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Antonia

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Er schwieg einen Augenblick, nicht um auf die Worte der Ermuthigung und Hoffnung zu hören, welche Antonina mechanisch an ihn richtete, sondern um seine zerstreuten Gedanken zu ordnen, um seine ihn verlassenden Kräfte zu sammeln. Seine Worte wurden schneller und seine Züge ließen eine plötzlich erwachte Energie und Eindringlichkeit des Ausdruckes wahrnehmen, als ob ihm ein neuer Plan vor den Geist getreten sei und nach einer Pause fuhr er folgendermaßen fort:

»Wenn aber auch mein Kind verwaist, wenn ich auch in der Stunde sterben werde, wo ich mich am meisten sehnte für sie zu leben, so darf ich sie doch nicht hülflos zurücklassen, ich werde sie unter meine Gemeinde senden, die mich verlassen hat, die aber, wenn sie hört, daß ich todt bin, Reue fühlen und Antoninen – um meinetwillen aufnehmen wird. Höre mich an – höre, höre! Du mußt ihnen sagen, daß sie sich an Alles erinnern, was ich ihnen einst von meinem Bruder enthüllt habe, von dem ich in meinen Knabenjahren geschieden bin, von meinem Bruder, den ich seitdem nie wieder gesehen habe. Er kann noch am Leben sein – vielleicht ist er zu finden, – man muß nach ihm suchen, denn er würde für die Vaterlose ein Vater und für die Unbehütete ein Schützer sein. Vielleicht ist er jetzt in Rom – vielleicht ist er reich und mächtig vielleicht hat er Nahrung, die er entbehren kann und ein Haus, welches gegen alle Feinde und Fremde gut ist. Achte auf meine Worte, Kind! In den letzten Tagen habe ich viel an ihn gedacht, ich habe ihn im Träumen gesehen, wie ich ihn zum letzten Male in meines Vaters Hause sah. Er war glücklicher und wurde mehr geliebt als ich, und ich verließ meine Eltern in Neid und Haß und trennte mich von ihm. Du hast davon nichts gehört, aber Du mußt es jetzt hören, damit Du, wenn ich todt sein werde, weißt, daß Du einen Beschützer hast, den Du aufsuchen kannst. Ich nahm meines Bruders Lebewohl im Zorne auf und floh mein Vaterhaus – jene Tage waren mir einst wohl erinnerlich, aber jetzt wird mein Gedächtniß für Alles stumpf – lange Jahre des Drängens und Treibens gingen vorüber und ich habe ihn nie gesehen und Menschen von vielen Nationen sind meine Genossen gewesen, aber er war nicht unter ihnen. Dann wurde mir viel Kummer zu Theil und ich bereute und lernte Gott fürchten, und ging nach dem Hause meines Vaters zurück. Seitdem sind Jahre vergangem wie viele weiß ich nicht. Ich hätte sie zählen können, als ich mit ihm, – mit meinem frühern Freunde bei der St. Peterskirche sprach, wie wir, ehe die Stadt belagert wurde, auf den Sonnenuntergang hinausblickten und von den frühern Tagen unserer Genossenschaft redeten. Jetzt aber verläßt mich das Gedächtniß, der Hunger und Tod, von dem wir mit Trennung bedroht werden. verdunkelt meine Gedanken, aber höre mich, höre mich geduldig, – um Deinetwillen muß ich fortfahren.

»Mein Vaterhaus war verschwunden, als ich ankam, um es wieder zu sehen, andere Häuser standen an dem Orte, wo meines Vaters Haus gewesen war, Niemand konnte mir etwas von meinen Eltern und meinem Bruder sagen; dann kehrte ich. zurück und meine frühern Genossen wurden meinen Augen verhaßt. Ich verließ sie und sie verfolgten mich mit Haß und Spott. – Höre, höre! ich ging heimlich und bei Nacht mit Dir fort, um ihnen zu entrinnen und meine Besserung vollkommen zu machen, wo sie nicht in der Nähe sein würden, um mich daran zu hindern, und wir reisten viele Tage lang weiter, bis wir nach Rom kamen und ich nahm dort meine Wohnung; aber ich fürchtete, daß meine Genossen, die ich verabscheute, mich wieder entdecken und verfolgen könnten und in der neuen Stadt meines Wohnens nannte ich mich mit einem andern Namen, als demjenigen, welchen ich trug, und so wußte ich, daß jede Spur von mir verloren gehen und ich vor Menschen, an die ich jetzt nur wie an Feinde dachte, sicher sein würde. Gehe hin! geh schnell! – bringe Deine Schreibtafel und schreibe die Namen, welche ich Dir nennen werde, nieder, denn dadurch wirst Du Deinen Beschützer entdecken, wenn ich gestorben bin! Sage ihm nicht, Du seist das Kind Numerian’s, er kennt den Namen nicht. Sage, Du seist die Tochter Cleander’s, seines Bruders, der in der Sehnsucht starb, ihm wieder gegeben zu werden. Schreibes schreibe sorgfältig, Cleander – das war der Name, den mir mein Vater gab, – das war der Name, den ich trug, bis ich meinen bösen Genossen entfloh und ihn aus Furcht vor ihrer Verfolgung veränderte! Cleander! schreib und erinnere Dich: Cleander! Ich habe in Träumen gesehen, daß mein Bruder entdeckt werden wird. Ich werde ihn nicht entdecken, aber Du wirst ihn finden! Deine Schreibtafel! Deine Schreibtafel, schreibe seinen Namen und, den meinen, – er heißt: —«

Er hielt plötzlich inne. Seine, zwischen Erstarrung und Belebung schwankenden, von den Prüfungen, welche sie überstanden hatten, erschütterten aber nicht überwältigten Geisteskräfte, sammelten sich plötzlich, nahmen wieder etwas von ihrem gewohnten Gleichgewichte an und erwachten zu einem Gefühle ihrer eignen Abschweifung. Seine unbestimmten Enthüllungen aus seinem frühern Leben – die der Leser als seine im ersten Bande erzählten Mittheilungen, gegen den flüchtigen Landmann, über denselben Gegenstand, ähnlich erkennen wird, traten jetzt in aller ihrer Zusammenhangslosigkeit und Nutzlosigkeit vor ihm. Sein Gesicht nahm einen niedergeschlagenen Ausdruck an, er seufzte bitterlich vor sich hin:

»Die Vernunft beginnt mich zu verlassen! – meine Urtheilskraft, die mein Kind führen – meine Standhaftigkeit, die es aufrecht erhalten sollte, verläßt mich! – wie soll sie meinen Bruder finden, der mir seit meinen Knabenjahren verloren ist! Gegen die Hungersnoth, wovon wir bedroht werden, kann ich Dir nur eitle Worte bieten! schon sinken ihre Kräfte, ihr Gesicht auf das ich zublicken liebte, erbleicht vor meinen Augen! Gott sei uns gnädig! – Gott sei uns gnädig!«

Er kehrte schwach auf sein Lager zurück, der Kopf sank ihm auf die Brust; von Zeit zu Zeit ging ein leises Stöhnen über seine Lippen, aber er sprach nichts weiter:

So tief auch die Erschöpfung war, in welcher er sich jetzt befand, war es doch für Antoninen weniger peinlich sie zu erblicken, als die zusammenhangslosen Enthüllungen zu hören, welche vor kaum einem Augenblicke seinen Lippen entfallen waren, und die, wie sie in ihrem Erstaunen und Schrecken gefürchtet hatte, die entsetzlichen Zeichen des Umsturzes der Vernunft ihres Vaters sein konnten. Als sie sich wieder neben ihm niederließ, fühlte sie mit Beben, daß ihre eigene Ermüdung nahe daran war, sie zu überwältigen, aber sie fuhr fort mit ihrer wachsenden Verzweiflung zu ringen, bemühte sich fortwährend, nur aus Fähigkeit zum Leiden und Aussichten der Erlösung zu sinnen.

Die Minuten zogen jetzt traurig durch das trübe Schweigen hin, die schwachen Lüftchen erhoben sich und verschwanden in langen Zwischenräumen, wie man es an den durch das offene Fenster herein dringenden Lufthauche erkennen konnte. Die Sonnenstrahlen erglänzten und trübten sich abwechselnd, wie die Wolken in lustiger Reihenfolge über das Antlitz des Himmels zogen. Die Zeit schritt streng in ihrem bestimmten Gange vorwärts und die Natur bewegte sich ruhig; durch die ihr zugewiesenen Grenzen der Veränderung; aber immer noch beschäftigten ihren Geist keine Hoffnungen, keine rettenden Pläne, nichts als dunkle Erinnerungen und schmerzliche Erwartungen.

Schon senkte sich ihr müdes Haupt dem Boden zu, – schon schienen Bewußtsein und Stärke und der Schmerz selbst, in einem traumlosem todtähnlichen Schlafe unterzugehen, als sich plötzlich ein letzter Gedanke, dessen Verbindung und Grund sie nicht zu ersehen vermochte, in ihr erhob, und sie belebte, erweckte, begeisterte. Sie sprang auf.

»Der Garten, Vater, der Garten»rief sie athemlos, – erinnere Dich an die Nahrung, die unten in unserm Garten wächst! Tröste Dich, wir haben noch Mundvorräthe! Gott hat uns nicht verlassen!«

Er erhob bei ihren Worten den Kopf; seine Züge nahmen einen noch traurigeren und hoffnungsloseren Ausdruck an; er blickte mit ominösem Schweigen auf sie und legte seine zitternden Finger auf ihren Arm, um sie zurückzuhaltem als sie hastig das Zimmer zu verlassen versuchte.

»Verbiete mir nicht, mich zu entfernen!« bat sie ängstlich, »mir ist jeder Winkel des Gartens bekannt, denn in glücklicheren Tagen war er mein Besitzthum – unsere letzten Hoffnungen beruhen auf dem Garten und ich muß ihn ohne Säumen durchsuchen.«

»Habe Geduld mit mir,« fügte sie mit leisem wehmüthigen Tönen hinzu; »habe Geduld mit mir, theurer Vater, bei dem, was ich jetzt thun möchte. Ich habe, seit wir von einander geschieden sind, einen bittern Schmerz erlitten, welcher sich dunkel und schwer an alle meine Gedanken hängt. Für mich gibt es keinen Trost mehr, als das Vorrecht für Dein Wohlergehen zu sorgen. – Meine einzige Hoffnung auf Glück liegt in der Beschäftigung, um Dich zu unterstützen.«

Die Hand des Greises legte sich, während sie ihn anredete, schwerer auf ihren Arm, als sie aber schwieg, sank sie von demselben nieder und er neigte mit sprachloser Fügung in ihren Willen das Haupt. Einen Augenblick verweilte sie noch und sah ihn eben so stumm an, wie er selbst war, im nächsten verließ sie mit hastigem ungewissen Schritten das Zimmer.

Als sie in den Garten gelangte, schlug sie, ohne es selbst zu wissen, den Pfad ein, welcher nach der Bank führte, wo sie einst gern insgeheim auf ihrer Laute gespielt, nach den fernen Bergen hinaus-geblickt hatte, die in der warmen Atmosphäre ruhten, welche die Sommerabende über ihre blaue Kette ergossen. Wie beredt sprach die kleine Stelle, von den stillen Ereignissem die jetzt aus ewig verschwunden waren, von den Hoffnungen, den glücklichen Beschäftigungen welche sich mit dem Tage, der sie verzeichnet, erheben und gleich diesem Tage vergehen, um nie wieder als dieselben zurückzukehren! – die das Gedächtniß allein aufzubewahren vermag, wie sie waren, und die das Herz nur in veränderter Form wieder aufnehmen kann, wo sie der Gegenwart des Gefährten, des Verfalles des entschwundenen Augenblickes beraubt sind, der den Zauber der Vergangenheit bildete und die Unvollkommenheit des Gegenwärtigen ausmacht.

 

Zart und dicht gedrängt waren die Erinnerungen, die die Gegenstände im Garten heraufbeschworen, als die trübe Herrin desselben wieder auf ihr kleines Gebiet blickte. Sie sah die Bank, wo sie sich nie wieder mit den gleichen Gefühlen zum Singen niedersetzen konnte, wie sie einst ihre Musik begeistert hatten – sie sah die welken Blumen, die sie nie wieder mit demselben kindergleichen Genusse an der Arbeit zu pflegen vermochte, welche dieselbe in frühern Stunden erheitert hatte! So jung sie auch noch war, konnten doch die Empfindungen der vergangenen Jugendtage nie wieder belebt werden, wie sie einst existirten! Sie waren wie Gewässer aufgequollen und Gewässern gleich hinweggeströmt, um nie wieder zu ihrer Quelle zurückzukehren. Gedanken an diese vergangenen Jahre – an den jungen Krieger, der kalt unter der Erde lag, – an den entmuthigten Vater, der hoffnungslos im obern Zimmer trauerte, legten sich dicht an ihr Herz, als sie sich von ihren Blumenbeeten abwendete – nicht wie in frühem Tagen, um ihr Glück zur Musit ihrer Laute ausströmen zu lasseu, sondern um mühsam nach Mitteln zur Erhaltung des Lebens zu suchen.

Als sie sich über die Stellen des Gartens niederbeugte, wo sie wußte, daß Früchte und Gemüse von ihrer eignen Hand gepflanzt worden waren, wurde sie von ihren Thränen fast blind gemacht – sie strich dieselben hastig aus den Augen und blickte sich begierig um.

Ach! Andere hatten das Feld abgeerntet, von welchem sie Ueberfluß gehofft hatte.

In den ersten Tagen der Hungersnoth war Namerian’s Gemeinde in den Garten gekommen und hatte für ihn gesammelt, was derselbe enthielt. Seine köstlichsten Produkte waren eben so gut erschöpft, wie seine gewöhnlichsten. Auf der kahlen Erde lagen welke Blätter, und nackte Zweige schwankten über ihnen in der Luft. Sie wanderte von Pfad zu Pfad und suchte unter den Dornen und Disteln umher, welche bereits dem verlassenen Garten das Aussehen einer Ruine gaben; sie erforschte seine verborgensten Winkel mit der peinlichen Ausdauer der Verzweiflung, aber überall, wohin sie sich wenden mochte, breitete sich die gleiche Unfruchtbarkeit um sie aus. Auf der einst fruchtbaren Fläche, welche sie mit so freudigem Glauben an ihre Hülfsquellen betreten hatte, waren nur noch einige halbverdorbene Wurzeln zu finden, die vergessen unter verschlungenem Unkraut und verwelkten Blumen lagen.

Sie sah, als sie die Wurzeln einsammelte, daß sie kaum für eine spärliche Mahlzeit hinreichend waren und kehrte langsam nach dem Hause zurück. Kein Wort entfloh ihr, keine Thräne floß über ihre Wangen, als sie die Stufen wieder hinaufstieg – Hoffnung, Furcht, Denkkraft, ja das Bewußtsein selbst, waren in ihr von dem ersten Augenblicke an betäubt, wo sie entdeckt hatte, daß im Garten, wie im Hause, die letzten Aussichten auf Hülfe von der unerbittlichen Hungersnoth geraubt worden waren.

Sie trat in das Zimmer und ging mit den verdorbenen Wurzeln in den Händen mechanisch auf ihren Vater zu. Während ihrer Abwesenheit waren seine Geistes und Körperkräfte der Ermattung gewichen, – er lag in einem tiefen, schweren Schlafe. Ihr Geist fühlte eine schwache Erleichterung, als sie sah, daß die schlimme Notwendigkeit, das Fehlschlagen der Hoffnungen, die sie selbst erweckt hatte, zu gestehen, ihr noch auf einige Zeit erspart blieb. Sie kniete neben Numerian nieder und glättete sanft das Haar auf seiner Stirn, – dann zog sie die Gardine über das Fenster, denn sie fürchtete selbst, daß das hereinwehende Lüftchen ihn aufwecken könne. Eine seltsame, geheimnißvolle Freude über die Idee, ihren Vater jeden Augenblick der Zeit und jedes Theilchen der Kraft zu weihen, die ihr noch geblieben sein mochte, eine bereitwillige Ergebung in den Tod, in das Sterben für ihn, breitete sich über ihr Herz aus und trat an die Stelle aller andern Wünsche und Gedanken.

Sie bewegte sich jetzt mit einer vorsichtigen Stille, welche nichts unterbrechen konnte, durch das Zimmer, sie bereitete ihre Wurzeln mit einer geduldigen Aufmerksamkeit, die nichts abzulenken vermochte, zur Speise. Durch das tiefe Elend ihrer Lage, ihrem frischem Schmerze und ihrer gegenwärtigen Besorgniß entrissen, konnte sie noch instinktmäßig die einfachen Geschäfte der Gattin und Tochter verrichten, wie sie es unter einem friedlichen Volke und in einer behaglichen Familie gethan haben würde. So überleben sich die erstgeborenen Neigungen des Herzens, die Erschöpfung aller der stürmischen Gefühle, aller aufstrebenden Gedanken späterer Jahre, die den Geist zu beschäftigem aber nie gänzlich auszufüllen im Stande sind.

So spricht ihre freundliche, vertraute Stimme, wenn der Lärm der streitenden Leidenschaften verklungen ist, wieder ruhig und stützend, wie in alter Zeit, wo der Geist sich in den Grenzen seiner angeborenen Einfachheit sicher bewegte und das Herz noch in der reinen Stille seiner ersten Ruhe lag.

Das letzte, kärgliche Maß von Nahrung war bald bereitet, es war, als sie es kostete, bitter und unschmackhaft, – das Leben konnte selbst bei den Kräftigsten, kaum durch so geringe Nahrung bewahrt werden, aber sie setzte dieselbe so sorgfältig bei Seite, als ob es die feinste Leckerei des reichlichsten Mahles gewesen wäre.

Während ihrer einsamen Beschäftigung hatte sich nichts verändert – ihr Vater schlief noch, auf der Straße herrschte noch das frühere düstere Schweigen. Sie stellte sich an das Fenster und zog theilweise den Vorhang bei Seite, um die warmen Lüfte von außen auf ihrer kalten Stirn spielen zu lassen. Dieselbe unnennbare Resignation, dieselbe unnatürliche Ruhe, welche seit ihrem Eintreten in das Zimmer über ihre Kräfte herabgesunken war, überzog dieselben auch jetzt noch. Die sie umgebenden Gegenstände vermochten ihre Aufmerksamkeit nicht anzuregen, alle Erinnerungen und Ahnungen waren in ihrem Geiste zum Stillstande gekommen. Auf ihren Zügen herrschte Marmorstarrheit; mitunter schweiften ihre Augen mechanisch von der Speise neben ihr, auf ihren schlummernden Vater, als ihre einzige Idee in seinem Dienste zu wachen, bis die schwachen Pulse des Lebens den letzten Schlag gethan haben würden, abwechselnd auflebte und schwächer wurde – sonst aber waren an ihr keine Zeichen körperlichen Lebens oder geistiger Thätigkeit mehr zu erblicken. Es gab Momente, wo sie, wenn man sie in dem halbverdunkelten Zimmer mit ihren blassen, ruhigen Zügen, mit ihrer, in kalte weiße Gewänder gehüllten, bewegungslosen Gestalt neben dem Bette, auf welchem ihr Vater ruhte, erblickt hatte, ausgesehen haben würde, wie eine von den frommen Büßerinnen der Urkirche, die zum Wachen im Hause der Trauer bestimmt, durch das Erscheinen des Todes ein ihrer heiligen Vigilie überrascht worden wäre.

Die Zeit verfloß – die monotonen Stunden des Tages schritten wieder der Nacht zu und Pest und Hungersnoth verkündeten ihr Verstreichen aus den vom Unglück geschlageiieti Straßen und Plätzen Roms. Für Vater und Kind war der Sand im Stundenglase dem Verrinnen nahe und keines von Beiden bemerkte dessen Verminderung. Der Schläfer ruhte immer noch und die Wächterin an seiner Seite wachte fortwährend – aber jetzt lenkte sich ihr matter Blick unwillkürlich durch den Ton von Stimmen angezogen, die endlich von Zeit zu Zeit von der Straße aufstiegen, hinab auf das Licht der Fackeln und Lampen, die in dem großen Palaste des Senators sichtbar wurden, als sich die Sonne allmälig zum Horizonte senkte und die feurigen Wolken des Abends in den Dünsten der vorschreitenden Nacht erloschen. Sie blickte fest auf das Schauspiel unter und vor ihr hinab, aber selbst jetzt noch bewegten sich weder ihre Glieder, noch wurde der bewegungslos feierliche Friede ihrer Züge gestört.

Das weiche, kurze Zwielicht senkte sich auf die Erde und ließ den kalten Mond erblicken, der einsam am sternenlosen Himmel schwebte, – dann stieg, auf das blasse Zeichen seines Erscheinens leise die Finsterniß auf, und umschloß langsam die Stadt des Todes.

Kapitel III
Das Banket des Hungers

Von allen Prophezeihungen trifft wohl keine seltener ein, als die, welche wir uns am leichtesten erlauben, wenn wir die Einwirkung äußerer Ereignisse auf den Charakter der Menschen vorher sagen wollen. Keine Form unserer Vermuthungen trügt häufiger, als solche Bemühungen, im Voraus den Einfluß der Umstände auf das Benehmen nicht nur Anderer, sondern sogar unserer selbst abzuschätzen. Das Ereigniß tritt ein und Menschen, die wir aus dem Gesichtspunkte betrachten, welcher uns unsere frühere Beobachtung derselben gewährt, handeln unter dem Einflusse desselben, wie lebende Widersprüche ihres eignen Charakters. Der Freund unsers täglichen, geselligen Verkehrs im Leben und der Lieblingsheld unserer historischen Studien, setzen uns glei sehr in Erstaunen, übertreffen oder täuschen unsere Erwartungen gleich stark. Wir erkennen es als eben so vergeblich, für die willkürlichen Widersprüche in dem Charakter der Menschen einen Grund vorauszusehen, wie demselben eine Grenze anzuweisen.

Wiewohl aber, das Aufstellen von Vermuthungen über das künftige Benehmen Anderer unter bevorstehenden Ereignissen nur zu oft an den Tag legt, wie trügerisch unsere weisesten Erwartungen sind, so ist doch die Betrachtung der Art dieses Benehmens nachdem es stattgefunden hat, ein nützlicher Gegenstand unserer Wißbegier und kann vielleicht sogar zu einer fruchtbaren Quelle von Belehrungen gemacht werden. Gleichartige Ereignisse, die einander in verschiedenen Perioden folgen, werden durch die stets wechselnden Wirkungen, welche sie auf den menschlichen Charakter ausüben, von Einförmigkeit befreit und erlangen durch dieselben neue Wichtigkeit. So finden wir in Bezug auf das große Ereigniß, auf welches sich unsere Erzählung gründet, in der Belagerung von Rom, als einen bloßen historischen Vorfall betrachtet, nur wenig, wodurch es sich bedeutend von irgend einer frühem Belagerung der Stadt unterschiede – dasselbe Streben nach Ruhm und Rache, Reichthum und Gewalt, welches Alarich vor die Mauern der Stadt führte, hatte vor ihm auch andere Eroberer hergezogen. Beobachten wir aber die Wirkung des gothischen Einfalles in Italien auf die Bewohner seiner Hauptstadt, so finden wir reichlichen Stoff zu neuen Betrachtungen und unbegrenztem Erstaunen.

Wir erblicken als überraschendes Beispiel der Widersprüche im menschlichen Charakter, das Schauspiel eines ganzen, bereits von dem höchsten Gipfel des Nationalruhmes, zu den niedrigsten Tiefen der Nationalentartung, herabgesunkenen Volkes, welches an seiner Thür von einem übermächtigen fremden Einfalle bedroht wird und doch trotz allem was die weit verbreitete Niedrigkeit seines früheren Charakters uns hätte erwarten lassen sollen, seinen Feinden, um der Ehre des römischen Namens willen, den es seit Jahrhunderten entehrt hatte, mit unbeugsamer Hartnäckigkeit Widerstand leistet. Wir sehen Männer, die bisher selbst das Wort Patriotismus verlacht haben, jetzt entschlossen für ihr Vaterland dem Hungertode entgegen gehen; die vor keiner Schurkerei zurückbebten, um Reichthum zu erlangen, jetzt anstehen, ihren übel erworbenen Gewinn zum Erkaufen des wichtigsten aller Genüsse – ihrer eignen Sicherheit und des Friedens anzuwenden. Man könnte aus allen Klassen, von den niedrigsten bis zu den höchsten, Beispiele der unahnbaren Wirkung ziehen, welche das Ereigniß der Belagerung Roms auf die Bewohner der Stadt übte, wenn wir dieselben aber hier mittheilen wollten, würde der Fortgang unserer gegenwärtigen Erzählung eine zu lange Unterbrechung erleiden müssen. Wenn wir über einen solchen Gegenstand auf Einzelheiten eingehen sollen, so darf es nur in einem Falle geschehen, welcher mit den wirklichen Erfordernissen unserer Geschichte im klaren Zusammenhange steht und ein solcher Fall ist gegenwärtig in dem Benehmen des Senators Vetranio unter dem Einflusse der äußersten Leiden, von welchen die Blockade Roms durch die Gothen begleitet wurde, zu finden.

Wer, könnte man fragen, – wenn man den frühern Charakter dieses Mannes, seine Frivolität, sein üppiges Verlangen nach ununterbrochenen Genuß und Behag1ichkeit, seinen Schrecken vor der leisesten Annäherung des Schmerzes oder Unglücks kennt, – könnte sich ihn als fähig vorstellen, geringschätzig alle Aussichten auf gegenwärtige Sicherheit und künftiges Wohlseim die ihm seine unbegrenzte Macht und sein ungeheurer Reichthum selbst in einer von Hungersnoth verheerten Stadt hätte verschaffen können, von sich zurückzuweisen und plötzlich mit dem Entschlusse das Leben in dem Augenblicke als werthlos aufzugeben, wo es nichts mehr den ruhigen Fortgang früherer Jahre besaß, den höchsten Gipfelpunkt der verbrecherischen Verzweiflung zu besteigen! Und doch war er jetzt zu diesem Entschlusse gelangt und hatte, was noch außerordentlicher erscheint, andere patricische Standesgenossen gefunden, die sich ihm bei der Ausführung desselben anschlossen.

 

Der Leser wird sich seiner phantastischen Ankündigung von der bevorstehenden Orgie gegen den Präfekten Pompejanus, während des ersten Theiles der Belagerung entsinnen, diese Ankündigung sollte jetzt ausgeführt werden.

Vetranio hatte seine Gäste zum Banket des Hungers geladen. Eine auserwählte Anzahl von den Senatoren der großen Stadt wollten ihren Muth dadurch an den Tag legen, daß sie als die Genußmenschen starben, als welche sie gelebt hatten, daß sie verächtlich alle Aussichten auf das Verhungern, wie der gemeine Haufen, an einer täglich geringer werdenden Quantität widerlicher Nahrung von sich warfen, daß sie in Weinfluthen ertränkt und von dem Feuer des reichsten Palastes von Rom beschienen, triumphirend ein beengtes, genußloses Leben verließen.

Man hatte die Absicht gehabt, über diesen rasenden Entschuß das tiefste Geheimniß zu bewahren, die ungeheure Katastrophe gleich einem Wunder des Himmels auf die noch übrigen Bewohner der Stadt hereinbrechen zu lassen, aber die mit der Organisation des Selbstmörderbankets beauftragten Sklaven, waren mit Wein zu ihrer Aufgabe geneigt gemacht worden und hatten in der Sorglosigkeit des Rausches, das innerhalb der Palastmauern Gehörte mitgetheilt. Die Neuigkeit ging von Mund zu Mund. Die Aussicht, den brennenden Palast und den trunkenen Selbstmord seiner verzweifelten Gäste zu erblicken, war hinreichend, um selbst die erstarrte Neugier des verhungernden Pöbels zu beleben.

Am angesetzten Abend schleppte das Volk seine matten Glieder aus allen Theilen der Stadt dem Monte Pincio zu. Viele starben unterwegs, Viele gaben den Entschluß, sich bis ans Ziel des Weges zu begeben, auf und suchten mürrisch in den leeren Häusern am Wege ein Obdach, Viele fanden Gelegenheit zum Raube und Verbrechen, welche sie von ihrem Bestimmungsorte ablockten, – aber Viele verharrten in ihrem Vorsatze und die Lebenden schleppten die Sterbenden mit, die Verzweifelten trieben die Feigen in boshaftem Scherze vor sich hin, bis sie vor die Palastthore gelangten. Ihre, von der Straße aufsteigenden, Stimmen hatten die dem Erlöschen nahen Geisteskräfte Antoninens aufgeschreckt, wenn auch nicht belebt, und dort auf den breiten Pflastersteinen lagen diese Bürger einer fallenden Stadt, eine Gemeinde der Pest und Sünde – eine verhungernde, grausige Schaar.

Der durch die zunehmende Finsterniß glänzender hervortretende Mond erleuchtete jetzt die Straßen vollkommen und enthüllte auf engem Raume ein wechselndes, eindrucksvolles Schauspiel.

Die eine Seite der Straße, in welcher Vetranio’s Palast stand, war an beiden Enden, so weit das Auge bei Nacht reichen konnte, mit den Hainen und Nebengebeuden, die zur Wohnung des Senators gehörten, besetzt. Die Gärten des Palastes gingen am höheren, von dem Pincischen Thore entfernteren Theile der Straße auf einem breiten Bogen über dieselbe und dehnten sich nach rückwärts bis zu den Bäumen des kleinen Gartens am Hause Numerian’s hin. Mit diesem Hause in einer Linie, aber durch einen schmalen Zwischenraum getrennt, stand eine lange Reihe von Gebäuden, die stockwerkweise an verschiedene Bewohner vermiethet waren und sieh zu einer ungeheuren Höhe erhoben, denn im alten Rom, wie im modernen London, konnten die Baumeister in Folge der hohen Bodenpreise einer übervölkerten Stadt einem Hause nur dadurch Geräumigkeit verschaffen, daß sie seine Höhe unbehaglich vergrößerten. Jenseits dieser Miethshäuser sah man die Bäume, welche einen andern Patrizierpalast umgaben und über dieselben hinaus machte die Straße einen plötzlichen Bogen und es war in gerader Linie außer den nebeligen, unbestimmten Gegenständen der Fernsicht nichts mehr zu erblicken.

Das ganze Aussehen der Straße vor Vetranio’s Palast würde, wenn die zurückstoßenden Gruppen, die sich jetzt darin gebildet hatten, weggefallen wären, zu der Stunde, von welcher wir jetzt schreiben, ausnehmend schön gewesen sein. Die herrliche symmetrische Fronte des Palastes selbst, mit ihrer graziösen Reihe von langen Säulenhallen und kolossalen Statuen, im Contraste mit dem malerisch unregelmäßigen Aeußern der gegenüberliegenden Wohnung Numerian’s und der hohen Häuser, in deren Nähe die weichen uudeutlichen Laubmassen, welche an den oberen Enden der Straße mit einander parallel dahin liefen und durch den schwebenden Garten über dem Wege, auf welchem eine Gruppe hoher Pinien ihre gigantischen Häupter gegen den durchsichtigen Himmel abzeichneten, begrenzt und verbunden waren, das glänzende Licht, welches aus den buntbehangenen Fenstern Vetranio’s auf die Straße herabströmte und im unmittelbaren Gegensatz der ruhige Mondschein, von welchem die Fernsicht erhellt wurde – alles dies zusammengenommen bildete ein Gewölbe, in welchem sich Natur und Kunst in den köstlichsten Proportionen mischten, – ein Gemälde, dessen unaussprechliche Poesie und Schönheit in jeder anderen Nacht das Auge hätte bezaubern und den leichtsinnigsten Geist erheben können. Jetzt aber, wo es von hohläugigen, hungerbetagten und von Krankheit entstellten Volksgruppen überdeckt, wo es in dumpfen Zwischenräumen durch Schreie der Bitte, der Herausforderung und Verzweiflung belebt wurde, schienen seine glänzendsten Schönheiten der Natur und Kunst nur mit bitterem Spott das menschliche Elend, welches ihr Glanz erblicken ließ, zu beleuchten.

Mehr als hundert Menschen, – meist aus den untersten Volksklassen, waren vor der dem Untergang geweihten Wohnung des Senators zusammengedrängt. Einige von ihnen gingen langsam in der Straße auf und ab und ihre Gestalten glitten schattenhaft und feierlich durch das sie umgebende Licht, aber bei weitem die größte Zahl lag aus dem Steinpflaster vor Numerians Palaste und den Thorwegen der hohen Häuser in seiner Nähe. Von dem grellen Lichte aus den Palastfenstern beleuchtet, nahmen diese in den verzerrten Stellungen des Leidens und der Verzweiflung zusammengedrängten Gruppen ein furchtbares, gespensterhaftes Aussehen an. Ihre eingeschrumpften Gesichter, ihre zerrissene Kleidung, ihre hier am Boden liegenden, dort halb erhobenen hagern Gestalten waren in ein gleichmäßiges rothes Licht getaucht. Hoch über ihnen an den Fenstern der hohen jetzt in jedem Stockwerke von Todten erfüllten Häuser zeigten sieh einige Gestalten – die erkauften Hüter der Sterbenden in den Gemächern – die sich vorwärts beugten, um auf den Palast gegenüber zu schauen, und deren abgemagerte Gesichter vom hellen Mondlichte mit einem bleichen Glanze übergossen wurden. Zuweilen hörte man ihre Stimmen spöttisch der Volksmasse unter ihnen zurufen, die festen, stählernen Thore des Palastes aufzubrechen und den vollen Weinbecher von den Lippen seines Herrn zu reißen. Zuweilen antworteten die auf der Straße Befindlichen mit Verwünschungen, die im wilden Gemisch mit den Wehklagen von Frauen und Kindern, dem Stöhnen der von der Pest ergriffenen und der Bitten der Verhungerten um Almosen und Hülfe an die hinter den Palastgittern hin und her gehenden Sklaven, emporstiegen.

In den Pausen, wo der Tumult der schwachen Stimmen theilweise schwieg, hörte man ein dumpfes, regelmäßiges, klopfendes Geräusch, welches diejenigen hervorbrachten, welche auf ihrem Wege nach dem Palaste trockene Knochen gefunden hatten und sie an geschützten Stellen auf dem Pflaster zerpochten, um dieselben zur Nahrung zu verwenden. Der Wind, welcher den Tag über erfrischend gewesen war, hatte mit Sonnenuntergang umgeschlagen und fegte jetzt in heißen, schwachen Stößen pestbeladen von Osten her langsam über die Straße hin.