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Armadale

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Der nächste Tag, der zwanzigste des Monats, brachte einiges Neue aus der Außenwelt. Mr. Pedgift ließ sagen, daß sein Schreiber Mr. Bashwood, sich am folgenden Tage in Thorpe-Ambrose einstellen werde, und Midwinter erhielt eine Antwort auf seinen Brief an Mr. Brock.

Der Brief war vom achtzehnten datiert, und der Inhalt desselben heiterte nicht nur Allan, sondern auch Midwinter auf. Mr. Brock kündigte ihnen an, daß er an dem Tage, an dem er schreibe, nach London zu reisen im Begriff sei, wohin er im Interesse eines kranken Anverwandten beschieden worden, dessen Curator er war. Nachdem er diese Geschäfte abgethan, habe er gute Hoffnung, irgendeinen seiner Freunde unter der Geistlichkeit in London bereit zu finden, sein Amt für ihn zu verrichten, und in diesem Falle hoffe er, innerhalb einer Woche oder schon früher von London nach Thorpe-Ambrose reisen zu können. Unter diesen Umständen wolle er den größern Theil der von Midwinter beregten Gegenstände aufsparen, bis sie einander sahen. Da jedoch in Bezug auf die Verwalterstelle in Thorpe-Ambrose die Zeit von Wichtigkeit sein dürfe, wolle er hiermit sogleich sagen, daß er keinen Grund sehe, weshalb Midwinter nicht versuchen sollte, sich mit den Verwalterpflichten vertraut zu machen, und warum es ihm nicht gelingen sollte, seinem Freunde in dieser Stellung unschätzbare Dienste zu leisten.

Während Midwinter zu Hause blieb, um den ermuthigenden Brief des Pfarrers immer und immer wieder mit einer Aufmerksamkeit durchzulesen, als sei ihm daran gelegen, jedes Wort desselben auswendig zu lernen, ging Allan etwas früher als gewöhnlich aus, um seine tägliche Nachfrage im Häuschen zu machen, oder, mit andern Worten, um einen vierten Versuch zu machen, seine Bekanntschaft mit Miß Milroy fortzusetzen. Der Tag hatte in ermuthigender Weise begonnen und schien bestimmt, auch in dieser Weise fortzufahren. Als Allan um die Ecke des zweiten Gebüsches bog und in das kleine Gehege eintrat, in dem er Miß Milroy zum ersten Male begegnet war, fand er dort Miß Milroy vor, welche langsam auf dem Rasenplatze auf und ab ging, dem Anscheine nach Jemanden erwartend.

Sie erschrak ein wenig, als sie Allan erblickte, kam ihm jedoch ohne Zögern entgegen. Sie erschien einigermaßen verändert, aber nicht zu ihrem Vortheil. Ihre rosige Farbe hatte durch die Einsperrung im Hause gelitten, und ein markirter Ausdruck der Verlegenheit umwölkte ihr hübsches Gesicht.

»Ich weiß kaum, wie, ich es bekennen soll, Mr. Armadale«, sagte sie hastig, ehe Allan noch ein Wort herauszubringen im Stande war, »aber ich kam allerdings heute Morgen in der Hoffnung hierher, Sie zu treffen. Ich bin sehr bekümmert gewesen; ich habe nur soeben erst, und zwar durch Zufall, etwas von der Art und Weise erfahren, in der die Mama das Geschenk von Obst aufgenommen hat, das Sie ihr zu senden die Güte hatten. Wollen Sie versuchen, sie zu entschuldigen? Sie ist seit Jahren außerordentlich leidend gewesen und kennt sich nicht immer. Nachdem Sie so sehr freundlich gegen mich und den Papa gewesen, konnte ich wirklich nicht umhin, dem Hause zu entschlüpfen, um Ihnen mein Bedauern auszudrücken. Bitte, vergeben und vergessen Sie, Mr. Armadale, ich bitte Sie!« Ihre Stimme bebte bei diesen letzten Worten, und in ihrem Eifer, seine Verzeihung für ihre Mutter zu erlangen, legte sie ihre Hand auf seinen Arm.

Allan war selbst ein wenig verlegen. Ihr Ernst überraschte ihn, und ihre sichtliche Ueberzeugung, daß er sich beleidigt gefühlt, verursachte ihm aufrichtiges Bedauern. Da er nicht wußte, was er thun solle, folgte er seinem Instincte und nahm ihre Hand.

»Meine liebe Miß Milroy, wenn Sie noch ein Wort darüber sagen, werden Sie mich betrüben«, erwiderte er, indem er in der Verwirrung des Augenblicks unbewußt ihre Hand immer fester und fester in der seinigen drückte. »Ich fühlte mich keinen Augenblick im mindesten beleidigt; ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich es auf Mrs. Milroy’s Krankheit schob. Beleidigt!« rief Allan, mit Energie zu seiner alten Manier zurückkehrend. »Ich ließe mir gern tagtäglich meinen Obstkorb zurücksenden, wenn ich nur die Gewißheit hätte, daß dies Sie stets am nächsten Morgen ins Gehege hinaus bringen würde.«

Ein Theil der entflohenen Farbe kehrte wieder in Miß Milroy’s Wangen zurück. »O Mr. Armadale, Ihre Güte ist in der That unbegrenzt«, sagte sie; »Sie können sich keine Vorstellung machen, wie sehr Sie mir das Herz erleichtert haben!« Sie schwieg, ihre frohe Stimmung hatte sich mit einer Schnelligkeit wiedergefunden, als wäre sie ein Kind, und ihre angeborene Heiterkeit funkelte wieder in ihren Augen, wie sie schüchtern lächelnd zu Allan’s Gesicht aufschaute. »Sind Sie nicht der Ansicht«, fragte sie sittsam, »daß es fast Zeit ist, meine Hand loszulassen?«

Ihre Blicke begegneten sich. Allan folgte zum zweiten Male seinem Instincte Anstatt ihre Hand loszulassen, erhob er dieselbe zu seinen Lippen und küßte sie. In einem Augenblicke blühte wieder die ganze entschwundene Rosenfarbe in Miß Milroy’s Gesicht. Sie entriß Allan ihre Hand, wie wenn er sie verbrannt hätte.

»Ich bin überzeugt, daß das unrecht ist, Mr. Armadale«, sagte sie, und wandte schnell den Kopf ab, denn sie lächelte wider Willen.

»Ich beabsichtigte, mich dadurch dafür zu entschuldigen, daß ich Ihre Hand zu lange festgehalten«, stammelte Allan. »Eine Entschuldigung kann doch nicht unrecht sein, wie?«

Es gibt Gelegenheiten, obwohl nicht viele, wo der weibliche Geist genau die Macht der reinen Vernunft zu schätzen im Stande ist. Die gegenwärtige Gelegenheit war eine solche. Es war Miß Milroy eine abstracte Proposition vorgelegt worden, und sie war überzeugt. Wenn es als eine Entschuldigung habe gelten sollen, so sei dies etwas andres, gab sie zu. »Ich hoffe nur«, sagte die kleine Kokette, ihn schlau anblickend, »daß Sie mich nicht hintergehen. Nicht, daß dies jetzt viel zu bedeuten hätte«, fügte sie mit einem ernsten Kopfschütteln hinzu; »haben wir wirklich etwas Unpassendes gethan, Mr. Armadale, so werden wir aller Wahrscheinlichkeit nach keine fernere Gelegenheit haben, dasselbe zu wiederholen.«

»Sie gehen doch nicht fort?« rief Allan in großer Bestürzung.

»Schlimmer als das, Mr. Armadale, meine neue Gouvernante kommt.«

»Kommt?« wiederholte Allan »Kommt bereits?«

»Es ist so gut wie gewiß. Wir erhielten heute Morgen die Antworten auf unsere Annonce. Der Papa und ich öffneten dieselben und lasen sie zusammen, und wir wählten beide denselben Brief unter allen übrigen heraus. Ich wählte denselben, weil er so hübsch geschrieben war, und der Papa wählte ihn, weil die Forderungen so mäßig waren. Er wird den Brief heute an die Großmama in London senden, und falls sie auf Erkundigung Alles befriedigend findet, soll die Gouvernante genommen werden. Sie können sich nicht denken, wie ängstlich mir bereits zu Muthe ist, eine fremde Gouvernante ist eine so schreckliche Aussicht. Aber es ist nicht ganz so schlimm wie eine Pension, und ich setze große Hoffnung in diese neue Dame, da sie einen so hübschen Brief schreibt. Derselbe söhnt mich fast, wie ich schon zum Papa sagte, mit ihrem abscheulichen unromantischen Namen aus.«

»Was ist ihr Name?« fragte Allan »Brown? Grubb? Scraggt? Irgendetwas der Art?«

»O still, still! Nicht ganz so entsetzlich Ihr Name ist Gwilt. Fürchterlich unpoetisch, nicht wahr? Die Dame, die sie empfiehlt, muß indessen eine achtbare Person sein, denn sie wohnt in demselben Theile von London, in dem die Großmama wohnt. Halt, Mr. Armadale, wir gehen den verkehrten Weg. Nein, ich kann heute Morgen nicht bleiben, um Ihre reizenden Blumen anzuschauen – und – danke sehr – ich kann Ihren Arm nicht annehmen. Ich habe mich hier bereits zu lange aufgehalten. Der Papa wartet auf sein Frühstück, und ich muß den ganzen Weg zurück laufen. Ich danke Ihnen, daß Sie die Mama so gütig entschuldigt haben, danke, noch einmal und noch einmal, und jetzt adieu!«

»Wollen Sie mir nicht die Hand geben?« fragte Allan.

Sie reichte ihm die Hand. »Keine Entschuldigungen mehr, wenn ich bitten darf, Mr. Armadale«, sagte sie schelmisch Ihre Blicke begegneten sich abermals, und die kleine weiche Hand fand abermals den Weg zu Allan’s Lippen. »Es ist diesmal keine Entschuldigung!« rief Allan, sich eiligst vertheidigend. »Es – es ist ein Zeichen meiner Hochachtung.«

Sie trat ein paar Schritte zurück und brach in ein helles Lachen aus. »Sie werden mich nicht wieder in Ihren Anlagen sehen, Mr. Armadale«, sagte sie fröhlich, »bis ich mich unter Miß Gwilks Schutze befinde!« Mit diesem Lebewohl lief sie, so schnell sie konnte, durch das Gehege zurück.

Allan stand still und beobachtete sie mit stummer Bewunderung, bis sie nicht mehr zu sehen war. Seine zweite Zusammenkunft mit Miß Milroy hatte einen erstaunlichen Eindruck auf ihn gemacht. Zum ersten Male, seit er Besitzer von Thorpe-Ambrose geworden, war er in ernstliche Betrachtungen über das, was er seiner neuen Stellung schuldig war, versunken. »Es fragt sich«, dachte Allan, »ob ich nicht am besten mit meinen Nachbarn Friede machen werde, indem ich mich verheirathe. Ich will mir diesen ganzen Tag zum Ueberlegen nehmen, und falls ich desselben Sinnes bleibe, will ich morgen früh Midwinter darüber zu Rathe ziehen.«

Als der Morgen kam und Allan ins Frühstückszimmer hinunterging, entschlossen, seinen Freund über die Verpflichtungen zu Rathe zu ziehen, die er gegen feine Nachbarn im Allgemeinen und gegen Miß Milroy im Besondern habe, war kein Midwinter zu sehen. Als er sich nach ihm erkundigte, hieß es, daß man ihn in der Hausflur gesehen und daß er einen Brief vom Tische genommen habe, den die Morgenpost für ihn gebracht und mit welchem er augenblicklich nach seinem Zimmer zurückgekehrt sei. Allan ging sofort wieder die Treppe hinauf und klopfte an die Thür seines Freundes.

»Darf ich eintreten?« fragte er.

»Nicht eben jetzt«, war die Antwort.

»Du hast einen Brief erhalten, nicht wahr?« fuhr Allan fort. »Doch keine schlimmen Nachrichten? Es ist doch nichts passiert?«

 

»Nichts. Ich bin heute Morgen nicht ganz wohl. Warte nicht mit dem Frühstück auf mich; ich will herunterkommen, sobald es mir möglich ist.«

Es ward von beiden Seiten nichts weiter gesprochen. Allan kehrte ein wenig enttäuscht nach dem Frühstückszimmer zurück. Er hatte sich darauf gefreut, sich über Hals und Kopf in eine Berathschlagung mit Midwinter zu stürzen, und jetzt war diese Berathschlagung auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben. »Welch ein seltsamer Bursch er ist!« dachte Allan. »Was in aller Welt kann er dort, allein in seinem Zimmer eingeschlossen, Vorhaben?«

Er hatte nichts vor, sondern saß am Fenster und hielt den Brief, den er am Morgen erhalten, offen in der Hand. Derselbe war von Mr. Brocks Hand und lautete wie folgt:

»Mein lieber Midwinter!

Ich habe wörtlich nur zwei Minuten Zeit, um Ihnen vor Abgang der Post mitzutheilen, daß ich soeben in den Kensington – Gärten der Frau begegnet bin, die uns bis jetzt nur als die Frau im rothen, gewirkten Shawl bekannt ist. Ich bin ihr und ihrer Gefährtin – einer respektablen ältlichen Dame – bis nach ihrer Wohnung gefolgt, nachdem ich sie zweimal deutlich Allan’s Namen hatte aussprechen hören. Verlassen Sie sich darauf, daß ich die Frau nicht aus den Augen verlieren werde, bis ich mich überzeugt habe, daß sie kein Unheil in Thorpe-Ambrose anzustiften im Sinne hat, und erwarten Sie, wieder von mir zu hören, sobald ich weiß, wie diese seltsame Entdeckung enden soll.

Aufrichtig der Ihre
Decimuis Brock.«

Nachdem Midwinter den Brief zum zweiten Male durchgelesen, faltete er denselben nachdenklich zusammen und legte ihn zu dem Berichte von Allan’s Traume in sein Taschenbuch.

»Ihre Entdeckung wird nicht dort bei Ihnen enden, Mr. Brock«, sagte er. »Sie mögen mit der Frau thun, was Sie wollen; wenn der Augenblick kommt, wird die Frau hier sein.«

Ein Blick in den Spiegel überzeugte ihn, daß er sich hinlänglich wieder gefaßt habe, um Allan’s Blicken zu begegnen, und so ging er hinunter, um seinen Platz am Frühstückstische einzunehmen.

Ende des zweiten Bandes

Dritter Band

Erstes Kapitel

Von Mrs. Oldershaw (Diana Street, Pimlico)
an Miß Gwilt (West Place Alt Brompton)

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»Modenmagazin,
den 20. Juni Abends 8 Uhr.
»Meine liebe Lydia!

Es sind, wenn ich nicht irre, etwa drei Stunden vergangen, seit ich Dich ohne große Ceremonie in mein Haus in West Place hineinstieß und nachdem ich Dir blos gesagt, zu warten, bis Du mich wiedersehen würdest, die Thür zwischen uns zuschlug und Dich im Flur allein stehen ließ. Ich kenne Deine empfindliche Natur und fürchte, Du müssest nachgerade zu der Ansicht gelangt sein, daß noch nie einem Gaste von seiner Wirthin eine so schmachvolle Behandlung geboten ward, wie sie Dir von mir zu Theil geworden.

Das Hinderniß, welches mich abhielt, Dir mein seltsames Benehmen zu erklären, ist, das glaube mir, indessen nicht mir zur Last zu legen. Es hatte sich, wie ich seitdem entdeckt, heute Nachmittag, als wir in den Kensingtongärten Luft schnappten, eine jener mannigfachen zarten kleinen Schwierigkeiten erhoben, die von einem so wesentlich geheimen Geschäfte, wie das meinige, unzertrennlich sind. Ich sehe keine Möglichkeit, früher als in einigen Stunden zu Dir zurückzukehren, und habe Dir ein Wort sehr dringender Warnung zukommen zu lassen, das schon zu lange verschoben worden ist. Deshalb muß ich die freien Augenblicke benutzen, wie sie sich mir eben bieten, und Dir schreiben.

Warnung Nummer eins. Wage Dich heute Abend auf keinen Fall wieder aus dem Hause und vermeide sorgfältig, Dich, so lange es hell ist, an den Fenstern der Vorderfronte sehen zu lassen. Ich habe Grund zu fürchten, daß eine gewisse reizende Person, die augenblicklich mein Gast ist, beobachtet wird. Beunruhige Dich nicht und werde nicht ungeduldig. Du sollst erfahren, warum.

Ich kann mich nur deutlich machen, indem ich auf unser unglückseliges Zusammentreffen mit jenem ehrwürdigen Herrn zurückkomme, der die Güte hatte, uns aus den Gärten nach meinem Hause zu folgen.

Als wir uns eben der Hausthür näherten, kam mir plötzlich der Gedanke, daß der Eifer, mit dem uns der geistliche Herr auf dem Fuße nachfolgte, einen Beweggrund haben möchte, der seinem Geschmacke vielleicht weit weniger Ehre machte und zugleich uns beiden weit gefährlicher werden könnte als das Motiv, welches Du seiner Begleitung unterlegtest. In klareren Worten, Lydia, ich bezweifelte, daß Du in ihm einen neuen Bewunderer gefunden habest, hegte vielmehr den starken Verdacht, daß Du statt dessen auf einen neuen Feind gestoßen seiest. Es war keine Zeit, Dir dies zu sagen, es war blos Zeit, Dich wohlbehalten nach Hause zu bringen und mich dann des Predigers zu versichern, falls mein Argwohn begründet, indem ich ihm anthat, was er uns angethan, das heißt,meinerseits ihm nachging.

Ich blieb anfangs etwas hinter ihm zurück, um mir die Sache zu überlegen und die Genugthuung zu gewinnen, daß meine Zweifel mich nicht irreleiteten. Wir haben keine Geheimnisse vor einander, und Du sollst wissen, was für Zweifel dies waren. Ich war nicht überrascht, daß Du ihn wieder erkanntest, denn er ist durchaus kein gewöhnlich aussehender alter Mann, und Du hattest ihn zweimal in Sommersetshire gesehen, einmal, als Du ihn nach dem Wege zu Mrs. Armadale’s Hause fragtest, und das zweite Mal auf Deinem Rückwege nach der Eisenbahn. Aber ich konnte mir nicht gleich erklären, wie er Dich wieder erkannte, da Du sowohl bei jenen beiden Begegnungen wie auch heute in den Kensingtongärten den Schleier niedergelassen hattest. Ich zweifelte, daß er sich Deiner Gestalt, die er nur in Winterkleidung gesehen, in Sommerkleidung zu erinnern im Stande gewesen; und obgleich wir im Gespräch waren, als er uns begegnete, und Deine Stimme einen Deiner zahlreichen Reize ausmacht, schien mir es doch sehr unwahrscheinlich, daß ihm Deine Stimme noch erinnerlich sei. Und dennoch war ich überzeugt, daß er Dich erkannt hatte. »Warum?« wirst Du fragen. Meine Liebste, das Unglück wollte, daß wir in dem Augenblicke gerade vom jungen Armadale sprachen. Ich glaube fast, daß der Name das Erste war, das ihm auffiel, und als er diesen hörte, mag sicher Deine Stimme und vielleicht auch Deine Gestalt in seinem Gedächtnisse aufgetaucht sein. »Und was dann?« wirst Du sagen. Denke ein wenig nach, Lydia, und sage mir, ob es Dich nicht wahrscheinlich dünkt, daß der Pfarrer des Orts, wo Mrs. Armadale wohnte,zugleich Mrs. Armadale’s Freund war? War er ihr Freund, so war er als Ortsgeistlicher und als Magistratsherr, wie der Wirth des Gasthauses ihn Dir bezeichnete, auch die allererste Person, bei dem sie sich Rath geholt haben wird, nachdem Du ihr einen solchen Schreck eingejagt und nach den höchst unüberlegten Andeutungen, die Du fallen ließest, daß Du Dich in der Sache an ihren Sohn wenden wollest.

Jetzt wirst Du begreifen, warum ich Dich in so außerordentlich unhöflicher Manier verließ, und ich darf daher zu dem übergehen, was sich demnächst ereignete.

Ich folgte dem alten Herrn, bis er in eine stille Straße einbog, und redete ihn mit der Ehrfurcht vor der heiligen Kirche an, die, wie ich mir schmeichle, in jedem Zuge meines Gesichts sich ausprägt.

»Wollen Sie mich entschuldigen«, sagte ich, »wenn ich Sie zu fragen wage, Sir, ob Sie die Dame erkannt haben, die mich begleitete, als Sie uns in den Gärten begegneten?«

»Wollen Sie mich entschuldigen, Madame, wenn ich wissen möchte, warum Sie diese Frage an mich richten?« war die ganze Antwort, die ich erhielt.

»Ich will Ihnen dies zu erklären versuchen, Sir,« sagte ich. »Wenn meine Freundin Ihnen nicht völlig fremd ist, möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf einen zarten Gegenstand lenken, der mit einer verstorbenen Dame und ihrem sie Überlebenden Sohne im engen Zusammenhange steht«

Er war verblüfft, das konnte ich sehen. Er war aber zugleich schlau genug; um den Mund zu halten, bis ich etwas mehr gesagt haben würde.

»Wenn ich mich in der Annahme irren sollte, daß Sie meine Freundin erkannt haben, Sir«, fuhr ich fort, »so bitte ich Sie um Entschuldigung. Aber ich konnte es kaum für möglich halten, daß ein Herr Ihres Standes einer Dame nach ihrer Wohnung folgen würde, die ihm völlig fremd wäre.«

Damit packte ich ihn. Er wurde glutroth – denke Dir, in seinem Alter! – und gestand, um seinen guten Namen zu retten, die Wahrheit.

»Ich bin der Dame schon früher einmal begegnet, und ich gestehe, daß ich sie in den Gärten wiedererkannte«, sagte er. »Sie werden mich entschuldigen, wenn ich ablehne, über die Frage ob ich ihr absichtlich folgte oder nicht, weiter zu discutiren. Wenn Sie sich überzeugen wollten, ob Ihre Freundin mir nicht völlig fremd ist, so haben Sie jetzt diese Ueberzeugung, und wenn Sie mir irgend etwas Besonderes mitzutheilen haben, gebe ich Ihnen die Entscheidung anheim, ob der Augenblick dazu gekommen ist.«

Er wartete und sah sich um. Ich wartete ebenfalls und sah mich auch um. Er sagte, die Straße sei kaum ein passender Ort, eine so zarte Angelegenheit zu verhandeln. Ich sagte dasselbe. Er erbot sich nicht, mich nach seiner Wohnung mitzunehmen, ich offerierte ihm nicht, ihn nach meiner zu führen. Hast Du je ein Paar fremde Katzen sich aus den Dachziegeln gegenüber stehen sehen, meine Liebe? Ist dies der Fall gewesen, so hast Du damit ein sprechendes Bild von mir und dem Pfarrer gesehen.

»Nun, Madame, sagte er endlich, »sollen wir den Umständen zum Trotz unsere Unterhaltung fortsetzen?«

»Ja, Sir«, sagte ich, »wir sind glücklicherweise beide von einem Alter, das uns den Umständen Trotz zu bieten erlaubt.« Ich hatte bemerkt, wie das alte Scheusal einen Blick auf mein graues Haar warf, um sich zu überzeugen, daß sein Ruf ungefährdet blieb, wenn er mit mir zusammen gesehen würde.«

Nach all diesem Knarren und Schnappen kamen wir endlich zur Sache. Ich machte den Anfang, indem ich ihm sagte, sein Interesse an Dir scheine mir leider nicht von freundschaftlicher Beschaffenheit zu sein. So viel gab er zu, natürlich abermals zur Wahrung seines Charakters. Darauf wiederholte ich ihm alles, was Du mir über Dein Thun und Treiben in Sommersetshire erzähltest, als wir zuerst gewahr wurden, daß er uns folgte. Erschrick nicht, Liebste, ich that es grundsätzlich. Wenn Du den Leuten eine Schüssel voll Lügen schmackhaft machen willst, so gib ihr stets eine Garnitur von Wahrheit. Also nachdem ich dergestalt an das Vertrauen des ehrwürdigen Herrn appelliert, erklärte ich ihm zunächst, daß Du seit jener Zeit ein ganz andres Geschöpf geworden seiest. Ich rief jenes todte Ungeheuer, Deinen Gemahl, natürlich ohne Namen zu nennen, wieder ins Leben, etablierte ihn, es fiel mir gerade zuerst ein, als Kaufmann in Brasilien und erwähnte einen von ihm geschriebenen Brief, in dem er seiner fehlenden Gattin Verzeihung angetragen, falls sie bereuen und zu ihm zurückkehren wolle. Ich gab dem Prediger die Versicherung, daß das edle Benehmen Deines Mannes Deine halsstarrige Natur erweicht; und da, als ich den richtigen Eindruck auf ihn gemacht zu haben glaubte, ging ich kühn zum Angriff über. Ich sagte: »Ja demselben Augenblicke; da Sie uns begegneten, Sir, sprach meine unglückliche Freundin eben in Ausdrücken der rührendsten Selbstanklage von ihrem Benehmen gegen die verstorbene Mrs. Armadale Sie bekannte mir ihr dringendes Verlangen, dasselbe wo möglich gegen Mrs. Armadale’s Sohn wieder gut zu machen; und auf ihre Bitte – denn sie kann es nicht über sich gewinnen, Ihnen selber gegenüber zu treten – erlaube ich mir jetzt zu fragen, ob Mr. Armadale noch in Sommersetshire ist und ob er darein willigen würde, sich in kleinen Abzahlungen die Summe von ihr zurückerstatten zu lassen, die sie durch Einschüchterung von Mrs. Armadale erlangt zu haben zugibt. Dies waren genau meine Worte. Eine hübschere Geschichte, die Alles so schön erklärt, ist nie erzählt worden; es war eine Geschichte, die einen Stein hätte rühren können. Aber dieser Sommersetshirer Pfarrer ist noch härter als Stein. Ich erröthe für ihn, meine Liebe, indem ich Dir versichere, daß er offenbar gefühllos genug war, kein Wort von alledem zu glauben, was ich ihm von Deiner Besserung, von Deinem Gatten in Brasilien und von Deinem reuigen Verlangen, das Geld zurückzuzahlen, erzählte. Es ist wirklich eine Schmach, daß ein solcher Mann der Kirche angehört; eine Verschlagenheit, wie die seinige, ist im höchsten Grade unpassend für ein Mitglied seines heiligen Berufes.

 

»Beabsichtigt Ihre Freundin, mit dem nächsten Dampfboote zu ihrem Gatten zurückzukehren?« war alles, was er zu sagen sich herabließ, nachdem ich meine Erzählung geendigt hatte.

Ich gestehe, daß ich in Zorn gerieth. Ich fuhr ihn an und sagte: »Ja, allerdings.«

»Ja welcher Weise soll ich mit ihr verhandeln?« fragte er.

Ich fuhr ihn abermals an: »Brieflich durch mich.«

»Und Ihre Adresse, Madame?«

Da hatte ich ihn von neuem. »Sie haben selbst meine Adresse ausfindig gemacht, Sir«, sagte ich. »Das Adreßbuch wird Ihnen meinen Namen sagen, wenn Sie diesen ebenfalls selbst ausfindig machen wollen; andernfalls steht Ihnen mit Vergnügen meine Karte zu Diensten.«

»Verbindlichsten Dank, Madame. Wenn Ihre Freundin sich mit Mr. Armadale in Unterhandlung zu setzen wünscht, so will ich Ihnen meinerseits meine Karte zukommen lassen.«

»Ich danke Ihnen, Sir.«

»Ich danke Ihnen, Madame«

»Guten Tag, Sir.«

»Guten Tag, Madame«

So trennten wir uns. Ich ging meines Wegs nach meinem Geschäftshause, wo ich erwartet wurde, und er schlug den seinigen in großer Eile ein, was an sich sehr verdächtig ist. Was ich indessen nicht überwinden kann, ist seine Herzlosigkeit. Der Himmel sei den Leuten gnädig, die auf ihrem Sterbebette bei ihm Trost suchen!

Die nächste Frage ist die: was sollen wir anfangen? Wenn wir nicht die rechten Mittel und Wege finden, dieses alte Ungeheuer im Dunkel zu erhalten, so kann er vielleicht in Thorpe-Ambrose unser Verderben werden, gerade im Augenblicke, wo wir unser Ziel mit Händen greifen können. Bleibe auf, bis ich zu Dir komme, hoffentlich mit leichtem Herzen in Bezug auf jene andre Verlegenheit, die mich hier ärgert. Hat es je ein solches Pech gegeben wie unseres? Das; dieser Mann seine Gemeinde im Stich lassen und gerade in dem Moment nach London kommen muß, wo wir auf die Annonce geantwortet haben und nächste Woche die Erkundigung erwarten dürfen! Ich habe keine Nachsicht mit – sein Bischof sollte sich ins Mittel schlagen.

»Herzlichst die Deine
Maria Oldershaw.«
Von Miß Gwilt an Mrs. Oldershaw
»West Place, den 20. Juni.
Mein armes, liebes, altes Geschöpf!

Wie wenig Du meine empfindliche Natur kennst, wie Du sie nennst! Anstatt mich beleidigt zu fühlen, als Du mich verließest, ging ich an Dein Clavier und vergaß Dich und alles, was Dich betrifft, vollständig, bis Dein Bote erschien. Dein Brief war unwiderstehlich; ich habe darüber gelacht, bis ich ganz außer Athem war. Von allen lächerlichen Geschichten, die ich je gelesen, ist die, welche Du dem Sommersetshirer Pfarrer auftischtest, die lächerlichste. Und was Deine Straßenunterhaltung mit ihm anlangt, so wäre es geradezu Sünde, dieselbe für uns zu behalten. Sie sollte wirklich in Gestalt einer Theaterposse dem Publikum zu Gute kommen.

Zum Glück für uns beide (um auf ernste Dinge zu kommen) ist Dein Bote ein vorsichtiger Mensch. Er schickte zu mir hinauf, um fragen zu lassen, ob er Antwort mitbekäme. Inmitten meiner Heiterkeit hatte ich noch Geistesgegenwart genug, ihm »Ja« hinunter sagen zu lassen.

Irgend ein Scheusal von einem Manne sagt in einem Buche, das ich einst gelesen, kein Weib könne jemals zwei getrennte Gedankengänge zugleich in ihrem Geiste verfolgen. Du hast mich fast überzeugt, daß der Mann recht hat. Wie, nachdem Du unbemerkt nach Deinem Geschäftslokale entkommen bist und Verdacht hast, daß dieses Haus beobachtet wird, da willst Du hierher zurückkommen und es dadurch dem Prediger möglich machen, Deine verlorene Spur wiederzufinden? Welche Tollheit! Bleib’, wo Du bist, und wenn Du Deine Schwierigkeit in Pimlico überwunden (natürlich irgend eine Weiberangelegenheit; wie unausstehlich diese Weiber sind!), dann sei so gut und lies, was ich über unsere Schwierigkeit in Brompton zu sagen habe.

Erstens also wird das Haus, wie Du vermuthest, beobachtet. Eine halbe Stunde, nachdem Du mich verlassen, ward ich durch laute Stimmen auf der Straße im Clavier spielen gestört, ich trat ans Fenster. Vor dem Hause gegenüber, wo möblierte Zimmer vermiethet werden, hielt ein Fiaker, und ein alter Mann, der wie ein anständiger Diener aussah, stritt sich mit dem Kutscher wegen des Fahrlohns. Ein ältlicher Herr kam aus dem Hause und endete ihren Zank. Ein ältlicher Herr kehrte in das Haus zurück und erschien behutsam am Fenster des Vorderzimmers im ersten Stock. Du kennst ihn, Du würdiges Wesen, er legte vor wenigen Stunden den schlechten Geschmack an den Tag, zu zweifeln, ob Du ihm die Wahrheit sagtest. Sei ohne Sorgen, er hat mich nicht gesehen. Als er aufblickte, nachdem er den Fiakerkutscher abgelohnt hatte, steckte ich hinter dem Fenstervorhange Ich habe mich seitdem noch zwei- oder dreimal dahinter verborgen und genug gesehen, um versichert zu sein, daß er und sein Diener einander am Fenster ablösen werden, damit sie Dein Haus hier Tag und Nacht keinen Augenblick aus den Augen verlieren. Daß der Pfarrer den wirklichen Sachverhalt argwöhnen sollte, ist natürlich unmöglich. Daß er aber fest überzeugt ist, ich führe Uebles gegen den jungen Armadale im Schilde, und daß Du ihn in dieser Ansicht bestärkt hast, ist so klar, wie das Factum, daß zweimal zwei vier machen. Und dies hat sich, wie Du mich mitleidslos erinnerst, gerade in dem Augenblicke ereignen müssen, wo wir die Annonce beantwortet haben und in wenigen Tagen die Erkundigungen des Majors erwarten dürfen.

Wahrhaftig, das ist eine fürchterliche Situation für zwei Frauen, nicht wahr? Narrenspossen, mit Deiner Situation! Dank dem, Mutter Oldershaw, was ich Dich kaum drei Stunden vor unserer Begegnung mit dem Pfarrer zu thun zwang, gib’s für uns einen leichten Ausweg aus dieser Klemme.

Ist Dir unser giftiger kleiner Streit von heute Morgen, nachdem wir des Majors Annonce in der Zeitung entdeckt, schon gänzlich entfallen? Hast Du vergessen, daß ich bei meiner Ansicht beharrte, daß Du in London viel zu bekannt seiest, um mir unter Deinem eigenen Namen als Reverenz dienen zu können, oder, wie Du unklugerweise vorschlugst, eine Dame oder einen Herrn, die Erkundigungen über mich einzuziehen kämen, in Deinem Hause zu empfangen? Erinnerst Du Dich nicht, in welche Wuth Du geriethst, als ich unserem Streit ein Ende machte, indem ich mich bestimmt weigerte, noch einen weitern Schritt in der Sache zu thun, falls ich meine Bewerbung um die Stelle bei Major Milroy nicht dadurch zum Ziele führen sollte, daß ich ihn an eine Adresse verwiese, wo Du völlig unbekannt seiest, und ihm einen Namen angäbe, der jeder beliebige sein dürfe, so lange es nur nicht der Deinige wäre – mit welchem Blicke Du mich beschenktest, als Du sahst, wie es keinen andern Weg gab, als daß Du entweder die ganze Speculation fallen oder mir meinen Willen lassen mußtest? – wie Du über die Wohnungsjagd auf der andern Seite des Parks tobtest und wie Du, im Besitze eines möblierten Quartiers im respectablen Bayswater, über die unnützen Kosten stöhntest, die ich Dir auferlegt? Wie denkst Du jetzt über jene möblierte Wohnung, Du halsstarriges altes Weib? Da sind wir nun vor unserer eigenen Thür mit Entdeckungen bedroht, und ohne alle Aussicht auf ein Einkommen, wenn es uns nicht gelingt, dem Pfarrer im Dunkeln zu entwischen Und dort ist die Wohnung in Bayswater, wo weder Dir noch mir ein neugieriger Fremder auf der Spur ist, vollkommen bereit, uns zu verschlingen, die Wohnung, in der wir aller weitern Belästigung entgehen und auf die Erkundigungen des Majors in größter Bequemlichkeit antworten können. Kannst Du endlich ein wenig weiter sehen, als Deine arme alte Nase reicht? Braucht Dich irgend etwas in der Welt abzuhalten, heute Abend mit Sicherheit aus Pimlico zu verschwinden und eine halbe Stunde später Dich ebenso in Deiner neuen Wohnung in der Eigenschaft meiner respectabeln Beschützerin zu etablieren? O, pfui, pfui, Mutter Oldershaw! Sinke aus Deine sündhaften alten Kniee nieder und danke Deinen Sternen, daß Du es heute Morgen mit einem Satan, wie ich, zu thun hattest!