Monstermauern, Mumien und Mysterien Band 2

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5. Eine Apokalypse, zwei Zauberer und fliegende Steine

Pandanus wächst »unkrautartig« auf Pohnpei. Ihre Früchte wurden schon vor Jahrhunderten von den Seefahrern geschätzt. Gebacken oder zu einer Paste verarbeitet, dienten sie auf langen Seereisen als Kraftnahrung für die Seeleute. Das üppige Blattwerk bietet einen angenehmen Schutz vor der grellen Sonne. Ein mildes Halbdunkel breitet sich aus. Das Auge gewöhnt sich an die neue, angenehme Situation. Obwohl die Luft feucht und warm ist und überall kleine oder größere Tümpel ideale Brutstätten für Moskitos wären, gibt es diese bösen Plagegeister hier nicht. Überall taucht zwischen Wurzeln und Farnen das typische Nan-Madol-Mauerwerk auf. Lange sechs- oder achteckige Säulen sind da aufeinandergetürmt. Meist sind die Mauern nicht sehr hoch, erinnern eher an rudimentäre Fundamente als an Wände. Wurden alte Gebäude weitestgehend abgetragen, wenn neue errichtet wurden? Wie wurden sie transportiert? Auf Kähnen über die Wasserstraßen?

Deutlicher noch sind Mauern zu erkennen, die die Kanäle begrenzen. Oder sind es die Fundamente der künstlichen Inseln, an denen wir vorbeifahren? Auch im Wasser liegen Basaltsäulen. Wurden sie beim Transport verloren? Oder sind es Reste von Bauten, die hier einst standen? Wurden sie abgetragen, als neue künstliche Eilande angelegt wurden? Angeblich wurde mehrere hundert, vielleicht sogar tausend Jahre an der Inselwelt gebaut. Imme neue Architekten verwarfen alte Pläne und entwickelten neue. Sie ließen wieder abtragen, was Generationen zuvor errichtet hatten. Immer wieder soll Magie im Spiel gewesen sein. Zaubersprüche wurden angeblich benutzt, um die Riesensäulen leicht zu machen.

Hastig huschen Fischschwärme am steinigen Boden dahin. Manchmal dringt ein Sonnenstrahl durch das Blattwerk bis auf den Grund des niedrigen Kanals. Golden blitzen Fische auf. Sie fliehen vor dem leise tuckernden, langsam dahingleitenden Motorboot.

Immer wieder sind die Spuren von schmalen Kanälen auszumachen, die einst seitlich von der »Hauptwasserstraße« wegführten. Sie sind aber verschlammt, zugewachsen und für Boote nicht mehr passierbar. »Vielleicht gibt es hier im Morast noch Reste der alten Schleusen!« mutmaßt der tüchtige Guide. »Man müsste sie ausgraben, freilegen! Aber wer soll das bezahlen?« Dann mahnt Lihp Spegal ernst zum Aufbruch: »Wir müssen umkehren! Noch ist Flut, bei Ebbe schaffen wir den Rückweg nicht! Dann ist an manchen Stellen das Wasser zu seicht!«

Zurück bleibt die märchenhaft schöne, verträumte Zauberwelt der künstlichen Inseln des steinzeitlichen Venedigs der Südsee. »Morgen kommen wir wieder!« Mehr als strapaziös ist der Weg zu den mysteriösen Ruinen. Doch wer einmal hier war, ist vom geheimnisvollen friedlich-idyllischen Zauber fasziniert, der möchte immer wieder in dieses Paradies zurückkehren. Es sind nicht die erstaunlichen Ruinen allein, die faszinieren. Es ist nicht die üppige Pflanzenpracht allein, die es auf anderen Südseeinseln in bunteren Variationen gibt, die den Besucher fesselt. Es ist die dichte Atmosphäre, die von begabten Hollywoodregisseuren mit noch so vielen Dollars nicht realisiert werden könnte, die den Besucher in ihren Bann zieht: Hier sind Mythen und alte Sagen förmlich greifbar. Man spürt sie geradezu körperlich, ohne sie zu verstehen.

»Nan Douwas« ist das am besten erhaltene steinerne Riesenbauwerk von Nan Madol. Furchteinflößende Kräfte gewaltigen Ausmaßes haben freilich dem hohen Außenwall zugesetzt. Die imposanten Basaltsäulen, die heute nur mit starken Kränen bewegt werden könnten, wurden umhergewirbelt, so als handele es sich um ein überdimensionales Mikado-Spiel. Wer oder was brachte Teile der monumentalen Mauer teilweise zum Einsturz? Ein Erdbeben? Ein Orkan? Eine Riesenwelle? Oder fielen sie von Menschenhand, in einem Krieg?

Anno 1595 betrat Pedro Fernandez de Quiros als erster Weißer Nan Madol. »Nan Douwas« imponierte ihm sehr. Solch eine gewaltige Festungsanlage, so schlussfolgerte der recht materiell denkende Seemann, musste doch immense Schätze bergen. Vergeblich suchte er nach Wertvollem und verschwand enttäuscht. Anno 1686 sahen sich Spanier »Nan Douwas« an. Sie beanspruchten den gesamten Inselkomplex als Besitz der spanischen Krone. Auch die neuen Herren suchten vergebens nach kostbaren Schätzen.


Haupteingang von Nan Douwas

Anno 1826 landete James O’Connel als Schiffbrüchiger. Ihm wurde ob der Einheimischen Angst und Bange. Freilich erwiesen sich seine Befürchtungen als unbegründet. Der wackere Ire kam erst gar nicht auf den Speiseplan der einheimischen Kannibalen, die damals angeblich noch der Menschenfresserei huldigten. Er heiratete eine Einheimische und ließ sich am ganzen Körper tätowieren. Die Meister jener Kunst genossen es, die weiße Haut mit komplizierten Motiven zu überziehen. (Später zog O’Connel mit einem Zirkus um die Welt und ließ sich gegen Barbezahlung bestaunen.) Wenn je ein Außenstehender das Vertrauen der Einheimischen genossen hat, dann war es der einstige Schiffbrüchige. Auch er erfuhr freilich nichts von einem Schatz auf »Nan Douwas«.

»Nan Douwas« ist freilich nur eine steinerne Anlage der mysteriösen Art von vielen. Sie alle wurden einst auf einer künstlichen Insel errichtet.

»Dapahu« gilt heute als eines der ältesten künstlichen Eilande, soll etwa 230 nach der Zeitwende erbaut worden sein. Solche Datierungen sind freilich fragwürdiger denn je. Gewiss, es fanden sich hier mehr auswertbare Spuren als sonst wo in Nan Madol: Unzählige Töpferwaren. Ist es aber nicht eher unwahrscheinlich, dass in den angeblich ältesten Bauwerken die meisten Spuren der einstigen Bewohner gefunden wurden? Wahrscheinlicher ist es doch, dass dort, wo besonders viele Tonwaren gefunden wurden, historisch gesehen zuletzt gesiedelt wurde. Dann aber wäre »Dapahu« nicht die älteste, sondern die jüngste Anlage. Dann müssten folgerichtig die anderen noch älter sein!

Diese Annahme wird auch durch die örtliche mündliche Überlieferung bestätigt! Auf Dapahu sollen einst die Speisen für die ersten Herrscher von Nan Madol zubereitet worden sein. Besonders hohes Ansehen genossen die Schiffsbauer. Die Besten der Besten arbeiteten für die hohen »Chefs«. Sie hatten auf Dapahu ihre Werkstätten. Oder sollte man besser sagen: Ihre Büros? Denn die Herrscher mieden allem Anschein nach, wo immer das möglich, war jeden Kontakt mit der »niederen Bevölkerung«.

»Pahn Kadira« war, so mutmaßt man, das logistische Zentrum. Von hier aus wurden die Baumaßnahmen gesteuert. Hier wohnten die besten Steinspezialisten. Sie waren es, die die riesigen Basaltsäulen, die im Norden von Temuen aus dem Boden wuchsen, »fällten«. Allein das erforderte schon erstaunliches Können. Die gewaltigen Kolosse mussten nicht nur »geschlagen« werden. Sie mussten mit enormem Kraftaufwand niedergelassen, zum Boden abgesenkt werden, ohne dass die viele Tonnen schweren »Steinstämme« zerbrachen. Wie wurden sie abgesägt? Schließlich stand den Spezialisten damals angeblich kein Metall zur Verfügung!

In einer kleinen Privatbibliothek in Kolonia durfte ich einige erstaunliche Werke einsehen, die die Ursprünge von Nan Madol zu ergründen versuchten. Dr. Campbell, ein Schiffsarzt, der anno 1836 Nan Madol besuchte, mutmaßte, dass die künstlichen Inseln von einer Rasse bebaut wurden, über die nichts mehr in Erfahrung gebracht werden könne. Es gebe nicht nur auf den künstlichen Inseln, sondern auch auf Ponape alias Pohnpei erstaunliche Bauten. Längst seien sie vom Urwalddickicht verschlungen und kaum noch zu finden.


Auch die Osterinsulaner sollen von einem „Atlantis der Südsee“ gekommen sein

Auch die Mythologie der Osterinsel kennt ein uraltes Königreich im Pazifik, das in den Fluten versank. Der fliegende Gott Make Make soll dem Priester Hau Maka sozusagen im letzten Moment als neue Heimat die Osterinsel gezeigt haben. Olisihapa und Olsohapa konnten, so weiß es die mündlich weitergereichte Mythologie, riesige Steinsäulen durch die Luft schweben lassen und zu Monstermauern und Riesentempeln auftürmen.

Zweimal bekam ich eine Legende erzählt: Demnach kamen einst siebzehn Frauen und Männer aus einem Land weit im Süden und schufen die Fundamente der »Tempel«. Erst sehr viel später kamen die Zwillingsbrüder Olisihapa und Olsohapa in einem »riesigen Kanu«. Die Heimat der beiden Zauberer, so wird überliefert, wurde in einer katastrophalen Apokalypse zerstört und versank schließlich im Meer. Kanamwayso könnte mit der Urheimat der Osterinsulaner identisch sein, einem »Atlantis« des Pazifiks.


Massives Inselfundament

6. Wo die Reise endet

»Pahn Kadira«, wo die hochherrschaftlichen »Städteplaner« und die besten Steinspezialisten residierten (1), war mit einem »Tabu« belegt. Gewöhnliche Sterbliche durften das Eiland nur mit spezieller Genehmigung betreten. Der Eingang zu der »verbotenen Stadt«, die auch »Unter dem Tabu stehend« genannt wurde, hieß »Rin«. Hier wachte der angesehene »Keus«. Dieser Titel lässt sich mit »Wer bist du?« übersetzen. Wer von diesem Hüter die Erlaubnis erhalten hatte, das künstliche Eiland zu betreten, durfte noch lange nicht in die »königliche Stadt« selbst gehen. Darauf achtete ein weiterer Wächter, »Sohn Pu Douwas«.


Riesenhaupt einer Osterinselstatue und mysteriöse Holzstatuette

 

Wer aber waren diese »Städteplaner«? Im Rahmen verschiedener Reisen machte ich wiederholt Station in Hawaii. So manche Stunde verbrachte ich im »Bernice P. Bishop Museum« (2). Ich bestaunte eine Original-Osterinsel-Statue im Garten des Museums, auch hölzerne Statuetten, die den Osterinsel-Riesen recht ähnlich sahen. Vor allem gewährte man mir Einblick in seltene alte Bücher. So fand ich eine höchst interessante Überlieferung in F.W. Christians »The Caroline Islands«, erschienen anno 1899 in London. Demnach wurden die steinernen Bauten von »Nanmatal« (3) von fremdartigen Wesen gebaut, lange bevor die »heutige Rasse« nach Pohnpei kam. Die »Chokalai« seien dunkelhäutig und kleinwüchsig gewesen. Christian berichtet, dass nach alter Überlieferung die »Chokalai« als »kleine Volk« oder »Zwerge« bezeichnet würden. Darf man da an die »kleinen Grauen« denken, die laut heutiger UFO-Mythologie aus dem Weltraum kamen?

Im »Villa Resort Hotel« (4) las ich spät am Abend in Ralph Lintoms »Ethnology of Polynesia and Micronesia«, 1926 in Chicago erschienen, dass die »Panopäer« eine »Tradition« kannten, wonach es einst »schwarzhäutige Zwerge« auf Ponape gegeben habe, die sehr gefürchtet waren. Noch in den 1990ern wussten besonders alte Einwohner von Ponape Legenden zu erzählen, die von »bösartigen schwarzen Zwergen« berichteten. Ob derartige Überlieferungen heute noch erzählt werden?

Die wissenschaftlichen Datierungen der Einzelnen künstlichen Inseln werden vor Ort nicht sonderlich ernst genommen. Und das mit Recht. »Nan Douwas« soll um 230 n.Chr., »Pahn Kadira« erst zwischen 900 und 1000 n.Chr. erbaut worden sein. Das erscheint unlogisch! Von Pahn Kadira aus wurden der Bau der gesamten Nan Madol-Anlage dirigiert. Folglich muss es der älteste Teil des gesamten Komplexes sein. Wie alt aber ist Nan Madol? Oder genauer: Wann wurde mit dem Bau begonnen? Niemand vermag das zu sagen.

Forscher David Hatcher Childress weist darauf hin, dass das »Smithsonian Institute« einige alte Töpferwaren von Nan Madol datierte und ein Alter von 2.000 Jahren feststellte. Damit ist aber keineswegs gesagt, dass das steinzeitliche Venedig vor zwei Jahrtausenden gegründet wurde. Wir wissen jetzt nur, dass um die Zeit Christi Menschen an jenem geheimnisvollen Ort siedelten. Unbekannt ist und bleibt das Alter von Nan Madol.

Das Personal der »VIPs«, so heißt es, hauste auf Kelepwel (5). Diese Insel – ebenso künstlich angelegt wie alle anderen – wurde auch als »Gästebezirk« benutzt. Die Herrscher schätzten offenbar Fremdlinge nicht besonders und hielten sie sich möglichst auf Distanz. Sie mussten vor jedem Besuch Waffen und Geschenke abliefern. Auch die meisten Priester lebten zurückgezogen auf einer eigenen künstlichen Insel, auf Usendau. Auch hier wurden enorme Bauleistungen vollbracht! Auf dem kleinen Eiland (Ausmaße 85 mal 70 Meter!) wurden 18.000 Kubikmeter Stein verarbeitet! Leider ist ein großer Teil der ursprünglichen Bausubstanz auf der einst so stolzen Priesterinsel zerstört worden – vor wenig mehr als einhundert Jahren. Damals siedelten sich hier die Nachfahren der Ureinwohner von Nan Madol wieder an. Die bebaubaren Flächen waren äußerst klein, da mussten scheinbar nutzlose Ruinen weichen.

Wasau hat noch viele Geheimnisse zu bieten, die sich unter mysteriösen Plattformen und künstlich aufgetürmten Hügeln verbergen. Einst wurden hier alle Nahrungsmittel, die für die Bevölkerung von Nan Madol gedacht waren, sorgsam eingelagert. Besondere Köche wählten die besten Speisen für die Oberschicht der Hohepiester und weltlichen Herrscher aus und bereiteten sie vor, bevor sie ins »Vip-Zentrum« von Pahn Kadira verschifft wurden.

Kanus waren das einzige Transportmittel, das die einzelnen Inseln miteinander verband. Auf speziellen Kanus wurden auch die Verstorbenen von Nan Madol auf die letzte Reise gebracht. Nach streng reglementiertem Zeremoniell trat jeder Tote seinen letzten Weg an. Spezialisten salbten und ölten ihn, parfümierten ihn mit Kokosnussöl. Schließlich wurde er, mit einigen persönlichen Dingen ausgestattet, in eine kunstvoll geflochtene Matte gehüllt...

Bevor er auf einer der Inseln bestattet wurde, wurde seine sterbliche Hülle nochmals auf den Kanälen des steinzeitlichen Venedigs der Südsee zu jeder Insel gefahren. Auf Kohnderek fanden dann die heiligen Totenzeremonien statt. Sakrale Tänze wurden zu Ehren des Toten aufgeführt. Er sollte gebührend von seinem irdischen Zuhause verabschiedet werden, in der Hoffnung, dass ein besseres Jenseits auf ihn warten möge.


Eine der Monstermauern von Nan Madol

Gefährdet war das irdische Leben der Bewohner von Nan Madol durch die Gewalten des Meeres. Deswegen wurde mit kaum nachvollziehbarem Aufwand ein riesiges steinernes Bollwerk geschaffen, das die Meeresfluten abhalten sollte: »Nan Mwoluhsei«, zu Deutsch: »Wo die Reise endet«. Die allem Anschein nach für die Ewigkeit gebaute Mauer ist heute noch 860 Meter lang. Sie ist erdbebensicher erstellt worden.

Immer wieder muss die wichtige Frage gestellt werden: Warum wurde Nan Madol im Südosten der Hauptinsel Temuen gebaut? Denn dieser Platz scheint alles andere als günstig gewählt zu sein. Er liegt nämlich dort, wo die Gefährdung durch das Meer am größten ist. Und wo potenzielle angreifende feindliche Truppen am schwersten abgewiesen werden konnten!

Im Nordwesten der Hauptinsel (auf der Insel Ponape selbst!) indes wären die Voraussetzungen für die Verteidigung geradezu ideal gewesen. Feindliche Flotten hätten nicht direkt attackieren können. Sie hätten vielmehr das Eiland erst einmal umschiffen müssen. Dabei wäre die Gefahr, wegen der häufig auftretenden Untiefen auf Grund zu laufen, eine beachtliche gewesen. Auf alle Fälle wären aber die so anrückenden Feinde rechtzeitig entdeckt worden. Eine Schutzmauer gegen die anstürmenden Meeresfluten wäre auch nicht nötig gewesen. Denn dann läge ja Nan Madol auf trockenem Land, ein Schutzwall hätte nicht mühsam aufgebaut werden müssen.

Noch einmal zur Transportfrage. Wie wurden die tonnenschweren Basaltsäulen vom Steinbruch herangeschafft? Das Eiland ist alles andere als eben! Da türmen sich auf engstem Raum bis zu 800 Meter hohe Berge und erloschene Vulkane. Ponape ist zerklüftet, für den gut konditionierten Kletterer eine Herausforderung, für Trupps mit gigantischen Steinriesen im Gepäck wäre sie ein einziges unüberwindbares Hindernis. Dazu kommt noch, dass seit Menschengedenken fast täglich wahre sintflutartige Regenfälle auf die Insel herniederprasseln und den Boden in eine Schlammwüste verwandeln. Wären findige Arbeitertrupps auf gewaltigen Umwegen den Bergen ausgewichen, sie wären mit ihren Lasten im Schlamm steckengeblieben. Ein Transport quer über die Hauptinsel erscheint als unwahrscheinlich, ja unmöglich.

Theoretisch bietet sich dann als Alternative zum Land der Seeweg an. Aber schon ein Blick auf die Landkarte genügt, um auch diese Antwort als unwahrscheinlich erkennen zu lassen. Die wackeren Arbeiter hätten zunächst die Basaltsäulen fällen, dann an den Strand schleppen und verladen müssen. Nehmen wir an, die Einheimischen von damals wären dazu in der Lage gewesen. Nehmen wir weiter an, sie hätten es geschafft, das Riff zu überwinden, sie wären auf die hohe See hinausgelangt. Spätestens bei der Annäherung an den Bestimmungsort Nan Madol wären sie stecken geblieben. Ist doch im weiten Umkreis um die künstlichen Inseln das Meer selbst bei Flut so seicht, dass schwer beladene Kähne, Kanus oder Flöße zwangsläufig auf Grund gelaufen wären!

Fußnoten:

(1) Reisenotizen Walter-Jörg Langbein, Archiv Walter-Jörg Langbein

(2) Bereits in den 1970er Jahren korrespondierte ich mit dem »Bernice P. Bishop Museum« und erwarb Fachliteratur zum Beispiel über die Mythologie der Osterinsel.

(3) Gemeint ist natürlich Nan Madol! F.W. Christian: »The Caroline Islands/ Travel in the Sea of the Little Lands«, London 1899, S. 108

(4) Familie Bob und Patti Arthur haben das wunderbare Hotel aufgebaut, aus Altersgründen vor Jahren – leider – aufgegeben.

(5) So wurde mir vor Ort erzählt. Andere Schreibweise von Kelepwel: Kelepwei.

7. Das himmlische Riff

Nan Mwoluhsei, die gewaltige Wallanlage vor der Seeseite von Nan Madol heißt übersetzt »Wo die Reise endet«. Für wen? Für die Insulaner, die mit ihren Booten nach Nan Madol kamen? Vor Ort erfuhr ich eine andere Erklärung: Dort habe die Reise für die vom Himmel Kommenden geendet. Dort habe sich für die himmlischen Wesen, die einst aus den Tiefen des Alls zur Erde kamen, der »Eingang« zur Erde befunden.


Einst schützte ein riesiger Wall die Welt von Nan Madol

Deshalb lautet der älteste Name von Nan Madol »Soun Nan-leng«, zu Deutsch »das himmlische Riff«. Warum? Weil dort die Götter vom Himmel zur Erde herabstiegen und auch wieder von dort aus gen Himmel entschwanden. Nan Madol war für die Götter der Ort, wo ihre Reise endete. Wo sie zur Erde herabkamen, da war das »himmlische Riff«. Sie waren nicht von dieser Welt. Ihre eigentliche Heimat lag im Himmel.

Dabei dachte man keineswegs an überirdische Gefilde im religiösen Sinne. Man verstand darunter nicht einen transzendenten Ort, an dem die seligen Geister von Verstorbenen auf Wolken sitzend Manna verspeisen und zu lieblichen Lautenklängen frommes Liedgut singen. In »Polynesiean Mythology« wird dieser Himmel als ein recht ungastlicher Ort beschrieben. Aus dem Munde einer Himmlischen, die zur Erde herabgekommen war, erfahren wir, dass ihr unsere Erde sehr gut gefällt. Und das im Gegensatz zum »Himmel«:

Seltsam, wie exakt diese Beschreibung des Weltalls den Erkenntnissen entspricht, wie wir Menschen des 20. Jahrhunderts sie der Raumfahrt verdanken! Auch für die Götter aus dem All war unser blauer Planet »himmlischer« als das kalte, leere All. Wenn also davon die Rede ist, dass die Götter vom »Himmel« zur Erde kamen, dann ist damit eben nicht ein über den Wolken vermutetes Paradies im Gegensatz zur harten Realität auf der Erde gedacht! Lassen wir den legendären Gott der Südsee Pourangahua zu Wort kommen. Er frohlockt geradezu über seine Ankunft auf der Erde:

»Ich komme,

und eine unbekannte Erde

liegt unter meinen Füßen.

Ich komme,

und ein neuer Himmel dreht (sich)

über mir.

Ich komme

auf diese Erde und sie ist

ein friedlicher Rastplatz für mich.

O Geist des Planeten!«

Hier spricht kein körperloses Geistwesen aus einem Himmel im fromm-religiösen Sinne, sondern ein real-körperliches Wesen, das als Astronaut von Welt zu Welt, von Planet zu Planet reist.

Kontakte zwischen den himmlischen Besuchern und den irdischen Bewohnern von Nan Madol gab es immer wieder. Sie blieben nicht immer ohne Folgen. Paul Hambruch, der deutsche Gelehrte und Archäologe, erkundete zu Beginn unseres Jahrhunderts intensiv die Geheimnisse von Nan Madol. Wissende Einheimische fassten Vertrauen zu ihm und erzählten dem Deutschen einige ihrer heiligen Überlieferungen, die er sorgsam notierte, und zwar in der Originalsprache Nan Madols in der deutschen Übersetzung. Da begegnen wir zum Beispiel dem Himmelsgott Nan Dzapue, der mit höchst »menschlichen« Absichten auf unseren Planeten kam.

»Einstmals verließ Nan Dzapue den Himmel und stieg nach Pankatera hinab; dort trieb er Ehebruch mit der Frau des Sau Telur. Sie trafen einander und badeten in einem Bach. Er beschlief sie auf der Stelle.« (1) Die Geburt seines Sohnes wartete der himmlische Vater nicht ab: »Nan Dzapue begab sich wieder in den Himmel zurück.« Sohn Iso Kalakal entwickelte sich zu einem kriegerischen Helden und begründete die erste große Herrscherdynastie von Nan Madol.


Götterstatue von Ponape

Berichte über die Frühgeschichte von Nan Madol wurden über viele Jahrhunderte hinweg mündlich weitergereicht, von Generation zu Generation. Die heiligen Legenden wurden von unzähligen Generationen als Tatsachenberichte aufgefasst und als solche den Jungen vererbt, die wiederum ehrfurchtsvoll die Texte auswendig lernten – um sie wiederum der nächsten Generation anzuvertrauen. Noch im 19. Jahrhundert gab es kaum einen Inselbewohner, der nicht firm war in den altehrwürdigen Überlieferungen. Heute sterben die Wissenden nach und nach aus. So droht ein reiches kulturelles Erbe, dessen wahres Alter niemand kennt, in Vergessenheit zu geraten.

 

Diesem Trend wirken zahlreiche Studenten der örtlichen Hochschule »Community College of Micronesia«, Kolonia, Pohnpei, entgegen. In mühevoller Kleinarbeit haben sie sich alte Erzählungen diktieren lassen und schriftlich festgehalten. So entstand die wertvolle Mythensammlung »Never and Always«. Diesem Standardwerk zufolge gehen die Siedlungen auf den künstlichen Inseln von Nan Madol auf zwei legendäre Brüder – Olsihpa und Olsohpa – zurück. Sie kamen von »irgendwoher« aus dem Westen. Bei ihrer Ankunft fanden die Beiden freilich bereits Bewohner vor – solche der göttlichen Art. Die Brüder, sie werden als Halbgötter bezeichnet, sollen magische Kräfte besessen haben. Ohne Schwierigkeit ließen sie die Basaltsäulen vom entfernt gelegenen Steinbruch herbeischweben. Göttliche Magie wurde demnach genutzt um die scheinbar anders nicht zu erklärenden Leistungen beim Transport unvorstellbarer Steinmengen zu bewerkstelligen.

Arthur C. Clarke schrieb, dass eine fortschrittliche Technologie der Zukunft aus heutiger Sicht von Magie kaum mehr zu unterscheiden sein wird (2). Wenn bei der Erstellung der steinernen Welt von Nan Madol tatsächlich Außerirdische »die Hand im Spiel« gehabt haben sollten, dann muss ihr Wirken für die Inselbewohner tatsächlich wie Zauberei ausgesehen haben!

Die überirdischen, göttlichen Ur-Gründer von Nan Madol lebten, so heißt es in uralten Überlieferungen, im Meer. Masao Hadley, angesehener Wächter von Nan Madol: »Bevor das Volk von Pohnpei hier ankam, da gab es schon die Stadt der Götter! Auf dem Meeresgrund! (3)« Diese Behausungen tief unter dem Meeresspiegel sollen auch heute noch zu finden sein: Direkt bei Nan Mwoluhsei, also dort, wo die Reise endet – die der Götter aus dem All? Davon sind auch heute noch die Einheimischen überzeugt. Mutige Taucher, so wird berichtet, sind in jene Gefilde vorgedrungen und haben Ruinen erblickt. Diese Überreste einer uralten Urkultur hat noch niemand zu erforschen gewagt. Ein göttlicher Fluch soll auf ihnen ruhen und jeden Menschen töten, der sich den einstigen Behausungen der himmlischen Wesen nähert.

David Hatcher Childress ließ sich auch durch noch so Furcht einflößende Schilderungen der tödlichen Auswirkungen dieses Fluchs nicht davon abhalten, zusammen mit einigen Freunden vor Ort zu tauchen. In einer Tiefe von zwischen zwanzig und fünfunddreißig Metern unter dem Meeresspiegel stießen sie immer wieder auf senkrecht stehende Monolithen. Sie traten häufig paarweise auf und waren fast immer stark mit Korallen überwuchert. Childress (4): »Einige dieser Steine tragen Gravuren, zum Beispiel Kreuze, Quadrate, Rechtecke und auf einer Seite offene Vierecke. Ähnliches habe ich in den fantastischen Ruinen in den Bergen Boliviens, bei Puma Punku, einige Meilen von Tiahuanaco entfernt, gesehen. Gab es eine Verbindung?«

Waren das die ersten Hinweise auf die Stadt der Götter? Childress und seine Kollegen stellten fest: Unweit der stehenden Säule fiel der Meeresboden noch weiter ab, vermutlich auf fünfzig bis sechzig Meter. In jene tieferen Regionen wagten sie nicht hinabzutauchen (4).

Bereits 1980 hat Dr. Arthur Saxe die unterseeische Nachbarschaft von Nan Madol tauchend erkundet. Das geschah im Auftrag der Behörde »The Trust Territory of the Pacific«. Dr. Saxe veröffentlichte in einer wissenschaftlichen Broschüre seine unter Wasser gewonnenen Erkenntnisse. So berichtet er von senkrecht stehenden Säulen, die in einer schnurgeraden Linie verlaufen, die sich wiederum in den Tiefen des Meeres verliert. Sie haben einen Durchmesser, so der Gelehrte, zwischen 70 cm und zwei Metern. Ihre Länge war nicht festzustellen, da nicht eruiert werden konnte, wie tief sie im Boden des Meeresgrundes stecken. Besonders imposant: Majestätisch ruht da eine fast sieben Meter hohe Säule auf einer flachen Plattform, die an einem unterseeischen Abhang eingearbeitet ist.

Meine Forderung: Es ist endlich an der Zeit, den Meeresboden um Nan Madol herum gründlich zu erforschen. Es genügt nicht, planlos herumzutauchen. Vielmehr muss sehr sorgsam kartografiert werden. Und es gilt, die Säulen auf dem Meeresgrund zu vermessen. Schließlich muss versucht werden, auch jene tiefer gelegenen Regionen – vielleicht mit Mini-U-Booten? – zu erfassen, in die bisher noch keine Taucher vorgedrungen sind. Wird man dann endlich die uralte Stadt der Götter, über die die Überlieferungen berichten, entdecken? Warten gar mehrere solche Götter-Metropolen in den Tiefen der Südsee? Davon sind zahlreiche Bewohner von Pohnpei überzeugt. Ein solches Unterfangen ist freilich extrem kostspielig. Auch heute fehlen, wie schon seit Jahrzehnten, die Mittel, um auch nur die wichtigsten bekannten Ruinen vor dem weiteren Verfall zu bewahren.

Literatur:

Ashby, Gene (Hrsg.): »A Guide to Pohnpei/ An Island Argosy by George Ashby«, 2. revidierte Auflage, Kolonia 1993

Ashby, Gene (Hrsg.): »Micronesian Customs and Beliefs«, revised edition, Kolonia 1993

Ashby, Gene (Hrsg.): »Never and Always/ Micronesian Legends, Fables and Folklore«, 2. erweiterte Auflage, Kolonia 1989

Childress, David Hatcher: »Lost Cities of Ancient Lemuria and the Pacific«,Stelle, Ill., USA, 1988

Hambruch, Paul: »Ergebnisse der Südsee-Expedition 1908-10«, Berlin 1936

Morrill, Sibley (Herausgeber): »Ponape«, San Francisco 1970 »Polynesian Mythology«, Wellington, New Zealand, o.J.

Fußnoten:

(1) Maschinegeschriebenes Manuskript, Privatsammlung, Ponape

(2) Arthur C. Clarke: »Any sufficiently advanced technology is indistinguishable from magic.«

(3) Maschinegeschriebenes Manuskript, Privatsammlung, Ponape

(4) Childress, David Hatcher: »Lost Cities of Ancient Lemuria and the Pacific«, Stelle, Ill., USA, 1988

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