Unter dem Ostwind

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Jendrik kommt von der Beerdigung wie ein Kranker nach Hause, mit schleppendem Schritt, kalkweiß, und die Lippen presst er zusammen, wie man es bei ihm sehen kann, wenn er vor Wut nicht weiß, was er anstellen soll. Er wirft die Mütze gegen den Ofen, und als er die Schuhe aufgebunden hat, wirft er sie hinterher. In der Tür zu Amalies Kammer stiert er vor sich hin, ohne der Frau etwas zu sagen. Amalie wartete ab. Sie hat den kleinen Siegismund neben sich im Bett liegen, der wie ein Bündel verschnürt an ihrer Schulter liegt.

„Wo sind sie beerdigt worden?“, fragt sie schließlich, weil sie es nicht ertragen kann, den Mann so stumm und leidend im Zimmer zu haben.

„Neben dem Vater“, murmelt er.

„Das ist gut“, sagt sie erleichtert. „Ich dachte schon, man würde sie irgendwo an der Hecke begraben.“

„Warum sollten sie an der Hecke begraben werden?“ fragt der Mann gereizt. „Sie sind getauft! Sie sind Christen. Sie sind Menschen wie du und ich, wie alle hier.“

„Ach Jendrik, sei nicht böse, mich quälen die verrücktesten Gedanken. Unsere kleinen Kinder ...“ klagt sie leise. „Mein Gott, warum haben Johann und Gotthard so früh sterben müssen? Die Kleinen haben ja noch nicht einmal gewußt, dass sie leben! Sage mir, Jendrik, wozu habe ich den Siegismund hier geboren? Auch dafür? Jendrik, dieses Kind muss so schnell wie es nur geht getauft werden!“

„Was du dir für Gedanken machst! Sieh zu, dass du bald auf die Beine kommst, dann können wir darüber reden!“ sagt er barsch und geht aus dem Zimmer.

Warum ist er nur so böse? Sucht er die Schuld bei mir, dass die beiden Kleinen gestorben sind? Oder ist er böse, weil ich dich, kleines unschuldiges Herzchen, Amalie legt ihren Arm über den Säugling, geboren habe? Vielleicht ist das seine Art geworden, zu trauern, denkt sie. Ähnlich ist das nach dem Tod seines Vaters gewesen. Manchmal zeigt er sich von einer Weichheit und Milde gegen mich und die Kinder, dass ich mich darüber nur wundern kann. Dann wieder kann er abweisend sein und barsch, so wie er es jetzt ist.

Behutsam wickelt sie den Kopf ihres Kindchens aus der Decke, es schläft, die Fäustchen neben dem immer noch faltigen Gesicht, das sich im Schlaf zum Weinen verzieht und dabei die Unterlippe vorschiebt, die sofort nach unten klappt und den kleinen feuchten Mund aufmacht, wenn die Mutter sie mit der Fingerspitze berührt.

’Siegismund – du trägst den Namen deines Großvaters, der schon nicht mehr lebt. Es ist gewiss nicht nur der Name, der dich, mein Kind, mit ihm verbindet. Später wird es sich zeigen, wo du ihm ähnelst. Später ...‘

Sie denkt daran, wie der alte Siegismund gewesen ist. Besonders deutlich formt sich vor ihr das Bild, wie er in seinem Sarg gelegen hat, so entrückt und erhaben, dass ein lauter Ton, ein unvorsichtig gesprochenes Wort wie eine grobe Unziemlichkeit vor dem Sarg gewirkt hätten.

Amalie betrachtet das kleine unruhige Gesichtchen, und plötzlich zieht sich etwas in ihr zusammen. In ihrem Hals wächst ein Kloß, die Tränen schießen hervor und sie reißt das Kind an sich, dass es wach wird und weint.

„Weine nicht, mein Kindchen“, schluchzt sie an seinem Gesicht. „Weine nicht, du stehst am Anfang deines Lebens, mein Herz, eines langen Lebens ... Länger, als das des alten Siegismund gewesen ist. Ja, länger, als Johann und Gotthard gelebt ...“

Ihr Weinen wird noch heftiger, sie schreit, um nicht gehört zu werden, in die Kissen.

Später hat sie das Gefühl, als habe sie den ganzen Tag nichts anderes getan, als nur geweint. Und als sie endlich zur Ruhe kommt, da fühlt sie sich leichter.

„Meinem Mann ist bei der Durchsicht der Listen aufgefallen, dass Sie vergessen haben, die Adelheit zum Konfirmandenunterricht zu schicken. Sie hätte schon konfirmiert sein müssen!“ Die Pastorin Wohlgethan sitzt sehr steif auf der Kante des Stuhls, den sie so gerückt hat, dass sie im Schatten sitzt und ihr Gesicht nur unklar zu erkennen ist.

Sie hat durch ihren Besuch Kühle in dieses Haus mitgebracht, und auch Verlegenheit und Unsicherheit bei mir und sogar bei den Kindern, findet Amalie.

Die Pastorin nippt in kleinen Schlucken von dem Tee, den Amalie für sie bereitet hat. Zuerst hat die Pastorin Tee abgelehnt: „Danke, ich möchte jetzt keinen Tee Um diese Zeit trinke ich nichts!“

Aber Amalie hat darauf bestanden. „Wie dumm, ich kann Ihnen nichts anderes als Tee anbieten. Eine Tasse werden Sie doch trinken. Nur ein Tässchen.“

Einwilligend hat die Pastorin den Kopf gesenkt: Ja, wenn es unumgänglich ist ... Widerstrebend trinkt sie den aufgenötigten Tee. Sie trinkt ihn so, dass die Hausfrau die Überwindung spüren muss.

Die Pastorin Wohlgethan ist gekommen, um Amalie Erdmann, deren Ansehen im Ort durch die zusätzlichen Webstühle und das Beschäftigen von drei neuen Webern gestiegen ist, für den neugegründeten Hülfsverein zu gewinnen.

„Was wir vorhaben, scheint vom guten Geist“, die Pastorin blickt gegen die Zimmerdecke, „begleitet zu werden, Frau Erdmann. Uns ist es gelungen, das Häuschen des Totengräbers umzubauen“, sagt sie, „bescheiden umzubauen. Unsere Mittel sind ja auch bescheiden, das können Sie sich denken“, erklärt sie mit einem dünnen Lächeln. „Aber immerhin haben dadurch sieben alte Leute für ihren Lebensabend eine Bleibe bekommen.“

Sie blickt Amalie wie aus Katzenaugen an, starr und nichts Gutes verheißend. Anscheinend überlegt sie, wie sie weiter vorgehen soll, wie sie dieser schlichten, aber doch wohl mit einem gesunden Verstand ausgestatteten Frau ihr Anliegen vorbringen soll.

Sie nippt noch einmal von dem Tee, bevor sie fortfährt: „Gutes zu tun ist unsere Christenpflicht. Ist es nicht so, Frau Erdmann?“, fragt sie listig, „dass wir, wenn wir das Leid der Leidenden und Hungernden lindern – dass wir damit die Qualen unseres Herrn zu lindern versuchen, die er für uns alle auf sich genommen hat?“

Wieder heften sich ihre Katzenaugen an Amalie, aber diesmal ist ein wenig Freundlichkeit darin oder Leutseligkeit.

Amalie nickt, sie wartet ab; sie ahnt, warum die Pastorin Wohlgethan zu ihr gekommen ist. Zuerst hat sie vermutet, es sei wegen Siegismunds Taufe, oder dass da noch etwas wegen der Beerdigung der Zwillinge zu regeln sei.

Aber schließlich hat die Pastorin ihr direkt und ohne irgendwelche Umschweife das Versäumnis vorgehalten, dass sie die Adelheid nicht zum gültigen Termin in den Konfirmandenunterricht geschickt habe.

Doch das, Amalie vermutete es, waren nur Einleitungen.

Amalie sagt: „Ja. Aber da ist noch die Sache mit dem Unterricht. Sie wissen, wie die letzten Wochen der Schwangerschaft gewesen sind ... Und dann kam der Tod der Zwillinge ...

Ja, die Adelheid muss nun in den Konfirmandenunterricht. Das Mädel ist schon über zwölf Jahre hinaus! Ich kann ja nun beide schicken, die Adelheid und die Rosa.“

„Die Rosa?“ fragt die Pastorin verwundert.

„Die ist noch elf“, sagt Amalie. „Die ist im richtigen Alter.“

„Das schon. Aber die Rosa – die ist doch recht unverständig, ist schwach im Kopf, dass sie nicht einmal in die Schule gehen kann.“ Der Kopf der Pastorin wird vor lauter Verwunderung über Amalies Vorschlag weit in den Nacken gezogen. Langsam beugt sie sich endlich vor und besieht irgendetwas in ihrer Teetasse. Sie sagt: „Wie soll dieses Kind in die Geheimnisse der christlichen Lehre eingeführt werden? Wie soll sie den Katechismus lesen und begreifen? Wie, frage ich Sie, kann bei einem solchen Menschen der Glaube an unseren Herrn Christus zu einem Baum wachsen, unter dem andere Schutz und Erquickung finden?“ Wieder streckt sich der Körper der Pastorin in die Höhe und der dicke Knoten zieht den Kopf zum Rücken hin: ’Die Rosa? Ausgeschlossen!‘ scheint sie zu denken, sie sagt es aber nicht.

„Nein“, sagt Amalie bedrückt. „Alles das kann sie nicht: sie kann nicht lesen und nicht schreiben, und sie begreift die einfachsten Dinge nur sehr, sehr schwer. Aber – ist das alles denn so wichtig? Braucht der Mensch einen klaren und gescheiten Kopf, wenn er ein gutes Herz hat?“ Sie ist mit jedem Wort leiser geworden; hilflos sitzt sie der Pastorin gegenüber und weiß jetzt nichts anderes zu tun, als die Hände im Schoß zu besehen.

Die Pastorin wartet ab. Schließlich rät sie: „Sprechen Sie mit meinem Mann darüber. Er ist der Pastor und erteilt den Unterricht und weiß, was er den Kindern zumuten kann. Aber, meine liebe Frau Erdmann, ich wollte sie dieses fragen: unser Hülfsverein braucht gute, er braucht angesehene Frauen. Bis jetzt hat mir keine Frau unserer Gemeinde, die ich in dieser Sache angesprochen habe, eine Absage erteilt. Denken Sie nur, sogar zwei Lodzer Fabrikantengattinnen, die gerne zur Mitarbeit bereit gewesen wären, haben wegen des weiten Weges absagen müssen, aber sie haben mir jede Hilfe und Unterstützung zugesagt! Wir haben Weber in unserer Stadt, die für diese Lodzer Fabriken weben, die meinen, dass in die Verantwortung der reichen Fabrikanten in Lodz auch solche Orte einbezogen werden müssen, aus denen ihre Arbeiter kommen. Zwei dieser Fabrikanten und ihre Gattinnen sind gemeinnützig und sehen das ebenso und haben zugesagt, uns nach Kräften zu unterstüten.“

Ganz offensichtlich ist die Pastorin stolz, zwei solch hochgestellte Damen vorweisen zu können. Während sie sich erhebt, leert sie die Tasse und stellt sie dann mit spitzen Fingern auf den Tisch zurück. Beim Abschied sagt sie: „Ich kann doch auch mit Ihnen rechnen, Frau Erdmann? Es ist eine ehrenvolle und christliche Aufgabe, die von diesem Verein getan wird.“

Und kerzengerade, die Welt gleichsam von oben betrachtend, weil sie durch das Gewicht ihres Haarknotens dazu gezwungen wird, schreitet die Pastorin Wohlgethan davon.

Beim Abendessen erzählt Amalie ihrem Mann von diesem Besuch. Sie erzählt, als wüsste sie nicht so recht, was von den Dingen wichtig ist und unbedingt gesagt werden muss und was sie besser für sich behält. Sie weiß auch nicht, wie er das Anliegen der Pastorin sehen und beurteilen wird. Jendrik hat diese Pfarrfrau nie gemocht. Es könnte sein, dass er unwillig wird, weil sie seiner Frau Aufgaben zumutet, die ihr selbst und der Familie lästig werden können. Hat Amalie etwa durch Äußerungen dieses Anliegen herausgefordert? Hätte sie nicht rechtzeitig das rechte und klare und entscheidende Wort sprechen müssen?

 

Amalie ist immer unsicher und ohne Selbstbewusstsein gewesen, doch in letzter Zeit, so kommt es Jendrik vor, hat diese Unsicherheit selbst bei den alltäglichen kleinen Aufgaben zugenommen. Dazu fühlt sie sich allzu oft müde und kraftlos. Manche Nacht liegt sie stundenlang wach neben ihrem schlafenden Mann, weil schwere und quälende Gedanken und Träume sie überfallen und ihr zusetzen. Wie kann sie sich dagegen wehren? Das Aufstehen fällt ihr schwer, sie fürchtet sich vor den Aufgaben des neuen Tags, sie fürchtet sich vor den Forderungen der Kinder, auch davor, dass mit einem fremden Menschen etwas noch Unangenehmeres und Bedrohlicheres ins Haus kommen könnte.

„Ich bin so müde“, gestand sie eines Morgens ihrem Mann von der Bettkante. „So schrecklich müde, dass ich ...“ Sie wollte sagen: dass ich mich nach der langen Ruhe sehne, wie Tote sie haben müssen.

„Was soll das?“ fragte er unwirsch. „Du hast doch die ganze Nacht geschlafen!“

Daraufhin hat sie es vorgezogen, nicht mehr davon zu sprechen. Sie erhob sich unter Mühen und ging daran, ihre Aufgaben zu erledigen und den Mann nicht spüren zu lassen, wie schwer ihr das alles fällt.

Was wird er dann zu dem Besuch der Pastorin Wohlgethan und ihrem Anliegen sagen? Als würde es um etwas Belangloses gehen, beginnt Amalie stockend und leise zu erzählen.

Jendrik sitzt tief über seinem Teller, beide Arme seitlich davon aufgestützt und ohne irgendwelche Anzeichen, dass er ihr wirklich zuhört.

Wenn er kaut, dann kann sie sogar Muskeln an seinem Hals spielen sehen. Früher hat sie der Anblick solcher Kraft erregt. Vorsichtig, weil es nicht schicklich ist, hat sie sich ihm genähert, hat solche Stellen mit den Fingerkuppen berührt, bis der Funke auch auf ihn übergesprang. Jetzt erregt sie das nicht mehr. Sie sieht die Muskeln spielen, aber sie können das, was in ihr eingeschlafen, vielleicht schon abgestorben ist, nicht mehr wecken. Von unten herauf blickt sie ihren Mann an und wartet, dass er endlich etwas zu dem Besuch sagt.

Gemächlich erhebt er sich schließlich. Er gähnt und streift sich die herabhängenden Hosenträger wieder über die Schultern. Leicht geduckt schaut er zum Fenster hinaus. „Ja, wenn die Pastorin dir eine Mitarbeit in diesem Verein zutraut, dann kannst du ihr das nicht abschlagen. Es sollte uns ehren, Malchen, dass sie uns solche Aufgaben anträgt, und dass wir mit solchen Herrschaften ...“ Er dreht sich jäh um. „Möchtest du es denn, Malchen?“

„Ich weiß es nicht.“

Der Mann wendet sich ihr zu. Auf seinem Gesicht liegt immer noch der Ausdruck von Abwesenheit. „Wenn du es möchtest, dann solltest du es auch tun, Malchen.“

„Eigentlich möchte ich nicht“, sagt die Frau gequält. „Sie werden mir Arbeiten zutrauen, die ich nicht erledigen kann.“

„Was sind das für Arbeiten, die du nicht erledigen kannst?“

„Wenn sie mir mit dem ganzen Schreibkram kommen ...“

„Aber du kannst doch schreiben und lesen!“ ruft er.

„Wenig, Jendrik, ganz wenig.“ Sie wendet sich ab und beginnt vor Verlegenheit mit dem Schürzenzipfel über den Tisch zu wischen. „Ich muss es dir ehrlich sagen: ich kann nicht schreiben. Nur meinen Namen, nicht mehr.“

„Nicht schreiben? Aber lesen kannst du doch!“

„Auch das nur wenig. Wenn ich in ein Buch schaue, in die Bibel oder in das Gesangbuch, dann möchte ich nur den Eindruck erwecken, als könnte ich lesen. Die anderen sollen glauben, dass ich es kann. Das ist es, was mir den Entschluss schwer macht, Aufgaben im Hülfsverein zu übernehmen. Nichts anderes. Ich hätte es gerne gelernt, aber dazu fehlte uns Kindern damals die Zeit. Und außerdem hatten meine Eltern nicht das Geld, die teuren Schulbücher zu kaufen.“ Amalie steht traurig da, beschämt, dass sie ihm diesen Betrug, diese Last gestanden hat.

„Und wenn du an deine Eltern geschrieben hast?“

„Dann war das auch nur Täuschung. Kein Mensch hätte das lesen können. Es ergab keine Wörter, und schon recht keinen Sinn. Ich habe meine Briefe schreiben lassen.“

„Du hast auch mich hinters Licht geführt?“

Die Gleichgültigkeit ist aus dem Gesicht des Mannes gewichen. Ungläubig steht er vor ihr, die Arme vor der Brust verschränkt, als wollte er mit ihr einen Kampf aufnehmen. Für Sekunden, so meint die Frau, glimme in seinen Augen etwas wie Enttäuschung und Verachtung auf. Er fragt noch einmal: „Mit deiner Schreiberei hier an dem Tisch hast du auch mich an der Nase herumgeführt?“

„Nein“, antwortet sie kaum hörbar. „Ich habe es für mich getan, Jendrik. Es war so schön, dazusitzen und so etwas wie Buchstaben auf ein Blatt Papier zu malen, auch wenn es keine richtigen waren. Aber es war schön.“

„Malchen! Du bist ja eine ganz Abgefeimte!“ ruft der Mann und biegt sich vor Lachen. „Und all die Jahre habe ich geglaubt, dass ich an dir eine gebildete Frau habe! Und dabei war es nichts weiter als Täuschung ... Als gekritzelter Unsinn!“

Mit hängenden Armen blickt sie zu ihm auf. Ihre Augen werden feucht. Die Frau fühlt sich, als hätte sie sich vor ihm ausgezogen. „Es war schön“, sagt sie noch einmal. „Auch wenn es nicht leicht gewesen ist. Denn immer saß mir die Angst im Nacken, dass ich mit meiner Täuscherei auffalle.“

Er nimmt sie in die Arme und drückt sie an sich, obwohl eines der Kinder in der Tür steht und zusieht.

„Ja, es könnte sein, dass sie dich einmal zur Schriftführerin des Vereins machen wollen“, sagt er an ihrem Ohr. „Oder sie bitten dich, einen Brief zu schreiben ...“

„Darum möchte ich es nicht machen“, sagt sie.

Der Mann hält sie an den Schultern etwas von sich, wie um sie besser ansehen zu können. Mit verschlagenem Gesicht meint er: „Malchen, bei mir ist dir die Finte gelungen. Meinst du nicht, dass du die Pastorin mit ihrem Verein ebenfalls ...“

„O Gott! Nein, nein!“ ruft sie entsetzt. „Jendrik, das würde mich so sehr verunsichern, dass ich nicht einmal mit denen reden könnte! Ich würde alles falsch machen. Alles! Jendrik, ich säße zitternd und mit rotem Kopf da und würde jeden Moment das Unglück erwarten.“ Sie lächelt ihn schwach an. Mit dem Handrücken wischt sie sich die Augen. „Jetzt weißt du, warum sich alles in mir sträubt, im Hülfsverein mitzuarbeiten.“

„Nun ja“, sagt er nicht mehr ganz so sicher wie vorhin und er reibt sich dabei das Kinn. „Du könntest die Pastorin bitten, dich wegen der Kinder und der Arbeit in diesem Hause mit Schreibarbeiten zu verschonen. Hin und wieder würdest du einen Besuch machen, oder etwas Ähnliches ...“

„Meinst du, dass das gehen wird?“ fragt die Frau. Denn das Angebot der Pastorin hat schon einen gewissen Reiz für sie.

„Du solltest es versuchen“, rät der Mann. „Weißt du, wenn sie etwas von dir verlangen, was du nicht tun kannst, dann, Malchen, ziehst du dich ganz einfach aus diesem Verein zurück. Gründe werden sich immer finden lassen. Aber du hast deinen guten Willen gezeigt!“

„Ja, Jendrik, ich werde mir das durch den Kopf gehen lassen.“

„Für dich und für unser Ansehen wäre es gut“, er nickt überzeugt. „Jetzt, da wir expandieren ...“

„Ja.“

„Versuche es.“

„Ich muss mir das überlegen.“

„Ich, Malchen, gebe dir die Zeit. Aber ob die Pastorin Wohlgethan sie dir geben wird? Ich denke, die wird schon in den nächsten Tagen hier auftauchen und dich wieder bedrängen.“

„Ja, das denke ich auch. Aber ich brauche Zeit.“

„Hast du ihr das gesagt?“

„Nein.“

„Du hättest sie gleich an deine Arbeiten erinnern sollen.“

„Ich habe nicht daran gedacht.“

„Ja, ja.“

Es scheint dem Mann Freude zu bereiten, dieses von seiner Frau zu wissen. Er lacht sie an und schüttelt manchmal ungläubig den Kopf. Dann reißt er sie an sich. „Malchen“, sagt er. „Ich habe dich immer für eine Wölfin oder für eine Bärin gehalten, für eine gutmütige und sanfte Bärin, aber doch stark und mir in manchem weit überlegen. Und jetzt muss ich erfahren, dass du ein Reh bist, voller Angst und voller Schrecken!“

„Das darfst aber nur du wissen“, sagt sie an seiner Brust. Und dann: „Du musst etwas Geduld mit mir haben, Jendrik. Vielleicht lerne ich es noch, Briefe zu schreiben und zu lesen. Und manches andere auch.“

„Ja, willst du es denn lernen?“

„Ich möchte schon. Aber wie kann man das lernen?“

„Ich werde darüber nachdenken“, sagt er. „Denn hier können wir keinen Menschen danach fragen.“

„Und auch darin bitte ich dich um Geduld: meine Müdigkeit wird auch wieder vergehen.“

„Du bist müde?“ fragt er verwundert.

„Lange schon. Ich habe es dir sagen wollen, Jendrik. Einige Male habe ich es versucht, aber du hast mir nicht zugehört. Du bist sogar böse auf mich geworden.“

„Malchen!“ ruft der Mann erschreckt.

„Doch, doch.“

Er beugt sich über sie, dass sie fast ganz in seine Körperkrümmung geschmiegt ist. „Meine kleine Wildgans, du.“

„So hast du mich schon lange nicht mehr genannt. Bald nach der Hochzeit hast du vergessen, dass du mir einmal diesen Namen gegeben hast.“

„Malchen ...“ bittet er. „Manchmal weiß ich nicht, wo mir der Kopf steht ... Die Arbeit, die Leute ...“ Sie hat ihn beschämt, und er steht da, die Arme um ihren Leib geschlungen, und weiß nicht, was er tun oder sagen soll. Sie hat ihm heute eine ihrer verborgenen und unbekannten Seiten gezeigt, die ihn so verblüfft und gleichzeitig auch ein wenig stolz und überlegen gemacht hat.

Bevor er seine Frau verlässt, versichert er ihr in der Tür: „Ich werde über die Sache nachdenken, Malchen. Das ist ein Versprechen.“

Der Witold konnte nicht an sich halten und hat seine Mütze ungehalten auf die Erde geschmissen; erst war er rot vor Wut, jetzt ist er bleich geworden, und vor lauter Ohnmacht kaut er seine Lippe, bis sie blutet. Aufgebracht blickt er seinen Herrn an, und der steht da und amüsiert sich, scheint sich sogar über Witolds Wutausbruch lustig zu machen, und das bringt den Witold noch mehr auf. Wie kann der Herr die Sache mit den polnischen Webern nicht ernst nehmen? Wie kann er ihn selbst nicht ernst nehmen, da er doch nur auf Ordnung und Verlässlichkeit bedacht ist!

„Witold, ich weiß, dass sie öfter mit verschränkten Armen dastehen. Nur – ich habe sie noch nie dabei erwischt!“

„Nein, weil die Hunde gerissen sind. Vor Ihnen, Meister, sind sie auf der Hut. Aber bei mir – für die bin ich nur ein polnischer Rotzlöffel. “

„Ja, Witold, ein junger Pole bist du. Und das ärgert die drei da drinnen. Aber du wirst ihnen zeigen, dass du ernst zunehmen bist.“

„Und die Polen, sagen die Deutschen, die sind alle faul. Tagediebe sind sie.“

„Wer sagt das? Ich sage das nicht!“

„Nein, Sie nicht. Aber die anderen sagen das.“

„Hast du das gehört, Witold?“

„Nein.“

„Und du, Witold, bist alles andere als faul. Du bist mein bester Mann in der Weberei. Darum sollst du Vorarbeiter werden.“

„Aber die drei da sind faul!“ beharrt Witold und deutet mit dem Kinn nach der Weberei. „Und ihre Arbeit ist schlecht. Wenn Sie sie danach bezahlen würden, dann ...“

„Was dann, Witold?“

„Schreien und herumbrüllen würden die Halunken, weil sie für ihre Arbeit einen Bettellohn bekämen und jedem erzählen, dass alle Deutschen ausbeuter und Halsabschneider sind. Vielleicht würden sie sogar versuchen, einen Aufstand anzuzetteln, wie es einige Arbeiter in den großen Lodzer Webereien schon getan haben.“

„Wie gut du Bescheid weißt. Woher hast du denn diese Neuigkeit?“

„Ach, das wissen doch alle. – Sie sollten sie nach ihrer Arbeit bezahlen, Meister. Gute Arbeit – gutes Geld. Miese Arbeit – ja, dann kann der Lohn nicht anders sein.“

„Gut, Witold, ich werde ein Auge auf die drei haben.“

„Das sagen Sie nur so.“

„Nein, ich will auf sie achtgeben, damit du, Witold, es mit denen leichter hast und dich nicht über sie ärgern musst.“

Beruhigend klopft Jendrik ihm auf die Schulter und nicht ganz überzeugt geht der Witold wieder an seine Arbeit. Seine Mütze dreht und knetet er zwischen den Fingern und er verschafft sich in der Weise Luft, dass er ausspuckt und so leise, dass der Meister es nicht hören kann, in seiner Sprache vor sich hinflucht.

 

Der Meister ist zu seinem Bruder nach Lodz gefahren.

Seiner Frau sagte Jendrik, als sie ihn erstaunt und fragend anblickte, der Bruder wüsste Rat, wie er mit seinem Leinen noch bessere Geschäft machen könnte.

„Bist du nicht zufrieden mit dem, was wir mit unserer Ware verdienen, Jendrik?“

„Wenn es möglich ist, auszubauen ...“

„Noch mehr Leute, noch mehr Ärger“, sagt Amalie. „Dein Bruder klagt über seine Leute, und jetzt willst du dir ähnliches an den Hals laden ... Bitte, tu mir den Gefallen, und fahre nicht allein, Jendrik. Ich habe gehört, dass sich Gesindel bei Lodz herumtreibt.“

Zuerst hat der Witold ihn begleiten sollen, dann aber hat Jendrik es sich anders überlegt und den Berthold, seinen Ältesten, mitgenommen; der Junge ist alt genug, auch ernsthafte Gespräche zu hören; es schadet auch den Witold nicht, wenn er einen Tag allein mit den Webern zurechtkommen muss, sagte Jendrik sich. Am Abend, so hat er seine Frau und die Leute wissen lassen, würde er zurück sein.

„Witold“, hat Jendrik sich von seinem Gehilfen verabschiedet, „damit hast du wieder eine Gelegenheit, deine Umsicht und deine Verantwortung zu beweisen.“

An diesem Tag ist der Witold damit beschäftigt, ein Loch im Zaun des hinteren Hofes abzudichten. Die Hausfrau hat darüber geklagt, dass ein Fuchs ihr wieder eine Henne gerissen und fortgeschleppt hätte. Am frühen Morgen sei es gewesen. Sie habe die Hühner füttern wollen, da sei der rote Satan mit der toten Henne durch das Loch entwischt. Sie habe ihm Holzscheite hinterher geworfen, aber der Fuchs sei, die Henne neben sich herschleifend, da hinten in den Büschen verschwunden.

Dem Edmund ist nicht verborgen geblieben, dass der Witold sich hinter den Kohlstauden am Zaun zu schaffen macht; unbemerkt ist er zwischen die Stangenbohnen geschlichen; mit belustigtem, und wer dem Jungen nicht grün ist, der würde sagen: mit verschlagenem Blick, beide Hände tief in den Hosentaschen, sieht der Edmund zu, wie der Witold sich müht, die bei jedem Hammerschlag federnden Latten so zu verlängern, dass sie einige Hände breit in die Erde reichen, um den Fuchs daran zu hindern, sich unter dem Zaun einen Zugang zu graben. Der Edmund ist erfinderisch; er hat auch jetzt wieder einen Plan, eine umwerfende Idee, wie er glaubt.

„Witold!“ ruft er aus seinem Versteck heraus, so dass der Angerufene sich vor Schreck hinsetzt. „Witold, wenn du eine Klappe an dem Loch anbringst, dann könnten wir den Fuchs fangen!“ Ein wenig aufgeblasen kommt der Edmund durch den Kohl gestelzt.

„Wozu das denn? Was willst du mit dem Fuchs?“

„Wir könnten ihm den Pelz abziehen. Dann hätte meine Mutter auch einen Fuchs, den sie sich auf die Schultern legen kann.“

„Und wie willst du ihn fangen, he?“

„Du nagelst eine Feder an die Klappe, und wenn der Fuchs die berührt, peng, dann knallt die Klappe zu! Um ihn anzulocken, musst du nur etwas Fleisch, ein totes Huhn vielleicht, in den Garten legen. Sonst kommt der nicht. Pass einmal auf ...“

Edmund hockt sich neben Witold auf den Boden und entwickelt ihm seinen Plan für die Falle.

Anfangs hört der Witold zu, dann macht er sich unbeeindruckt daran, das Loch weiter zuzunageln.

„Warum hörst du nicht zu, Witold? Warum probierst du das nicht mit der Falle?“

„Weil du Kokolores redest.“

Der Edmund ist beleidigt. Er hockt schweigend neben dem Gehilfen und sieht ihm bei der Arbeit zu und wartet darauf, dass etwas schief gehen, oder dass der Witold sich verletzen könnte.

„Drück mal mit einem Stein gegen die Latte“, fordert der den Jungen auf. „Dann federt sie nicht, und ich kann die Nägel besser einschlagen.“

Der Edmund ist aufgestanden. Zum Zeichen, dass er überhaupt nicht daran denke, vergräbt er seine Hände wieder in die Hosentaschen. „Alles, was ihr macht, ist so ... so einfach, so blöd!“ mault der Junge und zieht sich gekränkt zurück.

Damit ist der Witold eine Zeitlang beschäftigt gewesen.

Als er jetzt über den Hof kommt, hört er einen Webstuhl arbeiten. Langsam und gleichmäßig, wie es die Art der kränklichen Rosa ist. Er sieht das Kind am Webstuhl sitzen, mit schmalem, gebogenem Rücken, und den Kopf, weil sie schlecht sieht, tief auf das Garn gesenkt.

Lauschend wartet der Witold eine geraume Zeit vor der Tür. In seiner Hand baumelt der Hammer von der Zaunarbeit. Im Stubenfenster taucht der Kopf der Martha auf. Als sie den Witold entdeckt, winkt sie ihm, dann ruft sie etwas, und weil er ihr nicht antwortet, ruft sie laut seinen Namen. Der Witold gibt ihr Zeichen, stille zu sein. Aber das Kind achtet nicht darauf. Sie formt die Hände vor ihrem Mund zum Trichter und brüllt wieder: „Witold! Witold! Witold!“

Er muss gehen. Vorsichtig und lautlos tritt er in die Werkstatt.

Ja, er sieht nur die bleiche Rosa gekrümmt über ihrer Arbeit; die Webstühle der drei polnischen Weber stehen verlassen.

„Rosa! Wo sind die anderen?“ ruft er.

Das Mädchen hört ihn nicht. Dafür taucht ein Kopf hinter dem Regal auf, in dem das Garn liegt. Es ist der Hendryk Wielopolski, der jüngste der polnischen Weber.

„Hier sind wir!“ ruft der Hendryk.

Alle drei sitzen um einen umgestülpten Eimer auf dem Boden und würfeln. Ignacy, der älteste von ihnen und meistens ihr Wortführer, ein Mensch mit einem genarbten und finsteren Gesicht, rückt zur Seite und sagt auf Polnisch: „Komm, du Großschnauze, und spiel einmal mit!“

„Ihr habt zu arbeiten!“ brüllt der Witold ihn an. „Macht, dass ihr an eure Plätze kommt!“

„Spielst dich auf, als wärst du der Herr“, sagt der Ignacy.

Adam, der dritte von ihnen, lacht auch jetzt wieder sein meckerndes, ziegenhaftes Lachen mit hängender Unterlippe, das an ein hochnäsiges Tier denken lässt. Adam scheint zu spüren, dass es böse ausgehen könnte, und so versucht er zu beschwichtigen und die Angelegenheit zu verharmlosen, und wenn er dazu sein meckerndes Lachen hören lässt, wird der Witold die Sache nicht so ernst nehmen.

Adam sagt: „Ein kleines Spielchen nur. Vergiss es! Wir werden die Zeit herausarbeiten, Witold!“

„Was? Herausarbeiten?“ schreit der Ignacy. „Willst du vor dem Schleimlecker auf dem Bauch kriechen? Was ist der schon? Hier ist der Bengel ein nichts! Eben ein Bengel. Für sein Alter hat der eine viel zu große Fresse, die ich ihm gerne einmal stopfen möchte. Ich hab es schon lange satt, mir ständig das Gewäsch von diesem Rotzlöffel anzuhören!“

Ignacy ist aufgestanden; drohend steht er vor dem Witold, drohend krempelt er seine Hemdsärmel höher; seine Narben im Gesicht sind noch röter geworden.

„Willst du uns damit zur Arbeit zwingen?“ fragt er mit einem Blick auf Witolds Hammer. „Pass nur auf, dass wir dir damit nicht deinen Schädel einschlagen, du ... Du bist nicht mehr als wir auch: ein Polacke bist du, wie wir alle. Jawohl! Für die sind wir ohne Ausnahme nur Polacken! Wanzen. Wir sind nur so lange gut für sie, wie sie uns brauchen, dann ...“ Mit seiner Fußspitze vollführt er eine Drehung auf dem Lehmboden. „Aus! Weg damit!“

Der Hendryk meldet sich: „Wartest wohl darauf, dass die Fräuleins erwachsen werden, um dich hier in ein gepolstertes Nest setzen zu können, was? Spielst nur darum den Hund für den Alten!“

„Seid vernünftig, Männer. Kommt!“ mahnt der Adam. Er geht ohne sich um die anderen zu kümmern an seinen Webstuhl.

„Ach du Rindvieh!“ schreit der Ignacy hinter ihm her. „Fürchtest dich vor dem Hammer, den der Dämlack mit sich herumschleppt? Wenn ich Pause mache, dann mache ich Pause! Und was ich in meiner Pause treibe, das geht niemanden etwas an!“

„Jetzt ist aber keine Zeit, um Pause zu machen“, sagt der Witold.

„So, jetzt ist keine Zeit, um Pause zu machen, sagt der!“ höhnt der Ignacy. „Er wird mir sagen, wann ich mich verschnaufen darf, ja? Hast schon ganz die Manier der Deutschen angenommen!“