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Armadale

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Das momentane Schweigen ihres Gefährten mißdeutend, fuhr Miß Milroy fort: »Sie werden wahrscheinlich nicht begreifen, warum mir so sehr davor grausen sollte, in eine Schule geschickt zu werden. Wäre ich in früher Jugend – ich meine in dem Alter, in – dem die meisten Kinder in die Schule gehen – nach einer Schule gesandt worden, so würde ich mir jetzt nichts daraus gemacht haben. Aber ich hatte zu jener Zeit keine Gelegenheit dazu. Es war dies die Zeit der Krankheit meiner Mama und der unglücklichen Speculationen meines Papas; und da der Papa Niemand hatte, der ihn trösten konnte, blieb ich natürlich bei ihm zu Hause. Sie brauchen nicht zu lachen; ich war von einigem Nutzen, das kann ich Ihnen versichern. Ich half dem Papa durch seine Sorgen hindurch, indem ich nach Tische auf seinem Schoße saß und ihn bat, mir von all den außerordentlichen Leuten zu erzählen, die er gekannt, als er in der weiten Welt umhergereist. Ohne meine Unterhaltung des Abends und seine Uhr am Tage —«

»Seine Uhr?« wiederholte Allan.

»Ja! Ich hätte es Ihnen sagen sollen. Der Papa ist nämlich ein erstaunliches Genie in der Mechanik. Sie werden dasselbe sagen, wenn Sie seine große Stehuhr sehen. Sie ist nach dem Modell der berühmten Uhr zu Straßburg gebaut, ohne natürlich deren Größe zu erreichen. Denken Sie nur, er fing dieselbe an, als ich acht Jahre alt war, und sie war an meinem letzten Geburtstage, wo ich doch sechszehn ward, noch nicht vollendet! Einige unserer Bekannten waren ganz erstaunt darüber, daß er eine solche Beschäftigung aufnahm, als seine Sorgen anfingen. Aber der Papa klärte sie hierüber sehr schnell auf; er erinnerte sie daran, das Louis der Sechszehnte die Uhrmacherei anfing, als seine Leiden begannen – und dann fühlte sich jeder völlig zufriedengestellt.« Sie schwieg plötzlich und wechselte verlegen die Farbe. »O, Mr. Armadale«, sagte sie diesmal in ungekünstelter Verwirrung, »hier geht meine unglückselige Zunge schon wieder mit mir durch! Ich plaudere schon mit Ihnen, wie wenn ich Sie seit Jahren gekannt hätte! Dies ist es, was Papas Freund meinte, als er sagte, meine Manieren seien zu dreist. Es ist vollkommen war. Ich habe eine schreckliche Art und Weise, vertraut mit den Leuten zu werden, wenn —« Sie legte ihrer Zunge plötzlich den Zaum an, da sie auf dem Punkte war, mit den Worten zu schließen: »Wenn sie mir gefallen.«

»Nein, nein; bitte, fuhren Sie fort!« bat Allan. »Es ist auch mein Fehler, leicht vertraut zu werden. Ueberdies müssen wir ja vertraut mit einander werden; wir sind so nahe Nachbarn. Ich bin ein ziemlich uncultivirter Bursche, und ich weiß nicht recht, wie ich es ausdrücken soll, was ich Ihnen sagen wollte; aber ich wünsche, daß Ihr Häuschen gemüthlich und freundschaftlich mit meinem großen Hause, und mein großes Haus gemüthlich und freundschaftlich mit Ihrem Häuschen verkehrt. Da haben Sie, was ich meine. Fahren Sie fort, Miß Milroy; bitte, fahren Sie fort!«

Sie lächelte und zögerte. »Ich erinnere mich nicht recht, wo ich war«, erwiderte sie. »O, jetzt erinnere ich mich, daß ich Ihnen etwas zu erzählen hatte. Dies kommt davon, daß ich Ihren Arm an nahm, Mr. Armadale. Wenn Sie nur darein willigen wollten, daß wir getrennt gingen, so würde ich viel besser von der Stelle kommen. Sie wollen es nicht? Nun, wollen Sie mir dann sagen, was ich Ihnen zu sagen wünschte? Wo war ich, ehe ich zu den Sorgen des Papas und zu seiner Uhr abschweifte?«

»In der Schule!« erwiderte Allan nach einer erstaunlichen Anstrengung des Gedächtnisses.

»Nicht in der Schule, meinen Sie«, sagte Miß Milroy; »und dies alles durch Sie! Jetzt kann ich wieder fortfahren, und das ist ein großer Trost. Ich spreche völlig im Ernste, Mr. Armadale, wenn ich sage, daß ich zur Schule geschickt worden wäre, falls Sie zu Papas Anfrage wegen des Häuschens Nein gesagt hätten. Die Sache ereignete sich folgendermaßen. Als wir einzuziehen anfingen, hatte Mrs. Blanchard die große Freundlichkeit, uns sagen zu lassen, daß uns ihre Dienerschaft zur Verfügung stehe, wenn wir der Hilfe bedürften. Papa und ich konnten hierauf nicht umhin, ihr unsere Aufwartung zu machen und ihr zu danken. Wir sahen Mrs. Blanchard und Miß Blanchard. Mrs. Blanchard war außerordentlich liebenswürdig, und Miß sah in ihren Trauerkleidern reizend aus. Ich bin überzeugt, daß Sie sie bewundern! Sie ist groß und schlank und blaß und anmuthig in ihren Manieren – ganz Ihre Vorstellung von Schönheit, wie ich mir denke?«

»Nicht im geringsten«, versetzte Allan. »Meine Vorstellung von Schönheit ist in diesem Augenblicke —«

Miß Milroy sah es kommen und zog augenblicklich ihre Hand von seinem Arme zurück.

»Ich wollte sagen, ich habe weder Mrs. Blanchard noch ihre Nichte je gesehen«, fügte Allan, sich eiligst verbessernd, hinzu.

Miß Milroy ließ Gnade für Recht ergehen und legte ihre Hand wieder in seinen Arm.

»Wie sonderbar, daß Sie sie nie gesehen haben!« fuhr sie fort. »Sie sind für alle und alles in Thorpe-Ambrose ein Fremder! Nun, nachdem Miß Blanchard und ich ein Weilchen dagesessen und mit einander geplaudert hatten, hörte ich Mrs. Blanchard meinen Namen aussprechen und hielt sofort den Athem an. Sie frug den Papa, ob meine Erziehung vollendet sei. Der Papa kam augenblicklich mit seiner großen Noth zum Vorschein. Meine alte Erzieherin, müssen Sie wissen, hatte uns kurz vor unserm Hierherkommen verlassen, um sich zu verheirathen, und es konnte uns Niemand unter unsern Bekannten eine neue empfehlen, deren Forderungen nicht zu hoch für uns waren. »Ich habe von Leuten, die die Sache besser verstehen als ich, gehört, daß das Annoncieren eine riskante Sache sei, Mrs. Blanchard«, sagte der Papa. »Bei Mrs. Milroy’s schlechter Gesundheit fällt diese ganze Sorge mir anheim, und ich vermuthe, ich werde mein kleines Mädchen schließlich in eine Schule zu senden genöthigt sein. Ist Ihnen zufällig eine Schule bekannt, die den Mitteln eines armen Mannes entsprechen würde?« Mrs. Blanchard schüttelte den Kopf – ich hätte sie auf der Stelle küssen mögen. »Meine Erfahrungen, Major Milroy«, sagte dieser wahre Engel von einer Frau, »stimmen mich zu Gunsten des Annoncierens. Wir fanden die Erzieherin meiner Nichte durch eine Annonce, und Sie können sich ihren Werth für uns vorstellen, wenn ich Ihnen sage, daß sie über zehn Jahre in unserer Familie blieb.« Ich hätte auf die Knie sinken und Mrs, Blanchard danken mögen – und es nimmt mich blos Wunder, daß ich es nicht that! Der Papa war frappiert – das sah ich sehr wohl – und er erwähnte der Sache auf dem Heimwege. »Obgleich ich lange außerhalb der großen Welt gelebt habe«, sagte er, »erkenne ich doch eine feine Frau und eine verständige Frau, sowie ich sie nur sehe, mein Kind. Mrs. Blanchard’s Erfahrung läßt mich das Annoncieren in einem neuen Lichte erblicken – ich muß mirs überlegen.« Nunmehr hat er sich es überlegt, und ich weiß, obgleich er es mir nicht offen bekannt, daß er schon gestern Abend den Entschluß gefaßt hat, zu annoncieren. Wenn also der Papa Ihnen dafür dankt, daß Sie ihm das Häuschen vermiethet haben, so danke ich Ihnen ebenfalls. Ohne Sie würden wir nie die Bekanntschaft der lieben Mrs. Blanchard gemacht haben; und ohne die liebe Mrs. Blanchard wäre ich in die Schule geschickt worden.«

Ehe Allan noch etwas erwidern konnte, kamen sie um die Ecke der Baumanlagen und standen vor dem Häuschen. Eine Schilderung desselben ist unnöthig; es war das typische Häuschen, wie wir es aus unserm ersten Zeichenunterricht kennen – mit dem hübschen Strohdach, den üppigen Schlinggewächsen, den bescheidenen Gitterfenstern, dem Porticus von Baumästen und dem geflochtenen Vogelkäfig.

»Ist es nicht reizend!« sagte Miß Milroy. »Bitte, kommen Sie herein!«

»Darf ich? Wird der Major es nicht zu früh finden?«

»Ob es früh oder spät sei, ich weiß gewiß, daß der Papa sich sehr freuen wird, Sie zu sehen.«

Sie ging munter auf dem Gartenpfade voran und öffnete die Thür des Wohnzimmers. Wie Allan ihr in das kleine Zimmer folgte, sah er an der abgelegenen Seite desselben allein an einem altmodischen Schreibtische einen Herrn sitzen, der seinem Gaste den Rücken zuwandte.

»Papa! Eine Ueberraschung für Dich!« sagte Miß Milroy, ihn von seiner Beschäftigung abziehend; »Mr. Armadale ist in Thorpe-Ambrose angelangt, und ich habe ihn zu Dir gebracht.«

Der Major wandte sich schnell und erstaunt um, stand auf, war einen Augenblick völlig verblüfft, erholte sich jedoch augenblicklich von seinem Erstaunen und näherte sich mit gastfreundlich ausgestreckter Hand, um seinen jungen Hauswirth zu begrüßen.

Ein Mann von größerer Welterfahrung und schärferer Beobachtungsgabe, als Allan besaß, würde Major Milroy’s Lebensgeschichte sofort in dessen Gesichte gelesen haben. Die Familiensorgen, die ihn getroffen, verriethen sich sogleich, als er sich von seinem Sessel erhob, in seiner gebeugten Gestalt und seinen bleichen, tiefgefurchten Wangen. Die Wirkung einer und derselben einförmigen Beschäftigung und fortwährender einförmiger Gedankenrichtung machte sich zunächst in der schweren, träumerischen Selbstversunkenheit seines Wesens fühlbar, während seine Tochter zu ihm sprach. Und im nächsten Augenblicke, wie er sich aufraffte, um seinen Gast willkommen zu heißen, ward seine Selbstoffenbarung vollständig; denn in diesem Augenblicke flackerte in den müden Augen des Majors ein matter Strahl seines glücklichen Jugendgeistes auf; in dem schweren und träumerischen Wesen des Majors zeigte sich eine Veränderung, die in unverkennbarer Weise gesellschaftliche Vorzüge und Talente andeutete, die er sich in keiner unedlen socialen Schule angeeignet hatte. Ein Mann, der in seiner mechanischen Beschäftigung eine geduldige Zuflucht vor seinen Leiden gesucht; ein Mann, der nur von Zeit zu Zeit sich selber entrissen ward und sich wieder als das erkannte, was er einst gewesen – so stand Major Milroy jetzt, an dem ersten Morgen ihrer Bekanntschaft vor Allan – eine Bekanntschaft, die ein Ereigniß in Allan’s Leben zu bilden bestimmt war.

 

»Ich freue mich von Herzen, Sie zu sehen, Mr. Armadale«, sagte er in jenem ruhigen klanglosen Tone, der meistens den Leuten eigen ist, deren Beschäftigungen einsam und einförmig sind. »Sie haben mir bereits eine große Güte erzeigt, indem Sie mich als Ihren Miethsmann annahmen, und Sie erweisen mir jetzt durch diesen freundschaftlichen Besuch eine zweite. Falls Sie nicht bereits gefrühstückt haben, gestatten Sie mir, meinerseits alle Ceremonien bei Seite zu lassen und Ihnen einen Platz an unserm kleinen Tische anzubieten.«

»Mit dem größten Vergnügen, Major Milroy, wenn ich nicht im Wege bin«, erwiderte Allan, über den ihm zu Theil werdenden Empfang entzückt. »Ich habe mit Bedauern von Miß Milroy gehört, daß Mrs. Milroy leidend ist. Mein unerwartetes Hiersein – der Anblick eines fremden Gesichts dürfte sie vielleicht —«

»Ich begreife Ihr Zögern, Mr. Armadale«, sagte der Major; »doch ist dasselbe ganz unnöthig Mrs. Miroy’s Leiden fesselt sie durchaus an ihr Zimmer. – Haben wir alles auf dem Tische, dessen wir bedürfen, mein Kind?« frug er, plötzlich der Unterhaltung eine andere Wendung gebend, so daß ein schärferer Beobachter als Allan unfehlbar gemerkt haben würde, daß der Gegenstand ein unangenehmer für ihn sei. »Willst Du herkommen und den Thee besorgen?«

Miß Milroy’s Aufmerksamkeit schien anderweitig in Anspruch genommen; sie gab keine Antwort. Während ihr Vater und Allan Höflichkeiten mit einander ausgetauscht, hatte sie den Schreibtisch geordnet und mit der ungezügelten Neugier eines verzogenen Kindes die verschiedenen zerstreut auf demselben umherliegenden Papiere untersucht. In dem Augenblicke, nachdem der Major zu ihr gesprochen, entdeckte sie, zwischen den Löschpapierblättern der Schreibmappe versteckt, ein Stückchen Papier, riß dasselbe heraus, betrachtete es und wandte sich schnell mit einem Ausrufe der Ueberraschung um.

»Täuschen mich meine Augen, Papa?« frug sie. »Oder warst Du wirklich mit dieser Annonce hier beschäftigt, als ich hereinkam?«

»Ich hatte dieselbe soeben geschrieben«, antwortete der Vater. »Aber, mein Kind, Mr. Armadale ist hier – wir warten auf’s Frühstück.«

»Mr. Armadale weiß die ganze Geschichte«, erwiderte Miß Milroy. »Ich habe sie ihm im Garten erzählt.«

»O, ja!« sagte Allan. »Bitte, betrachten Sie mich nicht als einen Fremden, Major! Es handelt sich um die Erzieherin, ich habe in einer indirecten Weise ebenfalls etwas mit der Sache zu schaffen.«

Major Milroy lächelte. Doch ehe er noch etwas entgegnen konnte, wandte seine Tochter, die inzwischen die Annonce gelesen, sich zum zweiten Male eifrig zu ihm.

»O, Papa«, sagte sie, »hier ist etwas, das mir gar nicht gefällt! Warum gibst Du die Anfangsbuchstaben der Großmama an? Warum sagst Du, man solle an das Haus der Großmama in London adressieren?«

»Mein liebes Kind! Deine Mutter kann in dieser Sache gar nichts thun, wie Du weißt. Und was mich betrifft, so tauge ich nicht im geringsten dazu, fremde Damen über ihren Charakter und ihre Befähigung auszuforschen. Deine Großmama ist am Orte; sie ist die geeignete Person, um die Briefe entgegenzunehmen und alle nothwendigen Erkundigungen einzuziehen.«

»Aber ich wünsche die Briefe selbst zu sehen«, sagte das verzogene Kind. »Einige derselben werden sicherlich sehr amüsant sein —«

»Ich mache Ihnen keine Entschuldigungen wegen dieses außerordentlich unceremoniösen Empfangs Mr. Armadale«, sagte der Major mit drolligem und ruhigem Humor zu Allan. »Derselbe mag Ihnen als eine nützliche Warnung dienen, daß Sie, wenn Sie sich einmal verheirathen und eine Tochter haben, nicht gleich mir damit anfangen, derselben ihren Willen zu lassen.«

Allan lachte und Miß Milroy fuhr hartnäckig fort.

»Ueberdies«, sagte sie, »möchte ich in der Wahl der Briefe behilflich sein, die wir beantworten wollen, Ich denke doch, daß ich in der Wahl meiner eigenen Erzieherin ein Wort mitzureden habe. Warum sagst Du nicht, daß sie die Briefe hierher senden sollen – nach dem Postamte oder zum Papierhändler oder wohin Du sonst willst? Nachdem Du und ich die Briefe gelesen haben, können wir diejenigen, die wir vorziehen, der Großmama zusenden, und sie kann dann alle ihre Fragen thun und die beste Gouvernante aussuchen, ohne daß ich ganz im Dunkeln darüber bleibe – was ich ganz unmenschlich finden würde. Sie nicht auch, Mr. Armadale? Laß mich die Adresse ändern, Papa – bitte, lieber Papa!«

»Wir werden kein Frühstück erhalten, Mr. Armadale, wenn ich nicht Ja sage«, meinte der Major gutmüthig. »Thue was Du willst, mein Kind«, fügte er zu seiner Tochter gewendet hinzu. »Solange schließlich Deine Großmama die Sache für uns ordnet, ist alles Uebrige von geringer Bedeutung.«

Miß Milroy nahm die Feder ihres Vaters, strich mit derselben die letzte Zeile der Annonce durch und schrieb die veränderte Adresse mit eigener Hand folgendermaßen:

»Man adressiere an das Postamt zu Thorpe-Ambrose, Norfolk.«

»So!« sagte sie, geschäftig ihren Platz am Frühstücksstische einnehmend. »Jetzt mag die Annonce nach London wandern, und falls eine Gouvernante danach kommt – o, Papa, wer wird sie nur sein? – Thee oder Kaffee Mr. Armadale? Ich schäme mich wirklich, daß ich Sie so lange warten ließ. Aber es ist ein solcher Trost«, fügte sie schelmisch hinzu, »sich vor dem Frühstück alle Geschäfte vom Halse geschafft zu haben !«

Vater, Tochter und Gast setzten sich gesellig um den kleinen runden Tisch – bereits die besten Nachbarn und die besten Freunde.

Drei Tage später schaffte einer der Londoner Zeitungsjungen sich ebenfalls vor dem Frühstück sein Geschäft vom Halse. Sein Bezirk war Diana-Street, Pimliw; und die letzte seiner Morgenzeitungen war die, welche er an der Thür von Miss. Oldershaw’s Hause abgab.

Siebentes Kapitel

Etwa eine Stunde nachdem Allan seine Entdeckungsreise durch seine Besitzungen angetreten hatte, stand auch Midwinter auf und erfreute sich seinerseits beim Tageslichte an der Pracht des neuen Hauses.

Durch seine lange Nachtruhe erfrischt, kam er ebenso fröhlich wie Allan die große Treppe herunter. Gleich ihm schaute er der Reihe nach in die geräumigen Zimmer des Erdgeschosses und befand sich in athemlosen Erstaunen über den Glanz und Luxus, von dem er sich umgeben sah. »Das Haus, in dem ich als Knabe diente, war ein sehr stattliches«, dachte er, »aber es war mit diesem nicht zu vergleichen! Ob nur Allan ebenso erstaunt und entzückt ist wie ich? Die Pracht des Sommermorgens lockte ihn durch die offene Hausthür hinaus, gleich wie dies bei Allan der Fall gewesen war. Er sprang munter die Stufen hinab, indem er eine jener Melodien summte, nach denen er in seiner alten Vagabondenzeit getanzt hatte. Selbst die Erinnerungen an seine elende Kindheit wurden an diesem frohen Morgen durch das glänzende Medium gefärbt, durch welches er auf sie zurück sah. »Wenn ich nicht aus der Uebung gekommen wäre, dachte er, indem er sich auf das Stacket lehnte und über dasselbe hinweg auf den weiten Park blickte, »möchte ich auf diesem herrlichen Grase einige meiner alten Gaukelkunststücke versuchen.«

Er wandte sich um, erblickte am Eingange des Gebüsches zwei Diener, die sich mit einander unterhielten, und frug sie nach dem Herrn des Hauses. Die beiden Männer deuteten lächelnd auf den Garten; Mr. Armadale sei vor mehr als einer Stunde dorthin gegangen, und, wie sie bereits erfahren, Miß Milroy in den Anlagen begegnet. Midwinter schlug den Pfad durch das Gebüsch ein; doch da er bei dem Blumengarten anlangte, stand er still, überlegte ein wenig und ging wieder zurück. »Wenn Allan die junge Dame getroffen hat«, sprach er bei sich, »bedarf er meiner nicht.« Diese Worte begleitete er mit einem Lachen, dann wandte er sich rücksichtsvoll ab, um die Schönheiten von Thorpe-Ambrose auf der andern Seite des Hauses in Augenschein zu nehmen.

Um die Vorderseite des Gebäudes herumgehend, stieg er einige Stufen hinab, schritt auf einem gepflasterten Pfade entlang und sah sich bald in einem schmalen Gärtchen an der Hinterseite des Hauses. Hinter ihm befand sich eine Reihe von kleinen Zimmern, die in gleicher Ebene mit den Gesindestuben gelegen waren. Vor ihm, am entlegensten Ende des kleinen Gartens, erhob sich eine durch eine Lorbeerhecke geschützte Mauer, mit einer Thür an dem einen Ende, die an den Ställen vorüber zu einem Thore führte, vermittelst dessen man auf die Landstraße gelangte. Da er sah, daß er hiermit nur den Weg zum Hause entdeckt habe, den die Dienerschaft und die Handwerksleute benutzten, ging Midwinter abermals wieder zurück und blickte im Vorübergehen durch das Fenster eines der Zimmer im Erdgeschosse Waren dies etwa die Gesindestuben? Nein; diese befanden sich dem Anscheine nach in einem andern Theile des Erdgeschosses; das Fenster, durch das er sah, war das einer Polterkammer. Die beiden nächsten Zimmer dieser Reihe waren leer. Das vierte Fenster, dem er sich näherte, bot einige Abwechselung. Dasselbe bildete zugleich eine Thür und stand in diesem Augenblicke offen.

Durch die Bücherbretter angezogen, die er an der Wand bemerkte, trat Midwinter in das Zimmer. Die Bücher, nur wenige an der Zahl, beschäftigten ihn nicht lange; ein Blick auf die Rücken derselben genügte ihm, ohne daß er sie herunternahm. Die Waverley-Romane, Erzählungen von Miß Edgeworth und deren zahlreichen Nachahmern, Gedichte von Mrs. Hemans und einige Bände von illustrierten »Andenken« bildeten den größeren Theil dieser kleinen Bibliothek. Midwinter wandte sich, um das Zimmer zu verlassen, als ein Gegenstand auf der einen Seite des Fensters, den er bisher nicht bemerkt hatte, seine Aufmerksamkeit auf sich zog und ihn still stehen machte. Es war dies eine Statuette auf einer Console – eine verkleinerte Copie der berühmten Niobe im Museum zu Florenz. Mit einem plötzlichen Zweifel, der sein Herz pochen machte, sah er von der Statuette nach dem Fenster. Es war ein langes Thürfenster, und die Statuette befand sich, indem er vor dem Fenster stand, zu seiner Linken. Er schaute mit einem Argwohn hinaus, wie er ihn bisher noch nicht gefühlt hatte. Die Aussicht, welche sich vor ihm ausbreitete, war die eines Rasenplatzes und eines Gartens. Einen Augenblick kämpfte sein Geist gegen den Schluß, der sich ihm aufdrang – doch vergebens. Hier, um ihn und vor ihm, lag das Zimmer, welches Allan in der zweiten Vision seines Traumes gesehen hatte, und trieb ihn erbarmungslos von der glücklichen Gegenwart zu der grausigen Vergangenheit zurück.

Er zögerte sinnend und schaute sich dabei rings um. In seinem Gesichte und seinem Wesen war erstaunlich wenig von einer Gemüthsbewegung wahrzunehmen; ruhig blickte er von dem einen zum andern der wenigen Gegenstände in dem Zimmer, wie wenn die Entdeckung ihn nicht so sehr überrascht als betrübt hätte. Ein Strohgeflecht von ausländischer Production bedeckte den Fußboden. Zwei Rohrstühle und ein einfacher Tisch bildeten das ganze Geräth. Die Wände waren mit einer einfachen Tapete bedeckt und ohne allen Bilderschmuck; die Einförmigkeit derselben ward durch nichts als eine Thür, die ins Innere des Hauses führte, einen kleinen Ofen und die Bücherbretter unterbrochen, die Midwinter bereits bemerkt hatte. Er wandte sich wieder zu den Büchern und nahm diesmal einige derselben herunter.

Das erste, welches er öffnete, enthielt eine von Frauenhand herrührende Inschrift, deren Tinte durch die Zeit erblaßt war. Er las: »Jane Armadale von ihrem geliebten Vater. Thorpe-Ambrose, October 1828.« In den folgenden Bänden, die er aufschlug, fand er dieselbe Inschrift. Seine Kenntniß der Data und Personen verhalf ihm zu dem richtigen Schlusse. Die Bücher mußten Allan’s Mutter angehört haben, welche in der Zeit zwischen ihrer Rückkehr von Madeira und der Geburt ihres Sohnes ihren Namen in dieselben eingeschrieben hatte. Midwinter nahm darauf einen Band von einem andern Brette herunter – einen Theil von Mrs. Hemans Werken. Das leere Anfangsblatt des Buches war auf beiden Seiten mit einer Abschrift von Versen, und zwar wieder von Mrs. Armadale’s Hand, angefüllt. Die Verse waren »Lebewohl an Thorpe-Ambrose« überschrieben und vom März 1829 datirt – nur zwei Monate nach Allan’s Geburt.

Das einzige Interesse des kleinen Gedichts, das an sich ohne den geringsten Werth war, lag in der Familiengeschichte, die dasselbe erzählte. Sogar das Zimmer, in dem Midwinter stand, war beschrieben – die Aussicht auf den Garten, die Glasthür, die sich nach demselben öffnete, die Bücherbretter, die Niobe und einige andere vergängliche Zierrathen, welche die Zeit vernichtet hatte. Mit ihren Brüdern im Zwiste und sich ihrer ganzen Familie entziehend, hatte die Wittwe des Gemordeten ihrer eigenen Angabe zufolge sich hierher zurückgezogen und keinen andern Trost mitgenommen, als die Liebe und Verzeihung ihres Vaters. So kam ihr Kind zur Welt. Des Vaters Güte und sein kürzlich erfolgter Tod bildeten den Gegenstand vieler Verse, die in ihrem alltäglichen Ausdrucke der Reue und Verzweiflung glücklicherweise zu unklar waren, um einen Leser, der nicht bereits mit der Wahrheit bekannt war, irgendwie über die Heirathsgeschichte in Madeira aufzuklären. Dann folgten Andeutungen auf die Entfremdung der Schreiberin von all ihren übrigen Angehörigen und auf ihre nahe bevorstehende Abreise von Thorpe-Ambrose, und schließlich die Verkündigung des Entschlusses, sich von all ihren alten Verbindungen loszumachen; alles, selbst die unbedeutendste Kleinigkeit von dem zurückzulassen, was sie an die schreckliche Vergangenheit erinnern könnte, und ihr künftiges Leben von der Geburt ihres Kindes zu datieren, das ihr zum Troste gegeben und jetzt das einzige Wesen in der Welt war, welches ihr noch von Liebe und Hoffnung sprach. Und damit war abermals die alte Geschichte leidenschaftlichen Gefühls erzählt, das sich lieber durch Redensarten tröstet, als allem Troste entsagt.

 

Midwinter stellte das Buch mit einem schweren Seufzer wieder an seinen Platz.

»Hier in dem Landhause – oder dort am Bord des Wracks —« sagte er bitter, »die Spuren von dem Verbrechen meines Vaters folgen mir überall, wohin ich immer gehe.« Er schritt dem Fenster zu, stand still und schaute auf das einsame, vernachlässigte, kleine Zimmer zurück. »Ist dies Zufall?«,frug er sich. »Die Stelle, an der seine Mutter duldete, ist diejenige, die er im Traume sieht; und an dem ersten Morgen in dem neuen Hause wird dieselbe nicht ihm, sondern mir gezeigt. O, Allan! Allan! Wie wird dies enden?«

Eben noch mit diesem Gedanken beschäftigt, vernahm er von dem gepflasterten Pfade an der Seite des Hauses her Allan’s Stimme, der ihn beim Namen rief. Er trat hastig in den Garten hinaus. In demselben Augenblicke kam Allan um die Ecke gelaufen, voll Entschuldigungen, daß er in der Gesellschaft seiner neuen Nachbarn vergessen habe, was er der Gastfreundschaft und seinem Freunde schuldig sei.

»Ich habe Dich wirklich nicht vermißt«, sagte Midwinter; »und es freut mich sehr, zu hören, daß die neuen Nachbarn Dir bereits so gut gefallen.«

Während dieser Worte versuchte er Allan nach der Vorderseite des Hauses zurückzuführen; doch Allan’s flüchtige Aufmerksamkeit war durch das offene Fenster und das einsame kleine Zimmer angezogen worden. Er trat augenblicklich in dasselbe hinein. Midwinter folgte ihm und beobachtete ihn in athemloser Angst, wie er sich dort umschaute. Allan’s Gemüth ward durch keine Spur der Erinnerung an den Traum gestört, und sein Freund ließ keine Silbe der Anspielung auf denselben laut werden.

»Genau der Ort, den man von Dir aufgestöbert zu werden erwarten durfte!« rief Allan fröhlich. »Klein und gemüthlich und anspruchslos. Ich kenne Dich, Meister Midwinter! Du wirst hierher entschlüpfen, wenn die Grafschaftsfamilien mir ihre Besuche machen, und ich denke mir, daß ich bei solchen entsetzlichen Gelegenheiten nicht lange hinter Dir zurückbleiben werde. Was giebt’s? Du siehst krank und bekümmert aus. Hungrig? Natürlich bist Du hungrig! Unverzeihlich von mir,« Dich so lange warten zu lassen – diese Thür führt vermuthlich irgendwo hin; wir wollen sehen, ob wir einen Weg ins Haus entdecken. Ich habe dort im Häuschen nicht viel gegessen, denn ich weidete meine Blicke an Miß Milroy, wie die Dichter sich ausdrücken. O, der kleine Engel! Sie kehrt Einem das Herz im Leibe um, sowie man sie nur erblickt. Was ihren Vater betrifft – so warte, bis Du seine wunderbare Uhr siehst! Sie ist zweimal so groß als die berühmte Uhr in Straßburg und. hat einen gewaltigen Schlag, wie man seit Menschengedenken noch nie gehört hat!«

In dieser Weise das Lob seiner neuen Freunde aus vollem Halse singend, zog Allan seinen Freund Midwinter eiligst mit sich den steinernen Gang des Souterrains entlang, welcher, wie er richtig vermuthet hatte, zu einer mit der Eingangshalle in Verbindung stehenden Treppe führte. Sie kamen auf ihrem Wege an den Gesindestuben und der offen stehenden Küche vorbei. Beim Anblicke der Köchin und des hellen Feuers konnte Allan nicht mehr vernünftig bleiben und seine Würde als Hausherr behaupten.

»Aha, Mrs. Gripper, dort sind Sie ja bei ihren Töpfen und Pfannen und Ihrem feurigen Ofen! Man muß wahrlich ein Sadrach, Mesech und der andre Bursche sein, um es dort aushalten zu können. Frühstück, sobald es Ihnen beliebt! Eier, Würstchen, Schinken, Nieren, Marmelade, Wasserkresse, Kaffee und so weiter! Mein Freund und ich gehören zu den wenigen Auserwählten, für die zu kochen ein wahres Privilegium ist. Ein Paar Gourmands, Mrs. Gripper, wahre Gourmands! – Du wirst sehen«, fuhr Allan fort, wie sie ihren Weg nach der Treppe fortsetzten, »daß ich jene würdige Person wieder jung machen werde; ich bin besser als ein Arzt für Mrs. Gripper. Wenn sie lacht, erschüttert sie ihre fetten Seiten; und wenn sie ihre fetten Seiten erschüttert, strengt sie ihr Muskelsystem an; und wenn sie ihr Muskelsystem anstrengt – Ha! Hier ist Susan wieder. Drückt Euch nicht so ängstlich gegen das Geländer, mein Kind; wenn es Euch nicht unangenehm ist, mich aus der Treppe anzustoßen, so gestehe ich, daß ich Euch recht gern anstoße Sie sieht wie eine aufgeblühte Rose aus, wenn sie erröthet, nicht wahr? Halt, Susan! Ich wünsche Euch einige Befehle zu geben. Gebt Euch besondere Mühe mit Mr. Midwinter’s Zimmer; schüttelt sein Bett wie toll, und stäubt seine Meubles ab, bis Euch Eure hübschen, runden Arme schmerzen! – Unsinn, mein lieber Junge! Ich bin nicht zu familiär mit ihnen; ich ermuntere sie blos zu ihrer Arbeit. Nun denn, Richard, wo frühstücken wir? O, hier. Unter uns gesagt, Midwinter, diese prachtvollen Zimmer sind zu groß für mich; es ist mir, als ob ich nie mit meinen eignen Meubles auf vertrautem Fuße stehen könne. Meine Lebensansichten sind dazu zu gemüthlich und ungezwungen – ein Küchenstuhl, weißt Du, und eine niedrige Decke, das genügt. »Der Mensch nur wenig braucht hinieden, doch braucht er dieses lange.« Dies ist nicht gerade das richtige Citat; aber es drückt aus, was ich meine, und wir wollen uns nicht mit dem Corrigiren aufhalten.«

»Ich bitte um Vergebung«, unterbrach ihn Midwinter, »es erwartet Dich hier etwas, das Du noch nicht bemerkt hast.«

Bei diesen Worten deutete er ein wenig ungeduldig auf einen Brief, der auf dem Frühstückstische lag. Er vermochte Allan die ominöse Entdeckung zu verhehlen, die er an diesem Morgen gemacht; doch das lauernde Mißtrauen gegen Ereignisse, das jetzt in seiner argwöhnischen Natur erweckt worden war, – jenen instinctmäßigen Verdacht gegen alles, was sich an diesem ersten denkwürdigen Tage in dem neuen Hause ereignete; dies war er nicht zu bemeistern im Stande.

Allan überflog den Brief und warf denselben dann über den Tisch seinem Freunde zu. »Ich verstehe kein Wort davon«, sagte er; »verstehst Du es?«

Midwinter las den Brief laut und langsam vor.

»Sir! Ich hoffe, daß Sie mir die Freiheit verzeihen werden, die ich mir nehme, indem ich diese wenigen Zeilen an Sie richte, noch ehe Sie in Thorpe-Ambrose angekommen sind. Sollten Sie sich durch die Umstände bewogen fühlen, Ihre Geschäftsangelegenheiten nicht Mr. Darch’s Händen zu übergeben —« Hier hielt er plötzlich inne und überlegte ein wenig.

»Darch ist unser Freund, der Advokat«, sagte Allan, da er vermuthete, daß Midwinter den Namen vergessen habe. »Erinnerst Du Dich nicht, wie ich beim Empfange der beiden Anerbietungen für das Parkhäuschen den halben Kronthaler auf dem Kajütentische kreiseln ließ. – Kopf für den Major, Wappen für den Advokaten? Dies ist der Advokat.«