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Seelenrätsel

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Es entstand eine Pause, während welcher der Baron an seinem Schnurrbart kauend, sich auf einen andren Angriffspunkt besann. Um Zeit zu gewinnen, den letzten Trumpf, den er in der Tasche hatte mit Erfolg ausspielen zu können, drehte er sich jetzt scheinbar nachlässig eine Cigarette, entzündete sie und blies dicke Rauchwolken in die Luft, indeß sein Gegner mit einem ausgerissenen Pflanzenstengel die Spitzen der Gräser geißelte.

»Zum Teufel mein Herr! Bilden Sie sich doch nicht ein, daß Gräfin Isabella Sie liebt,« lachte der Intendant endlich ärgerlich vor sich hin. »Man verzeiht einer künstlerischen Phantasie gewiß manche Einbildung, diese jedoch übersteigt die Grenze der Vernunft so sehr, daß ich, wäre ich der Graf, Ihnen einen ganz anderen Aufenthaltsort anempfehlen würde, als Italien. Die Gräfin treibt ein unverzeihliches Spiel mit Ihnen. Das kennt man an ihr, das dauert so drei Wochen und dann folgt sie einem andern Einfall.«

Eduard that, als hielt er diese Voraussetzung für sehr wahrscheinlich, um zu prüfen, wie weit sein Feind in dieser Angelegenheit zu gehen beabsichtige.

»Glauben Sie?« frug er mit kaum bemerkbarem Lächeln.

»Ich bin fest davon überzeugt,« sagte der Baron, Eduardʼs Frage für ein Nachgeben haltend, »die Gräfin betrügt Sie, ich weiß es aus ihrem eigenen Munde und ich bedaure Sie, mein Herr, daß ein kokettes Weib, Sie, einen verständigen Mann, überlisten konnte.«

»Ist es möglich?« stammelte der Maler.

»Reisen Sie ab, so schnell wie möglich,« fuhr der Baron vertraulich fort, dem jungen Manne eine Zigarre anbietend, »Sie sehen selbst ein, daß eine Verbindung zwischen Ihnen und der Gräfin, unmöglich wäre. Die alten Gesetze müssen aufrecht erhalten bleiben, kein Mensch, und sei er auch ein Riese, zerreißt ungestraft dies Maschenwerk alter, edler Überlieferungen, die ihre große, hohe Berechtigung haben. Sie mögen der Gräfin an Bildung gleichberechtigt gegenüberstehen, dennoch stammt die Gräfin aus einer so völlig andersgearteten Welt, daß Sie sich auf die Dauer nicht glücklich fühlen würden neben ihr.«

»Sie mögen Recht haben,« bestätigte Eduard düster.

»Ah! jetzt sprechen Sie vernünftig, jetzt sind Sie mein Mann,« sagte der andere, ihm auf die Schulter klopfend. »Wohlan mein Herr, ich mache Ihnen einen neuen Vorschlag. Gut! bleiben Sie im Lande, Sie thun recht daran, gründen Sie Ihr Glück in unseren Thälern. Denken Sie sich ein kleines Landgut am See – haben Sie Lust zu einem solchen – wie? Sie sollen ein solches Landgut besitzen – jedoch was ist ein Landgut ohne ein liebend Weib – auch dafür muß gesorgt werden; daß es keine Gräfin sein kann, ist so selbstverständlich – Sie gaben es selbst zu. Nun, wenn es keine Gräfin sein kann, so doch ein reiches, schönes Bürgerkind. Auch dafür soll gesorgt werden. Ich kenne ein solches Fräulein und ein Wink des Grafen genügt, dies Fräulein zu bewegen, Ihnen Ihre Hand zu reichen. Sind Sie jetzt zufrieden gestellt? Sind Sie nicht ein Bevorzugter Fortunaʼs?«

Eduard riß die Augen auf und schielte zu dem eifrigen Redner hinüber, nickte dann, begierig, wie tief man ihn zu erniedrigen wünschte, mit dem Kopfe und hielt so die immer grimmiger aufkochende Verachtung zurück, um die aristokratische Frechheit seines Nebenbuhlers in ihrem vollen Umfange kennen zu lernen. »Nicht wahr, Sie stimmen bei? fuhr der Siegesgewisse fort. Ich wußte es im voraus. Sehen Sie, auf diese Weise löst sich die ganze unselige Verwirrung in allgemeines Wohlgefallen auf. Die Gräfin wird Sie bald vergessen haben, Sie werden in Ihrem Wohlbefinden der Gräfin nicht weiter bedürfen und – damit wie die Sache gleich von der reellen Seite packen —« hier dämpfte er seine Stimme, griff dem Maler zutraulich unter den Arm und flüsterte: »Das Fräulein besitzt ein Vermögen von einer halben Million, das Gut hat den Wert von ebenfalls einer halben Million und mein Freund, gestehen Sie es doch offen ein – warum länger heucheln, das Geld ist die Grundlage alles Glückes, selbst des Liebesglücks, wer auf Geld vertraut, hat auf keinen Sand gebaut —« dann tupfte er mit cynisch- jovialem Gelächter dem Maler auf den Arm, »ha! ha! ha! gestehen Sie es ein, Sie waren ein feiner Goldschmied Ihres Glücks, Sie wußten klug berechnend die kindische Neigung der Gräfin auf eine solche Höhe zu treiben, daß nun für Sie, wie es von Anfang an Ihr Ziel war, eine vollgewogene Million herausspringt!«

Da der Maler das zornglühende Gesicht abwandte, wußte der Sprecher nicht, was in dem Busen des Tiefbeleidigten vorging. Sein Schweigen für Zustimmung haltend, fuhr er daher fort:

»Trefflich, bei Gott, ein diplomatisches Meisterstück: wie Sie das angefangen ha! ha! müssen Sie mir, wenn ich Sie auf Ihrem Gut besuche, einst bei einer Flasche Champagner erzählen.« Als er geendet, wandte ihm Eduard sein jetzt bleich gewordenes Gesicht zu, dessen Züge Hohn und Entrüstung entstellten.

»Sind Sie zu Ende?« sagte er bebend, mit mühsam erzwungener Ruhe. »Gut! So lange habe ich an mich gehalten, länger vermag ich es nicht mehr.« Dann tiefaufatmend, als ränge er nach Worten, preßte er mit einer bald kaum hörbaren, bald überlauten, thränenerstickten Stimme hervor:

»Was? Bin ich ein Geldwechsler? Spricht man diese Sprache mit einem gebildeten Menschen? Also darauf hatte ich es abgesehen? Geld wollte ich verdienen? Wissen Sie das genau mein sauberer Unterhändler? Und wissen Sie auch, was für Sie aus der Kasse des Grafen springt bei diesem Geschäft? Aus meiner Kasse, mein Herr, springt Ihnen nichts heraus, weder Champagner noch Geld, wohl aber könnten ein paar gekreuzte Klingen oder —« er hielt inne und setzte dann, sich in der Logik seines Satzbaues verwirrend hinzu: »noch viel Entehrenderes das Endergebnis Ihres Vorschlags sein.«

Der andere verstand ihn trotz seiner Undeutlichkeit.

»Mein Herr,« wollte der Bleichgewordene einwenden.

Der seiner selbst nicht mehr mächtige Maler faßte ihn an der Schulter.

»Schweigen Sie,« schrie er ihm entgegen. Dann sich ein wenig fassend, als er die verblüffte Miene seines Gegners sah, fuhr er fort:

»Ehe Sie hierher kamen, wäre ich bereit gewesen, auf die Hand der Gräfin zu verzichten, ja mein Herr, ich hatte mir vorgenommen, mich zu überwinden, so schwer mir dies gehalten. Haben Sie einen Begriff davon, was es heißt, Jemanden lieben? ohne Interessen lieben? Nun, wenn Sie mich auch nicht verstehen, sage ich Ihnen, daß ich die Gräfin liebe. Ich bin in der That, Herr Baron, so frei sie zu lieben, ja, Herr Baron, der Plebejer wagt es, trotz Ihrer Entrüstung, sein Auge zu diesem Mädchen zu erheben – ich liebe sie und Ihr Benehmen, mein Herr hat, anstatt mich in meinem Entsagen zu bestärken, meinen Widerstand gereizt! Gehen Sie, mein Herr! Ihr Anblick ist nicht gut für mich. —«

Und Eduardʼs Entschluß stand plötzlich fest, die Geringschätzung, mit der man ihn behandelt, weit entfernt, ihn zu deprimieren, hatte seinen Stolz, sein Selbstvertrauen, seine Männlichkeit geweckt. Er geriet in einen ganz exaltierten Zustand, in dem die Welt tief unter ihm lag, und dieses unnatürliche Kraftgefühl mochte die Ursache sein, daß es ihm auf einmal zu mute war, als liebe er Isabella aufrichtig, als habe er sich früher selbst nicht verstanden. Er wollte an seine Liebe glauben, er brauchte diese Liebe, um sich an seinem Beleidiger zu rächen, und sofort fand er in seinem nervös-gespannten Innern diese Liebe vorrätig, ganz fertig. Daß er sich selbst täuschte, war ihm kaum dunkel bewußt, er spielte sich seine Rolle mit solcher Meisterschaft vor, daß er, der Schauspieler, an die Wahrheit seiner Gefühle glaubte, daß ihn diese Gefühle berauschten, ja beseligten.

»Jetzt bin ich Dein Kampfgenoß, Isabella,« rief er ganz seiner augenblicklichen Trunkenheit nachgebend, »ich fühlʼs, Du gehörst an meine Seite, jetzt will ich Dich besitzen und müßte ich Dich aus einem eisernen, von zwanzig Mauern umgebenen Gefängnis rauben.« Wie es in ihm glühte: in ihm wogte, welchʼ wunderliche Erleichterung ihm heute das Sprechen gewährte, wie er sich selbst bewunderte, da er auf einmal so kühne Entschlüsse faßte. Er überhörte fast die Entgegnung des Barons, so sehr nahm ihn sein eigener Zustand in Anspruch.

»Mein Herr,« sagte der Baron mit kühlem Anstand. »Sie haben sich die Feindschaft des Grafen Ibstein zugezogen und meine Feindschaft. Ich werbe, damit Sie es wissen, mit wem Sie auf das Schlachtfeld treten, um die Gunst der Gräfin – meine Feindschaft ist vielleicht keine allzugefährliche, aber fürchten Sie den Grafen Ibstein, er hat Mittel, Sie und Ihre Familie inʼs Elend zu stoßen. Das Beil, das Sie trifft, ist bereits geschliffen.«

Der Intendant entfernte sich nach diesen Worten, über deren Sinn Eduard nicht weiter nachgrübelte; nur wie im Traum murmelte er noch trotzig vor sich hin: Mag er sie anwenden, diese Mittel! und schritt sodann langsam auf das nahe Forsthaus zu. Das ingrimmige Behagen, das ihn eben noch mit einem Gefühl der Männlichkeit erfüllt, wich bald, um seine so plötzlich heraufbeschworene Liebe zu Isabella blieb in ihm haften, eine Liebe, die der Rache, dem Schmerz ihre Entstehung verdankte. Sonst der bescheidenste Mensch, konnte der Maler fast in das Gegenteil der Bescheidenheit, in eine Art Selbstüberschätzung verfallen, sobald er merkte, daß man ihn mit böswilliger Absicht beleidigte. Alsdann erwachte sein ganzer Künstlerstolz, von dem man sonsthin nicht viel wahrnahm.

Seiner Empörung über die eben vernommenen Anschuldigungen verschaffte er, als er jetzt in den Hof des Forsthauses trat, dadurch einige Erleichterung, daß er sich seines Talentes in höherem Grade denn je bewußt zuwerden suchte.

»Was sind das für Menschen, mit mir verglichen,« stellte er sich vor, »solche talentlose Erdenwürmer, die nur da sind, um das Geschlecht nicht aussterben zu lassen: sich beschimpfen zu lassen von solchen, die den Schimpf am ersten verdienten; ist man dazu auf der Welt, zu unterhandeln mit Kerlen, mit denen man höchstens aus Mitleid verkehren sollte?—

 

Durch derartige menschenfeindliche Gedanken suchte er sich zu beruhigen, was ihm auch so ziemlich gelang, nur daß er unter diesen Vorstellungen auf andere Weise litt.

»Das ist der Weg, der zum Größenwahn führt,« sagte er sich, je leidenschaftlicher er die Erbärmlichkeit des Menschengeschlechts zum Gegenstand seiner Betrachtungen machte. Dann frug er sich, ob ihn denn die Stärke seines Talents zu dergleichen Ueberhebungen berechtige, kam, jetzt wieder sich unterschätzend, damit nicht inʼs Reine und frug sich mit ängstlicher Gewissenhaftigkeit, ob er eigentlich bereits ein Menschenfeind sei, oder es später noch werden würde. Aus mir wird einmal nichts, mein Talent ist doch wohl nur höhere Stümperei, nichts, gar nichts kann ich machen, was sich mit den Bildern anderer vergleichen ließe; alles geistlos! Zugleich malte er sich ein ödes, klägliches Greisenalter aus, dachte sich als gichtbrüchigen, verrosteten Sonderling, der auf irgend einer verlassenen Bodenkammer sein gespenstisches Dasein fristet, Kupferstiche sammelt, Schnaps trinkt und nun überdrang ihn ein solches Mitleid mit sich selbst, daß er nur in dem Gedanken an die Liebe Isabellaʼs einigen Halt, einigen Trost fand. Ja jene Anschuldigung, er habe gemeinen Vorteiles halber um die Gunst des Mädchens geworben, zeigte ihm jetzt seine eigene Tugend in so heiterem, fleckenlosem Glanze, daß er gewissermaßen die Tugenden des Mädchens durch den Glanz seiner eigenen gehoben sah. Die böswilligen verläumdrigen Voraussetzungen des Barons brachten es zu Wege, ihm die Empfindung zu geben, als gehöre sie zu ihm das Mädchen, als sei er jetzt eins mit ihr geworden, da er sie doch gegen derartige Verläumdungen schützen müsse. Ja, er wollte sie schützen, sie retten vor den Klauen ihrer adligen Henker. Ihre letzten Worte fielen ihm auf ʼs Herz: Ihr Retter sollte er sein.

Nun erst schien ihm das liebende Weib begehrenswert, nun da er ernstlich um sie kämpfen sollte, schien sie ihm des Erringens wert, jetzt sollte sie der andere nicht besitzen, nun da die andren glaubten, er suche pekuniäre Vorteile, fühlte er ein Gelüst diese andere hohnlachend in diesem Glauben zu bestärken, um sie noch gründlicher verachten zu können. Auf einmal erschien ihm der Liebreiz Isabellas lieblicher, er sah mit anderen Augen, ihre flehende Stimme drang ihm inniger zu Herzen. Die süßen Wunderlichkeiten ihres Charakters reizten seine Neugier auf eine gewisse sinnlichschöne Weise. Auch drang ihm ein Zug besonders warm in die Brust, den er heute an ihr beobachtet. Es war ihm, wenn er über sie nachdachte, als habe sie gewisse Accente der Sprache, gewisse Bewegungen der Augen von ihm angenommen.

Die Liebe sollte, wie er oft behaupten hörte, in der Weise wirken, daß Gewohnheiten von der einen Person auf die andere übergingen. Nun sah er seine eigenen Schwächen in einem verschönernden Spiegel vor sich; – das tastende Suchen nach dem richtigen Wort, das Zusammenziehen der Augenbrauen, die Unruhe der Finger, – wie sehr mußte sie von seiner Individualität durchdrungen sein, daß sie sich diese schlechten Angewohnheiten so rasch angewöhnt hatte. —

Er wollte eben in das Hans treten, als ihm Frau von Pork entgegenkam, die schon einige Zeit auf ihn gewartet. Ihren ungeduldigen Fragen: »Was ist geschehn, wie endigte die Unterredung —« wollte er ausweichen, als sie jedoch mit den Thränen kämpfend hinzufügte:

»Isabella schickt mich her, das arme Kind stirbt vor Erwartung« – wendete sich Eduard feierlich zu ihr hin.

»Frau von Pork, sagen Sie der Gräfin« – er hielt inne, »warten Sie einen Augenblick, ich gebe Ihnen ein paar Zeilen mit.«

Rasch eilte er die Treppe hinan in sein Zimmer, nahm sich in seiner Aufregung nicht Zeit nach der Tinte zu suchen, riß zitternd ein Blatt aus seinem Skizzenbuch und warf mit dem Schraubebleistift einige hastige Worte auf das formlose, dicke Zeichenpapier. – »Jetzt bin ich zur Flucht bereit – jetzt erst schlägt Dir mein Herz glühend entgegen – ich verstehe Dich, ja ich will Dich retten von diesem edeln Gesindel – verfüge über mich – morgen mit dem Frühsten bin ich reisefertig – sie sollen Dich nicht martern die Buben —«

Diese auf den Körnern des Papiers mit Nr. B.B. geschriebenen, kaum leserlichen Zeilen überlas er, sich vor seinen eigenen Worten fürchtend; ganz verwundert hielt er das dicke, rauhe Skizzenbuchblatt in den Händen, – was hatte er eigentlich gethan?!

Sollte er es abschicken? Es war ihm, als habe er sein eigenes Todesurteil unterzeichnet – aber er bog das harte Papier zusammen, fand unter seiner Mappe einen alten zerknitterten Briefumschlag, in dem man ihm einst Lotterieloose angeboten und schob es, ohne recht zu wissen was er that, in denselben. Sein Gesicht glühte, als er jetzt das Fenster öffnete und den Brief der im Hofe harrenden Frau von Pork herunterwarf. Frau von Pork trocknete ihre Thränen, nickte hinauf und schlich betrübt davon.

Jetzt istʼs aus, dachte Eduard, auf einen Stuhl sinkend, entweder habe ich mir eine Last aufgebunden, die ich Zeitlebens nicht mehr los werde – oder – er unterbrach seinen Gedankengang, stellte sich, ihre Gestalt, ihr Wesen prüfend vor und kam zur Ueberzeugung, daß sie ihn liebte, mit einer seltenen Liebe und, daß er deshalb, möge kommen was wolle, nie ganz unglücklich werden würde. Selbst wenn er sie nicht mit demselben Feuer liebe, das sie ihm entgegenbrachte – was schadete dies? Er würde sie achten, sein Herz würde sich an dem ihrigen entzünden. Eine gehobene Fröhlichkeit kam über ihn, eine trunkene Abenteurerlust. Als ihn Ludwig zum Mittagsmahl hinabrief, drückte er den Knaben ausgelassen an die Brust, grüßte die Eltern sehr laut und erklärte in humoristischer Weise, daß er morgen weg müsse. Der Vater war zu sehr in die Genüsse des Mahls versunken, hatte zu viel von seinem glücklichen Jagdabenteuer zu berichten, um seines Sohnes veränderte Gemütsstimmung wahrzunehmen. Der Mutter hingegen entging sein leuchtender Blick, das Straffe, Energische seines Benehmens nicht.

Nach Tisch, als der Vater sein gewohntes Schläfchen genoß, führte sie ihn bei Seite.

»Ich errate alles; Frau von Pork war hier, Du gabst ihr einen Brief – sie hat mit mir darüber gesprochen.«

Eduard drückte zum Zeichen des Einverständnisses der Mutter stumm die Hände und diese versicherte ihn mit echt weiblicher Lust am Geheimnisvollen ihrer thätige Mithilfe. Morgen früh um 5 Uhr führe der Wagen ab, niemand ahnte etwas: Isabella wolle in der Gartenhütte mit ihm zusammentreffen.

»Woher weißt Du das?« frug Eduard, dessen Herz rascher zu klopfen begann. Verschmitzt lächelnd zog die Mutter einen Zettel aus der Tasche.

»Ein Bauernjunge hat ihn soeben gebracht,« sagte sie. Eduard las, während die Mutter mit Stolz ihren Sohn betrachtete, der nahe daran war, der Familie vielleicht ein großes Glück zu bereiten, jedenfalls sich selbst zu einer höheren Stellung in der Gesellschaft emporzuschwingen. Eduards inneres Leben ward von den einfachen Worten des Briefes mehr bewegt, als wenn die Schreibein ihm diese Worte mündlich mitgeteilt. Das Unbestimmte des geschriebenen Worts rückte ihm die ganze Angelegenheit in das Licht poetischer Entfernung; die leicht hingezogenen Buchstaben zeigten ihm die Strahlen dieses Mädchen-Charakters wie durch ein Prisma, aufgelöst in bestrickende, schillernde Farben, gereinigt von allem Störenden, Zufälligen.

»Vertraue mir »Geliebter,« lautete eine Stelle des Briefs, »ich werde Dir nie zur Last fallen, ich werde arbeiten, um Deiner wert zu sein. Du lächelst über diese Beteuerung? Nein, thue es nicht, Du irrst Dich in mir; siehe, ich werde Musikunterricht geben, ich besitze eine wohlgeschulte Singstimme, ich hoffe, sie wird ausreichen. Dann, weißt Du, kann ich auch ein wenig malen, vielleicht kann ich Dir helfen, oder geht das nicht? Nur eines schmerzt mich so sehr —! ich weiß selbst nicht, was dies eine ist, ich möchte ewig weinen, so drückt es mich nieder. Thue ich unrecht? Manchmal ist mein Vater recht kalt gegen mich, dennoch liebe ich ihn und ihm Schmerz zu bereiten ist so unrecht. Dennoch kann ich nicht anders – jede Rücksicht weicht diesem einen Gefühl, das mich ganz ergriffen hat – was thäte ich alles für Dich; wenn ich mich nur aufopfern dürfte, um Dir ganz anzugehören; wärest Du doch krank, damit ich Dich pflegen könnte – sollte ich das nicht schreiben? Hältst Du es für vorlaut, das zu sagen? O ich kann Dir gar nicht sagen, wie weh mir ist, wie schwer ums Herz und doch wieder so selig; das hast alles Du gethan, Du böser, lieber Mann, mich ganz umgewandelt hast Du, ganz zerstört. Ja, ja zerstört, denn ich weiß nicht mehr, was ich thue, manchmal kommen mir ganz häßliche Gedanken, ich liebe manchmal gar nichts mehr als Dich, hasse die Welt und Gott, und der Tod, den ich sonst floh wie ein Kind das Gespenst, das der Sage nach in unserem Schlosse umgeht, sieht, seit ich Dich sah, gar nicht mehr so schrecklich aus. Sterben? Es ist nichts, wenn man unglücklich liebt. O, könntʼ ich Dich nur einmal so recht anʼs Herz drücken und dann nichts mehr. Es geht, wenn ich Dich ansehe, ein solcher Duft von Dir aus, von Deinen Augen, Deinen Haaren – ich weiß nicht, ich werde dann ganz weich, so gut, so sanft, ganz sterbselig – nicht wahr, Du lachst mich aus?«

Als Eduard den Brief gelesen, schlich er in die Laube des kleinen Gartens und empfand eine solche Achtung vor dieser tief weiblichen Leidenschaft, die er doch nicht ebenso erwidern konnte, daß eine mit Selbstverachtung gemischte Schwermut sein Herz bedrückte. Er klagte sich an, er triebe ein seinen Egoismus kitzelndes Spiel und doch empfand er, berauscht von den Zeilen des Briefs wahrhafte, ja sogar sinnliche Liebessehnsucht, so weit seine egoistische, sich selbst verhätschelnde Phantasie der Liebe zugänglich war; ja es beschlich ihn sogar ein beseligendes Gefühl, auf solche Weise geliebt zu werden, doch warum stimmte ihn dieses Gefühl so traurig, daß es ihm manchmal besser dünkte nicht zu lieben, oder noch besser aufzuhören zu sein. Ist jedes Glück mit dem Unglück nahe verwandt? Wissen wir in der That ein Glück nur dann richtig zu schätzen, wenn es nicht mehr ist. War, was er empfand, ein Übermaß von Glück? War das eine angeborene, durch seine unordentliche Lebensweise hervorgerufene Nervenschwäche? Oder das überfeinerte Gefühl eines Menschen, der lieber in seinen Träumen lebt als in der Wirklichkeit? Wie innig sich das Kind in ihren Worten zu geben wußte, immer wieder las er diesen Brief, aus welchem ein feines, aristokratisches Aroma seinen Sinn betäubte. Das Unruhige, Abgebrochene, Hastende dieser süßen Zeilen, wie lieblich drückte es ihm Isabellas Wesen aus, wie gab es ein Zeugnis von ihrer halb phantastischen, halb vornehm-klösterlichen Geistesbildung.

»Noch ein letzter Gruß, Geliebter,« hieß es am Schlusse, »dann muß ich ein Ende machen. Werden wir doch morgen genug Zeit zum Plaudern haben! Sieh! ich fühle mich jetzt nicht mehr als Sünderin, denn ich weiß, in welche Hände ich meine Ehre lege, in mir ist es ruhig, so ruhig, wie draußen auf dem dunklen See, den ich durch mein Fenster betrachte. – Ich habe hier abgebrochen, bin hinunter in die Grabkapelle gestiegen und habe die beiden Kerzen angezündet. Da ward es noch ruhiger in mir, obgleich ich Gott, den ich suchte, nicht fand. Ach! als ich drei Jahre alt war, (so erzählt mir Frau von Pork) suchte ich auch einst Gott in dieser Kapelle und jetzt thue ich es wieder, finde ihn nicht und ahne, daß die Liebe Gott ist. Ich drücke mich hier undeutlich aus, nicht wahr? Doch ich schreibe Dir diese Zeilen in größter Hast. Nebenan unterhält sich der Vater mit dem Inspektor über die Bewirtschaftung des Guts. Er war nicht sehr väterlich, der gute Vater, als ich ihm mein Herz ausschüttete, ich hörte aus seinen Worten den Baron, ja ich vermute, daß, während mein Vater mit mir sprach, der Baron im Nebenzimmer wartete. Das mag den alten Mann härter gestimmt haben, als er in Wirklichkeit ist, er schämte sich seiner Schwäche, denn als ich in meinem Schmerze mir nicht mehr zu helfen wußte, und er mich gerührt an die Brust ziehen wollte, fiel im Nebenzimmer ein Stock, oder sonst ein Gegenstand heftig zu Boden; sofort, als er das Geräusch vernahm, veränderte sich meines Vaters Miene, er ward kalt, streng und verließ mich. Was ich ihm alles nur gesagt haben mag! Ich werde so leicht heftig, ich war ganz von Sinnen. Nein, ich will ihm nicht zürnen, er ist der beste Mann von der Welt, aber auch der schwächste, bestimmbarste Mensch, und leider ein wenig zu sehr Hofmann. Dazu kommt, daß er sehr, sehr alt geworden ist, der gute Mann. Da nehmen denn die Vorurteile, die Liebhabereien eher zu als ab. Wie er mit dem Kopfe zittert, wie unsicher er geht – o Gott! und sein ewiges hüstelndes: hem, hem! das früher so vornehm klang, wie hohl es jetzt klingt. Wie er mich dauerte! – Liebster Eduard, alles ist zur Abreise in Bereitschaft gesetzt. Ich habe eigenhändig meinen kleinen Handkoffer gepackt, alles unnötige ließ ich weg; ich lege mich angekleidet zu Bett, zünde mein Licht an und schlüpfe, wenn das Schloß noch schläft, hinaus, zu Dir – nur der Gedanke, daß ich zu Dir eile, hält mich aufrecht in diesem Trennungsschmerz – o bitte, bitte, meinʼ es gut mit mir, denn ich habe viel für Dich gethan und werde noch mehr für Dich thun, so viel Du willst. —«

 

Der Maler saß, in Gedanken verloren, in der Laubhütte, bis es dunkel zu werden begann, bis über die Beete des Gartens der kühle Herbstabend schauerte, als wolle er an den kommenden Winter gemahnen. Ein Fenster des Forsthauses erhellte sich, dort waltete die sorgliche Mutter, man sah ihren Schatten hinter dem rötlich leuchtenden Vorhang vorbeischweben: oben in dem Giebelstübchen sang Ludwig einen münchner Gassenhauer, dessen Sinn er glücklicherweise noch nicht verstand; zuweilen bellte der Hund Kato, oder brüllte eine Kuh. Und morgen sollte Eduard dies Haus verlassen, um es vielleicht nie mehr zu betreten. Nun schlugen die Hunde lauter an, es entstand ein wahres Heulkonzert. Eduard wußte, wem die freudigen Grüße der Bestien galten. Der Vater war nach Hause gekehrt.

Als der alte Förster in das Zimmer trat, fand er auf dem von der Lampe spärlich erleuchteten Tisch ein größeres, zugesiegeltes Schreiben. Nicht darauf achtend, zog er den Rock aus, hing ihn behaglich an die Wand, zündete sich eine Pfeife an und drückte sich gähnend in den Lehnsessel, erwartend, daß seine Frau sogleich die Fertigstellung des ersehnten Abendessens ankündigen werde. Die angenehme Müdigkeit, die ihm sein Dienst im Walde zugezogen, nötigte ihn die Augen zu schließen, indem ihm, so wie im Halbschlaf, noch mancherlei Gedanken durch die aufgelösten Sinne gingen. »Das hat gekühlt, ah! so ein Gang durch den kühlen Wald! Muß morgen tüchtig hinter die Arbeiter rücken, mehrere Bänke zu verbessern, sonst steht alles gut; die Bauern klagen zwar über das Wild, doch wir wollen rasch Abhilfe schaffen. Wie ich mich auf das Abendessen freue —«

Dann dachte er an seinen Sohn.

»Thut wir leid um ihn, könnte ich ihm doch die Erinnerung an das Mädchen aus der Seele reißen, wie einen alten Baumstrunk – nun, nun Jugend vergißt rasch – wie ich in seinem Alter war – wird auch ohne meine Hilfe überwinden —« er setzte die Pfeife ab und brummte, noch die Brust voll des kräftigen Walddufts, ein altes Volkslied, in dem vom Jägerleben, dem Lieben und Abschiednehmen die Rede war, in den Bart.

Allerlei Jugenderinnerungen stiegen auf, angenehme und peinliche: immer begleitete alles, was er so im Halbschlaf dachte, jener ozonreiche Waldduft, jenes Gesäusel der Blätter, das er so notwendig zu seinem Dasein brauchte, wie der Seemann den Wellenschlag.

Dann lachte er über seine eigne Thorheit und streckte, immer noch verdrießlich lachend, mechanisch die Hand nach dem roten Siegel aus, das da vor ihm auf dem Tisch glänzte. Dann ward er aufmerksamer, drehte den Brief hin und her und fühlte sich beunruhigt. Das Schreiben trug das gräfliche Siegel, es war an ihn adressirt. Warum ihm nur so unbehaglich ward? Solche Schreiben liefen alle vier Wochen ein. – Soll wohl ein neuer Weg angelegt werden? oder wollen die Herrschaften in diesen Tagen eine Jagd abhalten? Er rückte den Sessel an den Tisch heran, suchte »seinen Brill« in der Tischschublade, hielt das Schreiben, nachdem er das dicke Papier mit seinen zitternden, runzlichen Händen erbrochen, dicht unter den Lampenschirm und murmelte verdrossen: meine Augen, wie das brennt. Er litt zuweilen an entzündeten Augen und schrieb dies Uebel einem Schusse zu, der ihm einst die Wimpern verbrannt. Dann buchstabierte er wie ein Kind: »Wir zeigen hiermit dem Förster unseres Landguts Oberibstein,« er unterbrach sich, langsam und schwer atmend, von neuem mit bebender Stimme beginnend: »Wir zeigen hiermit dem Förster unseres Landguts Oberibstein: Heinrich Enger an, daß Wir – —« Dann las er, ohne recht auf die Worte achtend, mechanisch weiter – »hiermit an, daß Wir seiner Dienste nicht mehr bedürfen und daß —« Wiederum hielt er inne, besann sich, rückte die Lampe so nahe, daß das Papier den glühenden Cylinder berührte und stammelte mit vorquellendem, irrem Blick:

»Habʼ ich noch Augen? – und daß – und daß – und daß er seines – daß er seines Amtes – Amtes ent – hiermit entlassen ist – —!«

Mit schwer arbeitender Brust starrte der alte Mann in das Blatt, dessen von gewandter Schreiberhand schön hingemalten Buchstaben ihm wie höhnend entgegengrinsten. Begriff er denn? Es erfüllte ihn ein dumpfes, drückendes Etwas; das scharfe Lampenlicht blitzte ihm wie etwas Schneidendes, Wehes vorm Auge: wie ein grelles Gelächter durchschnitt es sein Ohr, es war ihm, als versänke er in den feurigen Wogen eines Glutmeers.

So hielt er das zitternde Blatt und starrte es noch immer wie an allen Gliedern gelähmt an, nach Atem, nach Fassung ringend, als die Mutter arglos heiter auflachend inʼs Zimmer trat.

»O, wie sich Alles zum Besten wendet,« sagte sie, »jetzt mußt Du Alles erfahren, Heinrich – denke Dir nur – die Beiden sind einig – sie fliehen —« So redete sie, während sie einige umherliegende Kleidungsstücke an die Wand hing, von Eduardʼs Plan, von der Liebe Isabellaʼs, bis das Schweigen ihres Gatten ihren begeisterten Redefluß zum Stocken brachte.

Sie wandte sich nach der Lampe. Ihr erschrockenes Auge fiel, da sie näher kam, auf den zitternden alten Mann, dessen Todesstarre allmählig in die höchste Erregung übergegangen war.

»Aber was fehlt denn Dir?« rief sie entsetzt, »warum redest Du nicht?«

Der Förster sank schwerfällig zurück in den Stuhl, ließ das Blatt nebst der Pfeife zu Boden fallen und stierte seiner Frau mit einem so ausdruckslosen Blick inʼs Gesicht, als habe er sie noch nie gesehn; die Schläfen pochten ihm zum Zerspringen.

»Du bist krank,« stotterte Frau Enger, »Gott! was istʼs – was istʼs mit dem Mann —«

»Mir ist ganz wohl, Weib,« schnellte der Alte mit einer wahren Grabesstimme hervor, »ganz wohl.«

Suche doch nicht, mir etwas vorzulügen,« jammerte die Mutter, die Arme ringend und ihren Mann halb ängstlich verwundert, halb entsetzt anstarrend, »so sah ich ihn noch nie – ich will – ach! Gott! Du mußt ins Bett, Heinrich – ich will den Johann zum Arzt schicken —«

»Hörst Du,« fuhr auf einmal der Alte zornig auf, »hörst Du, daß mir der Eduard nichts davon erfährt – es ist mir nur um den Jungen – es schmerzt ihn – weißt Du?«

»Sprich doch nicht so hohl, das ist ja entsetzlich,« rief Frau Enger verzweifelt, »von was soll Eduard nichts erfahren?«

»Von was?« lallte der Förster: dann plötzlich wie wahnsinnig auflachend, stieß er hervor: »Ha! ha! Du weißt es ja doch, Mathilde – Du weißt es ja doch —«

»Ich? wenn ichʼs nur wüßte —« flüsterte Frau Enger, sich vor dem Blut unterlaufenen Blick ihres Mannes fürchtend.

»Was?« schrie sie der Alte empört an, »es nur wüßte —? Die ganze Welt weiß es ja – so sei doch nicht so dumm —«

Hierauf erhob er sich wie ein Grenadier, während Frau Enger das zu Boden gefallene Blatt aufhob, es überflog und, da sie den Inhalt erraten, einen Schrei ausstoßend, es zusammenballte. Sie wollte ihren Mann weinend umschlingen; er stieß sie von sich, so daß sie an die Tischplatte prallte, und schleppte sich mühsam, taumelnd wie ein Betrunkener, doch in gezwungen strammer Haltung in das anstoßende Schlafgemach, in welchem sich zugleich der Gewehrschrank befand. Frau Enger schlich ihm nach. Sie sah, hinter der Thüre stehend, wie er sich ganz gebrochen auf seinem Bettrande niederließ, wobei ihm die weißen Haare in die Augen hingen, der Kopf weit vorfallend, auf die Brust herabsank. Frau Engers Pflichtgefühl, alle die lang zurückgedämmte, oft hart abgewiesene Liebe zu ihrem rauhen Gatten brach nun, da sie ihn so zerschmettert sah, hervor. War er es nicht, der sie aus früherem Elend emporgehoben? Sie erinnerte sich an Scenen, da zuweilen durch sein barsches Wesen ein Strahl schöner Menschlichkeit verklärend gedrungen war, sie erinnerte sich an Krankheitsfälle, da er sie, wenn auch ohne viel Worte, ohne Tröstungen gepflegt.