Das Mitternachtsschiff

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Die Wolken lockerten auf, für Augenblicke lagen die Schiffe im Licht.

»Seht! Seht! Re ist mit ihnen!« Der Ruf wurde zum Gebrüll der Menge. Der Schreiber des Siedlungsverwalters hatte Libyens Umrisse in den Sand gezogen. Rücksichtslose Füße löschten sie aus.

„Passt doch auf, ihr Schakale. Zertrampelt Kemet!«, rief er.

»Kemet ist das?«, empörten sich die Umstehenden. »So klein? Das passt ja zu Libyen wie ein Haar zur Glatze des Priesters. Die Zeichnung ist ein Fladen! Dem haben sidonische Hunde die Kenntnisse ins Ohr gepisst! He, warum machst du Kemet so klein?«

»Wie lange fahren sie um den Fladen? Was, das weißt du nicht? Und was ist auf der anderen Seite?«

»Die Geketteten laufen so langsam, dass ihnen die Vögel auf die Köpfe scheißen.«

»Gott Re hat die Expedition gesegnet. Habt ihr seinen Gruß gesehen?«

»Ja. Er leuchtete auf die Krummnasen!«

Hoch über den Lärmenden stieg ein Falke in den Wind, glitt nach Süden und vereinte sich über dem Meer mit dem Himmel.

»Der Königsvogel! Ein Zeichen! Horus ist mit euch! Er fliegt voran!« Hunderte Arme hoben sich als Gruß an die Schiffe.

»Pharao! Der Erhabene kommt!«

Soldaten bahnten eine Gasse, die Menschen warfen sich zu Boden. In der Sänfte saß Ptah-hotep, blickte durch einen schmalen Spalt und verzog verächtlich den Mund, als er den Admiral erkannte, der sich tief vor ihm verneigte. Er nahm das Leinen beiseite, deutete seinen Segen an und sprach altkemetische Worte, die der Sidoner nicht verstand und als Gruß des Pharao aufnahm.

Das Volk umlagerte die Marktstände. Eilige Finger schoben das Kupfer über die Planken und griffen nach Fladen und Bier. Die Ruderer dösten in den Bänken. Weinende Bauern klammerten sich an die Wandung, die vergangenen Jahre beherrschten ihre Seelen.

»Sat-apis, meine Frau! Ich komme wieder. Sage das den Söhnen von Bes, ihrem Vater.«

Wächter sorgten für einen stummen Abschied, der sidonischen Mannschaft hatten die Nächsten bereits in der Heimat eine glückliche Wiederkehr gewünscht.

Der Gong der Kemet tönte in die Gassen und trieb die Menschen zum Strand. Auf einem Schild wurde Ptah-hotep über das Ufer getragen. Bitten an Hathor um eine glückliche Fahrt, letzte Grüße und manchen Fluch schrie das Volk über das Wasser. Die Pauken begannen den Ruderern das Maß zu schlagen. Die Schiffe drehten zum Meer. Die Menschen standen mit offenen Mündern, die Worte aber blieben nun ungehört. Der Admiral Abdi-ashirta blickte auf ferne Wolkenberge im Abendhaus, unter denen Menfe lag, die Stadt des Pharao. Und die Stadt Nefeheres .

Langsam fuhr die Flotte den Wolken nach, die Segel im Wind, von dem jeder der Männer erhoffte, dass nicht das Maul des dem Tod verbundenen Anubis ihn herbei blies. Die Ruder bewegten sich im langsamen Schlag der Pauken, deren Klang hatte sich nun das Meer geholt. Plötzlich war der Lärm am Strand verstummt, selbst die Händler starrten mit ruhigen Mündern den Schiffen nach, ihre vordem fuchtelnden Hände auf die Verkaufsplanken gestützt. Re stand zwischen den Wolken, nach dem verhangenen Himmel der letzten Stunden schien er nun die Zweifel von gestern verbrennen zu wollen, so hart empfanden die Menschen die Glut dieser Mittagsstunde. Nichts war wie vor Tagen, nicht für die Besatzung, nicht für die Menschen der Siedlung, die fast zweihundert Seeleute auf ihren einsamen Weg verabschiedet hatten und erst jetzt in der Stille unter dem blendenden Himmel die Größe des Augenblicks erfassten. Djedkares Weib kniete sich in den Sand und schrie nach ihrem Mann, die Schiffe aber tauchten ein in Wolken und Meer, nur die Segel blieben kurze Zeit noch als purpurrote Punkte über dem Horizont.

Wortlos ließ Ptah-hotep sich zu seinem Gefährt tragen, der Hass dieses erbitterten Feindes der Expedition ließ keinen Gruß über die Lippen. Kerifer-Neith wandte den Blick von der Sänfte zum Abendhaus, in dem die Götter lebten. »Jetzt beginnt meine Zeit«, flüsterte er. »Admiral, die Welt wird sich uns zu erkennen geben.«

Mit heftigen Bewegungen riss ein Junge am Umhang seiner Mutter. Die Frau trug das feste Leinen der alten Zeit, durchsichtige Stoffe waren seit der Herrschaft Psammetichs verpönt. »Was willst du, mein Kleiner?«, fragte sie.

»Ich will Seemann werden!«

Kerifer-Neith ging zu ihm. »Komm in fünf Jahren zum Tempel der Neith und frag nach seinem Oberpriester!«

Die erschrockene Kemetin verneigte sich und bat um Vergebung für die Aufdringlichkeit. Sie tat es wieder und wieder, bis die Wachen sie wegzerrten.

»Ihr versteht nichts!«, schimpfte der Priester. »Die Worte des Kindes sind Kemets Zukunft«.

Die Menschen gingen zu den Häusern, stiegen auf die Dächer und blickten aufs Meer. Ruhig trieb das asiatische Haus die Wellen an den Strand, ein letzter Gruß der sidonischen Heimat für ihre an den Felsufern des Lazurwassers entlang in eine unbekannte Zukunft ziehenden Söhne.

Kerifer-Neith bat seine Göttin um die Wiederkehr der Schiffe, und er bat um das Leben ihres Admirals. Er stand vor der Truhe mit den letzten Dingen Abdi-ashirtas und befahl seinen Bediensteten, sie auf das Landgut Ift-ar zu bringen. Er ging durch den großen Raum im Erdgeschoss dieses Hauses, das nur für den Augenblick gebaut worden war und wohl bald eine der Zufluchten für jene wurde, die in der Werftsiedlung ihr Glück suchten und ohne eigene Wohnstatt waren.

Kerifer-Neith stieg auf das Dach, wie es die anderen Bewohner auch getan hatten und blickte nach Süden. Vor dem kemetischen Priester, dem Astronomen und Geografen Kemets, lag ein gleichgültiges, einsames Meer.

3

Abdi-ashirtas Hand glitt über das getränkte Holz der Heckwandung, er roch das Öl des neuen Schiffes. Die beiden Steuerleute neben ihm hielten die Kemet mit ruhigen Bewegungen auf Kurs. Lange Stunden fuhren sie schon auf dem offenen Meer. Diese Tage und Nächte am Beginn einer Fahrt nahmen der Mannschaft die Verbundenheit zum verlassenen Land. Abdi-ashirta dachte an einen Grabspruch, den Kerifer-Neith für ihn zitiert hatte.

Schüttle den Staub von deinem Fleisch,

mach dich auf den Weg in die Unendlichkeit.

Das niedere Schiffsvolk war nicht fähig, allein an fremden Ufern entlang zu fahren und musste sich den Befehlen der Oberen unterwerfen. Das Lazurwasser hatte sich die Siedlung mit ihrem lärmenden Volk genommen, doch schickte die Küste den Seeleuten ihren Wind nach und erleichterte ihnen die Arbeit. Der Admiral hatte darauf bestanden, die Segel purpurn zu färben, zum Leidwesen Kerifer-Neiths, den der Kauf der teuren sidonischen Schneckenfarbe bald gereut hatte. Das rote Tuch trieb die kleine Flotte voran. Abdi-ashirta blickte über die Menfe nach Osten. Er wusste, dass sich hinter dem Wasser über ungemessene Iteru ein trockenes Land ausbreitete, irgendwo von den babylonischen Flüssen durchzogen, die in einem Meer starben, das für Sidonien die Straße in die von assyrischen Überlieferungen beschriebenen Länder hinter den gewaltigen Bergmassiven war. Hir-Rectars Vertraute hatte ihn lange Tage unterwiesen, die Völker der libyschen Küste nach neuen Routen zu fragen. Sie hatten ihn sogar aufgefordert, einen Erkundungstrupp nach Kusch zu schicken. Als er Kerifer-Neith in der Werftsiedlung eine Andeutung davon gemacht hatte, riss der ein Bord von der Wand und schleuderte es auf den Boden. Abdi-ashirta verstand auch ohne Worte. Diesen Weg werden andere finden, und ohne Nechos Kanal werden es keine Sidoner sein. Er drehte sich zum westlichen Haus. Von seinem Ufer waren Menfe und Neferheres Villa drei Tagesmärsche entfernt, doch den Weg in die Lotosblüte und in die Stadt Ptahs gab es für ihn nicht.

Der sanfte Fluss zieht an dem Stein vorbei, auf dem meine Liebste sitzt.

Sie hat die Frage gefragt, wann ich von meiner Reise wiederkehre.

Zähle die Wassertropfen, die Gott Hapi schuf.

Zähle die Blätter an den Weinstöcken deines Vaters.

Zähle die Vögel im Wind, wenn sie das Südliche Haus suchen.

Kennst du die Zahlen, weißt du …

Das Lied starb im Zorn des Zweiten Admirals. Einer der Steuerleute hatte sein Ruder zu locker gefasst, sein Ellbogen traf Abdi-ashirta an der Brust.

»Herr, verzeih!«, rief der erschrockene Mann. »Er hat so schön gesungen, so schön. Ich habe geweint, weil ich an mein Mädchen gedacht habe.«

»Zimri-da!«, rief der Admiral. Es war zu spät. Sein Vertreter riss dem Sänger die Laute aus den Fingern und zerschlug sie auf dessen Kopf.

»Ruderer rudern! Sie singen keine Gesänge!« Die Worte verrieten Zimri-das Erregung.

»Pabener! Bist doch kein Blinder! Singst, als hättest du die Tränen von hundert heulenden Weibern getrunken!«

»Zupfst auf dem Ding wie ein Günstling!«

»Bist was Besseres, was, du Hofmusikant!«

»Stopf dir die Laute in den Arsch, dann spielt der die Lieder!«

Die Männer johlten und riefen dem Sänger ihre Spottworte über das Schiff. Abdi-ashirta ging zu dem Ruderer. In den Augen Pabeners stand Wasser, er hockte auf dem Boden, die zerstörte Laute neben sich.

»Sie ist aus Babylon, ein letztes Geschenk meines Vaters.« Abdi-ashirta strich mit den Fingern über den Resonanzkörper aus Schildkrötenpanzer und den Gänsekopf, der das Griffende zierte. Pabener drückte seine Lippen auf das Instrument und warf es über Bord.

»Ich singe nun meine Lieder ohne sie. Ich war doch zu dieser Stunde frei vom Ruder.« Er sah zu Zimri-da und schüttelte den Kopf. Abdi-ashirta versuchte ihn zu trösten und die Tat seines Vertreters zu erklären, doch die Worte gingen nicht in die Ohren des Sängers.

 

»Eines Tages hören sie zu. Zweimal habe ich auf einem Boot gesungen, das der Hapi in die Lotosblüte trug. Fünf Schiffe drehten heran, damit man mich besser verstehen konnte.« Er sang erneut, dieses Mal in alten kemetischen Worten, die er sehr leise sprach, dass kaum der Mann neben ihn in der Bank sie zu hören vermochte. Mit Mühe verstand der Admiral die schweren Verse über eine Seereise nach Punt. Er beugte den Kopf zu Pabener und konnte den Sinn nicht glauben, der aus dem Lied sprach. Es war die Klage von Männern, die Bauteile eines Schiffes vom Hapi in das Lazurwasser trugen, um Weihrauch aus diesem Land zu holen.

Wund sind unsere Füße vom Weg, den du uns schickst.

Noch sehen wir nicht die Stadt am Meer, doch wir dienen dir gern,

schöne Göttin Hatschepsut.

»Pabener!« Zimri-da ließ die Peitsche im Gürtel. Pabener war ein Freier, und der Admiral stand neben ihm. Das Lied brach ab. Der Ruderer bückte sich und nahm seinem Nebenmann die Arbeit, obwohl die Zeit dafür noch nicht gekommen war. Abdi-ashirta stieg zum Heck zurück und blickte über das im Lichte Res gleißende Wasser zum Ufer der Abendseite, das an diesem Tag nichts weiter war als eine sanft geschwungene, kaum wahrnehmbare Silhouette aus Sand und Fels.

Sie machten gute Fahrt, so hatten es Hir-Rectars Erdkundige voraus gesagt, die Strömung und Wind bis zum Ende der bekannten Welt als günstig schätzten. Er maß den Sonnenstand, wie Kerifer-Neith es gewünscht hatte, rollte einen Papyrus auf die Planken und schrieb seinen ersten Eintrag. An welcher Küste mochte die Kemet wohl fahren, wenn seine Zeichen den unteren Rand erreicht hatten? Die Bauern am Hapi schnitten bereits den Emmer, die Gelehrten in Zor hatten ihn mitteilen lassen, dass diese Zeit des Beginns zu spät sei, doch fehlte im Frühsommer noch ein Drittel der Ruderer.

»Pabener, weißt du mehr über Punt?«

»Ich weiß nur, was ich singe, Herr.«

Im Lied war von dem geweihten Tal gesprochen, das die toten Könige aufnahm. War Ueset der Ort, an dem die alten Seefahrer den Hapi verließen und ihr Schiff zum Lazurwasser trugen? Die Fahrten nach Punt um Weihrauch, dem Nebel der Götter! Hatten auch damals die Sidoner den Kemeten geholfen, wie Hir-Rectar es wusste? Der Gedanke entglitt, die Zeiten stimmten nicht. Als König Hiram Sidoner nach Punt schickte, war Hatschepsut längst in der westlichen Welt. Warum lebten die Fahrten nach dem Süden nicht in der Erinnerung weiter wie in Pabeners Lied? Oder lagen sie vergessen in den Gräbern des Wissens unter Zors Berghängen, geschützt vor den Augen der Feinde? Vor acht Königsgeschlechtern waren Kemeten nach Punt gefahren! Vor vielhundert Sonnenläufen! Der Admiral sah erneut zur Abendseite, seine Fantasie ließ ihn durch das karge Land zum Hapi ziehen, dessen Wasser zwischen grünen Ufern zum Inneren Meer flossen. Er versuchte sich Inu vorzustellen, die Siedlung im Süden, deren Namen das Lied erwähnte.

Und sie brachen auf,

das Schiff auf den Schultern,

die Hoffnung im Herzen.

Vier Tage Marsch zum Lazurwasser. Er wusste, dass dort einst Siedlungen lagen, die als Stützpunkte noch heute unwegsame Küstenregionen bewachten. Seine Hände pressten den Leib. Die Erregung hatte zu einem Krampf geführt. Paros, der Arzt, stolperte mit den Bewegungen der Kemet zwischen den Bänken hin und her, redete auf die Ruderer ein, gleich ob Freier oder Sklave.

»Herr, bitte antworte uns!« Die Steuerleute hatten das dritte Mal gefragt, ob sie wegen der starken Strömung näher zum Ufer halten sollten. Abdi-ashirta befahl dem Rudermeister, die Schlagzahl zu halbieren. Die Männer in den Bänken wechselten die Plätze. Die Schläfer, wie die Abgelösten von den Kameraden genannt wurden, starrten reglos vor sich hin, nahmen einen Schluck Wasser aus den Tageskrügen und lehnten sich stumm gegen das Holz.

Abdi-ashirta blickte in die Gesichter der Männer, die bei vielen schmal waren, mit den gebogenen Nasen von Sidonern. Zeitsklaven aus Gebal saßen neben Unfreien, die ihr erwachsenes Leben fast ausschließlich auf Schiffen verbracht hatten. Die fehlende Hoffnung prägte sie, wurden sie angesprochen, brauchten sie zwei oder drei Atemzüge sich dem Fragenden zuzuwenden. Es gab auch Gesichter, die anders waren als der Admiral sie von seinen Fahrten kannte. Er blickte Janhamu an, den Schlagruderer mit den trotzigen Lippen, dem er das Fleisch an die Brust geworfen hatte und dem er noch in der Nacht diesen besonderen Platz zugewiesen hatte. Neben ihm hockte der Schmächtige mit den breiten Wangenknochen, der bereits in der ersten Stunde der Fahrt von seinen künftigen Feldern und Hainen geschwätzt hatte. Er sah grobe Gesichter, deren Münder unhörbar fluchten, wenn Befehle ergingen. Manchen von ihnen hatten die Tore von Zors oder Sidons Kerkern erst in den letzten Tagen ausgespuckt. In einigen Bänken saßen auch Ungeeignete wie der weißbärtige Alte oder der Kerl mit dem krummen Leib, dessen Zähne denen eines alten Köters glichen. Abdi-ashirta ahnte in diesem Augenblick, da sein Inneres von Pabeners Lied in die Wirklichkeit zurückgekehrt war, dass der Erfolg dieser beispiellosen Expedition und das Leben selbst von den Ruderern abhingen. Abdi-ashirta musterte einzelne Männer, versuchte sich zu erinnern, woher sie kamen, freiwillig oder gezwungen, ob sie Familie hatten, ob sie Verbrecher waren. Er fühlte Unsicherheit, als ihm bewusst wurde, dass er seine Leute kaum kannte. Er bereute es, den Vorschlag Kerifer-Neiths brüskiert zu haben, ihnen Kupferplatten mit den Namen anzuhängen.

»Wer war das, der mein Lied getötet hat?«, fragte Pabener den Schlagruderer vor sich. Janhamu kratzte sich den Bauch. »Weiß nicht. Musstest doch nicht so kreischen! Wir hören es am dritten Tag. Dann sind wir weg vom Hafen und denen ausgeliefert. Ich sehe den mit der Peitsche keinen halben Mond lang.«

»Was?«, staunte Pabener. »Willst du fliehen?«

»Nicht nur ich. Ich hörte noch auf der Werft Gerüchte: Wir fahren nicht weit, dann drehen die Schiffe.«

Abdi-ashirta achtete nicht auf die Ruderer, die beiden Steuerleute schrien sich Hinweise zu. Pabener verschloss Janhamus Mund mit dem Finger.

»Dem müsste man die Peitsche quer ins Maul stoßen!«

Zimri-da hatte die Worte gehört. Er rief einen Soldaten und zeigte auf Talek. »Töte ihn!«

Abdi-ashirta hob die Hand, bemerkte aber die beruhigende Geste seines Vertreters. Zimri-da gab ein Zeichen. Der Soldat legte den nubischen Bogen ab. Mit ungeheurer Wucht hieb er die Lanze zwischen Taleks Beinen in die Planken. Der Ruderer brüllte, dass die Männer auf den anderen Schiffen zur Kemet sahen. Der Soldat ließ die Eisenklinge seiner Streitaxt vor Taleks Gesicht kreisen, deren Umrisse wurden zur Scheibe. In Todesangst warf sich der Ruderer zu Boden und hob flehend die Arme. Der Gardist, eine Elle größer, packte den Zitternden an den Gliedmaßen, drehte sich ein paarmal und ließ ihn los. Die Männer beugten sich zur Seite, ihr Kamerad schlug mit dem Kopf gegen eine Rückenstütze. Das Holz splitterte. Zimri-da nickte dem Soldaten zu, der wieder seinen Platz unter dem Segel einnahm. Der Gestrafte kroch benommen auf seinen Platz.

Abdi-ashirta erinnerte sich an Talek, die Ratte. Von seiner Verschlagenheit erzählte man sich sogar in Zors Spelunken. Kerifer-Neiths Beauftragter hatte ihn für wenig Münzen einem Schiffseigner abgekauft.

Die Soldaten grinsten amüsiert. Abdi-ashirta hatte einmal mit Kerifer-Neith in Menfe ihre Übungen in einer Arena verfolgt. Er wusste, dass sie in der Lage waren, in kurzer Zeit die Mannschaft als Leichen über Bord zu werfen. Sie hatten gelernt mit dem Daumen zu töten. Das wussten auch die Ruderer. Doch sie wussten auch, tötet man sie, tötet man das Schiff.

»Was geschieht, wenn in der unvorstellbaren Ferne die Angst vor der Weiterfahrt größer ist als die Angst vor dem Tod?«, hatte Abdi-ashirta den Priester gefragt. Da waren sie auf halbem Wege von Menfe zum Lazurwasser. Nach Zor war er nur einmal noch gekommen, seinen Aufenthalt hatte er auf die Ämter beschränkt und das Haus im Ostviertel gemieden, denn es gehörte nicht zu diesem Leben.

»Dann bete, Admiral!« Auch Kerifer-Neith hatte auf diese Frage keine Antwort.

Die Männer schwiegen, Talek hing unversehrt in seiner Bank. Die Soldaten schauten gelangweilt in den Himmel, an dem Abendwolken die Schiffe überholten. Die Küste war fern, die Dämmerung hatte sie sich genommen.

Abdi-ashirta befahl Halt. Die Männer zogen die Ruder hoch und ließen ihre Ziegenleder, wie sie die Eimer nannten, mit Tauen herab, holten die halb gefüllten Gefäße ein, verrichteten ihre Notdurft und kippten den Inhalt wortlos ins Meer. Sie freuten sich darauf, am dritten Tag in Ufernähe zu liegen und in flaches Wasser springen zu können. Der Schiffsmeister steckte Teerfackeln in die Halterungen und verteilte Dörrfleisch und Fladen für den nächsten Tag. Die Freiwilligen in der Mannschaft sprachen von jenen Dingen, die sie auf diese Fahrt gehen ließen. Die Sklaven genossen die Ruhe der ersten Nacht und hofften, dass dieses fremde Meer ewig so still bliebe. Manche blickten dem Admiral nach, der zu seiner Kajüte ging, die nur Platz für Tisch und Matte und zwei Truhen bot.

Abdi-ashirta dachte an Neferheres, sie nahm in den letzten Atemzügen vor dem Schlaf die Gesichtszüge einer seiner Haushälterinnen an.

IV
Ich schürte den Hass!
Ir-nim
1

»Einen Weg für den Admiral! Platz für den Admiral!« Die Syrer schoben zwei Tuchflicker beiseite. »Der Admiral kehrt auf sein Schiff zurück!« Zimri-das schlug seine Peitsche gegen die Wandung. »Jedermann auf den Schiffen kennt die Offiziere. Seht sie als eure Herren an, oder der Tod wird euch finden!« Noch einmal knallte die Peitsche, dann war das Ritual beendet.

Unter dem Gejohle der Ruderer wurden die Segel gesetzt. Die Schiffe entfernten sich in schneller Fahrt von der Küste.

Der Admiral lehnte sich gegen die Kajütwand. Er fühlte sich gut an diesem dritten Tag. Der Sud, den ihm Paros, der Arzt, gab, beruhigte den Leib. Sein Blick fiel auf den hellhäutigen Mann neben Janhamu, dem Schlagruderer. »He, du bist doch ein Grieche wie Paros! Wie heißt du?« Er verstand den schweren Namen nicht und lachte. »Mein Arzt nennt sich nach der Insel, auf der er lebte. Ich rufe dich auch nach deinem Ort. Woher kommst du? Von Pylos? Pylos. Du heißt für mich Pylos.« Er stieß Horudja an, den Kemeten. »Komm mit Gelehrter, schreibe die Namen der Männer auf.«

»Aber … das ist nicht üblich … Herr.«

»Horudja!«

»Verzeih Herr, verzeih mir!« Der Gelehrte zog einen Papyrus aus dem dicken Gurtbeutel. Die meisten Männer blickten nicht auf, als der Admiral vorüber ging, doch er sah auch Augen, die keine Demut zeigten. »Viele tragen Ketten, Kemete, siehst du das?« Sakinu, der Syrer, unterbrach sie. »Herr, der Arzt bittet dich, die Ruhestunde zu beginnen.«

»Mecht-eft, ich bitte dich, die Ruhestunde zu beginnen. Vielleicht wachsen deine Zähne wieder!« Die Männer lachten. Mecht-eft stülpte die Lippen vor und hob den Daumen. »Mascht Schpaß, Talek, mascht Schpaß, du!«

»Mascht Schpaß, Mescht-eft, mascht Schpaß, du«, äffte Talek ihn nach.

Mecht-eft kratzte sich den Kopf. Er war kleiner als Talek, die untere Gesichtshälfte war die eines alten Mannes. Um den Makel zu verbergen, schob er den Mund vor. Er stieß mit dem Knie gegen Sohar, einen Sklaven. »Guck, Bauern! Hocken im Gang. Tun nichts. Glotzen zum Ufer! Gib dem da einen Tritt! Soll woanders sitzen! Hascht Angst? Losch, Schklave!« Sohar trat den Kemeten, die Kette an seinem Fuß klirrte. Der erschrockene Bauer kroch zur Seite. Sohar blickte auf Mecht-eft, der Talek beobachtete, wie der sich nach vorn neigte, den Kopf schwang und sich die Fäuste auf die Knie schlug. Im Rudertakt flüsterte er: »Ayalu. Schildkröte Ayalu.« Er zog die Schultern hoch, um den starken Nacken des Rudermeisters anzudeuten. Mecht-eft riss den Mund auf. »Eine Schildkröte, haha. Ayalu eine Schildkröte!«, zischte er.

»Guck auf seine Muskeln! Wenn der dir die Peitsche aufs Maul schlägt, siehst du aus wie Mecht-eft«, rief der Schlagruderer Janhamu und ging zum Wasserfass. Talek schnitt eine Grimasse. »Der hat Angst vor Ayalu. Ist selber stark wie ein Ochse und hat Angst!« Er blickte sich um. »Passt auf. Jetzt hole ich mir dem sein Amulett und häng es einem der Kemeten um den Hals. Der blöde Bauer stirbt vor Angst.«

 

In der Nachbarbank saß ein weißbärtiger Ruderer, über seiner Brust hing das Zeichen Melkarts. Talek sprang hinüber. »Binyartana, mein Freund! Leih mir dein Amulett. Meines hat man gestohlen. Ich habe heute noch nicht gebetet.«

»Lass ihn, du Ratte. Geh auf deinen Platz!« Bin-yartanas Nachbar schlug Talek mit der Faust auf die Brust. Die Fußfessel behinderte seine Bewegungen.

»Ormas, nein. Er hat es nicht böse gemeint«, beschwichtigte ihn Bin-yartana. Ormas spuckte aus. »Ratte!«

Talek stieg in den Gang zurück. Einige Schritte vor ihm lag der Bauer, den Sohar getreten hatte. Der Ruderer stieß ihn gegen die Rippen. Der Kemete schrie auf und kroch zu der Luke, die in den Schiffsbauch führte.

»Talek! Zimri-da kommt!« Mecht-eft zog den Kumpan in die Bank.

»Zimri-da, die Peitsche«, maulte Talek. »Hält sie im Arm wie ein Weib. Kneift wieder die Lippen zusammen. Hat immer die Peitsche, weil er so klein ist.«

»Mir gefällt Sipti-balu. Er könnte ein Bauer sein wie ich. Stellt euch vor, wie er im Abendlicht von der Arbeit gebeugt …«

»Nein! Nein! Nagiranu, der Schwätzer, beginnt sein Werk. Sipti-balu ein Bauer! Ein Bauer als Kommandant! Huh! Siptibalu sät, und der fette Irn-nim frisst alles auf.«

»Schweig!« Die Peitsche traf Talek. Zimri-da hob erneut den Arm. »Ihr seid belehrt worden, nicht über Befehlsgeber zu reden! Und du reißt erneut dein Maul auf! Das nächste Mal kette ich dich an die Bank.« Der Vizeadmiral ging davon. Bei jedem Schritt schlug er den Peitschenschaft auf die Lehnen.

»Das hast du nicht verdient, Talek, du wolltest doch nicht …« Sohar verstummte und riss die Augen auf. »Hört! Hört ihr denn nicht? Das Weinende Kind. Dieses Wimmern! Bei Hathor! Das … ist das Weinende Kind. Hathor hilf! Wir hören das Weinende Kind.«

Der Admiral lag friedlos in der Kajüte, seine Augen folgten den Maserungen der Planken. Die Wellen schlugen seit einiger Zeit härter gegen das Schiff. Er hörte die Schreie und riss die Tür auf. Die Sonne stand zwei Handbreit über dem Horizont, nach Asien zu färbte sich der Himmel schon dunkel. Rot hing das Segel über der Kemet. Neben dem Mast stand Zimri-da. Mehrere Männer hatten Sohars Ruf aufgegriffen. Der Admiral sprang auf das Kommandeurspodest, die heftige Bewegung brachte den Schmerz zurück. »Ihr Hirnlosen! Geschwätz aus dreckigen Spelunken!« Er kannte die sidonischen Schauergeschichten, die Seeleute sich in den Vorstädten erzählten. »Wimmert das Weinende Kind mit der Stimme eines Mannes? Seid ihr zahnlose Greise? Pisst ihr vor Angst in den Schurz? Oder seid ihr Seefahrer? Ruhe! Jeder der brüllt, wird getaucht.« Er ging zu Sohar. »Schweig doch, Mann!«

»Das Weinende Kind!«

»Schweig!«

»Hathor vernichtet uns. Wir ersaufen. Alle! Alle!« Die gefesselten Füße traten gegen die Wandung. Blut färbte die Planken. Das Wimmern im Schiffsinneren ging in Klagerufe über. Sohar riss an dem Eisen. »Hört doch!«

»Taucht ihn!« befahl der Admiral.

Zwei Soldaten wandten dem Sklaven ein Seil um die Füße, zogen ihn zum Bug und stießen den schreienden Mann ins Wasser, liefen zum Heck, rissen ihn hoch und schüttelten ihn, bis er das Wasser ausspie. Der Daumen des Admirals wies nach vorn, erst nach dem dritten Mal setzte er ein Ende. Die Wachen warfen den Erschöpften auf seinen Platz. Niemand sprach. In das Schweigen drangen erneut die schrecklichen Laute. Der Admiral riss die Luke zum Schiffsbauch auf. «Uliliya!« Der Leibwächter ließ sich mit einer Fackel hinunter, tastete sich zwischen Fässern und Truhen zum Bug, schob Haken und Taue beiseite, mit denen die Männer die Schiffe ans Ufer zogen oder sie in den Wellen hielten, griff zwischen zwei Säcke mit Saatgetreide und zerrte eine Gestalt in das durch die geöffnete Luke fallende Licht.

»Bauer.« Der Syrer hob den Kemeten an Deck.

»Das Weinende Kind!«, rief der Admiral den Männern zu. »Haltet euch fest, ihr Tapferen! Gleich schickt es die Kemet auf Grund. Oder ist das gar Afrud, der Seewurm?«

Einige lachten. »Halt ihn, Soldat! Afrud geht über die Bordwand!« Uliliya zog den Bauern zurück. Der Admiral rief den Arzt. »Beruhige ihn!«

Paros setzte dem zitternden Bauern einen Becher an die Lippen. Etwas vom Sud rann auf die Planken. Mohngeruch breitete sich aus. Der Grieche schimpfte in seiner Sprache.

»Wie heißt du?«, fragte Abdi-ashirta.

Der Bauer schwieg. Uliliya riss die Peitsche aus dem Gürtel. Erregt verfolgten die Kemeten die Unbotmäßigkeit ihres Kameraden, der ungebührlich lange auf den Admiral sah und sich dann zum Ufer wandte.

»Name blieb in Kemet, Herr. Ich will heim. Mein Weib ist allein. Meine Söhne sind allein. Ohne Weib und Söhne habe ich keinen Namen. Ich will nicht nach Süden. Ich habe Angst, Herr.« Die Wangen des Mannes zuckten. Er weinte.

»Holt ihn zu euch!«, befahl der Admiral den Bauern. Er ging zu seiner Kajüte. Fassungslos blickte Zimri-da ihm nach. Seine Lippen waren schmal.

In den Gesichtern der Bauern stand die Freude über die Milde des Herrn. »Er heißt Bak-Ptah«, rief einer von ihnen dem Admiral nach.

Nuts Lichter verkündeten, dass die Nacht den Berg überschritten hatte. Mit sanften Bewegungen begleitete die Kemet den Schlaf der Männer. Die Kajüttür stand offen. Im Wiegen des Schiffes blinkten die Nordsterne mal rechts und mal links des Mastbaums, dessen Segel schlaff auf den Planken lag. Abdi-ashirta hörte die Stimmen der Leibwächter, er rief Sakinu. Dessen Umriss verdeckte den Himmel.

»War es richtig, den Bauern nicht zu peitschen?«

»Du fragst mich, Herr? Ich weiß nicht, ich …« Die gemeinsamen Tage hatten dem Syrer nicht die Ehrfurcht vor dem Admiral genommen.

»Antworte mir! Rede offen! Du kennst mich seit vielen Dekaden!«

»Du bist anders als Zimri-da. Du … du denkst über uns nach.« Der Syrer sah erschrocken auf seinen Herrn und bat um Vergebung.

»Sudumu und Bak-Ptah zu mir«, sagte der nur. „Wecke sie. Ich schlafe auch nicht.«

»Diese Nacht lag schwer auf den Menschen.« Pabeners Stimme drang in die Kajüte, schimpfend hielt ihm jemand den Mund zu.

»Bak-Ptah, du Diener des Ptah, des Gottes von Menfe, der Stadt des Erhabenen, der mir den Auftrag gab, um Libyen zu fahren, warum dienst du mir nicht, wie das Gesetz es befiehlt?«

Der Bauer kniete vor dem Tisch, Abdi-ashirta bedeutete ihm, sich auf den Boden zu setzen und schickte Sudumu, den Aufseher, vor die Tür.

»Rede nun. Warum fürchtest du dich?«

»Ich habe meinem Gott geschworen, zu säen und zu ernten, für ihn und seine Diener. Der Priester der Neith hat mich aus dieser Pflicht genommen. Hat er meinen Gott gefragt? Vielleicht glaubt Ptah, ich habe ihn verlassen?«

»Was fürchtest du, Bak-Ptah?«

»Du willst es wissen, was die Angst eines Bauern ist, Herr?«

Bak-Ptah hatte oft mit den Priestern gesprochen, wenn er dem Tempel sein Getreide lieferte. Sie hatten ihm Bilder gezeigt und Texte vorgelesen. Deren Inhalte banden die Bauern an die Götter. Abdi-ashirta erfuhr nun von diesem Kemeten das Totenreich in den Bildern, die Kerifer-Neith als Bilder für das Volk bezeichnet hatte. Die Elite des Reiches lebte nach seinen Worten dagegen als Geisteskraft in der neuen Welt. Bak-Ptah stand in seiner Erzählung vor Osiris, dem Totengott und seinen Beisitzern, den Symbolen für Kemets Gaue. Die Augen des Bauern schienen die Waage zu sehen, die über sein Schicksal entschied, wenn sein Herz gegen die Feder der Wahrheit aufgewogen wurde. Neigt sich die Schale des Herzens tiefer als die Feder der Wahrheit, frisst Amit, das Ungeheuer mit Krokodilkopf, Löwentatzen und Nilpferdfüßen den Sünder Bak-Ptah oder es treffen ihn die Strafen der Verdammnis mit Folter und Vernichtung.