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Kapitel III
Die Mauerspalte

Als Ulpius an dem Morgen, wo die Belagerung begann, plötzlich Numerian’s Haus verließ, geschah es nicht in der bestimmten Absicht, sich nach irgend einem besonderen Orte zu begeben, oder irgend ein Geschäft vorzunehmen. Es geschah, um seiner Freude – dem Triumphe, welcher sein Herz jetzt bis zum Zerspringen anfüllte, Luft zu machen, daß er die offenen Straßen aufsuchte. Sein ganzer Geist war von dem Triumphgefühle exaltirt, welches den Körper zum Handeln antreibt. Er eilte in die freie Luft hinaus, wie ein Kind an einein hellen Tage auf das Feld läuft. Sein Entzücken war zu groß, um sich unter einem Dache entfalten zu können. Das Uebermaß seines Glückes schwoll unwiderstehlich über alle künstlichen Schranken des Raumes hinaus an. Die Gothen waren in Sicht. Noch wenige Stunden und ihre Sturmleitern würden gegen die Mauern angesetzt werden. Bei einer so schwach vertheidigten Stadt, wie Rom, mußte ihr Angriff fast augenblicklichen Erfolg haben. Sie würden beutedürstend in wüthenden Schaaren durch die unvertheidigten Straßen strömen. Wenn»sie auch Christen waren, würden doch die Fesseln der Religion in dem Augenblicke wilden Triumphes bei einer solchen Räubernation gegen die Versuchung zum Beutemachen ohnmächtig sein. Kirchen würden verheert und zertrümmert, Priester bei dem Versuch, ihre Kirchenschätze zu bewahren, ermordet werden, Feuer und Schwert den Hauptort der Christenheit bis in seine entlegensten Grenzen verwüsten und die kühnsten Gläubigen des Christenthums in Tod und Vergessenheit hinabziehen! Dann, wenn der Orkan der Zerstörung und des Verbrechens über der Stadt verbraust, wenn ein neues Volk für eine andere Regierung und Religion herangereist war – dann würde es Zeit sein, die verbannten Götter des alten Rom’s wieder mit ihrer frühern Herrschaft zu bekleiden, die Ueberlebenden an das Strafgericht Gottes zu erinnern, welches der Abfall von ihrem alten Glauben erforderlich gemacht und erlitten hatte; Zeit sein, selbst die Erinnerung an das Kreuz aus dem Gedächtniß der Menschen zu verwischen; und das Heidenthum durch seine frühen Verfolgungen noch mächtiger, durch seine plötzliche Wiedereinführung noch allgemeiner, wie in der größten Herrlichkeit seiner alten Herrschaft, wieder aus seinen Opferthron zu sehen und unter sein goldenes Dach zurück zu führen.

Dergleichen Gedanken zogen durch den Geist des Heiden, als er achtlos gegen alle äußeren Ereignisse durch die Straßen der belagerten Stadt schritt. Schon sah er das Heer der Gothen als bewußtlose Vorläufer der wiederkehrenden Götter, der mächtigen Revolution, welche er anzuführen entschlossen war, den Weg bahnen. Die Wärme seiner frühern Beredtsamkeit, die Gluth seines alten Kampfesmuthes zuckten durch sein Herz, als er sich die Aussicht vorstellte, welche sich bald vor ihm ausbreiten würde – eine verwüstete Stadt, ein entsetztes Volk, eine verwirrte Regierung, eine zerstörte Religion. Dann wollte er sich in dieser Finsterniß, diesem Verderben, aus dieser Einsamkeit, Verödung und Vernichtung erheben und sein herrliches Vorrecht sollte es sein, das ungläubige Volk aufzufordern, zur Herrin seiner alten Liebe zurückzukehren, von seinem Sturze unter der zerstörten Kirche aufzustehen und in neu bevölkerten Tempeln, an wiederhergestellten Heiligthümern sein Glück zu suchen.

Die Erinnerung an die jüngsten Ereignisse verschwand jetzt völlig aus seinem Geiste. Vetranio, Numerian, Antonina waren über dem denkwürdigen Erscheinen der Gothen gänzlich vergessen. Seine Sklaverei in den Bergwerken, sein letzter Besuch in Alexandrien, seine früheren Wanderungen, selbst diese, bis zur Ankunft des Feindes, seinem Gedächtnisse so gegenwärtige Dinge, waren jetzt von der Oberfläche desselben verwischt. Alter, Einsamkeit, Gebrechlichkeit, bisher die traurigen Empfindungen, welche ihm Beweise waren, daß er noch existirte – verschwanden plötzlich aus seinem Wahrnehmungsvermögen, wie Dinge. die keine Existenz besaßen und nun vergaß er endlich, daß er ein Ausgestoßener sei, und gedachte mit Triumph daran, daß er noch ein Priester war. Er fühlte sich von denselben Hoffnungen beseelt, von denselben Bestrebungen erhoben, wie in den frühen Tagen, wo er die schwankenden Heiden im Tempel angeredet und zuerst auf den Umsturz der christlichen Kirche gesonnen hatte.

Es war ein furchtbarer, warnender Beweis des allmächtigen Einflusses, welchen eine einzige Idee auf ein ganzes Leben üben kann, wenn man den Preis nach Jahren des Leidens und der Einsamkeit, der Herabwürdigung und des Verbrechens noch immer in den Banden des Ehrgeizes, welche die Blüthe seiner Jugend geknickt hatte, unter der ihn umgebenden Menge umherwandern sah.

Es war ein ehrfurchtgebietendes Zeugnis von der ewigen, räthselhaften Natur des Gedankens, wenn man jene abgezehrte geschwächte Gestalt erblickte und dann bemerkte, wie der unbesiegbare Geist im Innern immer noch die Trümmer des ihm gebliebenen Körpers beherrschte, – wie treulich sich die letzten erschöpften Hülfsquellen der sinkenden Thatkraft auf dessen strenges Gebot zum Kampfe schaarten, – wie schnell auf seine trügerische Stimme das eingesunkene Auge sich wieder von einem Strahl der Hoffnung entzündete und auf die blassen, dünnen Lippen mechanisch ein triumphirendes Lächeln trat.

Die Stunden vergingen, aber noch immer schritt er vorwärts – wohin oder unter wem, wußte er weder, noch kümmerte es ihn. Sein Herze fühlte keine Reue über die Zerstörung, welche er in das Haus des Christen, der ihn bei sich aufgenommen, gebracht hatte, – kein Schrecken entsetzte seine Seele bei der Betrachtung des Elendes, welches, seinem Glauben nach, der Stadt von dem Feinde vor ihren Thoren drohte – der Zweck, welcher ihm die lange Reihe seiner frühern Sünden und Leiden geheiligt hatte, verwischte jetzt die so eben vergangenen Frevel und entkleidete die unmittelbar bevorstehenden Schändlichkeiten aller ihrer Schrecknisse.

Für Andere mochten die Gothen Zerstörer sein, für ihn waren sie aber Wohlthäter, denn sie waren die Boten des Verderbens, welches das Material seiner Reform und die Quelle seines Triumphes sein sollte. Es kam ihm nicht in den Sinn, daß er als Bewohner Rom’s die nahen Gefahren der Bürger theilte und im Augenblicke des Sturms ihr Schicksal theilen könne, er erblickte nur die neuen, glänzenden Aussichten, welche ihm Krieg und Plünderung eröffneten. Er dachte nur an die Zeit, welche vergehen mußte, ehe seine neuen Anstrengungen beginnen konnten, an die Stände des Volks, unter welchen er zuerst seine Stimme vernehmen lassen wollte – an die Tempel, welche er zur Wiederherstellung auswählen würde – an den Theil Rom’s, welcher zuerst zur Aufnahme seiner kühnen Reform bestimmt werden sollte.

Endlich blieb er stehen; seine erschöpften Kräfte wichen den ihnen auferlegten Anstrengungen und zwangen ihn, an Erquickung und Ruhe zu denken. Es war jetzt Mittag, seine Wanderung hatte ihn unmerklich in die Nähe seines alten, bekannten Wohnplatzes zurückgeführt, er befand sich auf der Rückseite des Monte Pincio und war nur durch einen Streifen unebenen, beholzten Bodens vom Fuße der Stadtmauern getrennt. Die Stelle war sehr einsam. Sie wurde von den Straßen und Wohnungen über diese durch dichte Haine und ausgedehnte Gärten, welche sich auf den wellenförmigen Hügelabhänge hinstreckten, abgeschieden. Etwas westlich von ihm lag das Pincische Thor, aber eine scharfe Biegung der Mauer und einige in deren Nähe wachsende Olivenbäume verschlossen alle Aussicht nach jener Richtung hin den Augen gänzlich.

Auf der andern Seite, nach Osten zu, sah man die Wälle eine ziemliche Strecke weit in gerader Linie hinlaufen, bis sie sich plötzlich in einem rechten Winkel nach innen bogen und, durch die Mauern eines entfernten Palastes und die Pinien eines öffentlichen Gartens, weiterer Beobachtung verborgen wurden. Die einzige lebende Gestalt, welche man in der Nähe dieser einsamen Stelle erblickte, war die einer Schildwache, die zuweilen auf den Mauerzinnen hin- und herschritt, die, da sie zwischen zwei Soldatenpostem den am Pincischen Thore und dem, wo die Mauer den bereits beschriebenen Winkel bildete, lagen, nur von, dem Wachtposten besetzt waren, in dessen Bezirk sie sich befanden. Hier vergönnte der Heide auf kurze Zeit seinem müden Körper Ruhe und erwachte unmerklich aus den Betrachtungen, die ihn bisher für das verwirrte Aussehen der ihn umgebenden Welt blind gemacht hatten.

Jetzt hörte er zum ersten Male deutlich den verwirkten Lärm, welcher sich immer noch aus allen Theilen Rom’s erhob. Derselbe unablässige Streit von um die Oberhand ringenden Stimmen und eiligen Schritten, welcher am Morgen sein Ohr getroffen hatte, zog jetzt seine Aufmerksamkeit an. Mit ihm vermischte sich aber kein Nothgeschrei, kein Waffengeklirr, keine Rufe der Wuth und Herausforderung, wiewohl, wie er an dem Stande der Sonne bemerkte, der Tag hinreichend vorgerückt war, um das gothische Heer längst schon an den Fuß der Mauern gebracht haben zu können. Was konnte der Grund der Verzögerung des Sturmes, der ominösen Ruhe auf den Wällen über ihm sein? War die Kampfeshitze der Gothen beim Anblicke von Rom plötzlich verschwunden? Hatte man beim ersten Erscheinen der Eroberer Friedensunterhandlungen begonnen?

– Er lauschte wieder.

Sein Ohr vernahm keine Klänge von anderer Art, als die von ihm bis jetzt gehörten. Wiewohl belagert, war die Stadt doch offenbar aus irgend einem geheimen Grunde nicht einmal von einem Angriffe bedroht.

Plötzlich erschien auf einem schmalen Pfade neben ihm, welcher um den Fuß der Mauer führte, ein Weib mit einem voraus laufenden Kinde, welches ihr ungeduldig zartes:

»Eile, Mutter, eile! Hier sind keine Menschen, dort ist das Thor, wir, werden eine prächtige Aussicht auf die Gothen haben!«

In der Anrede des Kindes lag etwas, wodurch Ulpius schon jetzt eine Spur von der Entdeckung erhielt, welche bald nachher auf ihn eindrang. Er stand auf und folgte ihnen. Sie gingen an der Mauer unter den Olivenbäumen hin und gelangten dann auf den freien Raum vor dem Pincischen Thore. Hier hatte sich eine große Menge von Menschen versammelt, der der Reihe nach von einigen Soldaten, welche die Treppe, über die man hinaufstieg, bewachten, gestattet wurde, in Abtheilungen auf die Mauern zu gehen. Nach kurzem Verweilen durfte Ulpius, nebst den ihn umgebenden Neugierigen seine Schaulust eben so befriedigen, wie es Andere schon vorher gethan hatten. Sie stiegen auf die Mauern und erblickten innerhalb und außerhalb der Vorstädte die weit ausgebreiteten gothischen Linien.

 

So furchtbar und fast erhaben auch der Anblick jener ungeheuern Menge in der strahlenden Beleuchtung der Mittagssonne war, machte sie doch nicht Eindruck genug auf die Römer, um die in ihrem Charakter eingewurzelte stürmische Geschwätzigkeit zum Schweigen zu bringen. Männer, Weiber und Kinder machten ihre lärmenden, einander widerstreitenden Bemerkungen über den Anblick vor ihnen in jeder Verschiedenheit des Tones, von den behenden Klängen des Schreckens an bis zum lauten Geschrei der Herausforderer. Einige sprachen prahlerisch von den Thaten, welche die Römer verrichten würden, wenn ihre erwarteten Hülfstruppen von Ravenna ankamen. Andere ahnten mit unverhohlenem Entsetzen einen Sturm im Schleier der Nacht. Hier schmähte eine Gruppe in leisen vertraulichen Tönen die Politik der Regierung in ihren frühern Beziehungen zu den Gothen, dort unterhielt sich eine Gruppe von zerlumpten Vagabunden damit, daß sie sich gegenseitig ihre positive Ueberzeugung mittheilte, daß in diesem Augenblicke die Barbaren bei dem bloßen Anblick der allmächtigen Hauptstadt der Welt in ihrem Lager zittern müßten. Auf der einen Seite hörte man die Leute lärmend debattiren, ob die Gothen durch die Soldaten Rom’s von den Mauern hinweggetrieben oder mit einer Einladung beehrt werden würden, Frieden mit dem Kaiserreiche zu schließen, in welches sie so verrätherischer Weise einzufallen gewagt hatten. Aus der andern sprachen die Nüchterneren und Achtbareren unter den Zuschauern hörbar ihre Besorgnisse vor Hungersnoth, Schande und Niederlage aus, im Fall die Behörden der Stadt tollkühn genug sein sollten, Widerstand gegen Alarich und sein Barbarenheer zu wagen.

So weit aber auch die Verschiedenheit zwischen den Ansichten der Bürger war, stimmten sie doch alle in der einen unvermeidlichen Gewißheit überein, daß die Stadt nur deshalb mit einem Sturme verschont geblieben sei, um von den Schrecknissen einer Blockade bedroht zu werden, im Falle die von Ravenna her erwarteten Legionen ausblieben.

In dem ihn umgebenden Stimmengewirr drang nur das Wort Blockade zu den Ohren des Heiden. Es brachte eine Fluth von Bewegungen mit, in welcher er gänzlich unterging. Alles, was er sah und hörte, verknüpfte sich unmerklich mit diesem Ausdruck. Eine plötzliche Finsterniß, welche sich weder zerstreuen ließ, noch ein Ausweichen gestattete, schien augenblicklich über seine Geisteskräfte hereingebrochen zu sein. Er drängte sich mechanisch durch die Menge, stieg von der Mauer herab und kehrte nach der einsamen Stelle zurück, wo er das Weib mit dem Kinde zuerst erblickt hatte.

Die Stadt war blockirt! Die Gothen wollten also einen Frieden erzwingen; nicht aber eine Eroberung! Die Stadt war blockirt! es war kein Irrthum der unwissenden Menge. Er hatte mit eigenen Augen die Zelte und Positionen des Feindes erblickt. Er hatte die Soldaten auf der Mauer über die treffliche Vertheilung der Streitkräfte Alarich’s, über die Unmöglichkeit, die mindeste Verbindung mit der Umgegend herzustellen, die strenge Wache, welche über die Schifffahrt auf dem Tiber gesetzt worden war, sprechen hören. Die Sache ließ sich nicht mehr bezweifeln – die Barbaren hatten sich zu einer Blockade entschlossen.

Noch geringere Ungewißheit herrschte über die Resultate, welche diese ungeahnte Politik der Gothen haben mußte – die Stadt konnte gerettet werden! Rom hatte früher keinen Anstand genommen, die Entfernung aller Feinde aus seinen entlegenen Provinzen zu erkaufen, und jetzt, wo der Mittelpunkt seines Ruhmes, die Zinne seiner abnehmenden Macht mit plötzlichem unerwarteten Verderben bedroht war, würde es an die Gothen die Schätze des ganzen Reiches verschwenden, um von ihnen den Frieden zuerkaufen und sie zum Rückzuge zu bewegen.

Der Senat konnte vielleicht aus Hoffnungen auf Beistand, die sich nie erfüllen würden, die nöthigen Zugeständnisse hinausschieben, früher oder später mußte aber die Stunde des Unterhandelns kommen, die nordische Habgier mit dem südlichen Reichthume befriedigt werden und der Ruin, welcher die Quelle der heidnischen Revolution werden sollte, sich in demselben Augenblicke, wo er unvermeidlich schien, sich von den Kirchen Rom’s abwenden.

Konnte der alte Ruhm des Römernamens von seinem frühem Einflusse noch soviel bewahrt haben, daß er die kühnen Gothen schreckte, nachdem sie so glücklich durch das Reich bis zu den Mauern seiner berühmten Hauptstadt vorgedrungen waren; konnte Alarich eine so übertriebene Ansicht von den Streitkräften in der Stadt besitzen, daß er mit allen seinen Heerschaaren daran verzweifelte, sie erfolgreich zu bestürmen. Etwas Anderes war unmöglich!

Keine andere Rücksicht konnte den Barbarengeneral bewogen haben, eine so ruhmvolle That wie die Zerstörung Rom’s aufzugeben. Mit der Möglichkeit eines Sturms hatten sich auch die Aussichten des Heiden erhellt, mit der Gewißheit einer Belagerung versanken sie augenblicklich in zu Boden schmetterndes Dunkel.

Von diesen Gedanken erfüllt, schritt Ulpius in seiner Einsamkeit, von dem Triumphgefühl, welches seinen Geisteskräften am Morgen die lange verlorene Spannung ihrer Jugend zurückgegeben hatte, gänzlich verlassen, auf und ab. Er fühlte wieder die Gebrechlichkeit seines Alters, – er erinnerte sich von Neuem des Elends, welches seine Existenz zu einem endlosen Märtyrerthum gemacht hatte, er fühlte nochmals die Gegenwart seines Ehrgeizes gleich einem Urtheilsspruche, welchen willkommen zu heißen er bestimmt, gleich einem Fluche, den an seiner Brust zu hegen er geschaffen war. Wenn man sagen wollte, daß seine Gefühle in diesem Augenblicke die des Verbrechers waren, welcher den Befehl zu seiner Hinrichtung vernimmt, nachdem man ihm Gnade zugesagt hatte, so würde man nur eine schwache Idee von dem Grimm, Schmerz und der Verzweiflung geben, welche sich jetzt vereinigten, um das Herz des Heiden zu zerfleischen.

Vor Müdigkeit an allen Gliedern zitternd, warf er sich im Schatten des Gebüsches nieder, welches eine Strecke weit den Fuß der über ihm aufragenden Mauer bekleidete. Während er in seiner schweren Ermattung so still, daß ihn das Leben selbst verlassen zu haben schien, dalag, kroch eine von den in Italien gemeinen, langen, grünen Eidechsen über seine Schulter. Er ergriff das Thier, für den Augenblick in Zweifel, ob es nicht etwa zu der giftigen Art gehöre und betrachtete es. Auf den ersten Blick entdeckte er, daß es eines von den unschädlichen seines Geschlechts war und würde es unbekümmert von sich geworfen haben, wenn ihm nicht etwas im Aussehen desselben bei der launischen Reizbarkeit seiner gegenwärtigen Stimmung bewogen hätte, es mit einem seltsamen Vergnügen zu betrachten.

Er konnte durch die schöngezeichnete, durchsichtige Haut des Thieres die Bewegung seines Herzens bemerken und sah, daß es von der Furcht, welche die Gefangenschaft desselben in seiner Hand erzeugte, heftig klopfte. Als er darauf niederblickte und bedachte, wie beständig ein so furchtsames Wesen in seinen bescheidenen Bestrebungen, in seinen kleinen Anstrengungen, in seinen kurzen Reisen von einem Grasflecken zum andern auf hundert Hindernisse stoßen müsse, die, wenn auch für Geschöpfe von höheren Klassen Kleinigkeiten, doch für solche wie dieses, von verderblicher Wichtigkeit sein mußten, begann er eine unvollkommene aber auffallende Analogie zwischen seinem Schicksale und dem dieses kleinen Pünktchens in der Schöpfung zu finden. Er fühlte, daß das kurze Leben des kleinen Thieres vor ihm, in seinem engumgrenzten Kreise, eine Beute von Durchkreuzungen und Täuschungen seiner Absichten gewesen sein müsse, die für dasselbe eben so ernst waren, wie die schwereren vernichtenden Trübsale, deren Opfer er in seiner Existenz gewesen war, und als er die schattenartige Bewegung des kleinen pochenden Herzens der Eidechse beobachtete, fand er eine grausame Freude an der Wahrnehmung, daß es bis zu den unbedeutendsten Wesen der Schöpfung hinab noch andere gebe, die einen Theil seines Elends geerbt hatten und einen Theil seiner Verzweiflung litten.

Bald nahmen jedoch seine Empfindungen eine strengere, dunklere Färbung an. Der Anblick des Thieres langweilte ihn und er warf es verächtlich bei Seite. Es verschwand in der Richtung der Mauer hin, und fast in demselben Augenblicke hörte er ein leises Geräusch wie das Fallen einiger kleinen Ziegelstücke oder Steine, welches von der Mauer hinter ihm zu kommen schien.

Es war ihm unerklärlich, daß ein solches Geräusch von einem so massiven Bauwerke ausgehen konnte, er stand auf, theilte das Gebüsch und trat dicht an die Fläche der hohen Mauer. Zu seinem Erstaunen fand er, daß die Ziegel an vielen Stellen so völlig verwittert waren, daß er sie leicht mit den Fingern bewegen konnte. Der Grund des leichten Geräusches, welches er gehört hatte, war jetzt vollständig erklärt. Hunderte von Eidechsen hatten zwischen den Spalten der Ziegel ihre Wohnungen aufgeschlagen, das Thier, welches er freigelassen, hatte in einer von diesen Höhlungen Zuflucht gefunden und in der Eile seiner Flucht mehrere von den lockeren krümeligen Bruchstücken, welche seinen Versteck umgaben, abgelöst.

Mit der bereits gemachten Entdeckung indeß noch nicht zufrieden trat er ein wenig zurück, blickte zwischen einigen Bäumen hinauf, welche an dieser Stelle am Fuße der Mauer standen und sah, daß die Fläche derselben vielfach von großen, unregelmäßigen Ritzen durchzogen war, die sich theilweise fast bis zu ihrer ganzen Höhe hinauf erstreckten. Außerdem sah er noch, daß sich das Gebäude gerade an diesem Punkte bedeutend aus der Perpendikulärlinie neigte. Ueber das, was er gesehen, verwundert hob er einen Stock vom Boden auf, schob ihn in eine von den niedrigsten und engsten Ritzen und es gelang ihm leicht ihn völlig in die Mauer zu stoßen, welche zum Theil hohl und zum Theil aus denselben verwitterten Ziegeln zu bestehen schien, die anfänglich seine Aufmerksamkeit erregt hatten. Es ließ sich jetzt deutlich wahrnehmen, daß die ganze Mauer auf eine Breite von mehreren Schritten entweder schwach und leichtsinnig gebaut war, oder in einer frühern Periode einen plötzlichen heftigen Stoß erlitten hatte. Er ließ den Stock in der Mauer, um die Stelle zu bezeichnen, und wollte sich eben entfernen, als er den Schritt der Schildwache auf der Mauer gerade über sich vernahm. Plötzlich vorsichtig geworden, wiewohl er in jenem Augenblicke kaum zu erklären vermocht hätte, aus welchem Grunde, blieb er in seinem Baum- und Buschversteck, bis der Soldat weiter gegangen war, verließ dann leise seinen Ort, zog sich eine Strecke weit davon zurück und versank in eine Reihe ernster, ihn gänzlich absorbirender Gedanken.

—–

Um dem Leser die Erscheinung zu erklären, welche jetzt die Aufmerksamkeit des Heiden in Anspruch nahm, wird es nöthig sein, eine kurze Abschweifung zur Geschichte der Mauern von Rom zu machen.

Der Umfang der ersten durch Romulus erbauten Festungswerke der Stadt betrug sechs Stunden. Der größte Theil dieses großen Flächenraumes war jedoch mit Feldern und Gärten bedeckt, welche der Gründer des Reiches für den Ackerbau vor den Einfällen der verschiedenen Feinde, die ihn von Außen bedrohten, bewahren wollte. Als Rom allmälig an Größe zunahm, wurden seine Mauern von späteren Herrschern erweitert und verändert. Erst unter der Regierung des Kaisers Aurelian (270 nach Christus) trat jedoch eine außerordentliche wichtige Veränderung in den Schutzwehren der Stadt ein. Dieser Herrscher begann zehn Stunden im Umkreise haltende Mauern zu errichten, die endlich unter der Regierung des Probus (276 nach Christus) vollendet, von Belisar (537 nach Christus) ausgebessert wurden und noch heutzutage theilweise in den Festungswerken der modernen Stadt zu sehen sind.

Zur Zeit unserer Geschichte (408 nach Chr.) befanden sich die Mauern also gerade in dem Zustande, wie sie unter Aurelian und Probus erbaut worden waren. Sie bestanden größtentheils aus Ziegeln und vielleicht war auch an einigen Stellen eine Art von weichem Sandstein zu dem herrschenden Material gefügt worden. An verschiedenen Punkten in ihrem Umkreise, besonders an dem Theile hinter dem Monte Pincio, waren diese Mauern bogenartig gebaut, bildeten tiefe Nischen und standen zuweilen in doppelten Reihen. Die bei ihnen angewendete Constructionsart war meist die von Vitruv, zu dessen Zeit sie entstand, als Opus reticulatum bezeichnete.

 

Das Opus reticulatum bestand aus kleinen Ziegeln oder Steinen, die statt horizontal, aus ihren Kanten zusammen gestellt wurden und der Oberfläche einer Mauer, das Aussehen einer Art von festem Netzwerk verliehen. Einige Baumeister des Alterthums betrachteten dies als eine unhaltbare Konstruktionsweise und Vitruv behauptet, daß einige Gebäude, an denen er sie angewendet gesehen habe, eingestürzt seien. Nach den unvollständigen Proben davon, welche jetzt noch existiren, läßt sich schwer eine Ansicht über ihre Vorzüge abgeben. Daß sie jedenfalls ungenügend war, um die Last des Abhanges des Monte Pincio, welcher sich unmittelbar dahinter erhob, zu tragen, ist noch aus der Betrachtung der Mauer in diesem Theile der Stadt zu ersehen, da dieselbe stark aus der Perpendikulärlinie getrieben und an einigen Stellen fast von der Spitze bis zum Fuße gerissen ist. Diese Ruine wird von den modernen Italienern mit dem ausdrucksvollen Titel il muro torto oder die verkrümmte Mauer bezeichnet.

Wir wollen hier bemerken, daß es höchst unwahrscheinlich ist, daß das Vorhandensein dieser natürlichen Breschen in den Festungswerken von Rom zur Zeit unseres Romanes vom größten Theile der leichtsinnigen indolenten Einwohner bemerkt, oder wenn man sie bemerkte, nur mit der leisesten Besorgniß oder Aufmerksamkeit betrachtet wurde. Sie soll schon zur Zeit Aurelian’s sichtbar gewesen sein, wird aber erst bestimmt von Procopius, einem Geschichtsschreiber des sechsten Jahrhunderts erwähnt, welcher erzählt, daß Belisar, als er die Stadt gegen eine Belagerung der Gothen rüstete, diesen schwachen Punkt der Mauer auszubessern versucht habe, aber in seiner beabsichtigten Arbeit von dem frommen Volke verhindert worden sei, welches erklärt habe, daß er unter dem, besondern Schutze des heiligen Petrus stehe und daß es demnach gottlos sein würde, Hand daran zu legen. Der General unterwarf sich der Entscheidung der Einwohner, ohne Grund zu seiner Nachgiebigkeit zu finden, da, um uns der Worte des oben erwähnten Schriftstellers zu bedienen, während der Belagerung weder der Feind noch die Römer den Ort ansahen. Es ist anzunehmen, das ein so außerordentliches Ereigniß, wie dieses, der Mauer den heiligen Charakter verlieh, welcher spätere Regenten davon abschreckte, ihre Ausbesserung zu versuchen, so daß sie, alle Umwälzungen des Mittelalters hindurch, zerspalten und verkrümmt blieb und noch existirt, um die Wahrhaftigkeit der Geschichtsschreiber zu bezeugen, indem sie an die alterthumsforschende Neugier des Reisenden unserer Zeit appellirt.

—–

Wir kehren jetzt zu Ulpius zurück. Es ist eine Eigenthümlichkeit, welche man im Charakter von unter dem Einfluß einer herrschenden Idee lebenden Männern Wahrnimmt, daß sie unwillkürlich Alles – was in der äußern Welt ihre Aufmerksamkeit erregt, in eine mehr oder weniger vertraute Verbindung mit dem Gegenstande ihrer geistigen Betrachtungen bringen. Seit seiner Verbannung aus dem Tempel hatten die Gedanken des Heiden, ihm selbst unbewußt, einzig in Bezug auf die kühne Absicht gewirkt, welche zu hegen das Geschäft seines ganzen Lebens war. Unter dem Einslusse der Verschrobenheit dieses Moralgefühls hatte er kaum die so eben am Fuße Lder Stadtmauer gemachte Entdeckung bemerkt, als auch sein Geist augenblicklich zu den ehrgeizigen Betrachtungen überging, welche ihn am Morgen in Anspruch genommen hatten, und im Augenblicke darauf begannen die ersten dämmernden Umrisse eines kühnen gefahrvollen Planes, seine ruhelosen, leidenschaftlichen Gedanken zu absorbiren. Er dachte über die Eigenthümlichkeit und Lage der Mauer vor ihm nach. Wiewohl die weiteste und wichtigste von den Spalten, welche er darin bemerkt hatte, der Zinne zu nahe war, um ohne Beihülfe einer Leiter erreicht werden zu können, befanden sich doch andere dicht am Boden und konnten, wie ihm der bereits gemachte Versuch gezeigt hatte, durch die gewöhnlichste Anstrengung und Ausdauer erfolgreich und angemessen erweitert werden.«

Das Innere der Mauer konnte, dem Zustande der Oberfläche nach zu urtheilen, einem sich auf eine Höhe und Breite von ein paar Fuß beschränkendem Versuche keine unüberwindlichen Hindernisse darbieten. Die Brustwehr würde in Folge ihrer Lage zwischen zwei Wachthäusern nicht mit neugierigem Volke besetzt sein. Das einzige menschliche Wesen, welches aller Wahrscheinlichkeit nach an der Stelle nach Einbruch der Nacht vorbei kommen würde, war die Schildwache, in deren Bezirk sie gehörte, und zn einer solchen Stunde mußte bei der Lage, in welcher sich die Stadt jetzt befand, die Aufmerksamkeit des Wächters sich nothwendiger Weise eher auf die Gegend außerhalb der Stadt als auf den Boden unterhalb und hinter ihm richten. Es schien daher fast gewiß zu sein, daß ein vorsichtiger, unter dem Schutze der Nacht arbeitender Mann am Fuße der Mauer alle beliebige Untersuchungen anstellen könne.

Er besichtigte den Boden, auf welchem er jetzt stand. Es konnte nichts Einsameres geben, als sein gegenwärtiges Aussehen. Die Privatgärten auf dem Hügel oberhalb desselben schlossen alle Verbindung mit jener Seite aus. Man konnte sich ihm nur auf dem Fußpfade nähern, der um den Monte Pincio und am Fuße der Mauern hinlief. Bei der gegenwärtigen Lage der Dinge in der Stadt war es nicht wahrscheinlich, daß irgend Jemand diese einsame Stelle aufsuchen würde, wo nichts zu sehen und wenig zu hören war, statt sich unter die aufregende Verwirrung auf den Straßen zu mischen, oder das gothische Lager von solchen Stellen auf der Mauer aus zu beobachten, welche Allen leicht zugänglich waren.

Außer dem Geheimnisse, welches die Unbesuchtheit dieser kleinen Stelle jeder darauf unternommenen Beschäftigung versprach; gewährten die das untere Ende derselben bedeckenden Bäume und Dickichte noch den weiteren Vortheil, daß sie in der Dunkelheit der Nacht Jeden, der sich darunter befand, selbst vor der schärfsten Beobachtung von der Mauerhöhe schützen würden.

Von diesen Gedanken erfüllt, bezweifelte er nicht, daß ein kluger und entschlossener Mann ungestraft eine von den unteren Spalten in der Mauer so erweitern könne, daß er eine Höhlung, die groß genug war, um einen Menschen durchzulassen, bis zur äußern Fläche derselben brechen und die Fähigkeit, die Stadt zu verlassen und in das gothische Lager zu dringen, welche die verschlossenen Thore jetzt allen Einwohnern ohne Unterschied versperrten, erlangen könne. Die Entdeckung der Ausführbarkeit eines solchen Versuches war für einen mit denen des Heiden ähnlichen Bestrebungen erfüllten Geist eben so viel, wie der unwiderrufliche Entschluß seiner sofortigen Ausführung. Er beschloß, sobald die Nacht eintrat, seine Arbeiten an der Mauer zu beginnen; wenn die Bresche durchgebrochen war und die Dunkelheit ihn begünstigte, Alarich’s Zelt aufzusuchen, einmal dort angelangt, ihn mit der Schwäche der Materialien zur Vertheidigung in der Stadt bekannt zu machen, und ihm die Verfallenheit der Festungswerke am Monte Pincio zu verrathen; als Bedingung seiner Verrätherei aber auf dem Versprechen des Gothen zu bestehen, welches dieser ihm, wie er nicht zweifelte, gern und augenblicklich geben würde, die christlichen Kirchen zu zerstören, die Besitzungen der Christen zu plündern und die christlichen Priester niederzumetzeln. Er zog sich vorsichtig von der einsamen Stelle, welche jetzt der Mittelpunkt seiner neuen Hoffnungen geworden war, zurück, betrat wieder die Straßen der Stadt und ging, um sich mit einem Werkzeuge zur Erleichterung seiner bevorstehenden Arbeit und mit Nahrung zu versehen, damit er, von Ermattung unbedroht, Kräfte erhielte, seine beabsichtigten Anstrengungen auszuführen. Als er an die kühne Verrätherei seines Planes dachte, begann sich das Triumphgefühl des Morgens wieder bei ihm einzustellen. Alle seine frühern Versuche, die Wiederherstellung seiner Religion zu organisiren, versanken vor seinem jetzigen Plane in plötzliche Unbedeutsamkeit. Seine Vertheidigung des Serapistempels, seine Verschwörung in Alexandrien, seine Intrigue mit Vetranio waren Versuche eines Menschen, aber diese beabsichtigte Vernichtung der Priester, Kirche und Schätze einer ganzen Stadt durch die Vermittelung einer von den Umtrieben eines einzigen Inividuums bewegten, mächtigen Armee, würde die blendende That eines Gottes sein.