Za darmo

Antonia

Tekst
0
Recenzje
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Die Stunden schlichen langsam dahin. Die Sonne verbleichte am purpurnen Himmel und ging, von rothen, dicken Wolken umgeben, unter. Dann kam Schweigen und Finsterniß. Die Wachtfeuer der Gothen flammten allmälig in der nebeligen Luft auf. Die Wachen an den verschiedenen Posten wurden verdoppelt, man trieb das Volk von den Wällen und die Festungswerke der Stadt hallten jetzt von keinem Tone mehr wieder, als von dem Schritte der ruhelosen Schildwachen und dem Klirren der Waffen in den fernen Wachthäusern, mit welchen die lange Linie der hohen Mauern besetzt war.

Jetzt gelangte Ulpius, vorsichtig durch die unbetretensten Straßen gehend, unbemerkt bis an den Ort seiner Bestimmung. Ueber der einsamen, morastigen Stelle lag ein dichter Nebel. Es war in demselben jetzt nichts mehr zu unterscheiden, als der unbestimmte Umriß der oberhalb gelegenen Paläste und die Masse der verwitterten Festungswerke, welche so in Finsterniß versunken war, daß sie selbst wie eine dunkle Nebelschicht aussah. Das Gesicht des Heiden überzog mit einem triumphirenden Lächeln, als er die willkommene, Alles verhüllende Undurchdringlichkeit der Atmosphäre bemerkte. Er tastete sich leise durch das Dickicht bis an den Fuß der Mauer. Einige Minuten lang schritt er langsam daran hin, und befühlte die Weite der verschiedenen Spalten, welche er mit seiner Hand erreichen konnte. Endlich blieb er vor einer, welche bedeutender war, als die übrigen, stehen, zog eine dicke an dem einen Ende zugespitzte Eisenstange unter seinen Gewändern hervor und begann eine Bresche zu brechen.

Der Zufall hatte ihn an die für seine Absicht passendste Stelle geführt. Der Boden, auf welchem er stand, trug dicht an der Mauer nur geiles Unkraut und niedriges Gebüsch und bestand hauptsächlich aus feuchtem, weichem Rasen. Die Ziegel machten, als er sie sorgfältig ablöste, beim Fallen daher kein größeres, als das leichte Geräusch, welches ihre plötzliche Berührung mit den Zweigen, durch welche sie herabsanken, erzeugte. So unbedeutend dieser Ton auch war, erregte er doch die Besorgnisse des vorsichtigen Heiden. Er legte sein Brecheisen nieder und entfernte das Gebüsch durch Ausreißen oder Abbrechen desselben an den Wurzeln, bis er am Fuße der Mauer eine einige Fuß im Umfang haltende Stelle gereinigt hatte. Hierauf kehrte er zu seiner mühseligen Aufgabe zurück und setzte mit von den Wunden, die ihm die Dornen des herausgerissenen Gebüsches zugefügt hatten, blutenden Händen seine Arbeit an dem Mauerwerke fort. Er trieb seine Beschäftigung mit vollkommener Straflosigkeit, die Finsterniß schützte ihn vor Beobachtung, er wurde durch keinen sich der einsamen Stelle seiner Bemühungen nahenden Schritt gestört, und von den zwei Schildwachen, welche in der Nähe des Theiles der Mauer, der der Mittelpunkt aller seiner Anstrengungen war, ausgestellt waren, blieb die Eine bewegungslos am fernsten Ende ihres Postens, während die Andere ruhelos auf der Brustwehr hin und her schritt und ein wildes, phantastisches Lied von Krieg, Weibern und Wein sang, welches, wenn es auch ihren Gesichtsorganen alle Freiheit ließ, sie doch an dem wachsamen Gebrauch ihres Ohres hinderte.

Ulpius sah einen Ziegel nach dem andern seinen kräftigen und gut abgemessenen Anstrengungen weichen. Er hatte bereits in schiefer Richtung eine Höhle gemacht, welche weit genug war, um hindurch zu kriechen und bereitete sich eben darauf vor, noch weiter einzudringen, als ein Theil des verwitterten Materials im Innern der Mauer plötzlich in einer zusammenhängenden Masse einem zufälligen Drucke seines Brecheisens wich und langsam nach Innen in ein Bett sank, welches, nach den schwachen Tönen zu urtheilen, die sich in demselben Augenblicke vernehmen ließen, zum Theil aus Wasser, zum Theil aus morastiger Erde und verwittertem Mauerwerk bestanden haben mußte.

Nachdem Ulpius gelauscht hatte, um sich zu überzeugen, daß das durch dieses Ereigniß verursachte, geringe Geräusch nicht zu den Ohren der sorglosen Schildwachen gedrungen war oder deren Verdacht erregt hatte, kroch er in die von ihm gemachte Höhlung und tastete sich dort mit seinem Brecheisen vorwärts, bis er an den Rand eines Abgrundes gelangte, dessen Tiefe er nicht erforschen konnte und dessen Breite er nicht zu ermitteln vermochte.

Er blieb unentschlossen stehen. Die ihn umgebende Finsterniß war undurchdringlich. Er konnte fühlen, wie Kröten und Molche über seine Füße krochen. Die feuchte Atmosphäre des Ortes, wo er sich befand, begann ihn bis auf die Gebeine zu durchfrösteln, sein ganzer Körper zitterte von dem Uebermaße seiner bisherigen Anstrengung Ohne Licht konnte er weder einen Versuch zum Vordringen wagen, noch die Größe und den Umfang des Abgrundes, welchen er theilweise ausgefüllt hatte, zu entdecken hoffen. Die Zeit schritt rastlos vorwärts. Es wurde nöthig zu einem Entschlusse zu gelangen, ehe es zu spät sein würde.

Er kroch aus der Höhlung; eben als er in die freie Luft gelangt war, blieb der Wachtposten gerade über der Stelle, wo er sich befand stehen und hielt plötzlich in seinem Liede inne. Es entstand eine augenblickliche Stille, während welcher der Heide im Innersten unter einer Furcht zusammenzuckte, welche eben so heftig war wie die, welche im Herzen der verachteten Eidechse gepocht hatte, deren Flucht ihn zu seiner Entdeckung an der Mauer geleitet. Bald daraus hörte er jedoch die Stimme des Soldaten seinem Kameraden heiter zurufen:

»Kamerad, siehst Du den Mond? Er geht auf, um unsere Wache zu erheitern.«

Es war nichts entdeckt worden! – er war immer noch sicher! konnte er aber, wenn er in der Höhlung verweilte, bis der Nebel im Mondschein verschwand, der Bewahrung seiner Sicherheit gewiß sein? Er fühlte, daß er es nicht könne.

Was kam es, für einen Plan wie der seinige, auf eine Nacht mehr oder weniger an? Es konnten Monate vergehen, ehe sich die Gothen von den Mauern entfernten. Es war besser Verzögerung zu leiden, als es auf Entdeckung ankommen zu lassen. Er beschloß, sich zu entfernen und in der nächsten Nacht mit einer Laterne zurückzukehren, deren Licht er verbergen wollte, bis er die Höhlung betrat. Einmal dort angelangt, konnte es nicht mehr von den Wachen auf der Brustwehr bemerkt werden und würde ihn durch alle Hindernisse führen, ihn durch alle Gefahren behüten. So massiv die Mauer auch war, fühlte er sich doch überzeugt, daß sich das Innere derselben in eben so ruinenhaften Zustande wie das Aeußere befand. Vorsicht und Ausdauer waren Alles, was nöthig sein würde, um seinen Anstrengungen den schnellsten und vollkommensten Erfolg zu sichern.

Er wartete bis der Posten sich wieder nach der fernsten Grenze seines Bezirks begeben hatte, sammelte dann leise das um ihn her liegende Buschholz und verbarg damit die Mündung der Höhle in der äußern Mauer und die Ziegelfragmente, welche auf den Rasen unterhalb derselben gefallen waren. Sobald er dies gethan hatte, lauschte er wieder, um sich zu überzeugen, daß man ihn nicht beobachtet und entfernte sich dann, mit der äußersten Vorsicht auftretend, auf dem Wege, welcher um den Abhang des Monte Pincio führt.

»Kraft, – Geduld – und die morgende Nacht!« murmelte der Heide vor sich hin, als er aus die Straße trat und sich wieder unter die Bürger von Rom mischte.

Kapitel IV
Goiswinthens Rückkehr

Es war Morgen. Die Sonne war aufgegangen, aber ihre Strahlen wurden theilweise durch dicke, schwere Wolken verdunkelt, welche bereits über der mit ihnen kämpfenden Helligkeit des östlichen Horizonts drohten. Allmälig verbreitete sich die Geschäftigkeit und das Leben des neuen Tages nach allen Richtungen hin im gothischen Lager. Das einzige Zelt, dessen Thür noch geschlossen blieb und um welches sich keine geschäftige Menge zu Gesprächen oder Arbeit versammelt hatte, war das Hermanrich’s.

An den verglimmenden Kohlen seines Wachtfeuers stand der junge Häuptling mit zwei Kriegern, denen er einige hastige Anweisungen zu geben schien. Sein Gesicht drückte Veängstigung und Unzufriedenheit aus, welche er zwar in Gegenwart seiner Gefährten theilweise unterdrückte, die aber nicht nur in seinen Zügen, sondern auch in seinem Benehmen völlig sichtbar wurden, als ihn Jene verlassen hatten und er allein vor seinem Zelte stand.

Eine Zeitlang schritt er regelmäßig auf und ab, blickte ängstlich an den westlichen Linien des Lagers hin und flüsterte sich zuweilen ein hastiges Wort des Zweifels und des Unmuthes zu. Das Licht des neuen Morgens hatte schnell die entzückenden Gedanken zerstreut, welche ihn während der Dunkelheit der Nacht bei seinem Wachtfeuer beschäftigt hatten. Und jetzt, wo die Stunde der erwarteten Rückkehr allmälig näher rückte, verbannte das Bild Goiswinthens Alles, was von den friedlichen, glücklichen Betrachtungen, in welche er bisher versunken gewesen war, noch übrig blieb. Je mehr er über sein verderbliches Versprechen, über die Nation, zu welcher Antonina gehörte – über seine Pflichten gegen sein Heer und Volk nachdachte, desto zweifelhafter erschien ihm die Aussicht, die junge Römerin aus die Dauer schützen zu können, ohne seine Degradation als Gothe und seinen Ruin als Krieger vor Augen zu haben, und desto finsterer und Unglück weissagender erschallte die unbestreitbare Wahrheit der Abschiedsworte Goiswintha’s in sein Ohr. Du mußt Deines Versprechens gedenken, Du kannst sie nicht retten, wenn Du es auch willst.«

Des Beharrens auf Ueberlegungen müde, welche nur seinen Trübsinn tiefer und seine Zweifel größer machten und darauf bedacht, die ihm trotz seiner selbst überwältigenden ahnenden Gedanken in vorübergehendes trügerisches Vergessen zu versenken, indem er die Gesellschaft seines unglücklichen Schützlings aufsuchte, so lange ihm noch der Genuß desselben freistand, näherte er sich seinem Zelte, zog den dicken, schweren Vorhang von Häuten, welcher die Oeffnung desselben verschloß, zurück und beugte sich über das Lager, auf welchem Antonina immer noch schlief.

In diesem Augenblicke brach ein einzelner Sonnenstrahl durch die schweren Wolken und stahl sich in die Oeffnung des Bettes, wo er das schlummernde Mädchen betrachtete. Er strömte über ihre unbedeckte Hand und ihren Arm, flog über ihren Busen und Hals und badete ihre stillen, ruhigen Züge in eine helle, frische Gluth. Allmälig begannen sich ihre Glieder zu bewegen, ihre Lippen theilten sich sanft und mit halbem Lächeln, wie um den Gruß des Lichtes willkommen zu heißen. Ihre Augen öffneten sich ein wenig und schlossen sich dann von der durch ihre erhobenen Lider fließenden Helligkeit geblendet zitternd von Neuem. Endlich vollkommen erwacht, beschattete sie ihr Gesicht mit den Händen, richtete sich in eine sitzende Stellung auf und begegnete dem Blickes Hermanrich’s, welcher in glühendem, trübem Forschen auf sie geheftet war.

 

»Deine schimmernde Rüstung und Dein herrlicher Name und Deine barmherzigen Worte sind selbst in meinem Schlafe bei mir geblieben,« sagte sie verwundert, »und jetzt wo ich erwache, sehe ich Dich wieder vor mir! Es ist ein Glück, von der Sonne, die mich, so lange ich lebe, stets erheitert hat, erweckt zu werden, um auf Dich, von dem mir in meiner Noth Schutz zu Theil geworden ist, zu blicken! Warum aber,« fuhr sie mit verändertem forschenden Tone fort; »warum blickst Du mich mit so zweifelndem trüben Augen an?«

»Du hast gut und sicher geschlafen,« sagte Hermanrich ausweichend; »ich hatte die Oeffnung des Zeltes geschlossen, um Dich vor dem Nachtthau zu bewahren, habe sie aber jetzt wieder erhoben, denn die Luft wird von der aufgehenden Sonne erwärmt.«

»Bist Du vom Wachen ermüdet?« unterbrach sie ihn sich erhebend und mit einem besorgten Blicke in sein Gesicht. Er gab ihr jedoch keine Antwort, sein Kopf war nach der Thür des Zeltes gewendet. Er schien auf einen erwarteten Laut zu lauschen. Offenbar hatte er ihre Frage nicht gehört. Sie folgte der Richtung seiner Augen. Der Anblick der großen Stadt, welche halb erhellt, halb verdunkelt war, je nachdem ihre Myriaden Gebäude das Licht der Sonne zurückwarfen oder die Schatten der Wolken bewahrten, rief dieser die köstliche Bitte um Beschützung ihres Vaters ins Gedächtniß zurück. Sie legte ihre Hand auf den Arm ihres Gefährten, um seine Aufmerksamkeit zu erwecken,und fuhr hastig fort:

»Du hast doch nicht vergessen, was ich gestern Abend zu Dir sagte – meines Vaters Name ist Numerian, er wohnt auf dem Monte Pincio. – Du wirst ihn retten! Du wirst ihn retten! Du wirst Dich Deines Versprechens erinnern.«

Die Augen des jungen Kriegers senkten sich bei ihren Worten und sein ganzer Körper wurde von einem unwiderstehlichen Schauder durchfröstelt. Der letzte Theil von Antoninens Anrede war in dieselben Worte gefaßt, wie eine frühere Berufung auf ihn, von andern Lippen und in andern Tönen, welche immer noch in seinem Gedächtniß haftete. Dieselbe Aufforderung: Gedenke Deines Versprechens! welche Goiswintha am vorigen Abend an ihn gestellt hatte, um ihn zum Blutvergießen zu treiben, wurde jetzt von Antonina erhoben, um ihn zum Mitleid zu bewegen. Die Bitte der Liebe war in dieselben Ausdrücke gefaßt, wie die Bitte der Rachsucht. Als er an beide dachte, erhoben sich das menschliche Mitleid der Einen und die dämonische Grausamkeit der Andern in düsterem, bedeutungsvollem Kontrast vor dem Geiste des Gothen, verwirklichten in allen seinen Gefahren den Kampf, welcher eintreten mußte, sobald Goiswintha zurückkehrte und zerstreuten augenblicklich die letzten Hoffnungen, welche er noch für den Flüchtling an seiner Seite zu hegen gewagt hatte.

»Es ist kein Sturm auf die Stadt befohlen – man beabsichtigt keinen Sturm. Das Leben Deines Vaters ist vor dem Schwerte der Gothen sicher,« antwortete er düster auf Antoninens letzte Worte.

Das Mädchen lenkte, während er so sprach, ihren Blick von seinem Gesichte ab und sah sich zerstreut im Zelte um. Die Streitaxt, weiche Hermanrich während des Auftritts vom vorigen Abend an sich genommen hatte, lag immer noch in einer Ecke ans dem Boden. Der Anblick derselben führte eine Fluth von entsetzlichen Erinnerungen in ihren Geist zurück. Sie schrak heftig zusammen, ihre Züge überzogen sich mit einer plötzlichen Veränderung des Ausdrucks und ais sie Hermanrich wieder anredete, zitterten ihre Lippen so, daß sie kaum Worte bilden konnte.

»Ich weiß jetzt, weshalb Du so düster auf mich blickst« sagte sie, »das Weib wird zurückkehren. Ich war so von meinen Träumen und Gedanken, von meinem Vater und Dir und meinen Hoffnungen auf künftige Tage erfüllt, daß ich beim Erwachen das Weib vergessen hatte. Aber jetzt weiß ich wieder Alles. Sie kommt zurück – ich sehe es in Deinen trüben Augen sie kommt zurück, um mich zu ermorden! Ich werde gerade in dem Augenblicke sterben, wo ich solche Hoffnung von meinem Leben hatte! Für mich gibt es kein Glück! keines! – keines!«

Das Gesicht des Gathen begann sich zu verdüstern, Er flüsterte mehrere Male vor sich hin:

»Wie kann ich sie retten?«

Auf einige Minuten herrschte ein tiefes nur durch Antoninens Schluchzen unterbrochenes Schweigen. Nach einiger Zeit blickte er wieder auf das Mädchen. Sie hatte die Hände vor den Augen gefaltet, die Thränen strömten zwischen ihren Fingern herab, ihr Busen wogte, als ob ihre Empfindungen sich in einer greifbaren Form einen Weg durch denselben bahnen wollten, und ihre Glieder bebten so, daß sie sich kaum aufrecht zu erhalten vermochte. Er schlang, als er sie so anblickte ohne es selbst zu wissen, seinen Arm tm ihre schlanke Gestalt, zog ihr sanft die Hände vom Gesicht und sagte; wiewohl sein Herz die Worte Lügen straften:

»Fürchte nichts! Vertraue auf mich!«

»Wie kann ich ruhig sein?« rief sie flehend zu ihm aufblickend, »ich war gestern Abend so froh, so gewiß, daß Du mich beschützen könntest, so hoffnungsvoll auf das Morgen – und jetzt sehe ich aus Deinen trauernden Blicken, ich höre an Deiner zweifelnden Stimme, daß Du um meine Angst zu beschwichtigen, mehr versprochen hast, als Du halten kannst! Das Weib, Deine Gefährtin, besitzt über uns Beide eine Macht, an die auch nur zu denken entsetzlich ist. Sie wird zurückkehren, sie wird aus Deinem Herzen alle Gnade reißen, sie wird mich mit ihren furchtbaren Augen anstarren, sie wird mich zu Deinen Füßen tödten. Ich werde nach Allem, was ich gelitten, nach Altem was ich gehofft habe, doch noch sterben! O Hermanrich, laß uns fliehen, so lange es nochs Zeit ist! Du bist nicht zum Blutvergießen geschaffen. Du bist zu barmherzig! Gott hat Dich nicht zum zerstören gemacht! Du, kannst Dich nicht nach Grausamkeit und Unheil sehnen, denn Du hast mich unterstützt und mir Schutz gewährt. Laß uns fliehen! ich werde Dir folgen, wohin Du willst! ich werde thun, was Du verlangst! ich werde mit Dir über jene fernen, schimmernden Berge hinter uns hinaus nach jedem fremden, weit entlegenen Lande gehen, denn es gibt überall Schönheit, es gibt auf der ganzen Oberfläche dieser großen weiten Erde Wälder, in denen man wohnen, und Thäler, die man lieben kann! Denke, wie viele Freuden wir genießen würden, wie viel wir sehen könnten! Wir könnten wandern wohin wir wollten, wir würden nie einsam, nie traurig, nie müde werden! Ich könnte Dir tagelang zuhören, während Du mir von dem Lande erzähltest, wo Dein Volk geboren ist; ich könnte Dir süße Lieder, die ich auf der Laute gelernt habe, singen. O wie habe ich in meiner Einsamkeit geweint, ein solches Leben zu führen. Wie habe ich mich gesehnt, daß solche Freiheit und Freude mein werden möchte. Wie habe ich an die fernen Lande gedacht, die ich besuchen, an die glücklichen Nationen, die ich entdecken, an die Berglüftchen, die ich athmen, an die schattigen Orte, wo ich ruhen, an die Flüsse, deren Laufe ich folgen, an die Blumen, die ich pflanzen und die Früchte, die ich pflücken wollte. Wie habe ich auf eine solche Existenz gehofft! wie habe ich mich nach einem Gefährten gesehnt, der sie genießen könnte wie ich! Hast Du, der doch immer gehen konnte, wohin es ihm gefiel, nie die Freude empfunden, welche ich mir vorgestellt habe? Wir wollen diesen Ort verlassen und ich werde Dir sie lehren, wenn Du sie nicht hast. Ich werde so geduldig, so gehorsam, so glücklich sein! Ich werde nie Kummer haben, nie zurücksehnen – aber laß uns fliehen – o Hermanrich, o laß uns fliehen, so lange es noch Zeit ist! Willst Du mich hier behalten, damit ich erschlagen werde! Kannst Du mich allein in die Welt hinaus treiben? Bedenke, daß die Thore der Stadt und die Thüren meines Hauses mir jetzt verschlossen sind! Bedenke, daß ich keine Mutter habe und von meinem Vater verstoßen bin! Bedenke, daß ich ein Fremdling auf der Erde bin, die dazu geschaffen ist, damit ich mich darauf freuen sollte. Denke, wie bald das Weib, das mich zu ermorden geschworen hat, zurückkehren wird! Denke, wie entsetzlich es ist, in Todesfurcht zu schwebem und laß uns fliehen, so lange es noch Zeit ist, Hermanrich, Hermanrich! wenn Du Mitleid für mich hast, so laß uns fliehen!«

Sie faltete die Hände und blickte flehendlich zu seinem Gesichte auf. Das Benehmen Hermanrich’s hatte ihre durch die Gefahr geschärften Sinne mehr ausgedrückt sals seine Worte vermocht haben würden, selbst wenn er ihr den Grund des Zweifels und der Besorgniß, wovon sein Geist bedrückt war, gestanden hätte. Es konnte kein schlagenderes Zeugniß für die Unschuld« ihres Charakters und die Abgeschlossenheit ihres Lebens geben, als ihren Versuch mit ihrer Flucht vor Goiswinthens Grimm, die Erlangung eines Gefährten, wie es der Gothe war, zu verbinden. Hätte aber dem einsam stehenden, liebevollen Mädchen welches sich, den Gesetzen der socialen Existenz ihrer Nebenmenschen fremd, plötzlich freundlos in die kalte Welt hinausgestoßen sah, das Herz wohl einen andern Wunsch eingegeben haben, als das Verlangen, sich in dem neu entdeckten Beschützer einen Gefährten zu verschaffen, in der Schuldlosigkeit ihres Charakters, in der absoluten Unbekanntschaft mit den Menschen, dem Einflusse der Sitten der verschiedenen Formen, welche das Gefühl bei den verschiedenen Geschlechtern annimmt, stellte sie sich fälschlich vor, daß die ruhige Existenz, welche sie Hermanrich vorgeschlagen, zur Erreichung ihres zweckes genügen würde, indem sie ihm, einem Krieger und Gothen, dieselben Lockungen bot, welche dieselbe für sie, ein einsames, seinen Gedanken hingegebenes, träumerisches Mädchen, besaß. Und doch war die Herrschaft, welche sie durch den Zauber ihrer Gegenwart, die Frische ihrer Schönheit und die Neuheit ihres Benehmens auf das Herz des jungen Häuptlings erlangt hatte, so wunderbar, daß er, der jedes andere Weib, welches eine Bitte, wie die Antoninens, an ihn gerichtet hätte, mit Verachtung von sich gestoßen haben würde, bekümmert auf das Mädchen hinabblickte, als es schwieg und für einen Augenblick in seiner Wahl schwankte.

In diesem Augenblick, als die Aufmerksamkeit eines Jeden auf das Andere geheftet war, trat eine dritte Person leise in die Oeffnung des Zeltes und brach, als sie sie so zusammen erblickte, in ein bitteres, spöttisches Lachen aus.

Hermanrich erhob sofort die Augen, aber der Klang jener rauhen, unweiblichen Stimme war für Antoninens Sinne Zeugniß genug. Sie verbarg ihr Gesicht an der Brust des Gothen und murmelte athemlos:

»Sie ist zurückgekehrt, ich muß sterben! ich muß sterben!«

Sie war zurückgekehrt. Sie bemerkte Hermanrich und Antonina in einer Stellung, welche ihr keine Zweifel ließ, daß ein stärkeres Gefühl, als der bloße Wunsch, das Opfer ihrer beabsichtigten Rache zu beschützen, während ihrer Abwesenheit in der Brust ihres Bruders entstanden war. Die langen Stunden der Nacht während sie an den Betten der kranken Soldaten Alarich’s ihre Pflicht erfüllte, hatte sie über ihre Rache und Blutpläne gebrütet Weder die Krankheit, noch der Tod, den sie um sich her erblickte, hatte einen Einfluß besessen, der kräftig genug gewesen wäre, um die halsstarrige Wuth, welche jetzt allein ihre Natur erfüllte, zu beschwichtigen, sie zur Gnade zu bewegen, oder zur Reue zu bringen.Durch die Zögerung gekräftigt und durch den Mangel an Befriedigung verstärkt, hatte die schlimme Leidenschaft, welche sie verzehrte, an Macht zugenommen und während der stummen Wache, die sie gehalten hatte, alle ihre noch schlummernde Energie aufgerufen. Sie hatte das Mädchen am vorigen Abend seiner Nation wegen verabscheut, jetzt haßte sie es um seiner selbst willen.

»Was hast Du mit der Rüstung eines gothischen Kriegers zu schaffen?« rief sie spöttisch, indem sie mit einem langen Jagdmesser, welches sie in der Hand hielt, auf Hermanrich deutete; »warum bist Du hier in einem gothischen Lager. Gehe klopfe an die Thore von Rom, flehe die Wachen auf Deinen Knieen an, Dich unter die Bürger zuzulassen, und wenn sie Dich fragen warum, so zeige ihnen das Mädchen dort! sage ihnen, daß Du sie liebst, daß Du sie heirathen willst, daß es Dir gleichgültig ist, daß ihr Volk Deinen Schwager und seine Kinder gemordet hat! Und dann, wenn Du selbst Söhne erzeugt hast, mit römischem Blut angesteckte gothische Bastarde, so sei selbst von Herzen ein Römer, schicke Deine Kinder aus, um zu vollenden, was das Volk Deines Weibes in Aquileja angethan gelassen hat, indem sie mich ermorden!«

 

Sie schwieg und lachte höhnisch. Dann veränderte sich ihre Stimmung plötzlich, sie trat um einige Schritte vor und fuhr mit lauterem, strengerem Tone fort:

»Du hast Dein Wort gebrochen, Du hast mich belogen, Du hast das Dir und mir widerfahrene Unrecht vergessen, aber meine leszten Worte, als ich Euch gestern Abend verließ, werden Dir noch nicht entschwunden sein! Ich habe Dir gesagt, daß sie getödtet werden müsse und seht, wo Du Dich geweigert hast, mich zu rächen, werde ich meine Worte dadurch erfüllen, daß ich sie mit meiner eignen Hand tödte. Wenn Du sie vertheidigen willst, so mußt Du mich ermorden. Du mußt ihr Blut vergießen oder das meine

Sie that einen Schritt vorwärts. Ihre imposante Gestalt richtete sich in ihrer höchsten Länge empor, die Muskeln an ihren nackten Armen schwellten sich an, als sie dieselben über ihrem Kopfe erhob. Einen Moment heftete sie ihre blitzenden Augen fest auf die zusammengesunkende Gestalt des Mädchens – im nächsten stürmte sie gegen dasselbe heran und führte einen wüthenden Streich mit dem Messer gegen seinen nackten Hals. Als die Waffe herabsank, ergriff Hermanrich ihr Handgelenlk. Sie rang heftig, um sich von ihm loszureißen aber vergebens.

Das Gesicht des jungen Kriegers wurde todtenbleich während er sie so hielt, einige Minuten lang blickte er, von Verwirrung und Verzweiflung gequält, begierig im Zelte umher. Die streitenden Interessen seiner Pflicht gegen seine Schwester und seine Besorgniß um Antonina erfüllten sein Herz zum Zerspringen. Noch einen Augenblick zauderte er und während dieses kurzen Zeitraumes erhielt der Despotismus der Gewohnheit Gewalt genug, um über die Eingebungen des Mitleids die Oberhand zu erhalten. Er rief dem Mädchen, indem er seinen Arm, welcher es bisher gestützt hatte, zurückzog, zu:

»Geh, habe Mitleid für mich —« geh!«

Aber sie beachtete ihn weder, noch hörte sie ihn. Sie fiel zu den Füßen des Weibes auf die Kniee und sprach mit leiser, stöhnender Stimme:

»Was habe ich gethan, um den Tod zu verdienen? Ich habe Deine Kinder nicht gemordet! Ich habe nie ein Kind gesehen, das ich nicht geliebt hätte; wenn ich Deine Kinder gesehen hätte, so würde ich sie geliebt haben!«

»Wenn ich das Kind, welches ich aus den! Blutbade rettete, bis jetzt behalten und Du Dich ihm genähert hättest,« entgegnete das Weib grimmig so würde ich ihm gelehrt haben, mit seinen kleinen Händen nach Dir zu schlagen. Wenn Du zu ihm gesprochen hättest, hätte es Dich zur Antwort anspeien müssen, wie ich es thue.«

Zitternd, erschöpft, entsetzt, wie sie war, strömte doch das römische Blut des Mädchens in ihre blassen Wangen, als sie die Beleidigung fühlte. Sie wendete sich zu Hermanrich, blickte flehend zu ihm auf, versuchte zu sprechen, sank dann auf den Boden nieder und weinte bitterlich.

»Warum weinst Du und bittest und grimmassirst gegen ihn?« schrie Goiswintha, indem sie mit ihrer freien Hand auf Hermanrich deuten. »Er hat weder den Muth, Dich zu beschützen, noch das Ehrgefühl, mir beizustehen. Denkst Du, daß ich mich von Deinen Thränen und Bitten bewegen lassen werde? Ich sage Dir, daß Dein Volk meinen Gatten und meine Kinder erschlagen hat und daß ich Dich dafür hasse. Ich sage Dir, daß Du Hermanrich zur Liebe für eine Römerin und Untreue gegen mich verlockt hast, und werde Dich dafür erschlagen! Ich sage Dir, daß es kein lebendes Wesen von dem Blute Deines Vaterlandes oder dem Namen Deines Volks im ganzen Umfange dieses Reiches giebt, das ich nicht vernichten würde, wenn ich die Macht dazu besäße! Wenn selbst die Bäume auf dem Wege hierher Gefühl gehabt hätten, so würde ich mit eigenen Händen die Rinde von ihren Stämmen gerissen haben. Wenn ein unter Deinem Himmel gebotener Vogel zahm an meinen Busen geflogen wäre, so würde ich ihn mit den Füßen zertreten haben! Und Du denkst, daß Du entrinnen wirst? Denkst Du, daß ich nach dem, was geschehen ist, nicht den Tod meines Gatten und meiner Kinder an Dir rächen werde?«

Bei diesen Worten öffnete sie mechanisch die Hände, das Messer fiel zu Boden, Hermanrich beugte sich augenblicklich nieder und bemächtigte sich desselben. Eine Minute lang stand sie, von seinem Griffe befreit, sprach und bewegungslos da, dann eilte sie, wie von einem plötzlichen Gedanken ergriffen auf die Oeffnung des Zeltes zu und sagte in Tönen boshaften Triumphes:

»Du sollst sie doch nicht retten, Du bist Deiner Nation und Deines Namens unwürdig. Ich werde Deine Feigheit und Verrätherei Deinen Kameraden im Lager kund thun.« Und sie lief aus dem Zelte und rief mit lauter Stimme einer Gruppe junger Krieger, welche in einiger Entfernung vorüberging, zu:

»Halt, halt! Fritiger – Athanarich! – Colias – Swerid – Witherich – Fravtta – Eilt hierher! Hermanrich hat einen Gefangenen in seinem Zelte, über dessen Anblick Ihr Euch freuen werdet. Hierher, hierher!«

Die Gruppe, welche sie angerufen hatte, bestand aus einigen von den unruhigsten und leichtsinnigsten Jünglingen des ganzen gothischen Heeres. Sie waren so eben von ihren Pflichten der vergangenen Nacht abgelöst worden und hatten Muße genug, um Goiswinthens Aufforderung zu genügen. Sie war kaum ausgesprochen, als sie sich umwendeten und begierig zum Zelte heraneilten, indem sie Hermanrich zuschrieen, daß er ihnen seinen Gefangenen im Freien zeigen möge.

Wahrscheinlich hatten sie erwartet, mit dem komischen Entsetzen eines von ihrem Kameraden in der verlassenen Vorstadt entdeckten, römischen Sklaven regalirt zu werden, denn als sie in das Zelt traten und nichts als die zusammengesunkene Gestalt des unglücklichen Mädchens auf dem Boden zu Hermanrichs Füßen sahen, blieben sie plötzlich stehen, und blickten einander in sprachlosen Erstaunen an.

»Schaut sie an!« rief Goiswintha; das eingetretene Schweigen unterbrechend, »sie ist die römische Gefangene, die Euer tapferer Kamerad dort für sich behalten hat! Um des zitternden Kindes willen hat er die Feindschaft seines Volkes vergessen. Sie ist ihm bereits mehr als Heer, General oder Gefährten. Ihr habt die Nacht über vor der Stadt gemacht, aber er hat bei der Römerin Schildwache gestanden! Hofft nicht, daß er weiter an Euern Mühen oder Freuden Theil nehmen wird. Alarich und die Krieger haben seine Dienste verloren – sein künftiger König kriecht dort zu seinen Füßen.«

Sie hatte erwartet, daß sie den Zorn und die Eifersucht der rauhen Zuhörerschaft, welche sie anredete, erregen würde; aber das Resultat ihres giftigen Hohnes täuschte ihre Erwartungen. Die Laune des Augenblicks forderte die Gothen zum Lachen auf, was für Antonina’s Interessen bei Hermanrich weit verderblicher war, als Drohungen oder Vorwürfe es hätten sein können. Von ihrem ersten Erstaunen wieder zurückgekommen, brachen sie in ein lautes, allgemeines Gelächter aus.

»Mars und Venus zusammengefangen! Aber bei St. Petrus, ich sehe den Vulkan und das Netz nicht!« rief Fravitta, der im römischen Heere gedient und dort eine weitläufige Bekanntschaft mit der alten Mythologie und der modernen Politik des Reiches erlangt hatte, und daher von seinen Kameraden als der klügste Kopf des Bataillons zu welchem er gehörte, betrachtet wurde.