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»An Deine Aufgabe, Reburrus!« rief Vetranio, als der Lärm sich gelegt hatte; »gehe unverzüglich an Deine Fragen! sieh den Lehrer, mit dem Du zu sprechen hast! lies das Pergament in Deiner Hand sorgfältig durch – frage! frage laut – Du sprichst zu einer apathischen Leiche.«

Der Buckelige hatte schon vor dem Sichtbarwerden des Leichnams eine Zeitlang an dem einen Ende des Banketsaales, dem schwarz verhangenen Raume gegenüber, gesessen und die Liste von Fragen und Antworten durchgesehen, die den Dialog bildeten, welchen er mit Hülfe seiner Bauchrednerkunst, mit der geschändeten Todten halten sollte. Als der Vorhang zurückgezogen wurde, hatte er aufgeblickt und das Schauspiel, welches sich hinter demselben aufthat, mit einem Lachen brutalen Spottes begrüßt, worauf er sofort zu der Durchsicht des ihm anvertrauten blasphemistischen Formulars zurückgekehrt war. In dem Augenblicke, wo Vetranio seinen Befehl an ihn richtete, stand er auf, schwankte der Leiche zu, eröffnete, als er in ihre Nähe gekommen war, das Gespräch und begann in lauten höhnischen Tönen:

»Sprich, erbärmliches Ueberbleibsel gebrechlicher Sterblichkeit.«

Er hielt, nachdem er das letzte dieser Worte gesprochen, inne, und blickte, da er eine Stellung eingenommen, von wo das Licht der Lampe die steinernen Züge des Leichnams deutlich erkennen ließ, trotzig zu demselben auf. Plötzlich aber kam eine furchtbare Veränderung über ihn, das Manuscript entsank seiner Hand, sein mißgestalteter Körper zitterte und schwankte und ein kreischender Schrei des Wiedererkennens, der eher dem Heulen eines wilden Thieres, als einer Menschenstimme glich, entfloh feinen Lippen.

Im nächsten Augenblicke, als die Gaste aufsprangen, um ihn zu befragen oder zu verspotten, wendete er sich ihnen langsam entgegen.«So verzweifelt und berauscht sie auch waren, schreckte sie doch sein Blick in das tiefste Schweigen. Sein Gesicht war eben so bleich, wie das der Leiche über ihm – große Schweißtropfen rannen auf demselben herab, wie Regen – seine trockenen, glühenden Augen schweiften wild über die entsetzten Gesichter vor ihm, er streckte seine geballten Fäuste gegen sie aus und murmelte mit einem tiefen, stöhnenden Flüstern:

»Wer hat das gethan? – meine Mutter! meine Mutter!«

Als diese wenigen Worte, von furchtbarer Bedeutung, wenn auch einfacher Form, in die Ohren derjenigen, welche er anredete, fielen, blickten die noch nicht ganz in Gefühllosigkeit Versunkenen einander für den Augenblick fast ernüchtert und sprachlos an. Jetzt hörte man nicht einmal mehr das Klappern der Weinbecher auf dem Bankettische, – man vernahm nichts, als die noch immer bald anschwellenden, bald leiser werdenden Töne der Stimmen des Schreckens, des Spottes und der Pein von der Straße her und die heiseren convulsivischen Laute des Buckeligen, der noch von Zeit zu Zeit ausrief: »Meine Mutter! meine Mutter!«

Endlich redete Vetranio, der sich zuerst wieder erholte, den entsetzten und entarteten Elenden vor sich in Tönen an, die unwillkürlich bebten und gezwungen herauskamen:

»Wie, Reburrus!« rief er, »bist Du schon bis zum Wahnsinn betrunken, daß Du die erste Leiche, die ich zufällig auf der Straße gefunden und hierhergebracht habe, Deine Mutter nennst? War es, um von Deiner Mutter zusprechen, die wir, mag sie nun todt oder lebend sein, weder kennen, noch um die wir uns kümmern, daß Du hier zugelassen bist? Sohn der Dunkelheit und Erbe der Lumpen, was gehen uns Deine plebejischen Eltern an?« fuhr er fort, indem er seinen Becher wieder füllte und sich zu erheucheltem Zorn aufreizte. »Geh ohne Säumen an Dein Gespräch, wenn Du nicht aus dem Fenster geworfen werden willst, damit Du Dich unter den Pöbel, zu dem Du gehörst, mischen kannst.«

Der Buckelige beantwortete die Drohungen des Senators weder mit einem Worte, noch mit einem Blicke. Für ihn war die Stimme der Lebenden durch die Gegenwart der Todten erstickt. Die Vergeltung, welche ihm zu Theil geworden war, hatte sein moralisches Leben getroffen, wie ein Blitz sein physisches niedergeschmettert haben würde. Seine Seele rang in Folterqualen, als er an das furchtbare Schicksal dachte, welches die todte Mutter zum Gerichte über den entarteten Sohn herbeigeführt – welches die Hand des Senators gelenkt hatte, ahnungslos die Leiche der mißhandelten Mutter zum Gegenstande der verbrecherischen Lustigmacherei des ruchlosen Sohnes gerade am Ende seiner sündigen Laufbahn zu machen. Sein früheres Leben stieg vor ihm zum ersten Male, wie ein häßliches Gespenst, wie ein Alp des Schreckens, der Schmach und des Verbrechens vor ihm auf. Er schwankte, sich an der Wand hintastend, als ob mitternächtliche Finsterniß seine Augen geschlagen hatte, das Zimmer entlang und kauerte an dem offenen Fenster nieder. Unter ihm erhoben sich die Unheil verkündenden Stimmen von der Straße, um ihn breitete sich der dem Verderben geweihte Prunk seiner Herren aus. Vor ihm stand die strafende Erscheinung der Leiche.«

Er würde nur kurze Zeit an seinem Zufluchtsorte unbelästigt geblieben sein, wenn die Aufmerksamkeit Vetranio’s und seiner Gäste nicht durch ein neues Ereigniß von ihm abgelenkt worden wäre. Sie hatten heftig getrunken, um jede Erinnerung an die so eben gesehene Katastrophe zu ertränken, und drei von den Zechern waren bereits den schlimmsten Folgen eines Excesses, welchen ihre geschwächten Körper nicht mehr ertragen konnten, erlegen. Einer nach dem Andern fiel in kurzen Zwischenräumen bewußtlos auf sein Ruhebett zurück und in dem Maße, wie sie kampfuntüchtig wurden, verlöschte man die drei ihnen zunächst brennenden Lampen. Für ihre übrigen Gefährten, mit Ausnahme Vetranio’s und der beiden zu seiner Rechten und Linken lehnenden Patrizier schien die gleiche, schnelle Beendung der Orgie in Aussicht zu stehen. Jene drei bewahrten noch den Schein der Fassung, auf ihren Gesichtern war jedoch bereits eine ominöse Verwandlung eingetreten. Der Ausdruck wilder Lustigkeit und Leichtsinnigkeit war von ihren Zügen verschwunden – sie beobachteten einander schweigend mit wachsamen argwöhnischen Augen und Jeder berührte, wenn er seinen Weinpokal füllte, bedeutsam die Fackel, mit welcher der letzte Trinker den Scheiterhaufen anzünden sollte. Mit dem Abnehmen der Zahl ihrer Rivalen und dem Verlöschen einer Lampe nach der andern, erlangte auch der Wettstreit um die höchste selbstmörderische Würde ein mächtiges Interesse, über welchem alle übrigen Zwecke und Absichten in Vergessenheit geriethen. Die Leiche am Fußende des Bankettisches und der in seiner Verzweiflung am Fenster kauernde Elende blieben jetzt gleich unbeachtet. In dem verwirrten und verthierten Geiste der Gäste herrschte nur noch ein Gefühl, – die bange Erwartung, welche dem Ausgange eines tödtlichen Kampfes vorangeht.«

Bald aber wurde von dem Buckeligen die Aufmerksamkeit erweckt, welche ihm sonst vielleicht nie wieder zu Theil geworden sein würde, als er, von dem Geiste der Reue in seinem Innern bewegt, mit stöhnender Stimme eine seltsame Beichte der Entartung und Sünde ablegte, die an Keinen gerichtet, von seinem Bewußtsein oder Willen unabhängig, aus den Tiefen seiner zu Boden gedrückten Seele hervordrang. Er richtete sich halb auf und heftete seine eingesunkenen Augen auf die Leiche, während von seinen Lippen die Worte fielen:

»Es war das letzte Mal, daß ich sie lebend erblickte, als sie sich mir einsam und schwach und arm auf der Straße näherte und mich anflehte, in den Tagen ihres Greisenalters und ihrer Einsamkeit zu ihr zurückzukehren und mich zu erinnern, wie sie mich in meiner Kindheit gerade meiner Mißgestalt wegen geliebt, wie sie mich auf den Straßen von Rom bewacht hatte, damit mich Keiner unterdrücken oder verspotten möge! Die Thränen liefen über ihre Wangen herab, sie kniete auf dem harten Pflasier vor mir nieder und ich, der ich sie wegen ihrer Armuth verlassen hatte, um mich in Palästen zum Sklaven der verfluchten Reichen zu machen, warf ihr Geld zu, wie einer Bettlerin, die mich langweilte, und ging weiter! Sie starb trostlos – ihr Körper lag unbegraben da, und ich wußte es nicht! Der Sohn, der die Mutter verlassen hatte, sah sie nicht eher wieder, als bis sie sich dort vor ihm erhob – rächend, entsetzlich, leblos! ein Anblick des Todes, welcher ihn nie wieder verlassen wird! Wehe, wehe dem in seiner Mißgestalt Verfluchten, dem durch die Leiche seiner Mutter Verfluchten!«

Er schwieg und fiel sprachlos wieder zu Boden. Der tyrannische Thascius betrachtete ihn mit von trunkenem Zorne verfinstertem Gesicht, ergriff eine leere Vase, und schwang sie in seiner geschwächten Hand, um sie auf die am Boden liegende Gestalt des Buckeligen zu schleudern, als sich wieder ein einzelner Schrei – der eines Weibes, über den zunehmenden Stimmenaufruhr auf der Straße erhob und kreischend und durchdringend den Banketsaal durchschallte. Der Patrizier verschob, als er hinhörte, die Ausführung seiner Absicht und lauschte mechanisch mit der halb verdummten, halb schlauen Aufmerksamkeit des Rausches.

»Hülfe! Hülfe!« kreischte die Stimme unter den Palastfenstern. »Er folgt mir immer noch, er hat mein todtes Kind in meinen Armen angefallen! Als ich mich auf den Boden darüber warf, sah ich ihn die Gelegenheit abwarten, um es bei den Gliedern unter mir vorzuziehen! – Hunger und Wahnsinn waren in seinen Augen – ich trieb ihn zurück – ich floh – er folgt mir immer noch! – rettet uns! rettet uns!«

In diesem Augenblicke wurde ihre Stimme plötzlich durch wildes Geschrei und heranstürmende Schritte erstickt, woraus ein furchtbarer Lärm von schweren Schlägen folgte, die an mehreren Punkten gegen die Stahlgitter vor dem Palastthoren gerichtet waren. Zwischen den Schlägen, die in regelmäßigen Zwischenräumen langsam und gleichzeitig geführt wurden, konnte man die wüthenden Bösewichter, die ihre letzten Kräfte dazu aufs Aeußerste anstrengten, einander athemlos zuschreien hören: – »Schlagt stärker! schlagt länger! die Hinterthore werden vor uns von unseren Kameraden bewacht, die an unserer Stelle zur Plünderung des Palastes eingelassen worden sind. Wer an der Beute Theil haben will, möge kräftig zuschlagen! Die Steine sind zu Euern Füßen, die Eingangsthüren geben nach.«

 

Mittlerweile wurde ein wirrer Lärm von schwer auffallenden Füßen und streitenden Stimmen aus den unteren Gemächern des Palastes vernehmlich. Thüren wurden mit Heftigkeit geschlossen und geöffnet – Geschrei und Verwünschungen hallten in den hohen steinernen Gängen wieder, die von den Sklavengemächern nach der Haupttreppe führten; der Verrath zeigte sich in dem Gebäude eben so offen, wie sich von Außen in dem Sturme auf die Thore noch die Gewaltthätigkeit wahrnehmen ließ. Die ersten Sklaven waren nicht ohne Grund von ihren Genossen beargwöhnt worden, die Banden der Plünderung und des Mordes hatten sich in dem Hause der Ausschweifung und des Todes organisirt, ihre auserwählten Anhänger von der Straße waren insgeheim durch die Gartenthüren eingelassen worden und hatte sie zum Schutz vor dem Eindringen Anderer verbarrikadirt und Wachen daran gestellt – den dem Tode geweihten Senatoren nahete ein anderes Ende, als das, welches sie sündiger Weise für sich selbst bereitet, von den Sklaven, die sie bedrückt und den Plebejern, die sie verachtet hatten.

Beim ersten Lärme des Sturmes von Außen und der ersten Wahrnehmung der Verrätherei im Innern sprangen Vetranio, Thascius und Marcus von ihren Ruhebetten auf, während die übrigen Gäste, zum Denken, wie zum Handeln gleich unfähig, in stumpfer Bewußtlosigkeit daliegend, ihr Schicksal erwarteten. Diese drei waren die Einzigen, welche die sie bedrohende Gefahr begriffen und forderten, vom Weine zum Wahnsinn getrieben, in ihrer rasenden Verzweiflung, den ihnen drohenden Tod heraus.

»Horcht, er kommt! der Pöbel, der sich gegen unsere Herrschaft aufgelehnt hat!« rief Vetranio verächtlich. »Er will das Leben nehmen, welches wir verschmähen, und die Schätze, die wir aufgegeben haben. Die Stunde ist gekommen! ich werde hingehen und den Scheiterhaufen anzünden, der unsere Mörder der gemeinschaftlichen Vernichtung mit uns weiht!«

»Halt!« rief Thascius, indem er ihm die Fackel aus der Hand riß; »zuerst muß der Eingang geschützt werden, wenn nicht die Sklaven hier sein sollen, ehe die Flammen entzündet sind! Laßt uns alles Bewegliche, Ruhebetten, Tische, Leichen vor die Thür werfen!«

Mit diesen Worten stürzte er auf die schwarz verhangene Nische zu, um durch das Ergreifen der Weiberleiche seinen Genossen das Beispiel zu geben, er hatte jedoch kaum die Hälfte des Zimmers durchmessen, als der Buckelige, der ihm unbemerkt gefolgt war, von hinten auf ihn einsprang, mit einem kreischenden Schrei seine Finger in die Kehle des Patriziers schlug und ihn zerfleischt und besinnungslos auf den Boden schleuderte.

»Wer wagt es den Körper, der mein ist, anzurühren!« kreischte der mißgestaltete Elende, indem er sich von seinem Opfer erhob und mit seinen blutbefleckten Händen Vetranio und Marcus bedrohte, die verblüfft und für den Augenblick unschlüssig, ob sie zuerst ihren Kameraden rächen oder die Thür verbarrikadiren sollten. »Der Sohn wird die Mutter retten! Ich gehe um sie zu begraben! Buße! Buße!«

Er sprang bei diesen Worten auf den Tisch, zerriß mit unwiderstehlicher Kraft die Stricke, womit die Leiche an den Tisch befestigt war, nahm sie in seine Arme und befand sich im folgenden Augenblicke an der Thür. Mit wildem, unartikulirtem Geschrei, halb der Pein und halb des Trotzes riß er sie auf und wollte eben hinabsteigen, als ihm am obern Ende der Treppe die Mörderbande begegnete, welche mit blanken Schwertern und lodernden Fackeln zu ihrem Raub und Mordwerke heraneilte. Er stand vor ihnen – seine verzerrten Glieder waren so fest gegen den Boden gestemmt, als rüste er sich mit einem Satze bis an den Fuß der Treppe hinabzuspringen – die Leiche war hoch erhoben, ihre gespenstischen Züge waren ihnen zugewendet und ihre nackten Arme noch ausgestreckt, wie sie es über den Bankettisch gewesen waren, ihr graues Haar flatterte rückwärts und vermischte sich mit dem seinen – in dem ungewissen Licht der Fackeln, welches roth und flackernd auf ihm und seiner furchtbaren Last spielte, sah es aus, als ob die Todte und der Lebende in eine monströse Gestalt zusammengefügt wären.

Die Mörder standen einen Augenblick zusammengedrängt bewegungslos auf der Treppe; das Rache- und Wuthgeschrei erstarb auf ihren Lippen und sie starrten mechanisch mit stieren Blicken auf das grausige Bollwerk, welches sich ihrem Eindringen auf die Opfer, die sie so leicht überraschen zu können, erwartet hatten, entgegenstellte – im nächsten Augenblick bemächtigte sich ihrer ein abergläubischer Schrecken, als der Buckelige sich plötzlich auf sie zu bewegte, um hinabzusteigen, schien die Leiche, wie es ihren von Entsetzen geblendeten Augen vorkam, auf dem Punkte zu stehen, sich einen Weg Durch ihre Reihen zu brechen. Mit ihrem Eindringen in den Palast unbekannt, und mit neubelebter, sklavischer Furcht glaubend, daß sie das gespenstische Erzeugniß der magischen Beschwörungen der Senatoren über ihnen sei, wendeten sie sieh wie von einem Entschlusse getrieben und flohen die Treppe hinab. Der Lärm ihrer Schreie wurde schwächer und schwächer, als sie durch die geheimen Pforten auf der Rückseite des Gebäudes dem Garten zueilten dann wurde das schwere regelmäßige Auftreten des Buckeligen, als er ihnen durch die einsamen Gänge mit seiner Todeslast nachschritt, in entsetzlicher Deutlichkeit hörbar, dann verklang und erstarb auch dieser Ton und man hörte in dem Banketsaale nur noch das scharfe Klirren der immer noch von der Straße aus gegen die Stahlgitter geführten Streiche.

Jetzt wiederholten sich aber auch diese immer seltener, das feste Metall widerstand siegreich den äußersten Anstrengungen des erschöpften Pöbels, welcher es bestürmte, die Streiche wurden schnell schwächer und die Zahl derjenigen, welche sie führten, geringer; bald verminderten sie sich bis auf drei einander nach langen Pausen folgende, bald auf einen von tiefen verzweifelten Verwünschungen begleiteten und dann senkte sich eine Grabesstille auf den Palast und die Straße, wo vor wenigen Augenblicke noch solcher Lärm und Verwirrung das nächtliche Echo aufgeschreckt hatte.

Im Banketsaale ging diese schnelle Reihenfolge von Ereignissen, – die auf einige Minuten zusammengedrängten Wunder – an Vetranio und Marcus vorüber, wie Visionen, welche ihre Augen erblickten, die aber von ihrem Geiste weder aufgenommen noch begriffen wurden. Starr in ihrer hartnäckigen Gleichgültigkeit verharrend, von dem Schauspiele der ihnen drohenden, aber unschädlichen, entsetzlichen aber schnell vorübergehenden Gefahren, die sie umgaben, betäubt, bewegte von den Senatoren keiner eine Muskel, sprach Keiner ein Wort und diese Stille dauerte von der Periode an, wo Thascius dem Angriffe des Buckeligen unterlegen war, bis zu dem, wo der letzte Streich gegen die Palastgitter und die letzte Stimme aus der Straße verstummt waren. Dann lenkte sich der wilde Strom trunkenen Jubels, welcher während dieses kurzen Zwischenraumes unterbrochen gewesen war, wieder doppelt heftig in sein altes Bett. Sobald die warnenden, entsetzlichen Scenen, die sie erblickt hatten, vorüber waren, für dieselben bewußtlos, wendete sich Einer dem Andern mit einem Blicke triumphirender Leichtfertigkeit zu:

»Horcht!« rief Vetranio, »der Pöbel draußen ist bis zum letzten Augenblicke schwach und feig und gibt seine erbärmlichen Anstrengungen, meine Palastthore zu erbrechen, auf. Seht, unser Bankettisch ist immer noch vor dem Eindringen der empörten Sklaven geheiligt und mein Gast von den Todten hat sie vor sich hingetrieben, wie ein Hund die Heerde Schafe! Sprich Marcus, habe ich nicht wohl daran gethan, die Leiche an den Fuß unsers Bankettisches zu bringen? Welche Wunder hat sie nicht gethan, als sie der rasende Reburrus wie ein Panier der Heerschaaren des Todes vor uns her gegen die feigen Sklaven trug, deren passendstes Erbtheil die Unterdrückung und deren einziges Gefühl die Furcht ist! Seht, es steht uns frei das Banket, wie wir es beabsichtigt hatten, fortzusetzen und zu beenden! Die Götter selbst sind eingeschritten, um uns in Sicherheit über die übrigen Sterblichen, die wir verachten, zu erheben! Noch eine Gesundheit auf unsern geschiedenen Gast, der unter den Auspicien des allmächtigen Zeus das Werkzeug unserer Erlösung war.«

Von allen Zechern entsprach Marcus allein Vetranio’s Aufforderung. Diese beiden, – die letzten noch kampffähigen Streiter des Gelages, gingen, nachdem sie ihre Pokale auf die vorgeschlagene Gesundheit geleert hatten, langsam zu beiden Seiten des Zimmers hinab, blickten verächtlich auf ihre bewußtlosen Genossen nieder und verlöschten alle Lampen, bis auf die beiden über ihren Ruhebetten brennenden. Hierauf kehrten sie wieder nach dem obern Ende des Tisches zurück und nahmen ihre Plätze wieder ein, um sie nicht eher zu verlassen, als bis der Todeskampf entschieden und der Augenblick zum Anzünden des Scheiterhaufens gekommen sein würde.

Die Fackel lag zwischen ihnen, und neben ihnen standen die letzten Gefäße mit Wein. Die tiefe wieder im Palast herrschende Stille wurde durch kein Wort von ihren Lippen unterbrochen. Mit düster forschend auf einander gehefteten Augen leerten sie langsam und regelmäßig ihre Becher. Die Orgie, welche bisher ein Schauspiel brutaler Entartung und wilder Lust geboten hatte, nahm jetzt, wo sie sich blos auf zwei Männer beschränkte, an denen die eben erlebten Schreckensscenen gleich eindruckslos vorübergegangen waren und die mit einander wetteiferten, wem der höchste Grad der Entartung zu Theil werden sollte, – ein Aussehen kaum menschlichen Frevels an, sie wurde zu einem Kampfe um eine satanische Ueberlegenheit in der Sünde.

Eine Zeitlang war auf den Gesichtern der Nebenbuhler um den Selbstmord nur geringe Veränderung zu erblicken. Sie waren aber jetzt bis zu dem äußersten Punkte des Excesses gelangt, wo der Wein entweder als sein eigenes Gegengift wirkt, oder die Pulse des Lebens todtähnlich erstickt. Für beide nahte die Krisis des Kampfes und der Erste, über welchen sie hereinbrach, war Marcus. Vetranio bemerkte wie eine dunkle purpurne Röthe sein bisher blasses, fast farbloses Gesicht überzog. Seine Augen dehnten sich plötzlich weit auf, er rang nach Athem. Die Weinvase, aus der er mit einer letzten Anstrengung seinen Becher zu stillen versuchte, rollte aus seiner Hand auf den Boden. Er richtete sich halb auf und blickte seinen Genossen leichenstarr an, im nächsten Momente aber sank er ohne Wort oder Seufzer rückwärts auf sein Lager nieder.

Der Kampf der Nacht war entschieden. Der Wirth des Bankets und Herr des Palastes blieb allein aufgespart, um das Eine zu beenden und den Andern anzuzünden.

Ein boshaft triumphirendes Lächeln zog über Vetranio’s Lippen, als er jetzt aufstand und die letzte außer seiner eignen noch brennenden Lampe verlöschte. Sobald dies geschehen war, ergriff er die Fackel. Seine Augen schweiften, als er dieselbe erhob, träumerisch über seine prunkend aufgestellten Schätze und die Gestalten seiner todten oder bewußtlosen patrizischen Zechgenossen, die durch seine That im Feuer untergehen sollten. Das Bewußtsein seiner feierlichem nächtlichen Einsamkeit in seinem, dem Verderben geweihten Palaste begann wechselnde, lebhafte Eindrücke auf seinen Geist hervorzubringen, der jetzt unter der physischen Reaktion, die eben das Ausschweifende des nächtlichen Excesses in ihm hervorbrachte, wieder einen Theil seines gewohnten Scharfsinns erlangt hatte. Sein Gedächtniß begann in wirrer Reihenfolge die Scenen heraufzurufen, mit welchen das Gebäude, das er eben zu vernichten im Begriff stand, zu weit oder nahe zurückliegenden Perioden verbunden gewesen war. In dem einen Augenblicke stellte sich der Pomp früherer Gelage, die joviale Versammlung von seitdem entfernten oder gestorbenen Gästen vor ihn hin, in dem andern schien er wieder seine geheime Entfernung aus seinem Palaste in der Nacht von seinem letzten Feste, seine verstohlene Rückkehr mit der aus der Straße heraufgeschleppten Leiche, seine Mühe beim Aufrichten derselben hinter dem schwarzen Vorhange und dem Schreiben des Dialogs, der von dem Buckeligen hatte gesprochen werden sollen, durchzuspielen. Bald wendeten sich seine Gedanken den geringfügigsten Umständen der Verwirrung und dem Schrecken unter den Mitgliedern seiner Haushaltung zu, als sich die erste Noth der Stadt fühlbar zu machen begann; bald kehrten sie ohne deutlichen Zusammenhang oder Grund plötzlich zu dem Morgen zurück, wo er die einsamsten Pfade seines Gartens durcheilt hatte, um mit dem Verräther Ulpius an Numerian’s Gartenthür zusammenzutreffen. Von Neuem wurde das Bild Antoninens, das sich, seit das Original seinen Augen entschwunden war, so oft vor seine Einbildungskraft gestellt hatte, deutlich und wie handgreiflich vor ihm sichtbar. Er dachte an sie, wie sie zu seinen Knieen dem Klange seiner Laute lauschte – wie sie verwirrt und entsetzt in seinen Armen erwachte – wie sie verzweifelnd vor dem Grimme ihres Vaters floh wie sie jetzt nur zu gewiß todt in ihrer Schönheit und Unschuld unter den tausend Opfern der Hungersnoth und Pest dalag.

 

Diese und andere Gedanken, welche einander mit Sturmeseile in seinem Geiste folgten, brachten in der Todesabsicht, die sie aufhielten, keine Veränderung hervor. Sein Zögern beim Anzünden der Fackel war der bewußtlose Verzug des in seinem Entschlusse festen Selbstmörders, ehe er den Giftbecher an seine Lippen hebt, – wo das Leben als etwas Vergangenes vor ihm aufsteigt, und er einen furchtbaren Augenblick lang auf der dunkeln Schwelle zwischen der Gegenwart und Zukunft steht – nicht mehr der Pilger der Zeit, – noch nicht der Erbe der Ewigkeit.

So stand der einsame Herr des großen Palastes in der dämmernd erleuchteten Halle, umgeben von den Opfern, die er vor sich dem Tode zugejagt hatte, und so sprachen die geheimnißvollen Stimmen seiner letzten irdischen Gedanken in seinem Innern. Allmälig wurden sie leiser, endlich hörten sie ganz auf und Stille und Oede legten sich wie dunkle Schleier über seinen Geist. Er schrak wie aus einem Traume erweckt auf, er fühlte wieder die Fackel in seiner Hand und von Neuem wurde in seinen Augen der Ausdruck wilder Verzweiflung sichtbar, als er dieselbe, ohne zu beben, an der Lampe über sich anzündete.

Der Thau sank rein auf die befleckte Erde nieder, der leichte Morgenwind sang seine leise Dämmerhymmne im Laube an die Macht, welche ihn hervorgerufen; die Nacht war verblichen und der Morgen bereits aus ihr geboren, als Vetranio mit der brennenden Fackel in der Hand auf die angehäuften Brennstoffe zuschritt.

Schon hatte er den größten Theil des langen Zimmers durchmessen, als plötzlich ein schwaches Geräusch von Schritten die eine nach dem Palastgarten führende und mit dem untern Ende der Bankethalle durch eine kleine Thür mit eingelegtem Elfenbein in Verbindung stehende Treppe heraufstiegen, seine Aufmerksamkeit erregte. Er zauderte in seinem Todesbeginnen und lauschte auf den langsam und regelmäßig näher kommenden Ton, der so schwach er auch war, doch in dem öden Schweigen, welches ihn umgab, geheimnißvoll eindringlich an sein Ohr schlug. Mit hoch über den Kopf, gehaltener Fackel heftete er seine Augen in gespannter Erwartung auf die Thür, sie öffnete sich und vor ihm stand die Gestalt eines jungen weißgekleideten Mädchens. Auf einen Moment blickte er es mit verwirrten Augen an, im nächsten sank die Fackel aus seiner Hand und glimmte unbeachtet auf dem Marmorboden fort – es war Antonina.

Ihr Gesicht war von einer seltsamen durchsichtigen Blässe überzogen – ihre einst weichen runden Wangen hatten ihre mädchenhafte Schönheit der Form verloren, ihr unaussprechlich wehmüthiger, hoffnungsloser, milder Ausdruck warf eine einfache geistige Feierlichkeit über ihre ganze Erscheinung. Sie war für den ausschweifenden Senator eine ganz Andere, furchtbar Andere geworden, als das Wesen seiner frühern Bewunderung, aber in ihren verzweifelten Augen war noch genug von dem alten Blicke der Sanftmuth und Geduld vorhanden, der alle Qual und Furcht überlebt hatte, um sie selbst so, wie sie jetzt war, mit ihrem frühern Wesen in Verbindung zu erhalten. Sie stand als ein schwaches hülfloses Geschöpf in dem Gemache der Ausschweifung und des Selbstmordes, zwischen dem Scheiterhaufen und dem verzweifelten Manne, der ihn anzuzünden gelobt hatte, aber gewaltig war der Einfluß ihrer Gegenwart in einem solchen Augenblicke und in einer solchen Gestalt, als rettender, tadelnder, mit der Allmacht des Himmels zur Umschmelzung der Pläne des Menschen bewaffneter Geist.

Eingeschüchtert und mit Erstaunen, als erblicke er eine Erscheinung des Grabes, schaute Vetranio auf das junge Mädchen, welches er mit der am wenigsten selbstsüchtigen Leidenschaft, die er je gehegt, geliebt hatte, die mit dem aufrichtigsten Kummer, den er je gefühlt, schon längst als verloren und todt beklagt worden war, die er jetzt in dem Augenblicke, wo er sich dem Tode weihen wollte, verändert, trostlos, flehend – mit Empfindungen die ihn in sprachloser Verwunderung und selbst Furcht erhielten, vor sich stehen sah.

Während er noch stumm auf sie blickte, hörte er sie in leisen wehmüthigen, stehenden Tönen zu sich sprechen, die nach den Stimmen des Schreckens und der Verzweiflung, die sich die Nacht über um ihn erhoben hatten, auf sein Ohr fielen, wie Töne, die noch nie an dasselbe gerichtet worden waren.

»Numerian, mein Vater, erliegt dem Hunger,« begann sie; »wenn ihm keine Hülfe gewährt wird, so stirbt er vielleicht noch vor Sonnenaufgang. Du bist reich und mächtig. Ich komme zu Dir, da ich außer seinem Leben jetzt nichts mehr habe, wofür ich leben möchte, um Nahrung für ihn zu erbitten!«

Sie hielt, für den Augenblick unfähig weiter zu sprechen, inne und heftete ihre Augen sehnsüchtig auf des Senators Gesicht. Dann, als sie sah, daß er sich umsonst bemühte ihr zu antworten, senkte sich ihr Kopf auf ihre Brust nieder und ihre Stimme sank noch leiser, indem sie fortfuhr.

»Ich habe die lange Nacht hindurch, die jetzt vergangen ist, unter Kummer und Schmerz nach Geduld gerungen; meine Augen waren schwer und mein Geist war schwach; ich würde gern in meiner Einsamkeit und Schwäche meinen Geist an Gott, der ihn geschenkt, zurückgegeben haben, wäre es nicht meine Pflicht gewesen, jetzt für mein und meines Vaters Leben zu ringen, da ich ihm, nachdem ich alles Andere verloren, zurückgegeben bin! Ich konnte weder denken noch mich bewegen, noch weinen als ich auf Deinen Palast herauf schaute und die Stunden der Finsterniß durchwachte und durchharrte, aber als der Morgen graute, wurde Last auf meinem Herzen leichter. Ich gedachte, daß der Palast, den ich vor mir sah, der Deine war, und wenn auch die Thore geschlossen waren, wußte ich doch, daß ich ihn durch Deinen Garten, der an meines Vaters Land stößt, erreichen konnte. Ich hatte in Rom Keinen, bei dem ich um Mitleid zu bitten wußte, als Dich und ich habe mich daher schnell aufgemacht, ehe mich meine Schwäche überwältigte. Ich gedachte, daß ich von Deinen Händen viel Elend erlitten, aber hoffte, daß Du mich um das, was ich geduldet, bedauern würdest, wenn Du mich wieder sähest. Ich bin müde und matt durch den Garten gekommen. Es dauerte lange, ehe ich mich hierher fand, willst Du mich eben so hülflos, wie ich gekommen bin, wieder zurücksenden? Du hast mir zuerst gelehrt, meinem Vater ungehorsam zu sein, indem Du mir die Laute gabst, wirst Du Dich jetzt weigern mir zu helfen und ihn zu unterstützen? Er ist Alles, was mir in der Welt geblieben ist! Habe Erbarmen mit ihm! habe Erbarmen mit mir

Von Neuem blickte sie in Vetranio’s Gesicht auf, seine bebenden Lippen bewegten sich, aber noch immer drang aus ihnen kein Laut. Auf seinen Zügen herrschte noch immer der Ausdruck der Verwirrung und der Verschüchterung, als er langsam nach dem obern Ende des Bankettisches deutete. Für sie war diese einfache Handlung beredter, als es alle Reden gewesen sein würden. Sie lenkte ihre schwachen Schritte augenblicklich der von ihm angedeuteten Richtung zu.

Er sah sie im Lichte der einzigen noch brennenden Lampe stark in der beschirmenden Begeisterung ihrer guten Absicht zwischen den Körpern seiner Selbstmordsgenossen hindurchgehen, ohne auf ihrem Pfade zu verweilen. Als sie an das obere Ende des Zimmers gelangt war, nahm sie eine Flasche Wein von dem Tische und von dem hölzernen Gestell dahinter die Schüssel mit Nahrung, welche die Gäste des Todesbankets verschmäht hatten. Hierauf kehrte sie augenblicklich wieder zu der Stelle zurück, wo Vetranio noch immer stand. Hier hielt sie einen Augenblick an, als wolle sie noch einmal sprechen, ihre Stimme wurde aber von ihren Empfindungen erstickt. Aus den Quellen, die die Verzweiflung und das Leiden vertrocknet hatte, flossen die lange eingekerkerten Thränen, auf das Gebot der Dankbarkeit und Hoffnung, noch einmal wieder hervor. Sie blickte eben so stumm wie der Senator zu ihm auf, und der Ausdruck, welchen sie in diesen« Augenblicke zeigte, war dazu bestimmt, – in seinem Gedächtnisse zu bleiben, so lange er dieses selbst noch hatte. Darauf entfernte sie sich mit schwankenden, hastigen Schritten auf dem Wege, den sie beim Kommen eingeschlagen hatte, und er blieb von Neuem in dem großen Palaste, den sein schlimmer Einfluß über den Willen Anderer zu einem Gebeinhause gemacht hatte, allein.