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Achtes Kapitel

Midwinters Gesicht verfinsterte sich, als die letzte Spur des Wagens seinen Blicken entschwand. »Ich habe mein Möglichstes gethan«, sagte er, wie er düster wieder ins Haus zurückkehrte. »Mr. Brock selber könnte nicht mehr thun, wenn er hier wäre!«

Er betrachtete den Schlüsselbund, den Allan ihm in die Hand gedrückt, und seine empfindsame, selbstquälerische Natur fühlte sich plötzlich von dem Verlangen ergriffen, sich an den Verwalterbüchern zu versuchen. Nachdem er sich das Zimmer hatte zeigen lassen, in welchem man nach der Vermiethung des Parkhäuschens die sämtlichen Bücher des Verwalters nebst Zubehör einstweilen untergebracht hatte, setzte er sich an das Pult und versuchte, wie weit seine eigenen Fähigkeiten ihm durch die Geschäftsbücher über die Besitzung Thorpe-Ambrose hindurch helfen würden. Der Erfolg stellte ihm seine Unwissenheit klar vor Augen. Die Hauptbücher verwirrten ihn; die Pachtcontracte und selbst die Correspondenz hätte ebenso gut in einer andern Sprache abgefaßt sein können – so wenig verstand er davon. Mißmuthig verließ er das Zimmer. Er erinnerte sich mit einer gewissen Bitterkeit jenes zweijährigen einsamen Selbstunterrichts im Laden des Buchhändlers zu Shrewsbury. »Wenn ich nur in einem Geschäfte hätte arbeiten können!« dachte er. »Wenn ich nur gewußt hätte, daß die Gesellschaft von Dichtern und Philosophen eine zu hohe für einen Vagabonden wie ich sei!«

Er setzte sich allein in der großen Hausflur nieder; die Stille derselben senkte sich schwerer und immer schwerer auf sein kummerbeladenes Gemüth; die Pracht derselben ärgerte ihn wie eine Beleidigung, die man von einem geldstolzen Manne erfährt. »Der Teufel hole das Haus!« murmelte er, indem er seinen Hut und Stock ergriff. »Mir ist der rauheste Felsenabhang, auf dem ich jemals schlief, lieber als dies Haus!«

Ungeduldig stieg er die Stufen hinab und stand in der Ausfahrt still, um zu überlegen, in welcher Richtung er den Park verlassen solle, um in die jenseits liegenden offenen Felder zu gelangen. Falls er den Weg einschlug, den der Wagen genommen, lief er Gefahr, Allan durch ein zufälliges Begegnen in seinen guten Vorsätzen Wanken zu machen. Ging er durchs Hinterthor hinaus, so kannte er sich selber zu gut um zu bezweifeln, daß er nicht im Stande sein werde, an dem »Traumzimmer« vorbeizugehen, ohne wieder in dasselbe einzutreten. Es blieb deshalb nur noch ein Weg übrig, und dies war der, welchen er am Morgen eingeschlagen und wieder ausgegeben hatte. Er hatte jetzt nicht zu fürchten, daß er Allan und der Tochter des Majors im Wege sein werde. Ohne länger zu zögern, schritt Midwinter durch die Gärten, um sich mit den offenen Gefilden auf jener Seite der Besitzung bekannt zu machen.

Durch die Ereignisse des Tages völlig aus dem Gleichgewicht gebracht, war sein Gemüth voll von jenem erbitterten Widerwillen gegen alle Annehmlichkeiten, die der Reichthum den Glücklichen dieser Welt bietet; voll von jener Erbitterung, mit der die Armen und Unglücklichen den Reichthum zu betrachten pflegen. »Das Haideglöckchen kostet nichts!« dachte er, indem er verachtungsvoll auf die Menge seltener und schöner Blumen sah, die ihn rings umgaben, »und die Butterblumen und Maßliebchen sind ebenso hübsch wie die besten unter euch!« Er schritt zwischen den künstlich gebildeten ovalen und eckigen Beeten des italienischen Gartens umher und fühlte eine Vagabonden-Gleichgültigkeit gegen die Symmetrie und den Geschmack der Anlagen. »Wie viele Pfund hast Du wohl per Fuß gekostet?« sagte er, indem er verächtlich auf den letzten Pfad zurückblickte, wie er denselben verließ. »Schlängele dich hoch und tief wie ein Schafweg, über den Hügel hin, wenn du kannst!«

Er kam in das Gebüsch, das Allan vor ihm betreten hatte, ging durch das Gehege und über die Brücke von Baumstämmen am Ende desselben und langte am Häuschen des Majors an. Seine schnelle Beobachtung erkannte dasselbe auf den ersten Blick, und er stand an dem Gartenpförtchen still, um die hübsche kleine Wohnung zu betrachten, die nimmer zu vermiethen gewesen wäre, falls Allan nicht den unglückseligen Entschluß gefaßt hätte, seinem Freunde die Verwalterstelle aufzubringen.

Der Sommernachmittag war warm; die Luft lau und still. Im oberen wie im unteren Stockwerk des Häuschens waren alle Fenster geöffnet. Aus einem derselben im obern Stockwerk drang deutlich der Schall menschlicher Stimmen durch die Stille des Paris. In den mißtönenden Klang einer harten, grellen und zornig klagenden Frauenstimme – einer Stimme, deren Frische und Wohlklang gänzlich geschwunden war und der nichts mehr blieb, als ihre harte Kraft – mischte sich jeden Augenblick in tieferen und ruhigeren Tönen, besänftigend und mitleidsvoll die Stimme eines Mannes. Obgleich die Entfernung zu groß war, um Midwinter die Worte unterscheiden zu lassen, fühlte er doch die Unschicklichkeit, sich innerhalb Hörweite aufzuhalten, und that deshalb sofort einen Schritt. um seinen Weg fortzusetzen. In demselben Augenblicke jedoch erschien das Gesicht eines jungen Mädchens, in welchem er, nach Allan’s Beschreibung, leicht Miß Milroy’s Gesicht erkannte, an dem offenen Fenster des Zimmers. Midwinter stand wider Willen still, um sie anzublicken. Der Ausdruck des hübschen Gesichts, das Allan so lieblich angelächelt hatte, war kummervoll und entmuthigt. Nachdem sie zerstreut auf den Park hinausgeschaut, wandte sie plötzlich den Kopf zurück ins Zimmer, da dem Anscheine nach etwas im Innern gesagt worden war, was ihre Aufmerksamkeit erregt hatte. »O, Mama, Mama«, rief sie entrüstet, wie kannst Du nur so etwas sagen!« Die Worte wurden unmittelbar am Fenster gesprochen; sie drangen an Midwinter’s Ohr und machten ihn forteilen, ehe er mehr hören konnte. Doch hatte die Offenbarung von Major Milrotys häuslicher Lage noch nicht ihr Ende erreicht. Wie Midwinter um die Ecke des Gartenzaunes bog, reichte eben ein Krämerjunge der Magd ein Paket über das Pförtchen. »Nun«, sagte der Junge mit der unbezwinglichen Frechheit seiner Klasse, »was macht die Alte?« Die Magd erhob die Hand, um ihm eine Ohrfeige zu geben. »Was macht die Alte!« wiederholte sie, indem sie zornig den Kopf in den Nacken warf, als der Knabe fortrannte. »Wenn es nur Gott gefiele, die Alte endlich zu sich zu nehmen, so würde dies fürs ganze Haus ein wahrer Segen sein.«

Das hübsche häusliche Bild, das Allan’s Enthusiasmus seinem Freunde von den Bewohnern des Parkhäuschens entworfen, hatte freilich nichts von diesen düsteren Schatten gezeigt. Es war klar, daß die Miethsleute bis hierher ihr Geheimnis; vor ihrem Hauswirthe bewahrt hatten. Nachdem Midwinter noch fünf Minuten weiter gegangen, kam er an das Parkthor. »Ist es meine Bestimmung, heute nichts zu sehen und zu hören, was mir Muth und Hoffnung für die Zukunft einflößen kann?« dachte er, wie er ärgerlich das Thor hinter sich zuschlug. »Selbst die Leute, denen Allan jenes Haus vermiethet hat, sind Leute, deren Leben durch ein Familienleid verbittert ist, welches ich und eben nur ich zu entdecken das Unglück haben mußte!«

Er schlug den ersten besten Weg ein, der vor ihm lag, und ging, kaum auf seine Umgebung achtend, in Gedanken versunken weiter. Es verstrich über eine Stunde, ehe er sich an die Nothwendigkeit erinnerte, zurückzukehren. Sowie ihm dies einfiel, sah er auf seine Uhr und beschloß umzukehren, damit er zu rechter Zeit zu Hause anlange, um Allan bei seiner Rückkehr empfangen zu können. In zehn Minuten war er an einer Stelle angelangt, wo drei Wege in einander liefen, und eine kurze Beobachtung überzeugte ihn, daß er vorher durchaus nicht beachtet hatte, auf welchem der drei Wege er gekommen war.

Ein Wegweiser war nirgends zu sehen; die Gegend war rings umher flach und öde und von breiten Gräben durchschnitten. Hier und dort weideten Kühe, und in der Entfernung, jenseit der Weiden, die den Horizont säumten, stand eine Windmühle. Allein nirgendwo war ein Haus zu sehen und auf keinem der drei Wege zeigte sich nah oder fern ein einziges menschliches Wesen. Da gewahrte Midwinter endlich bei einem Rückblick auf den Weg, auf dem er soeben zurückgekehrt war, zu seiner Zufriedenheit die Gestalt eines Mannes, der sich ihm schnell näherte und von dem er sich Auskunft über den Weg erbitten konnte.

Die Gestalt, vom Kopfe bis zu den Füßen in Schwarz gekleidet, kam näher – ein beweglicher Flecken auf der glänzend weißen Fläche des sonnenbeschienenen Wegs. Es war ein hagerer, ältlicher Mann; er trug einen ärmlichen alten schwarzen Frack und eine wohlfeile braune Perrücke die sich durchaus nicht für sein eigenes Haar auszugeben versuchte. Kurze schwarze Beinkleider schmiegten sich, gleich anhänglichen alten Dienern, um seine dürren Beine, und rußige schwarze Gamaschen versteckten von seinen plumpen Füßen so viel als sie vermochten Schwarzer Flor fügte sein Scherflein zu der Schäbigkeit seines alten Kastorhuts hinzu; eine altmodische schwarze Cravatte umschlang trübselig seinen Hals und reichte bis zu seinen knochigen Kinnbacken empor. Das einzige Bischen Farbe, das er an sich trug, war ein Advokaten-Acten-Beutel von blauer Sersche, der ebensoh mager und welk war wie er selber; und der einzige anziehende Theil in seinem glatt rasierten, erschöpften alten Gesicht war sein Gebiß, welches zwei lückenlose Reihen trefflich gepflegter Zähne zeigte und, ebenso ehrlich wie seine Perrücke, allen fragenden Blicken deutlich die Antwort gab: »Wir liegen die Nacht über auf seinem Toilettenspiegel und bringen unsere Tage in seinem Munde zu.«

Der ganze unbedeutende Blutvorrath in dem Körper des Mannes stieg röthlich schimmernd in seine fleischlosen Wangen, als Midwinter ihm entgegenkam und ihn nach dem Wege nach Thorpe-Ambrose frug. Seine schwachen wässrigen Augen blickten in einer für den Beschauer peinlichen Verwirrung hierhin und dorthin. Wäre ihm, anstatt eines Mannes, ein Löwe begegnet und wären die an ihn gerichteten Worte eine Drohung gewesen anstatt einer Frage, so hätte er nicht verlegener und geängstigter aussehen können. Zum ersten Male in seinem Leben sah Midwinter einen Wiederschein seiner eigenen Schüchternheit in Gegenwart von Fremden, und zwar mit zehnfacher Intensivität nervösen Leidens, im Gesichte eines Andern und eines Mannes, der alt genug war, um sein Vater sein zu können.

 

»Belieben Sie, die Stadt zu meinen, Sir, oder das Gut? Ich bitte um Vergebung, aber es wird in dieser Gegend beiden derselbe Name gegeben.«

Er sprach in einem schüchtern sanften Tone, mit einem einschmeichelnden Lächeln und einer ängstlichen Höflichkeit, was alles den betrübenden Eindruck machte, als ob er von den Leuten, mit denen er hauptsächlich umgehe, für seine eigene Höflichkeit mit barschen Antworten bezahlt werde.

»Ich wußte nicht, daß sowohl die Stadt als das Gut unter dem Namen bekannt seien«, sagte Midwinter. »Ich meinte das Gut« Er bemeisterte, indem er diese Worte sprach, instinctmäßig seine eigene Schüchternheit, und sprach mit einem freundlichen Wesen, das in seinem Umgange mit Fremden eine große Seltenheit bei ihm war.

Der Gentleman schien die warme Erwiderung seiner eigenen Höflichkeit dankbar anzuerkennen. Sein Gesicht hellte sich auf und er fand ein wenig Muth. Sein dürrer Zeigefinger deutete eifrig auf den rechten Weg. »Das ist der Weg, Sir«, sagte er, »und wenn Sie wieder an zwei Wege kommen, seien Sie so gütig, den Weg zur Linken einzuschlagen. Ich bedaure, daß ich Geschäfte in der andern Richtung habe – ich meine in der Stadt. Es würde mir sonst Vergnügen gemacht haben, mit Ihnen zu gehen und Ihnen den Weg zu zeigen. Schönes Sommerwetter, Sir, zum Spazierengehen! Sie können nicht fehlgehen, wenn Sie sich links halten. O, bitte, gern geschehen! Ich fürchte, ich habe Sie aufgehalten, Sir. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Rückkehr und – guten Morgen.«

Als er mit seiner Rede, zu der er sich in dem Wahne bewogen fühlte, daß er um so höflicher erscheinen werde, je mehr er spräche, zu Ende kam, war auch sein Muth wieder erschöpft. Er eilte auf seinem eigenen Wege davon, wie wenn Midwinter’s Versuche, ihm zu danken, ihn mit einer Reihe von Prüfungen bedrohten, die zu fürchterlich seien, als daß er sich denselben aussetzen könne. In zwei Minuten hatte sich seine fliehende schwarze Gestalt bereits in der Entfernung verkleinert, bis sie wieder, wie schon vorher, gleich einem beweglichen schwarzen Fleck auf der glänzend weißen Fläche des sonnenbeschienenen Wegs aussah.

Während Midwinter den Rückweg nach dem Hause fortsetzte, ging ihm der Mann seltsam im Kopf herum. Er vermochte sich dies nicht zu erklären. Es fiel ihm nicht ein, daß er vielleicht unmerklich an sich selbst erinnert ward, da er in dem Gesichte des armen Geschöpfes die deutlichen Spuren früheren Unglücks und gegenwärtigen nervösen Leidens wahrnahm. Er war verdrießlich über sein eigensinniges Interesse an diesem ihm zufällig begegneten Wanderer, wie ihn bereits alles Uebrige verdrossen hatte, was ihm seit dem Beginn des Tages zugestoßen war. »Habe ich wieder einmal eine unglückliche Entdeckung gemacht?« frug er sich ungeduldig. »Werde ich diesen Mann wohl jemals wiedersehen? Wer mag er nur sein?«

Die Zeit sollte diese beiden Fragen beantworten, ehe noch viele Tage über dem Haupte des Fragenden dahingegangen waren.

Neuntes Kapitel

Allan war noch nicht zurückgekehrt, als Midwinter im Hause anlangte. Es hatte sich nichts ereignet, außer daß eine Entschuldigung aus dem Parkhäuschen gesandt worden war. »Major Milroy’s Empfehlung und er bedaure, daß Mrs. Milroy’s Krankheit ihn verhindere, Mr. Armadale bei sich zu sehen.« Es war klar, daß Mrs. Milroy’s gelegentlichen Krankheitsanfälle nicht blos vorübergehende Störungen in dem häuslichen Frieden bewirkten. Wenigstens hatte Midwinter nach dem, was er selbst vor etwa drei Stunden vor dem Parkhäuschen gehört hatte, diese Ueberzeugung gewonnen. Midwinter begab sich in das Bibliothekzimmer, um unter den Büchern die Rückkehr seines Freundes geduldig abzuwarten.

Es war nach sechs Uhr, als die wohlbekannte herzliche Stimme wieder im Hause gehört ward. Allan stürzte in einem Zustande unbezwinglicher Aufregung in das Bibliothekzimmer und stieß Midwinter, ehe dieser ein Wort sagen konnte, ohne alle Ceremonie wieder in den Sessel zurück, von dem er sich zu erheben im Begriff war.

»Hier ist ein Räthsel für Dich, alter Junge!« rief Allan. »Warum gleiche ich dem Aufseher des Augias-Stalles, ehe Hercules herbeigerufen wurde, um denselben auszufegen? Weil ich meine Stellung zu behaupten hatte, und eine arge Schweinerei daraus gemacht habe! Warum lachst Du nicht? Beim heiligen Georg, er sieht die Pointe nicht! Versuchen wir’s noch einmal. Warum gleiche ich dem —«

»Um Himmelswillen, Allan, sei einen Augenblick ernsthaft!« unterbrach ihn Midwinter. »Du weißt nicht, wie sehr mir daran gelegen ist zu hören, ob Du die gute Meinung Deiner Nachbarn wiedergewonnen hast.«

»Das sollte das Räthsel Dir gerade erzählen.« erwiderte Allan. »Nun, im Ganzen geht meine Ansicht dahin, daß Du besser gethan haben würdest, wenn Du mich nicht unter jenem Baume im Park gestört hättest. Ich habe mir die Sache genau berechnet, und habe das Vergnügen, Dich zu unterrichten, daß ich, seit ich Dich sah, in der Meinung der ansässigen Gutsherrschaften genau um drei Stufen tiefer gesunken bin.«

»Natürlich mußt Du Deinen Scherz durchsetzen«, sagte Midwinter bitter. »Nun, wenn ich nicht lachen kann, so kann ich doch warten.«

»Mein lieber Junge, ich scherze nicht; ich meine wirklich, was ich sage. Du sollst hören, was sich ereignet hat; Du sollst einen ausführlichen Bericht über meinen ersten Besuch haben. Derselbe wird eine Probe von allen übrigen sein. Zuerst laß Dir gesagt sein, daß ich in der besten Absicht von der Welt geirrt habe. Als ich aufbrach, um diese Besuche zu machen, war ich, wie ich offen gestehe, in Wuth über jenes alte Thier von Advokaten, und hatte allerdings ein Lüstchen, mich übermüthig zu benehmen. Aber dies Gefühl verlor sich unterwegs; und bei der ersten Familie, der ich meinen Besuch machte, trat ich, wie gesagt, mit den besten Absichten von der Welt ein. O, du lieber, lieber Himmel! In diesem Hause, wie in jedem andern, in das ich später kam, immer und immer wieder dasselbe funkelnagelneue Empfangszimmer, in dem ich warten mußte; dahinter dasselbe zierliche Gewächshaus; dieselben ausgewählten Bücher zu meiner Durchsicht – ein religiöses Buch, ein Buch über den Herzog von Wellington, ein Buch über den Sport und ein Buch über nichts Besonderes, mit prachtvollen Illustrationen geziert. Herunter kam der Papa mit seinem hübschen weißen Haar und die Mama mit ihrer hübschen Spitzenhaube; herunter kam der junge Mister mit seinem rosigen Angesichte und seinem strohfarbenen Backenbarte, und die junge Miß mit ihren runden Wangen und umfangreichen Röcken. Denke nicht, daß ich im geringsten unfreundlich war; ich machte den Anfang stets in derselben Weise mit ihnen – ich bestand darauf, allen die Hand zu geben. Dies machte sie gleich stutzig. Wenn ich dann zu dem zarten Punkte – dem öffentlichen Empfange – kam, so gebe ich Dir mein Ehrenwort darauf, daß ich mir die größte Mühe von der Welt gab, mich zu entschuldigen. Aber es hatte nicht die geringste Wirkung. Sie ließen meine Entschuldigungen zum einen Ohre hinein und zum andern wieder hinausgehen. Einige Leute würde dies entmuthigt haben; ich dagegen versuchte es auf andere Weise mit ihnen. Ich wandte mich zunächst zum Herrn des Hauses und stellte ihm die Sache ganz freundschaftlich vor. »Die Wahrheit zu gestehen«, sagte ich, »wünschte ich dem Redenhalten zu entgehen – ich hätte mich da erheben müssen, wissen Sie, und Ihnen ins Gesicht sagen, daß Sie der beste aller Menschen sind, und daß ich um Erlaubniß bitte, auf Ihr Wohlsein trinken zu dürfen; worauf dann Sie sich erheben und mir das Gleiche ins Gesicht sagen, und so weiter, Mann für Mann, indem wir rund um die Tafel herum einander loben und langweilen.« In dieser leichten, unbefangenen, überzeugenden Art und Weise stellte ich ihm die Sache vor. Meinst Du, daß ein Einziger von ihnen es in demselben freundschaftlichen Geiste aufnahm? Nicht Einer! Ich bin der festen Ueberzeugung daß sie ihre Reden für den Empfang mit den Fahnen und Blumen in Bereitschaft hatten und daß sie heimlich ärgerlich über mich sind, weil ich ihnen den Mund stopfte, als sie gerade anzufangen im Begriff waren. Wie dem immer sei, sowie wir zu dem Gegenstande der Reden kamen – ob sie denselben zuerst berührten oder ich – augenblicklich sank ich die erste jener drei Stufen in ihrer Achtung. Glaube nicht, daß ich mir keine Mühe gab, mich wieder zu erheben! Ich machte verzweifelte Anstrengungen. Da ich die Entdeckung machte, daß sie sich alle zu wissen sehnten, welch eine Art von Leben ich geführt, bis ich das Besitzthum Thorpe-Ambrose erbte, so that ich mein Möglichstes, um sie zufrieden zu stellen. Und was bewirkte dies wohl? Ich will gehangen sein, wenn ich ihnen nicht eine zweite Täuschung bereitete! Wenn sie entdeckten, daß ich niemals in Eton oder Harrow, Cambridge oder Oxford gewesen sei, waren sie förmlich stumm vor Erstaunen. Ich denke mir, sie hielten mich für eine Art Vagabund; kurz ich sank die zweite Stufe in ihrer Achtung Macht nichts! Ich ließ mich nicht aus dem Felde schlagen, denn ich hatte Dir versprochen, mein Möglichstes zu thun, und ich that es. Ich versuchte zunächst ein heitres Geplauder über die Umgegend. Die Frauen sagten nichts Besonderes; die Männer fingen, zu meinem unaussprechlichen Erstaunen, alle an zu condoliren. Sie sagten, ich werde innerhalb zwanzig Meilen vom Hause kein Koppel Hunde zu finden im Stande sein, und sie hielten es für nicht mehr als recht, mich davon zu unterrichten, in welcher schmachvollen Weise man zu Thorpe-Ambrose die Wildlager vernachlässigt habe. Ich ließ sie zu Ende condoliren, und was glaubst Du, that ich dann? Ich brachte mich abermals in die Patsche »O, lassen Sie sich das nicht kümmern«, sagte ich; »es liegt mir durchaus gar nichts an irgend einer Art von Jagd. Wenn ich auf meinem Spaziergange einem Vogel begegne, ist es mir unmöglich, eine Begierde zu fühlen, ihn zu tödten; es macht mir im Gegentheil Vergnügen, den Vogel umherfliegen und sich seines Daseins freuen zu sehen.« Da hättest Du ihre Gesichter sehen sollen! Hatten sie mich vorher für eine Art Vagabond gehalten, so hielten sie mich jetzt offenbar für toll. Es herrschte eine Todtenstille, und ich sank die dritte Stufe in der allgemeinen Achtung. Im nächsten Hause, und im nächsten, und wieder im nächsten ging es ebenso. Ich glaube, wir waren alle vom Teufel besessen. Es kam stets auf eine oder die andre Weise zum Vorschein, daß ich keine Reden halten könne, daß ich ohne Universitätsbildung ausgewachsen sei, und daß ich Vergnügen an einem Spazierritt finden könne, ohne einem unglückseligen, übelriechenden Fuchse oder einem armen wahnsinnigen, kleinen Hasen nachzugaloppieren. Diese drei unglücklichen Fehler in mir sind, wie es scheint, bei einem Gutsbesitzer unverzeihlich, namentlich wenn er den Anfang damit gemacht hat, daß er einem öffentlichen Empfange aus dem Wege gegangen ist. Ich denke, am besten kam ich noch mit den Gemahlinnen und Töchtern fort. Die Frauen und ich verfielen überall früher oder später auf Mrs. Blanchard und ihre Nichte. Wir wurden stets darüber einig, daß sie sehr weise gehandelt haben. indem sie nach Florenz gezogen seien; und der einzige Grund, den wir für diese Ansicht anzugeben hatten, war der, daß die Betrachtung der Meisterstücke italienischer Kunst nach dem traurigen Verluste, den die beiden Damen erlitten, einen wohlthätigen Einfluß auf ihr Gemüth haben werde. Ich gebe Dir mein feierliches Wort darauf, daß jede einzelne der Damen in jedem Hause, das ich besuchte, früher oder später auf Mrs. und Miß Blanchards Verlust und zu den Meisterstücken italienischer Kunst zu reden kam. Was wir ohne die Hilfe dieses glänzenden Gedankens hätten anfangen sollen, weiß ich wirklich nicht. Der einzige angenehme Augenblick bei all diesen Besuchen war der, wo wir alle zusammen die Köpfe schüttelten und erklärten, daß die Meisterwerke sie trösten würden. Was den Rest betrifft, so habe ich nur noch eins zu sagen: Was ich an einem andern Orte sein könnte, weiß ich nicht; hier aber bin ich der unrechte Mann am unrechten Orte. Laß mich in Zukunft mit meinen eignen wenigen Freunden auf meine eigne Weise fertig werden; verlange Alles in der Welt von mir, nur verlange nicht, daß ich noch fernere Besuche bei meinen Nachbarn machen soll.«

Mit dieser charakteristischen Bitte schloß Allan seinen Bericht über seine Entdeckungsreise unter den ansässigen Gutsherrschaften. Midwinter schwieg einen Augenblick. Er hatte Allan bis zu Ende plaudern lassen, ohne seinerseits ein Wort zu sagen. Der unglückliche Erfolg der Besuche – ein Erfolg, der in Verbindung mit allen übrigen, seit gestern gemachten, Erfahrungen Allan gleich beim Beginn seines Aufenthalts in der Gegend mit Ausschließung von allem gesellschaftlichen Verkehre bedrohte – hatte Midwinter’s Kraft so vollständig gebrochen, daß er unfähig war, dem ihn allmählig beschleichenden drückenden Einflusse seines Aberglaubens noch fernern Widerstand zu leisten. Es kostete ihn schon einige Anstrengung, jetzt zu Allan aufzublicken; noch mehr kostete es ihn Anstrengung, sich zu einer Erwiderung zu ermannen.

 

»Es soll geschehen, wie Du wünschest«, sagte er ruhig. »Ich bedaure das, was sich zugetragen hat, aber ich bin Dir nichtsdestoweniger dankbar dafür, Allan, daß Du gethan, was ich Dich zu thun bat.«

Sein Haupt sank auf seine Brust, und die fatalistische Resignation, die ihn schon auf dem Wrack beruhigt, beruhigte ihn auch jetzt wieder. »Was sein muß, wird sein!« dachte er abermals. »Was habe ich und was hat er mit der Zukunft zu schaffen?«

»Guten Muth!« rief Allan. »Was Deine Angelegenheiten betrifft, so befinden sich dieselben jedenfalls auf gedeihlichen: Wege. Ich machte einen angenehmen Besuch in der Stadt, von dem ich Dir noch nicht erzählt habe. Ich habe Pedgift gesehen und Pedgift’s Sohn, der ihm in der Expedition behilflich ist. Sie sind die beiden herrlichsten Advocaten, die mir je im Leben vorgekommen sind, und was noch mehr ist, sie können uns den Mann verschaffen, dessen Du bedarfst, um Dich über die Verwalterpflichten zu unterrichten.«

Midwinter sah schnell auf. Es stand bereits deutliches Mißtrauen gegen Allan’s Entdeckung in seinem Gesichte geschrieben, doch sagte er nichts.

»Ich dachte an Dich«, fuhr Allan fort, »sowie die beiden Pedgifts und ich ein Glas auf unsere freundschaftliche Verbindung getrunken hatten, den vortrefflichsten Sherry, den ich in meinem ganzen Leben gekostet habe; ich habe mir eine Quantität von derselben Sorte bestellt, doch darum handelt es sich jetzt nicht. In zwei Worten erzählte ich diesen beiden würdigen Burschen Deine Schwierigkeit, und in zwei Secunden hatte der alte Pedgift die ganze Geschichte begriffen. »Ich habe den Mann in meiner Expedition«, sagte er, »und will ihn, ehe der Zahltag herankommt, mit Vergnügen zu Ihrer Verfügung stellen.«

Bei dieser» letzten Ankündigung gab Midwinter seinem Mißtrauen in Worten Ausdruck. Er fragte Allan schonungslos aus. Der Name des Mannes war, wie sich ergab, Bashwood Er war einige Zeit – Allan erinnerte sich nicht, wie lange in Mr. Pedgift’s Diensten gewesen. Vorher hatte er bei einem Herrn in Norfolk, dessen Namen Allan vergessen, im westlichen Districte der Grafschaft, eine Verwalterstelle innegehabt, die er aber in Folge gewisser Familienverhältnisse wieder verloren hatte. Pedgift verbürgte sich für ihn und wollte ihn zwei oder drei Tage vor dem Zahltagsdiner nach Thorpe-Ambrose senden. Früher könne er in der Expedition nicht gut entbehrt werden. Es sei unnöthig, sich ferner wegen dieses Gegenstands zu beunruhigen; Pedgift lache über die Idee, daß es irgendwelche Schwierigkeit mit den Pächtern geben könne. Zwei oder drei Tage des Studirens der Verwalterbücher würden Midwinter unter der Leitung eines Manns, der ein praktisches Verständniß der Schae besitze, vollkommen für den Zahltag vorbereiten, und die übrigen Geschäfte könnten bis später warten.

»Hast Du diesen Mr. Bashwood selbst gesehen Allan?« fragte Midwinter, noch immer auf seiner Hut.

»Nein«, erwiderte Allan, »er war auswärts mit dem Actenbeutel, wie der junge Pedgift sich ausdrückte. Sie sagten mir, er sei ein anständiger, ältlicher Mann, zwar ein wenig zerschlagen durch seine Leiden und ein wenig nervös und verwirrt im Wesen, wenn er mit Fremden zu thun hat, aber vollkommen tüchtig und vollkommen zuverlässig – dies sind Pedgift’s eigne Worte.«

Midwinter schwieg und überlegte ein wenig, da er ein neues Interesse an dem Gegenstande fand. Der fremde Mann, den er soeben hatte beschreiben hören, und der fremde Mann, den er an der Stelle, wo die drei Wege zusammenliefen, getroffen, hatten eine seltsame Aehnlichkeit mit einander. War dies etwa ein abermaliges Glied in der immer länger werdenden Kette von Ereignissen? Midwinter war entschlossen nur um so mehr behutsam zu sein, als ihn der Zweifel, daß dies der Fall sein könne, beschlich.

»Willst Du mir erlauben, wenn Mr. Bashwood kommt, ihn zu sehen und zu sprechen, ehe irgendetwas bestimmt wird?« fragte er.

»Das versteht sich!« erwiderte Allan. Er schwieg und sah auf seine Uhr. »Und ich will Dir sagen, was ich inzwischen für Dich thun will, alter Junge«, fügte er hinzu, »ich will Dich dem hübschesten Mädchen in ganz Norfolk vorstellen! ist noch grade Zeit, vor Tische nach dem Parkhäuschen zu laufen. Komm mit und laß Dich Miß Milroy vorstellen.«

»Das wird für heute nicht möglich sein«, entgegnete Midwinter und richtete ihm dann die Entschuldigung aus, die am Nachmittage vom Major eingetroffen war. Allan war erstaunt und fühlte sich enttäuscht, doch war er nicht von seinem Entschlusse abzubringen, sich bei den Bewohnern des Parkhäuschens in Gunst zu setzen. Nachdem er ein wenig nachgesonnen, fiel ihm ein Mittel ein, von den gegenwärtigen ungünstigen Verhältnissen guten Gebrauch zu machen. »Ich will eine schickliche Besorgniß für Mrs. Milroy’s Genesung an den Tag legen«, sagte er ernst, »morgen früh werde ich ihr mit meiner besten Empfehlung einen Korb mit Erdbeeren senden.«

Der Tag ging zu Ende, ohne daß noch etwas Bemerkenswerthes vorfiel.

Das einzige bemerkenswerthe Ereigniß des folgenden Tags war eine abermalige Offenbarung von Mrs. Milroy’s krankhafter, böser Laune. Eine halbe Stunde später. nachdem Allan? Korb mit Erdbeeren im Parkhäuschen abgegeben worden, ward ihm derselbe mit einer kurzen und bissigen Bestellung, die von der Krankenwärterin der Mrs. Milroy in kurzer und bissiger Manier ausgerichtet wurde, unangerührt wieder zurückgebracht. »Mrs. Milroy’s Empfehlung und sie lasse sich bedanken. Erdbeeren bekämen ihr nie.« Falls diese merkwürdig gereizte Anerkennung einer Höflichkeit Allan hatte ärgern sollen, so erreichte dieselbe durchaus nicht ihren Zweck. Anstatt sich durch die Mutter beleidigt zu fühlen, drückte er seine Theilnahme für die Tochter aus. »Das arme kleine Wesen«, war alles, was er sagte, dachte aber dabei: »Sie muß mit einer solchen Mutter ein hartes Leben führen!«

Später am Tage machte er selbst einen Besuch im Häuschen, doch konnte er Miß Milroy nicht sehn. Sie war oben beschäftigt Der Major empfing seinen Besuch in seiner Arbeitsschürze, weit tiefer in seine wunderbare Uhr versunken und allen äußern Eindrücken weit unzugänglicher, als Allan ihn bei der ersten Zusammenkunft gefunden hatte. Sein Benehmen war ebenso herzlich wie zuvor, doch war kein Wort weiter über seine Gemahlin aus ihm herauszubringen, als daß, wie er sich ausdrückte, Mrs. Milroy’s Befinden sich seit gestern nicht gebessert habe.

Die beiden nächsten Tage vergingen ruhig und ohne alle Ereignisse Allan beharrte dabei, seine Nachfragen im Parkhäuschen fortzusetzen, doch alles, was er von der Tochter des Majors sah, beschränkte sich darauf, daß sie für einen einzigen kurzen Augenblick am Fenster der obern Etage sichtbar ward. Man hörte nichts weiter von Mr. Pedgift, und Mr. Bashwood’s Ankunft verzögerte sich noch. Midwinter weigerte sich, irgendetwas in der Sache zu unternehmen, bis hinlängliche Zeit verstrichen sei, daß er eine Antwort auf den Brief haben konnte, den er am Abend seiner Ankunft in Thorpe-Ambrose an Mr. Brock geschrieben. Er war ungewöhnlich still und schweigsam, und brachte den größern Theil der Zeit in der Bibliothek unter den Büchern zu. Die Zeit verging langsam. Die ansässigen Gutsherrschaften erwiderten Allan’s Besuche, indem sie aufs förmlichste ihre Karten abgaben. Darauf kam Niemand mehr dem Hause nahe. Das Wetter war einen Tag so schön wie den andern. Allan wurde ein wenig unruhig und unzufrieden. Er fing an, Mrs. Milroy’s Krankheit übel zu nehmen und mit Bedauern an seine verlassene Jacht zu denken.