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Antonia

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Es war kein argwöhnischer Blick auf sie geworfen worden, kein Mitglied der Menge hatte sich ihr genähert, um sie zurückzuweisen, als sie mit den verdachtlosen Bürgern um sie her durch das Thor schritt. Durch die sorglose Sicherheit ihrer Feinde eben so wirksam vor der Entdeckung geschützt, wie durch die List ihrer Verkleidung, stand sie auf den Straßen von Rom, wie sie sich es gelobt hatte, fern von den Heeren ihres Volkes, allein als Bluträcherin da.

Es war kein Traum, keine flüchtig kriegerische Vision. Das Messer befand sich in ihrer Hand, die Straßen dehnten sich vor ihr aus, die lebenden Wesen, welche dieselben erfüllten waren Römer; der Tag neigte sich bereits dem Abend zu, das Nahen ihrer Rache war eben so gewiß, wie das Nahen der Finsterniß, welche dieselbe zur freien Ausübung bringen sollte. Ein wilder Jubel trieb ihr das Blut schneller durch die Adern, während sie an die furchtbaren Pläne des geheimen Mordes und der Rache dachte, die jetzt sie, ein einzelnes Weib der schutzlosen Bevölkerung einer ganzen Stadt in Todfeindschaft gegenüberstellte.

Als ihre Augen langsam über die Menge hinschweiften, als sie an die Zeit dachte, die noch vergehen konnte, ehe sie Entdeckung und Tod i – das Märtyrerthum in der Sache des Blutes, welches sie erwartete und herausforderte, ereilen würde, zitterten ihre Hände unter ihrem Gewande und sie wiederholte flüsternd:

»Gatte, Kinder – Bruder – fünf Morde müssen gerächt werden! Gedenke an Aquileja! gedenke an Aquileja!«

Plötzlich hefteten sich, wie sie so von einer Gruppe des nach Hause ziehenden Volkes zur andern blickte, ihre Augen auf einen Gegenstand, sie trat schnell vorwärts, hielt sich dann wieder mit Gewalt zurück und mischte sich unter eine noch dichte Gruppe, indem sie fest fortwährend auf eine Stelle hinstarrte. Sie sah das ihren Händen zweimal – im Lager und in dem Bauernhause – entrissene Opfer, auf den Straßen von Rom zum dritten Male in ihrer Gewalt. Die zuletzt erwartete Möglichkeit der Rache war diejenige, welche sich zuerst eingestellt hatte. Ein unbestimmtes drückendes Gefühl von abergläubischer Ehrfurcht vermischte sich mit dem Tritunphe ihres Herzens, eine übernatürliche Hand schien sie mit verderblicher Eile über jedes sterbliche Hinderniß hinweg auf den Gipfelpunkt ihrer Rache zu führen.

Sie versteckte sich hinter das Volk, sie beobachtete das Mädchen von dem entferntesten Punkte aus, aber längeres Verbergen war jetzt vergeblich – ihre Augen hatten einander getroffen. Das Gewand war, als sie plötzlich vorwärts schritt, zurückgefallen und in diesem Augenblicke hatte sie Antonina gesehen.

Numerian der langsam mit seiner Tochter durch die Menge schritt, fühlte, wie ihre Hand die seine fester Umfaßte, und sah ihre Züge plötzlich erstarren. Aber die Veränderung dauerte nur einen Augenblick. Ehe er sprechen konnte, erfaßte sie ihn am Arme und zog ihn mit convulsivischer Energie vorwärts, dann hörte er sie in fast unartikulirtem leisen, athemlosen ihrer gewöhnlichen Stimme unähnlichen Tönen rufen:

»Sie ist dort! dort hinter uns! – um mich zu tödten, wie sie ihn getödtet hat! – Nach Hause! nach Hause!«

Schon durch lange Schwäche, natürliche Gebrechlichkeit und das rauhe Drängen der Menge erschöpft, durch Antonina’s Blicke und Bewegungen und die erschreckende Mittheilung von einer unbekannten Gefahr, die ihm in ihrem abgebrochenen Entsetzensrufe kund geworden war, in Verwirrung gesetzt, war Numerians erster Antrieb der, das ihn umgebende Volk um Schutz und Hülfe zu bitten. Selbst wenn er ihnen aber den Gegenstand seines Schreckens unter der bunten Menge aus allen Nationen hätte zeigen können, würde seine Aufforderung unbeantwortet geblieben sein. Von allen Folgen der furchtbaren Entbehrungen, die die Belagerten erlitten hatten, war keine gewöhnlicher als die Art von Verstandesverwirrung, welche so lebhafte Visionen von Gefahren, Feinden und Tod erzeugt, daß diejenigen, welche sie erblicken, gegen die Schöpfung ihres eignen Deliriums um Hülfe flehen. Die Meisten von denjenigen, an, welche Numerian seine Bitte richtete, gingen also vorüber, ohne Notiz davon zu nehmen. Einige sagten ihm nachlässig, er möge sich erinnern, daß jetzt keine Feinde mehr da seien, – daß die Tage des Friedens herannahten – und daß eine gute Mahlzeit, die er bald zu genießen erwarten könne, die einzige Hülfe für einen Hungernden wäre.

Zu jener Zeit des Schreckens und der Leiden, die sich jetzt ihrem Ende zuneigte, sah Keiner etwas Ungewöhnliches in der Verwirrung des Vaters und dem Entsetzen des Kindes, sie setzten also ihre schwache Flucht unbeschützt fort und Goiswinthens Schritte folgten ihnen. Sie hatten bereits den Monte Pincio zu ersteigen begonnen,als Antonina plötzlich stehen blieb und zurück blickte. Die Straße unter ihr war noch von vielen Menschen angefüllt, aber ihre Augen drangen, von der Gefahr geschärft, unter dieselben ein und unterschieden schnell das weite Gewand und die hohe Gestalt, welche immer noch in gleicher Entfernung von ihnen war und stehen blieb, wie sie stehen geblieben waren. Auf einen Augenblick schaute das Mädchen mit dem wilden, hülflosen Stieren des Schreckens in das Gesicht ihres Vaters, im nächsten warnte sie aber der geheimnißvolle Instinkt der Selbsterhaltung, welcher mit dem Instinkt der Furcht zugleich existirt – der das schwächste Thier mit List begabt, um seine Flucht so sicher als möglich zu machen, und an die Stelle der Vernunftreflexion und des Entschlusses tritt, wenn alle diese aus dem Geiste verbannt sind – vor dem verderblichen Irrthum, der Verfolgerin zu gestatten, ihr bis nach ihrem Hause nachzuspüren.

»Nicht dort! nicht dort!« ächzte sie schwach, als Numerian sie den Abhang hinauf führen wollte. »Sie wird uns sehen, wenn wir in die Thür treten – durch die Straßen, o Vater, wenn Du retten mich! Auf den Straßen können wir von ihr abkommem – Die Wachen, das Volk sind dort, – zurück! – zurück!«

Numerian bebte, als er den Schrecken in ihren Blicken und Geberden bemerkte, aber es war vergeblich, sie zu fragen oder ihr Widerstand zu leisten. Nur Gewalt konnte sie zurückhalten – weder Befehle noch Bitten konnten ihr mehr entlocken als den athemlosen Ausruf:

»Weiter, Vater! weiter, wenn Du mich retten willst!«

Sie war jeder Empfindung außer der Furcht, jeder Anstrengung außer der der Flucht unfähig.

Sich drehend und wendend und stets mit dem gleichen schnellen Schritte vorwärts eilend, gingen sie mechanisch durch die Winkelstraßen, die an das Flußufer führten, immer noch aber folgte die Bluträcherin dem Opfer, beständig wie der Schatten dem Körper, wachsam und unermüdlich wie ein Bluthund auf einer warmen Führt!

Und jetzt hörte selbst der Klang der väterlichen Stimme auf in den Ohren der Tochter vernehmbar zu sein, sie fühlte nicht mehr den Druck seiner Hand, bemerkte selbst seine Gegenwart an ihrer Seite nicht mehr. Endlich blieb sie schwach zusammensinkend, verwirrt wieder stehen und blickte zurück.

Die Straße, welche sie erreicht hatten, war sehr still und öde, nur an ihrem fernsten Ende sah man zwei Sklaven gehen. So lange sie im Gesichtskreife waren, zeigte sich auf der andern Seite kein lebendes Geschöpf, sobald sie sich aber entfernt hatten, schlich ein Schatten über das Pflaster einer Säulenhalle in der Ferne und im nächsten Augenblicke erschien Goiswintha auf der Straße.

Die Sonne brannte grell auf ihre dunkle Gestalt, als sie stehen blieb und einen Augenblick umher spähte. Sie that einen Schritt vorwärts und Antonina sah weiter nichts. Von Neuem wendete sie sich, um ihre hoffnungslose Flucht fortzusetzen und von Neuem bereitete sich ihr Vater, der als die geheimnißvolle Ursache ihres Schreckens nur ein einziges Weib bemerkte, welches ihnen zwar folgte, aber keinen Versuch machte, sie anzuhalten oder auch nur anzureden, an allen übrigen Möglichkeiten, ihre Rettung zu bewirken, verzweifelnd, sie bis ans Ende zu begleiten. Immer vollständiger fesselte der Schrecken jetzt ihre Geisteskräfte, während sie bewußtlos ihren schnellen Weg durch die nach dem Tiber führenden Straßen fortsetzte. Nicht Numerian, – nicht Rom – nicht das Tageslicht einer großen Stadt standen vor ihren Augen – es war der Sturm, die Ermordung, die Nacht in dem Bauernhause, welche sie jetzt wieder durchlebte.

Die schnelle Flucht und die unablässige Verfolgung wurden fortgesetzt, als ob keine je ihr Ende erreichen solle, aber der Schluß des Schauspieles war dessenungeachtet nahe.

Während des eiligen Durchschreitens der Straßen hatte sich Numerian’s Geist allmälig von seinem ersten Erstaunen und Schrecken erholt und endlich bemerkte er die Nothwendigkeit augenblicklichen entschiedenen Handelns, so lange es noch Zeit war, Antoninen vor dem Sinken unter dem Uebermaße ihrer eignen Furcht zu retten. Wiewohl eine furchtbare unbestimmte Ahnung des Unheils und Todes sein Herz erfüllte, wurde doch sein Entschluß sofort auf jede Gefahr hin, das dunkle Geheimniß naher Gefahr zu durchdringen, welches die Worte und Handlungen seiner Tochter andeuteten, nicht wankend, denn er wurde von dem einzigen Beweggrunde erweckt, der kräftig genug war, um alle Energie seiner frühern Jahre, die noch nicht Durch Leiden und Gebrechlichkeit vernichtet war, neu zu beleben die Erhaltung seines Kindes. In seinen trüben Augen blitzte noch etwas von der frühern Festigkeit und Kraft des unerschrockenen Reformators der Kirche auf, als er jetzt stehen blieb, Antoninen in seine Arme schloß und sie in ihrer Flucht aufhielt.

Sie rang, um zu entrinnen, aber es war schwach und nur auf einen Augenblick. Kraft und Bewußtsein begannen sie zu verlassen. Sie machte keinen Versuch, zurückzublicken, sie fühlte in ihrem Herzen, daß Goiswintha noch hinter ihr sei und wagte die entsetzliche Ueberzeugung nicht mit ihren Augen zu bestätigen. Ihre Lippen bewegten sich, aber sie drückten eine andere, vergebliche Bitte aus.

»Hermanrich, o Hermanrich!« war Alles, was sie jetzt murmelten. Sie waren an die lange Straße gekommen, die am Ufer des Tiber hinlief. Das Volk hatte sich entweder in seine Behausungen zurückgezogen oder sich nach dem Forum begeben, um sich nach der Zeit zu erkundigen, wo das Lösegeld bezahlt werden würde. Außer Goiswinthen war Niemand zu erblicken, als sich Numerian umsah und Jene kam, nachdem sie die leere Straße sorgfältig durchforscht, mit schnelleren Schritten auf sie zu.

 

Auf einen Augenblick sah sie der Vater fest an, und in diesem Augenblicke war sein Entschluß gefaßt. Eine Treppe zu seinen Füßen führte nach der schmalen Thür eines kleinen Tempels, der das ihm zunächstliegende Gebäude war. Da er nicht wußte, ob nicht Goiswintha bei ihrer unablässigen Verfolgung insgeheim von Genossen unterstützt wurde beschloß er Antoninen wenigstens auf einige Zeit in diese Zufluchtsstätte zu bringen, während er, vor derselben stehend, das Weib nöthigen würde, seine Absicht auszusprechen, wenn es ihm selbst bis dorthin folgte. Im nächsten Moment hatte er mit dem erschöpften Mädchen an seiner Seite die Stufen zu ersteigen begonnen. Oben angelangt führte er es vor sich in die Thüre und blieb an der Schwelle stehen, um sich wieder umzuschauen.

Goiswintha war nirgends zu erblicken.

Numerian ließ sich durch das plötzliche Verschwinden des Weibes nicht zu dem Glauben bewegen, daß sie sich aus der Straße entfernt habe, sondern beharrte auf seinem Entschlusse seine Tochter nach einem Ruheorte zuführen, wo sie sich augenblicklich sicher fühlen und daher am leichtesten wieder ihre Fassung erlangen könne, und zog Antoninen mit sich in den Tempel. Dort verweilte er einen Augenblick, ehe er sich entfernte, um von der Vorhalle aus die Straße zu beobachten.

Das Licht in dem Gebäude war trübe – es fiel nur durch eine kleine Oeffnung im Dache und durch die schmale Thür ein, wo es durch die äußere Säulenhalle verdunkelt wurde. In dem dämmernden Innern lag ein formloser Haufen von dunkeln, schwer aussehenden Gegenständen aus dem Boden und erhob sich hoch bis fast an die Decke. Von unregelmäßiger Form in seltsamer Unordnung über einander geworfen, zum größten Theile von dunkler Farbe, hier und da aber doch in metallischem Glanze schimmernd, besaß diese Masse von Gegenständen ein geheimnißvolles, unbegrenztes, überraschendes Aussehen. Es war unmöglich, auf den ersten Blick zu entdecken, welcher Art die Gegenstände waren, – oder zu errathen, zu welchem Zwecke sie auf dem Fußboden eines verlassenen Tempels zusammengehäuft sein konnten. Von dem Augenblicke an, wo sie zuerst Numerians Aufmerksamkeit erregt hatten, wurde er unwillkürlich davon angezogen und ein schwaches, unerklärliches, unbestimmtes, scheinbar grund- und zweckloses Beben des Verdachts schlug emsig an sein Herz.

Er hatte einen Schritt vorwärts gethan, um den verborgenen Raum hinter der zusammengehäuften Masse zu untersuchen, als seinem weiteren Vordringen durch den Anblick eines Mannes, der hinter demselben hervorkam, Einhalt gethan wurde. Der Fremde war in das wallende purpurgesäumte Gewand und die weiße Stirnbinde der heidnischen Priester gekleidet. Ehe der Vater oder die Tochter sprechen, ja selbst ehe sie sich bewegen konnten, um sich zu entfernen, trat er zu ihnen heran, legte Beiden eine Hand auf die Schulter und blickte sie, ohne ein Wort zu reden an.

In dem Augenblicke, wo er sich näherte, erhob Numerian seine Hand, um ihn zurückzustoßen und heftete dabei, als eben ein Lichtstrahl von der Thüre her über das Gesicht des Fremden hinzog, seine Augen auf dasselbe. Sein Arm blieb starr ausgestreckt, sank dann an seiner Seite nieder und der Ausdruck des Schreckens auf dem Gesicht des Kindes spiegelte sich so zu sagen auf dem Gesicht des Vaters ab. Keines von Beiden bewegte sich unter der Hand des Tempelbewohners, als er sie schwer auf Beide legte und Beide standen stumm wie er selbst vor ihm da.

Kapitel II
Der Tempel und die Kirche

Es war Ulpius. Der Heide hatte sich in der Haltung und im Gesicht eben so sehr verändert, wie in seiner Kleidung. Er stand fester und straffer da. Eine bräunliche Farbe hatte sein Gesicht überzogen, seine sonst so eingesunkenen und glanzlosen Augen waren jetzt weit offen und von dem grellen Scheine des Wahnsinns erhellt. Es schien als ob seine Körperkräfte sich neu gestählt hätten, während sich seine Geistesfähigkeiten dem Untergange zuneigten.

Kein Menschenauge hatte je erblickt, durch welche geheimen widerlichen Mittel er die Hungersnoth überlebt, mit welcher Unnatürlichen Kost er die Forderungen des unerbittlichen Hungers befriedigt hatte, aber dort in seinem düstern Asyle hatte der Wahnsinnige und Auswürfling gelebt und sich bewegt und plötzlich und seltsam gestärkt, nachdem die Bewohner der Stadt alle ihre vereinten Hülfsquellen erschöpft, vergeblich alle ihre vereinten Reichthümer verschwendet hatten und zu Tausenden um ihn her dahin gewelkt und gestorben waren.

Es vergingen mehrere Minuten und immer noch standen ihm Vater und Tochter stumm gegenüber, blickten ihn immer noch mit stieren, unbewegten Augen an. Seine Gegenwart übte auf sie einen lähmenden Zauber. Die bei Autoninen, als sie ihre übel gewählte Zufluchtsstätte betraten, gelähmte Bewegungskraft war jetzt auch bei Numerian unterdrückt, aber bei ihm hatte kein Gedanke an die Feindin auf der Straße in diesem Augenblicke an dem unwiderstehlichen Einflusse Theil, welcher ihn vor dem Feinde im Tempel bewegungslos erhielt. Es war ein Gefühl tieferen Entsetzens, denn jetzt, wo er die häßlichen Züge des Heiden erblickte, wo er das Priestergewand und die Binde, die längst schon durch die feierlichsten Gesetze verboten waren, sah, nahm er nicht nur den Verräther wahr, der so erfolgreich gegen das Glück seines Hauses complottirt hatte, sondern auch den Wahnsinnigen – den Moralisch-Aussätzigen, der ganzen menschlichen Familie, – den lebenden Körper und die todte Seele, – den des göttlichen Lichtes des Lebens, welches der sterbliche Mensch mit den Engeln Gottes theilt, beraubten.

Er hielt Antoninen noch immer fest, aber es geschah vollkommen mechanisch. Allem äußern Anscheine nach war er eben so hülflos, wie sein hülfloses Kind, als Ulpius langsam seine Hand von Beider Schulter nahm, sie trennte, ihre Hände mit seinen kalten knochigen Fingern umschloß und zu sprechen begann.

Seine Stimme war tief und feierlich, aber seine Worte schienen in ihrem harten wechsellosen Tone keine menschliche Empfindung auszudrücken. Seine Augen versanken, statt sich, während er redete zu erhellen, wieder in dumpfe, geistesleere Bewußtlosigkeit. Bei ihm schien die Verbindung zwischen der Rede und der sie begleitenden und erläuternden Thätigkeit des Blickes, welche man bei allen Menschen bemerkt, verloren zu sein. Es war furchtbar, das todtenähnliche Gesicht zu erblicken und in demselben Moment die lebende Stimme zuhören.

»Sieh da, die Frommen kommen in den Tempel!« murmelte der Heide, »die guten Diener der mächtigen Religion versammeln sich auf den Ruf des Priesters. Aus den fernen Provinzen, wo die Feinde der Götter die geheiligten Haine entweihen, versammelt sich das zerstreute Volk des Nachts, um zum Tempel des Serapis zu reisen. Anbetende Tausende knieen in den hohen Vorhallen, während im Innern in der geheimen Halle, wo das Licht dämmerig ist, wo die Luft um die athmenden Götter auf ihren goldenen Fußschemeln bebt, liest der Hohepriester Ulpius die Geschicke der Zukunft, die vor seinem Auge aufgerollt sind, gleich einem Buche.«

Als er schwieg und ohne die Hände seiner Gefangenen loszulassen, dieselben fest anblickte, erglänzten seine Augen von Neuem, drückten aber keine Wiedererkennung des Vaters oder der Tochter aus. Das Delirium seiner Einbildungskraft hatte ihn nach dem Tempel in Alexandrien geführt, die Tage waren aufs Neue erschienen, wo sein Ruhm den Gipfelpunkt erreicht hatte, wo die Christen vor ihm als ihrem grimmigsten Feinde bebten und die Heiden ihn als ihre letzte Hoffnung umgaben.

Die Opfer seines frühem, vergessenen Verraths waren für ihn nur zwei von der Menge der Andächtigen, die durch den Ruf seiner Beredtsamkeit, durch die triumphirende Notorietät seiner Macht, die Anhänger des alten Glaubens zu beschützen, angelockt wurden.

Aber nicht immer gab sich sein Wahnsinn auf diese Weise kund. Es gab Augenblicke, wo er sich bis zu Entsetzen erregender Raserei erhob. Dann bildete er sich ein, daß er wieder die stürmenden Christen von den Mauerzinnen des belagerten Tempels herabschleudere – in jener längstvergangenen Zeit, wo das Heiligthum des Serapis von dem Bischof von Alexandrien der Zerstörung geweiht worden war. Sein Wuthgeschrei. seine rasenden Verwünschungen des Trotzes waren weithin durch die feierliche Stille des pestgeschlagenen Rom zu hören. Diejenigen, welche während der schrecklichsten Tage der gothischen Blockade verhungert auf dem Steinpflaster vor dem kleinen Tempel niedersanken, wenn sie daran vorüber zu gehen versuchten, boten einige grausige Wirklichkeit des Todes, die die Träume des Wahnsinnigen von Schlacht und Kampf verkörperten. Die das Leben verhauchenden Opfer des Hungers auf der Straße hörten über ihnen seine Stimme, die sie als Christen mit rasenden Flüchen überschüttete, über sie als von seiner Hand gefallene, besiegte Feinde triumphirte und seine eingebildeten Anhänger ermahnte, die eben Erschlagenen auf die Todten unterhalb zu schleudern, bis die Leichen der Tempelbelagerer als Schranken gegen ihre lebenden Kameraden um die Mauern aufgehäuft sein würden. Zuweilen verherrlichte er in seinem Delirium die blutigen Ceremonien des heidnischen Aberglaubens, dann entblößte er seine Arme und schrie laut uach dem Opfer, er beging dunkle, namenlose Abscheulichkeiten, denn auch jetzt lagen die Todten und Sterbenden vor ihm, um die Schatten seiner schlimmen Gedanken zu verkörpern und Pest und Hunger lieferten ihm wie Geschöpfe seines Willens das Opfer für den Altar in die Hände.

Zu anderen Zeiten, wenn der Anfall der Tobsucht vorüber war, und er keuchend in der finstersten Ecke des Tempels lag, nahm sein Wahnsinn eine andere trauernde Form an. Seine Stimme wurde leise und klagend, die Trümmer seines umherschweifenden Gedächtnisses schwammen weit, weit zurück auf dem dunkeln Gewässer der Vergangenheit und seine Zunge sprach Fragmente von Worten und Phrasen aus, die er an den Knieen seines Vaters gemurmelt – kindische Abschiedswünsche, die er in seiner Mutter Ohr gehaucht – unschuldige besorgte Fragen, die er an Macrinus den Hohenpriester gerichtet hatte, als er zu Alexandrien in den Dienst der Götter getreten war. Seine jugendlichen Träumereien – die sanfte Redeweise und die Poesie der Gedanken seiner ersten Jugendtage wurden jetzt durch die unerforschlichen, unwillkürlichen Einflüsse seiner Krankheit in seinen gebrochenen Worten neu belebt, in seinem trostlosen Greisenalter des Wahnsinns und Verbrechens erneuert, in unbewußtem Spotte von seinen Lippen ausgehaucht, während noch der Schaum an ihnen hing und die letzten Blitze der Raserei noch seine Augen erhellten.

Diese unnatürliche Ruhe der Sprache und Lebhaftigkeit der Erinnerung, dieser verrätherische Schein nachdenklicher wehmüthiger Fassung dauerte oft ununterbrochen lange Perioden hindurch fort, aber früher oder später stellte sich die plötzliche Veränderung ein, die trügerische Kette der Gedanken zerriß in einem Augenblicke, das Wort blieb unbeendet, die müden Glieder schnellten krampfhaft zu erneuter Thätigkeit auf, und wie der Traum der Gewaltthätigkeit zurückkehrte, und der Traum des Friedens verschwand, schwelgte der Wahnsinnige von Neuem in seiner Wuth und wanderte, wie ihn seine Visionen führten, in seinem Tempelheiligthume umher und wenn die Nacht am dunkelsten und der Tod in Rom am geschäftigsten war unter den Sterbenden in verödeten Häusern und den Leblosen auf den stummen Straßen herum.

Aber es gab andere spätere Ereignisse seiner Existenz, die sich nie in seinem Innern belebten. Das alte vertraute Bild des Serapis, welches ihn, als er wieder nach Rom kam, in den Tempel gezogen hatte, zehrte in sich und in den mit ihm verknüpften Erinnerungen alles was noch von seinen gelähmten Geisteskräften in Thätigkeit geblieben war, auf. Seine Verrätherei in Numerians Hause, sein Durchbrechen der geborstenen Mauer, seine zermalmende Zurückweisung im Zelte Alarich’s beschäftigte seine umherschweifenden Gedanken auf keinen Augenblick. Die Wolken, welche seinen Geist umschleierten, öffneten sich, um ihm kurze Blicke auf die Mühen und Triumphe seiner frühem Laufbahn zu gewähren, aber sie umhüllten alle späteren Tage seines traurigen Lebens mit undurchdringlicher Finfterniß. Dies war das Wesen, dessen Willen durch ein räthselhaftes Schicksal Vater und Kind jetzt verfallen waren – dies die einsame hoffnungslose Abscheu erregende Existenz des schlauen, mitleidslosen Verräthers ihrer frühern Tage!

Seit er zu sprechen aufgehört hatte, war der kalte leichenähnliche Druck seiner Hand allmälig stärker geworden und er hatte angefangen, langsam und forschend von einer Seite zur andern zu blicken. Wenn diese Veränderung die nahe Rückkehr seines Tobparoxismus bezeichnet hätte, so würde Numerians und Antoninens Leben im nächsten Augenblicke verloren gewesen sein, aber er verkündete weiter nichts als die Erneuerung der hohen unbestimmten Ideen von Berühmtheit und Erfolg, von priesterlicher Ehre und Einfluß, von dem Glanze und der Herrlichkeit der Götter, welche ihm seine letzten Worte eingegeben hatte. Er machte eine plötzliche Bewegung und zog die Opfer seiner gefährlichen Laune um einige Schritte tiefer in das Innere des Tempels, und führte sie dann dicht zu der hohen Zusammenhäufung von Gegenständen, welche Numerians Augen beim Eintritt in das Gebäude zuerst auf sich gelenkt hatten.

 

»Kniet nieder und betet an!« rief der Wahnsinnige heftig, indem er seine Hände wieder auf ihre Schultern legte und sie auf den Boden niederdrückte. »Ihr steht vor den Göttern, Ihr befindet Euch vor ihrem Hohenpriester!«

Der Kopf des Mädchens sank vorwärts und sie verbarg ihr Gesicht in den Händen, aber ihr Vater blickte zitternd an der Zusammenhäufung hinaus. Seine Augen hatten sich unmerklich an das Dämmerlicht des Tempels gewöhnt und er sah jetzt die Gegenstände, welche die sich vor ihm erhebende Masse bildeten, deutlicher. Hunderte von Götterbildern aus Gold, Silber und Holz, – viele aus dem letzteren Material von mehr als Lebensgröße, Thronhimmel, Gewänder, Möbel, Werkzeuge, Alle von altheidnischer Form waren unordentlich durch einander, volle fünfzehn Fuß hoch zusammengehäuft. In dem Aussehen der Masse lag etwas zugleich Abschreckendes und Groteskes. Die monströsen Gestalten der Götzen mit ihren roh geschnitzten Draperien und symbolischen Waffen lagen in der wildesten Verschiedenartigkeit der Stellung da und zeigten die auffallendsten Ungewöhnlichkeiten der Umrisse, besonders in den höheren Theilen der Masse, wo sie offenbar durch die Hand, welche den Haufen zusammengebracht hatte, vom Boden aus hinaufgeworfen worden waren. Die mit den Bildern und dem Hausrath vermengten Draperien waren bald schlangenartig um sie gewickelt, bald hingen sie auf den Boden nieder und bewegten sich langsam und feierlich in den Winden, welche durch die Tempelthür hiereindrangen. Die unregelmäßig in der Masse verstreuten kleineren goldenen und silbernen Gegenstände schimmerten aus derselben hervor wie glühende Augen, während der Haufen selbst an einem solchen Orte im dämmernden Lichte erblickt, wie ein großes, mißgestaltetes Ungeheuer«– die düstere Verkörperung des blutigsten Aberglaubens des Heidenthums, das Erzeugniß feuchter Lüfte und geil wuchernden Ruins, des Schattens und der Finsterniß verfluchter pesthauchender Einsamkeit – aussah!

Selbst in ihrer Lage besaß die Zusammenhäufung so gut wie in den Gegenständen, aus welchen sie zusammengesetzt war, ein Unheil verkündendes Aussehen, ihre nach dein Gipfel zu breiter werdende Masse hing gegen die Thür hin furchtbar über, es schien als könne eine einzige Hand sie aus ihrem ungewissen Gleichgewichte bringen und sie augenblicklich in einer zusammenhängenden Masse zu Boden stürzen.

Es waren viele mühselige Stunden vorübergegangen und lange geheime Arbeit daraus verwendet worden, um diese schwankende, gespenstische Masse aufzurichten, aber sie war das Werk einer einzigen Hand. Allnächtlich war der Heide in die verlassenen Tempel der umliegenden Straßen gedrungen und hatte sie ihres Inhalts beraubt, um sein Lieblingsheiligthum zu bereichern. Die Entfernung der Statuen von ihren bestimmten Orten, die bei einem Geringern Heiligthumsschändung gewesen sein würde, war in seinen Augen das hohe Privilegium des Hohenpriesters allein. Er hatte schwere Lasten getragen und starke Befestigungsmittel auseinandergerissen und stundenlang durch dieselben finsteren Straßen gekeucht, ohne bei seiner Ausgabe zu verziehen. Er hatte Schätze und Statuen über einander gehäuft, er hatte die Basis dieser kostbaren, geheiligten Masse verstärkt und ihren Gipfel erhöht. Er hatte mit einer Geduld und Ausdauer, die kein Mißlingen, keine Ermüdung zu überwältigen vermochte, diesen neuen babylonischen Thurm, den er sich bis zum Olympus des Tempeldaches zu führen sehnte, ausgebessert und neugebaut, wenn derselbe zerfallen und zusammengestürzt war. Es war der liebste Zweck seiner heidnischen Träume, sich mit unzähligen Gottheiten zu umgeben, so wie unzählige Andächtige zu versammeln, das Heiligthum seiner Wohnung zu einem mächtigen Pantheon, so wie zu einem Punkte der Vereinigung für die verstreuten Gemeinden der heidnischen Welt zu machen. Dies war der grenzenlose Ehrgeiz, in welchem sich sein Wahnsinn zum wüthendsten Fanatismus anschwellte, und als er jetzt neben seinen knieenden Gefangenen aufrecht dastand, blickten seine flammenden Augen mit ehrerbietiger Scheu auf seine Idole, er erhob seine Arme in feierlichem verzückten Triumphe und ergoß an dem barbarischen Altare, welchen seine ununterstützten Kräfte errichtet hatten, in leisen Tönen seine wilden durcheinander gemengten, fragmentarischen Gebete aus.

Welche Wirkung seine verwirrten wilden Ausrufungen auch auf Numerian machen mochten, so blieben sie doch von Antonina unbemerkt, ja selbst ungehört, denn jetzt, wo die Stimme des Wahnsinnigen sich zu einem Flüstern herabsenkte und während sie alle Gegenstände um sich her, vor ihren Augen verbarg, erwachten ihre Sinne zu Tönen im Tempel, die sie noch nie wahrgenommen hatte.

Der schnelle Strom des Tiber bespülte die Grundmauern auf der einen Seite des Gebäudes, in welchem das einschläfernde Rieseln des Wassers mit merkwürdiger Deutlichkeit zu hören war. Außerdem schlug aber noch ein anderer lauterer Ton an das Ohr. An dem Dache des Tempels hingen noch Reihen von kleinen vergoldeten Glöckchen, die ursprünglich theilweise zur Zierde, theilweise aber auch dazu dort angebracht worden waren, um durch das Geräusch, welches sie, wenn sie vom Winde bewegt wurden, machten, die Vögel am Niederlassen auf dem geweihten Gebäude abzuhalten. Die Klänge dieser Glöckchen waren silbern und hoch; bald, wenn der Wind stark war, klangen sie munter und anhaltend zusammen, bald, wenn er sank, waren ihre Töne schwach, einzeln und unregelmäßig und in ihrer reinen metallischen Weichheit fast klagend. Wie sich aber auch ihr Ton unter dem launischen Einflusse des Windes verändern mochte, so schien er doch stets innerhalb des Tempels wunderbar mit dem leisen ewigen Rauschen des Flusses gemischt zu sein, welches selbst die geringsten Pausen in dem angenehmen Läuten der Glöckchen ausfüllte und selbst während derselben seine sanfte monotone Harmonie hörbar werden ließ.

In dieser ungewohnten Combination von Klängen, lag, wenn man sie in dem gewölbten Innern des kleinen Gebäudes vernahm, etwas seltsam Einfaches, Bezauberndes und Geistiges. Je länger man sie anhörte, desto vollkommener verlor der Geist die Erinnerung an ihren eigentlichen Ursprung und bildete sich allmälig immer wildere und wildere Phantasien aus ihnen, bis die Glöckchen mit ihrem leisen Geläute seligen Stimmen eines himmlischen Stromes zu gleichen, leicht auf seinen klaren Wellen dahin getragen zu werden und über die ihnen zumurmelnden Gewässer zu jubeln schienen.

Trotz der Gefahr ihrer Lage und des Schreckens, welcher sie noch sprachlos an den Boden heftete, war auf Antoninen der Eindruck der seltsamen gemischten Musik des Flusses und der Glöckchen, da sie dieselben zum ersten Male hörte, mächtig genug, um alle ihre übrigen Empfindungen in momentaner Verwunderung und Zweifel aufzulösen. Sie zog ihre Hände vom Gesicht und blickte mechanisch nach der Thür als ob sie sich einbilde, daß die Klänge von der Straße kämen.