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Antonia

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Auf dem Rasen vor der Hausthür war keine Fußspur zu sehen, der Epheu rankte sich in seiner gewohnten Ueppigkeit um die Säulen der niedrigen Hausthür und als Hermanrich und Antonina nach dem Fischteiche am Ende des Gartens schritten, schwammen die wenigen Wasservögel welche die Besitzer des Bauernhauses dorthin gesetzt hatten, auf das Ufer zu, wie um in ihrer Einsamkeit den Anblick einer menschlichen Gestalt zu bewillkommnen.

Weit entfernt davon, Traurigkeit zu erwecken, lag etwas Beschwichtigendes und Anziehendes in der Einsamkeit des verlassenen Bauernhauses Seine verheerten Wirthsschaftsgebäude und abgegrasten Wiesen, die bei Tage hätten den Eindruck der Verödung hervorbringen können, waren durch die Atmosphäre der Nacht so in die Ferne gelegt, gemildert und verdunkelt, daß sie keinen Mißton mit der herrschenden Glätte und Ueppigkeit der umgebenden Landschaft bildeten. Als Antonina die erleuchteten Felder und beschatteten Haine hier gemischt, dort einander folgend sich weithin erstrecken sah, bis sie sich an die fernen Berge schlossen, sprach die beredte Stimme der Natur, deren Zuhörer das menschliche Herz und deren Thema die ewige Liebe ist, begeisternd zu ihren aufmerksamen Sinnen. Sie streckte ihre Arme aus, während sie mit festem entzückten Blicke auf die lichte Aussicht schaute, als sehne sie sich ihre Schönheiten in eine einzige lebende Gestalt, – in einen Geist ausgelöst zu sehen, der menschlich genug wäre, um angeredet, und sichtbar genug, um angebetet werden zu können.

»Du schöne Erde!« murmelte sie leise vor sich hin, »Deine Berge sind die Markthürme der Engel, Dein Mondenlicht ist der Schatten Gottes!«

Ihre Augen erfüllten sich mit schimmernden, glücklichen Thränen, sie wendete sich Hermanrich zu, der in ihre Beobachtung versunken dastand und fuhr fort:

»Ist es Dir nie eingefallen, daß Licht und Luft und Blumenduft Ueberbleibsel von den Schönheiten des Paradieses enthalten könnten, die mit Eva entstehen, als sie in die einsame Welt hinauswandern? Sie glühten und athmeten für das Weib und dieses lebte und war in ihnen schön! Sie waren mit einander verbunden wie der Sonnenstrahl mit der Erde, die er erwärmt, und konnte sie das Schwert des Cherubs so plötzlich scheiden? Verschlossen, als Eva hinaus ging, die hinter ihr zufallenden Thore alle Schönheit, die sich an sie geschmiegt und um sie erhoben und geglänzt hatte, in dein leeren Paradiese? Stahl sich ihr kein Strahl ihres heimischen Lichtes in die öde Welt nach? Blieb kein Eindruck von den verlorenen Blumen auf dem Busen, an den sie einst gedrückt worden sein mußten, zurück? Es kann nicht sein. Ein Theil ihrer Besitzthümer des Paradieses müssen ihr mit einem Theile ihres Lebens gelassen worden sein. Sie muß die freudenleere Luft der Erde, als sie dieselbe betrat, mit einem Hauche der duftigen Winde und einem Strahle des Sonnenscheines ihres verlorenen Paradieses veredelt haben! Sie müssen sich verstärkt haben, und strahlender geworden sein und müssen sich. jetzt mit dem langsamen Verlaufe sterblicher Jahre immer noch verstärken und strahlender werden, bis sie zu der Zeit, wo die Erde selbst ein Paradies sein wird, wieder mit der verborgenen Welt der Vollkommenheit, von welcher sie noch getrennt sind, Eines gemacht werden. Seht, wo ich auf die Landschaft hinausblicke, besitzt das Licht, welches ich erschaue, in sich also einen Schimmer vom Paradiese und die Blume, welche ich hier pflücke, einen Hauch des Duftes, welcher einst die Sinne meiner Urmutter Eva erfreute.«

Wiewohl sie hier inne hielt, als ob sie eine Antwort erwarte, bewahrte der Gothe dennoch ein ununterbrochenes Schweigen. Er war weder durch seine Natur, noch durch seine Lage befähigt, die wilden Phantasien und hochfliegenden Gedanken zu theilen, welche durch die Einwirkungen der Außenwelt aus ihrer Verborgenheit in Antoninens Herzen hervorgelockt wurden.

Das Räthselhafte seiner gegenwärtigen Lage, seine dunkle Erinnerung an die Pflichten, welche er versäumt, die Ungewißheit seines künftigen Schicksals, die Gegenwart des einsamen Wesens, welches so unzertrennlich mit Seien vergangenen Empfindungen und seiner künftigen Existenz verknüpft war und das ihn durch sein Geschlecht, sein Alter, sein Aeußeres, sein Unglück und seine Geistesgaben so seltsam anzog – Alles dies trug dazu bei, seine Geistesfähigkeiten in Verwirrung und Ungewißheit zu bringen. Goiswintha, das Heer, die belagerte Stadt, die verlassenen Vorstädte schienen ihn wie ein Kreis von schattenhaften, drohenden Urtheilssprüchen einzuhemmen und mitten in ihnen stand die junge Römerin mit ihrem beredten Antlitz und ihren begeisternden Worten, um ihn, wohin, wußte er selbst nicht, zu treiben und ihn, ohne daß er zu sagen vermochte wie, zu lenken.

Antonina legte unwillkürlich das Schweigen ihres Gefährten als Wunsch aus, die Seene und den Gesprächsgegenstand zu verändern und ging, nachdem sie noch einen Augenblick bei der Aussicht vom Garten her verweilt, wieder nach dem unbewohnten Hause voran. Sie nahmen das hölzerne Vorlegeschloß von der Thür des Gebäudes und traten, durch die Strahlen des Mondes geleitet, in das Hauptgemach desselben.

Die einfachen Zierathen des kleinen Zimmers waren ungestört geblieben und verliehen demselben, so undeutlich sie jetzt auch sichtbar wurden, in den Augen der Fremden dasselbe Aussehen bescheidenen Wohlstandes, welcher es einst wahrscheinlich seinen vertriebenen Bewohnern theuer gemacht hatte. Als sich Hermanrich neben Antoninen aus das einfache Ruhebett setzte, welches das Hauptmöbel des Zimmers bildete, und aus dem Fenster auf dieselbe Naturscene blickte, welche sie im Garten vor sich gehabt hatten, begann die zauberische Stille und Neuheit der Situation jetzt auch sein langsames Wahrnehmungsvermögen zu berühren, wie es schon früher auf den gebildeteren, empfindlicheren Geist des gedankenvollen Mädchens gewirkt hatte. Neue Hoffnungen und ruhige Gedanken erhoben sich in seinem jungen Geiste und ertheilten seinen Ausdrücken eine ungewohnte Sanftheit, seiner Stimme eine ungewohnte Weichheit, als er seine jetzt schweigsame Gefährtin anredete.

»Sage mir, Antonina, würde nicht Dein Glück vollkommen sein, wenn Du ein Haus hättest, wie dieses, mit diesem Garten, mit jener Aussicht, ohne Krieg, ohne strenge Lehrer, ohne drohenden Feind, und dabei Gesellschaft und Beschäftigungen, die Du liebst, besäßest?«

Als er sich nach dem Mädchen umsah, um dessen Antwort zu hören, bemerkte er, daß sich ihr Gesicht verändert hatte. Der frühere Ausdruck tiefen Kummers war wieder auf ihre Züge zurückgekehrt, ihre Augen waren auf den kurzen Dolch geheftet, welcher über die Brust des Gothen herabhing und der plötzlich eine Reihe trüber, unwillkommener Gedanken in ihr erweckt zu haben schien. Als sie endlich sprach, geschah es mit trüber, veränderter Stimme und einem aus Resignation und Verzweiflung gemischten Ausdruck.

»Du mußt mich verlassen, – wir müssen uns wieder trennen,« sagte sie; »der Anblick Deiner Waffen hat mich an Alles erinnert, was ich bis jetzt vergessen, an Alles, was ich in Rom und was Du vor den Stadtmauern zurückgelassen hast. Einst glaubte ich, daß wir zusammen der uns umgebenden Verwirrung und Gefahr hätten entfliehen können, aber jetzt weiß ich, daß es besser ist, wenn Du Dich entfernst. Ach, meine Hoffnungen und mein Glück sind verschwunden, ich muß wieder allein bleiben!«

Sie hielt einen Augenblick inne, bemühte sich, ihre Selbstbeherrschung wieder zu erlangen, und fuhr dann fort:

»Ja, Du mußt mich verlassen und auf Deinen Posten vor der Stadt zurückkehre, denn am Tage des Sturmes wird, außer Dir, Niemand da sein, der für meinen Vater sorgt. Ehe ich weiß, daß er gerettet ist, ehe ich ihn wieder sehen und um Verzeihung und um Liebe anflehen kann, wage ich es nicht, mich aus der gefahrvollen Nähe Roms zu entfernen. Kehre also zu Deinen Pflichten und Deinen Kameraden und Deinen kriegerischen Beschäftigungen zurück und vergiß, wenn die Stadt gestürmt wird, weder Numerian noch Antoninen, die auf dem einsamen Felde zurückbleibt, um an Dich zu denken.«

Sie stand auf, wie, um das Beispiel zur Entfernung zu geben, aber Kraft und Entschlossenheit verließen sie und sie sank wieder, ohne weiter eine Bewegung machen oder ein Wort sprechen zu können, auf das Ruhebett zurück.

Heftige, streitende Bewegungen zogen durch das Herz des Gothen. Die Worte des Mädchens hatten die Erinnerung an seine halbvergessenen Pflichten belebt und den verschwindenden Einfluß seiner alten Erziehungs- und Stammesneigungen verstärkt. Sowohl sein Gewissen, wie seine Wünsche verhinderten ihn jetzt ihre dringende, unselbstsüchtige Bitte zu bekämpfen. Er verharrte einige Minuten lang in Ueberlegung, stand dann auf und blickte aus dem Fenster und sodann auf Antoninen und das Zimmer, in welchem sie sich befanden. Endlich näherte er sich, wie von einem plötzlichen Entschlusse belebt, wieder seiner Gefährtin und sprach:

»Es geziemt mir, zurückzukehren; ich werde Dein Gebot erfüllen und nach dem Lager gehen, aber nicht vor Anbruch des Tages, während Du, Antoninm hier verborgen und sicher zurückbleibt. Hier kann Dich Niemand stören. Die Gothen werden die bereits ihrer Vorräthe entkleideten Felder nicht wieder besuchen, der Landmann, welchem diese Wohnung gehört, ist in der belagerten Stadt festgehalten, die, Bauern des platten Landes wagen es nicht, dem feindlichen Heere so nahe zu kommen und Goiswintha, die Du fürchtest, kennt nicht einmal die Existenz eines Zufluchtortes wie dieser. Hier wirst Du zwar einsam, aber sicher sein, hier kannst Du meine Rückkehr erwarten, wenn mir die Nacht Gelegenheit giebt, mich aus dem Lager zu entfernen, und hier werde ich Dir im Voraus mittheilen, wenn die Stadt einem Sturme anheimfallen soll. Du wirst zwar einsam, aber nicht verlass en bleiben – wir werden nicht von einander geschieden sein. Ich werde oft zurückkehren, um Dich zu sehen und Deinen Worten zu lauschen und Dich zu lieben! Du wirst hier an diesem einsamen Orte glücklicher sein, als in der frühern Heimath, welche Du durch den Zorn Deines Vaters verloren hast.«

 

»O, ich werde gern bleiben – ich werde Dich mit Freuden erwarten!« rief das Mädchen, seine strahlenden Augen zu Hermanrich’s Gesicht erhebend. »Ich werde nie wieder traurig zu Dir sprechen, ich werde Dich nie wieder an das, was ich gelitten und verloren habe, erinnern! Wie barmherzig warst Du gegen mich, als ich Dich zum ersten Male in Deinem Zelte sah, wie doppelt barmherzig bist Du hier gegen mich! Ich bin stolz, wenn ich auf Deine Größe und Deine Kraft, und. Deine schweren Waffen blicke, und daß es Dir Freude macht, bei mir zu bleiben, daß Du meinem Vater beistehen wirst, daß Du aus Deinem glänzenden Lager nach diesem Hause, wo ich bleibe, um Dich zu erwarten, zurückkehren wirst. Schon habe ich alles Weh, was mit begegnete, vergessen, schon bin ich freudiger, als ich je in meinem Leben war. Sieh, ich weine nicht nicht vor Kummer. Wenn auf meinen Wangen Thränen stehen, so sind es die Thränen der Freude, welche Jeder willkommen heißt, Thränen über die man singen und jubeln muß.«

Sie schwieg plötzlich, als ob Worte nicht im Stande seien, ihr neues Entzücken auszusprechen. Alle düstern Empfindungen, welche sie erst vor Kurzem noch bedrückt hatten, waren jetzt völlig verschwunden und das junge, frische Herz hüpfte, immer noch über Verzweiflung und Schmerz erhaben, wieder so glücklich in der ihm natürlichen Freudenatmosphäre, wie ein Vögelchen im Sonnenschein des Morgens und Frühlings.

Wie mild und leicht gingen dann, als nach einer Pause ihre frühere Ruhe zurückgekehrt war, die stillen Stunden der Nacht an den beiden Wachenden im einsamen Hause vorüber! Wie froh enthüllte das glückliche Mädchen seine verborgenen Gedanken und seine unschuldigen Geständnisse dem Sohne eines andern Volkes und anderer Eindrücke, als der ihrigen! Alle die verschiedenartigen Ideen, welche durch die Naturgegenstände, die sie insgeheim erforscht, durch den gewaltigen Bilderreichthum ihrer Bibelkenntniß, durch die düstern Geschichten von heiligen Visionen und Märtyrerleiden, die sie an der Seite ihres Vaters gelernt und überdacht, in ihrem Geiste erweckt wurden, kamen jetzt aus ihren geheimen Orten in ihrem Gedächtnisse hervor und drangen in das Ohr des Gothen, Wie das Kind mit der Geschichte seines ersten Spielzeugs zu seiner Wärterin eilt, wie das Mädchen sich mit dem Geständnisse seiner ersten Liebe an die Schwester wendet, wie der Dichter mit dem Plane seines ersten Werkes zum Freunde geht, so suchte Antonina die Aufmerksamkeit Hermanrich’s mit den ersten äußerlichen Offenbarungen, welche ihre Geisteskräfte genossen und dem ersten Geständnisse der in ihrem Herzen freigewordenen Empfindungen auf.

Je länger ihr der Gothe zuhörte, desto vollkommener wurde der Zauber ihrer halb dichterischen Worte und ihrer fast der Musik gleichenden Stimme. Während ihre leisen, wechselnden Töne sich in sein Ohr schlichen, wendeten sich seine Gedanken plötzlich und instinktmäßig ihren früher mitgetheilten Erinnerungen an ihre verlorene Laute zu und regten ihn an, sie mit erneutem Antheil und erhöhter Lebhaftigkeit nach der Art zu fragen, wie sie ihre Kenntniß des Singens, welche sie, wie sie sagte, besaß, erlangt habe.

»Ich habe viele Lieder vieler Dichter gelernt,« sagte sie schnell und verwirrt, indem sie die Erwähnung Vetranio’s vermied, welche eine direkte Antwort auf Herrnanrich’s Frage hätte herbeiführen müssen; »aber ich weiß davon nur die vollständig, die von Geistern und andern Welten und der unsichtbaren Schönheit handeln, an die wir denken, die wir aber nicht wahrnehmen können. Unter den wenigen derartigen, die ich kenne, befindet sich eines, welches ich zuerst gelernt habe, und das ich am meisten liebe. Ich will es singen, damit Du sicher sein kannst, daß ich Dir in meiner versprochenen Kunst nicht ermangeln werde.

Sie zauderte einen Augenblick, wehmüthige Erinnerungen an die Ereignisse, welche den letzten Worten, die sie im Garten ihres Vaters gesungen hatte, gefolgt waren, schwellten in ihrem Innern an und gestatteten ihr nicht zu reden. Bald jedoch erlangte sie ihre Fassung wieder und begann mit leisem behenden Tönen, die mit dem Charakter der Worte und der Melodie, die sie gewählt hatte, im Einklang standen, zu singen.

Sie sang von der Thräne und ihrer Sendung:

 
»Die Mutter, die Freude, der Vater, der Schmerz,
Der Wohnort der Thräne ist jegliches Herz;
Was immer das Inn’re des Menschen bewegt,
Das wird an den Tag von der Thräne gelegt.
 
 
Im Himmel geboren, zur Erde verbannt,
So wandert sie jetzt noch von Lande zu Land
Besel’gend, erleichternd bei Jedem der weint,
Die Thrän’ als willkommene Freundin erscheint.«
 

Die ersten Minuten nachdem sie geschlossen hatte, wußte Hermanrich kaum, daß sie zu Ende war, und als sie zu ihm aufblickte, hatte ihre stumme Bitte um Beifall eine Beredtsamkeit, welche für den Gothen in diesem Moment durch jedes Wort geschmälert worden sein würde. Entzücken, Begeisterung und neues Leben regte sich in seinem Innern, die Stunde und der Ort vollendeten, was der Zauber des Liedes begonnen hatte. seine Augen glühten jetzt von südlicher Wärme, seine Worte nahmen jetzt eine römische Gluth an. Allmälig wurde die Stimme des Mädchens weniger häufig vernehmbar. Eine Verwandlung kam über ihren Geist, aus der Lehrerin wurde eine Schülerin.

Während sie dem Gothen zuhörte, während sie bei seinen Worten die Geburt neuer Gefühle empfand, glühten ihre Wangen, erleuchteten sich ihre Züge, schien sich ihre ganze Gestalt zu erfrischen und zu entfalten. Kein sich aufdrängender Gedanke, keine erwachende Erinnerung störte ihre verzückte Aufmerksamkeit, kein kalter Zweifel, kein düsteres Zaudern war in den Worten ihres Gefährten zu bemerken. Die Eine lauschte, der Andere sprach mit ganzem Herzen, mit ungetheilter Seele. Während eine Weltrevolution ihre Organkräfte um sie her concentrirte, während die Hauptstadt eines Kaiserreichs bereits ihrem ungeheuern Falle zuschwankte, während Goiswintha auf neue Rache sann, während Ulpius sich für seine Revolution, voll Blut und Verderben, abmühte, während alle diese dunkeln Bestandtheile des öffentlichen Unglücks und des Privatkampfes um sie her wallten und sich verstärkten, konnten sie in sich versunken die stürmische äußere Welt so völlig vergessen, konnten Sie so heiter an eine ruhige Liebe denken, konnte der Kuß so leidenschaftlich gegeben und so zartlich erwiedert werden, als ob sie das Loos ihres Lebens in die stillen Tage der Hirtendichter versetzt hätte, und die Zukunft ihrer Pflichten und Freuden sie sicher in einem Lande ewigen Friedens erwarte.

Zweites Buch

Was kommt? der Tod, der schreckenvolle Tod.

Voltaire

Kapitel I
Die Hungersnoth

Das Ende des November naht sich. Seit den im vorigen Kapitel erwähnten Ereignissen ist fast ein Monat vergangen, aber die gothischen Linien ziehen sich immer noch um die Stadtmauern Rom, welches wir stolz und üppig verlassen haben, selbst während es an seinen Thoren mit Verderben bedroht war, hat nun eine furchtbare, warnende Veränderung erlitten. Jetzt, wo wir uns ihm wieder nahen, sind Pein, Schrecken und Verödung bereits ausgezogen, um seine hohen Paläste zu beschatten und seine Prächtigen Straßen zu verdunkeln.

Ueber dem Prunke, der es mit Füßen von sich stieß, über der Freude, die ihm Trotz bot, über der Fülle, die es auf seinen geheimen Rundgängen verscheuchte, hat sich endlich das Gespenst des Hungers triumphirend erhoben. Tag für Tag sind die Nahrungsmittel der Stadt spärlicher zugemessen worden, höher und höher ist der Werth der gröbsten und einfachsten Nahrung gestiegen. Die aufgespeicherten Vorräthe, welche Mitleid und Nächstenliebe bereits dem erliegenden Volke ausgetheilt, haben ihre äußersten Grenzen erreicht. Für den Reichen ist noch Korn in der Stadt vorhanden – Schätze der Speise, die für Schätze an Gold ausgetauscht werden, für den Armen gibt es die natürliche Nahrung des Menschen nicht mehr; die Zeit der abstoßenden Mahle der Hungersnoth, die ersten Tage der Aufopferung der Vorliebe für die Noth haben finster und unwiederbringlich begonnen.

Es ist Morgen. Eine traurige, geräuschlose Menge schreitet über die kalten Steine des»großen Platzes vor der Basilika des heiligen Johannes-Lateran dahin. Die Schwachen weinen, die Starken sind düster, Alle bewegen sich mit langsamem, mattem Gange und halten in ihren Armen ihre Hunde oder andern Hausthiere. An den Säumen der Menge marschiren die hungerschwachen Hüter der Stadt und halten in ihren rauhen Händen seltene Lieblingsvögel von prächtigem Gefieder und melodischem Gesang und ihnen folgen Kinder und junge Mädchen, welche vergebens flehen und bitten, ihnen ihre Lieblinge wieder zu geben.

Dieser seltsame Zug hält endlich vor einem ungeheuern Kessel, der über einem großen Feuer in der Mitte des Platzes hängt und um welchen die Fleischer der Stadt mit blitzenden Messern und die zuverlässigsten Leute der römischen Legionen mit drohenden Waffen stehen.

Hierauf wird eine Proklamation verlesen, welche denjenigen im Volke, die kein Geld besitzem um Nahrung zu kaufen, gebietet, ihre Hausthiere herbeizubringen, damit diese auf dem öffentlichen Heerde zusammengekocht werden und zum öffentlichen Unterhalte beitragen können.

In der nächsten Minute gehen, diesem Edikte gemäß, die stummen Lieblinge der Menge aus der liebkosenden Hand des Eigenthümers in die Faust des Fleischers über. Die schwachen Schreie der Thiere, welche halb verhungert waren, wie ihre Herren vermischten sich auf einige Augenblicke mit dem Schluchzen und Wehklagen der Frauen und Kinder, denen der größte Theil derselben gehörte. Auf dieser ersten Stufe seiner Noth war das Nagen des Hungers, welches das Mitleid zum Verlöschen bringt und den Schmerz unterdrückt, dem Volke noch unbekannt, und obgleich es schon den Muth zu verlieren begann, war es doch noch nicht bis zu der Tiefe wilder Verzweiflung gesunken, welche sich allerdings schon unsichtbar unter ihm zu öffnen begann. In den kurzen Augenblicken der Trennung zwischen Beschützer und Schützling wurden tausend Schmerzen gefühlt, tausend Trauerspiele aufgeführt. Das Kind küßte den Vogel, welcher über seinem Lager gesungen hatte, zum letzten Male, der Hund warf seinen letzten um Schutz stehenden Blick auf die Herrin, welche ihn sonst nie ohne Liebkosung empfangen hatte. Dann kam der kurze Zwischenraum des Schmerzes und Todes, dann stieg der Dampf aus dem gierigen Kessel auf und das Volk zerstreute sich auf eine Zeitlang, die Bekümmertem um in der Nähe des Feuers zu verweilen, und die Hungrigen, um ihre Ungeduld durch einen Besuch in der nahen Kirche zu stillen.

Die Marmorhallen der herrlichen Basilika enthielten eine trübe Gemeinde. Auf dem Hochaltare brannten nur drei kleine Kerzen. Keine süßen Stimmen sangen melodische Lobgesänge oder jubelnde Loblieder, die Mönche intonirten mit heiseren Tönen und einförmiger Harmonie die Bußpsalmen. Hier und da kniete eine in Trauergewänder gehüllte und in stummes Gebet versunkene Gestalt, aber unter der Mehrzahl der Versammelten herrschte entweder öde Entmuthigung oder dumpfe Unaufmerksamkeit.

Als die letzten Klänge des letzten Psalms in den hohen Wölbungen der Kirche verklungen waren, erschien an der Thür eine Prozession von frommen Christen und schritt langsam auf den Altar zu. Sie bestand aus barfüßigen in schwarze Gewänder gekleideten Männern und Frauen, die über ihr zerrauftes Haar Asche gestreut hatten. Aus ihren Augen strömten Thränen und sie schlugen sich auf die Brust, während sie ihre Stirnen auf das Marmorpflaster der Altarstufen niederbeugten.

Dieser demüthige öffentliche Ausdruck der Bußfertigkeit in dem Unglück, welches jetzt über die Stadt hereingebrochen war, beschränkte sich jedoch nur auf ihre wenigen, wahrhaft religiösen Bewohner und fand weder Theilnahme noch Aufmerksamkeit bei der herzlosem halsstarrigen Bevölkerung von Rom. Einige gaben sich immer noch der trügerischen Hoffnung auf Beistand von dem Hofe zu Ravenna hin, Andere glaubten, daß die Gothen bald ungeduldig ihre lange Blockade aufgeben würden, um ihre Verheerungen in die reichen, unbeschützten Gefilde von Süd-Italien zu tragen. Aber dasselbe blinde Vertrauen auf den verschwundenen Schrecken des Römernamens, dieselbe wilde, rücksichtslose Entschlossenheit, den Gothen bis auf den letzten Augenblick Trotz zu bieten, hielt den sinkenden Muth der großen Masse des leidenden Volkes aufrecht und unterdrückte die Muthlosigkeit desselben von dem Bettler an, der nach Abfällen umhersuchte, bis zu dem Patrizier, welcher über seine unwillkommene Nahrung von einfachem Brod seufzte.

 

Während die Büßer, welche die oben beschriebene Prozession bildeten, noch mit der Ausübung ihrer unbeachteten und ungetheilten Pflichten der Buße und des Gebets beschäftigt waren, bestieg ein Priester die Hauptkanzel der Basilika, um die undankbare Ausgabe zu versuchen, der hungrigen Menge zu seinen Füßen Geduld und Frömmigkeit zu predigen.

Er begann seine Predigt damit, daß er die Hauptereignisse, welche seit dem Beginn der Blockade durch die Gothen in Rom stattgefunden hatten, in das Gedächtniß der Menge zurückrief. Er berührte vorsichtig das erste Ereigniß, welches die Annalen der Stadt befleckt hatte. Die Hinrichtung der Wittwe des römischen Generals Stilicho auf den unbegründeten Verdacht hin, daß sie in verräterischem Verkehr mit Alarich und dem feindlichen Heere stehe. Er verbreitete sich ausführlich über die Besprechungen von Beistand, welche nach jener unglückverkündenden That von Ravenna her übersendet worden waren. Er sprach mit Bewunderung von der Geschicklichkeit, welche die Regierung dadurch bewiesen hatte, daß sie augenblicklich die nöthige Verminderung in dem täglichen Verbrauch von Speisen eintreten ließ. Er beklagte den furchtbaren Mangel, welcher diesen von der Zeit gebotenen Einschränkungen nur zu unvermeidlich gefolgt war. Er hielt eine beredte Lobrede auf die edle Mildthätigkeit Läta’s, der Wittwe des Kaisers Gratian, die mit ihrer Mutter die durch ihre kaiserlichen Einkünfte erlangten Mundvorräthe dazu anwendete, in diesem wichtigen Augenblicke die hungernden und entmuthigten Armen zu unterstützen. Er gestand die neue Noth zu, welche auf die Zersplitterung von Läta’s Vorräthen gefolgt war, klagte über die gegenwärtige Nothwendigkeit, die Hausthiere der Bürger aufzuopfern, verdammte die ungeheuern Preise, welche jetzt für die letzten Ueberbleibsel an gesunder Nahrung, welche noch in der Stadt vorhanden waren, gefordert wurden, verkündete es als die feste Ueberzeugung eines Jeden. daß in wenigen Tagen von Ravenna Hülfe kommen werde, und endete damit, daß er seiner Zuhörerschaft mittheilte, sie könne, da sie schon so viel gelitten habe, geduldig noch ein wenig länger leiden und würde, wenn sie nach dem so unglücklich wäre, ihrer Noth zu erliegen, einen edeln Trost darin finden, daß sie für das katholische und apostolische Rom sterbe und sicherlich von der nächsten Generation der Frommen in dem ersten Zwischenraume des Friedens als Heilige und Märtyrer kanonisirt werden würde.

So geläufig auch die Beredtsamkeit dieser Predigt war, besaß sie doch nicht die Macht, auch nur einen von Denjenigen, an welche sie gerichtet war, zum Vergessen des Gefühls seiner gegenwärtigen Leiden zu bewegen und seine Aufmerksamkeit aus die künftigen, vortheilhaften Aussichten, welche der wortreiche Priester allen seinen Zuhörern bot, zu heften. Mit demselben Murren zänkischer Klage und denselben Ausdrücken ohnmächtigen Hasses und Trotzes gegen die Gothen, welche ihr entfallen waren, als sie in die Kirche trat, entfernte sieh jetzt die. Menge aus derselben, um von den Händen der städtischen Beamten das kärgliche Maß widerlicher Nahrungsmittel zu empfangen, welches in dem Kessel aus dem öffentlichen Platze zur Stillung ihres Hungers bereitet worden war.

Und siehe, schon drängen sich von anderen Orten des benachbarten Stadttheils von Rom ihre Mitbürger auf das gegebene Signal herbei, um sich Denjenigen, welche um den Kessel herstehen, anzuschließen. Die matte Schildwache wendet, von ihrem Posten abgelöst, ihren Blick von der traurigen Aussicht aus das gothische Lager ab und eilt, ihren Antheil an dem öffentlichen Mahle entgegenzunehmen Der Bäcker springt vom Schlafe auf seinem leeren Ladentische auf der Bettler erhebt sieh von seinem Lager in dem unbenutzten Schlachthause des Fleischers, der Sklave verläßt seinen Posten an dem glimmenden Küchenfeuer – Alle eilen herbei, um die Zahl der zu dem elenden Mahle geladenen Gäste zu verstärken. Schnell und allgemein strömt die Gemeinde der Basilika durch ihre hohen Pforten, die Priester und Büßer entfernen sich von dem Fuße des Altars und in der großen Kirche, welche vor wenigen Augenblicken noch so menschenvoll gewesen war, ist jetzt nur noch die Gestalt eines einzigen Mannes vorhanden.

Seit dem Beginn des Gottesdienstes ist dieses einsame Wesen weder angeredet, noch beobachtet im Kreise der Gemeinden umhergeschwankt und hat lange und sehnsuchtsvolle Blicke auf die sich seinen Augen bietenden Gesichter geworfen. Seht, wo die Predigt zu Ende ist und der letzte Zuhörer die Kirche verlassen hat, wendet er sich von der Stelle ab, wo er ängstlich die verschiedenen Mitglieder der sich entfernenden Menge beobachtet hat und knieet schwach am Fuße einer nahen Säule nieder. Seine Augen sind hohl und seine Wangen bleich, seine dünnen, grauen Haare hängen unordentlich um seinen greisen Kopf. Er macht keinen Versuch, der Menge zu folgen und an ihrer Nahrung Theil zu nehmen, es ist Niemand zurückgeblieben, um ihn dazu zu treiben, es kehrt Keiner zurück, um ihn zu der öffentlichen Mahlzeit zu führen. Wiewohl schwach und alt, ist er in seiner Einsamkeit doch völlig verlassen, in seinem Schmerze völlig ungetröstet, seine Freunde haben jede Spur von ihm verloren, seine Feinde haben jetzt aufgehört, ihn zu fürchten oder zu hassen. Wie er so allein an der Säule knieet, bedeckt er seine Stirn mit den abgezehrten, zitternden Händen, seine trüben Augen füllen sich mit bitteren Thränen und in den Zwischenräumen seiner tiefen Seufzer hört man Ausdrücke wie diese:

»Ein Tag nach dem anderen – ein Tag nach dem andern! und die Verlorene findet sich nicht, meine Geliebte und Gekränkte ist mir nicht wedergegeben! Antonina! Antonina!«

—–

»Einige Tage nach der öffentlichen Vertheilung von Lebensmitteln auf dem St. Johannes Lateranplatze konnte man Vetranio’s Lieblings-Freigelassenen traurig und langsam auf dem Heimwege nach den Palaste seines Herrn sehen.

Nicht ohne Grund war der Schritt des klugen Carrio langsam, wie bei einem Leichenbegräbnisse und der Ausdruck seines Gesichts untröstlich. Selbst während der kurzen Periode, welche seit der bereits beschriebenen Scene in der Basilika verflossen war, hatte sich die Lage der Stadt furchtbar verschlimmert. Die Hungersnoth rückte mit Riesenschritten vorwärts, jede Stunde begabte sie mit neuer Kraft, jeder Versuch, sie zurückzuweisen, diente nur dazu, ihren sich verbreitenden Alles überwältigenden Einfluß zu vermehren. Eins nach dem andern nahmen die Vergnügungen und die Beschäftigungen der Stadt unter dem traurigen Drucke des allgemeinen Uebels ab, bis der Geist des Publikums in Rom unter allen Klassen gleichmäßig von einem düstern Gedanken beherrscht wurde – dem verzweifelden den Trotz gegen die Hungersnoth wie gegen die Gothen.

Der Freigelassene trat, von den einst unterwürfigen Sklaven im Pförtnergemache weder begrüßt, noch bewillkommnet, in den Palast seines Herrn. Weder Harfen noch Sängerknaben, weder das schallende Gelächter der Frauen, noch die bacchische Lustigkeit von Männern erweckte jetzt das Echo in den einsamen Hallen. Der Puls der Freude schien in dem düstern, verwandelten Hause Vetranio’s seinen letzten Schlag gethan zu haben. Carrio beschleunigte beim Eintreten in das Haus seine Schritte und begab sich in das-Gemach, wo ihn der Senator erwartete.

Auf zwei durch einen kleinen Tisch getrennten Ruhebetten lehnten der Herr des Palastes und seine Schülerin und Gefährtin von Ravenna, die einst muntere Camilla. Vetranio’s offene Stirn hatte einen bewölkten, strengen Ausdruck angenommen, und er betrachtete weder seine Besucherin, noch redete er sie an, während diese ihrerseits eben so schweigsam und traurig, wie er selbst, war. Jede Spur von den frühern Kennzeichen des heitern, eleganten Wollüstlings und des munteren geschwätzigen Mädchens schien gänzlich verschwunden zu sein. Auf dem Tische zwischen ihnen stand eine große Flasche mit, Falerner Wein und ein Gefäß mit einer kleinen Quantität wässeriger Suppe, in deren Mitte ein winziger Teigkuchen schwamm, der kärglich mit gemeinen Kräutern gewürzt war. Was den gewöhnlichen Zubehör von Vetranio’s üppigem Privatleben betraf, so war, er nirgends zu sehen. Gedichte, Gemälde, Juwelen, Lauten, kurz Alles war verschwunden, selbst die unschätzbare Katze von der Zucht, welche die alten Egypter am höchsten verehrten, war nicht mehr zu erblicken. Sie war von einem entlaufenen Sklaven gestohlen, gekocht und verzehrt und ihr Rubinenhalsband gegen einen magern Papagei und die ungebratene Hälfte eines geschlachteten Hundes vertauscht worden.