihm seit einigen Stunden auferlegt gewesen, langsam zu schwinden. Eine dumpfe Stumpfheit hatte sich seiner bemächtigt, und er machte keinen Versuch, die Kerze anzuzünden und von Neuem sich zum Schreiben hinzusehen. Er rührte sich nicht und machte keine Bewegung, an das offene Fenster zu treten, als er in der Stille der Nacht das erste Geräusch heranrollender Räder vernahm. Er hörte die Wagen vorfahren; er hörte, wie die Pferde an den Gebissen zerrten; er hörte die Stimmen seines Freundes und des jungen Pedgift auf der Treppe – und noch immer saß er still im Dunkeln, und die Klänge, die von außen zu ihm hereindrangen, erweckten kein Interesse in ihm. «



Die Stimmen waren noch hörbar, als die Wagen schon fortgefahren waren; offenbar verweilten die beiden jungen Männer noch auf den Stufen, ehe sie Abschied von einander nahmen. Jedes Wort, das sie sprachen, schlug durch das offene Fenster an Midwinter’s Ohr. Der Gegenstand ihrer Unterhaltung war die neue Gouvernante. Allan’s Stimme war laut in ihrem Lobe. In seinem ganzen Leben hatte er keine so glückliche Stunde.genossen, als die war, welche er auf der Fahrt vom Hurle Mere nach der auf dem andern See wartenden Picknick-Gesellschaft mit Miß Gwilt im Boote zugebracht hatte. Der junge Pedgift, seinerseits zwar mit Allem übereinstimmend, was sein junger Client zum Lobe der reizenden Fremden vorbrachte, schien das Thema von einem andern Gesichtspunkte aus aufzufassen. Miß Gwilks Reize hatten seine Aufmerksamkeit nicht so ausschließlich in Anspruch genommen, um ihn zu verhindern, den Eindruck zu bemerken, welchen die neue Erzieherin auf ihren Principal und ihre Schülerin gemacht.



»Mit Major Milroy’s Familie hat es irgendwo einen Haken, Sir«, ließ sich die Stimme Pedgift’s vernehmen. »Haben Sie wohl auf die Gesichter des Majors und seiner Tochter gemerkt, als Miß Gwilt sich entschuldigte, so spät am See angelangt zu sein? Sie erinnern sich nicht? Entsinnen Sie