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Antonia

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Die Minuten schleppten sich langsam hin und noch immer war nichts wahrzunehmen. Endlich, als Hermanrich schon zu zweifeln begonnen, ob ihn nicht seine Sinne in dem, was er bisher zu sehen geglaubt, getäuscht hatten, kam die flüchtige Gestalt plötzlich unter den Bäumen hervor, eilte schwankenden Ganges über die ebene, bethaute Stelle, welche sie noch von dem jungen Gothen trennte, erreichte sein Zelt und fiel dann mit einem schwachen Schrei ohnmächtig zu seinen Füßen aus den Boden nieder.

Der Schrei, so schwach er auch war, erregte Goiswinthens Aufmerksamkeit. Sie wendete sich augenblicklich um, stieß Hermanrich bei Seite und hob die Fremde in ihren Armen auf. Die leichte, schlanke Gestalt, die schöne Hand und der weiße Arm, welche bewegungslos herabhingen, die langen, tiefschwarzem von der feuchten Nachtluft schweren Locken verriethen augenblicklich das Geschlecht und Alter des Flüchtlings. Es war ein junges Mädchen.

Goiswintha gab Hermanrich ein Zeichen, die verlöschte Fackel an seinem nahen Wachtfeuer wieder anzuzünden und trug das noch bewußtlose Mädchen in sein Zelt. Als ihr der Gothe schweigend gehorchte, zuckte ein unbestimmter plötzlicher Argwohn, dem er Worte zu verleihen schaudern, durch seinen Geist. Seine Hand zitterte so stark, daß er kaum die Fackel anzuzünden vermochte und so kühn und kräftig er auch war, schwankten doch seine Glieder unter ihm, als er langsam in das Zelt zurückkehrte.

Als er in das Innere seiner zeitweiligen Wohnung gelangte, beschien das Licht seiner Fackel eine seltsame, eindrucksvolle Scene.

Goiswintha saß auf einem rohen Eichenkasten, hielt die Gestalt des jungen Mädchens aus ihren Knieen und blickte mit dem Ausdrucke der innigsten, alle ihre Gedanken fesselnden Interessen auf sein blasses, eingefallenes Gesicht. Das zerissene Gewand, welches bisher den Flüchtling umhüllt hatte, war zurückgesunken und zeigte das weiße Kleid, aus dem allein ihre sonstige Bedeckung bestand. Gesicht, Hals und Arme hatten von der Kälte die reine, weiße Färbung des Marmors angenommen. Ihre Augen waren geschlossen und ihre feinen, zarten Züge befanden sich in starrer Ruhe.

Wenn nicht ihr rabenschwarzes Haar gewesen, welches das gespenstische Aussehen ihres Gesichts noch erhöhte, so hätte man sie, als sie so in den Armen des Weibes dalag, für eine köstlich gemeißelte Statue der Jugend im Tode halten können.

Als die so erzeugte Gruppe sich um die Gestalt des jungen Krieger, der in seiner Rüstung mit offenbarer Verwunderung und Besorgniß neben dem bewußtlosen Mädchen stand, vermehrte – als Goiswinthens hoher, kräftiger, in dunkle Gewänder gekleideter und über die zarte Figur und das weiße Kleid der Flüchtigen gebeugter Körper durch den wilden flackernden Schein der Fackel erleuchtet wurde, – als die gerötheten Wangen, abgemagerten Züge und der begierige Ausdruck des Weibes hier beschattet, dort erhellt, in den nächsten Kontrast mit dem blassen, jugendlichen, ruhevollen Antlitz des Mädchens traten, entstand ein solches Zusammentreffen von blendenden Lichtern und tiefen Schatten, daß die ganze Scene einen zugleich geheimnißvollen und erhabenen Charakter erhielt. Sie zeigte eine harmonische Abwechselung ernster Farben, die durch die unübertreffliche Kunst der Natur zu einer großartigen, aber einfachen Anordnung der Formen verbunden wurden. Es war ein von Rembrands Hand ausgeführtes und von Raphaels Geiste gedachtes Gemälde.

Plötzlich schrak Goiswintha von ihrer langen, eindringlichen Betrachtung der Fremden auf und begann Mittel anzuwenden, um ihren bewußtlosen Schützling in’s Leben zurückzurufen. So lange sie damit beschäftigt war, verharrte sie in ununterbrochenem Schweigen. Eine athemlose Erwartung, die alle ihre Sinne nur nach einer Richtung hin in Anspruch nahm, schien sich ihres Herzens bemächtigt zu haben. Sie mühte sich in ihrer Arbeit mit der mechanischen, ununterbrochenen Energie Derjenigen, deren Aufmerksamkeit mehr von ihren Gedanken, als von ihren Handlungen in Anspruch genommen wird. Langsam und widerstrebend dämmerte die erste schwache Morgenröthe wiederkehrenden Lebens in der zartesten Farbe auf der bleichen Wange des Mädchens auf. Allmälig begann ihr Athem eine dünne Haarlocke welche über ihr Gesicht gefallen war, zu bewegen. Noch ein Weilchen und die geschlossenen friedlichen Augen öffneten sich plötzlich und warfen mit einem wilden Ausdruck von Verwirrung und Schrecken einen scharfen Blick im Zelte umher. Als Goiswintha sodann aufstand und sie auf einen Sitz zu bringen versuchte, riß sie sich von ihr los, blickte sie einen Moment schreckensvoll und spähend an, sank dann zu ihren Füßen nieder und murmelte mit klagender Stimme:

»Erbarme Dich meiner, ich bin von meinem Vater verstoßen, ich weiß nicht warum. Die Thore der Stadt sind mir verschlossen. Meine Wohnung in Rom ist mir für immer versperrt!«

Sie hatte diese wenigen Worte kaum gesprochen, als sich auf Goiswinthens Gesicht eine ominöse Veränderung zeigte. Sein früherer Ausdruck glühender Neugier verwandelte sich in einen Blick boshaften Triumphes, ihre Augen hefteten sich mit stierer, wie von einem Zauber gefesselten Betrachtung auf das erhabene Antlitz des Mädchens. Sie hielt das hülflose Geschöpf fest, wie das Raubthier seine Beute. Ihre Gestalt dehnte sich aus, auf ihre Lippen trat ein hämisches Lächeln, in ihren Wangen stieg eine heiße Röthe auf und von Zeit zu Zeit flüsterte sie leise vor sich hin:

»Ich wußte, daß sie eine Römerin war! aha, ich wußte, daß sie eine Römerin war!«

Hermanrich war die ganze Zeit über stumm geblieben. Sein Athem kam in kurzen, vollen Stößen, sein Gesicht erbleichte und sein Auge wanderte, nachdem es eine Minute auf dem Weibe und dem Mädchen geruht, langsam und ängstlich im Zelte umher. In der einen Ecke desselben lag eine schwere Streitaxt; er blickte mit dem heftigsten Schrecken von der Waffe auf Goiswintha, schritt dann langsam durch das Zelt, und bemächtigte sich mit fester, wiewohl bebender Hand des Todeswerkzeuges.

Als er wieder aufsah, näherte sich ihm Goiswintha. In der einen Hand hielt sie den blutigen Helmschmuck, während sie mit der andern auf die zusammengesunkene Gestalt des Mädchens deutete. Ihre Lippen trugen noch jenes unnatürliche Lächeln und sie flüsterte leise dem Gothen zu:

»Gedenke Deines Versprechens! – gedenke Deiner Verwandten! – gedenke des Blutbades von Aquileja!«

Der junge Krieger antwortete nicht. Er trat schnell um ein paar Schritte vorwärts und winkte dem jungen Mädchen, hastig durch die Thüre zu entfliehen. Es war jetzt aber durch seinen Schrecken aller Wahrnehmungs- und Fassungskraft beraubt. Es blickte wie blödsinnig zu Hermanrich auf und kauerte dann, heftig schaudernd, in einen Winkel des Zeltes nieder. Während der kurzen, jetzt eingetretenen Stille hörte sie der Gothe frösteln und seufzen, als er so mit ängstlicher Besorgniß Goiswinthens sich verdunkelndes Gesicht beobachtete.

»Sie ist eine Römerin – sie ist die erste Bewohnerin der Stadt, die vor Dir erscheint – gedenke Deines Versprechens! – gedenke Deiner Verwandten! – gedenke des Blutbades von Aquileja!« sprach das Weib in wilden, gepreßten, zischenden Tönen.

»Ich gedenke, daß ich ein Krieger und ein Gothe bin!« erwiederte Hermanrich geringschätzig; »ich habe Dich zu rächen versprochen, aber mein Versprechen muß an einem Manne erfüllt werden – an einem gerüsteten Manne, der mit den Waffen in der Hand auftreten kann – an einem starken, muthigen Manne, den ich vor Deinen Augen im Zweikampf erschlagen werde! Das Mädchen ist zu jung zum Sterben, zu schwach, um angegriffen zu werden.«

Keine Silbe seiner Rede war unbeachtet an der Flüchtigen vorübergegangen. Jedes Wort schien ihre erstarrten Geisteskräfte neu zu beleben. Sobald er schwieg, stand sie auf und lief mit dem schnell erweckten Instinkte des Schreckens zu dem jungen Gothen heran. Hierauf ergriff sie seine Hand – die Hand, welche immer noch die Streitaxt gefaßt hielt, kniete nieder und küßte sie und stieß, dieselbe an ihren Busen pressend, hastige, gebrochene Worte aus, die durch das Beben ihrer Stimme vollkommen unverständlich wurden.

»Haben die Römer meine Kinder für zu jung zum Sterben, oder für zu schwach, um angegriffen zu werden, gehalten?« rief Goiswintha. »Bei dem Herrn des Himmels! sie mordeten sie um so lieber, weil sie jung, und hieben um so grimmiger auf sie ein, weil sie schwach waren! Mein Herz hüpft vor Freuden, wenn ich auf das Mädchen blicke! Ich bin doppelt gerächt, wenn ich an einem unschuldigen jugendlichen Wesen gerächt werde. Ihre Gebeine sollen auf den Ebenen von Rom verwesen wie die meiner Kinder auf der von Aquileja! Vergieße mir ihr Blut! Gedenke Deines Versprechens! Vergieße mir ihr Blut!«

Sie schritt mit ausgestreckten Armen und funkelnden Augen auf die Flüchtige zu. Sie rang nach Athem, ihr Gesicht nahm plötzlich eine leichenartige Blässe an, der Fackelschein siel auf ihre verzerrten Züge, sie sah in jenem furchtbaren Augenblicke gespenstisch aus, aber der Gott der Gnade hatte jetzt die Entschlossenheit des jungen Gothen für alle Fälle gestählt. Sein helles, festes Auge zuckte nicht, als er dem rasenden Blicke der vor ihm stehenden Furie begegnete. Mit der einen Hand hielt er Goiswinthen zurück, die andere konnte er nicht von dem Mädchen losmachen, welches sie jetzt eifriger als je umfaßt hielt und küßte.

»Du thust dies nur, um mich zum Zorne zu reizen,« sagte Goiswintha, indem sie ihr Benehmen mit plötzlicher, sichtbarer Schlauheit veränderte, welche für die Flüchtige gefahrverkündender war. als die bisher kund gegebene Wuth. »Du scherzest mit mir, weil ich es an Geduld habe mangeln lassen, wie ein Kind! Aber Du wirst ihr Blut vergießen – Du bist ein Mann von Ehre und wirst Dich an Dein Versprechen halten! Du wirst ihr Blut vergießen!«

»Und ich,« fuhr sie triumphirend fort und setzte sich, ihre geballten Fäuste auf ihre Kniee legend, auf den eichenen Kasten, welchen sie früher eingenommen hatte, nieder. »Ich werde warten, bis ich es sehe!«

 

In diesem Augenblicke vernahm man Stimmen und Schritte vor dem Zelte. Hermanrich hob schnell das zitternde Mädchen auf, unterstützte es mit seinem Arme und schritt vor, um den Grund der Störung zu ermitteln. Ein alter Krieger von hohem Range, der zu Alarich’s Umgebungen gehörte, stand mit einer kleinen Abtheilung gemeiner Soldaten aus dem Lager vor ihm.

»Zu den Frauen, die der König für diese Nacht bestimmt hat, die Kranken und auf dem Marsche Verwundeten zu pfegen, gehört Goiswintha, die Schwester Hermanrich’s. Wenn sie hier ist, so möge sie hervorkommen und mir folgen!« sprach der Anführer mit gebieterischern Tone, während er am Eingange des Zeltes stehen blieb.

Goiswintha erhob sich. Sie stand einen Augenblick unentschlossen da. Hermanrich in einem solchen Augenblicke zu verlassen, war ein Opfer, welches ihr wildes Herz zerriß; aber sie kannte die Strenge von Alarich’s Disciplin; sie sah die Bewaffneten, welche sie erwarteten,und wich nach heftigem Kampfe der gebieterischen Notwendigkeit, dem Befehle des Königs Gehorsam zu leisten. Vor unterdrücktem Zorn und bitterem Unmuth bebend, flüsterte sie Hermanrich im Vorübergehen zu:

»Du kannst sie nicht retten, wenn Du es auch willst, Du wagst sie nicht der Obhut Deiner Gefährten anzuvertrauen; sie ist zu jung und schön, um ihrem zweifelhaften Schutze überlassen zu werden. Du kannst nicht mit ihr fliehen, denn Du mußt hier an Deinem Posten auf Wache bleiben. Du wirst sie nicht allein gehen lassen, denn Du weißt, daß sie, ehe der Morgen erscheint, vor Kälte und Hunger umkommen würde. Wenn ich morgen zurückkehre, so werde ich sie im Zelte sehen. Du kannst Deinem Versprechen nicht ausweichen, Du kannst es nicht vergessen – Du mußt ihr Blut vergießen!«

»Die Befehle des Königs,« sagte der alte Krieger, indem er seiner Abtheilung das Zeichen gab, sich mit Goiswinthen, die jetzt in erzwungener Fassung dastand und ihre Leitung erwartete, zu entfernen, »werden früh dem Häuptling Hermanrich mitgetheilt werden. Erinnere Dich,« fuhr er leise fort, indem er verächtlich auf das zitternde Mädchen deutete, »daß die Wachsamkeit, welche Du im Aufstellen Deiner Abtheilung vor jenem Thore bewiesen hast, keine Nachlässigkeit entschuldigen wird, zu der Dich Dein Fang dort jetzt veranlassen könnte! Genieße Deine jugendlichen Freuden, wie Du willst, aber erinnere Dich Deiner Pflichten! Lebe wohl!«

Nachdem der Veteran diese Worte mit strengem, ernstem Tone gesprochen, entfernte er sich. Bald verklangen die letzten Töne der Schritte seiner Begleiter und Hermanrich war mit der Entflohenen im Zelte allein.

Während der Anrede des alten Kriegers hatte sich das Mädchen schweigend von ihrem Beschützer losgemacht und hastig nach dem Innern des Zeltes entfernt. Als sie sah, daß sie wieder allein waren, schritt sie zaudernd auf den jungen Gothen zu und blickte mit stummer Frage in sein Gesicht auf.

»Ich bin sehr elend,« sagte sie nach einer Pause mit weichen, klaren, wehmüthigen Tönen. »Wenn Du mich jetzt verlässest, so muß ich sterben – und ich habe erst so kurze Zeit auf Erden verlebt, ich habe so wenig Glück und Liebe gekannt, daß ich zum Sterben noch nicht geeignet bin, aber Du wirst mich beschütze. Du bist gut und tapfer; ein starker Mann mit Waffen in der Hand und von Mitleid erfüllt. Du hast mich vertheidigt und gütig von mir gesprochen – ich liebe Dich wegen des Mitleids, das Du mir bewiesen hast!«

Ihnre Sprache und Bewegung waren trotz ihrer Einfachheit für Hermanrich, dessen Erfahrungen über ihr Geschlecht sich fast völlig auf die Frauen seines eigenen, strengen, kalten Volkes beschränkt harten, doch so neu, daß er, als, die Bittende auf seine Antwort wartete, ihr nur eine kurze Versicherung seines Schutzes geben konnte. Vor seinen Augen war ein neues Blatt in der Geschichte der Menschheit aufgeschlagen und er blickte forschend und in verwunderter Stille, aus dasselbe.

»Wenn das Weib zurückkehren sollte,« fuhr das Mädchen, ihre dunkeln, beredten Augen»auf das Gesicht des Gothen heftend, fort, »so führe mich schnell an einen Ort, wohin sie nicht kommen kann. Das Herz erstarrt mir, wenn ich sie anblicke. Sie wird mich tödten, wenn sie mir wieder nahen kann! Der Zorn meines Vaters ist sehr furchtbar, aber der ihre entsetzlich – entsetzlich – entsetzlich! Horch, ich höre sie schon zurückkommen – laß uns gehen – ich werde Dir folgen, wohin Du willst – laß uns aber nicht zögern, solange wir noch Zeit haben, uns zu entfernen. Sie wird mich umbringen, wenn sie mich jetzt sieht, und ich kann noch nicht sterben! O mein Retter, mein mitleidiger Beschützer, ich kann noch nicht sterben!«

»Es soll Dir Niemand ein Leides thun – es soll Dir diese Nacht Niemand nahen, Du bist in meinem Zelte vor allen Gefahren sicher,« sagte der Gothe, indem er sie mit unverhohlenem Staunen und Bewunderung anblickte.

»Ich will Dir sagen, weshalb der Tod mir so furchtbar ist,« fuhr sie fort, und ihre Stimme nahm jetzt einen Ton wehmüthigen Ernstes an, welcher bei einem so jungen Geschöpfe einen seltsamen Eindruck machte; »ich habe so viel allein gelebt und keine Gefährten gehabt als meine Gedanken und den Himmel, zu dem ich aufblicken, und die Dinge auf Erden, die ich beobachten konnte. Wenn ich den heitern Himmel und die grünen Felder gesehen und den Duft der Blumen eingesogen und die Stimmen der fernen Singvögel gehört habe, so wunderte ich mich, warum derselbe Gott, der alles dies gemacht und mich dazu geschaffen, auch Kummer und Schmerz und die Hölle – die furchtbare, ewige Hölle, von der mein Vater in seinen Predigten spricht, geschaffen hat. Wenn ich auf den Sonnenschein blickte, oder aus dem Schlafe erwachte, um die fernen Sterne zu betrachten und an sie zu denken, sehnte ich mich stets, etwas zu lieben, was meine Freude anhören könne. Aber mein Vater verbot mir, glücklich zu sein, er runzelte die Stirn, selbst als er mir meinen Blumengarten gab, und Gott hat doch die Blumen gemacht. Er zerschlug meine Laute und Gott hat doch die Musik gemacht. Mein Leben ist ein einsames Sehnen nach Freundesstimmen gewesen. Mein Herz hat mir in der Brust gebebt, weil ich, wenn ich im Garten umherwandelte und auf die Felder und Wälder und hohen, grünen Berge, die mich umgaben, schaute, das Bewußtsein hatte, daß ich sie allein liebe! Weißt Du nun, weshalb ich noch nicht sterben darf? Weil ich erst das Glück finden muß, welches Gott, wie ich fühle, für mich gemacht hat, weil ich leben muß, um diese schöne, wundervolle Welt mit Andern, die sie genießen, wie ich es könnte, zu preisen! weil meine Heimath unter Denjenigen gewesen ist, welche seufzen, aber nie unter Denen, welche lächeln! Deshalb fürchte ich mich vor dem Tode. Ich muß Gefährten finden, deren Gebete singend und freudig gehalten werden, ehe ich in das furchtbare Jenseits gehe, vor welchem sich Alle entsetzen. Ich darf noch nicht sterben! ich darf noch nicht sterben!«

Bei diesen letzten Worten begann sie bitterlich zu weinen. Der junge Gothe war vor Erstaunen und Mitleid stumm. Er blickte auf die kleine, weiche Hand hinab, die sie während ihrer Rede aus seinen Arm gelegt hatte und sah, daß sie zitterte, er drückte sie und fühlte, daß sie kalt war und in dem ersten Antriebe des Mitleids, welches diese Bewegung hervorrief, fand er die Fähigkeit der Rede, nach welcher er bis jetzt umsonst gerungen hatte.

»Du zitterst und siehst bleich aus,« sagte er, »an der Thür des Zeltes soll ein Feuer angezündet werden. Ich will Dir Kleider bringen, die Dich wärmen und Nahrung, die Dir Kraft bringen soll, Du sollst schlafen und ich werde Dich bewachen, damit Dir Niemand etwas zu Leide thut.«

Das Mädchen blickte hastig auf. Ein Ausdruck unaussprechlicher Dankbarkeit trat auf das kummervolle Gesieht desselben. Sie murmelte mit gebrochener Stimme:

»O wie barmherzig – wie barmherzig Du bist!« und dann bedeckte sie, nach einem deutlich wahrnehmbaren Kampfe mit sich selbst, ihr Gesicht mit den Händen und brach von Neuem in Thränen aus.

Mehr und mehr verlegen, machte sich Hermanrich mechanisch damit zu thun, von denjenigen seiner Untergebenen, welche nicht mit Dienstpflichten beschäftigt waren, Feuer, Nahrung und Kleidung, wie er es versprochen hatte, herbeibringen zu lassen. Sie nahm die Gewänder an, näherte sich der lodernden Flamme und genoß begierig die einfachen Erquickungen, welche ihr der junge Krieger bot. Hierauf saß sie eine Zeitlang still in tiefes Nachdenken versunken und zusammengekauert am Feuer, ohne, wie es schien, die Neugier, womit sie der Gothe immer noch betrachtete, zu bemerken.

Endlich blickte sie plötzlich auf, nahm wahr, daß er seine Augen auf sie geheftet hatte, erhob sich und winkte ihm aus den Sitz neben sich.

»Wenn Du wüßtest, wie gänzlich verlassen ich bin, so würdest Du Dich nicht so wundern, daß ich, eine Fremde und eine Römerin, Dich in dieser Weise aufgesucht habe. Ich habe Dir erzählt, wie einsam meine Heimath war, aber doch war für mich diese Heimath eine Freistätte und ein Schutz bis zum Morgen des langen, jetzt vergangenen Tages, wo ich für immer daraus verstoßen wurde! Ich wurde plötzlich in meinem Bette aufgeweckt – mein Vater trat zornig ein – er nannte mich —

Sie zauderte, erröthete und hielt dann schon im Anfange ihrer Erzählung inne. So unschuldig sie auch war, sprachen die natürlichen Instinkte ihres Geschlechts mit räthselhaftem, aber doch warnendem Tone in ihrem Herzen und legten ihr ein Schweigen auf, dessen Gründe sie weder erforschen noch erklären konnte; sie faltete ihre zitternden Hände auf ihrem Busen, wie um dessen Wogen zu unterdrücken, schlug die Augen nieder und fuhr mit leiser Stimme fort:

»Ich vermag Dir nicht zu sagen, weshalb mich mein Vater aus seinem Hause getrieben hat. Er ist gegen mich immer schweigsam und betrübt gewesen, hat mir lange Aufgaben in traurigen Büchern gestellt, mir verboten, die Grenzen seiner Wohnung zu überschreiten und zu ihm zu sprechen, wenn ich ihn mitunter gebeten habe, mir etwas von meiner längst verlorenen Mutter zu erzählen. Aber er hat mir nie gedroht, mich nie von seiner Seite vertrieben, außer an dem Morgen, von welchem ich Dir erzählt habe. Da war sein Grimm entsetzlich, seine Augen blitzten, seine Stimme war drohend! Er gebot mir zu gehen und ich gehorchte ihm mit Schrecken, denn ich glaubte, daß er mich tödten würde, wenn ich bliebe! Ich floh aus dem Hause, ohne zu wissen, wohin ich ging, und lief durch jenes Thor, welches dicht bei unserer Wohnung ist. Als ich in die Vorstädte kam, traf ich große Menschenmengen, die alle nach Rom hereineilten. Ich war vor Furcht und der mich umgebenden Verwirrung ganz von Sinnen, erinnere mich aber doch, daß man mir laut zurief, nach der Stadt zu fliehen, ehe die Thore vor dem Angriffe der Gothen gesperrt werden würden. Und andere stießen mich an und verspotteten mich, als sie vorüber kamen und mich in den dünnen Nachtgewändern sahen, in welchen ich aus meinem Hause verbannt worden war.«

Hier hielt sie inne und lauschte einige Augenblicke hindurch. Jedes zufällige Geräusch, welches sie vernahm, erweckte in ihr die Besorgniß vor Goiswinthens Rückkehr. Durch Hermanrich und ihre eigene Beobachtung des vor dem Zelte Vorgehenden wieder beruhigt, nahm sie nach einiger Zeit ihre Erzählung wieder auf und sprach jetzt mit festerer Stimme:

»Ich dachte, daß mir das Herz brechen würde,« fuhr sie fort, »als ich ihnen zu entfliehen suchte. Vor meinen Augen drehte sich Alles im Kreise. Ich konnte nicht sprechen – ich konnte nicht stehen bleiben, – ich konnte nicht weinen. Ich floh und floh, ohne zu wissen, wohin, bis ich erschöpft an der Thür eines kleinen Hauses am äußersten Rande der Vorstadt niedersank; dann rief ich um Hülfe, aber Niemand vernahm meine Stimme. Ich kroch in das Haus – denn ich konnte nicht mehr stehen. Es war leer. Ich blickte aus den Fenstern, aber keine menschliche Gestalt durchschritt die schweigenden Straßen. Von den Mauern der Stadt erhob sich immer noch das Brausen einer ungeheuern Verwirrung, aber ich hörte dasselbe allein von Außen an. Im Hause sah ich einige Brodstücke und ein altes Gewand auf dem Boden umherliegen. Ich nahm Beides, stand dann auf und entfernte mich, denn die Stille des Ortes war mir furchtbar und ich gedachte der Felder und Wiesen, auf die ich einst so gern hinausgeschaut hatte, und dachte, vielleicht dort die Zuflucht zu finden, welche mir in Rom versagt worden war. Ich brach also von Neuem auf und als ich auf das weiche Gras gelangte, und mich neben den schattigen Bäumen niedersetzte und die glänzend auf die Erde fallenden Sonnenstrahlen sah, wurde mir das Herz schwer und ich weinte bei dem Gedanken an meine Einsamkeit und bei der Erinnerung an den Zorn meines Vaters.

»Ich war noch nicht lange an meinem Rastorte, als ich in der Ferne Trompetengeschmetter vernahm und beim hinaus blicken weither über die Ebene eine ungeheure Menschenmenge mit in der Sonne blitzenden Waffen herbeikommen sah. Ich versuchte bei ihrem Anblicke aufzustehen und selbst zu den Vorstädten, deren Einsamkeit mich erschreckt hatte, zurückzukehren, aber die Glieder versagten mir den Dienst; ich sah eine kleine, von den Bäumen rund umher versteckte Vertiefung, ich trat in dieselbe und lag dort den einsamen Tag hindurch verborgen. Ich hörte das lang anhaltende Marschiren als Euer Heer auf den Wegen unterhalb an mir vorüber kam und dann nach jenen Stunden der Furcht stellten sich die langen Stunden der Einsamkeit ein!

 

»O, jene einsamen – einsamen – einsamen Stunden! Ich habe ohne Gefährten gelebt, aber jene Stunden waren mir furchtbarer, als die ganzen Jahre meines frühern Lebens. Ich wagte nicht, meinen Versteck zu verlassen, ich wagte nicht, zu rufen! – Völlig allein in der Welt, lag ich in meiner Zufluchtsstätte, bis die Sonne unterging. Dann kam der Nebel und die Dunkelheit und die Kälte. Der schneidende Nachtwind durchfröstelte meinen ganzen Körper. Die einsame Finsterniß um mich. her schien von Gespenstern erfüllt zu sein, die ich nicht erblicken konnte, die mich anrührten und über meine Haut hinraschelten, – sie machten mich halb wahnsinnig. Ich stand auf, um mich zu entfernen, um meinen zornigen Vater oder dem Heere, das an mir vorübergegangen war, oder der Einsamkeit auf den kalten, hellen Wiesen – welchen, war mir gleichgültig – entgegen zu treten, als ich das Licht Deiner Fackel im Augenblicke vor ihrem Erlöschen bemerkte. So finster es auch damals war, fand ich doch Dein Zelt. Und jetzt weiß ich, daß ich noch mehr gesunden habe – einen Gefährten und einen Freund.«

Sie blickte bei diesen Worten mit demselben dankbaren Ausdrucke, welcher sich schon auf ihrem Gesicht gezeigt hatte, zu dem jungen Gothen aus, diesmal waren ihre Augen aber nicht von Thränen getrübt, schon hatte ihr Gemüth, so gering auch die Aussicht auf Glück war, welche jetzt vor ihr lag, mit fast kindlicher Veränderlichkeit die stärkenden Einflüsse heiterer Empfindungen zurückgespiegelt. Schon begann die kurze Ruhe der Gegenwart ihren verwischenden Zauber über die Aufregungen der Vergangenheit zu erstrecken. Die Verzweiflung gehörte nicht zu den Empfindungen, welche um jenes kindergleiche Herz keimten, Schmach, Frucht und Schmerz ließen, wie sehr sie es auch auf eine Zeitlang überschatten mochten, keine Spur ihrer Gegenwart auf seiner hellen, schönen Oberfläche zurück. Zart, für jedes Gefühl wahrhaft gefahrvoll empfänglich, dankbar wie sie von Natur war, hatte sie die Einsamkeit, zu welcher sie verurtheilt gewesen, trotz ihrer Jugend, mit Märtyrerstandhaftigkeit und stoischer Geduld im Schmerze begabt.

»Traure jetzt nicht um mich,« unterbrach sie sanft einige Worte des Mitleids, welche von den Lippen des jungen Gothen fielen; »wenn Du barmherzig gegen mich bist, so werde ich Alles, was ich gelitten habe, vergessen. Ist auch Dein Volk in Feindschaft mit dem meinen, so fürchte ich doch nichts, so lange Du mein Freund bleibst. Ich kann jetzt Deine große Gestalt, Dein schwarzes Schwert und Deine schwere Rüstung ohne Zittern anblicken. Du gleichst nicht den Soldaten Rom’s – Du bist größer, stärker, herrlicher angethan, wie sie! Du gleichst der Statue einem griechischen Krieger, die ich einst gesehen habe. Dein Blick fordert Gehorsam und Deine Gestalt ist gebietend!«

Sie schaute die männliche, kräftige Gestalt des jungen Kriegers und die Rüstungsstücke, mit welchen er angethan war, in kindischer Theilnahme und Erstaunen an, fragte ihn nach dem Namen und Zwecke aller Theile derselben, welche ihre Aufmerksamkeit erregten und erkundigte sich endlich begierig nach seinem Namen.

»Hermanrich! wiederholte sie, als er ihr denselben gesagt hatte, die rauhen gothischen Silben mit einiger Mühe aussprechend; »Hermanrich! das ist ein strenger, ernster Name, – ein Name, wie er einem Krieger und Manne geziemt! Nach einem solchen klingt der meine werthlos, er heißt nur Antonina!«

So tiefen Antheil Hermanrich auch an jedem von dem Mädchen ausgesprochenen Worte nahm, konnte er doch nicht länger die deutlichen Spuren von Erschöpfung unbemerkt lassen, welche sich jetzt in allen ihren Bewegungen zeigten. Er holte aus einer Ecke des Zeltes einige Felle, bereitete neben dem Feuer eine Art von rohem Lager, häufte frisches Brennmaterial auf die Flamme und rieth ihr dann sanft, ihre erschöpften Kräfte durch Ruhe zu stärken. In seinem Benehmen lag etwas so Offenes, in den Tönen seiner Stimme etwas so Aufrichtiges, als er der Fremden, welche bei ihm Zuflucht gesucht hatte, dieses einfache Anerbieten der Gastlichkeit machte, daß das mißtrauischste Weib es mit eben so geringem Zaudern angenommen haben würde, wie Antonina, die sich dankbar und ohne weiteres Besinnen auf das Bette niederlegte, welches er ihr zu ihren Füßen ausgebreitet hatte.

Sobald er sie sorgfältig mit einem Mantel bedeckt und ihr Lager so geordnet hatte, daß sie die volle Wärme des Feuers erhielt, zog sich Hermanrich auf die andere Seite desselben zurück und überließ sich, auf sein Schwert gelehnt, den neuen tiefen Gedanken, welche die Gegenwart des Mädchens natürlicher Weise erweckte. Er dachte nicht an die Pflichten, welche ihm die Blockade auferlegte, er entsann sich weder der wüthenden, zornigen Scene, die der Umgehung seines leichtsinnigen Versprechens gefolgt war, noch der wilden Entschlossenheit welche Goiswintha kundgegeben hatte, als sie ihn für die Nacht verließ. Die Sorgen und Mühen, welche ihm der nächste Morgen bringen und die ihn nöthigen mußten, den Flüchtling der Tücke ihrer rachsüchtigen Feindin auszusetzem die tausend Zufälle, welche die Verschiedenheit ihres Geschlechts, ihres Volkes und Lebens der Fortdauer des Schutzes, welchen er ihr versprochen hatte, entgegensetzen konnte, verursachten ihm keine ahnenden Vorgefühle Antonina – Antonina allein nahm jede Fähigkeit seines Geistes und jedes Gefühl seines Herzens in Anspruch. In ihrem Namen schon lag für sein Ohr ein weicher, melodischer Klang!

Er war früh schon mit der lateinischen Sprache bekannt geworden, hatte aber die ganze Rundung ihres Tones und der Eleganz ihrer Wortfügung nicht eher entdeckt, als bis er sie von Antonina sprechen hörte. Er ging in seinem Geiste Wort für Wort ihre verschiedenartigen, natürlichen und glücklichen Wendungen des Ausdrucks durch, rief sich dabei die beredten Blicke, die schnellen Gestikulationen, die wechselnden Töne, welche diese Worte begleitet hatten, zurück, und dachte über den weiten Unterschied zwischen dieser jungen Tochter Rom’s und den kalten, schweigsamen Frauen seines Volkes nach. Selbst das ihre Geschichte umhüllende Geheimnis, welches den Argwohn oder die Verachtung civilisirterer Männer erregt haben würden, erweckte in ihm keine Empfindung als die der Bewunderung und des Mitleids. Kein Gefühl niedrer Art, als diese, regte sich in seinem Herzen für das Mädchen. Sie war sicher unter dem Schutze des Feindes und des Barbaren, nachdem sie die Einwirkung des Römers und Senators in’s Verderben gestürzt hatte.

Für den einfachen Geist des Gothen war die Entdeckung so vielen Verstandes im Verein mit so großer Jugend, so vieler zu so vollkommener Einsamkeit verurtheilter Schönheit, die Entdeckung eines geistigen Wesens, welches ihn blendete, nicht die eines Weibes, weiches ihn bezaubern, Er hätte nicht einmal die Hand des hülflosen Geschöpfes, welches jetzt unter seinem Zelte ruhte, berühren können, wenn es dieselbe nicht freiwillig nach ihm ausstreckte Er konnte nur mit einem Entzücken, dessen Uebermaß selbst abzuschätzen er weit entfernt wat, an das einsame, geheimnißvolle Wesen denken, welches zu ihm gekommen war, um Schutz und Hülfe zu suchen, welches in ihm bereits neue Quellen der Empfindung erweckt hatte und sich in seiner Einbildungskraft plötzlich für immer mit dem Schicksal seines künftigen Lebens verwebt zu haben schien.