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Armadale

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Kommen wir jetzt zu der einzigen Schwierigkeit, die des Erwähnens werth ist, meiner Schwierigkeit. Wie soll ich es, beobachtet und bewacht, wie ich in diesem Hause bin, denn anfangen, mich zu Dir zu begeben, ohne den Pfarrer oder dessen Diener mir an den Fersen mitzubringen?

Da ich also in jeder Hinsicht hier gefangen bin, so bleibt mir, wie es scheint, keine andre Wahl, als das alte Fluchtmittel der Gefangenen zu versuchen – eine Verkleidung. Ich habe mir Dein Stubenmädchen angeschaut. Abgesehen davon, daß wir beide blond, sind ihr Gesicht und Haar dem meinigen so Unähnlich, wie nur möglich. Aber sie ist so ziemlich von meiner Gestalt und Größe und, wenn sie sich nur zu kleiden verstände und kleinere Füße hätte, ihre Figur ist eine weit bessere, als sie für eine Person in ihrer Lebensstellung sein sollte. Meine Idee ist nun die, sie in den Anzug zu kleiden, den ich heute in den Gärten trug, sie auszuschicken und unsern ehrwürdigen Feind in voller Verfolgung hinterher, und sobald die Luft rein ist, selber zu Dir zu entschlüpfen. Es würde dies natürlich gänzlich unmöglich, wenn ich unverschleiert gesehen worden; doch wie die Sachen jetzt liegen, ist es ein Vortheil jener fürchterlichen Bloßstellung, die meiner Heirath folgte, daß ich mich selten öffentlich und in einem so bevölkerten Orte, wie London, nie blicken lasse, ohne einen dichten Schleier zu tragen. Ich sehe denn wirklich nicht ein, warum wir das Stubenmädchen, wenn es meinen Anzug trägt, nicht zu einem sprechend ähnlichen Conterfei meiner Person verwenden könnten!

Die einzige Frage bleibt: darf man dem Frauenzimmer trauen? Ist dies der Fall, so sende mir eine Zeile, in der Du ihr in Deiner Autorität befiehlst, sich mir zur Verfügung zu stellen. Ich will ihr kein Wort darüber sagen, bis ich nicht zuvor von Dir gehört habe.

Laß mich noch heute Abend eine Antwort haben. So lange wir über meinen Plan hinsichtlich der Gouvernantenstelle blos plauderten, war es mir ziemlich gleichgültig wie die Sache ablief. Doch jetzt, wo wir wirklich auf Major Milroy’s Annonce geantwortet haben, nehme ich das Ding endlich ernsthaft. Ich will Mrs. Armadale von Thorpe-Ambrose werden, und wehe dem, Mann oder Weib, der sich mir in den Weg zu stellen wagt!

Die Deine
Lydia Gwilt.

Nachschrift. Ich öffne meinen Brief wieder, um noch hinzuzufügen, daß Du keine Sorge zu haben brauchst, man könne Deinem Boten auf seinem Heimwege nach Pimlico nachgehen. Er will nach einer Schänke fahren, wo er bekannt ist, will da seinen Fiaker entlassen und dann durch eine Hinterthür wieder hinausgehen, die nur vom Wirth und von dessen Freunden benutzt wird. L. G.«

Von Mrs. Oldershaw an Miß Gwilt
Diana Street, 10 Uhr.

Meine liebe Lydia! Du hast mir einen herzlosen Brief geschrieben. Hättest Du Dich in meiner schwierigen Lage befunden, gequält, wie ich war von Aerger aller Art, als ich an Dich schrieb, so hätte ich Nachsicht für meine Freundin gehabt, wenn diese Freundin sich nicht so schlau wie gewöhnlich gezeigt hätte. Aber der Fehler unseres Zeitalters ist ein Mangel an Rücksichten gegen bejahrtere Personen. Dein Gemüth befindet sich in einem traurigen Zustande, meine Beste, und Du brauchst ein gutes Beispiel sehr nöthig. Du sollst ein gutes Beispiel haben – ich vergebe Dir.

Jetzt, nachdem ich mir durch eine gute Handlung das Herz erleichtert, wie wäre es da, wenn ich Dir zunächst bejahte – obgleich ich gegen die Gemeinheit des Ausdrucks protestiere, – daß ich allerdings ein wenig weiter zu sehen im Stande bin, als meine arme alte Nase reicht?

Ich will Deine Frage wegen des Stubenmädchens zuerst beantworten. Du darfst ihr unbedingtes Vertrauen schenken. Sie hat ihre Nöthen gehabt und Discretion gelernt. Außerdem kann sie für so ziemlich von Deinem Alter gelten, obgleich ich ihr nur Gerechtigkeit widerfahren lasse, wenn ich hinzufüge, daß sie in dieser Hinsicht einen Vorzug von mehren Jahren vor Dir besitzt. Ich lege die nothwendigen Instructionen bei, die sie Dir gänzlich zur Verfügung stellen.

Und was kommt dann? Dann kommt Dein Plan zu Deiner Uebersiedlung nach Bayswater. Derselbe ist, so weit er eben reicht, ganz gut, aber er bedarf sehr einiger kleinen Verbesserungen. Es ist höchst nöthig – und Du sollst sogleich erfahren, warum – den Pfarrer viel vollständiger zu täuschen, als Du zu thun beabsichtigst Er muß das Gesicht des Mädchens unter Umständen sehen, die ihm die Ueberzeugung geben, daß es das Deinige sei. Und dann, ich gehe noch einen Schritt weiter, muß er sehen, daß das Stubenmädchen London verläßt, und zwar in der Ueberzeugung daß er Dich Deine Reise nach Brasilien hat antreten sehen. Er glaubte nicht an diese Reise, als ich ihm heute Nachmittag auf der Straße davon erzählte. Indes; kann er daran glauben, wenn Du den Weisungen folgst, die ich Dir jetzt geben werde.

Morgen ist Sonnabend. Schicke das Mädchen, ganz wie Du es vorschlägst, in Deinem heutigen Anzuge aus; aber rühre Dich selber nicht vom Flecke und laß Dich nicht am Fenster blicken. Befiehl ihr, den Schleier niederzulassen, eine Stunde spazieren zu gehen – natürlich ohne Ahnung von dem ihr folgenden Pfarrer oder seinem Diener – und dann zu Dir zurückzukehren. Sowie sie heimkommt, laß sie augenblicklich ans offene Fenster treten, den Schleier sorglos zurückschlagen und hinaussehen. Nach ein paar Minuten laß sie vom Fenster zurücktreten, Hut und Shawl ablegen und sich dann nochmals am Fenster oder besser noch, draußen auf dem Balcon zeigen. Dann mag sie sich später am Tage noch einige male in dieser Weise zeigen, doch nicht zu oft, und da wir es mit einem geistlichen Herrn zu thun haben, schicke sie morgen auf jeden Fall in die Kirche. Wenn diese Vorkehrungen den Pfarrer nicht überzeugen, daß das Gesicht des Stubenmädchens das Deinige ist, und ihn nicht bereitwilliger an Deine Besserung glauben machen, als er es zu thun geneigt war, während ich mit ihm sprach, so habe ich meine sechzig Jahre in diesem Jammerthale mit sehr geringem Nutzen zugebracht, meine Liebste.

Der nächste Tag ist Montag. Ich habe mir die Schiffsanzeigen angesehen und finde, daß am Dienstag ein Dampfschiff von Liverpool nach Brasilien abgeht. Nichts könnte sich besser treffen; wir wollen Dich vor den eigenen Augen des Pfarrers abreisen lassen. Du mußt dies folgendermaßen bewerkstelligen.

Um ein Uhr schicke den Mann, der die Messer und Gabeln putzt, nach einem Fiaker aus, und wenn er denselben vor die Thür gebracht, so laß ihn noch eine zweite Droschke holen, in welcher er selber am Square, um die Ecke, wartet. Laß das Mädchen, noch immer in Deinem Anzuge, mit den nothwendigen Koffern und Kisten im ersten Fiaker nach der Nordwestbahn abfahren. Sobald sie fort ist, schlüpfe Du selber um die Ecke nach der wartenden Droschke und komm’ zu mir nach Bayswater. Sie sind vielleicht darauf vorbereitet, dem Fiaker des Mädchens zu folgen, weil sie denselben vor der Thür warten sehen, aber dem Deinigen zu folgen, wird ihnen nicht einfallen, da er ja drüben am Square gehalten hat. Wenn die Zofe auf den Bahnhof gelangt ist und ihr Möglichstes gethan hat, um sich in der Menge zu verlieren – ich habe absichtlich den gemischten Zug um 2 Uhr 10 Minuten gewählt, um ihr alle Chancen dazu zu geben, – bist Du bei mir in Sicherheit, und es macht dann nichts mehr aus, wenn sie auch entdecken, daß sie nicht wirklich nach Liverpool abgereist ist. Sie werden jede Spur von Dir verloren haben und mögen dann, wenn es ihnen beliebt, ganz London nach dem Mädchen durchsuchen Sie erhält in der Inlage meine Weisungen, die leeren Reisekoffer ihren Weg nach dem Büreau für verlorene Baggage finden zu lassen und sich selbst zu ihrer Familie in der City zu begeben und dort zu bleiben, bis ich sie zurückberufe.

Und zu welchem Zweck alles dies? Meine liebe Lydia, zu Deiner und zu meiner zukünftigen Sicherheit. Es mag uns glücken oder mißlingen, dem Pfarrer einzubilden, daß Du wirklich nach Brasilien abgereist bist. Glückt es uns, so dürfen wir uns fortan aller Furcht vor ihm entschlagen. Mißglückt es, so wird er den jungen Armadale vor einem Weibe Warnen, das meinem Stubenmädchen gleicht und nicht vor einem Weibe, das aussieht wie Du. Dieser letztere Vortheil ist ein sehr wichtiger, denn wir wissen nicht, ob Mrs. Armadale ihm nicht Deinen Mädchennamen mitgetheilt hat. In diesem Falle wird seine Beschreibung der »Miß Gwilt«, die ihm hier durch die Finger geschlüpft, der »Miß Gwilt« in Thorpe-Ambrose so unähnlich fein, um Jedermann zu überzeugen, daß es sich hier nicht um eine Gleichheit der Personen, sondern nur um eine Gleichheit der Namen handelt.

Was sagst Du jetzt zu meiner Verbesserung Deiner Idee? Ist mein Kopf jetzt nicht mehr ganz so verdreht, wie er Dir erschien, als Du an mich schriebst? Glaube nicht, daß ich mich mit meinem Scharfsinn brüsten will. Weit schlauere Streiche, als dieser werden von Woche zu Woche von Schwindlern am Publikum verübt und in den Zeitungen berichtet. Ich möchte Dich blos darauf aufmerksam machen, daß mein Beistand für den Erfolg unserer Armadale-Speculation jetzt nicht minder nothwendig ist, als zur Zeit, wo ich vermittelst des harmlos aussehenden jungen Mannes und des geheimen Intelligenzbüreaus auf dem Shadyside-Platze unsere ersten wichtigen Entdeckungen machte.

Ich habe, so viel ich weiß, nichts weiter hinzuzufügen, außer daß ich mich eben anschicke, nach meiner neuen Wohnung aufzubrechen, und zwar mit einem Koffer, der mit meinem neuen Namen geziert ist. Die letzten Augenblicke der Mutter Oldershaw vom Modemagazine sind gekommen, und die Geburt von Miß Gwilt’s respectabler Beschützerin Mrs. Mandeville wird binnen fünf Minuten in einem Fiaker stattfinden. Ich bilde mir ein, ich muß im Herzen noch immer jung sein, denn ich bin bereits völlig verliebt in meinen neuen romantischen Namen; derselbe klingt fast ebenso hübsch, wie Mrs. Armadale auf Thorpe-Ambrose, nicht wahr? Gute Nacht, Liebste, und angenehme Träume! Wenn sich bis Montag irgend etwas ereignet, so schreib’ mir unverzüglich mit der Post. Ereignet sich nichts, so wirst Du am Montag für die schleunigsten Erkundigungen, die der Major möglicherweise macht, früh genug bei mir anlangen. Meine letzten Worte sind: Geh nicht aus und wage Dich bis Montag nicht an die Fenster des Vorderzimmers.

 
Herzlich die Deine
M. O.«

Zweites Kapitel

Am Einundzwanzigsten gegen Mittag schlenderte Miß Milroy, durch eine Besserung im Befinden ihrer Mutter von ihren Pflichten im Krankenzimmer erlöst, in ihrem Gärtchen umher, als der Klang von Stimmen aus dem Parke ihre Aufmerksamkeit erregte. Die eine dieser Stimmen erkannte sie augenblicklich als die Allan’s, die andere war ihr fremd. Sie bog die Zweige eines Busches am Gartengeländer auf die Seite und sah, indem sie hindurchschaute, Allan in Gesellschaft eines kleinen dunklen, schlanken Mannes, der höchst aufgeregt in lautem Tone plauderte und lachte, sich dem Pförtchen nähern. Miß Milroy lief ins Haus hinein, um ihrem Vater Mr. Armadale’s Ankunft zu melden und hinzuzufügen, daß er einen etwas aufgeregten Fremden mitbringe, der aller Wahrscheinlichkeit nach der Freund sei, welcher dem Gerüchte zufolge sich beim Squire im großen Hause zum Besuch aufhalte.

Hatte die Tochter des Majors richtig gerathen? War der laut schwatzende, laut lachende Begleiter des Squires der schüchterne empfindsame Midwinter von früher? Er war es in der That. In Allan’s Gegenwart war an diesem Morgen eine außerordentliche Veränderung mit dem gewöhnlich so ruhigen Benehmen seines Freundes vorgegangen.

Als Midwinter, nachdem er Mr. Brocks beängstigenden Brief bei Seite gelegt, im Frühstückszimmer erschienen, war Allan zu sehr beschäftigt gewesen, um ihm besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Die noch ungelöste Schwierigkeit der Wahl eines Tages für das Pächterdiner war ihm abermals zur Beseitigung aufgedrungen, und der Schmaus war jetzt auf den Rath des Kellermeisters, auf Sonnabend, den Achtundzwanzigsten des Monats, angesetzt worden. Erst als er sich umwandte, um Midwinter zu erinnern, daß diese Anordnung demselben reichliche Zeit lasse, um sich mit den Verwaltungsbüchern vertraut zu machen, ward selbst Allan’s flüchtige Aufmerksamkeit durch die sichtliche Veränderung in dem Gesichte seines vis – a vis gefesselt. Er hatte diese Veränderung in der ihm eigenen unverhohlenen Weise sogleich erwähnt und war augenblicklich durch eine ärgerliche, fast zornige Antwort wieder zum Schweigen gebracht worden. Dann hatten sich beide ohne ihre gewohnte gegenseitige Herzlichkeit zum Frühstück niedergesetzt und das Mahl war trübselig verlaufen, bis Midwinter dadurch das Schweigen brach, daß er sich plötzlich einem Ausbruche von Heiterkeit hingab, die Allan eine neue Seite im Charakter seines Freundes enthüllte.

Der Schluß, zu dem er dadurch gelangte, war, wie dies gewöhnlich mit Allan’s Urtheile der Fall, ein falscher. Es war keine neue Seite in Midwinters Charakter, die sich ihm jetzt darstellte, vielmehr nur ein neuer Anblick des einen, immer wiederkehrenden Kampfes in Midwinter’s Leben.

Von Allan’s Wahrnehmung der in ihm vorgehenden Veränderung gereizt, die er selber nicht bemerkt, als er vor dem Verlassen seines Zimmers einen flüchtigen Blick in den Spiegel geworfen hatte, Allan’s prüfender Blicke sich bewußt und die nächsten Fragen fürchtend, die dessen Neugierde an ihn richten dürfte, hatte Midwinter sich mit Gewalt zusammengerafft, um den Eindruck zu verwischen, den sein verändertes Aussehen hervorgebracht. Es war dies eines jener Kraftstücke, wie sie niemandem so leicht gelingen wie Leuten seines raschen Temperaments und seiner empfindsamen frauenhaften Organisation. Von dem besten Glauben erfüllt, daß seit der Entdeckung des Pfarrers in den Kensingtongärten sich ihm und Allan das Verhängniß um einen großen Schritt genähert – die Spuren von dem noch im Gesicht, was er unter der erneuten Ueberzeugung gelitten, daß die letzte Warnung seines sterbenden Vaters sich in einem Ereignisse nach dem andern geltend mache, um ihn, welches Opfer es auch kosten möge, von dem einzigen menschlichen Wesen zu scheiden, das er liebte – in der nimmer ruhenden Angst seines Herzens, Allan’s erstes geheimnißvolles Traumgesicht könne sich noch vor Ablauf des heutigen Tages verwirklichen, – von diesen dreifachen Banden, die sein eigener Aberglaube geschaffen, gefesselt, wie er sich noch nie zuvor gefesselt gefühlt, spornte er sich erbarmungslos zu der verzweifelten Anstrengung, in Allan’s Gegenwart mit diesem an froher Heiterkeit zu wetteifern. Er plauderte und lachte und belud seinen Teller mit dem Inhalte jeder Schüssel, die auf dem Frühstückstische stand. Ausgelassen lustig, machte er Scherze, die keinen Witz hatten, und erzählte Geschichten, die keine Pointe besaßen. Anfangs setzte er Allan in Erstaunen, dann ergötzte er ihn und gewann endlich sein leicht ermuthigtes Vertrauen in Bezug auf Miß Milroy. Er lachte aus vollem Halse über die plötzliche Entwickelung von Allan’s Heirathsplänen, so daß die Diener unten zu glauben begannen, der seltsame Freund ihres Herrn sei wahnsinnig geworden. Schließlich hatte er Allan’s Vorschlag, sich der Tochter des Majors vorstellen zu lassen und dann sich sein eigenes Urtheil zu bilden, so bereitwillig, ja bereitwilliger angenommen, als es der allerwenigst schüchterne Mensch von der Welt hätte thun können. Und da standen nun die Beiden am Gartenpförtchen; Midwinter’s Stimme übertönte die seines Freundes immer lauter und lauter, sein Wesen maskierte sich – wie albern und mit welchem Herzweh, das wußte nur er allein! – hinter einer gemeinen Dreistigkeit, der unerträglichen, beleidigenden Dreistigkeit eines schüchternen Menschen.

Sie wurden im Wohnzimmer von der Tochter des Majors empfangen, der selbst noch nicht herunter gekommen war.

Allem wollte feinen Freund in hergebrachter Form vorstellen. Zu seinem Erstaunen nahm Midwinter ihm ungeniert das Wort aus dem Munde und stellte sich mit einer sichern Miene, einem unangenehmen Lachen und einer plumpen Affectation von Unbefangenheit, die ihn zu seinem größten Nachtheile erscheinen ließen, selber Miß Milroy vor. Seine künstliche Heiterkeit, die er während des Morgens fortwährend zum Ueberschäumen gepeitscht hatte, stieg jetzt in hysterischer Weise, bis er alle Gewalt über dieselbe verlor. Er sprach und gebärdete sich mit jener fürchterlichen Freiheit und Ungebundenheit, welche bei einem von Natur schüchternen Menschen, wenn er einmal alle Zurückhaltung abgestreift, die nothwendige Folge der Anstrengung ist, mit welcher er sich des Zwanges entledigt hat. Er verwickelte sich in ein verworrenes Gemisch von Entschuldigungen, deren es durchaus nicht bedurfte, und Complimenten, die selbst einem Wilden zu schmeichelhaft erschienen sein dürften. Er blickte von Miß Milroy zu Allan und von Allan zu Miß Milroy hin und her und erklärte scherzhaft neckend, er begreife jetzt, warum die Morgenspaziergänge seines Freundes stets nach derselben Richtung eingeschlagen würden. Er fragte sie nach ihrer Mutter und unterbrach ihre Antworten mit Bemerkungen über das Wetter. In einem Athem sagte er, sie müsse den Tag unerträglich heiß finden, und im nächsten versicherte er ihr, daß er sie um ihr kühles Musselinkleid förmlich beneide.

Der Major trat ein. Ehe er noch zwei Worte sagen konnte, überschüttete ihn Midwinter mit der nämlichen wahnsinnigen Vertraulichkeit und derselben fieberhaften Redseligkeit. Er gab seine Theilnahme an Mrs. Milroy’s Befinden in Ausdrücken zu erkennen, die selbst von den Lippen eines alten Hausfreundes hätten übertrieben klingen müssen. Er strömte von Entschuldigungen über, daß er den Major in seinen technischen Studien gestört habe. Er erwähnte Allan’s überschwängliche Schilderung von der Uhr und sprach in noch überschwänglicheren Ausdrücken sein Verlangen aus, dieselbe sehen zu dürfen. Er paradierte mit seiner oberflächlichen Büchergelehrsamkeit über die große Münsteruhr zu Straßburg und machte weit hergeholte Scherze über die seltsamen Automatengestalten, die jene Uhr in Bewegung setzt – über die Procession der zwölf Apostel, die um Mittag unter dem Zifferblatt vorüberzieht, rund über den kleinen Hahn, welcher beim Erscheinen des heiligen« Petrus kräht – und alles dies vor einem Manne, der jedes Rad in diesem complicirten Werke studiert und ganze Jahre mit Versuchen zugebracht hatte, die complicirte Maschinerie nachzuahmen. »Wie ich höre, haben Sie die Straßburger Apostelprocession und das Krähen des Straßburger Hahns noch überboten«, rief er in dem Ton und der Manier eines Freundes, der das Privilegium besitzt, alle Ceremonie bei Seite setzen zu dürfen, »und ich sterbe wirklich vor Verlangen, Ihre wunderbare Uhr zu sehen, Major!«

Major Milroy war, als er ins Zimmer trat, in gewohnter Weise noch ganz in seine mechanischen Erfindungen vertieft gewesen. Aber die Wirkung von Midwinters Vertraulichkeit war mächtig genug, um ihn augenblicklich seiner Träumerei zu entreißen und ihm auf der Stelle die gesellschaftlichen Ressourcen des Weltmanns zu Gebote zu stellen.

»Verzeihen Sie, wenn ich Sie unterbreche«, sagte er, Midwinter einen Augenblick durch einen festen Blick des Erstaunens zum Schweigen bringend; »ich habe die Uhr des Straßburger Münsters zufällig gesehen, und es klingt meinem Ohre fast lächerlich – verzeihen Sie mir den Ausdruck – wenn man mein kleines Experiment in irgend einer Weise mit jenem erstaunlichen Werke vergleicht. In der ganzen Welt gibt es kein zweites Kunstwerk dieser Art!« Er schwieg, um seinen eigenen steigenden Enthusiasmus im Zaume zu halten; die Uhr zu Straßburg war für Major Milroy dasselbe, was der Name des Michael Angelo für Sir Joshua Reynolds war. »Mr. Armadale’s Güte hat ihn zur Uebertreibung verleitet!« fuhr der Major, Allan zulächelnd, fort; dabei ignorierte er einen abermaligen Versuch Midwinter’s, das Wort an sich zu reißen, als wäre ein solcher Versuch gar nicht gemacht worden. »Da aber zufälligerweise zwischen der großen Uhr im Auslande und der kleinen Uhr hier zu Hause wenigstens insofern eine Aehnlichkeit stattfindet, als sie beide mit dem Schlage der zwölften Stunde zeigen, was sie zu leisten im Stande sind, und da nur wenig noch an zwölf Uhr fehlt, so ist’s am besten, wenn Sie meine Werkstatt noch besuchen wollen, ich führe Sie dahin, je eher, je lieber.« Er öffnete die Thür und entschuldigte sich mit bedeutungsvoller Förmlichkeit bei Midwinter, daß er ihm voranschreite.

»Wie gefällt Ihnen mein Freund?« flüsterte Allan, als er mit Miß Milroy folgte.

»Muß ich Ihnen die Wahrheit sagen, Mr. Armadale?« erwiderte sie ebenfalls flüsternd.

»Das versteht sich!«

»Nun denn, er gefällt mir gar nicht!«

»Er ist der beste und liebenswürdigste Bursche von der Welt,« entgegnete der offenherzige Man. »Er wird Ihnen besser gefallen, wenn Sie ihn erst besser kennen werden, sicherlich!«

Miß Milroy verzog ein wenig das Gesichtchen, um die äußerste Gleichgültigkeit in Bezug auf Midwinter und ihr lächerliches Erstaunen über Allan’s Parteinahme für die Verdienste seines Freundes auszudrücken. »Hat er mir nicht Interessanteres zu sagen, als das«, dachte sie verwundert, »nachdem er mir gestern Morgen zweimal die Hand geküßt hat?«

Ehe Allan Gelegenheit fand, ein anziehenderes Thema anzuschlagen, waren sie Alle in der Werkstätte des Majors angelangt. Hier, auf einem rohen hölzernen Kasten, welcher offenbar die Maschinerie enthielt, stand die wunderbare Uhr. Das Zifferblatt ward von einem auf schwarzen Ebenholzblöcken ruhenden Piedestal überragt, und auf diesem Piedestal saß die unvermeidliche Gestalt der »Zeit« mit ihrer Sense in der Hand. Unter dem Zifferblatt befand sich ein kleiner Altan, und an jedem Ende desselben war ein kleines Schilderhäuschen mit verschlossener Thür aufgerichtet. Dies war Alles, was man überblickte, bis der magische Augenblick kam, wo die Uhr die Mittagsstunde schlug.

Es fehlten jetzt noch etwa drei Minuten an zwölf Uhr, und Major Milroy benutzte dieselben, um noch eine Erklärung der zu erwartenden Vorstellung zu geben. Schon bei den ersten Worten verloren sich seine Gedanken wieder völlig in dem Interesse an dieser einzigen Beschäftigung seines Lebens. Er wandte sich Midwinter zu – der auf dem ganzen Wege vom Wohnzimmer hierher unaufhörlich gesprochen hatte und noch immer fort plauderte – ohne eine Spur von der kalten und schneidenden Ruhe zu zeigen, die sich noch vor wenigen Minuten in seinen Worten ausgedrückt hatte. Der vorlaute familiäre Mensch der im Wohnzimmer ein ungezogener Eindringling gewesen, wurde in der Werkstätte ein privilegirter Gast, denn hier besaß er den Alles wieder gut machenden gesellschaftlichen Vorzug, daß die Leistungen der wunderbaren Uhr ihm noch etwas Neues waren.

 

»Bei dem ersten Schlage der Uhr, Mr. Midwinter«, sagte der Major im höchsten Eifer, »heften Sie die Blicke auf die Gestalt der »Zeit«, dieselbe wird ihre Sense bewegen und mit derselben nach dem Glaspiedestal hinabdeuten. Dann werden Sie zunächst hinter dem Glase eine kleine gedruckte Karte erscheinen sehen, die Ihnen das Datum und den Tag der Woche anzeigt. Beim letzten Schlage wird die Zeit ihre Sense wieder in ihre vorige Stellung bringen und das Glockenspiel zu läuten beginnen. Dem Geläute wird eine Melodie folgen – die des Lieblingsmarsches in meinem ehemaligen Regiment – und darauf die letzte Vorstellung der Uhr stattfinden. Die Schilderhäuschen an beiden Enden werden sich beide im gleichen Momente öffnen. In dem einen werden Sie die Schildwache erscheinen sehen, und aus der andern wird ein Corporal mit zwei Gemeinen heraustreten, um die Wache abzulösen, und dann, die neue Wache an ihrem Posten zurücklassend, vom Altane verschwinden. Für diesen letzteren Theil der Vorstellung muß ich mir Ihre Nachsicht erbitten. Das Räderwerk ist ein wenig complicirt und es hat noch gewisse Mängel, denen ich, wie ich zu meiner Schande bekenne, noch nicht abzuhelfen vermochte. Zuweilen machen die Figuren ihre Sache ganz recht, zuweilen aber ganz verkehrt. Ich hoffe, daß sie bei ihrem ersten Auftreten vor Ihnen ihr Bestes thun werden.«

Während der Major, neben seiner Uhr postiert, diese letzten Worte sprach, sahen seine drei Zuhörer, die am andern Ende des Zimmers standen, die beiden Zeiger aus zwölf weisen. Der erste Schlag erscholl, und die Figur auf dem Piedestal bewegte, dem Signale gehorsam, ihre Sense. Dann kündeten sich das Datum und Wochentag auf einer gedruckten Karte daneben an, während Midwinter die Vorstellung mit einer lauten, übertriebener: Verwunderung applaudierte, welche sich Miß Niilroy falscherweise für einen groben Hohn auf die Beschäftigung ihres Vaters auslegte, und die Man, da er sah, daß sie sich gekränkt fühlte, zu mäßigen suchte, indem er seinen Freund an den Ellbogen stieß. Inzwischen nahm die Vorstellung ihren Fortgang. Mit dem letzten Schlage der Mittagsstunde hob die »Zeit« ihre Sense wieder empor, das Glockenspiel läutete, der Lieblingsmarsch von des Majors ehemaligem Regimente folgte und dann kündigte sich in dem vorläufigen Erbeben der Schilderhäuschen und dem plötzlichen Verschwinden des Majors hinter der Uhr die Schlußvorstellung die Wachenablösung, an.

Dieselbe begann damit, daß das Schilderhäuschen auf der rechten Seite des Altans sich mit aller nur zu wünschenden Pünktlichkeit öffnete; die Thür auf der andern Seite war indessen weniger folgsam – sie blieb hartnäckig geschlossen. Dieses Hindernis; im Fortgange der Vorstellung nicht gewahrend, erschienen der Corporal und seine beiden Gemeinen in vollkommenster Disciplin an ihren Plätzen, schwankten sämtlich, an allen Gliedern zitternd, quer über den Altan, stürzten mit aller Gewalt nach der geschlossenen Thür des Schilderhäuschens auf der andern Seite und machten nicht den geringsten Eindruck auf die unerschütterliche Schildwache die sich drin im Häuschen befinden sollte. Im Innern des Uhrwerks ließ sich ein gelegentliches Ticken und Schnappen hören, wie von den Schlüsseln und Werkzeugen des Majors. Plötzlich marschierte der Corporal und seine beiden Soldaten rückwärts über den Altan zurück und schlossen sich mit einem Krachen der Thür in ihr eigenes Schilderhäuschen ein. In demselben Augenblicke öffnete sich zum ersten Male die andere Thür, und die verwünschte Schildwache erschien mit der größten Gelassenheit an ihrem Posten und harrte der Ablösung. Sie hatte zu warten. In dem andern Schilderhäuschen geschah nichts, als ein gelegentliches Klopfen innen an der Thür, als wenn der Corporal und die Soldaten ungeduldig hinausstrebten. Von neuem ließen sich im Uhrwerke die Werkzeuge des Majors rasselnd vernehmen; der Corporal und seine Begleiter, denen plötzlich die Freiheit gegeben, erschienen in größter Eile und stürmten wüthend über den Altan. Doch wie schnell sie auch waren, die bisher so gelassene Schildwache auf der andern Seite zeigte sich jetzt tückischerweise noch geschwinder, als sie. Mit Blitzesschnelle verschwand sie in ihrem eigenen Häuschen, die Thür schlug scharf hinter ihr zu. der Corporal und die beiden Gemeinen stürzten zum zweiten Male mit aller Gewalt auf dieselbe los, und der Major bat, hinter der Uhr hervorkommend, die Zuschauer höchst unschuldig: sie möchten ihm gefälligst sagen, ob irgend etwas nicht in Ordnung gewesen sei. Die abenteuerliche Albernheit der ganzen Vorstellung, die durch Major Milroy’s ernste Schlußfrage noch erhöht wurde, war so unwiderstehlich, daß die Gäste in ein schallendes Gelächter ausbrachen; selbst Miß Milroy konnte, ungeachtet all ihrer Rücksicht für den empfindlichen Stolz ihres Vaters auf seine Uhr, sich nicht enthalten, in die Heiterkeit mit einzustimmen, welche die Katastrophe der Puppen herbeigeführt hatte. Doch auch das erlaubte Lachen hat seine Grenzen; und diese Grenzen wurden bald von dem Einen der Gesellschaft so gröblich überschritten, daß die andern Beiden sich dadurch fast augenblicklich zum Schweigen gebracht sahen. Das Fieber von Midwinter’s erkünstelter Lustigkeit artete, als die Vorstellung zu Ende kam, in eine wahre Raserei aus. Seine Lachanfälle folgten einander mit so krampfhafter Heftigkeit, daß Miß Milroy erschrocken von ihm zurückwich und selbst der geduldige Major sich mit einem Blicke zu ihm wandte, welcher deutlich sagte: »Verlassen Sie das Zimmer!« Allan faßte Midwinter, dies eine Mal in seinem Leben, einem weisen Impuls folgend, am Arm und zog ihn mit Gewalt in den Garten und von dort in den Park hinaus.

»Gerechter Himmel! Was fehlt Dir?« rief er aus, indem er vor dem verzerrten Gesichte zurückschrak, das er, wie er stehen blieb, jetzt zum ersten Male genau betrachtete.

Für den Augenblick war es Midwinter unmöglich zu antworten. Der hysterische Anfall ging von dem einen Extreme zum andern über. Schluchzend und keuchend lehnte er sich an einen Baum und streckte, mit einer stummen Gebärde um Geduld bittend, die Hand nach Allan aus.

»Es wäre besser gewesen, Du hättest mich nicht in meinem Fieber gepflegt«, sagte er mit matter Stimme, sobald er zu sprechen vermochte. »Ich bin wahnsinnig und elend, Allan – ich habe mich nie wieder völlig erholt. Geh’ zurück und bitte in meinem Namen um Verzeihung; ich schäme mich zu sehr, es selber zu thun. Ich kann nicht sagen, wie es geschehen ist – ich kann nur Dich und sie um Vergebung bitten.« Er wandte schnell den Kopf ab, um sein Gesicht zu verbergen. »Bleib’ nicht hier«, sagte er; »sieh mich nicht an – ich werde es bald überwinden.« Allan zögerte noch immer und bat dringend, daß er ihn nach Hause führen dürfe. Es war nutzlos »Du brichst mir mit Deiner liebevollen Güte das Herz«, rief er leidenschaftlich aus. »Ich bitte Dich um Gottes willen, laß mich allein!«

Allan kehrte zum Häuschen zurück und bat dort mit einer Ernstlichkeit und Einfachheit um Nachsicht für Midwinter, die ihn bedeutend in der Achtung des Majors steigen ließen, bei Miß Milroy jedoch durchaus nicht denselben günstigen Eindruck hervorbringen wollte. Wie wenig sie dies selber ahnen mochte, sie hatte Allan bereits so lieb gewonnen, das; sie auf Allan’s Freund eifersüchtig war.

»Wie überaus abgeschmackt«, dachte sie gereizt. »Als ob eine solche Person die geringste Wichtigkeit für den Papa und mich haben könnte!«

»Sie werden so freundlich sein, sich Ihre Meinung von meinem Freunde nicht nach Ihrer heutigen Bekanntschaft mit ihm zu bilden, nicht wahr, Major Milroy?« sagte Allan beim Scheiden auf seine herzliche Weise.