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Antonia

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Seit vielen Tagen und Nächten hatte er sich unablässig unter der unbarmherzigen Tyrannei seines Wahnsinns abgemüht, seinen Götteraltar höher und höher aufgebaut und an der Opferstätte seine heidnischen Gebete gesprochen, und jetzt, in dem Augenblicke, wo er in seinem grausamen Zwecke am triumphirendsten war, wo sein eingebildeter Sklave und sein eingebildetes Opfer ihm am hilflosesten zu Befehl waren – jetzt, wo sich seine aufs Aeußerste gespannten Fähigkeiten bis zum höchsten Gipfelpunkte erhoben hatten, bemächtigte sich seiner der lange ausgebliebene Paroxismus, der der Vorläufer seiner Ruhe, seiner einzigen Ruhe war, die ihm sein furchtbares Schicksal gestattete – einer Veränderung – der bereits beschriebenen wehmüthigen Veränderung – in der Form seines Wahnsinns. In den seltenen Zeiträumen, wo er schlief, war sein Schlummer weder Bewußtlosigleit noch Ruhe, es war eine Anhäufung von häßlichen Träumen – seine Zunge sprach, seine Glieder bewegten sich, wenn er schlummerte, so gut, wie wenn er wachte. Nur wenn seine Visionen von dem Stolze der Macht, den wüthenden Kämpfen und kühnen Entschlüssen seiner reiferen Jahre, seinen dämmernden, stillen, wachen Träumen von seinen Jugendtagen wichen, ruhten seine müden Geisteskräfte und sein Körper mit ihnen in der bewegungslosen Ermattuug völliger Abspannung. Dann, wenn seine Lippen noch Worte murmelten, glichen sie dem Murmeln eines glücklichen Kinderschlafes, denn die unschuldigen Reden seiner Kindheit, welche sie dann neu belebten, schienen auf eine Zeit lang die schuldlose Ruhe seiner Kindheit mit zu bringen.

»Geh! geh! – fliehe, so lange Du noch kannst!« – flüsterte Numerian indem er Antoninens Hand los ließ und nach der Thür deutete; aber zum zweiten Male weigerte sich das Mädchen, einen Schritt vorwärts zu thun. Kein Schrecken, keine Gefahr im Tempel vermochte auch nur auf einen Augenblick die Erinnerung an die Nacht im Bauernhause in der Vorstadt zu verbannen. Sie wendete fortwährend den Kopf dem offenen Eingange zu, heftete ihre Augen in der unablässigen Wachsamkeit des Entsetzens auf denselben und flüsterte verstört:

»Goiswintha! Goiswintha!«

Die Finger des Heiden hielten ihn noch starr und todtenähnlich umfaßt, er lehnte an der Wand, als ob das Leben und die Bewegung ihm für immer entflohen seien. Der Paroxismus war vorüber; sein erst vor einem Augenblicke noch verzerrtes Gesicht befand sich jetzt in Ruhe, aber es war eine Ruhe, die man nur mit Scheu anblicken konnte. Thränen flossen langsam aus seinen halbgeschlossenen Augen über seine runzeligen Wangen hinab, Thränem die nicht der Ausdruck geistiger Pein waren – denn auf seinen Lippen spielte ein bedeutungsleeres, unveränderliches Lächeln – sondern der bloße mechanische Ausbruch der physischen Schwäche, welche die so eben vergangene Krisis zurückgelassen hatte. Auf seinen Zügen war nicht die leiseste Spur des Denkens oder der Wahrnehmung zu erblicken, sein Gesicht war das eines Blödsinnigen.

Numerian, der ihn auf einen Augenblick betrachtet hatte, schauderte zusammen und wendete, vor dem sich ihm bietenden Schauspiele zurückbebend, die Augen ab. Es stand ihm jedoch eine noch schwerere Prüfung seiner Festigkeit bevor, die er nicht vermeiden konnte.

In Kurzem wurde die Stimme des Heiden von Neuem hörbar; jetzt aber waren ihre Töne schwach, kläglich, fast kindisch, und die Worte, welche sie aussprachen, ruhige Worte voll Liebe und Sanftmuth, die von solchen Lippen und an einem solchen Orte furchtbar zu hören waren.

Der Tempel und Alles, was sieh darin befand, verschwand aus seinen Augen wie aus seinem Gedächtnisse. Von den furchtbaren übernatürlichen Einwirkungen seiner Krankheit beherrscht, schritt der Wahnsinnige in einem Augenblicke durch das dunkle Thal der Pilgerschaft seines Lebens nach dem lange verlassenen Gebiet seiner Jugendheimath zurück. Während er körperlich als Auswürfling der Vernunft und Menschheit an dem Schauplatze seiner letzten Verbrechen stand, lag er im Geiste in den Armen seiner Mutter, wie er dort gelegen hatte, ehe er nach dem Tempel von Alexandrien gegangen war, und sein Herz sprach mit dem ihren, und seine Augen blickten auf sie, wie sie geblickt hatten, ehe der verderbliche Ehrgeiz seines Vaters Mutter und Kind anf ewig getrennt hatte.

»Mutter! – komm zurück, Mutter!« flüsterte er! »ich habe nicht geschlafen, ich sah Dich, als Du herein tratest und an meinem Bette saßest und über mir weintest, als Du mir den Kuß gabst. Kommt zurück und bleibe bei mir sitzen; ich gehe fort, weit fort, und werde Deine Stimme vielleicht nie wieder hören! – Wie glücklich würden wir sein, Mutter, wenn ich immer bei Dir bleiben könnte, aber mein Vater will, daß ich nach dem Tempel in einem andern Lande gehe und dort lebe, um Priester zu werden und seinem Willen muß ich gehorchen. Ich komme vielleicht nie wieder zurück, aber wir werden einander nicht vergessen. Ich werde Deiner Worte gedenken, die Du sprachest, wenn wir glücklich zusammen zu reden pflegten, und Du wirst Dich meiner erinnern.«

Ulpius hatte kaum die ersten Worte gesprochen, als Antonina plötzlich fühlte, wie der ganze Körper ihres Vaters an ihrer Seite erbebte. Sie lenkte ihr Auge von der Thüre ab, auf welche es bisher geheftet gewesen war, und blickte ihn an. Die Hand des Heiden war von seinem Arme herabgesunken, es stand ihm frei, sich zu entfernen, zu fliehen, wie er sich vor wenigen Minuten noch gesehnt hatte, und doch bewegte er sich nicht. Seine Tochter berührte ihn, redete ihn an, aber er wendete sich weder um, noch antwortete er. Es war nicht blos das Erstaunen über den plötzlichen Uebergang von der Raserei des Verbrechens zu dem Murmeln der Liebe in der Rede des Heiden – es war nicht blos die Ueberraschung, von ihm in seinem Wahnsinn Enthüllungen über sein früheres Leben zu hören, die in den Tagen seiner verrätherischen Dienstbarkeit im Hause auf dem Monte Pincio nie über seine Lippen gekommen waren, die Numerians Inneres so mit heiliger Scheu erfüllte und seinen Gliedern die Bewegung raubte, es lag in Allem, was er hörte, mehr als dies. Diese Worte schienen für immer sein Schicksal bestimmt zu haben. Seine voll auf das Gesicht des Wahnsinnigen gerichteten Augen waren vom Entsetzen weit ausgerissen, seine tiefen, stöhnenden, convulsivischen Athemzüge mischten sich während des darauf folgenden Augenblickes der Stille mit dem Lauten der Glöckchen über ihm und dem Rieseln des Wassers unter ihm der beschwichtigenden Musik des Tempels, die am heitern Schlusse des Tages ihre frohe Abendhymne spielte.

»Wir werden uns daran erinnern, Mutter – wir werden uns daran erinnern und in unserer Erinnerung glücklich sein!« fuhr Ulpius leise fort. »Mein Bruder, der mich liebt, wird Dich lieben, wenn ich fort bin, Du wirst in meinem kleinen Garten wandeln und an mich denken, wenn Du die Blumen anblickst, die wir in den Abendstunden zusammen gepflanzt und begossen haben, wenn der Himmel herrlich anzuschauen und die Erde um uns her in stiller Ruhe war! Höre, Mutter, und küsse mich! Wenn ich nach dem fernen Lande komme, so werde ich dort einen Garten machen, wie meinen Garten hier, und dieselben Pflanzen pflanzen, die wir hier gepflanzt haben, und des Abends werde ich hinausgehen und ihnen zu der Stunde Wasser geben, wo Du daheim hinausgehst, um meine Blumen zu begießen, und so wird es, wenn wir einander auch nicht wieder sehen, doch eben so gut sein, als ob wir zusammen im Garten arbeiten, wie wir es jetzt thun.«

Das Mädchen heftete immer noch ihren aufmerksamen Blick auf ihren Vater. Seine Augen zeigten noch den gleichen starren Ausdruck des Entsetzens, aber er wischte jetzt mit eigenen Händen mechanisch und wie seiner unbewußt, den Schaum ab, welchen der Paroxismus an den Lippen des Wahnsinnigen zurückgelassen hatte, und unter den Seufzern, die ihm entstehen, konnte sie Worte hören wie: »Gott und Herr! – Barmherzigkeit! Gott und Herr! Du, der mir ihn so zurückgegeben hast – so – schlimmer als todt! – Gnade! Gnade!«

Das Licht auf dem Steinpflaster der Vorhalle des Tempels wurde sichtlich schwächer – die Sonne war untergegangen.

Zum dritten Male sprach der Wahnsinnige, aber seine Töne verloren ihre Weichheit, sie wurden klagend, unaussprechlich wehmüthig, seine Träume aus der Vergangenheit veränderten sich bereits:

»Lebe wohl, Bruder, lebe wohl auf Jahre, auf Jahre« rief er; »Du hast mir nicht die Liebe gegeben, die ich Dir gab, nicht an mir lag die Schuld, daß mich unser Vater am meisten liebte und mich ausgewählt hat, um nach dem Tempel gesendet und ein Priester am Altar der Götter zu werden. Nicht an mir lag die Schuld, daß ich nicht an Deinen Lieblingsspielen theilnahm und mich nicht den Gefährten anschloß, die Du aussuchtest – es war unsers Vaters Wille, daß ich nicht leben sollte, wie Du lebtes und ich gehorchte ihm! Du hast im Zorne mit mir gesprochen und Dich in Geringschätzung von mir abgewendet, aber lebe wohl, Cleander, lebe nochmals wohl in Verzeihung und Liebe!«

Er würde vielleicht noch mehr gesprochen haben, aber seine Stimme wurde von einem langen Schmerzensschrei erstickt, der aus Numerians Lippen drang und mißtönig im Tempel widerhallte, als er mit dem Gesicht nach dem Boden zu den Füßen des Heiden niedersank.

Das dunkle, entsetzliche Geschick hatte sich erfüllt! Der Enthusiast für das Rechte und der Fanatiker für das Unrecht, Derjenige der sich gemüht hatte, die Kirche zu reformiren, und Der, welcher sich gemüht hatte, den Tempel wieder herzustellen, der Herr, der den Diener in seinem Hause aufgenommen und ihm vertraut, und der Diener, der in jenem Hause das Vertrauen des Herrn verrathen hatte, die beiden Charakter, die bisher in dem hohen Widerspruche des Guten und Bösen von einander getrennt gewesen waren, schlugen jetzt in entsetzlicher Berührung zusammen als Brüder, die ihr Leben aus einer Quelle gesogen, die als Kinder unter dem gleichen Dache gelebt hatten! Nicht in der Stunde, wo der gute Christ dem heimathlos in Rom umherwandernden verlassenen Heiden beigestanden hatte, enthüllte sich das Geheimniß, kein zufälliges Wort, welches dasselbe verrathen hätte, wurde ausgesprochen, als der Betrüger den Wohlhäter, den er zu täuschen complottirte, die erlogene Geschichte seines Lebens erzählte oder als am ersten Morgen der Belagerung die Macinationen des Dieners über das Vertrauen des Herrn den Sieg davon trugen – es war aufgespart geblieben, um in den Worten des Deliriums, in den Greisenjahren des Wahnsinns enthüllt zu werden, wo Derjenige, welchem er es entdeckte, dessen, was er sprach, völlig unbewußt, und seine Augen für das wahre Wesen alles dessen, was er sah, blind geworden waren, wo die irdischen Stimmen, die ihn einst vielleicht zur Reue, zum Erkennen und zur Liebe hätten zurückrufen können, für diese Laute geworden waren, die, keine Bedeutung besaßen, wo durch ein furchtbares, entsetzliches Schicksal die ganze zermalmende Last der Enthüllung auf den Bruder fiel, der für den wahren Glauben gearbeitet hatte, eher von demjenigen getheilt zu werden, der für den falschen gewirkt!

 

Aber die in der Zeit gesprochenen Urtheile gehen von dem Tribunal jener Ewigkeit aus, auf welche die Geheimnisse des Lebens gerichtet sind und in welcher sie offenbar werden sollen – sie warten weder auf menschliche Gelegenheiten, noch halten sie sich an die menschliche Gerechtigkeit, sondern sprechen zur Seele in der Sprache der Unsterblichkeit, die in der jetzigen Welt vernommen und in der künftigen ausgelegt wird.

Auf einen Augenblick selbst für die Erinnerung todt, daß Goiswintha noch außerhalb des Tempels auf eine günstige Gelegenheit warten könne, Verzweifelnd ihren Vater rufend und sich vergebens bemühend, ihn vom Boden aufzuheben, entsann sich Antonina in der sie zu Boden beugenden Prüfung des Augenblickes der Enthüllungen aus Numerians frühern Leben nicht, die ihr in den Tagen, wo die Hungersnoth in Rom auf ihrem höchsten Gipfel stand, gemacht worden waren. Der Name Cleander, welchen damals ihr Vater als denjenigen genannt, welchen er abgelegt hatte, als er sich von den Genossen seiner sündigen Wahl getrennt, ging unbeachtet an ihrem Ohr vorüber, als ihn der Heide in seiner Bewußtlosigleit aussprach. Sie erblickte in dem ganzen Auftritte nur eine neue Drohung der Gefahr, eine nene Vision des Schreckens, die Unheil verkündender war, als alle, welche sie bisher wahrgenommen hatte.

So dicht auch die Finsterniß war, mit welcher die beschwichtigenden, unwillkürlichen Erinnerungen an die Vergangenheit die Wahrnehmungskraft des Heiden umhüllt hatten, so schien sie doch der durchdringende Schmerzensschrei des Vaters wie ein plötzlicher Lichtstrahl durchdrungen zu haben. Die halbgeschlossenen Augen des Wahnsinnigen öffnen sich plötzlich und heften sich Anfangs träumerisch auf den Altar der Götzen. Er bewegte seine Hände vor sich hin und her, als theile er die Falten eines schweren Schleiers, welcher seine Sehkraft verdunkeln, aber seine umherschweifenden Gedanken nahmen bis jetzt noch nicht ihre alte Richtung auf die Grausamkeit und das Verbrechen an. Als er wiederum sprach, wurden ihm seine Worte zwar noch von den Träumen aus seinem frühem Leben eingeflößt, jetzt aber von seinem frühern Leben im Tempel von Alexandrien. Seine Ausdrücke waren abgerissener, unzusammenhängender als früher, dessen ungeachtet aber fuhren sie fort, dieselben Beweise der geheimnißvollen instinktmäßigen Lebhaftigkeit der Erinnerung zu entwickeln, welche das Resultat der plötzlicher Veränderung der Natur seines Wahnsinns war.

Seine Reden schweiften immer noch, als ob die Worte absichtslos und seiner unbewußt herauskamen über den Ereignissen seiner jugendlichen Einweihung in den Dienst der Götter hin und verwirrten zwar ihre Reihenfolge, bewahrten aber doch ihr Wesen, wie sie bereits im ersten Buche in der Geschichte seiner Lehrzeit im Tempel erzählt worden sind.

Bald blickte er in seiner Einbildung wieder von dem Gipfel des Serapistempels auf die schimmernde Fläche des Nil und das weit ausgedehnte Land um denselben. Bald schritt er stolz neben seinem Oheim Macrinus, dem Hohenpriester, durch die Straßen von Alexandrien; bald wanderte er bei Nacht in Neugier und Schauern durch die dunkeln Kellergewölbe und unterirdischen Gänge des Heiligthums, bald lauschte er erfreut auf die freundlichen Begrüßungen das ermuthigende Lob des Macrinus bei ihrer ersten Zusammenkunft. Aber bei diesem Punkte und während er auf diesem Anlasse verweilte, verdunkelte sich seine Erinnerung von Neuem, sie bemühte sich vergebens die Umstände wieder zurückzurufen welche das höchste Zeugniß der Theilnahme des Hohenpriesters an seinem Schüler und des Wunsches, ihn völlig mit seinem neuen Beschützer und seinen neuen Pflichten eins zu machen, begleiteten, als er diese Gefühle dadurch kundgegeben hatte, daß er dem zitternden Knaben die Auszeichnung eines seiner eigenen Namen verlieh.

Und hier müssen wir uns des Hauptgliedes in der räthselhaften Kette von Ereignissen erinnern, welche sich verbunden hatte, um die Brüder als Brüder getrennt zu halten, nachdem sie einander als Männer begegnet waren – daß Beide aus weit verschiedenen Gründen im spätern Leben die Namen abgelegt, welche sie im Vaterhause getragen hatten, daß während der Eine sich durch seine eigene That und zu seinen besonderen Zwecken aus Cleander, dem Genossen der Leichtsinnigen und Verbrecherischen, in Numerian den Prediger des Evangeliums und Reformator der Kirche verwandelt, der Andere durch das ausdrückliche aufmunternde Gebot seines Lehrers Macrinus, des Hohenpriesters, aus dem Knaben Emilius der Schüler Ulpius geworden war.

Während sich der Heide noch fruchtlos bemühte sich die Ereignisse, welche sich auf seine Namensverärderung nach der Ankunft in Alexandrien bezogen, in’s Gedächtniß zurückzurufen und gegen die Wucht der Vergessenheit, welche auf seinen Gedanken lastete, ankämpfend, zum ersten Male bemühte, sich von der Wand zu entfernen, an der er bisher gelehnt hatte, während sich Antonina noch vergebens bestrebte, ihren Vater zur Erinnerung an die furchtbaren Erfordernisse des Augenblicks zurückzurufen und er ausgestreckt zu den Füßen des Heiden dalag – wurde der Eingang des Tempels von Neuem durch die Gestalt Goiswinthens verdunkelt. Sie stand, eine dunkle unbestimmte Gestalt, in dem schwächer werdenden Lichte auf der Schwelle und blickte spähend in das von tiefen Schatten umhüllte Innere des Gebäudes. Als sie die veränderten Stellungen des Vaters und der Tochter bemerkte, stieß sie einen unterdrückten Ruf des Triumphes aus. Ehe aber noch der Laut ihren Lippen entflohen war, hörte sie ein Geräusch auf der Straße hinter ihr, oder glaubte sie ein solches zu vernehmen. Selbst jetzt wurde sie nicht von ihrer Wachsamkeit und Schlauheit, ihrem tödtlichen berechnenden Entschlusse, mit unerschütterlicher Geduld die gelegene Zeit zu erwarten, um überlegt und ungestraft den Streich führen zu können, verlassen Sie wendete sich augenblicklich zurück, trat auf die oberste Stufe der Tempeltreppe, blieb dort auf einige Augenblicke stehen und schaute wachsam auf dem freien Raume vor ihm umher.

Aber in jenen wenigen Augenblicken hatte sich die Scene im Gebäude abermals verändert.

Während der Wahnsinnige noch zwischen dem Rückfall in die Tobwuth und dem Verharren unter dem Einflusse der ruhigern Stimmung, in welcher er vorzeitig gestört worden war, schwankte, erblickte er Goiswintha, als ihre Annäherung plötzlich den Eingang des Tempels verdunkelt. So schnell vorübergehend auch ihre Gegenwart war, so gab sie doch für ihn die Anwesenheit einer Gestalt ab, die er noch nicht erblickt hatte, die in einer fremdartigen Stellung zwischen dem Schatten im Innern und dem schwachen Lichte von Außen stand. Es war eine neue Gestalt, die sich seinen Augen bot, während sie sich anstrengten, ihre gewohnte Beobachtungsfähigkeit wieder zu erlangen, und die Macht dieses neuen Anblickes auf ihn war von augenblicklicher allgewaltiger Wirkung.

Er schrak verwirrt auf, wie Einer, der plötzlich aus einem tiefen Schlafe erwacht; auf einen Augenblick lief ein heftiger Schauder durch seinen ganzen Körper, dann spannte sich derselbe wieder in seiner frühern unnatürlichen Kraft an, der Dämon wüthete in seinem Innern mit erneuter Gewalt, als er sein Gewand, das von den zu seinen Füßen liegenden Numerian festgehalten wurde, aus dessen schwacher Hand losriß und auf die über einander gehäuften Idole zuschreitend, seine Hände in feierlicher Entschuldigung ausstreckte.

»Der Hohepriester hat vor dem Altar der Götter geschlafen,« rief er laut; »aber sie haben mit ihrem Geliebten Geduld gehabt; ihr Donner hat ihn nicht für sein Verbrechen getroffen. Jetzt kehrt der Diener zu seinem Dienste zurück – die Mysterien des Serapis beginnen.«

Numerian lag noch gebrochenen Geistes ausgestreckt da. Er faltete langsam seine Hände, und seine Stimme wurde jetzt vernehmlich, als er in leisen erstickten Tönen nach oben flehte, als ob seine letzte Hoffnung auf Bewahrung seiner eigenen Vernunft in unablässigem Gebete liege.

»Gott, Du bist der Gott der Gnade, sei gnädig gegen ihn!« murmelte er. »Du, der Du die Reue annimmst, gewähre ihm Reue. Wenn ich Dir zu irgend einer Zeit ohne Tadel gedient habe, so rechne ihm den Dienst an, schütte die Gefäße Deines Zornes über mich aus! —

»Horch, die Trompete bläs’t zum Opfer!« unterbrach ihn die kreischende Stimme des Heiden, als dieser sich vom Altar abwendete und seine Hände in rasender Inspiration ausstreckte. »Das Rauschen der Musik und die Stimme des Jubels steigen von den höchsten Berggipfeln auf. Der Weihrauch dampft und die Tänzer kreisen unter den Säulen des Tempels und rund um dieselben her! Der Opferstier ist fleckenlos, seine Hörner sind vergoldet, Kranz und Binde schmücken sein Haupt, der Priester steht bis auf den Gürtel nackt vor ihm – er schüttet die Libation aus dem Becher, das Blut strömt über den Altar! Auf, aus, reißt mit dampfenden Händen das Herz heraus, so lange es noch warm ist. Die Zukunft liegt in den zuckenden Eingeweiden vor Euch, blickt sie an und les’t! les’t!’«

Während jener Worte war Goiswintha in den Tempel getreten, die Straße war noch einsam, es war keine Hülfe nahe!

Sie schritt nicht sogleich auf Antoninen zu, sondern verbarg sich in die Nähe der Thür hinter einem Vorsprunge des Haufens der Götterbilder und wartete, bis Ulpius sich von Antoninen, vor der er in diesem Augenblicke stand, abwenden würde. Sie war aber nicht unbemerkt eingetreten, Antonina hatte sie wieder erblickt und jetzt kam die Bitterkeit des Todes, wenn Junge unbeschützt in ihrer Jugend sterben, über das Mädchen und sie rief an Numeriaws Seite knieend mit leiser klagender Stimme:

»Ich muß sterben, Vater, ich muß sterben wie Hermanrich gestorben ist. Siehe auf zu mir und sprich zu mir, ehe ich sterbe.« Ihr Vater betete immer noch, er hörte nichts, denn sein Herz blutete noch zur Sühne am Altar seiner Jugend Heimath, und seine Seele sprach noch mit ihrem Schöpfer. Die Stimme, welche auf die ihre folgte, war die Stimme des Ulpius.

»O schön sind die Gärten um die heiligen Altäre und schön die Bäume, die die glänzenden Heiligthümer beschatten!« rief er entzückt in seinen neuen Visionen. »Sieh, der Morgen steigt herauf, die Geister des Lichts werden mit einem Opfer bewillkommnet. Die Sonne geht hinter dem Berge unter und die Strahlen des Abends zittern unter dem Messer des anbetenden Priesters. Der Mond und die Sterne scheinen hoch oben am Firmamente und die Genien der Nacht werden in den stillen Stunden mit Blut begrüßt.«

Als er innehielt, hörte man wieder die Klage Antoninens, in immer leiser werdenden Tönen:

»Ich muß sterben! Vater, ich muß sterben!« und mit ihr murmelten die stehenden Klänge Numerians.

»Gott der Gnade, erlöse die Hülflose und verzeihe den Bekümmerten! Herr des Gerichts, verfahre mild mit Deinen Dienern, die gesündigt haben! und mit Beiden in widersprechender Verbindung verbreitete die seltsame Musik des Tempels noch immer ihre beschwichtigenden Klänge – das Rieseln des laufenden Wassers und das leise Lauten der Glöckchen.

»Betet an!«– Kaiser, Armen, Völker! verherrlicht und betet mich an!« schrie der Wahnsinnige in Donnertönen des Triumphes und Befehls, als sein Auge zum ersten Male die zu seinen Füßen ausgestreckte Gestalt Numerians erblickte. »Betet den Halbgott an, der mit den Göttern durch den Menschen unbekannte Sphären zieht. Ich habe das Stöhnen der Unbegrabenen gehört, die an den Ufern des Sees der Todten umherwandeln – betet an! Ich habe auf den Fluß geblickt, dessen schwarzer Strom in seinem Laufe durch die Höhlen ewiger Nacht braust und brüllt! – betet an! – Ich habe die Furien von Schlangen auf den runzeligen Hälsen peitschen sehen, und bin ihnen gefolgt, da sie ihre Fackeln über die leidenden Geister schwangen. Ich habe unbewegt in dem Orkanaufruhr der Hölle gestanden – betet an! betet an! betet an!«

 

Er wendete sich wieder nach dem Altare der Idole um und forderte seine Götter auf, seine Gottwerdung zu verkünden, und in dem Augenblicke, wo er sich bewegte, sprang Goiswintha vorwärts.

Antonina kniete mit von der Thüre abgewendetem Gesicht da, als sie die Meuchlerin an ihrem langen Haar ergriff und das Messer in ihren Hals stieß. Die stöhnenden Töne des Mädchens, welches sein nahes Schicksal beklagte, schlossen mit einem schwachen Aechzen, es streckte seine Arme aus und fiel vorwärts über den Körper seines Vaters.

Im wilden Triumph des Augenblickes erhob Goiswintha den Arm, um den Stoß zu wiederholen, aber in diesem Moment sah sich der Wahnsinnige um.

»Das Opfer! das Opfer!« schrie er und sprang mit einem Satze wie ein wildes Thier nach ihrer Kehle. Sie stieß, ohne ihn zu treffen, mit den Messer nach ihm, während er seine langen Nägel in ihr Fleisch einschlug und sie rückwärts auf den Boden schleuderte. Dann stieß er ein rasendes Triumphgeschrei aus, stellte seinen Fuß auf ihre Brust und spie die unter ihm Liegende an.

Die Berührung der Leiche des Mädchens, als sie auf ihn niederfiel, der kurze aber furchtbare Tumult des Angriffes, welcher fast über hinwegging – das schrille betäubende Geschrei des Wahnsinns erweckte Numerian aus seinem Traume verzweifelnder Erinnerung, riß ihn aus seinem stehenden Gebete – er blickte auf.«

Das Schauspiel, welches seinen Augen begegnete, war eines von denjenigen, welche jede Fähigkeit, außer der des mechanischen Handelns erstickt, vor welcher der Gedanke aus dem Geiste des Menschen verschwindet, das Wort auf seinen Lippen erstirbt, der Ausdruck auf seinem Gesicht gelähmt wird. Der Anblick der entsetzlichen Katastrophe schien Grabeskälte auf Numerians Gestalt zu hauchen, seine Augen waren verglast und geistesleer, seine Lippen geöffnet und starr, selbst die Erinnerung an die Entdeckung seines Bruders schien in seinem Innern verschwunden zu sein, als er sich über seine Tochter herabbeugte und ein abgerissenes Stück ihres Kleides um ihren Hals band. Die seelenlose, gedankenlose, gespenstische Stille des Todes schien sich auf seine Züge geprägt zu haben, als er, ohne sich jetzt seiner Schwäche oder seines Alters zu erinnern, mit ihr in seinen Armen sich erhob, einen Augenblick bewegungslos vor der Thür stand und sich langsam nach Ulpius umsah. Dann ging er mit schweren regelmäßigen Schritten vorwärts. Der Fuß des Heiden stand immer noch auf Goiswinthens Brust, als der Vater an ihm vorüberkam, sein Blick war immer noch auf sie geheftet. Aber sein Triumphgeschrei hatte sich gestillt, er lachte und murmelte unzusammenhängend vor sich hin.

Der Mond erhob sich sanft, hell und ruhig über der stillen Straße, als Numerian mit seiner Tochter in den Armen die Tempeltreppe hinabstieg und nach einer kurzen Pause der Verwirrung und des Zweifels instinktmäßig seinen langsamen Weg auf der verlassenen Straße hin nach Hause einschlug. Bald darauf erblickte er im Mondlichte am Ende der langen Straße eine kleine Gruppe von Menschen, die in einem ruhigen regelmäßigen Zuge auf ihn zuschritten. Als sie näher kamen, sah er, daß Einer von ihnen ein offenes Buch hielt, daß ein Anderer an seiner Seite ein Crucifix trug und daß Andere ihm mit gefalteten Händen und niedergeschlagenen Augen folgten und dann nach einiger Zeit trug ihm der Abendwind die langsam und ehrerbietig gesprochenen Worte zu:

»Wisse denn, daß Gott weniger von Dir verlangt, als Deine Missethat verdient?«

»Kannst Du durch Suchen Gott finden? Kannst Du den Allmächtigen erforschen?«

Jetzt wurde der Wind schwächer und die Worte undeutlich, aber der Zug bewegte sich immer noch vorwärts. Als er näher und näher kam, hörte man wieder deutlich die Stimme des Lesers:

»Wenn Gottlosigkeit in Deiner Hand ist, so wirf sie von Dir, und laß sie nicht! in Deinen Hütten wohnen.«

»Denn dann wirst Du Dein Gesicht ohne Flecken erheben, ja, Du wirst beständig sein und keine Furcht haben.«

»Denn dann wirft Du Deine Noth vergessen und ihrer gedenken wie Flüsse, die verrinnen.«

»Und Dein Alter soll heller sein als der Mittag, Du sollst leuchten, Du sollst sein wie der Morgen.«

Der Leser hielt inne und schloß das Buch, denn jetzt war Numerian auf sie gestoßen und sie sahen ihn stumm im hellen Mondscheine vor sich stehen, wie er seine Tochter in seinen Armen trug und ihr Kopf über seine Schulter herabhing.

Unter denjenigen, welche sich um ihn versammelt hatten, befanden sich Einige, deren Züge er zu einer andern Zeit als die der noch lebenden Mitglieder seiner frühern Gemeinde erkannt haben würde. Die Prozession, welcher er begegnet war, bestand aus den wenigen aufrichtigen Christen in Rom, die sich nach der Veröffentlichung der Nachricht, daß Alarich die Friedensbedingungen bewilligt habe, versammelt hatten, um eine Wallfahrt durch die Stadt anzustellen, und den hoffnungslosen Versuch zu machen, durch Vorlesen aus der Bibel und Ermahnungen das leichtsinnige Volk zu einem Gefühl der Zerknirschung über seine Sünden in frommer, Dankbarkeit für seine nahe Erlösung von den Schrecken der Belagerung zu erwecken.

Jetzt aber, als Numerian vor ihnen stand, ließ er weder durch ein Wort, noch durch einen Blick merken, daß er einen von den ihn Umgebenden kenne. Auf alle an ihn gerichteten Fragen antwortete er durch hastige Bewegungen, welche Niemand begreifen konnte. Alle Versprechungen der Hülfe und des Schutzes, womit ihn seine frühem Anhänger im ersten Ausbruche ihres Kummers und Mitleids überhäuften, erwiederte er nur mit dem gleichen dumpfen gedankenlosen Blicke. Erst als sie ihn von seiner Last befreiten und sich sanft anschickten, das bewußtlose Mädchen nach ihrem Vaterhause zurückzutragen, begann er zu sprechen, und bat sie in schwachen, stehenden Tönen, ihm unterwegs ihre Hand halten zu lassen, damit er der Erste sei, der ihren Puls fühlen könnte – wenn er sich noch bewegte.

Sie kehrten aus dem Wege, aus welchem sie gekommen waren, zurück, – es war ein bekümmerter langsamer Zug! Unterwegs öffnete der Leser das heilige Buch von Neuem und dann erhoben sich durch die beschwichtigende himmlische Ruhe »der ersten Nachtstunde die Worte:

»Selig ist der Mensch, den Gott strafet; darum weigere Dich der Züchtigung des Allmächtigen nicht.

Denn er verletzet und verbindet, er verwundet und seine Hand heilet.«