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Antonia

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In ihrem, aus körperlicher Schwäche und geistiger Verzweiflung gemischten Stumpfsinn sprach sie kein Wort, erhob weder den Kopf, noch blickte sie zur einen oder andern Seite. Sie hatte jetzt sogar aufgehört, den kräftigen, kalten Druck der Hand des Heiden zu fühlen. Schattenhafte Visionen, von überweltlichen Sphären in zauberische Schönheit gekleidet und mit seligen Geistern in ihrer alten irdischen Form bevölkert, in denen eine lange, den Tod nicht kennende Existenz glatt und träumerisch, ohne eine Spur von der Zeit oder eine Befleckung vom Schmerze, dahinzog, thaten sich ihrem Geiste auf. Sie verlor alle Erinnerung an Leiden und Unrecht, alle Besorgniß vor Gefahr, vor dem Wahnsinnigen, in dessen Händen ihr Schicksal lag, und so bewegte sie sich langsam vorwärts, wie sie der Wille des Heiden führte, ohne ihre gegenwärtige Gefahr zu bemerken und ohne wegen des ihr bevorstehenden Schicksals besorgt zu sein.

Sie kamen an dem großen kreisförmigen Gebäude des Pantheons vorüber, betraten die langen, engen Straßen, welche an das Ufer des Flusses führen, und gelangten endlich an den Rand des Tiber – dicht bei der kleinen Insel, welche sich noch in der Mitte seiner Wellen erhebt – hier blieb der Heide mechanisch zum ersten Male stehen und lenkte gedankenlos seine trüben, wie vom Traume befangenen Augen auf die Aussicht vor ihm, wo die Mauern sich von ihrer gewöhnlichen Rchtung plötzlich nach Außen bogen und den Janiculum-Hügel, welcher mit seiner unregelmäßigen Gebäudemasse auf dem entgegengesetzten Ufer des Flusses aufstieg, umschlossen.

Bei dem plötzlichen Uebergange von der Thätigkeit zur Ruhe erschlafften die überreizten Kräfte, welche bisher die Glieder Antoninens mit einer unnatürlichen Ausdauer begabt hatten. Sie sank hülflos und stumm nieder; ihr Kopf neigte sich dem harten Boden zu, wie einem willkommenen Kissen, fand aber keine Stütze, da der der eiserne Griff, mit welchem der Heide ihre Hand faste, eben so unnachgiebig wie bisher blieb. So gebrechlich er euch war, schien er doch in diesem Augenblicke nichts davon zu wissen, daß seine Gefangene jetzt an seiner Seite niederhing. Jeder mit ihr in Verbindung stehende Gedanke, jede Erinnerung an seine Stellung zu ihr im Hause ihres Vaters war seinem Gedächtnisse entschwunden. Ueber sein körperliches Wahrnehmungsvermögen schien eine noch dunklere Blindheit herabgesunken zur sein, seine Augen rollten langsam, von einer Seite der vor ihm ausgebreiteten Aussicht zur andern, erblickten aber nichts, seine keuchenden Athemzüge rangen sich voll und schnell empor, seine eingesunkene Brust hob sich, als sei eine tiefe, furchtbare Qual in ihr eingekerkert – offenbar war eine neue Krisis seines Wahnsinns nahe.

In diesem Augenblicke erschien eine von den Räuberhorden – eine Schaar von den verzweifelten Verbrechern der Hungersnoth und Pest, die noch in der Stadt nach Beute suchten, in der Straße. Ihre zitternden Hände griffen nach ihren Waffen und ihre abgezehrten Gesichter erhellten sich, als sie den Heiden und das Mädchen erblickten. Als sie ihnen aber näher kamen, sahen sie in den Gestalten der Beiden auf den ersten Blick genug, um ihre Hoffnung, ihnen Beute oder Nahrung abzunehmen, zu verzichten. Auf einen Augenblick blieben sie bei ihren bei ihren beabsichtigten Opfern stehen, als überlegten sie, ob sie dieselben, um des bloßen Mordes willen, ermorden sollten, doch der Anblick von zwei verstohlen, ein tiefer in der Straße gelegenes Haus verlassenden Weibern, die einen mit zerrissenen Gewändern bedeckten Korb trugen erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie wendeten sich augenblicklich ab, um den Trägerinnen des Korbes zu folgen und von Neuem blieben Ulpius und Antonina allein am Ufer des Flusses zurück.

Der Anblick der Mörder war, wie jedes andere Schauspiel oder Ereigniß in der Stadt, nicht im Stande gewesen, die Geistesfähigkeiten des Ulpius anzuregen. Er hatte sie weder angeblickt, noch war er vor ihnen geflohen, als sie ihn umringten, aber jetzt, wo sie fort waren, wendete er langsam den Kopf der Richtung zu, in welcher sie sich entfernt hatten. Sein Auge schweifte über die nassen Steine der Straße, über zwei in geringer Entfernung von einander auf ihnen ausgestreckte Körper, über die Gestalt einer Sklavin, die verlassen an der Mauer eines von den Häusern lag und ihre letzten Kräfte aufbot, um von dem trüben Regenwasser zu trinken, welches in der Rinne neben ihr hinablief, immer noch blieben aber seine Augen ohne Verständniß desjenigen, auf was sie trafen. Der nächste Gegenstand, welcher zufällig seine kindische Beachtung erregte, war ein verlassener Tempel. Auf dieses einsame Gebäude heftete er augenblicklich seinen Geist, – es war dazu bestimmt eine neue und warnende Scene in dem düstern Trauerspiele seines dem Ende nahen Lebens zu eröffnen.

Auf seinem Wege durch die Stadt war er achtlos an vielen Tempeln vorüber-gekommen, deren Lage weit auffallender, deren Bauart weit imposanter war als dieser. Das Gebäude besaß weder besondere Ausdehnung noch außerordentliche Schönheit. Seine schmalen Säulenhallen und sein dunkler Thorweg waren geeigneter, das Auge abzustoßen, wie es einzuladen; aber es besaß eine Anziehungskraft, die mächtiger war, wie alle Herrlichkeiten der Baukunst und alle Großartigkeit der Lage, um in ihm die umherschweifenden Geisteskräfte zu fixiren, deren strengere und höhere Zwecke jetzt auf ewig verschwunden waren, es war dem Serapis geweiht, – dem Essen, welcher der Gegenstand seiner ersten Anbetung und der Begeisterung seines letzten Versuches für die Wiederherstellung seines Glaubens gewesen war. Das Bild des Gottes mit dem von einer Schlange umschlungenen dreiköpfigen Ungeheuer, gehorsam unter seiner Hand, war über der Vorhalle ausgehauen. Welche Fluth von Empfindungen auf den verödeten Geist des Heiden in dem Augenblicke einströmten, wo er das lange geliebte, wohlbekannte Bild des egyptischen Gottes erblickte, verrieth auf einige Zeit äußerlich nicht das mindeste Zeichen. Seine moralische Gefühllosigkeit schien nur noch tiefer zu werden, als sich sein Blick jetzt mit starrer Aufmerksamkeit auf die Vorhalle des Tempels heftete. So blieb er unbeweglich stehen, als ob ihn das, was er sah, versteinert und an den Boden geheftet habe, als die Wolken, welche sich mit dem vorrückenden Morgen in immer tieferer Schwärze zusammengezogen hatten, um noch, von Elektricität erfüllt, das Gewitter von der vorigen Nacht fortzusetzen, plötzlich über seinem Haupte einen lauten Donnerschlag entluden.

Bei diesem warnenden Tone schrak er, als ob derselbe das übernatürliche Zeichen gewesen wäre, welches er erwartet hatte, um sich erwecken zu lassen – als ob es in einem kurzen Augenblicke die Erinnerung an alles das, was er in der vergangenen Gewitternacht so entschlossen versucht, erweckt hatte, zu augenblicklich»Munterkeit auf. Sein Gesicht erhellte sich, seine Gestalt richtete sich auf, er ließ Antoninens Hand fallen, erhob seinen Arm in rasendem Triumph zu dem zornigen Himmel, schwankte dann vorwärts und sank am Fuße der Tempeltreppe auf die Kniee nieder.

Welche Erinnerungen an seinen Weg durch die Mauer an dem Monte Pincio und die demselben gefolgten Mühen und Gefahren sich auch, als ihm der Donner ins Ohr schallte, in seinem Gedächtniß belebt haben mochten, so waren sie doch jetzt eben so sehnell verschwunden, wie sie sich erhoben, und hatten seinem Erinnerungsvermögen Freiheit gelassen, sich den Seenen zuzuwenden, welche das Serapisbild zurückzurufen am geeignetsten war. Erinnerungen an seine jugendlichen Freuden im Tempel von Alexandrien, an seinen Jünglingsenthusiasmus, an die Triumphe seiner ersten Mannesjahre blitzten, zwar zusammenhanglos und schwankend, aber strahlend, herrlich berauschend, vor seinem halbzerstörten Geiste auf. Thränen, die ersten, welche er seit seiner glücklichen Jugend vergossen hatte, folgten einander schnell auf seinen welken Wangen. Er drückte entzückt seine heiße Stirn. Er klopfte mit seiner vertrockneten Hand auf die kalten nassen Stufen vor ihm. Er flüsterte athemlose Ausrufungen, er hauchte ein seltsames, liebkosendes Murmeln aus. Er warf sich in seinem jubelnden Entzücken an den Mauern des Tempels nieder, wie ein Hund, der seinen verlorenen Herrn wiedergefunden hat und sich liebkosenden dessen Füße schmiegt. So verbrecherisch er auch war, bot doch diese Freude in seiner Erniedrigung, dieser Stolz in seiner elenden Isolation von der Menschheit, einen mitleiderregenden Anblick.

Nach einiger Zeit veränderte sich seine Stimmung. Er stand auf, seine zitternden Glieder spannten sich in Jugendkraft, als er die Tempel-stufen erstieg und in den Eingang des Gebäudes gelangte. Er wendete sich auf einen Augenblick um und schaute hinaus auf die Straße, ehe er das Heiligthum seiner krankhaften Phantasie erreiehte. Für ihn erglänzte jetzt der wolkenumzogene Himmel über ihm mit den Strahlen des sonnigen Orients. Die sich vor ihm ausbreitenden leichenerfüllten Straßen von Rom waren von hohen Bäumen verschönert und von glücklichen Gestalten bevölkern und auf den dunkeln Fließen unter ihm, wo noch die Leichname lagen, für die er kein Auge besaß, sah er bereits die Priester des Serapis mit seinem verehrten Lehrer, seinem geliebten Macrinus an der Spitze, ihm entgegen ziehen und ihn in den Hallen des egyptischen Gottes bewillkommnen. Visionen, wie diese, zogen herrlich an den Augen des Heiden vorüber, während er so triumphirend auf den Stufen des Tempels stand, und erleuchteten mit Mittagshelligkeit die düstern Gewölbe desselben, als er sich nach kurzem Verweilen von der Straße abwendete und durch die Thür des Heiligihums verschwand.

Der Regen strömte stärker als vorher herab, der einmal erweckte Donner erschallte jetzt in tiefen häufigen Schlägen, als sich Antonina vom Boden erhob und in der Erwartung, daß die gefürchtete Gestalt des Ulpius ihren Augen begegnen müsse, umsah. Aus der Straße war kein lebendes Wesen zu erblicken, die verstoßene Sklavin lehnte noch an der Mauer des Hauses, wo sie zuerst erblickt worden war, als der Heide in die Nähe des Tempels gelangte, jetzt aber war sie todt. Die Räuberbanden waren verschwunden. Nach allen Richtungen hin, so weit das Auge reichte, herrschte eine ununterbrochene Stille.

 

In dem Augenblicke, wo Ulpius Antoninens Hand losgelassen hatte, war sie hülflos und resignirt, aber nicht so weit erschöpft, daß sie alle Kraft der Empfindung oder alle Fähigkeit zum Denken verloren hatte, auf den Boden gesunken. Während sie auf dem kalten Pflaster der Straße lag, verfolgte ihr Geist immer noch die Visionen eines baldigen Todes und eines nach demselben kommenden ruhigen Lebens im Tode, in einer andern Welt; als aber die langsamen Augenblicke vergingen und keine rauhe Stimme in ihr Ohr schallte, keine mitleidlose Hand sie vom Boden aufriß, keine Unheil verkündenden Schritte in ihrer Nähe hörbar wurden, trat allmälig eine Verwandlung in ihren Gedanken ein. Der Instinkt der Selbsterhaltung lebte langsam in ihr wieder auf, und als sie sieh aufrichtete, um auf das düstere Schauspiel um sie her zu blicken, regte sie die Aussicht auf ungestörte Flucht und gegenwärtige Sicherheit, welche ihr durch die Einsamkeit der Straße geboten wurde, gleich einer ermuthigenden Stimme, gleich einem unerwarteten Versprechen der Hülfe an.

Ihr Wahrnehmungsvermögen für äußere Einflüsse stellte sich wieder ein; sie fühlte den Regen, welcher ihre Gewänder durchnäßte, es schauderte ihr bei, dem Donner, welcher über ihrem Haupte rollte; sie bemerkte mit Entsetzen die vor ihr auf den Steinen liegenden Leichen. Sie wurde von einem unwiderstehlichen Verlangen belebt, von dieser Stelle zu fliehen, dem trostlosen Schauspiele, welches sie erblickte, zu entrinnen, selbst wenn sie durch die Anstrengung erschöpft, in der nächsten Straße zusammensinken müßte. Langsam erhob sie sich – ihre Glieder zitterten vor Schwäche, aber sie gelangte auf ihre Füße. Sie schwankte, dem Flusse den Rücken zukehrend, vorwärts, schritt verwirrt zwischen langen Reihen verlassener Häuser dahin und kam vor einem öffentlichen Garten an, in welchem ein kleines Sommerhaus lag, dessen verödete Vorhalle ihr einen Versteck und ein Obdach gewährte. Hier suchte sie daher Zuflucht, kauerte in den dunkelsten Winkel des Gebäudes und verbarg ihr Gesicht in den Händen, wie um die traurigen, wiewohl veränderten Scenen, welche sie umgaben, auszuschließen.

Qualvolle Gedanken und Erinnerungen wirbelten jetzt schwindelnd in ihrem Kopfe herum. Alles, was sie gelitten hatte, seit sie von Ulpius ans dem Bauernhause in der Vorstadt fortgeschleppt worden war – die nächtliche Wanderung über die Ebene – der furchtbare Weg durch die Mauer – belebten sich jetzt in ihrem Gedächtnisse im Gemisch mit jetzt zum ersten Male erweckten formlosen Ideen von der Pest und Hungersnoth, welche die Stadt verödeten, und plötzlich erweckter Besorgniß, daß Goiswintha ihr immer noch mit dem Messer in der Hand durch die einsamen Straßen folgen könne, während sich, über alle diese wechselnden Quellen der Pein und des Entsetzens die Todesscene des jungen Häuptlings wie ein kaltes Gewicht auf ihr schweres Herz legte. Der feuchte Rasen seines Grabes schien noch an ihre Brnst zu drücken, sein letzter Kuß bebte noch aus ihren Lippen, sie wußte, obgleich sie nicht auf dieselben hinabzuschauen wagte, daß noch die Flecken seines Blutes ihre Gewänder färbten.

Mochte sie sich aber bemühen aufzustehen und ihre Flucht fortzusetzen, oder wieder in der Vorhalle niedersinken und sich auf einen bittern Augenblick darein ergeben, durch Goiswinthens Messer umzukommen, wenn Goiswintha in der Nähe wäre, oder wieder in die Hände des Ulpius zu fallen, wenn Ulpius ihr bis zu ihrem Zufluchtsort nachspüren sollte, so wurde sie bei alledem doch nie von dem niederschmetternden Gefühl verlassen, daß sie ihres geliebten Beschützers auf ewig beraubt – daß der Freund ihrer kurzen Tage des Glückes für sie auf ewig verloren – daß Hermanrich, der sie vor dem Tode bewahrt hatte, in seiner Jugend und Kraft an ihrer Seite ermordet worden war. Seit dem Morde im Bauernhause, befand sie sich jetzt zum ersten Male allein, und jetzt erst fühlte sie das volle Gewicht ihres Unglücks, und wußte wie trostlos das Leichentuch war, welches sich über jede Bestrebung ihres künftigen Lebens ausbreitete.

So dauernd und fast ewig auch die Wucht ihrer Verödung jetzt geworden zu sein schien, sollte sie doch durch Gefühle einer zarteren Wehmuth und eines resignirteren Schmerzes ersetzt werden. Die angeborene, unschuldige Charakterstärke, welche sie unter der Strenge ihrer Jugenderziehung geduldig und unter den Prüfungen, die von der Verbannung aus dem Hause ihres Vaters an auf sie einstürmten, hoffnungsvoll gemacht, die sie nicht eher verlassen hatte, als bis sich die furchtbaren Scenen der verflossenen Mord- und Todesnacht in triumphirendem Grausen vor ihren Augen erhoben, und die selbst da nur betäubt, aber nicht zerstört worden war, sollte jetzt wieder ihren heilenden Einfluß auf ihr Herz gewinnen. Während sie in ihrem einsamen Zufluchtsorte kauerte, belebte sich plötzlich die Hoffnung, die Sehnsucht nach der Wiederkehr zu ihrem Vater und seiner Liebe, welche sie auf dem Grabe des jungen Häuptlings bewegt und ihr die letzten Anstrengungen, um sich zu befreien, eingegeben hatte, als sie von Ulpius durch den Gang in der durchbrochenen Mauer geschleppt worden war, von Neuem.

Sie erhob sich und blickte auf die verödete Stadt und den Sturmhimmel hinaus, jetzt aber mit milden, furchtlosen Augen. Ihre Erinnerungen an die Vergangenheit sänftigten sich in ihrem jugendlichen Kummer, ihre Gedanken für die Zukunft wurden geduldig, ernst und heiter. Das Bild ihres ersten und jetzt einzigen Beschützers ihrer alten, trauten Heimath, ihrer Garteneinsainkeit auf dem Monte Pineio breiteten sich schimmernd, wie Ruheplätze für ihr müdes Herz, vor ihrer Phantasie aus. Sie stieg die Stufen des Sommerhauses hinab, ohne Besorgniß vor ihren Freunden zu hegen, ohne an ihrer Entschlossenheit zu zweifeln, denn sie kannte den Leuchtthurm, welcher sie jetzt in ihrem Laufe leiten sollte. Ihre Augen erfüllten sich mit Thränen, als sie in den Garten hinaustrat, aber ihr Schritt schwankte nicht, ihre Züge verloren nie den Ausdruck von stillem, mit milder Hoffnung vereinigtem Schmerze. So gelangte sie wieder auf die gefahrvollen Straßen und begann vor sich hin-flüsternd:

»Mein Vater! mein Vater»als ob in diesen einfachen Worten die Hand, welche sie führen und die Vorsehung, welche sie bewahren solle, enthalten sei, ihren einsamen Gang nach dem Monte Pincio.

Es war ein rührendes, schönes, ja erhabenes Schauspiel, wenn man dieses junge Mädchen betrachtete, das erst seit wenigen Stunden auf gefahrvollen Pfaden und durch verbrecherische Hände aus Scenen befreit worden war, die mit Verrath begonnen hatten, um im Tode zu enden, und jetzt entschlossen und allein durch die Straßen einer großen, von Allem, was es in menschlicher Pein Qualvolles und im menschlichen Verbrechen Abstoßendes giebt, überzogenen Stadt dahinschritt. Es war ein herrlicher Beweis von der kräftigen Herrschaft über die Welt und ihre Gefahren, womit die einfachste Zuneigung das schwächste Wesen bewaffnen kann, wenn man bemerkte, wie sie so über alle Schrecken der Verödung und des Todes, welche ihren Pfad umstellten, erhaben, ihren Weg verfolgte, und unbewußter Weise in dem leise geflüsterten Vaternamen, welcher immer noch von Zeit zu Zeit von ihren Lippen fiel, den reinen Zweck entdeckte, welcher sie aufrecht erhielt – den festen Heldemuth, welcher die Gefahren ihres Pfades hinwegräumte. Die Stürme des Himmels entluden sich über ihrem Haupte, die Verbrechen und Leiden Rom’s verdunkelten ihren Pilgerweg, aber sie schritt festen Fußes durch alles bin, wie ein himmlischer Geist, der in der strahlenden Unverletzlichkeit seiner göttlichen Sendung und seiner heiligen Gedanken über das irdische Gebiet hinwallt – wie ein Lichtstrahl, der in der Kraft seiner eignen Schönheit die Stürme und Finsterniß einer fremden Sphäre durcheilt.

Von Neuem betrat sie den Campus Martius, von Neuem kam sie an den öffentlichen Brunnen vorüber, die noch immer unnatürlicher Weise zu Betten für die Sterbenden und Gräbern für die Todten dienten. Von Neuem durchschritt sie die Straßen, wo die stärkeren Mitglieder der hungernden Einwohnerschaft in grimmigem Schweigen und ungeselliger Absonderung hin und her schwankten. Kein Wort wurde an sie gerichtet, kaum ein Blick auf sie gelenkt, als sie so ihren einsamen Pfad verfolgte. Sie war einsam unter den Einsamem verlassen unter den Verlassenen.

Der Räuber sah, wenn er an ihr vorüberkam, daß sie für seine beutesüchtige Hand eben so werthlos war, wie die Aermsten von den sterbenden Bürgern um ihn her. Der schwach seinen Palasthallen zuschwankende Patrizier wich ihr aus, wie einer neuen Bewerberin um das Almosen, welches er jetzt nicht mehr geben konnte, und beschleunigte seinen Schritt, sobald sie sich ihm näherte. Unbeschützt, aber doch unbelästigt aus ihrer Einsamkeit und von ihren bitteren Erinnerungen hinweg der Freist«itte, der Liebe ihres Vaters zueilend, wie sie als Kind vor ihren ersten Besorgnissen des Schmerzes, der Zuflucht in ihres Vaters Armen zugeeilt sein würde, gelangte sie endlich an den Fuß des Monte Pincio – stieg die Straßen hinauf, welche sie in ruhigen alten Tagen so oft betreten hatte.

Die Thore und Nebengebäude von Vetranio’s Palaste boten, als sie daran vorüber kam, einen auffallenden ominösen Anblick. Hinter den hohen Stahlgittern, welche das Gebäude beschützten schwankten und strauchelten die vom Hunger erschöpften Sklaven des Senators unter vollen Weingesäßen, die sie sich nach den innern Gemächern zu tragen bemühten. Von den Baltonen hingen bunte Teppiche herab, die Statuen der Marmorfronte waren mit Epheuguirlanden bekränzt. Mitten in der belagerten Stadt und in sündigem Hohn der Hungersnoth und Pest, von welcher Hütten wie Palaste verheert wurden, gingen in diesem Hause die Zurüstungen für ein glänzendes Fest vor sich.

Ohne den auffallenden Anblick, welcher ihr in Vetranio’s Palaste geboten wurde, zu beachten, mit unverwandt nach einer einzigen Gegend gerichteten Augen, mit in jedem Augenblicke schneller und schneller eilenden Schritten näherte sich Antonina dem Vaterhause, aus welchem sie in Furcht verbannt worden war und nach welchem sie in Schmerz zurückkehrte. Noch ein Augenblick der Anstrengung, der alle anderen Gefühle verdrängenden Erwartung, und sie gelangte an die Gartenthür!

Sie strich das vom Regen über ihre Stirn gespülte schwere Haar zurück, sie warf einen schnellen Blick um sich, sie sah das Fenster ihres Schlafgemachs, wo noch der alte einfache Vorhang an seinem gewohnten Platze schwebte, sie erblickte die wohlbekannten Bäume, die sorgfältig gepflegten Blumenbeete, welche jetzt welk unter dem Gewitterhimmel dastanden. Ihr Herz pochte zum Zerspringen, der Athem schien ihr plötzlich in der Brust zu stocken, als sie den Gartenweg betrat und die Stufen des Hauses erstieg.

Die Thür war nur angelehnt; mit einer letzten Anstrengung stieß sie dieselbe auf und stand wieder, ungestützt und unbewillkommnet, aber doch von Hoffnung auf Trost, Verzeihung und Liebe erfüllt – in ihrem ersten und letzten Heiligthume – in den Mauern ihres Vaterhauses!