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So außerordentlich und sehreckenerregend auch das Schauspiel in dem Augenblicke, wo er es erschaute, war, ging es doch an den Augen des fast bewußtlosen Vaters unbeachtet vorüber. Er war blind für jeden Anblick außer dem seiner Tochter, taub für alle Töne außer ihrer Stimme und murmelte, als er mit ihrer Sehkraft beraubten Augen auf die wilde Aussicht hinabstarrte:

»Wo ist mein Kind? wo ist mein Kind?«

»Was geht mich Dein Kind an? Was kümmert mich das Glück oder die Liebe eines Mannes oder Weibes zu einer Stunde wie diese?« rief der Heide, während er mit furchtbaren von wildem Entzücken und Triumph über den Anblick vor ihm belebten Zügen neben Numerian stand. »Schwächling, sich aus diesem Fenster! Höre jene Stimmen! Die Götter, denen ich diene! Die Götter, die Du und Deine Religion vernichten möchtest, haben sich erhoben um sich endlich zu rächen! Siehe jene Vorstädte an – sie sind verödet und verlassen! Höre jenes Geschrei! es kommt von römischen Lippen! Während die kleinlichen Sorgen Deines Hauses ihren Verlauf genommen haben, ist das Schicksal über diese Stadt von Abtrünnigen hereingebrochen! In den Annalen der Welt wird dieser Morgen nie vergessen werden!

Die Gothen stehen vor den Thoren von Rom
Ende des ersten Bandes

Zweiter Band

Erstes Buch

 
O, wo ist Gnade, wo ist Mitleid jetzt?
Wohin ist die Barmherzigkeit geflohen?
 
Sackville’s »Gorboduc.«

Kapitel I
Die Gothen

Es war kein falsches Gerücht, welches die Einwohner der Vorstädte zur Flucht hinter die schützenden Stadtmauern getrieben hatte. Es war kein unbegründeter Schrei des Entsetzens, welcher an Ulpius Ohr schlug, als er an Numerians Fenster stand. Der Name Rom’s hatte in der That seinen ursprünglichen Schrecken verloren, die Mauern Rom’s, die Mauern, welche durch ihren Ruhm das Reich moralisch, wie die Hauptstadt desselben durch ihre Stärke physisch bewahrt hatten, waren endlich ihrer alten Unverletzlichkeit beraubt. Ein Barbarenheer war, rächend und erobernd, bis nach der Hauptstadt der Welt vorgedrungen. Das Resultat, nach welchem seit sechshundert Jahren alle Einfalle vergebens gestrebt hatten, war jetzt ausgeführt und zwar von denjenigen, deren Vorfahren einst von den Legionen der Cäsaren, gejagten Stieren gleich, in ihre undurchdringlichen Wälder geflohen waren – die Gothen standen vor den Thoren von Rom!

Und welche Empfindungen regten sich jetzt in dem Herzen Alarich’s, als seine Krieger um ihn her ihr Lager aufschlugen, als er die gewaffneten Schaaren, die sein Befehl zusammengerufen und seine Energie vorwärts geführt hatte, den feilen Senat, der ihn betrogen, und das prahlerische Volk, welches ihn verachtet, vor ihren Thoren bedrohen sah? Welches hohe Streben, welche kühnen Entschlüsse erwuchsen und kräftigten sich, als die Worte des kriegerischen Commando’s von seinen Lippen sielen und seine Augen die Bewegungen der ihn umgebenden Massen beobaehteten, in dem Geiste des Mannes, welcher der Vorläufer der gewaltigen Revolution war, die aus einem Viertel der Welt die Herrschaft, die Civilisation das Leben und den Geist Jahrhunderte langer Gewalt vermischte? In seinem Geiste drängten sich hohe Gedanken, in seinem Innern entfaltete sich ein kühner Ehrgeiz – nicht der Ehrgeiz des barbarischen Räubers, sondern der des Rächers, welcher gekommen war, um zu strafen, nicht der des Kriegers, welcher um des Kampfes willen kämpfte, sondern der des Helden, der sich gelobt hatte, zu erobern und zu herrschen. Von den fernen Tagen, wo Odin durch die Römer aus seinem Gebiet vertrieben wurde, bis zu der durch das Hinschlachten der Geißeln in Aquileja befleckten Nacht war die Stunde der gerechten, furchtbaren Vergeltung für das den Gothen angethane Unrecht lange, lange Jahre hindurch, und unter warnenden Convulsionen erbitterter Kämpfe verzögert worden, um endlich unter ihm zu nahen. Der einzige Eroberer seit Hannibal, von welchem die hohen vor ihm liegenden Mauern erblickt worden waren, fühlte er im Schauen auf dieselben, daß sein neues Streben ihn nicht trog, daß seine Träume der Herrschaft zu einer herrlichen Wirklichkeit aufgingen, daß sein Schicksal sich ruhmvoll mit dem Sturze des kaiserlichen Rom’s verkettete.

Aber selbst in dem Augenblick des nahen Triumphes war der Anführer der Gothen noch in seinen Absichten schlau und in seinen Handlungen gemäßigt. Seine ungeduldigen Krieger erwarteten nur ein Zeichen, um den Sturm zu beginnen, die Stadt zu plündern und die Einwohner niederzumetzeln, aber er hielt es zurück. Das Heer war kaum vor den Thoren Rom’s zum Halt gekommen, als sich unter seinen Reihen die Nachricht verbreitete, daß Alarich aus geheimen Absichten die Stadt durch eine Blockade einzunehmen beschlossen habe.

Seine Streitkräfte, die sich während seines Marsches durch dreißigtausend Mann Hülfstruppen verstärkt hatten, wurden jetzt in Schlachthaufen getheilt, deren Stärke je nach dem von ihnen geforderten Dienste wechselte. Diese Abtheilungen lagerten sich um die Stadtmauern und waren, wiewohl getrennte Posten einnehmend und getrennten Pflichten geweiht, so aufgestellt, daß sie sich auf ein gegebenes Zeichen in jeder beliebigen Anzahl aus jedem beliebigen Punkte vereinigen konnten. Vor einem jeden von den zwölf Hauptthoren wurde ein besonderes Lager aufgeschlagen. Große Schaaren beobachteten in jeder möglichen Richtung mit unermüdlicher Wachsamkeit die Schifffahrt auf dem Tiber und keiner von den gewöhnlichen Zugängen Rom’s, wie unbedeutend er auch erscheinen mochte, wurde übersehen. Hierdurch gelang es, jeden Verkehr zwischen der belagerten Stadt und den dieselbe umgebenden ausgedehnten fruchtbaren Landstrichen vollkommen abzuschneiden. Wenn man bedenkt, daß dieser verwickelte Blockadeplan gegen eine Stadt geübt wurde, die nach der niedrigst möglichen Schätzung zwölfmalhunderttausend Einwohner enthielt, die innerhalb ihren Mauern Mangel an Magazinen hatte, deren Bedarf durch regelmäßige Zufuhren vom platten Lande gedeckt werden mußte, die von einem unentschlossenen Senate regiert und von einer verweichlichten Armee vertheidigt wurde, so lassen sich die jetzt den belagerten Römern bevorstehenden Schrecken leichter vorstellen, als beschreiben.

Unter den Heerestheilen, welche jetzt die dem Untergange geweihte Stadt umringten, wird zur Bewachung des Pincischen Thores bestimmte sich unter den jetzigen Verhältnissen der Aufmerksamkeit des Lesers am würdigsten erweisen, da Einer von den Unterbefehlshabern derselben der junge Häuptling Hermanrich war, welchen Goiswintha seit der Zeit, wo wir ihn an der Grenze oder italienischen Alpen verließen, durch alle Mühen und Gefahren des Marsches hin begleitet hatte.

Die Wachen warm ausgestellt, die Zelte aufgeschlagen, die Schutzwehren auf der Strecke, welche man gewählt hatte, um jeden möglichen Zugang zu dem Pincischen Thore besetzt zu halten, aufgerichtet worden, als sich Hermanrich zurückzog, um an Goiswinthens Seite die weiteren Befehle zu erwarten, welche ihm seine Vorgesetzten im gothischen Lager zugehen lassen würden. Die Stelle, auf welcher sich das einfache Zelt des jungen Kriegers befand, war eine geringe Anhöhe, etwas von den durch seine Kameraden gewählten Stellungen abgelegen, östlich vom Stadthore, und man überschaute von ihr aus in einiger Entfernung die verlassenen Gärten der Vorstädte und die stattlichen Paläste des Monte Pincio. Hinter seiner zeitweiligen Wohnung befand sich das durch die Flucht seiner erschreckten Bewohner in eine furchtbare Einöde verwandelte platte Land, und zu beiden Seiten sah man nichts als kriegerische Rüstungen, die, so weit das Auge reichte, ihre belebte Verwirrung von Soldaten, Zelten und Kriegsmaschinen ausbreiteten. Es war jetzt Abend. Die Mauern von Rom stiegen, von einem sich erhebenden Nebel verschleiert, sonnenlos und majestätisch vor den Augen der Gothen empor.

Das Geräusch in der belagerten Stadt wurde leiser und tiefer; es schien von der herniedersinkenden Finsterniß der Herbstnacht gedämpft zu werden und desto mehr an Hörbarkeit zu verlieren, je länger die wachsamen Belagerer von ihren verschiedenen Posten aus darauf lauschten.

In dem gothischen Lager zeigten sich allmälig in unregelmäßigen Zwischenräumen grelle Lichter. Der schmetternde Ruf der Signaltrompete erschallte rauh und kurz abgebrochen von Schaar zu Schaar und durch die nebelige, dicke Luft erhob sich in den Zwischenräumen der wichtigeren Klänge das Schlagen schwerer Hämmer und die Rufe kriegerischer Befehle. Wo die Blockadevorbereitungen noch unvollständig waren, durfte weder das Einbrechen der Nacht, noch der Vorwand der Ermüdung auch nur einen Augenblick ihren Fortgang hindern. Alarich’s unbezähmbarer Wille besiegte jedes Hinderniß der Natur, jeden Mangel des Menschen. Die Finsternis konnte ihn nicht zur Ruhe zwingen, die Müdigkeit nicht zum Zögern verlocken.

In keinem Theile des Heeres waren die Befehle des Gothenkönigs schneller und verständiger ausgeführt worden, als in dem zur Bewachung des Pincischen Thores bestimmten. Das Zusammensein Hermanrich’s und Goiswinthens in dem Zelte des jungen Häuptlings blieb daher lange Zeit hindurch von neuen Geboten aus dem Hauptquartier des Lagers ununterbrochen.

Der äußern Erscheinung nach, hatten sowohl der Bruder wie die Schwester eine Veränderung erlitten, die bedeutend genug war, um selbst in dem ungewissen Lichte der Fackel, die sie jetzt beschien, als sie zusammen an der Thür des Zeltes standen, sichtbar zu sein. Die Züge Goiswinthens, welche zu der Zeit, wo wir sie am Ufer des Gebirgssee’s zum ersten Male erblickten, trotz ihrer tiefen Leiden, noch viel von der erhabenen, imposanten Schönheit bewahrten, durch welche sie sich in ihren glücklichen Tagen ausgezeichnet hatten, besaßen jetzt nicht mehr die mindeste Spur von ihrem frühern Reize. Die Frische ihres Teints war verwelkt, die Fülle ihrer, Gestalt verschwunden. Ihre Augen hatten einen starren, Finstern Ausdruck tückischer Verzweiflung angenommen und ihr Benehmen war mürrisch, zurückstoßend und mißtrauisch geworden. Diese Veränderung in ihrem äußern Aussehen war nur die Folge einer noch gefahrvolleren in der Stimmung ihres Herzens. Der Tod ihres letzten Kindes, gerade in dem Augenblick, wo ihre Flucht sie glücklich unter den Schutz ihres Volkes gebracht, hatte sie noch verderblicher berührt, als alle ihre früher erlittenen Verluste. Die Schwierigkeiten und Gefahren, welche sie bei der Rettung ihres Sprößlings aus dem Blutbade bestanden, die trübe Gewißheit, daß das Kind von allen frühem Gegenständen ihrer Neigung der einzige war, welchen sie noch lieben konnte, das wilde Trinmphgefühl, welches sie bei der Erinnerung daran empfand, daß in diesem Falle ihre einzelnen ununterstützten Bemühungen die barbarische Hinterlist des römischen Hofes vereitelt, hatten ihr eine fast an Wahnsinn grenzende Hingebung für dieses letzte Mitglied ihrer Familie eingeflößt, und jetzt, wo ihr geliebtes Kind, ihr unschuldiges Opfer, ihr künftiger Krieger nach allen ihren Anstrengungen, es zu erhalten, dahingesiecht und gestorben, jetzt, wo sie wirklich kinderlos war, jetzt, wo die Grausamkeit der.Römer, trotz aller Geduld, alles Muthes, aller Standhaftigkeit, ihren Zweck erreicht hatte, sank jedes edle Gefühl ihres Herzens von diesem Schlage vernichtet zusammen. Ihr Kummer nahm die verderbliche Form an, welche beim Weibe alle milderen und besseren Empfindungen unwiederbringlich zerstört – er verwandelte sich in die Verzweiflung. welche keine Theilnahme verlangt, in den Schmerz, der keine Thräne kennt.

 

Mit weniger hohem Geiste und nicht so empfänglichem Charakter begabt, hatte die jetzt an Hermanrich sichtbare Veränderung« zu einem mürrischen Ausdrucke und kurz angebundenen Benehmen ihren Ursprung eher in seiner beständigen Betrachtung der düstern Verzweiflung Goiswinthens, als in einer wirklichen Revolution seines eigenen Charakters. Wie viele Punkte äußerer Aehnlichkeit auch jetzt zwischen dem Bruder und der Schwester sichtbar werden mochten, so zog die verschiedene Stufe ihres moralischen Standpunktes von selbst die Verschiedenheit in der Stärke des inneren Kummers eines Jeden nach sich. Hermanrich besaß bei allen Prüfungen und Kümmernissen, die ihn bestürmten, die gesunde Elasticität der Jugend, die durch die kriegerischen Beschäftigungen seines Geschlechts ausfrecht erhalten wurde. Goiswintha konnte sich weder auf die eine, noch aus die andere stützen. Ihre Gedanken wurden von keiner Beschäftigung in Anspruch genommen, als von der bittern Erinnerung. Ohne ein liebevolles Streben, ohne beschwichtigende, das Herz erfüllende Hoffnung war sie unwiderruflich dem Einflusse ungetheilten Schmerzes und rachsüchtiger Verzweiflung anheimgefallen.

Das Weib sowohl, wie der Krieger standen eine Zeitlang schweigend neben einander da. Endlich redete Hermanrich, ohne seine Augen von der darüber dämmernden, formlosen Masse, die alles war, was die Nacht noch von der dem Verderben geweihten Stadt erkennen ließ, abzuwenden, Goiswinthen an.

»Hast Du keine Worte des Triumphes, wenn Du auf die Wälle blickest, die, so in seinen Händen zu sehen, Dein Volk Generationen hindurch gekämpft hat? Kann ein gothisches Weib schweigen, wenn es vor Rom steht?«

»Ich bin hierher gekommen, um Rom plündern und Römer schlachten zu sehen! was nützt mir das blockirte Rom?« entgegnete Goiswintha zornig. »Die Schätze in jener Stadt werden ihre Sicherheit von unserm Könige erkaufen, sobald die zitternden Feiglinge auf den Wällen Herz genug fassen, um in ein gothisches Lager zu dringen. Wo ist die Rache in jenen fernen Palästen, die Du mir versprochen hast? Sehe ich Dich in die Häuser von Rom die Vernichtung tragen, welche die Soldaten jener Stadt durch die Wohnungen der Gothen gebracht haben? Ist das Heer hier, um zu plündern oder um sich Ruhm zu erwerben? Ich hatte in meiner weibischen Verblendung geglaubt, daß es da sei, um Rache zu nehmen.«

»Schmach wird Dich rächen – Hungersnoth wird Dich rächen – Pestilenz wird Dich rächen!«

»Sie werden meine Nation rächen, aber nicht mich. Ich habe das Blut gothischer Frauen um mich vergießen sehen – ich habe die blutenden Leichen meiner Kinder zu meinen Füßen erblickt! – wird mir eine Hungersnoth, die ich nicht sehen und eine Pest, die ich nicht beobachten kann, dafür Rache gewähren! Schau her! hier ist der Helmschmuck meines Gatten, Deines Schwagers – der Helmschmuck, der mir als Zeuge, daß ihn die Römer erschlagen hatten, zugeworfen worden ist – seit dem Blutbade von Aquileja hat er meinen Busen nie verlassen. Ich habe geschworen daß das Blut, welches ihn färbt und verdunkelt, im Blute des römischen Volkes abgewaschen werden soll. Selbst wenn ich vor diesen verfluchten Mauern umkäme, selbst wenn Du mir in Deiner muthlosen Geduld Schutz und Hülfe versagtest, würde ich, so verwitwet, schwach und verlassen ich auch bin, mich doch an die Erfüllung meines Eides halten.«

Hiermit umhüllte sie den Helmschmuck mit ihrem Mantel und wendete sich in bitterer, unverhohlener Verachtung kurz von Hermanrich ab. Alle Eigenschaften ihres Geschlechts, sowohl dem Gedanken, wie dem Ausdrucke und Wesen nach, schienen sie verlassen zu haben. Selbst die Töne, welche sie aussprach, waren rauh und unweiblich.

Jedes von ihr ausgestoßene Wort, jede ihrer Geberden waren tief in das Innerste des jungen Kriegers, welchen sie anredete, gesunken, und hatten die wildesten Leidenschaften seines Herzens aufgeregt. Das erste Nationalgefühl, welches sich in der Frühlingszeit der gothischen Geschichte entdecken läßt, ist die Liebe zum Kriege, das zweite aber die Verehrung der Frauen. Dieses letztere, unter einem so rauhen, wenig für Gefühle empfänglichen Volke äußerst auffallende Gefühl hatte nicht den mindesten Zusammenhang mit den starken, fesselnden Banden, welche die natürliche Folge der wärmeren Temperamente der südlicheren Nationen sind, denn die Liebe gehörte bei dem kalten, abgehärteten Charakter des nordischen Kriegers zu den niedrigen, unedeln Leidenschaften. Es war das Resultat von Schlußfolgerungen und Beobachtungen, nicht von instinktmäßiger Empfindung und momentanem Triebe. In dem wildpoetischen Codex des altgothischen Glaubens befand sich eine Lehre, die sich auffallend dicht einer wichtigen Theorie in dem christlichen Systeme näherte – die Wachsamkeit eines allmähligen Schöpfers über einem endlichen Geschöpfe. Jede Handlung des Körpers, jede Regung des Geistes war, dem Religionssysteme der Gothen zufolge, die Wirkung des direkten, wiewohl unsichtbaren Einschreitens der Götter, welche sie anbeteten. Als sie daher bemerkten, daß der Körper der Frauen den räthselhaften Gesetzen der Natur und des Temperaments stärker unterworfen war, und ihr Geist mächtiger von den angeborenen, universellen Instinkten der Menschheit beherrscht wurde, als ihr eigner, so zogen sie daraus den unvermeidlichen Schluß, daß das weibliche Geschlecht von den Göttern ihres Glaubens unablässiger berücksichtigt und beständiger und auffallender beeinflußt werde, als das männliche. In dieser Ueberzeugung übertragen sie das Studium der Medicin, das Auslegen der Träume und in vielen Fällen die Geheimnisse des Verkehrs mit der unsichtbaren Welt der Sorge ihrer Frauen. Das Weib wurde ihr Rathgeber in schwierigen Fällen ihr Arzt in der Krankheit, ihre Gefährtin vielmehr als ihre Geliebte, mehr der Gegenstand ihrer Verehrung, als die Vermittlerin ihrer Freuden. Wenn auch in späteren Jahren die Nationalwanderungen der Gothen das Temperament der Nation veränderten, wenn sie auch ihre alte Mythologie mit der Christusreligion vertauschten, so wurden sie doch nie vollkommen von dieser seit ihrer frühesten Existenz als Volk bei ihnen herrschenden Empfindung verlassen, sondern sie behaupteten mit verschiedenen Modificationen und in verschiedenen Formen bei allen Veränderungen der Sitten und Gebräuche einen großen Theil ihrer alten Herrschaft, die sich bis auf ihre Nachkömmlinge unter den jetzigen Völkern Europa’s in der Gestalt des allgemein eingeführten Gesetzbuches der Höflichkeit gegen die Frauen erhalten hat, welche für einen Hauptunterschied zwischen den Socialsystemen der Bewohner civilisirter und uncivilisirter Länder gilt.

Diese mächtige, auffallende Herrschaft des Weibes über den Mann bei den Gothen konnte sich kaum schlagender zeigen, als bei Hermanrich. Man erblickte sie nicht nur an dem verschlimmernden Einflusse der beständigen Gesellschaft Goiswintha’s auf seinem mannhaften Charakter, sondern auch in der starken Wirkung, welche die letzten von ihr gesprochenen Worte auf seinen Geist ausgeübt hatten. Seine Augen blitzten zornig, seine Wangen glühten beschämt, als er auf die Theile ihrer ingrimmigen Reden hörte, welche den bittersten Bezug auf ihn hatten. Sie schwieg und war im Begriff, sich in das Zelt zurückzuziehen, als er sie festhielt und in lauten, anklagenden Tönen entgegnete:

»Du thust mir durch Deine Worte Unrecht! Habe ich Dir meinen Schutz verweigert, als ich Dich in den Alpen erblickte? Habe ich das verwundete Kind ohne Hülfe dulden lassen? Habe ich es, als es starb, auf der Erde verfaulen lassen oder seiner Mutter die Bereitung seines Grabes anheimgegeben. Habe ich vergessen, daß das Schwert an meiner Schulter hing, als wir uns Aquileja näherten und an Ravenna vorüber marschirten? Ist es durch meinen Willen in der Scheide geblieben? Bin ich durch meinen Willen nicht in die Thore der römischen Städte getreten, sondern in Eile an ihnen vorübergegangen? War es nicht der Befehl des Königs, welcher mich zurückhielt, und konnte ich, sein Krieger, ihm den Gehorsam versagen? Ich schwöre Dir es zu, daß ich mich nach Ausübung der Rache sehne, welche ich Dir versprochen habe, aber geziemt es mir, die Beschlüsse Alarich’s zu verändern? Kann ich allein die Stadt stürmen, welche wir nach seinen Befehle blockiren sollen? Was willst Du von mir?«

»Ich will, daß Du Dich erinnerst,« erwiderte Goiswintha entrüstet, »daß die Römer Deinen Schwager getödtet und mich kinderlos gemacht haben! Ich will, daß Du Dich erinnerst, daß ein öffentlicher Krieg, wenn er auch jahrelang dauert, nicht im Stande ist, das auch nur einstündige Nagen der Privatrache zu vermindern! Ich will, daß Du Dich weniger der Weisheit Deines Generals unterwerfen und stärker das Dir widerfahrene Unrecht berücksichtigen möchtest! Ich wollte, daß Du gleich mir nach dem Blute des ersten Bewohners jener Verrätherhöhle dürstete, der, sei es nun zum Frieden oder zum Kriege, aus ihren schützenden Mauern hervorkäme!«

»Sie brach ab, um seine Antwort zu hören. Hermanrich aber sprach keine Silbe. Das muthige Herz des jungen Häuptlings schrak vor dem vorbedachten Morde zurück, welcher ihm in Goiswinthens verschleierter aber ausdrucksvoller Rede angerathen wurde; – mit seinen Kameraden gemeinschaftlich die Stadt im Sturme zu nehmen, in der Hitze der Schlacht die schlimmsten Schrecken des Blutbades von Aquileja zu übertreffen, würden Thaten gewesen sein, die mit seinem wilden Geiste und seiner kriegerischen Erziehung im Einklange standen, sich aber in Goiswinthens Pläne zu fügen, war ein Opfer, welches gerade die Eigenthümlichkeiten seines martialischen Charakters seinem Geiste zuwider machten. Diese Gedanken würde er seiner Gefährtin in demselben Maße mitgetheilt haben, wie sie durch seinen Geist gingen; in der furchtbaren ominösen Veränderung ihres Charakters, seit er ihr auf den Alpen begegnet war, in ihrem rasenden, unatürlichen Lechzen nach Blut und Rache lag jedoch etwas, wodurch sie einen geheimnißvollem mächtigen Einfluß auf seine Gedanken, Worte und selbst Thaten erhielt. Er zauderte und schwieg.

»Bin ich nicht geduldig gewesen?« fuhr Goiswintha fort, indem sie ihre Stimme zu Lauten eindringlicher, bewegter Bitte senkte, welche mißtönig in Hermanrich’s Ohr klangen, als er bedachte, wer die Bittende sei und was der Gegenstand ihres Verlangens sein würde; – »bin ich nicht die ganze lange Reise von den Alpen her geduldig gewesen? Habe ich nicht selbst vor den schutzlosen Stadien, an denen wir auf dem Marsche vorüberkamen, die Stunde der Vergeltung abgewartet? Habe ich nicht aus Deinen Antrieb meine Sehnsucht nach Rache bis zu dem Tage beherrscht, wo Du mit den Kriegern der Gothen jene Mauern ersteigen würdest, um die stolzen Verräther von Rom mit Feuer und Schwert zu züchtigen? Ist dieser Tag erschienen? Soll diese Blockade die Vergeltung bilden, welche Du mir bei der Leiche meines gemordeten Kindes versprochen hast? Erinnere Dich an die Gefahren, denen ich Trotz bot, um das Leben des Letzten meines Hauses zu bewahren – und willst Du nichts wagen, um seinen Tod zu rächen? Sein Grab ist ungepflegt und einsam. Weit von den Wohnungen seines Volkes, im Morgen seiner Schönheit geknickt, im Keime seiner Kraft geschlachtet, liegt der Sprößling Deines Schwagers da, und die Uebrigen – die beiden Kinder, die noch an der Mutter Brust lagen, der Vater, der tapfer in der Schlacht und weise im Rathe war – wo sind sie? Ihre Gebeine bleichen auf der obdachlosen Erde oder vermodern unbegraben am Strande des Ozeans. Bedenke, wie glücklich, wenn sie am Leben geblieben wären, Deine Tage mit ihnen zur Zeit des Friedens verstrichen sein würden! wie gern Dein Schwager mit Dir zur Jagd hinausgezogen wäre! wie freudig sich seine Söhne an Deine Knie geschmiegt haben würden, um von Deinen Lippen die ersten Lehren zu lesen, welche sie für das Leben des Kriegers ausbilden sollten. Denke an solche Genüsse und dann bedenke, daß römische Schwerter Dich ihrer aller beraubt haben!«

 

Ihre Stimme bebte, sie hielt einen Augenblick inne und schaute wehmüthig in Hernianrich’s abgewendetes Gesicht auf. Jeder Zug aus dem Antlitze des jungen Häuptlings verkündete die Aufregung, welche ihre Worte in seinem Herzen hervorgebracht hatten. Er versuchte zu antworten, seine Zunge war aber in diesem Augenblicke kraftlos. Der Kopf sank ihm auf die wogende Brust und er seufzte schwer, indem er stumm Goiswinthens Hand ergriff. Der Zweck ihres Verlangens war seiner Erreichung nahe – er begann sich in die gut gespannten Netze der Bersucherin zu versangen.

»Bist Du immer noch stumm?« fuhr sie düster fort, »wunderst Du Dich immer noch über meinen Durst nach Rache, über mein Lechzen nach römischem Blut. Ich sage Dir, daß mein Verlangen sich in mir in Folge von Eingebungen der Stimmen einer andern unbekannten Welt erhoben hat. Sie spornen mich an, gegen das Volk, welches mich gatten- und kinderlos gemacht hat, Vergeltung zu suchen – dort in seiner prahlerischen Stadt an ihren üppigen Bürgern, in ihren prächtigen Häusern, – an der Stelle, wo ihre schändlichen Rathschläge Wurzel schlagen und wo ihre grausamen Verräthereien ihre blutige Quelle haben! Ich habe in dem Buche, welches unsere Lehrer anbeten, lesen hören, daß vergossenes Blut zum Himmel aufschreit! Das ist die Stimme, Hermanrich, das ist die Stimme, die ich gehört habe. Ich habe geträumt, daß ich an, einem Meere von Blut, auf einem Strande von Leichen wandelte – ich habe aus diesem Meere die Leichen meines Gatten und meiner Kinder von römischen Wunden zerfleischt auftauchen sehen! Sie haben mir durch den sie umgebenden blutigen Dunst zugerufen: Sind wir noch ungerächt? Ist Hermanrich’s Schwert noch in der Scheide? Eine Nacht nach der andern habe ich diese Visionen gesehen und jene Stimmen gehört und hoffte aus keine Erlösung davon vor dem Tage, der das Heer vor den Mauern von Rom gelagert und mit Aufrichtung der Sturmleitern beschäftigt sehen würde! Und wie ist jetzt nach aller meiner Geduld dieser Tag gekommen? Verflucht sei die Habsucht! Sie steht den Kriegern und Dir höher als die Gerechtigkeit der Rache.«

»Höre mich an! höre mich an!« rief Hermanrich flehend.

»Ich will nichts mehr hören,« unterbrach ihn, Goiswintha, »die Sprache meines Volkes ist meinen Ohren fremd geworden, denn sie redet nur von Beute und Frieden, von Gehorsam, Geduld und Hoffnung. Ich will nichts mehr hören, denn die Verwandten, denen ich mein Ohr zu leihen liebte, sind dahin – sie sind bis auf Dich alle von den Römern erschlagen – und von Dir sage ich mich los.«

Durch den Aufruhr, der in seinem Herzen durch Goiswinthens wilde Enthüllungen der schlimmen Leidenschaft, welche sie verzehrte, erweckten Gefühle, aller Ueberlegungskraft beraubt, murmelte der junge Gothe, am ganzen Körper bebend, und immer noch abgewendetem Gesichte mit heiserer schwankender Stimme:

»Verlange von mir, was Du willst! ich habe keine Worte, um Dir es abzuschlagen, keine Macht, um Dich zu tadeln, verlange von mir, was Du willst!«

»Versprich mir,« rief Goiswintha, indem sie Hermanrich’s Hand ergriff und mit einem Blicke wilden Triumphes in sein verstörtes Antlitz schaute, »daß diese Blockade der Stadt meiner Rache keinen Eintrag thun soll! Versprich mir, daß das erste Opfer unserer gerechten Rache, der erste Bewohner Rom’s sein soll, der, sei es nun zum Kriege oder Frieden, vor Dir erscheint!«

»Ich verspreche es!« rief der Gothe. Und diese drei Worte besiegelten das Schicksal seines künftigen Lebens.

Während der jetzt zwischen Goiswintha und Hermanrich eingetretenen Stille und des tiefen Nachdenkens, in welches Beide versunken waren, begann sich die um sie her ausgebreitete Gegend langsam von einem weichen, klaren Lichte zu erhellen. Der Mond, dessen trübe, große Scheibe sich, in eine düstere Röthe gekleidet, in dem Abendnebel erhoben hatte, war jetzt über die höchsten Ausdünstungen der Erde gestiegen und strahlte nieder, mit seiner gewohnten bleichen Farbe angethan, am Nachthimmel. Allmälig, aber doch wahrnehmbar, rollte sich eine Dunstschicht nach der andern von den hohen Zinnen der römischen Paläste und die höchst gelegenen Orte der mächtigen Stadt begannen, so zu sagen, in dem weichen, friedlichen, geheimnißvollen Lichte auszudämmern, während die niedriger stehenden Abtheilungen der Mauern, die verödeten Vorstädte und ein Theil des gothischen Lagers, noch in die Dunkelheit des Nebels getaucht, in einem großartigen finstern Kontraste mit dem glänzend erleuchteten Bilde, welches fast über ihnen zu schweben schien, dalagen. Erhöhte, offene Orte hinter dem Zelte Hermanrich’s begannen stellenweise sichtbar zu werden und von Zeit zu Zeit vernahm man jetzt aus der Ferne von den einzeln stehenden Bäumen her den Gesang der Nachtigall. Die Natur versprach, nach welcher Richtung hin man sie auch beobachten mochte, eine wolkenlose stille Nacht des herbstlichen Klima’s im alten Italien.

Hermanrich war der Erste, welcher zur Betrachtung der Außenwelt zurückkehrte. Er bemerkte, daß die noch neben seinem Zelte lodernde Fackel sich, seit sich der Mond erhoben und die Dünste zerstreut hatte, nutzlos geworden war, schritt auf dieselbe zu und löschte sie aus und blickte darauf über die langsam vor ihm aufdämmernde Ebene hin. Er war erst kurze Zeit damit beschäftigt gewesen, als er eine menschliche Gestalt in geringer Entfernung langsam über eine theilweise erleuchtete hügelige Stelle hinschreiten zu sehen glaubte. Es war unmöglich, daß dieselbe zu seinen Leuten gehören konnte – sie waren alle an ihren Posten versammelt und er wußte, daß sein Zelt an der äußersten Grenze des Lagers vor dem Pincischen Thore liege.

Er blickte wieder hin. Die Gestalt kam immer noch näher, befand sich aber in zu großer Entfernung, um ihm in dem ungewissen Lichte, welches ihn umgab, ihre Nation, ihr Geschlecht oder Alter entdecken zu lassen. Das Herz pochte ihm, als er seines Goiswintha gegebenen Versprechens gedachte und die Möglichkeit vor Augen sah, daß es ein armer Sklave sei, den die Flüchtlinge, die am Morgen aus den Vorstädten geflohen waren, seinem Schicksale überlassen hatten und der sich jetzt als letztes Auskunftsmittel seinen Feinden im Lager nähere, um bei ihnen Gnade und Schutz zu suchen. Er wendete sich, als die Idee seinen Geist durchzuckte, Goiswinthen zu und bemerkte, daß sie noch immer in Gedanken versunken war. Durch ihren Anblick überzeugt, daß sie die Flüchtlingsgestalt noch nicht bemerkt hatte, lenkte er seine Blicke wieder mit einem Uebermaße von Besorgniß, welches er sich kaum zu erklären vermochte, der Gegend zu, wo er sie zuerst bemerkt hatte, aber sie war nicht mehr zu sehen. Sie hatte sich entweder in einen Versteck zurückgezogen oder näherte sich durch eine Baumgruppe, womit der Abhang bekleidet war, immer noch seinem Zelte.