Allmächd, scho widder a Mord!

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Zu dem Zeitpunkt als der Rucksack in den Fluten der Pegnitz verschwand, befand sich Nachtgiger drei, der führende Einsatzwagen, auf der B14, in der Höhe von Wetzendorf. In Großgründlach starrte Kommissar Nero Hammer gebannt auf den Bildschirm und beobachtete mit Schrecken wie das kleine, rot blinkende Signal eine Zeit lang auf der Pegnitz dahin schwamm, nach wenigen Minuten seinen Geist aufgab und für immer erlosch. War Gerd Gierbich verrückt geworden? Warum war er in die Pegnitz gesprungen? Irgendetwas stimmte nicht. „Nachtgiger eins bis Nachtgiger vier, fahren Sie zur Brücke Johannisstraße und umstellen Sie die Brücke weiträumig. Kontrollieren Sie jede Person, die Sie treffen.“

„Wie weiträumig, Chef?“, wollte Nachtgiger zwei wissen.

Am Bahnhof, links der Pegnitz, fuhr eine S-Bahn der Linie 1 aus Richtung Hersbruck kommend ein. „Lauf, links der Pegnitz, Lauf links der Pegnitz“, verkündete eine Lautsprecherdurchsage, „bitte einsteigen, die Türen schließen automatisch.“ Die Bremsen lösten sich, und der rote, dreiteilige Zug fuhr an. Drinnen im Wagon blickte ein junger Mann mit Nikolausmütze hinaus in die finstere Nacht.

Gerd Gierbich wurde langsam nervös. Vor fünfundvierzig Minuten hatte sich der Entführer das letzte Mal gemeldet. Vor ihm, auf dem Hauptmarkt tobte das Leben. Die rot-weiß gestreiften Zeltdächer der circa einhundertdreißig Weihnachtsbuden ragten dicht an dicht gedrängt in den dunklen, wolkenverhangenen Himmel. Alles war festlich beleuchtet. Abertausende Besucher des Nürnberger Christkindlesmarktes drängten und wälzten sich durch die engen Budenstraßen. Viele hielten Glühweintassen oder Brötchen mit Nürnberger Rostbratwürsten in den Händen. Die Fassade der Frauenkirche, auf deren Balkon das Nürnberger Christkind mit seinem Prolog jährlich den Markt eröffnete, erstrahlte im festlichen Glanz. Vom Markt rief ein Verkäufer von Zwetschgenmännla im tiefsten Nürnberger Dialekt:

Willsd an, der di ned ärchern koo,

nou kaffsder hald an Zwedschgermoo.

A Zwedschgerfraa däi schaffsder oh,

wall däi dich niemals ärchern kou.

Gerd Gierbich war durch das bunte Treiben dermaßen abgelenkt, dass er die eingehende SMS fast nicht bemerkt hätte:

Gehen Sie nun zum Albrecht-Dürer-Platz. Hinter dem Albrecht-Dürer-Denkmal befindet sich ein unscheinbarer Treppenabgang, der durch eine Eisentür verschlossen ist. Warten Sie vor der Tür. Sobald das Geld übergeben und gezählt ist, erhalten Sie Ihren Sohn zurück.

Nachtgiger

Nero Hammer spie Gift und Galle. Der oder die Entführer hatten ihn wie einen Amateur ausgetrickst. Seine Leute in Lauf hatten eine fünfundachtzigjährige Oma festgehalten, welche ihren Zwergpinscher Gassi führte und in einer Aldi-Plastiktüte ihr Strickzeug mit sich führte. Sie hatte ihre neunzigjährige Freundin besucht und war auf dem Nachhauseweg. „A alde Fraa ieberfalln, dees kennder, iehr nichdsnudzige Baggaasch. Iech hab ka Lösegeld ned. Wie ofd solli eich dees nu soogn.“ Dann hieb sie mit ihrer Plastiktüte auf einen Polizisten von Nachtgiger drei ein und fegte ihm seine Dienstmütze vom Kopf. Die Kopfbedeckung des Beamten nahm denselben Weg wie eine halbe Stunde vorher der ins Wasser geworfene Rucksack. Der betroffene Polizist sah verstört von der Brücke auf den Fluss und musste zusehen, wie etwas Rundes, Weißes schaukelnd in Richtung Nürnberg davongetragen wurde. „Iech bin selber arm wie a Kergnmaus“, geiferte die Alte weiter und holte erneut mit ihrer Tüte aus.

„Das ist Gewaltanwendung gegen Polizeibeamte im Dienst“, monierte der Beamte ohne Kopfbedeckung.

„Geh na her Berschla“, erhielt er zur Antwort, „dann griegsd gleich nu ane auf dei Goschn. Baggnern Hektor“, wies die Aldi-Tüten-Besitzerin ihren vierbeinigen Mikrosaurier an und deutete auf den Polizisten. Der Zwergpinscher sah den Hüter des Gesetzes mit gefletschten Zähnen an, stürzte sich todesmutig auf dessen rechtes Bein und verbiss sich im Stoff der Hose. Verzweifelt versuchte der Mann von Nachtgiger drei den Kläffer von seinem Hosenbein los zu bekommen. In diesem Moment der Unachtsamkeit griff die Alte in ihre Handtasche, holte eine Sprühdose heraus und verabreichte dem Beamten eine volle Ladung Pfefferspray ins Gesicht. Der Polizist schrie auf, hielt sich mit beiden Händen die schmerzenden Augen, der Hund zerrte unnachgiebig am Stoff der Hose, bis er einen großen Fetzen im Maul hatte, und die alte Dame landete eine Serie Aldi-Tüten-Schläge auf dem Kopf des Stöhnenden. „Wenn mi scho kaner vergewaldichd“, stellte sie sachlich fest, „dann habbi dees Bfefferschbräi wenigsdens ned umsunsd kaffd.“

Gerd Gierbich stand im Treppenabgang vor der verschlossenen Eisentür, als das Telefon erneut vibrierte.

Legen Sie das Telefon in die Aldi-Tüte und stellen Sie diese vor der Türe ab. Verschwinden Sie. Sie haben Ihre Aufgabe erfüllt. Nun kommt es nur noch darauf an, dass Sie sich streng an die Anweisungen gehalten haben und die Banknoten keine Blüten oder Papierschnipsel sind. Wenn alles okay ist, kriegen Sie morgen Ihren Jungen zurück.

Nachtgiger

Gerd Gierbich sah sich um. Der entscheidende Moment war gekommen. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Dann legte er das Mobiltelefon in die Tüte und stellte diese bedachtsam neben die schwere Eisentüre. Was, wenn ein Unbeteiligter das Geld fand und an sich nahm? Er zwang sich, die wenigen Stufen nach oben zu schreiten und die vier Millionen Euro allein zurückzulassen. Oben angekommen hörte er, wie sich ein Schlüssel knarzend im Schloss drehte und die schwere Tür in ihren Angeln quietschte. Er sah sich um und erschrak. Eine grässliche Fratze sah ihn an. Am auffälligsten war der große, rote Hakenschnabel, der zwischen zwei tellerrunden Augen hervorragte. Auf dem Kopf schwappten lange, goldfarbene Federn hin und her. Selbst der Körper der Gestalt war über und über gefiedert. Zwei Sekunden lang starrten sich die beiden in die Augen, dann griff die Nachtgiger-Gestalt blitzschnell nach der Aldi-Tüte, zog sie nach innen und schlug die Tür zu. Augenblicklich drehte sich der Schlüssel wieder im Schloss.

Der Nachtgiger hinter der Tür stieg über moderne Betonschächte in die Tiefe. Dann rannte er einen langen, niederen Gang entlang, der aus dem Gestein gemeißelt war. Schließlich gelangte er in ein Gewölbe, von dem aus mehrere Schächte in verschiedene Richtungen führten.

Weit vom Burgberg entfernt, im Südosten der Stadt und nordwestlich des Volksparks Dutzendteich, erstreckt sich der einhundertvierunddreißig Hektar große Luitpoldhain. An seinem nördlichen Rand steht die bekannte Meistersingerhalle. Unter tief hängenden Ästen einer Weide stand, vorzüglich versteckt, ein schwarzer VW Golf. Der Fahrer war ausgestiegen und inhalierte unter vorgehaltener Hand den Rauch einer Marlboro Light. Er war frühzeitig zum Treffpunkt gekommen. Der andere, eine grässliche Gestalt, würde noch etwas brauchen, bis er eintraf. Er hatte noch ein schönes Stück Weg vor sich. Doch das machte dem Raucher nichts aus. Er hatte Zeit. Hauptsache der Nachtgiger hatte die wunderschöne, prall gefüllte Aldi-Tüte dabei.

Das alte, verwahrloste Haus in Rehhof lag einsam und verlassen da. Die vier Kindesentführer hatten ihren zeitweisen Unterschlupf verlassen. Rührende Szenen spielten sich ab, bevor sie sich auf ihren Weg machten. „Iech will nu a weng dobleibm und mid die Kauboi schbieln“, jammerte der kleine Raphael, „iech will nunni ham.“

„Deine Mama und dein Papa machen sich aber bestimmt schon große Sorgen“, versuchte es einer der Entführer.

„Mei Babba vielleichd scho, abber mei Mudder ned. Die had doch goar ka Zeid fier miech. Die is doch dauernd underwegs und driffd si immer mid iehre Freindinna. Dauernd soll iech mid der Gerda schbieln, abber die mooch ka Kauboi. Iech will doo bei eich bleibm.“

„Dees gehd doch ned, Raphael. Mier sen doch Gängsder und ham diech endfiehrt. Wenn uns die Bolizei derwischd, wern mier eigschberrd.“

„Abber iehr habd mier doch goar nix gmachd!“, bestand der kleine Knirps auf seiner Meinung. „Wenn iech edz wergli ham muss, kennd iehr miech ned schbäder numal endfiehrn? Des näxd Mol a weng länger?“

Schließlich gab es doch noch eine Einigung: Raphael durfte die Schachtel mit den Indianer- und Cowboyfiguren behalten und mit nach Hause nehmen. Außerdem schenkten sie ihm noch ein Nachtgigerkostüm. Das wollte er unbedingt gleich anziehen.

Nachmittags gegen drei Uhr fuhr ein schwarzer VW Golf mit vier Erwachsenen und einem Kind von Eltersdorf kommend in die Kleingründlacher Straße. Nachdem der Pkw die Ortschaft Kleingründlach durchfahren hatte, verlangsamte er auf der Höhe des Mühlweihers seine Geschwindigkeit, bog rechts ab und fuhr auf ein kleines Kastenwäldchen zu. Auf einem schmalen Waldweg stoppte er. Der kleine Raphael hatte Tränen in den Augen und drückte zum Abschied jeden seiner Entführer ganz herzlich. Dann sprang er ins feuchte Gras, schnallte sich seine Maschinenpistole um, nahm die Schachtel mit den Cowboy- und Indianerfiguren entgegen, winkte nochmals zum Abschied und machte sich auf den schweren Weg nach Hause. Auch seine vier Entführer hatten nun glänzende Augen, und einem kullerte sogar eine Träne über die Backe. Als der Kleine aus ihrem Blickfeld verschwunden war, wendeten sie den Golf und fuhren die gleiche Strecke wieder zurück. Bei Eltersdorf nahmen sie den Frankenschnellweg in Richtung Bamberg, verließen die A73 aber wieder an der Ausfahrt Möhrendorf. Sie überquerten die Regnitzbrücke kurz vor der Dorfeinfahrt, und hielten sich gleich rechts, wo es nach Kleinseebach ging. Ein Stück fuhren sie parallel zum Rhein-Main-Donau-Kanal. An der nächsten Kreuzung orientierten sie sich links und nahmen die Route durch den Wald. Nach circa sieben Kilometer fuhren sie in ihr Heimatdorf Röttenbach ein. Im Kofferraum des VW Golfs lagen nun fünf Aldi-Plastiktüten. Vier von ihnen enthielten genau neunhunderttausend Euro. In der fünften Tüte schlummerten vierhunderttausend. Nachdem der Fahrer seinen Wagen in die Garage gefahren hatte, wählte er als erstes eine Frankfurter Telefonnummer. „Alles in Budder, Lizzy. Morgen kummi nach Frangfurd und bring der dein Deil.“ Dann legte er auf.

 

Gerd Gierbich sah aus dem Fenster und wartete schon den ganzen Tag darauf, dass sich die Entführer meldeten, um ihm mitzuteilen, wo sein Sohn verblieben sei. Nero Hammer hatte ihm eingebleut, ein möglichst langes Telefonat zu führen. Das sei die beste Chance, den Standort der Entführer zu ermitteln, um sie doch noch festzunehmen. Raphaels Vater, der die Nacht zuvor mit dem Taxi nach Hause kam, hatte von den Ratschlägen des Polizisten die Nase voll. Draußen im Wiesengrund, der Gründlach entlang, bewegte sich ein unscharfer roter Klecks, der größer wurde und auf die Villa zumarschierte. Der Klecks trug etwas vor sich her. Gerd Gierbich setzte seine Brille auf. Der Klecks war nun scharf und deutlich zu erkennen. Ein feuerroter Hahn mit einem seltsam gekrümmten Schnabel näherte sich. Die Augen von dem Vieh waren schwarz wie die Nacht finster und riesengroß. Überhaupt hatte er noch nie so einen Monsterhahn gesehen. Zum Fürchten. Das Federkleid leuchtete wie prasselndes Feuer. Dann bemerkte er den braunen Pappkarton, den das Federvieh vor sich her trug. Gerd Gierbich stieß den Kommissar am Arm und deutete zum Fenster hinaus. „Raphael!“, rief im Hintergrund Gunda Gierbich, „mei Bu is widder do!“ Dann stürzte sie in ihren Hausschuhen zur Tür hinaus. Erst jetzt begriff der Hausherr und rannte hinterher. Er überholte seine Frau und stürmte auf seinen Sohn zu. „Babba, iech bin der Nachtgiger, hasd du ka Angsd vor mier?“

„Nein Raphael, ich habe keine Angst. Ich bin so froh, dass du wieder da bist.“

„Die Mama aa?“

„Mei Gouderla“, rief die Mutter und versuchte, das Kind aus den Klauen seines Vaters zu befreien. „Nie widder derfsd du uns dees odu. Dees musd du mier verschbrechn.“

„Jetzt lass doch erst mal das Kind ins Haus und nörgle nicht schon wieder an ihm herum“, fuhr sie ihr Mann an.

„Raphael, kann ich dir ein paar Fragen stellen?“, rief ihm Nero Hammer, unter der Haustür stehend, schon von der Ferne zu.

„Nicht jetzt!“, ging der Vater dazwischen.

„Aber wir müssen doch die Kindesentführer so schnell wie möglich …“

„Nichts müssen Sie“, herrschte ihn Gerd Gierbich an, „zuerst wird der Junge ärztlich untersucht!“

„Iech bin ned grank“, begehrte der Junge auf und sehnte sich in das alte Haus in Rehhof zurück. Hoffentlich wurde er bald wieder entführt.

„Das waren Nürnberger Täter. Mehrere!“, gab sich Nero Hammer überzeugt. „Der Nürnberger Burgberg ist löchrig wie ein Schweizer Käse. Das weiß kein Auswärtiger, dass unter der Burg bereits im Mittelalter Gänge und Gewölbe angelegt wurden. Angeblich bis zu fünfundzwanzigtausend Quadratmeter auf bis zu vier Ebenen. Die Entführer kennen sich dort drinnen bestens aus. Raphael, jetzt erzähl uns mal, was du alles gesehen und gehört hast“, forderte ihn der Kommissar auf, „wir wollen die bösen Männer nämlich fangen und in das Gefängnis stecken.“

„Dees woarn ka beese Männer“, stellte der Knabe sachlich fest, der schon wieder das rote Federkleid trug, „dees woarn nedde Leid. Die hamsi immer mid mier underhaldn und miech gfrachd, was iech gern ess. Außerdem hams mid mier Kauboi und Indjaner gschbield.“

Der Kommissar guckte indigniert. Gerd Gierbich lächelte in sich hinein und war auf seinen Sohn mächtig stolz.

„So, so“, machte der Polizist, „und welches Auto haben sie denn gefahren? Kennst du dich mit Autonamen schon aus?“

„An rodn Obbl Zafiera mid hunnerddreißich BS“, kam die schnelle, aber falsche Antwort, „a Diesl, ka Benziener, Fimbf-Gang-Gedriebe, mit Handschaldung und Leichdmedallfelgn.“

„Wow“, lobte ihn der Kommissar, „du kannst ja prima beobachten. Wie viele Leute hast du denn gesehen?“

„Zwa Männer und drei Weiber. Der Schorsch, der Frieder, die Maichared, die Vroni und die Kunni.“

„Toll, Raphael, weiter so. Warst du denn in einem Haus, oder in einer Wohnung, und wie hat es denn dort ausgesehen?“

„Dees woar a Haus mid mindesdens siebn Schdoggwerg. Im Wohnzimmer woar a Bild vo an Moo mid an klan Schnurrbard ghängd. Zu dem hams immer Adolf gsachd.“

Nun wurde der Kommissar sehr aufmerksam. „Hatte der auch einen Nachnamen? So wie Gierbich, oder Hammer?“

„Genau“, rief der Junge begeistert, „irgendwas mid H.“

„Hieß der vielleicht Hitler“, wollte der Polizist wissen.

„Ja, Hidler, Hidler. Abber der woar ned dabei. Den habbi ned gsehgn. Bloß aufn Bild. Kennsd du den“, wollte Raphael wissen.

„Was war denn noch so Besonderes in der Wohnung zu sehen?“, bohrte Nero Hammer weiter.

„Die vieln Fohna!“

„Was denn für Fahnen? Was war denn auf den Fahnen zu sehen?“

„Nix Gscheids. Immer bloß su a komischs Kreiz.“

„So eines?“ Der Kommissar malte ein Hakenkreuz auf ein Blatt Papier.

„Hmh, genau su hams ausgschaud.“

„Haben die Männer und Frauen sich denn auch unterhalten, wenn du dabei warst?“

„Scho, iech woar ja immer dabei.“

„Worüber denn?“

„Ieber a Fraa hams gred, und dass bald gnuch Geld zamm ham, um die Fraa zu befreia.“

„Und um welche Frau ging es da?“

Dschäbe odder so ähnlich.“

Der Kommissar zuckte zusammen.

„Abber“, fuhr Raphael ungefragt fort, „die ham aa vo Gwehre, Bisdoln und Munidzion gred, und dass edz eigendli die Beschdellung in der Dschechei aufgebn kenna. Die ham alle Glatzkebf ghabd“, fügte er hinzu, „aa die Frauen.“

Kommissar Nero Hammer wurde immer aufgeregter. „Ich muss erst telefonieren, Raphael, dann reden wir weiter.“ Mit roten Ohren hastete er aus dem Haus und suchte sich ein ruhiges Plätzchen, bevor er in seinem Büro anrief. „Hammer hier. Ich brauche unbedingt die Telefonnummer vom bayerischen Innenminister und vom Verfassungsschutz. Schnell. Der Fall der Kindesentführung ist eine heiße Kiste. Ganz heiß. Rufen Sie mich sofort zurück, wenn Sie die Telefonnummern haben. Ich warte.“ Dann rief er seine Frau an. „Schatz, ich komme heute wahrscheinlich sehr spät nach Hause. Ich bin in meinen Ermittlungen auf eine ganz heiße Spur gestoßen. … Ja, im Fall Raphael Gierbich. … Das kann deutliche Auswirkungen auf meine weitere Karriere haben. … Positiv meine ich. … Ich kann am Telefon nicht darüber reden. … N-S-U, sage ich nur.“ Er flüsterte die drei Buchstaben regelrecht ins Telefon. „Ja, genau d i e … die Zschäpe. … Pssst, nicht so laut. … ich stecke mitten drin in dem Fall … Ja, den Minister rufe ich als Ersten an. Ich muss jetzt Schluss machen, Schatz, ich erwarte noch einen dringenden Telefonanruf. … Na ja, wegen den Telefonnummern vom Minister und dem Verfassungsschutz. … Sieht nach einer Terrorzelle aus. … D-i-e w-o-l-l-e-n d-i-e Z-s-c-h-ä-p-e b-e-f-r-e-i-e-n“, flüsterte er gedehnt ins Telefon. Kommissar Hammer konnte seine Euphorie nicht für sich behalten. Dann legte er auf. Es klingelte schon wieder. Sein Büro. „Also Chef, iech hab die Delefonnummern. Hams was zum Midschreibn? Sie mergn sich die Nummern? Na gut, wenns maana! … Na ned 098, … die Vorwahl vo Minchn is 089.“

Frau Dolores Hammer brauchte eigentlich nichts. Erst gestern war sie bei der Metro und beim Metzger, gleich gegenüber, doch sie hatte gerade umdisponiert. Heute Abend gab es zur Feier des Tages – egal wann ihr Nero heimkam – ein deftiges Sahnegulasch, keine Kartoffelsuppe mit Reibekuchen, wie ursprünglich geplant. Sie musste unbedingt noch schnell rüber, in die Metzgerei Haberstroh, dem einzigen Metzger in Schnepfenreuth. Es zog sie regelrecht hin.

„Grüß Gott!“

„Ja die Fraa Hammer! Hammer wohl was vergessn, gesdern?“

„Das nicht, Frau Haberstroh, aber aus gegebenem Anlass habe ich beschlossen, meinem Mann heute sein Lieblingsessen zuzubereiten.“

„Hammer wohl Hochzeidsdooch?“, riet Frau Haberstroh erneut.

„Odder Geburdsdooch?“, riet Frau Ottilie Siebenstampfer, eine treue Kundin der Metzgerei Haberstroh, die gerade dabei war, ihre Bestellung aufzugeben.

„Nein, nein, etwas Banales, Alltägliches ist der Anlass. Also mein Mann – eigentlich dürfte ich darüber ja gar nicht reden – Sie wissen schon der Entführungsfall …“

„Haddern derwischd, den Endfiehrer?“, rief Herr Haberstroh hinter der Theke dazwischen, der eine weitere Kundin bediente.

Frau Hammer winkte seufzend ab. „Viel schlimmer.“ Dann senkte sie die Stimme. „N-S-U“, stieß sie zwischen den Schneidezähnen hervor und wartete auf eine Reaktion.

Das Ehepaar Haberstroh und die anderen Kundinnen sahen sich mit großen Augen verständnislos an.

„Nazis“, schob Frau Hammer informativ nach, um gleich darauf zischend den Namen Zschäpe fallen zu lassen.

Herrn Haberstrohs Miene hellte sich auf. „Die wu die Diergn umbrachd ham?“

Frau Hammer schnaufte erleichtert auf. „Genau die.“

„Schdeggn die aa in dem Fall drinna?“, hakte Frau Haberstroh nach.

„Dees Gschwerdl!“, trug Ottilie Siebenstampfer ihren Beitrag dazu bei. „Iech sooch scho immer, verboodn gherns, die Nazi. Eigschberrd!“

„Unterstützer!“, warf Frau Hammer der hungrigen Meute einen weiteren Brocken hin.

Die Meute rätselte erneut.

„Die haben vor, mit dem erbeuteten Lösegeld Waffen anzuschaffen und die Zschäpe zu befreien“, löste Frau Hammer das Rätsel auf.

„Und dees had alles Iehr Moo rausgfunna?“, fragte Frau Haberstroh mit anerkennendem Blick.

Frau Hammer nickte mehrere Male stolz mit dem Kopf. „Vor zehn Minuten hat er mich angerufen und mir alles erzählt. Jetzt dürfte er gerade den Innenminister informieren.“

„Den Westerwelle?“, wollte Ottilie Siebenstampfer wissen.

„Der Westerwelle is doch ned unser Innenminisder“, klärte sie Frau Haberstroh auf. „Dees is doch der Schäuble.“

„Ach so, schdimmd ja“, lenkte die Kundin ein, „die zwa verwechsl iech immer. Den Noma vom Friedrich, unsern Verdeidigungsminisder kanner mer besser mergn.“

„Wissns was, Fra Hammer, schauers her, iech schneid Iehna vo dem moochern Schdüggla Rindfleisch do anerhalb Bfund runder. Do machsn Iehrn Mo a guds Gulasch draus. Dees kosd heid nix, und soogns nern scheene Grieß vo die Haberstrohs, er soll sis schmeggn lassn. Und die Gängsder soller alle eischberrn.“

„Und die Ausländer aa“, fügte Ottilie Siebenstampfer hinzu.

Hinten in der Ecke des Schnellimbiss kaute Bodo Ungerer, Reporter beim Pegnitz-Boten, genussvoll auf seiner Currywurst. Er hatte jedes Wort verstanden. ‚Nazis entführen Kind‘, oder klang ‚Held des Tages: Unser Nero Hammer’ besser? Vielleicht fiel ihm ja noch eine andere Schlagzeile ein. Wie wär’s mit ‚Zschäpe bald frei?‘?

Einen Tag, nachdem der Pegnitz-Bote den Artikel „Nero Hammer lässt den Verfassungsschutz alt aussehen“ veröffentlicht hatte, wurde der Kommissar von seinen Aufgaben entbunden und ein halbes Jahr später nach Vohenstrauß in den Bayerischen Wald versetzt. Die Kindsentführer wurden nie gefasst. Raphael Gierbich wartet noch immer darauf, dass er ein zweites Mal entführt wird. Sein Vater hatte den Verlust der vier Millionen Euro schnell verschmerzt. Erstens war er gegen Kindsentführung versichert. Zweitens fiel die letzte Jahres-Bonuszahlung exorbitant hoch aus. Lizzy, die rassige Mexikanerin, war ihm allerdings kurzfristig abhanden gekommen. Sie heiratete einen Franken, der in dem kleinen Dorf Röttenbach beheimatet ist. Zwei Wochen später zog eine heißblütige Venezuelanerin namens Marie-Carmen in das freigewordene Appartement von Lizzy ein. Die tapfere, fünfundachtzigjährige Laufer Rentnerin, welche den Polizeibeamten von Nachtgiger drei regelrecht verdroschen hatte, errang in Lauf höchste Popularität, nachdem ihre Attacke stadtbekannt wurde. Sie trat den Piraten bei und kandiert bei der nächsten Kommunalwahl für das Bürgermeisteramt.

Der Nachtgiger? Nun für den echten Nachtgiger hat sich nichts geändert. Er verschleppt immer noch unartige Kinder, welche er in der Dämmerung oder nachts in Nürnberg erwischt – zumindest in der Gedankenwelt so mancher Mutter und so mancher Lausbuben.