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Seelenrätsel

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»Du schläfst noch nicht?« frug Eduard, der, er wußte nicht warum, sich heute Abend mehr denn je zu seinem Schützling hingezogen fühlte, »Kommʼ, schlafe wieder ein, ich wollte nur nach Dir sehen.« Trotz dieser Mahnung ließ er sich auf dem Bettrande nieder, während Ludwig, ganz von dem kürzlich Gelesenen entflammt, unaufgefordert von dem schönen Buche erzählte, das er gefunden. Diese Erzählung, die Eduard nur zuweilen mit einem Ausruf des Einverständnisses oder des Erstaunens unterbrach, mochte ziemlich lange gedauert haben, bis der Knabe an dem ausdruckslosen, in das Licht starrenden Auge seines Zuhörers wahrnahm, daß derselbe mit anderen Dingen beschäftigt war.

»Du hörst ja gar nicht zu,« unterbrach sich der Erzähler.

»Gewiß,« entgegnete der Zurechtgewiesene, beugte sich zu den Polstern nieder und drückte einen Kuß auf die vor Erregung glänzenden Augen des Knaben.

»Es ist Zeit, das Du einschläfst,« fügte er hinzu, »Du darfst nicht mehr Abends lesen, das erhitzt Dich zu sehr – soll ich Dir übrigens etwas Neues erzählen? Denke Dir, Ludwig, denke Dir, die junge Dame, die heute zu Pferd bei uns war, hat mich eingeladen, sie zu besuchen, gefällt Dir das? soll ich hingehn?« Ludwig schüttelte betrübt den Kopf.

»Nicht? warum nicht?« frug der Maler, »liebst Du sie nicht?«

»Nein.«

»Warum denn?«

»Ich weiß nicht!«

»Du weißt nicht? ist das nicht eine thörichte Antwort?«

»Was thust Du denn eigentlich bei ihr?« frug Ludwig neugierig.

»Was ich bei ihr thue,« stieß der Andre lachend heraus, »wie fragst Du seltsam, nun, wir unterhalten uns zusammen.«

Ludwig besann sich einige Zeit, dann sagte er noch einmal kopfschüttelnd: »nein, gehʼ nicht hin; nein! ich willʼs nicht, gehʼ nicht hin.«

»Dann mußt Du mir auch Deine Gründe genauer angeben,« entgegnete der Maler. Nach einer Pause sagte der Knabe leise:

»Sie dauert mich immer so, wenn sie lacht.«

Eduard sah den Knaben nach diesen Worten fast erschrocken an, erhob sich, griff zögernd nach der Kerze und ging langsam ohne »Gute Nacht« in sein Gemach zurück. Dort saß er, während er die einzelnen Kleidungsstücke ablegte, zuweilen sinnend auf dem Rand des Bettes, ohne über etwas Bestimmtes nachzusinnen, fuhr dann oft aus diesem Hinbrüten empor, gähnte gewaltsam und fand, daß er recht schläfrig sei.

Das Mondlicht, das draußen blaue Schleier über die Bäume malte, senkte eine phantastische Mattigkeit über sein Gemüt; je länger er in diese blaue Dämmerung hinausblickte, desto häufiger mußte er gähnen, obwohl er fühlte, daß dies Gähnen gar nichts mit seiner Seelenstimmung zu thun hatte, ja eigentlich recht thöricht sei. So saß er, die Stiefel in der Hand und starrte durchs Fenster, ohne sich ermannen zu können, ohne einen Gedanken fassen zu können, bis der Hund drunten im Hofe anschlug, was den Träumer bewog, hastig die Stiefel von sich zu schleudern. »Ich bin wie vor den Kopf geschlagen, wenn ich zu einem Entschlusse kommen soll, so gehtʼs mir jedesmal,« dachte er unwillig. Als er das Licht ausblies, murmelte er noch: »ich muß dem Jungen doch ernstlich untersagen, solche Bemerkungen zu machen! Wo er das nur her hat!« Bald darauf verfiel er in seinen traumlosen, gesunden Schlaf, der ihm nie abhanden kam, den ihm auch die heftigste Gemütsbewegung von jeher nie geraubt hatte. »Ich glaube, ich würde selbst meine Hinrichtung verschlafen,« sagte er oft zu seinen Freunden, die es gewohnt waren, ihn des Morgens kaum aus den Federn zu bringen. – — —

* * *

Am andern Morgen, als er, noch in die flüchtigen Genüsse des Morgentraumes versunken, die Augen aufschlug, fühlte er sich so lange behaglich in seinem engen, harten, von der Sonne beschienenen Bette, bis die Mutter an die Thüre klopfte und durch das Schlüsselloch rief:

»Hast Du den Brief gefunden,« rief sie, »ein Diener brachte ihn vom Schlosse; verzeihʼ, daß ichʼs vergaß, ihn Dir einzuhändigen.«

»Himmel der Brief,« murmelte Eduard, nun völlig wach. Er hatte ihn so völlig vergessen, daß, als er so plötzlich an ihn erinnert wurde, ein leises Frösteln des Unbehagens sein Herz beklemmte. Sich ankleidend, überlegte er, was hier zu thun sei. Was thun, spricht Zeus. Am liebsten ginge ich nicht, doch was bleibt anders übrig, als zu gehen. Noch durchaus mit sich selbst uneins, kam er zum Frühstück herab, woselbst ihn die Mutter mit Fragen über den Inhalt jenes Briefes bestürmte, welchen Fragen er jedoch geschickt auszuweichen wußte.

»Eine Laune,« sagte er, »eine gräfliche Laune,« wandte sich dann zu dem eifrig lesenden Ludwig und nahm ihm den roten Freibeuter aus der Hand.

»Jetzt befassen wir uns ein wenig mit unsren Schulaufgaben, mein Sohn,« sagte er, ließ die Bücher bringen und nötigte den Widerstrebenden, die Schönheiten des Einmaleins näher kennen zu lernen. Auf diese Weise verging dem Unterrichtenden der Vormittag, sehr rasch; mit heimlichem Grauen hörte er 11 Uhr schlagen. Ohne der Familie etwas davon zu sagen, kleidete er sich auf seinem Zimmer um und verließ verstohlen, als beschäme es ihn, im Frack gesehen zu werden, das Haus mit dem festen Vorsatz, seinen Widerwillen zu besiegen und der freundlichen Einladung Folge zu leisten. Verlegenheit war es nicht, die ihn zögern ließ, er war keine demütige Natur, nicht einmal schüchtern im gewöhnlichen Sinne konnte man ihn nennen, er wußte selbst nicht, welche Empfindung es war, die ihm den Besuch im Schlosse im Lichte einer unangenehmen Arbeit betrachten ließ, eigentlich war die Einladung doch weiter nichts, als eine Höflichkeit, die man mit gleicher Höflichkeit erwidern mußte, eine reine Formsache. Dennoch bedrückte ihn der Gedanke, in den gräflichen Gemächern erscheinen zu sollen; ein dumpfes, so zu sagen geistloses Unbehagen, das beinahe an körperliches Unwohlsein grenzte, ließ seinen Fuß nur langsam den Weg nach dem Schlosse finden und nur die seltsame Bemerkung des Knaben: sie dauert mich so, wenn sie lacht! die zuweilen in ihm wiederertönte, brachte eine gewisse Klarheit in sein Denken, wenn man das Haschen nach einem Phantasiebilde von Isabellaʼs Gestalt Klarheit nennen darf. So befand er sich jetzt, ohne es zu bemerken, wie er hingekommen, vor der Mauer des gräflichen Parkes, da, wo die uralten Eichen ihre stolzragenden Wipfel in dem Teile des Sees spiegeln, der den Schiffen zum Landungsplatze dient. Den an der Landungsbrücke beschäftigten Arbeitern mochte die düstre Miene auffallen, mit der der junge Mann die altersgrauen Giebel, die grünen Fensterläden des Schlosses musterte, sie sahen sich nach dem befrackten Herrn um, der diesen etwas spöttisch blickenden Gesichtern diesmal gern auswich. Es ragte so aristokratisch aus der parkartigen Terrasse hervor, das alte Schloß, so ernst, daß unser Freund, trotz seiner prinzipiellen Nichtachtung aller weltlichen Macht, nicht umhin konnte, die herüberrauschende Wassersäule des Springbrunnens mit Ehrfurcht zu betrachten. Wirklich, es hatte, von dieser Seite aus betrachtet, noch etwas mittelalterlich-klösterliches, dies oft umgebaute, unregelmäßige Schloß, wie es so seine stumpfen Türme den grauen Wolkenballen entgegenhob. Dort an dem altertümlichen Fensterladen hing ein großer Schwamm, dies mochte wohl das Schlafzimmer der Gräfin sein, der Gärtner, der unter dem Fenster grub, die dicken Mauern, die die Terrasse bildeten, die Tauben auf dem Schieferdach des Turms, der eintönige Glockenschlag der Uhr, alles stimmte zusammen ein feierliches Bild abzugeben, den Eindruck behaglichen Reichtums auf den Beschauer zu machen. Jetzt antwortete im Innern des Gebäudes der alten Thurmuhr das feine Silberstimmchen einer Zimmeruhr; ein Diener rief dem Gärtner den Befehl zu, die Blumensträuße für die Tafel zu bringen, Thüren wurden geöffnet oder fielen mit vornehmem Schall inʼs Schloß, das Geklirr prächtiger Tafelservice, eilende Schritte ertönte. »Diese irdische Pracht der Reichen hat doch etwas Bestechendes für ein Künstlergemüt,« dachte Eduard, in einem reichgeschmückten Saale auf silbernen Tellern zu speisen – »das erhöht doch nicht blos den äußeren, auch den inneren Menschen.«

Er trat an das Gitter des Thores heran, in der Absicht, es zu öffnen, trat jedoch wieder hinter die Taxuswand zurück, als das Rasseln von Wagenrädern auf dem gepflasterten Hof des Schlosses erscholl. Der Wagen hielt, Stimmen schlugen an das Ohr des Lauschenden.

»Das war eine Fahrt, von der Residenz hierher,« sagte eine schnarrende Männerstimme, »das lobe ich mir und man darf sich wohl, ohne unbescheiden zu erscheinen, die Bemerkung erlauben, daß man Appetit verspürt.«

»Gewiß, Baron,« entgegnete eine Stimme, die der Lauscher sogleich als diejenige Isabellas erkannte, »gewiß! Aber, bitte, geben Sie dem Diener ihren Mantel, bitte, treten wir ein —«

»Die Brunaus haben sich immer durch einen tüchtigen Appetit ausgezeichnet,« lachte die schnarrende Stimme, »aber prächtige Gelegenheit zur Jagd hier in der Gegend, sahʼs vom Wagenfenster aus, muß doch morgen gleich beginnen, mich von den Strapazen meiner Theaterleitung durch das Erlegen einiger Rehe zu erholen. Sie lieben doch die Jagd, Gräfin?«

»Frei herausgesagt: nein! ich liebe sie nicht,« entgegnete die andere Stimme, »doch lassen Sie sich dadurch nicht in ihrer Liebhaberei stören, Baron.«

»Aber wie kann man nur die Jagd verachten,« entgegnete der Baron, »ich bitte Sie – welche Poesie! Denken Sie sich doch dies Umherstreifen in der freien Natur.«

»Und diese fein übertünchte Mordlust.« fiel ihm das Mädchen rasch und mit seltsam harter Betonung in die Rede

»Aber Gräfin – Mordlust —«

»Lieber Brunau, wenn Sie die Poesie des Waldes reizt, warum lassen Sie denn nicht ihr Gewehr zu Haus – oder gebrauchen Sie es nur, um zeitweilig in die Luft zu knallen! Doch genug hiervon, bitte, treten wir ein, Frau von Pork wartet bereits auf uns.«

Der hinter der Taxuswand Versteckte konnte nun deutlich Isabella am Arm eines großen, mageren Herrn nach dem Schloßthor wandeln sehen. Isabella hatte den Kopf zur Erde geneigt, ein unruhiger, finsterer Ausdruck beschattete ihre Züge, der andere strich sich die zwei Zipfel des lang herabhängenden, schwarzen Bartes glatt. An der Treppe trat den beiden jene ältliche Dame entgegen, die Eduard kannte. Dort an der Treppe gab es nun eine lebhafte Bewillkommnung, von der Eduard nur so viel verstand, daß der Baron Brunau es vorgezogen, in dem in der Nähe liegenden Landstädtchen statt im Schlosse zu übernachten. Also in dieser Gesellschaft sollst du mit ihr diniren, sagte sich Eduard, dieser Baron Brunau scheint ihr keine angenehme Gesellschaft zu sein, doch fühle ich mich nicht dazu aufgelegt, als Hofnarr bei Tafel zu funktionieren: was sie übrigens von der Jagd behauptete, gefiel mir.

 

Der Maler konnte sich nicht entschließen, den Griff des Eisenthores zu erfassen; das ganze Schloß, das ihm soeben noch einen imposanten Eindruck gemacht, sah ihn jetzt mit einer albernen Höflingsmiene an; je mehr er sich die Rolle vergegenwärtigte, die er bei Tisch vermutlich zu spielen hätte, in desto widerwärtigerem Lichte erschien ihm die Ehre, die Kauwerkzeuge innerhalb dieser Säle in Aktion zu setzen. Warum auch! Ich würde mich kläglich langweilen, womöglich von Herzen ärgern und schließlich noch irgend jemand beleidigen, denn stillschweigen könntʼ ich nicht auf die Dauer. Er wandte dem Thor den Rücken, mittelst eines Trotzgefühls die aufsteigende Stimme des Gewissens übertäubend, die ihm zuraunte, es sei doch unschicklich, ja ungezogen ohne abzusagen, einfach die Einladung zu ignoriren. Doch konnte er nicht anders, ein Ekel vor allem, was sich Mensch nannte, trieb ihn von dieser Eisenpforte hinweg, es überkam ihn wieder einmal jener bei seiner künstlerisch angelegten Natur so häufige, dumpfe Widerwillen gegen das Wirkliche, Reale, Menschliche. Er begann in seiner liebgewonnenen Phantasiewelt zu leben, schwärmte vor sich hin, ließ bekannte Melodieen in sich wieder ertönen, ja schuf sogar neue Melodieen aus den alten und rekonstruirte in sich den Eindruck des »König Lear«, der in München von Possart gespielt gewaltig auf ihn gewirkt hatte. So fühlte er sich allmählich wieder ganz zufrieden, besonders da es ihm gelang, in die Geheimnisse Shakespearischer Trauerspiele einzudringen und dadurch die Wirklichkeit nur noch wie durch eine leuchtende Wolke zu empfinden. »Wird jemals wieder ein Shakespeare entstehen,« sprach er mit sich selbst, so lange ganz in seine Gedanken versunken, bis eine Brombeerranke ihm die Wange streifte, als wollte sie ihn wieder an die Außenwelt gemahnen. »Jetzt sitzen sie bei Tische,« malte er sich aus, während er dem kleinen Landstädtchen Ibstein zuschritt, »wenn ich nur meinen Frack los wäre, ich weiß nicht, wie mir zumute ist – hätte ich vielleicht nicht so voreilig davonlaufen sollen? Soll ich wieder umkehren? Nein! dazu istʼs zu spät, ich werde mich heute noch bei der jungen Gräfin entschuldigen, ich glaube, sie wird mir nicht böse sein.« Als diese drei Worte über die Schwelle seines Denkens traten, tönten sie mit weichem Accent in seiner Seele wieder, er fühlte, daß ihm Isabella nicht böse sein konnte, trotz seiner bäurischen Ungezogenheit. So streifte er, jede Begegnung vermeidend, den ganzen Nachmittag im Walde umher in einer merkwürdig verbissenen Stimmung, so als müsse er sich durch dies ermüdende, tolle Umherschweifen dafür strafen, daß er sich heute so feig benommen. Ja, Feigheit war es schließlich, sagte er grimmig zu sich selbst, ganz alberne Feigheit.

Erst gegen 5 Uhr abends, da die Sonne schon dem Horizont näher stand, näherte er sich wieder dem Schloß mit dem festen Vorsatz sich bei der Gräfin zu entschuldigen, selbst wenn sie ihn unfreundlich empfinge, denn auch diese ihm schwerfallende Entschuldigung sollte ihm eine Strafe sein für sein feiges Benehmen. In der düstren Vorhalle des totenstillen Schlosses angekommen, sah er sich, ein wenig aus der Fassung gebracht, rings um und erklärte sich mit Härte, er werde hierbleiben, bis ein Diener erscheine, obgleich er den lebhaftesten Drang fühlte, wieder umzukehren. Aber gerade dieser Drang diente ihm als Sporn in der peinlichen Lage auszuharren. Endlich hörte er Schritte die öden, steinernen Korridore durchhallen, der alte gutmütig lächelnde Kastellan kam, vorsichtigschlürfend herbei und frug unterwürfig nach dem Begehren des Fremden. Nun brachte der Maler seine eigentliche Absicht doch nicht über die Lippen, mit unsicherer Stimme frug er, ob wohl das Gemälde in der Schloßkapelle zu sehen wäre, man habe ihm erlaubt, da er Maler sei, es beschauen zu dürfen. So gewinne ich Zeit, dachte er, mit mir zu rate zu gehen. Der Kastellan erkannte ihn, da er sich als Maler vorstellte, war sehr erfreut, den Sohn seines Freundes wiederzusehen und sehr stolz, daß ein wirklicher Maler die ihm anvertrauten Schätze des Schlosses besichtigen wollte. Eduard wollte ihm ein kleines Trinkgeld einhändigen, um ungestört ohne Begleitung in die Kapelle zu gelangen. Der Alte machte zwar eine ablehnende Bewegung, als ihm das Fünfzigpfennigstück entgegengehalten wurde, steckte es darauf jedoch ein und war es wohl zufrieden, daß er nicht als Wegweiser zu dienen brauchte. Eduard schritt, den Alten kurz grüßend, die angegebene Richtung entlang durch Korridore und Säle. So gelangte er in den Rittersaal, allwo ihm die Geharnischten im Dämmerschein des Herbstabends ihre Lanzen entgegenhielten, aus den finsteren Winkeln die leeren, oder mit schauerlichen Holzpuppen gefüllten Rüstungen entgegenblinkten. Dann betrat er das kleine Museum, das der Sammellust der verstorbenen Grafen von Ibstein sein Dasein verdankte. Hinter ihrem Glasschranke riß die beschädigte Mumie den schwarzen Mund auf, römische, in dieser Gegend gefundene Altertümer lagen zerstreut. Eduard hatte zuviel dergleichen Dinge gesehen, als daß sie ihm einen besonderen Eindruck gemacht, dennoch knüpfte sich ihm dieser oder jener Gedanke an diesen oder jenen Gegenstand. Einzelne bemalte Vasen aus der Renaissancezeit, einzelne Münzen interessirten ihn, so daß er den eigentlichen Beweggrund, der ihn in das Schloß geführt, ganz vergessend, sich einer halb traumhaften Betrachtung dieser stillen Räume hingab. Endlich stand er in der Kapelle, aber da draußen Wolken den Himmel verhüllten, glomm der Abend nur düster durch die bemalten Scheiben in den ohnehin düsteren Raum, so daß von dem Gemälde nicht viel zu sehen war. Durch die halb sichtbaren Farben wirklich neugierig gemacht, suchte der Künstler in der Westentasche nach einem Streichholz, fand, da er zuweilen eine Cigarette rauchte, ein solches, strich es immer noch halb träumend behutsam an dem Altare an und entzündete unbedenklich die beiden dicken Wachskerzen auf dem Altar. Das Bild war nicht schlecht: der alte Meister hatte dem Ausdruck des sterbenden Christus eine ergreifende, an das Naturalistische streifende Wahrheit verliehen; des Malers ermattete Phantasie belebte sich unter dem Einflusse der eigenthümlich zitternden Beleuchtung, die sich in der grauen Steinmasse der Capelle mit geheimnisvoll rotem Schimmer brach. Wie still es ringsum war: draußen rauschten die alten Eichen im Wind, die Kerzen knisterten zuweilen, vermochten aber kaum den Steinsarg der deutschen Kaiserin zu erhellen, der unheimlich, gleichsam wie ein reuiger Sünder in seinem Winkel stand. Eduard mußte, obgleich ihn die Kälte des Orts überschauerte, mehrmals gähnen. Das Wachs der Kerzen strömte, da es schmolz, einen betäubenden Dunst aus, allerlei geflügelte Tiere umschwirrten aufgescheucht die gelbroten Flammen, die einen fahlen, phantastischen Glanz über den Altar, die blinkenden Leuchter, den gemalten Leichnam des Bildes zogen, einen verschwimmenden, schleierartigen Glanz, sodaß es dem jungen Mann ganz märchenartig, mittelalterlich zu Mute ward, da er in die Flamme starrte. Er fühlte eine süße, träumerische Schlaftrunkenheit seinen Geist umwehen, da er das Gold der Leuchter erblinken sah, es war ihm, als würde die Flamme immer größer, als sähe er in ihrem blauen Mittelpunkt winzig kleine Kobolde mit Zipfelmützen Purzelbäume schlagen, als schwebten in den Rauchwolken, die die zitternden Spitzen der Flammen entsendeten, schöne Frauen, geharnischte Ritter zur Decke; immer glänzender dehnte sich der Glanz der Kerzen aus, seine Augen konnten diesen blendenden Schimmer, diese aufsteigende Sonne nicht mehr fassen; er schien sich in einem Meer von Licht zu baden. Da war es ihm, als vernehme er durch das Rauschen dieses Lichtmeeres hindurch ein Schlürfen, das Knirschen einer Thür. Er athmete auf, besann sich wo er war und sagte halblaut: ich glaube, ich schlafe ein – —

»Herr Enger,« schlug es nun vernehmlich an sein Ohr. »Sie? hier?«

Der Maler drehte sich um; Isabella stand in den träumerisch blauen Glanz der Kerzen getaucht, hinter ihm, an die schwere Thür gelehnt, ein wenig blaß, das allzuheftige Heben und Senken ihres Busens gewaltsam unterdrückend.

»Ich muß mich nur erst fassen,« sagte sie mühsam lachend – »ich wollte – meinen Lieblingsplatz aufsuchen – sah – Licht; aber wie gut sich diese Beleuchtung macht – es ist mir wie bei einer Weihnachtsbescherung – so feierlich, so glanzvollheilig – nicht wahr, ich rede thörichte Sachen —?« Dann lachte sie so laut auf, daß die Echos des Raums unheimlich gellend mitlachten, unterbrach dann dieses Lachen und blickte mit einer verstörten, fast wilden, aber dennoch eine gewisse Vornehmheit wahrenden Miene von dem Altarbild auf den Maler. Dieser hatte den letzten Rest von Schläfrigkeit abgeschüttelt, die Erregung des Mädchens nicht bemerkend, rieb er sich die Augen und sammelte sich zu einer Anrede, die vorzubringen ihm viel Anstrengung kostete, was man der geschraubten Ausdrucksweise ein wenig anmerkte.

»Wie freut es mich, daß ich Ihnen, gnädiges Fräulein, nicht droben in ihren Gemächern begegne, hier in diesem Gotteshause wird es mir in der That viel leichter, um Vergebung meiner Sünden zu bitten.«

Sie sah ihn nach dieser in möglichst heiterem Tone ausgesprochenen Beichte einen Augenblick hindurch mit dem lächelnden Blick zärtlichen Vorwurfs an, bewegte, als bedrängten tiefe, unaussprechliche Worte ihre Zunge, die Lippen kaum bemerkbar und sah dann mit sehr ernstem, fast strengem Ausdruck zur Seite.

»Gräfin,« frug er, »wie denken Sie über mich? Was halten Sie von meiner Feigheit?«

»Feigheit?« sagte sie leise, indem sie zu lächeln versuchte, »Sie haben sich sehr seltsam benommen, Herr Enger, sehr seltsam.«

»Ich weiß,« erwiderte er reumütig, aber dennoch, wie sie lächelnd; sah zu Boden, warf dann einen um Verzeihung bittenden Blick auf Isabella und wandte sich von ihr ab, den Kerzen zu, da ihn aus ihren zusammengepreßten Wimpern ein heißer Strahl getroffen, der begleitet von dem vorwurfsvollen Lächeln ihrer Lippen zu mannigfachen Schlüssen hätte führen können. Unwillkürlich mußte er, da ihn dieser Blick getroffen, an die Worte Ludwigʼs denken: sie dauert mich so, wenn sie lacht! Doch gestand er sich, daß sie ihn eigentlich nicht dauerte.

»Ich weiß,« entgegnete er nochmals leiser.

»Sie wissen das?« sagte sie, die Worte kurz hervorstoßend, »o Sie Rätsel! Doch wissen Sie – ich glaube, Sie wissen das – wissen Sie, daß Sie sich durch solchʼ extravagantes Benehmen interessant machen, sehr interessant —? Man hat Sie beobachtet, mein Herr, als Sie dem Schloß heute den Rücken kehrten – ich glaube – Sie wollten den Interessanten spielen? Wie?«

Eduard stieg das Blut in die Stirne, als er sie diese Worte so vornehm hervorstoßen hörte.

»Ich will ja gar nichts spielen,« entgegnete er, zuweilen in eine der Kerzen blasend, daß sie dem Erlöschen nahe kam, »ich bin die Rohheit in Person. Wenn ich Ihnen vielleicht interessant bin, kann ich nichts dazu, weiß der Himmel, ich bin mir selbst nicht sonderlich interessant – gar nicht —«

»Leugnen Sie nicht, daß Sie als Künstler das weibliche Gemüt studiert haben,« sagte sie. »Sie wissen, daß wir das Extravagante lieben, das Wunderliche zieht uns an —« sie unterbrach sich schnell und wollte auf ein anderes Thema übergehen, brachte jedoch nur halbzerstückelte Sätze zu Tage. Eduard ahnte, daß die Gräfin sich in einer wunderlichen, ihm jedoch unverständlichen Gemütsstimmung befand, ihre nervöse Beklommenheit, die sonderbare, sozusagen vornehme Demut ihrer Sprechweise setzte auch ihn in Beklommenheit, er lächelte, ohne zu wissen warum und spielte mit krampfhafter Ungeduld an der Kerze. So entstand eine ziemliche Pause, die Eduard damit ausfüllte, daß er ohne zu wollen eine der Kerzen ausblies. Er erschrack selbst über das Abnehmen der Helle, sah verwirrt nach dem Gesichte Isabellas und bemerkte, wie sie im Augenblick, als die Kerze erlosch, ein Zucken unterdrückte, welches Unterdrücken ihren Zügen eine übertriebene Starrheit, ja Kälte verlieh.

»Es wird nötig sein, auch diese Kerze auszulöschen, wenn wir gehen,« sagte er, peinlich berührt von dem, was er eben in den Zügen des Mädchens gelesen. Sie nickte bejahend. Dann spitzte er den Mund, sollte er blasen? Sie waren alsdann im Dunkel allein. Endlich entschloß er sich und blies. Als nun die Dunkelheit so plötzlich von allen Seiten hereinfiel, hoffte er, das Mädchen würde sich dort von der Thüre, an der sie lehnte. zurückziehen, als jedoch die weiße Gestalt regungslos stehen blieb, eilte er rasch auf sie zu.

 

»Es wird spät,« murmelte er im Vorbeigehen. Sie folgte ihm durch die Säle langsam, wie schlafbefangen. Als beide aus der Vorhalle in den Park gelangten, wehte ihnen der herbstlich kühle Abendwind rauschende Blätter entgegen, der Himmel hatte sich mit schweren Wolkenballen belastet, das letzte Glühen des Abendrots verschwamm erlöschend hinter den dunklen Zweigen über dem See. Eduards Beobachtungsgabe ließ ihn auffallenderweise oft im realen Leben im Stich, während er sie in seiner Kunst sehr wohl anzuwenden wußte; vielleicht war es die jeder echten Künstlernatur angeborene Gemütsnaivität, die sich selbst betrügende Phantasie, die ihn Naheliegendes gern übersehen ließ, ihn über die Zustände anderer, wenn er sie auch dunkel nachempfand, lange im Unklaren ließ. So fühlte er in diesem Falle Isabellas Benehmen, als ein ihm fremdes, unverständliches auf sich überströmen, ohne sich bewußt zu werden, was in dem Busen des Mädchens vorging es ergriff ihn, wenn er ihre Bewegungen, das Rauschen ihres Kleides neben sich wahrnahm, ein unbehagliches, geradezu körperliches Bangen, ein Bangen, wie es ihn einmal befallen, ehe ihn in München ein Fieber beschlichen.

Beide wandelten schweigend nebeneinander her in den Park hinaus, er – sich fragend, was aus diesem Spaziergang werden solle, sie – zögernd, als fühle sie, daß es schicklicher für sie sei, sie kehre um. So standen sie beide am Ufer des Ibsteiner Sees, dessen Fläche der Abendwind kräuselte, als wolle er ihm eine lebendige Seele einhauchen, indeß ihn das fahle Abendrot mit einem bleifarbenen, weithin zitternden Glanze überzog. Beim Anblick dieser fröstelnden Wasserfläche, von der ein erfrischender Hauch auszuströmen schien, die Seele mit schauerndem Behagen füllend, erwachte in Isabella die alte Abenteuersucht, die tolle, phantastische Laune. Diese Laune mischte sich diesmal mit einer dem Mädchen selbst unverständlichen Erregung, mit einer gewissermaßen wohllüstigen Beklommenheit. Sie wollte sprechen, fühlte jedoch mit Staunen, ja mit Ärger, daß die Worte ihr in den zitternden Lippen stockten. Dabei fühlte sie die Kühle des Windes heute mehr als je die Kleider durchdringen. Endlich rief sie:

»Wie wäre es, wir führen ein Stück in den See hinaus; sehen Sie, dort ist mein Lieblingsplatz, dort das Jägerhäuschen am Ufer; kommen Sie rasch, wir stoßen vom Ufer ab. Welch prächtiger, stürmischer, grauer Herbstabend, so recht dazu gemacht, die Phantasie zu entfesseln.«

Und ohne Eduards Antwort abzuwarten, sprang sie in den schwankenden Kahn, einen Blick voll wilder, toller Unternehmungslust nach dem Zögernden zurückwerfend. Dem Maler konnte, trotzdem er einen starken, selbstbewußten Charakter besaß, Energie, Leidenschaft leicht imponieren, er fühlte sich unter dem Einfluß einer heftigen Natur, ähnlich wie großen Wirkungen der Kunst gegenüber herabgedrückt, war alsdann lenksam, bestimmbar. Die wilde Laune des Mädchens, der man anmerkte, daß sie die Folge einer nicht gerade schlechten, aber doch oberflächlichen Erziehung eines heftigen, ungezügelten Temperaments war, übte einen bestrickenden Reiz auf ihn aus. Er folgte ihr trotz innerem Widerstreben in den Kahn, wollte etwas entgegnen, schwieg jedoch und beobachtete, wie sie die Ruder mit einer trotzigweiblichen Anmut handhabte. Er wunderte sich über sich selbst, über die junge Gräfin, über diese Kahnfahrt und doch fühlte er jenen Zauber auf sich wirken, der Künstlergemüter so wonnig anweht, wenn ihnen vergönnt ist, zu beobachten, wie sich das Geheimste eines Menschengemüts offenbart, wie alles Menschliche, Conventionelle dem Andringen der Natur weichen muß.

»Hinaus in die Wogen,« rief die Gräfin, »oh, ich möchte zur Dichterin werden, oder möchte auf wildbewegtem Meere zur Rettung eines Schiffes daherfliegen. Wie herrlich der Kahn schwankt, wie düster es wird – nicht wahr? Sehen Sie, wie die Wolken den See verhüllen, das Gebirg ist nicht mehr sichtbar – ist das nicht schön, o, dies schwarze, kalte Wasser! wie unheimlich es mich anfröstelt.« Die Begeisterung, die sich des heftig atmenden Mädchens bemächtigt, nahm Eduards ganze Aufmerksamkeit in Anspruch, ohne daß sich in ihm irgend ein Begehren, oder nur der leiseste Wunsch geregt hätte. Als sie dann ermattet die Ruder von sich legte, der Kahn in das dichte, hohe Uferschilf glitt und ihr Blick eigentümlich schmachtend, als berge er eine geheime Aufforderung, auf ihm ruhte, stieg allerdings ein seltsamer Verdacht in ihm auf. Es war immer dunkler geworden, die bläulichen Rohrfahnen säuselten, zuweilen rauschten sie mächtig auf, dann erstarb ihr Geflüster wie in weiter Ferne, wie von einer traurigen Kunde beunruhigt. Zuweilen schwirrte das Geflügel aus dem grünen Gegitter, jetzt sprühten feine Regentropfen aus den Wolken herab.

»Können Sie sich vorstellen, wie es einem zu Mute ist,« sagte Isabella, eine der hohen Binsen umknickend, »wenn man als Gräfin geboren ist und am liebsten – nun! etwa als Fischermädchen auf die Welt gekommen wäre? – Sie schütteln den Kopf und sehen mich befremdet an? Warum denn?«

Dies »Warum denn« hatte einen so zutraulichen Ton, daß Eduard lächeln mußte und ihn, als er sich rings von hohem Schilf, wie einer grünen Wand umragt sah, unwillkürlich das Bewußtsein seiner männlichen Überlegenheit überdrang. Ein heißes Schauern, das er sich selbst sehr übelnahm, unterdrückend, sagte er schwer aufatmend:

»Nun! Gräfin zu sein, ist nicht das Schlimmste; der Sohn eines Försters und dabei Maler zu sein, ist bereits unangenehmer. Aber warum werden Sie nicht Fischermädchen? Wollen Sie nur! Das können Sie jederzeit werden!«

»Sie spotten meiner sentimentalen Laune,« entgegnete sie, »ist es nicht so?« »Gewiß, ein wenig,« lachte er, mit dem Ruder ins Wasser schlagend, »gestehen Sie nur, Sie, als Gräfin, wären die letzte, die sich als Fischermaid glücklich fühlen würde; übrigens, versuchen Sie es einmal damit, oder, was Sie eben gesagt, war Ziererei, Unwahrheit!«

»Sie verstehen mich nicht,« erwiderte sie.

»Mag sein, jedenfalls ziehe ich die Wahrheit allem übrigen vor.«

»In meinen Worten lag mehr Wahrheit, als Sie vielleicht ahnen,« sagte sie mit Thränen in den Augen, »das ist grausam von Ihnen.«

»Grausam?« versetzte er lachend, »nun gut! und wenn ich grausam sein wollte? Wir armen Schlucker müssen unsrem Neid zuweilen Luft machen, wenn wir die Reichen im Glanze ihres Daseins aus der Ferne bewundern.«

Ihr Gesicht nahm einen bestürzten Ausdruck an.

»O! geht es Ihnen denn schlecht – entbehren Sie?« frug sie mit hastigem Mitleid.

Eduard, der sich über die Kahnbrüstung beugend, gerade das Ruder von einem Schlinggewächs befreite, antwortete nicht sogleich auf diese Frage.

»O, das ist mir leid, das wußte ich nicht, verzeihen Sie,« fuhr sie leiser fort, den Kopf auf den Arm stützend und einen besorgten, tiefbeschämten Blick zu Eduard hinübersendend, »das thut mir leid.«

»Was frugen Sie, gnädiges Fräulein?« gab Eduard zurück, immer noch angelegentlich mit dem Ruder beschäftigt.

»Ich verspreche Ihnen, das soll geändert werden,« fügte sie hinzu, »ich weiß nicht, was Armut ist, ich weiß nicht, wie es dem Bedürftigen zu Mute ist. O Gott, nein! Jedenfalls sind solche sehr zu bedauern und Sie dürfen mich nicht etwa für herzlos halten. Nein! Das bin ich nicht – ich glaube nicht, daß ich dies bin: thun Sie das nicht – wollen Sie?«