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Seelenrätsel

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»Ich werde nicht gehen,« dachte der Künstler, »warum auch!« Hiermit setzte er sich vor seine Staffelei, um sich einzureden, die Gräfin interessiere ihn nicht, übrigens sei sie auch schwerlich seinetwegen in dem Forsthause erschienen.

Gleich darauf eilte Frau Enger aufgeregt in das Gemach zurück.

»Sie ist da, die Gräfin, Eduard, so komm doch,« sagte sie, »sprich mit ihr, oder soll ich den Vater wecken?«

»Nein,« sagte Eduard, »er ist den ganzen Tag verdrießlich, wenn man ihm den Mittagsschlaf raubt, laß ihn schlafen. Was will sie denn?«

»Die Gräfin? ich weiß nicht! Vielleicht eine Laune, vielleicht hat sie Aufträge für den Vater. Aber es muß doch jemand mit ihr reden, sieh nur, wie erstaunt sie sich in dem leeren Hof umblickt. Geh doch, geh doch!«

Eduard wollte hinausgehen.

»So wie Du da bist, willst Du mit der Gräfin reden,« frug die Mutter, »in Hemdsärmeln? Das geht nicht an. Ich will Dir Deinen Rock holen —«

Eduard ließ sich nicht irre machen, er schritt langsam auf Isabella zu, deren sehr erhitztes Gesicht erkennen ließ, wie sie heftiges Herzklopfen unterdrückte. Sie hatte einstweilen vom Pferde herab freundlich lächelnd ein Gespräch mit Ludwig angeknüpft. Wie sich die Familie befinde, wie er sich selbst befinde, ob Frau Enger zu sprechen sei, ob Herr Enger zu Hause sei; alle diese Fragen richtete sie an den blöde Dʼreinschauenden, der sie mit einem verlegʼnen; »Ich weiß nicht!« abfertigte.

»Nicht wahr, die Pferdchen gefallen Dir,« frug sie dann, welche Frage der Junge mit einem Kopfnicken bejahte.

»Möchtest Du eines davon besitzen?« frug sie weiter.

»Ja,« erwiderte der Kleine gedehnt.

»Möchtest Du ein wenig reiten?«

»Ja.«

»Nicht wahr, das gefiele Dir – nun, wir wollen es einmal versuchen, wie?«

Des Knaben Augen begannen zu leuchten, er zitterte vor Erwartung. Der Diener mußte auf den Befehl des Fräuleins absteigen und den Knaben auf den Sattel heben, was sich dieser mit glückseligem Lächeln gefallen ließ.

»Sieh,« rief der kleine Reiter, als er Eduardʼs ansichtig ward, »sieh doch, – wie schön —«

»Du wirst gleich herunterfallen,« rief Eduard, um nur irgend etwas zu sagen, worauf Ludwig aus Leibeskräften zurückschrie: »nein! nicht wahr – Du hast es mir erlaubt, Fräulein Gräfin, nicht wahr?«

Isabella lachte, um sich ihre Fassung zu erringen, länger als nötig schien, brach dann aber dies Gelächter mit nervöser Herbheit ab.

»Konrad,« redete sie den Diener an, »halte den Knaben fest.« Hierauf preßte sie die ein wenig zitternden Lippen aufeinander, indeß Eduard näher tretend den Jungen mit einem Ernst, über den er sich zu anderer Zeit lustig gemacht haben würde, frug, ob er wüßte, wie man ein gnädiges Fräulein anrede. Das: »ein gnädiges Fräulein!« klang auffallend ehrerbietig.

»Ich freue mich, daß er es nicht weiß,« entgegnete sie, ein wenig geschmeichelt. Als hierauf ein beklemmendes Stillschweigen von beiden Seiten einzutreten drohte, erinnerte sie sich daran, daß sie als Dame von Welt diesem armen Maler imponiren müsse. Sie möchte ihn gar zu gern einmal in Verlegenheit sehen, wie er sich nur dabei ausnehmen würde. Bis jetzt hatte sie immer die Verlegene spielen müssen.

»Ich wollte,« sagte sie tief Atem holend, »auf meinem Spazierritt nicht versäumen, unser altes, gutes Forsthaus zu besuchen. Ich hoffe, Ihre Eltern befinden sich wohl?«

»Gewiß, gnädiges Fräulein.« Eduard blickte von der Sonne geblendet zu ihrem von einem breiten Hutrande beschatteten Gesicht empor. Dies Gesicht war von feinen, goldgelben Sommersprossen überdeckt, die indeß, weit entfernt es häßlich zu machen, ihm einen eigentümlich kühlen, kränkelnden Reiz verliehen. Da dem Maler die Augen in dem scharfen Licht zu thränen begannen, legte er die Hand über die Stirne ob dieses Thränens, das doch mit seiner inneren, gänzlich gleichmütigen Seelenstimmung in gar keinem Zusammenhang stand, tief errötend. »Wie einfältig,« dachte er, »muß mir auch das noch passiren.« Er drückte mit den Fingern verstohlen die Thränen aus den Wimpern und versuchte zu lächeln, damit die Gräfin nicht etwa auf den absurden Gedanken verfallen möge, er weine.

Die Gräfin hatte mit ihrem unruhig gewordenen Pferde zu thun, bemerkte aber dennoch die Feuchtigkeit in des Künstlers Augen. »Endlich habe ich meinen Zweck erreicht. So also sieht er aus, wenn er verlegen ist,« dachte sie, »sie steht ihm ganz gut, diese Röte auf den blassen Wangen, auch der kindlich verwirrte Ausdruck seiner Augen ist reizend.« Sie wußte nun recht gut, daß diese Thränen lediglich der grellen Sonne ihr Dasein verdankten. Dennoch wirkte der Kampf, den der Jüngling mit seiner Schwäche kämpfte, seltsam beunruhigend auf ihr Herz. Sie wünschte ihn dieser Beklemmung überhoben zu sehen. Sie kam in eine ähnliche Verwirrung wie Eduard, der sich um alles in der Welt nicht abwandte, sondern, wie um die Festigkeit seiner Sehnerven zu prüfen, zu dem schmalen Gesichte der Reiterin emporstarrte, dem schmalen, reizend-vornehmen Gesichte. Schließlich überkam sie geradezu ein bereuendes Mitleid.

»Herr Enger,« sagte sie möglichst gleichgültig, mit der Reitgerte ihres Rosses Mähne streichelnd.

»Gnädiges Fräulein —«

»Ich habe mich müde geritten —«

»Oh, ich vergaß,« unterbrach sie der Maler, »bitte, wollen Sie nicht absteigen – warum steigen Sie nicht ab – ?«

»Nein, nein!« rief sie, »ich will mich nicht lange aufhalten, da man auf mich im Schlosse wartet. Wie viel Uhr mag es wohl sein – o, bitte, bleiben Sie nur, ich möchte Sie nur um ein Glas Milch ersuchen – Sie haben gewiß gute Milch hier – ich bin so durstig —.«

Kaum hatte die am Fenster lauschende Frau Enger dies Wort vernommen, als sie sogleich die Magd nach der gewünschten Milch in den Keller schickte

»Einen Teller, um das Glas darauf zu stellen,« befahl sie, indeß Eduard bereits in das Haus geeilt war, das Verlangte zu holen. Ludwig wurde nun wieder vom Pferde herunter gehoben, was ihn sicherlich zum Weinen gebracht haben würde, hätte nicht ein für ihn sehr interessanter Gegenstand seine Aufmerksamkeit gefesselt. Ihm fiel auf, daß der Diener einen kleinen Vogelkäfig mit zwei lebendigen Insassen in der Hand trug, und gerade als Frau Enger nebst der Magd, welche die Milch auf einem Teller trug, aus der Hausthüre traten, frug er, was das für Vögel seien.

»Ach ja, die Vögel,« rief Isabella heiter, »die vergaß ich ganz. Sehen Sie, Herr Enger,« rief sie dem jetzt wiederkehrenden Maler entgegen, »diese Vögel habe ich einem Bauernjungen abgekauft. Welchʼ dürftiger Käfig – nicht wahr? – komm, gieb ihn her, Konrad. – Aber vorsichtig, Du wirfst ja die armen Tiere an das Gitter.« Der Diener reichte ihr den rohen Holzkäfig und sie öffnete mit neugierigem Behagen die Thüre desselben.

»Sollen sie wegfliegen?« frug Ludwig.

»Gewiß, das sollen sie,« rief sie kindlich hellauflachend, »dazu habe ich sie ja gekauft. Die armen Tiere – oh! die armen Tiere. Nun will keines zuerst hinaus!«

Die beiden Amseln fürchteten sich und flogen scheu hinter dem Gitter umher. Der Diener wollte seiner Herrin den Käfig wieder abnehmen, da die Tiere in ihrer flatternden Angst den schmutzigen Inhalt ihrer Wohnung auf Isabellaʼs Kleidung schleuderten.

»O nein,« rief sie, »es bereitet mir solche Freude, sie frei zu lassen. Gieb Acht, so wird es gehen, so beruhigen sie sich.«

Hierauf hielt sie den Käfig mit einer graziösen Armbewegung weit von sich weg. Alle schwiegen erwartungsvoll, bis nach einigem Zögern mit schnurrendem Flügelschlag erst der eine, dann der andere Vogel aus dem Behälter schwirrte. Ludwig klatschte, ein freudiges Geheul anstimmend, in die Hände, Isabella sah nach den beiden Flüchtlingen. Sie saß ganz still, fast mit einem Ausdruck von Schwermut hing ihr weit offenes, weltverlorenes Auge an den beiden immer kleiner werdenden Punkten, bis sie im Blau des Himmels verschwanden. Dann atmete sie tief auf, sah sich erstaunt um, und wie aus einem Traum erwachend, errötete sie ein wenig, als sie des Malers aufmerksames Auge ernst auf sich gerichtet sah. Dieser stand neben ihrem Pferd und hielt das Glas Milch, das er der Magd abgenommen, während des ganzen Vorgangs hoch zu ihr empor. Ihr Anblick war ein künstlerischer Genuß für sein Auge gewesen. Besonders hatte sich ihm jene weichlich anmutige Armbewegung in die Seele geprägt, mit welcher das Mädchen den Käfig von sich gehalten; auch der traumverlorene Blick, den sie den Entfliehenden nachsandte, weckte seine Beobachtungsgabe und Forscherlust. An was mochte sie wohl gedacht haben? Nun kam er wieder zu sich und fühlte neben dem rein ästhetischen Genuß, den ihm diese Scene gewährt, eine Art Beschämung, als jetzt Isabella ihre kleine Hand nach dem Glase ausstreckte.

»An was, gnädiges Fräulein,« frug er lächelnd, »haben Sie wohl gedacht, als Sie den beiden Tieren nachsahen?«

»Ich – nachsah —? Davon weiß ich gar nichts —« gab sie zurück, das Glas ergreifend.

»Ja – ich habe Sie beobachtet —«

»Ich weiß wahrlich nicht, an was ich dachte,« sagte sie leise. Dann that sie einen Schluck aus dem Glase, blickte ein wenig starr über dessen Rand hinweg und sagte: »Ja, erraten Sie, an was ich dachte —«

»Wer kann die hohen Gedanken eines hochgeborenen Fräuleins erraten, wenn es hoch zu Roß sitzt?« entgegnete Eduard achselzuckend, wieder in seine sarkastische Laune verfallend. Sie jedoch überhörte diese Bemerkung.

»Ich besitze sie nicht,« sagte sie ernst, einen bedeutungsvollen Blick auf Eduard werfend, der, von diesen für ihn inhaltslosen Worten seltsam berührt, dastand, nicht wissend, was er von diesem Blick halten sollte. Was besitzt sie nicht? tönte es in ihm wieder. Er senkte den Kopf. Während er nachgrübelte, scharrte der Pferdehuf vor seinen Augen. »Was das Pferd schön gebaut ist,« fuhr es ihm durch den Sinn, dabei wehte das Rauschen von Isabellaʼs Reitkleid leise an sein Ohr und es entstand eine augenblickliche Gedankenleere in seinem Kopf. Sie trank hastig ihr Glas zur Hälfte leer, sogleich ein gezwungen heiteres Wesen annehmend, da Eduard nicht auf ihre Stimmung einging. Mit einem Ernst, der sich vergeblich bemühte als Heiterkeit zu gelten, richtete sie mehrere gleichgültige Fragen an die sich verbeugende Frau Enger, deren Antwort gar nicht abwartend, oder vielmehr dieselbe mit ihren Fragen beständig durchschneidend, was, da Frau Enger sehr redselig wurde, dem Gespräch der Beiden einen gar eigenen Charakter gab.

 

»So, so,« plauderte sie in die lebhaften Ausrufe der Frau hinein, »also Ihr Mann – brummig? – zuweilen – wie? – so meinen Sie? – ja – gewiß – schöner Wald – ganz wohl, gute Milch – köstlich – danke – danke – mein Durst ist gestillt – grüßen Sie mir den Förster – nein! bitte, bitte, lassen Sie ihn schlafen – um Gotteswillen den Schlaf des alten Mannes nicht stören – werde nächstens wiederkommen – gewiß – der Herr Förster soll mir einen hübschen Hund ziehen – sagen Sie ihm dies —«

»Gewiß, gewiß, gnädige Gräfin,« rief Frau Enger mit devoter Miene, »das werde ich ihm ausrichten – bleibe vom Pferd, Ludwig, Ungezogener – Du siehst, es spitzt die Ohren – es wird unruhig —«

Eduard stand noch immer sinnend, bis die Gräfin ihrem Pferde ein: »Vorwärts, Hector!« zurief, was die Mutter veranlaßte, den kleinen Ludwig am Kragen festzuhalten, bis das Thier sich in Bewegung gesetzt. Eduard ging, ohne zu wissen, was er thun solle, der Reiterin nach. Als diese an dem Hofthore angekommen war, ließ sie den Diener Konrad vorreiten. Plötzlich wandte sie dem Maler ihr Gesicht zu, das einen gleichgültigen, nichtssagenden Ausdruck angenommen.

»Sehen Sie noch einen der Vögel, Herr Enger?« frug sie nachlässig, ohne Betonung.

»Jetzt noch? Nein!« entgegnete Eduard erstaunt.

»Ich auch nicht,« sagte sie ruhig, »sie besitzen die Freiheit.« Damit sprengte sie von dannen. Eduard schlenderte nach dem Hause zurück. Er mußte über die Koketterie oder vielmehr über die kokette Natürlichkeit des Mädchens lächeln, doch schien ihm dies ihr Gebahren eigentlich zu ernst, um darüber zu lächeln. Dadurch kam er in eine Stimmung, in der er selbst nicht wußte, was er wollte, eine Stimmung, die ihn weich und zugleich verdrießlich machte.

»Merkwürdiges Frauenzimmer,« sagte er leichtfertig vor sich hin, ging pfeifend, die Hände in den Taschen auf sein Zimmerchen, das im oberen Stock des Hauses lag und lehnte sich gelangweilt in die Fensterbrüstung, die Landschaft betrachtend, über die sich allmählig Wolken zogen. Fühlte er sich wirklich gelangweilt, oder redete er sich nur ein, sich gelangweilt zu fühlen? Vielleicht hielt er die Spannung seines Geistes, die jede Erfassung eines bestimmten Gedankens unmöglich machte, für Langeweile. Als er sich so laut pfeifen hörte, schämte er sich über sich selbst, hielt inne, konnte aber dem Drang nicht widerstehen, von neuem die Lippen zum Pfeifen zu spitzen. Was ist das nur! Habe ich nichts Gescheidteres zu thun, als zum Fenster hinauszublicken, dachte er. Als er nun das Fenster schloß, bemerkte er Ludwig im Zimmer, der ihm gefolgt war.

»Nun, mein Kind, gefällt es Dir hier?« frug er so heiter als möglich.

»Sehr, sehr,« entgegnete der Knabe, »es ist hier viel schöner als in München.«

»Wir müssen aber dennoch wieder nach München zurück —«

»Wann denn?«

»Sehr bald, sehr bald, mein Kind,« sagte er, setzte sich auf sein Bett und schloß bald darauf die Augen.

»Pfui, Du willst schlafen; nein, es ist zu dumm von Dir, ich willʼs nicht,« rief Ludwig, eilte zu dem Maler heran und drückte ihm mit den kleinen Fingern die geschlossenen Augenlider auseinander.

»Du sollst nicht schlafen,« lachte er, indeß Eduard, vor sich hinbrummend, die Augenlider immer wieder zupreßte, sobald sie ihm der Knabe gewaltsam geöffnet. Nachdem dies Spiel einige Zeit gedauert, raffte sich Eduard empor.

»Laß uns in den Wald gehen, mein Lieber,« sagte er. Ludwig war gern bereit hierzu, besonders da ihm sein Freund die Aussicht eröffnete, sie würden draußen Rehe sehen. Vater Enger hatte ausgeschlafen und war schon vor einer Viertelstunde an die Arbeit gegangen. Eduard hing ein Gewehr, das er aus seines Vaters Schrank genommen, über die Schulter, nahm den Kleinen bei der Hand und eilte raschen Schrittes dem Waldeingang entgegen, dessen geheimnisvolles Dunkel er aufatmenden Herzens begrüßte.

»Willst Du ein Reh schießen?« frug Ludwig. Doch der Künstler, schweigend weiterwandelnd, überhörte, in allerlei Reflexionen vertieft, gänzlich diese Frage. Zuerst fesselte ihn wie immer, wenn er im Wald wandelte, das gedämpfte Licht, das in der Ferne durch die stolz aufragenden Stämme grünlich spielte und das ihn an das zauberhafte Wirken eines märchenhaften Smaragds erinnerte, von dem er als Kind einmal gelesen. Ja, wie märchenhaft muteten diese blauduftigen Durchblicke auf Wiesen und Bäche an, wie riefen sie längst verklungene Kindheitserinnerungen wach. Dann mußte er mit einer gewissen Wehmuth des Vaters gedenken, in dessen Heiligtum er wandelte. War diese Liebe des Vaters zum Wald nicht eine Art tierischen Instinkts? War der Vater doch im Walde geboren, die kurze Zeit, die er als Offiziersbursche beim Grafen Ibstein zugebracht, abgerechnet, hatte er immer nur im Walde gelebt. Des alten Mannes Körper war gleichsam ein Waldgewächs, das ohne die belaubten Stämme verdorren mußte. Ja, aus einer gewissen Entfernung betrachtet, nahm sich der Vater sehr gemütvoll aus, konnte man ihn schon lieben, in der Nähe änderte sich Manches. Ist er nicht seltsam so ein Lebenslauf? Wer sind die geheimen Mächte, die ihn leiten? Umgeben sie mich jetzt in der offenen Natur? Kann ich sie hier belauschen? Ich sitze als elfjähriger Junge in meines Vaters Zimmer und zeichne einen schlechten Kupferstich ab. Der Bediente des Grafen, der meinem Vater einen Befehl zu überbringen hat, sieht mich zeichnen. Er sagt dem Grafen davon, dieser verlangt meine Zeichnung zu sehen und erwirkt mir, als ich den Schulbesuch beendet, ein Stipendium. War es auch von Vorteil für ihn, daß jener Lakai den Elfjährigen zeichnen sah? Merkwürdig, daß mein Schicksal von einem alten Lakaien abhing.

Bald darauf kamen die Beiden an eine Lichtung, von der herüber Stimmen erschallten, Äxte erklangen. Näher kommend, gewahrte Eduard seinen Vater, wie er im Schweiße seines Angesichtes den Arbeitern beim Baumfällen half, sie zurecht wies oder lobte. Hier war der Vater mehr am Platze als zu Hause im Zimmer, hier hatte die Art, wie er mit seinen Leuten sprach, etwas Patriarchalisches, Ehrwürdiges, ließ ihn als einen thatkräftigen, gefürchteten Feldherrn erscheinen.

»So, Ihr Männer,« rief er voll Feuer, »er muß fallen, sägt zu und Ihr dort haltet die Stricke fest – noch nicht ziehen – Geduld —«

Der eifrige Mann war, von der Wichtigkeit des Werkes durchdrungen, überall zugleich, stets seinen kräftigen Lieblingsausdruck: »Ihr Männer!« im Munde. Die gewaltige Tanne ächzte bei jedem Zug der Säge, ins innere Mark getroffen, wie ein lebendes Wesen, und dieser trotzig klagende Ton schien den Förster in eine Art Kampfeslust zu versetzen, Obgleich er seinen Sohn in der Nähe wußte, nahm er absichtlich nicht die mindeste Notiz von dessen Gegenwart, und erst als unter vielen Schwierigkeiten, die die ganze Aufmerksamkeit des Alten in Anspruch genommen, die Tanne zu Boden schmetterte, ohne einen Unfall herbeigeführt zu haben, erst dann schritt er auf den Sohn zu.

»Ein schöner Baum, nicht wahr?« sagte er, seine Schnupftabaksdose ziehend, »gutes Holz, würde einen trefflichen Mastbaum abgeben.«

Eduard bemühte sich ein vergnügtes Gesicht zur Schau zu tragen und pries im Stillen den Vater glücklich, der so ganz in der Freude dieser körperlichen Arbeit aufging, so völlig mit sich zufrieden war.

»Darf ich Dir ein wenig helfen, Vater?« frug er dann.

Der Alte lachte in seiner gewohnten, näselnden Weise, eine Prise nehmend.

»Machʼ, daß Du fort kommst,« entgegnete er, sich den Schnurrbart von dem Schnupftabak reinigend, »helfen, solche Leute wie Du bist können wir bei der Arbeit nicht brauchen. Sieh doch nur Deinen Rock oder Deine Finger an. Du willst uns helfen; ha, ha! geh! doch! gehʼ doch!«

Dabei klopfte er ihm gutmütig auf die Schulter und sagte leise begütigend:

»Nun, nun, will Dich nicht beleidigen, kräftig genug wärst Du ja wohl, wärst auch sonst nicht mein Sohn, aber – weißt Du – hem! solche Arbeit schickt sich nicht mehr für Dich, Du bist ein feiner Herr, die mußt Du schon dem ungebildeten, alten Waldkerl überlassen.«

»Aber, lieber Vater —«

»Nur still,« fiel er ihm behaglich in die Rede, »machʼ, daß Du fortkommst, ich weiß, was Du denkst. Du weißt ja dabei doch, daß der alte Arbeiter Dein Vater war und es noch ist. Dürfte mich auch keiner ungebildet nennen, weißt Du, außer wenn ich es selbst thue. Schau meine Hände – geltʼ die sind rauh, ungehobelt? Und doch haben sie Dich so weit gebracht, als Du jetzt bist, und Du wirst noch manchmal an die Hände denken.«

Er ging ohne Gruß zur Arbeit zurück, während in Eduardʼs Erinnerung, als er dem Vater nachblickte, eine alte Kunde auftauchte. Sollte es dennoch möglich sein, was ihm die Mutter einst erzählt? Der Vater konnte so gutmütig sein, daß man ihm eine solche Handlungsweise nicht zutraute. Und dennoch neben dieser Gutmütigkeit, diese Härte. Der Vater habe von seiner ersten Frau eine Tochter gehabt, die er durch sein rauhes Benehmen so weit gebracht, daß sie Haus und Hof verlassen und dem Manne ihrer Wahl, der nicht ihres Vaters Wahl gewesen, in die Fremde gefolgt sei. Unglückliches Mädchen! Du bist begraben, Dein Name darf nie erwähnt werden.

Eduard schritt, ein dumpfes Unbehagen in der Brust, weiter, schlug sich jedoch mit aller ihm zu Gebote stehenden Kraft den Gedanken an jene Stiefschwester aus dem Sinn, auf einmal, da er sich umblickte, mit einer gewissen Befriedigung wahrnehmend, daß sich Ludwig heimlicher Weise von ihm weggeschlichen. Das laute in den Wald Hineinrufen gab seinem Grübeln eine willkommene Ablenkung. Der Aerger über das Davonlaufen des Jungen machte ihm sozusagen Spaß, er ärgerte sich mit Behagen und nährte diesen Aerger mit allem, was ihn umgab. Es ist wirklich an der Zeit, daß ich dem Jungen eine Ohrfeige versetze, er verliert allen Respekt, läßt mich da stehen, damit ich mir den Hals wund rufe. Und wenn er sich zu guterletzt verirrt. Ich bin wahrlich ein schlechter Pädagog, was kann eine Ohrfeige schaden, alle Sachverständigen sind darüber einig, daß ohne ein gewisses Maß von Prügeln ein Knabe garnicht zu erziehen ist. Und ernsthaft darüber nachdenkend, ob er in diesem Falle nicht seinen Widerwillen gegen körperliche Züchtigung überwinden müsse, kam ihm zugleich die Lust darüber nachzusinnen, was das wohl für eine Befriedigung gewähren möge, sich Vater nennen zu hören. Vater! hm! Das klingt mir so seltsam, mir wird ordentlich unheimlich, stelle ich mir vor, man dürfe mir diesen Ehrentitel beilegen. Warum nur? Tauge ich nicht zu diesem Beruf? Alle meine Freunde haben, sobald es ihre Mittel erlauben, nichts Eiligeres zu thun, als sich zum Familienvater zu entwickeln, warum wird denn mir so weh zu Mut, so als begehe ich ein Unrecht gegen die Natur, wenn ich mir vorstelle, ich vermehre die leidende Menschheit um ein neues Exemplar? Vielleicht stelle ich mir zu deutlich vor, daß es nicht zu den Annehmlichkeiten gehört geboren zu werden! Kurz, ich weiß nicht, die ganze Sache widert mich an. Er dankte Gott, daß er nicht Ludwigs Vater zu sein brauchte und wie er über sein eigentümliches Verhältnis zu dem Jungen nachdachte, trat jener Abend, an welchem er ihn auf der Straße gefunden, lebhaft vor seine Seele. Er war einst in München gegen Abend über die Isarbrücke gegangen, die Hände in der Tasche, den Kopf zur Erde gebeugt. Im Scheine einer mit dem Nebel kämpfenden Laterne, gewahrte er einen auf dem Pflaster langausgestreckten, schlafenden, sehr dürftiggekleideten Knaben von etwa acht Jahren, dessen leidende Züge ihn lebhaft an den berühmten jungen Bettler von Murillo gemahnten. Er blieb stehen. Da wäre ja ein prächtiges Modell gefunden, sagte er sich, um sein Mitleid zu unterdrücken. Der Junge öffnete verschlafen die Augen und als er einen Menschen vor sich stehen sah, streckte er die kränkliche Hand aus, eine gewohnheitsgemäße Bitte murmelnd. Der Maler half dem Durchfrorenen auf die Beine, frug wo er wohne und ging, die Blicke der Vorübergehenden ignorirend, mit dem zerlumpten Jungen nach Hause. Jetzt noch errötete er, da er an das Gesicht seiner Hauswirtin dachte, wie es so fragend auf ihn nebst seine Begleitung gerichtet war. »Und ich habe es nie bereut, mich des Kindes angenommen zu haben,« murmelte der nachdenkliche Spaziergänger vor sich hin, »einen solchen Sohn lasse ich mir gefallen, der wird einmal dankbar und hat auch Grund dazu, es zu werden.«

 

Noch einmal strengte der Künstler seine Stimme an; der Name seines Lieblings tönte laut durch den Wald und diesmal erschallte Antwort zurück. Eduard atmete auf. Da durchʼs Gezweig tauchte er auf, der schwarze Krauskopf, einen Blumenstrauß hoch emporhaltend, und Eduardʼs strenge Magisterlaune entschwand mehr und mehr, je näher das fröhliche Hurrah des Knaben erscholl.

»Ludwig, Du hast mich recht betrübt, wo bleibst Du denn,« rief er, »ich hatte mir vorgenommen, Dich zu züchtigen, bist Du nicht ein recht undankbares Kind?«

Ludwig zupfte an seinem Strauß und schwieg verlegen. Erst nachdem beide einige Zeit schweigend neben einander hergewandelt waren, hielt er den Strauß dicht unter Eduardʼs Kinn und sagte kleinlaut mit einem scheuen Blick: »Ich hatte ihn für Dich gepflückt.«

Eduard sah dem Knaben prüfend inʼs Auge, überlegend, ab sich der Schlaue nicht vielleicht mit dieser Redensart aus der Verlegenheit ziehen wollte.

»Ist das wahr?« frug er, »hast Du diesen Strauß mit der Absicht gepflückt, ihn mir zu schenken.«

»Ja,« sagte der Angeredete.

»Ich meine,« fuhr der Maler fort, »ob Dir nicht erst später, als Du mich im Zorn sahst, der Gedanke kam, mich mittelst dieses Straußes zu versöhnen.«

Als auch diese Frage der Knabe mit einem ernsthaften: Ja! beantwortete, mußte Eduard lachen. Wie seltsam sich die Empfindungen in einem Kinde vermengen, dachte er, es unterscheidet nicht zwischen Gut oder Bös, es folgt einfach dem Instinkt, sich aufʼs beste aus einer schwierigen Lage zu befreien. Als er dann seinen Arm um Ludwigʼs Schulter schlang, frug dieser, ob er ihm noch böse sei, worauf Eduard in eindringlichem Tone auseinander zu setzen begann, welchʼ schöne Sache es sei, immer die Wahrheit zu sagen, bis der Tugendlehrer sich an seine kleine Lüge erinnerte, die er vor kurzem dem Vater vorgebracht, welche Erinnerung das rasche Abbrechen der Moralpredigt zur Folge hatte. Wir wollen Erzieher sein, wir Alten, und sind selbst nicht erzogen, sagte er sich. Ludwig, froh, daß die Predigt ein Ende gefunden, flüsterte auf einmal, seinen Freund am Arme haltend, mit dem Finger geradeaus deutend: »Ein Reh!« Wirklich stand dort auf der Wiese, von den grünen Halmen umspielt ein Reh, das eben den dahinterliegenden Wald verlassen. Neugierig hob es den seinen Kopf, mit den großen feuchten Augen unschuldig die beiden Spaziergänger betrachtend. Eduard, der sich wieder einmal über sich selbst ärgerte, war die Gelegenheit willkommen, seinem Aerger in einer That Luft zu machen, ein Zorn gegen die ruhige Theilnahmlosigkeit der Natur stieg in ihm auf. Das Blut stieg ihm in den Kopf, ohne zu wissen, was er that, wie im Traum, riß er das Gewehr von der Schulter, legte an und schoß auf das entfliehende Tier, das einen mächtigen Satz machend, getroffen zusammenstürzte.

Kaum war der Schuß gefallen, so legte sich die Erregung in des Schützen Brust; dem Gefühl des Ärgers machte ein Gefühl der Reue Platz, das an Heftigkeit zunahm, als er vor dem verendenden Tiere stand. Aber der Zorn, den er gegen sich selbst empfand, kehrte wieder, ja wuchs, da er die Wunde, die das Reh über dem Auge im Kopfe trug, das Gras ringsum röten sah, da die röchelnden letzten Atemzüge des Tieres sein Ohr quälten. Der unerfahrene Jäger hätte weinen, aber sich selbst beohrfeigen mögen, so empörte ihn dieser Anblick, ja im Innersten verfluchte er seine heftige That. »Ich werde nie mehr ein Gewehr anrühren,« rief er sich zu, »welche Rohheit die Jagd ist, wie mögen sich gebildete Leute mit diesem, für Metzger erträglichen Handwerk abgeben. Es ist zwar nur ein Tier, das ich getötet, beruhigte er sich, nachdem das Reh ohne Leben vor ihm lag, aber ich habe immerhin ein lebendes Wesen zerstört, das so gut ein Recht zu existieren hatte, wie ich selbst.« Ludwig, der herbeigesprungen war, sagte nun traurig: »Das schöne Tier, o wenn es doch noch lebte, es dauert mich, es ist noch ganz warm, fühle nur.« Eduard verwies ihm barsch dies Mitleid.

»Sei still,« rief er, »ich glaube gar Du willst weinen, laß das, das ist eine Thorheit, kommʼ, wir gehen, der Hans mag das Reh nach Hause bringen.« Ludwig beugte sich nochmals zu dem Tiere nieder und streichelte ihm über die feuchte Schnauze, was den Künstler bewog ihn sanft bei der Hand zu nehmen. »So istʼs recht,« sagte er mit weicher Stimme, doch über die Inkonsequenz seiner Empfindungen verwundert, »so istʼs gut, habe Du nur Mitleid mit den Tieren und gehe nie auf die Jagd. Gott sei Dank, daß es kein Mensch war,« seufzte der Jäger im Weiterschreiten, aber er gab die Flinte dem Kleinen zum tragen und betrachtete seine Hände, ob auch kein Blut an ihnen klebe. »Das ist nun auch wieder eine Schwäche, die uns die höhere Geisteskultur mit auf den Weg giebt,« setzte er seinen inneren Monolog fort, »mein Vater würde mich auslachen, wollte ich ihm von meinem Gemütszustand Bericht erstatten.«

Es war Abend geworden, als die beiden das Forsthaus erreichten. Der Förster begrüßte seinen Sohn, Ludwig ließ es sich nicht nehmen, das kleine Jagdabenteuer zu erzählen und der Förster, der von Eduardʼs Gemütszustand keine Ahnung haben konnte, lobte höchlichst diesen sicheren Schuß. »Das hast Du von mir geerbt,« meinte er, »ja Alterchen, nur so weiter, diesmal warʼs Zufall, Glück, das nächstemal wirdʼs Kunst. Nicht wahr, das ist ein Vergnügen, wenn das so einem von der Wange herunterknallt, wenn dann das Tier im Sprung zu Boden taumelt. Ja ja, kennʼs wohl!« Eduard brummte etwas Unverständliches in den Bart, während der Förster beim Abendessen in der besten Laune sich sogar herabließ, allerlei gutmütige Neckereien mit seiner Frau zu treiben. Als sich der Künstler gegen 10 Uhr Abends zur Ruhe begeben wollte, fand er auf dem Nachttisch, als er die Kerze anzündete, ein von der Mutter dorthin gelegtes Billet, von dem sie vergessen hatte, ihm Mitteilung zu machen. Es war ein elegant zusammengefaltetes Briefchen, das der Ueberraschte kopfschüttelnd in der Hand wog, es trug in der linken Ecke eine Grafenkrone, um allen Zweifel zu zerstreuen, war die Aufschrift: an Herrn E. Enger! mit kecken, festen Federstrichen hingezogen. Das Parfüm duftete so sehr nach Veilchen, ein süßer, die Erinnerung erregender Schwindel mußte demjenigen vor der Stirn vorüberziehen, der dies Blatt zu öffnen wagte. Mit unruhigen Fingern riß der Zaudernde endlich die Hülle hinweg, eine Visitenkarte fiel zu Boden, die er mit dem Gefühl neugieriger Verstimmung aufhob. »Welche Thorheit,« rief er aus, nachdem er gelesen, »sie lädt mich auf morgen zum Diner ein!« Und lachend murmelte er zwischen den Zähnen: »ist das Mädchen —« er wollte das vulgäre, häßliche Wort: verrückt! gebrauchen, schämte sich indeß seiner Grobheit und schwieg. »Glaubt sie, ich hätte nichts zu Mittag zu essen?« dachte er und verwünschte sogleich seine thörichte Voraussetzung. War er doch Künstler und als solcher gewohnt, an die Tafeln der Vornehmen gezogen zu werden. Langsam verbrannte er die Visitenkarte an der Kerze, die herabfallende Asche träumerisch in die Lüfte blasend. Ludwig, der im Nebenzimmer bereits im Bette lag, hörte seinen Freund noch lange auf und abgehen. Der Kleine hatte in der Hausbibliothek des Försters den »roten Freibeuter« von Cooper gefunden, den er sofort als willkommene Räubergeschichte zu verschlingen begann, von dem er sich sogar im Bett nicht trennen konnte und der ihn heute länger als gewöhnlich wach erhielt. Er wagte zwar nicht beim Schein der Kerze weiter zu lesen, spann sich aber die Geschichte in der Phantasie lebhaft weiter aus, bis er auf einmal die Thür des Nebenzimmers knarren hörte, was ihn bewog, schlafheuchelnd die Augen zu schließen. Noch ganz in die Schrecken des roten Freibeuters vertieft, fürchtete er sich, als er Schritte seinem Bette nahen hörte, bis ihn der Schimmer einer über sein Haupt gehaltenen Kerze reizte, die Augenlider ein wenig zu öffnen. Da er Eduard vor sich stehen sah, hielt er seine Heuchelei für unnötig, winkte deshalb immer stärker mit dem geschlossenen Augenlid, lächelte immer deutlicher, ja gab sogar dem Drang zum Nießen mit Kraft nach.