Om mani padme hum

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4.
TIHWA (URUMTSCHI), DER HAUPTSTADT SINKIANGS ENTGEGEN

Aber kehren wir zu unseren Märschen und Abenteuern zurück. Morgens in der Frühe geht’s wie alltäglich wieder los. Wir schaffen als Letztes die Instrumente, mit denen ich manchmal die ganze Nacht hindurch bis in den Morgen hinein zu messen hatte, auf die Wagen und rollen nun dem großen Schilfmeer in der Ebi-nor-Ebene zu.

Zwischendurch ist eine Wüste mit Saxaulvegetation und Tamariskensträuchern, die schon in Blüte standen, zu durchqueren. Dann fahren wir längere Zeit leicht bergab.

Nun wird es sandig und moorig, Bächlein schlängeln sich durch das Gelände. Wir betreten ein Tierparadies: Rostente, Kiebitz, Gambellwasserläufer, Bekassine, Wiesenschmätzer, Blaukehlchen, weiße und gelbe Bachstelzen, Wildschweine, Rehwild, Antilopen, Hasen, Fasanen, Steppenhasen, Nebelkrähen, Elstern, Turmfalken, Buntspechte: All das flattert, badet, rennt, fliegt, springt hier herum und freut sich seines Daseins.

Beick leidet unter Fieberanfällen. Er erhält Chinin. Ich empfange viele Besuche von russischen Kirgisen, die beim Kirgisenaufstand geflohen waren.

Schilfwälder ringsum, soweit das Auge reicht; unübersehbar, schwer beschreitbar für Menschen, beliebte Schlupfwinkel für Raubtiere, die ebenso zahlreich vertreten sind wie die Vogelwelt. Nicht zu vergessen die Räuberbanden, die sich den Gewohnheiten der Tiere angeglichen haben und es fertigbringen, in diesen undurchdringlichen Schilfwäldern zu hausen.

Meist besteht eine solche Bande aus 20 bis 50 Männern, die ausgezeichnet bewaffnet und gewohnt sind, ihr Leben in die Schanze zu schlagen und teuer zu verkaufen. Unerschrockene Kerle sind das, die ihre Operationsbasis mitunter weit drüben in Sowjetrussland haben.

Bereits in Kuldscha war ich vom Dao-tai vor diesen gefährlichen Gesellen gewarnt worden, und unser Begleiter aus San-tai führte jetzt zur Sicherheit gleich zwei Karabiner bei sich. Dabei war es uns von vornherein klar, dass wir einer starken Bande keinen genügenden Widerstand entgegensetzen könnten.

Diese Sumpfniederung hatte es in sich. Zur Bewässerung der Felder wird das Wasser einfach quer über die Straße »geleitet«, sodass zuweilen das, was sich dort Straße nennt, in einen tiefen Morast verwandelt war. Das Einbrechen der Wagen und Pferde wiederholte sich noch manches Mal, mit all der heilsamen, schweißtreibenden körperlichen Last, die diese Arbeit für uns mit sich brachte.

Kurz vor Dschin-huo überall Spuren von alten Wassergräben und Reisfeldern. Bei einem chinesischen »Fort« große kräftige Soldaten.

Beick, der wieder genesen ist, schießt sein Gewehr ein. Schwarze zahme Schweine weiden in der Nähe. Ihr Besitzer erhebt großes Geschrei, da er meint, Beick wolle seine Schweine töten. Aber der Mann ist bald beruhigt.

In der brunnenlosen Stadt – alles Wasser wird aus dem Geröllbett des gleichnamigen Flusses geholt – weilten wir drei Tage lang. Ich nahm dort eine Konstantenmessung vor und bestimmte ferner die Höhenlage der Stadt mit 340 Metern.

Eine nicht erfreuliche Erfahrung machte ich mit dem Kreismandarin von Dschin-huo, der mich sehr unhöflich empfing und die Messungen verbieten wollte. Ich schrieb nach Tihwa an die katholische Mission und bat um Hilfe und Fürsprache beim Generalgouverneur von Sinkiang.

Am 14. April 1926 verlassen wir sehr früh Dschin-huo, überqueren den Ausläufer eines versunkenen, stark verwitterten Felsgebirges und befinden uns bald in einer riesigen, mit Dünengruppen bestandenen Wüste.

Die Salzkruste des Bodens blinkt schmutzig weiß. Aus allen Richtungen wehen die Winde über die trostlose Weite. Daher auch die Unregelmäßigkeit der Dünen.

Im Norden ist die flimmernde Fläche des Ebi-nor zu erkennen, dessen Ufer ein Schilfmeer einfasst. Kumbulak, ein kleines Fort mit wenigen Bewohnern, liegt zwischen gewaltigen Dünen inmitten der Rieseneinöde, 270 Meter ü. d. M. Ohne Verlangen nach Einkehr ziehen wir vorüber.

15. April. In der Gegend von Kumbulak ist der Sand knietief. Die wenigen einsamen Bauten sind fast ganz darin begraben.

Anfangs schafften es die Pferde noch mit voller Kraft, die bis an die Achsen versinkenden Wagen schrittweise durch die Sandwüste zu ziehen, aber nach kurzer Zeit schon ging es einfach nicht mehr weiter. Versuchten wir durch Schieben nachzuhelfen, so sackten wir selbst bis über die Knöchel ein und stießen uns die Füße durch die Schuhe an den spitzen Steinen blutig.

Wir mussten schließlich immer alle vorhandenen Pferde vor einen Wagen spannen, den anderen also stehenlassen und nachholen. Diese »Etappen«-Fahrt kostete ungeheuer viel Zeit.

Die Lastkarren, die 3000 Dschin, d. i. 4500 russische Pfund, schleppen, spannen oft bis 15 Pferde vor. Bei Regen sind die großen Salzflächen aufgeweicht. Der dadurch entstehende Sandbrei ist so zäh, dass die Wagenführer es vorziehen, mit der Weiterfahrt zu warten, bis die Straßenoberfläche wieder trocken ist.

Das Schlimmste ist der Mangel jeglichen Wassers, der uns die Weiterfahrt zur Qual machte. Aber wir mussten durch, denn wehe der erschöpften, halb verdursteten Karawane! Sie wird von den erstklassig berittenen kleinen Räuberbanden der Wüste unbarmherzig angegriffen und niedergemetzelt.

Der größte Teil der eigentlichen Wüstenwanderung stand uns aber noch bevor. Würden wir überhaupt durchkommen?

Wir wussten zwar, dass die Chinesen, die ja ganze Karawanenstraßen durch die Gobi angelegt haben, in bestimmten Zwischenräumen für Zisternen gesorgt haben. Wir wussten aber auch, dass ein Teil der Oasen durch die ständig wandernden Sandmassen zum Versiegen gebracht wird und einfach vom Erdboden verschwindet.

Außerdem muss man täglich eine ganz bestimmte Zahl von Kilometern zurücklegen, ehe man die vereinzelten Oasen erreicht! Schafft man dieses Pensum nicht, dann wehe dem Wanderer. Mit erschöpften Menschen und Tieren weiß man aber im Voraus nie, ob man bestimmte Strecken täglich schafft. Mit ernsten Bedenken sah ich daher dem nächsten Teil unserer Fahrt entgegen.

Im Piket Tograk-tschasy finden wir einen kleinen Brunnen mit salzigem Wasser. Ein russischer Emigrant mit schwerer Stichwunde im Oberschenkel bittet mich um Beistand.

Schon in aller Morgenfrühe hat sich uns ein mohammedanischer Eseltreiber angeschlossen. Solche Weltreisenden sieht man hier öfter. Ihr Hab und Gut ist in ein bis zwei Säcken quer über den Eselrücken geladen. Auf diesem hockt der Besitzer, dessen Beine fast bis zur Erde baumeln. Rücklings sind noch Proviantsack, Teekanne und Wassergefäß angeschnallt. Zur Abwechslung marschieren die »Eselritter« auch zu Fuß. Sie legen erstaunliche Strecken zurück, Strecken, die wir tagelang im D-Zug durcheilen würden.

Auf Spurenweite der »Arbas«, der chinesischen Lastkarren (etwa 2,25 Meter) über staubige Straßen, durch verstopfte Hohlwege, wo ein Ausweichen unmöglich ist, arbeiten wir uns am 16. April weiter bis nach Ta-tschosy durch, 430 Meter hoch gelegen.

Auf wüsten, sandigen Strecken gedeihen noch hohes Gras, »Tschyi«, und Dornensträucher.

Kurz vor Ta-tschosy treffen wir eine Wasserader mit umfangreichen Schilfwäldern. Die Borochoro-Kette ist jetzt klar in ihrer ganzen Mächtigkeit sichtbar: 3000 Meter hohe Bergrücken und eisgepanzerte Felsriesen. Ein hochalpiner Eindruck!

Am 17. April überqueren wir ein drei Kilometer breites Geröllbett des Epte. Zwischen Dschungeln und Baumgruppen, Tamariskensträuchern und Dornengestrüpp geht es zum Piket Talldyk.

Beick erlegt einen Putorius-Alpinus-Gabler. Dessen Begleiter lief zum toten Kameraden, zerrte ihn, packte ihn schließlich am Genick, um mit ihm im Dickicht zu verschwinden; auch er wurde abgeschossen.

In Talldyk muss ich neuen Pferdeproviant kaufen. Wir fahren weiter durch Schilfwälder. Am Horizont stehen sie in Flammen.

Da wir in Sigoschur, einer kleinen Ortschaft mit Piket, kein Wasser finden, geht es weiter bis zum Fluss Dschirgilty, dessen zweigeteiltes Bett fast ausgetrocknet war. Hier befinden wir uns 500 Meter über Meereshöhe. Im Dschungel schlagen wir das Lager auf. Hasen, Fasanen, Rehwild, Wildschweine, Wölfe sind unsere Nachbarschaft. Wir erbeuten drei Eier eines Steppenadlers.

Herrlich waren die Abende im Lager, das wir fast immer in der Nähe einer Quelle oder, wenn diese fehlte, eines Tümpels aufschlugen. Da war es kühl, und wir konnten unsere während des Marsches vom Sonnenbrand ausgedörrten Glieder ausstrecken und ein wenig Luft schöpfen. Dunkel waren diese Nächte, aber am Horizont leuchteten überall hell die Flammen der Schilfbrände auf, und gewaltige Rauchschwaden zogen, vom Wind getrieben, tief über die Landschaft dahin. Die Dsungarei3, in der wir uns befanden, ist ein abflussloses, wüstenartiges Hochland mit schlechter Erde. Die mongolischen Bauern müssen schwer arbeiten, um ihr elendes Leben zu fristen. Und was sie gewinnen, wird ihnen von den Räuberbanden abgenommen, die dem Prinzip huldigen, andere für sich arbeiten zu lassen.

Mitten in der Nacht wurden die Pferde häufig unruhig, weil sie Raubtiere witterten, Panther, auch Tiger und Wölfe, die unglaublich frech sind und, wenn sie Hunger haben, zumal im Winter, nicht davor zurückschrecken, in ein Lager einzubrechen und selbst Menschen anzugreifen.

Bis Schi-cho überqueren wir mehrere sanfte Höhenzüge mit morastigen Tälchen dazwischen und passieren das Piket Kur-tu.

Weiter bergauf, bergab! Die Strauchvegetation der Steppenwüste ist verschwunden. Die Geländeformen werden mächtiger. Vor uns liegt nun wellige Steppe.

Bei Schi-cho beobachten wir einen hohen Staubwirbel. Oft sieht man auch drei bis vier solcher Windhosen nebeneinander. Meist sind sie schräg, zuweilen auch kerzengerade.

 

Schi-cho hat vor den Toren einen muselmanischen Friedhof mit sauber gehaltenen, weiß getünchten Grabdenkmälern. Innerhalb der Stadtmauern dürfen wieder nur Chinesen wohnen. Hier gabelt sich der Weg nördlich nach Tschugutschak und dem Altai, östlich nach Tihwa.

Von Tschugutschak kann man Semipalatinsk in zwölf Stunden erreichen. Seit 1. März 1926 geht der Außenverkehr über Tschugutschak–Bachty–Semipalatinsk.

Der chinesische Kreismandarin des neuen Bezirks, Wu-su-chja, stellt sich ein und fragt höflich nach meinen Wünschen. Hier weht scheinbar ein besserer Geist als in Dschin-huo. Der Mandarin sendet mir nützliche Geschenke: Heu und Kauliang für die Pferde und Holz zum Kochen. Auch stellt er mir Soldaten als Diener zur Verfügung.

Wieder einmal arbeitet das Gerücht! Hier sagt man, ich suche mit meinen Instrumenten nach Gold und Silber. Außerdem aber – ich komme ja aus Russland! – hätte ich die arge Absicht, Karten und Pläne für die Russen aufzunehmen.

Mitten in der Nacht wurde mir Besuch aus Kuldscha gemeldet. Ich konnte mir wirklich nicht denken, wer mich um solche Stunde sprechen wollte. Es war ein Lette. Im Schutz der Nacht, damit ihn niemand beobachtete, kam er, um mich vor den Chinesen zu warnen. Er sagte, meine Messungen hätten die Eingeborenen in Wallung gebracht, man überwache mich bei Tag und Nacht. Die Stimmung gegen mich sei durchaus feindlich; ich möge mich vorsehen. Solche Warnungen darf man natürlich nicht in den Wind schlagen; doch sie waren unnötig, denn ich kannte schon lange die Gefühle, welche die misstrauischen Chinesen dieser Gebiete gegen mich hegten, und richtete mich danach. Meine Messungen wurden jetzt nur noch während der Nacht durchgeführt, und zwar derart, dass mir niemand zu nahe kommen konnte. Und doch fühlten wir alle hinter jedem Baum und Strauch, hinter jeder Wand und Tür die kontrollierenden Augen eines Spähers auf uns gerichtet. Auch machten die wachsamen Hunde der nahen Kirgisenzelte jedes Mal gewaltigen Lärm, wenn meine Beobachtungslaterne aufleuchtete.

Es ist wahrlich kein Vergnügen, unter solchen Umständen verantwortlich zu arbeiten. Doch was waren solche Nadelstiche im Vergleich zu den entnervenden Wüstenmärschen! Abwechslung hatten wir ja genug, bald kamen waldige Stellen, dann riesenhafte Geröllfelder, wo man kaum treten konnte, ohne abzurutschen, dann wieder Steppen, Wüstenstriche und Gebirge! Diese sind zerrissen und zerklüftet, und die reißenden, rasend dahinbrausenden und unten in der Wüste versandenden Gewässer sind gefährlich.

Über bebautes Flachland fahren wir am 21. April weiter nach einer steil abfallenden Hochfläche, die von breiten Geröllbetten durchfurcht ist. Wir nächtigen in Kui-tung, einem kleinen, in Schilf gebetteten Gehöft auf weiter Ebene. Höhenlage 420 Meter.

Vom nächsten Tag an kommen wir bis Kui-lun durch Baumvegetation, über gewaltige Steppen, die mit Artemisia (Beifuß) bewachsen sind. Stellenweise sieht man junges Gras. Der ewige Staub ist hier angenehmerweise durch Regen gelöscht.

Mitten in einer Steinwüste liegt das Piket Syoch-li-dschinsa. Später haben wir einen gewaltigen Schutthang des schneebedeckten Borochoro-Gebirges zu überwinden. Dann hinab in ein breites Tal mit Vegetation und wieder einen breiten Rücken hinauf, der ganz mit Rüstern und Sträuchern bedeckt ist.

Überraschend wirkt nach so viel einsamer Landschaft Jan-tschikai, ein kleiner, betriebsamer Ort an ausgetrocknetem Fluss. Die Brunnen geben uns freilich nur wenig und schmutziges Wasser. Wir müssen also wieder einmal das Lager verlegen. Zehn Kilometer weiter finden wir in einer Meereshöhe von 460 Metern einen geeigneten Platz zwischen Rüstern, nahe einem chinesischen Grabdenkmal.

Dort treffen wir einen Herrn der Russisch-Asiatischen Bank, namens Achmatoff, der von Tihwa nach Sowjetrussland zurück will.

Er erzählt, dass der Personenverkehr Tihwa–Hami gesperrt, in Tihwa mobilisiert und strenge Kontrolle Zureisender ausgeübt werde, dass ferner kurz vor Tihwa ein Offizierposten eingerichtet sei, der alle Reisenden aufs Genaueste untersuche.

Dieser Posten habe erst kürzlich in Gegenwart anderer chinesischer Beamten eine russische Dame bis aufs Hemd visitiert und ihr die vorgefundenen Briefe abgenommen.

Außerdem höre ich hier, dass seit Monaten in Chotan der amerikanische Maler Roerich auf Befehl des Generalgouverneurs festgehalten wird. Er darf kein Bild malen und nichts photographieren!

Über mich gehe in Tihwa das übliche Gerücht, ich sei mit Landvermessung beschäftigt. Es stünden mir daher eine scharfe Untersuchung bevor und Konfiskation meiner Messungen.

Schöne Aussichten! Aber Bangemachen gilt nicht. Ich erfahre übrigens noch, dass ich in Manaß Pater Hilbrenner von der katholischen Steyler Mission treffen werde.

Nach einem Rasttag reisen wir weiter durch Rüsternwald, durch Hügelgelände mit großen Formen, niedrigem Gras und Saxaulsträuchern und erreichen den Ort Santagose.

Unterwegs hängt der Telegraphendraht oft bis auf den Boden. Wagen fahren darüber hinweg.

Ein großer Teil der Ortseinwohner sind Muselmänner. Mit Wasser ist’s wieder sehr schlecht bestellt. Wir müssen es einem Tümpel mit grünlichem Schlamm entnehmen, in dem sich viele Schweine tummeln.

Bis Ulan-ussu Rüsternbestände, kleine Gehöfte, großer Friedhof.

Am 25. April 1926 geht die Fahrt bis Manaß (chinesisch Sulai) über Felder und durch Rüsternhaine, über fruchtbare Steppe, an einer chinesischen Papierfabrik vorbei. Wir überschreiten den Hauptarm des Manaß-Flusses in breitem Geröllbett. Dieser Fluss, an dem die Stadt Manaß liegt, verschwindet weiter nördlich im Telli-nor, um nie mehr aufzutauchen. Er sieht harmlos aus, ist 25 Meter breit und nur etwa 1,3 Meter tief. Sein Gefälle ist jedoch so stark, dass jedes Pferd, sobald es im Wasser das Gleichgewicht verliert, rettungslos fortgeschwemmt wird. Menschen, die hineinfallen, sind verloren. Daher haben die Chinesen für den Übergang sehr breitspurige, karrenartige schwere Wagen konstruiert, die von mehreren Pferden gezogen werden. Die Reisenden liegen auf der Plattform. Im Frühjahr und im Herbst, wenn viel Wasser vom Gebirge stürzt, werden selbst diese Karren samt Pferden und Reisenden manchmal talab geführt, und während der Schneeschmelze ist es überhaupt unmöglich, den Manaß zu durchqueren.

Die Stadt hat etwa 15 000 Einwohner und dreifache Stadtmauern. Hier gewinnt man einmal einen freundlichen Eindruck. Es findet gerade ein Volksfest statt. Alles ist mit chinesischen Fähnchen geschmückt: Zeichen erwachenden Nationalsinns.

Nach weiteren fünf Kilometern kehren wir in der katholischen Missionsstation ein. Sie liegt inmitten schöner Baumgruppen und erzeugt einen herrlichen Weißwein, der an den Haut Sauternes erinnert. Pater Hilbrenner, ein prächtiger Deutscher, stammt aus Hannover; er ist ehemaliger Kriegskämpfer, groß, mit blondem Vollbart. Er beruhigt mich wegen der Missstimmung in Tihwa und versichert mich jeder Hilfe durch die Steyler Mission. Hier ist eine überaus wohltuende Rast auf so strapazenreicher Reise. Die frommen Väter haben uns überall mit rührender Gastlichkeit aufgenommen. In Manaß nehme ich eine Hauptmessung vor. Die Höhe der Station wird mit 460 Metern bestimmt.

Muselmanische Chinesin; Hami (Foto: Wilhelm Filchner)

Pater Hilbrenner gibt mir für den Notfall seine Besuchskarte mit. Er kann selbst nicht mitreisen, da mit dem Ableben einer Waisenhausschwester zu rechnen ist. Er fordert jedoch seinen Amtsbruder, den Holländer Veldman in Tihwa auf, mir entgegenzureisen und meine Expedition unter seine Fittiche zu nehmen.

Seit Schi-cho war das Misstrauen der Chinesen gegen meine Expedition derart gewachsen, dass man schon von Hass sprechen konnte. Jeder Zopfträger witterte in mir einen Abgesandten einer feindlichen Macht, und ich konnte ihnen nur schwer das Gegenteil beweisen.

Am 29. April treten wir den Weitermarsch an: über Ly-sü-ei und Luo-to-ji, auf bebautem, lehmigem Boden mit Rüstern an den Grabenrändern. Wir begegnen Hunderten von Dunganen, die nach dem Altai reisen. Zu Fuß oder auf Eseln reitend ziehen sie dorthin, um Gold zu waschen.

In Tuchulu neue Messung. Die Chinesen begegnen uns höflich. Wie es scheint, die Wirkung eines Befehls vom Generalgouverneur zu meinen Gunsten.

Chinesisches Kindermädchen; Sining-fu (Foto: Wilhelm Filchner)

Bis Chu-tu-be (500 Meter ü.d.M.), das wir am 30. April erreichen, haben wir gute Fahrt. Die Gegend ist stark bevölkert. Wiederum kreuzen viele Dunganen auf dem Weg nach dem Altai unsere Straße. Gut bebautes Land, sehr geschickt bewässert.

Am 1. Mai erblicke ich zum ersten Mal den ungefähr 4000 Meter aufragenden Gipfel des Bogdo-ola.

Wir machen einen Tag Rast, der mit Messungen ausgefüllt ist. Neben dem Bogdo-ola erscheinen drei spitzige Bergriesen, auf deren an Felszacken und Klippen reichen Flanken mächtige Gletscher leuchten. Der Zivilmandarin zeigt sich sehr höflich und sendet mir Geschenke.

Als es am folgenden Tag weitergehen soll, behandelt Iwan die Pferde töricht. Sie schlagen die Wagen teilweise entzwei und zerstören die Zugseile. Es gibt nun wieder eine langwierige Reparatur mit obligatem Geduldverbrauch.

Auf dieser Tagesfahrt höre ich den ersten Kuckucksruf seit langer, langer Zeit. Wir sind in belaubter Gegend, kommen bis Dsang-dschi (630 Meter ü. d.M.), an Ruinen, Gehöften und Dörfern vorüber.

General Ma, Führer der Mohammedaner im Aufstand gegen die Truppen des Marschalls Feng; Sining-fu (Foto: Wilhelm Filchner)

Noch einmal stoßen wir auf viele goldhungrige Dunganen, die nach Norden wandern.

Der Verkehr steigert sich. Große Wagen, hoch bepackt mit Getreide, Heu, Klee, fahren auf Tihwa zu. Oft ist ein Stangenpferd mit drei Ochsen zusammengeschirrt.

Kurz vor Tihwa treffen wir vollkommenen Wüstencharakter; dann und wann sind kleine Oasen mit etwas Buschwerk eingestreut. Hier haben sich Landleute angesiedelt und treiben Ackerbau, aber die Ernte ist gering. Opiumfelder sind in dieser Gegend überhaupt nicht vorhanden. Als ich die Eingeborenen darüber befragte, erfuhr ich, dass der Generalgouverneur von Sinkiang den Anbau von Opium bei Todesstrafe verboten habe. Einige Mönche, die nicht recht an dieses Verbot glauben wollten und in schwer zugänglichen Schluchten Opium angebaut hatten, waren just vor unserem Eintreffen gefangen genommen und kurzerhand geköpft worden. Trotz aller Verbote und Drohungen wissen sich aber die leidenschaftlichen Opiumraucher und Opiumesser ihr geliebtes Gift zu verschaffen, das aus Russland über die Grenze geschmuggelt wird.

In Dsang-dschi begrüßt uns Pater Veldman. Der hochherzige Mann war am 3. Mai über Da-di-wa-tu vorausgefahren, um sich zu orientieren, da er wusste, dass dort ein Militärposten stand, dem die Kontrolle über Reisende oblag.

Bald aber musste er mir die wenig erfreuliche Mitteilung hinterbringen, dass mein Gepäck – entgegen der vom Gouverneur gegebenen Zusicherung – sofort untersucht werden solle, und zwar durch einen eigens hierher entsandten Offizier.

Der Pater war sehr ärgerlich und hatte dem Offizier erklärt, dass er dies nicht zulassen werde, und dass er für mich bürge.

Inzwischen waren wir nach der Ortschaft gekommen, wo sich mir der zuständige Offizier vorstellte. Ich gab ihm mein Grenzempfehlungsschreiben von der Chinesischen Gesandtschaft in Berlin. Auch meinen Pass vom Dao-tai aus Kuldscha wies ich vor.

Daraufhin bat der Offizier höflich, Wagen und Gepäck wenigstens von außen betrachten zu dürfen, was ich gestattete. Bald darauf kam vom Stationskommandanten die telephonische Verfügung, ich dürfe weiterfahren. Die Untersuchung des Gepäcks würde erst in Tihwa in der katholischen Mission erfolgen.

Strömender Regen. Noch einige feuchtgraue Stunden, und wir konnten in Tihwa, der Hauptstadt Sinkiangs, einziehen ...

3 Von den Chinesen in der Zeit von 1756–1759 unterworfen.