Karpfenkrieg

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„Aber meine Damen“, intervenierte Dirk Loos höflich wie immer, „ihr werdet euch doch wegen dieser blöden Tatort-Wiederholung nicht in die Haare geraten.“ Diese Bemerkung war ein großer Fehler, wie er feststellen musste. Ein Ruck ging durch die beiden Witwen. Sie erstarrten zu Salzsäulen. Nach einigen Sekunden der Erstarrung kam wieder Bewegung in die beiden. Sie stemmten die Fäuste in die Hüften und wandten sich drohend dem Rentner aus dem Sauerland zu.

„Blede Tatort-Wiederholung! Hab ich da richtig ghert?“, flippte die Kunni aus, „wenn mei Leitmayr im Fernsehn auftritt! Was isn da dran bled? Des is doch allerahand! Dirk! Willst du mich und die Retta persönlich beleidign? Hast du dir genau überlecht, was du da gsacht hast? Retta, etz sach du a was dazu“, forderte Kunni ihre Freundin auf.

Das Funkeln in Margarethe Bauers Augen ließ Böses erahnen, als sie ihren Untermieter unfreundlich anging. „Dirk“, begann sie, „hab ich dir eigentlich scho amol die Miete erhöht? Ich glab net. Wie kannst du bloß sagn, dass die Kunni und ich blede Sendungen anschaua, wenn unser Batic und unser Leitmayr Verbrecher jagn? Des is höchste Kunst, was die zwa da zelebriern. Vom Feinsten. Da kannst du die zwa Deppen in Münster oder in Köln vergessen. Also, ich muss mich scho wundern über deine Äußerung!“

Dirk Loos, der immer Höfliche und Hilfsbereite, der vor Jahren aus dem Sauerland nach Franken gezogen war und seitdem im ersten Stock von Rettas Haus eine Dreizimmerwohnung belegt, war sichtlich irritiert. Mit dieser Reaktion hatte er nicht gerechnet. Er wollte doch nur schlichten. Er hatte keine böse Absicht, die beiden Damen zu beleidigen. Insbesondere Retta nicht, die er ihres attraktiven Aussehens wegen heimlich verehrte, auch wenn sie fast neun Jahre älter war als er. „Ich denke, ich gehe mal lieber“, stammelte er reuevoll. „Heute ist nicht mein Tag. Ich hatte keineswegs die Absicht, euch beide zu beleidigen. Das liegt mir völlig fern, und das solltet ihr bitte auch wissen. Ich habe mich offensichtlich ungeschickt ausgedrückt, was ich hiermit auf das Außerordentlichste bedauere. Ich wünsche den Damen noch einen schönen Tag, und viel Spaß mit den Herren Leitmayr und Batic. Solltet ihr mich dennoch nochmals brauchen, so sagt mir einfach Bescheid.“ Mit diesen Worten näherte er sich der Haustür, öffnete sie, und schlich mit hängendem Kopf davon.

„Dass der immer so empfindlich sei muss, dei Freund“, stellte die Kunni fest.

„Des is net mei Freund“, begehrte die Retta auf.

„Irgendwie scho“, widersprach die Kunni. „der steht doch auf dich. Ich kann zwar net verstehn, warum, weil an dir is doch nix dran. Aber die Geschmäcker sind halt verschieden, sacht man.“

„Was willstn etz damit scho widder sagn?“, brauste die Retta auf“, schau di doch selber an. Ein Rettungsreifen an dem andern. Werst scho langsam auf die hunnert Kilo zugeh?“

„Willst mi scho widder provoziern, wie vorhin mit deim bleden Batic?“

„Und du mit deim doofen Leitmayr“, gab die Retta zurück, „sogar der Dirk hat gsacht, dass der Leitmayr bled is.“

„Hat er net!“

„Hat er doch!“

3

Am Mittwoch, den 13. August kam Hanni der Hammer mal wieder weit nach Mitternacht von Sissi der Nutte zurück. Er stank nach billigem Parfüm und Zwetschgenschnaps. Auf der Straße vor dem Haus parkte der rote Fiat 500. Dieser Wagen war ihm ein Dorn im Auge. Hanni betrat das Wohnzimmer. Seine Frau Jana war, mit dem Neuen Testament in den Händen, auf dem Sofa eingeschlafen. Auf RTL lief eine Wiederholung von Bauer sucht Frau. „Wie es Schäfer Rainer mit seiner Heike erging, werden wir gleich sehen“, verkündete die Moderatorin Inka Bause.

„Nix werdn mir sehn“, widersprach Johann Hammer, „so a Gschmarri“ und schaltete das Fernsehgerät ab. Der grobe Kerl machte keinerlei Anstalten, seine Frau vorsichtig zu wecken. Er packte sie am Oberarm und rüttelte sie kräftig durcheinander. „Is er scho widder da, der Türk?“, polterte er, als sie die Augen aufschlug. „Warum lässt du den überhaupt ins Haus?“, warf er seiner Frau vor. Jana Hammer war noch schlaftrunken und musste sich erst orientieren. Ihr Oberarm schmerzte. Sie riss sich von ihrem Mann los. Augenblicklich stieg ihr der Gestank, den ihr treuloser Mann ausstrahlte, in die Nase. In jungen Jahren musste sie eine wahrlich attraktive Frau gewesen sein, mit ebenen Gesichtszügen und einer kräftigen dunklen Haarpracht, die ihr auch heute noch bis in den Nacken fiel. Doch zwischenzeitlich hatten sich jede Menge Silberfäden in ihre Frisur geschlichen, und die Gräben ihrer Mundwinkel wurden immer tiefer. Mit ihren achtundvierzig Jahren war sie eine gebrochene Frau. Sie konnte und wollte nicht mehr. Ihr war alles egal. Dass ihr Mann sie seit Jahren betrog, hatte sie längst herausgefunden. Am Anfang war sie schockiert, doch zwischenzeitlich war es ihr ganz recht. So hatte sie wenigstens im Bett ihre Ruhe vor ihm. Als überzeugte Katholikin kam für sie eine Scheidung in keinster Weise in Betracht. Lieber lebte sie mit diesem Horror. Dennoch, fünfundzwanzig Jahre Zusammenleben mit diesem Mann hatten sie verändert, gingen nicht spurlos an ihr vorüber. Sie hatte jegliche Eigeninitiative längst verloren. Sie reagierte nur noch – ab und zu, und … sie hatte ihr Leben in die Hände der katholischen Kirche gelegt.

„Wer is da?“, wollte sie wissen, als sie die Frage ihres Mannes begriff.

„Na der Türk. Der Freind vo der Chantal. Sei Klapperkistn steht draußn vorm Haus.“

„Hab ich gar net gmerkt, dass der sich ins Haus gschlichn hat“, antwortete sie sichtlich müde und desinteressiert.

„Dem werd ich etz Beine machn“, brach es voller Wut aus Johann Hammer heraus. „Der hat immer noch net begriffen, dass wir kann Kümmeltürkn im Haus ham wolln. Da kann der su gscheit sei und studiern, was er will. Alles, bloß kan Türkn. Übrigens, da fällt mer nu ei, ich hab den Horst und den Bertl am Samstoch zum Grilln eigladn. Müssn was geschäftlich besprechen. Wegn der Teichgenossenschaft. Waßt scho. Kaffst du bis dorthin nu a Fleisch ei? An eiglechtn Bauch, a poar Steaks, Bratwerscht und vielleicht nu a poar Rippli. Wennst uns an Bodaggnsalat und an grüna Salat dazu machen tätst, wär des a net schlecht. So, und etz haui den Türkn zum Haus naus.“

*

Ungefähr zur gleichen Zeit fuhr Horst Jäschke, Knöllchen-Horst, mit seinem Ford Kuga hinter einem VW Tiguan her. Er wusste, wer da am Steuer saß und am frühen Donnerstagmorgen in Zickzacklinien die B 470 in Richtung Höchstadt an der Aisch fuhr. Der kleine Dicke am Steuer des VW kam aus Uehlfeld. Genauer gesagt aus dem Brauereigasthof Zwanzger. Knöllchen-Horst wusste auch, wohin der kleine Dicke wollte, ohne dass er ihn dazu befragt hätte. Die beiden Pkws näherten sich bereits der Stadtgrenze von Höchstadt an der Aisch. Eine Minute später preschte der Tiguan in Höchstadt in den Kreisverkehr, dort, wo Fridolin, die steinerne Karpfenskulptur steht, nahm die zweite Ausfahrt, gab erneut Gas und raste auf der Bundesstraße weiter. Horst Jäschke folgte dem VW, der fast geradewegs über den Kreisel hinweg gedonnert war. Die Bullen hatte er längst angerufen, als der kleine Dicke schwankend aus dem Gasthaus in Uehlfeld gestolpert war und sich auf die Suche nach seinem Fahrzeug begeben hatte. Die Polizei musste eigentlich jeden Moment auftauchen. Bis Krausenbechhofen würde der Fahrer vor ihm es nicht mehr schaffen. Da war er sich sicher. Ein paar hundert Meter weiter, auf der Höhe vom OBI-Markt, standen sie am Straßenrand der B 470. Als der VW Tiguan sich dem Baumarkt näherte, begann plötzlich das Blaulicht zu rotieren und eine rot beleuchtete Kelle forderte zum Stopp auf. Die Bremslichter des VW leuchteten nur kurz auf, dann gab der Fahrer dem Tiguan erneut die Sporen. Der einhundertachtzig PS starke Motor brüllte auf und das Fahrzeug machte einen Satz nach vorne. Der Polizist mit der Kelle in der Hand vollzog ebenfalls einen Sprung, allerdings in den rettenden Straßengraben. Dann ging alles sehr schnell. Der Beamte krabbelte aus dem Straßengraben, spurtete zum Polizeifahrzeug und hüpfte auf den Beifahrersitz. Sein Kollege hatte den Motor bereits angelassen, schaltete das Martinshorn ein und jagte wie ein geölter Blitz dem Tiguan hinterher. „Das wird lustig“, dachte sich Knöllchen-Horst, gab seinem Ford ebenfalls Zoff und brauste seinerseits dem Polizeifahrzeug hinterher. Die Bescherung sah er wenige Minuten später: Mitten in Gremsdorf, dort, wo eine Abzweigung rechts nach Krausenbechhofen und Poppenwind abgeht, lag ein hoher, gebogener Ampelmast, sauber abgeknickt, mitten auf der Fahrbahn. Die Frontpartie des VWs war eingedellt, und aus dem Motorraum des Tiguan stieg zarter Qualm in die laue Sommernacht. Einer der Polizisten sicherte die Straße, während sein Kollege einen um sich schlagenden, pöbelnden, kleinen Dicken gewaltsam aus dem beschädigten Pkw zog. „Lasst mich in Ruh“, schrie der aufgestellte Mausdreck erbost, „ich kumm scho alla ham. Was wollt ihr denn vo mir? Wisst ihr überhapt, wer ich bin? Haut ab, sonst hau ich eich zwa Kaschper eine in eire Fressn.“

„Des werdn wir scho noch sehn, wer wem eine in die Fressn haut“, reagierte Polizeihauptwachtmeister Max Wunderlich erbost. „Etz kummst erscht amol mit zur Blutprobe, Berschla.“

„Nix, ich will ham“, schrie der kleine Dicke, den der Polizist in den Schwitzkasten nahm, und ihn zum Polizeifahrzeug schleppte.

„Lass mi los“, schrie der Fahrer des Tiguan zappelnd, „ich bin der Hornauers Jupp, der Vorstandsvorsitzende von der Genossenschaft Aischgründer Spiegelkarpfen.“

„Und ich bin Max Um-Lei-Tung, der chinesische Verkehrsminister“, entgegnete ihm Max Wunderlich. „Wennsd weiter so um dich schlägst, muss ich dich fixiern.“

Horst Jäschke hatte seinen Ford in der Nähe geparkt und war ausgestiegen. Er hatte bereits zehn Fotos auf seinem Samsung Galaxy S4 abgespeichert und amüsierte sich königlich. „Kann ich helfen?“, fragte er scheinheilig den Polizeibeamten, der die Straße sicherte. „Ich sehe, Sie haben anscheinend Probleme mit dem Besoffenen da drüben“, und reckte dabei sein Kinn in Richtung Polizeifahrzeug, in welches Max Wunderlich gerade den randalierenden Genossenschaftsvorsitzenden verlud.

 

„Danke“, meinte der Polizist, „aber die Verstärkung müsste jeden Moment eintreffen.“

„Na, dann is ja gut“, meinte Knöllchen-Horst. „dann kann ich ja weiterfahrn. Ich wünsch Ihnen noch eine ruhige Nacht, und passens auf den kleinen Dicken auf. Der schaut so aus, als ob er net ganz einsichtig is.“

„Des sen die Bsuffna meistens net. Der braucht bloß nu a weng an Ärcher machn, dann wandert der in die Ausnüchterungszelln. Mit dem werdn wir scho fertig. Der hat ja mindestens zweieinhalb Promill.“

„Des waß ich net“, meinte Horst Jäschke hinterlistig, „aber Sie brauchn ja bloß den Wirt von der Brauerei Zwanzger in Uehlfeld zu fragen, was der alles trunkn hat.“

„Woher wissen etz Sie des, wo der einkehrt is?“

„Na, ich fahr dem ja scho seit Uehlfeld hinterher“, erklärte Horst Jäschke, „der is solche Schlangenlinien gfoahrn, dass ich mich net amol überholn hab traut.“

„Könna Sie des bezeugen?“, wollte der Beamte wissen.

„Jederzeit!“

„Derf ich dann noch Ihre Personalien aufnehma?“

„Jederzeit!“, antwortete Horst Jäschke erneut. „Des is ja auch meine Bürgerpflicht, die Polizei zu unterstützen.“ Er war hochzufrieden mit sich selbst. Es hatte sich gelohnt, dass er dem Hornauer gefolgt war, als der ihn am frühen Abend kurz nach Gremsdorf mit Hundert überholt hatte, obwohl dort nur siebzig Kilometer pro Stunde erlaubt waren. Als der Dicke in Uehlfeld im Brauerei Gasthof Zwanzger verschwunden war, witterte er seine große Chance, denn der Hornauer war dafür bekannt, dass er gerne mal einen über den Durst trank, auch wenn er mit dem Auto unterwegs war. Okay, er hatte Stunden mit Warten zugebracht, aber je länger es dauerte, desto mehr wuchs seine Zuversicht, dass sich der kleine Rambo ordentlich angesoffen ans Steuer setzen würde. Seine Rechnung ging auf. Eines würde er daheim noch tun, bevor er zu Bett ging: Er würde seinen Kontakten bei den „Nordbayerischen Nachrichten“ und beim „Fränkischen Tag“ noch eine E-Mail mit ein paar Fotos und einem Kurzkommentar schicken. Er spürte, wie das Adrenalin immer noch in ihm wütete.

4

Am Samstag, den 16. August 2014 berichteten die Nordbayerischen Nachrichten auf der ersten Seite des Regionalteils:

Schwere Alkoholfahrt – Ampel umgefahren

Kostet die Alkoholfahrt dem Vorstandsvorsitzenden der Genossenschaft Aischgründer Spiegelkarpfen Amt und Ansehen? Mit 2,5 Promille Ampel umgefahren und Polizeibeamte bedroht.

Zu einer spektakulären Verfolgungsjagd kam es in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag. Nachdem die Landpolizei Höchstadt an der Aisch einen anonymen Anruf erhalten hatte, in dem der Hinweis auf eine Alkoholfahrt gegeben wurde, gingen zwei Beamte des Streifendienstes der Sache nach und legten sich im Stadtgebiet auf der Bundesstraße 470, auf Höhe des örtlichen OBI-Marktes, auf die Lauer. Es dauerte keine zehn Minuten, als sich der gemeldete VW Tiguan mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit der Verkehrskontrolle näherte. „Als uns der Fahrer gesehen hatte, bremste er erst leicht ab“, wird einer der beteiligten Beamten, Polizeihauptwachtmeister Max Wunderlich zitiert, „dann plötzlich gab er Gas und fuhr direkt auf mich zu. Wenn ich nicht in den Straßengraben gesprungen wäre, hätte er mich überfahren. Wir verfolgten ihn dann bis Gremsdorf, dort fuhr er bei der Abbiegung nach Krausenbechhofen die Ampel um. Als ich ihn dann aus dem Auto herauszog, wurde er auch noch frech und bedrohte mich.“ Wie sich anschließend herausstellte, handelt es sich bei dem Unfallverursacher und Alkoholsünder um keinen Unbekannten im Landkreis. Erst Anfang der Woche feierte er mit hoher, lokaler Politprominenz einen spektakulären Erfolg seiner Genossenschaft Aischgründer Spiegelkarpfen, welche aufgrund seiner Initiative mit einem wertvollen Qualitätszertifikat für den Aischgründer Spiegelkarpfen ausgezeichnet wurde. Nun stellt sich natürlich die Frage, welche Konsequenzen die Alkoholfahrt für Josef H. haben wird. Wäre es verträglich, wenn er seine Aufgabe als Vorstandsvorsitzender der Genossenschaft beibehalten würde, oder ist er auf dieser Position nicht länger tragbar? Wir haben versucht, vom stellvertretenden Vorsitzenden, Waldemar Keller, hierzu eine Aussage zu erhalten, die uns aber leider versagt wurde. Der Alkoholfahrer wurde am Donnerstagmorgen aus der Ausnüchterungszelle nach Hause entlassen. Sein Führerschein wurde eingezogen. Er muss mit einer Strafanzeige rechnen. Wer den anonymen telefonischen Hinweis gegeben hat, ist nicht nachvollziehbar. „Der Anruf kam aus einer öffentlichen Telefonzelle in Uehlfeld“, klärte uns Polizeihauptwachtmeister Max Wunderlich auf. Dass der Verkehrssünder aufgrund seiner Position in der Genossenschaft nicht nur Freunde hat, ist allgemein bekannt. Schadenfrohe Stimmen behaupten, dass er mit dem kürzlich erhaltenen Qualitätszertifikat hauptsächlich Eigeninteressen verfolge.

*

„Super, Horst“, wieherte Hanni der Hammer, „des hast du eins a gmacht.“ Die Fotos, die Knöllchen-Horst zwei Nächte zuvor in Gremsdorf gemacht hatte und die zeigten, wie der Vorsitzende der Genossenschaft Aischgründer Spiegelkarpfen in das Polizeifahrzeug verfrachtet wurde, lagen ausgedruckt auf dem Tisch herum. Es waren die gleichen Fotos, wie sie auch in den lokalen Medien abgedruckt waren.

„Des kost dem Hornauer sein Job als Genossenschafts-Boss“, gab sich auch Bertl Holzmichl zuversichtlich. Kennt ihr den Waldemar Keller?“

„Des is der gleiche Depp“, meinte Horst Jäschke, „a su a Bio-Freak. Wohnt und hat seine Weiher in Dachsbach. Da kummt nix Bessers nach. Des kannst vergessen.“

„Schad“, gab sich der Bertl enttäuscht.

Die drei Teichwirte saßen in Johann Hammers Gartenlaube und tranken ihr erstes Bier. Draußen im Garten, am Hang, der zum Brünnleinsgraben abfiel, glühten die Holzkohle-Eierbricketts in einem gusseisernen Grill und warteten auf die ersten Fleischstücke. „Trinkt aus“, ordnete der Hausherr in der Laube an, „ich glab, mir kenna des erschte Fleisch auflegn. Bertl, machst nu drei Fläschli auf, des Bier is im Kühlschrank. Und nachm Essen sollt mer mal drüber redn, was wir etz machen.“

„Geh mer zum Essn naus“, schlug Knöllchen-Horst vor, „Bertl, bringst die Seidli mit?“

„Geht ner zu, ich bring des Bier scho mit naus.“

Johann Hammer schmiss die von seiner Frau vorbereiteten, marinierten Fleischstücke auf den Grillrost. Nach wenigen Sekunden fielen die ersten Fetttropfen auf die glühende Holzkohle. Es zischte und sprutzelte. Qualmwölkchen stiegen auf, und hie und da zuckte eine Flamme nach oben und versuchte sich des Grillgutes zu bemächtigen. Johann Hammer passte auf. Sofort schüttete er etwas Bier auf den Brandherd. Erneut zischte und sprutzelte es, bis an anderer Stelle eine neue Flamme hochschlug.

„Was is Horst“, wollte er von dem Neuhauser Teichwirt wissen, „hast du dir etz scho mal überlecht, ob du den Angerweiher, den Großen Torweiher und den Großen Neuweiher an den Bertl und an mich verkafst? Schau, etz wirst bald dreiasechzig. Mit dem Kormoran ärgerst du dich sowieso ständig rum, hast gsacht. Könnst doch deim Hobby nachgehn und Autos aufschreibn, die falsch geparkt sen, wennst dich nimmer um dei Fisch kümmern müssest. Also dei Fra hätt nix dagegen, hats gsacht …“

„Mei Fra, seit wann redsnt du darüber mit meiner Fra?“, brauste Knöllchen-Horst auf. „Ich habs eich scho a poar mal gsacht: Ich verkaf nix. Basta. Und wenn ihr meine Weiher wollt, dann red gefälligst mit mir da drüber und net mit meiner Fra. Verstanden?“

„Is ja scho gut, Horst. Etz reg dich halt net su auf. Habs ja bloß gut gmant.“

Nebenan, unten im Brünnleinsgraben, quakten die Frösche, und auf dem kleinen Weiher, drüben in den Feuchtwiesen, zogen zwei Kanadagänse ihre Bahnen. „Sche habt ihrs da“, kommentierte der Bertl, „bloß die Hauptstraß is a weng zu nah dran.“

„Da hast recht“, bestätigte der Hausherr und goss erneut etwas Bier auf den Grill. „Die Lkw machen an gscheitn Lärm, aber mier ham uns scho dran gwöhnt. Horst, wo hastn dei Auto parkt?“

„Auto? Des steht dahamm in der Garage.“

„Sach bloß, du bist zu Fuß kumma?“

„No frali, des sen ja bloß knapp drei Kilometer durchn Wald. A Spaziergang sozusagn.“

„Und hamwärts?“, wollte der Bertl wissen.

„Hamwärts sens a bloß drei Kilometer”, antwortete Horst Jäschke feixend. Er hatte sich zwischenzeitlich wieder beruhigt.

„Doldi“, ging ihn Bertl Holzmichl an, „des waß ich a. Ich man, wennst bsuffen bist, dann läfst du a durch den dunkln Wald? Do siehgst doch nix.“

„Deswegn hab ich ja a mei Taschnlampn dabei, und bis ich daham bin, bin ich a widder nüchtern.“

„Mir kenna essn“, verkündete Hanni der Hammer, „hockt eich hie. Bertl, hulst du noch den Bodaggnsalat ausm Kühlschrank in der Gartnlaube? Ich geh schnell ins Haus und hol den grüna Salat.“

Es wurde ein geselliger, feucht-fröhlicher Abend. Um zweiundzwanzig Uhr dreißig waren der erste Kasten Bier und die erste Flasche Williams leer. Die drei schimpften über die Genossenschaft Aischgründer Spiegelkarpfen, und dass sie nicht nachgeben, geschweige denn dieser Raubritter-Organisation beitreten wollten. Sie würden es dieser Genossenschaft schon zeigen. Von wegen artgerechte Fischhaltung. Von wegen Besatzdichte. Und den Kormoran, schworen sie sich, den würden sie abknallen, egal wo und wann sie auf so einen Fischräuber stoßen würden. Zwischenzeitlich war die Sonne über den Waldgipfeln hinter dem Fritzenweiher verschwunden. Eine Säule Schnaken tanzte im letzten Dämmerlicht über dem Brünnleinsgraben, und drüben, auf der anderen Seite Röttenbachs, schlich sich die Nacht langsam von den Hügeln in das Dorf hinunter, geisterte durch die menschenleeren Straßen, kroch über die Hauptstraße und hielt auch in der Jahnstraße Einhalt. Die Wärme des Tages war mit der untergegangenen Sonne weitergezogen und die Luft kühlte deutlich ab. „Gemmer in die Gartnlaubn nei“, schlug Johann Hammer vor, „es wird kühl da außn. Ich hol uns nu an Kastn Bier und a Flaschn Schlehengeist. Des is was Feins.“

Es ging auf halb zwei zu. Die drei hatten kräftig weiter gebechert. Nüchtern war keiner mehr. Lautstark trällerte Helene Fischer ihr Atemlos-Lied aus dem Lautsprecher des CD-Players. Doch gegen die drei Teichwirte hatte sie nicht die geringste Chance, und auch nicht gegen deren eigene Interpretation.

Wir pfeifen auf die Regeln dieser Scheiß-Genossenschaft,

all die Paragraphen, die sind nicht für uns gemacht, oh, oh“, schrie Hanni der Hammer wie ein brunftiger Hirsch in den Raum.

Da lachn wir nur drüber, lasst uns damit in Ruh‘,

Karpfen artgerecht, warum, weshalb, wozu? Oh, oh.

Ja, wir sind recht angepisst, falls niemand unsre Fische isst.

Euer Tun hat uns gezeigt: Jetzt gibt’s großen Streit.

Atemlos durch den Gau,

Abends sind wir meistens blau.

Dann kam die Stelle, welche den drei Fischzüchtern am besten gefiel.

Atemlos, Freudenhaus,

all die Weiber ziehn wir aus.

Atemlos durch den Gau,

nachts da werden wir zur Sau.

Atemlos, vogelfrei, ins Bordell, da geh’n wir drei.

Wir sind heute gut drauf, entfesseln unsre Triebe,

alles, was uns fehlt, sind fünf, sechs Bier …

Immer und immer wieder ließ Hanni der Hammer die Musik-CD von vorne laufen. Kurz vor drei Uhr meinte Knöllchen-Horst, dass es langsam Zeit für ihn sei zu verschwinden. „Ich hab ja a nu an Wech vor mir“, argumentierte er mit schwerer Zunge.

„Wo isn dei Jackn?“, wollte der Hausherr wissen, „wo hastn die hieglecht?“

„Jackn? Hab ich kane dabei“, antwortete Horst Jäschke, „war doch warm, als ich mich aufn Wech zu dir gmacht hab.“

„Aber etz is überhaupt nemmer warm draußn“, mischte sich der Bertl ein, „da werds dich gscheit huschern, in deim dünna T-Shirtla.“

„Du ziehgst mei Jeans-Jackn an“, ordnete Johann Hammer an, „sunst wirst mer bloß nu sterbenskrank. Und mein grüna Filzhut setzt a auf. Bringstes halt demnächst widder vorbei. Hast dei Taschnlampn, damidst dein Wech findst?“

 

„Ja, in meiner Husntaschn.“

„Bertl, ich man wir zwaa singa nu a Liedla, wenn der Horst weg is.“

„Und a Schnäpsla trink mer a nu, gell, dann werd ich mich a langsam aufs Ohr legn. Des Sofa da schaut doch bequem aus. Auf mich wart ja ka Fra. Gott sei Dank net.“

In beiger Jeans-Jacke, deren Ärmel er dreimal nach hinten gekrempelt hatte, und grünem Jägerhut wankte Knöllchen-Horst auf der Jahnstraße dahin, nahm den kurzen Weg zum alten Röttenbacher Rathaus hinauf und bog dann rechts in die Schulstraße ab. Nachdem er das Neubaugebiet Am Sonnenhang passiert und den Feldweg Richtung Neuhaus erreicht hatte, schaltete er seine Taschenlampe ein und begann lauthals zu singen. „ … Atemlos durch den Gau, nachts da werden wir zur Sau. Atemlos, vogelfrei, ins Bordell da geh’n wir drei …“, grölte er vor sich hin. Dass er nur noch wenige Minuten zu leben hatte, konnte er nicht wissen. „ … Wir sind heute gut drauf, entfesseln unsre Triebe, alles was uns fehlt, sind fünf, sechs Bier …“ Bei dem Wort Bier blieb er stehen. „Sakra, des schwappt in meim Bauch rum.“ Mit der Rechten öffnete er den Reißverschluss seiner Hose. Mit der Linken stützte er sich am mächtigen Stamm einer Eiche ab. Der Lichtschein seiner Taschenlampe, welche er im Mund hielt, leuchtete in den Straßengraben und folgte seinem Strahl der Erleichterung „Mei tut des gut“, ging es ihm durch den Kopf. Trotz seines Alkoholpegels vernahm er das schleichende Geräusch hinter sich. Wie vorsichtige Schritte hörte es sich an. Er drehte sich um. „Du?“ Dann fuhr ihm die aus rostfreiem AISI 420-Stahl zweiseitig geschliffene Klinge von hinten mitten ins Herz.