Singapur – oder tödliche Tropen

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2. KAPITEL
INSEL PENANG. DER GEHEIMAUFTRAG

Wegen der auch noch nachts vorherrschenden ungewohnten tropischen Hitze hat Kapitänleutnant Wilhelm Kurz einige unkonventionelle Befehle erteilt. So ist es der Mannschaft erlaubt, ihre Hängematten auf Deck unter Sonnensegel anzubringen. Jedoch schützen diese die Männer nur teilweise gegen die starken tropischen Regenschauer, die häufig niedergehen. In Penang geschieht es um diese Jahreszeit zahlreicher und heftiger als anderswo, so ist jedenfalls Kurz Eindruck. Allerdings ist das noch tausendmal besser als nach Vorschrift unter Deck ruhen zu müssen. Manche Matrosen schlafen in ihrer Unterwäsche, andere vollkommen nackt. Jedoch schwirren die Moskitos des Nachts im Hafen nur so herum. Deshalb müssen sich die Männer durch Moskitonetze vor den Stichen und der daraus resultierenden allzu häufig tödlichen Malaria schützen. Ein Gutteil der gewünschten Luftzirkulation wird so jedoch wieder herabgesetzt.

Auch hat Wilhelm Kurz angeordnet, dass die Wachzeiten reduziert werden, was aber bedeutet, dass mehr Männer innerhalb eines kürzeren Zeitraums Wache schieben müssen. Es ist also alles nicht so einfach. Doch dafür ist man nun einmal in der kaiserlich-deutschen Marine.

Nach einer heißen, fast durchwachten Tropennacht an Bord des Kanonenboots Iltis bricht Wilhelm Kurz am Morgen wieder gen Georgetown auf. Im luxuriösen Kolonialhotel Eastern & Oriental will er sich mit dem deutschen Leiter der Niederlassung von Behn, Meyer & Co., Heinrich Adler, treffen, um aktuelle Informationen über sein Geheimziel zu erhalten.

Diese Geheimoperation wird von Seiten der Reichsmarine sehr hoch gehängt. Das wurde Kapitänleutnant Kurz deutlich, als er kurz vor seiner Abreise nach Berlin zu einer persönlichen Unterredung mit dem einflussreichen Staatssekretär des Reichsmarineamts, Konteradmiral Alfred Tirpitz, gerufen wurde. Er soll das Ohr des Kaisers Höchstselbst haben, heißt es.

Immer noch hat Wilhelm Kurz die schnarrende entschlossene Stimme des Admirals im Ohr.

„Kapitänleutnant, ich muss Ihnen nicht noch einmal die Bedeutung Ihres Auftrags für die Zukunft unseres Vaterlandes ins Gedächtnis rufen. Die Operation unterliegt allergrößter Geheimhaltung. Besonders der Engländer darf davon keinen Wind bekommen. Wir müssen im Fall der Fälle schnellstens handeln. Die Firma Behn, Meyer & Co. hat schon auf eigene Rechnung die Vorverhandlungen für den Erwerb einer Kohlenstation auf der Insel Langkawi diskret durchgeführt. Auch gegenüber den lokalen Vertretern der Firma bleibt es dabei, dass Sie nur begutachten, ob dieser Landstreifen für die Marine geeignet ist oder nicht.

Sie, Herr Kapitänleutnant, erhalten jetzt darüber hinaus von mir persönlich die Blankovollmacht, wenn sich das Zielobjekt als ...“

Wilhelm Kurz weiß noch genau, wie er seinen Ohren nach den darauffolgenden Ausführungen nicht trauen wollte. Das könnte ungeahnte politische Verwicklungen bedeuten, ja bis hin zum Krieg, schoss es ihm unwillkürlich durch den Kopf. Und das alles sollte auf seinen Schultern ruhen. Perplex blieb ihm nur mit einem „Jawohl, Herr Admiral“ dem Befehl zu gehorchen. Und nun befindet er sich hier vor Ort, um die Order umzusetzen. Welch eine Verantwortung!

Behn, Meyer & Co. aus Hamburg, kurz BMC genannt, ist das größte und mächtigste Handelshaus in ganz Südostasien. Endlich einmal sind wir die Nummer eins in der Gegend, denkt Kurz mit Genugtuung. Im Volksmund wird die Firma auch Bismarck, Moltke & Co. genannt. Das ist ihrer seit langen bestehenden, exzellenten Beziehungen zur obersten politischen und militärischen Führung, zum Reichsgründer Bismarck und zum legendären preußischen Generalstabschef Moltke, geschuldet. Was sich diese Firma in den Kopf gesetzt hat, bekommt sie auch. So auch jetzt unter Admiral Tirpitz und Seiner Majestät Höchstselbst.

Doch dann holt Wilhelm Kurz die Gegenwart wieder ein.

Er ist fasziniert von dem Anblick des wunderschönen Eastern & Oriental Hotels, das schon eine Klasse für sich ist. Die Lage direkt an der Wasserfront und westlich von Penangs äußerem Hafen, wo die größeren Schiffe festmachen, ist hervorragend. Von der Terrasse kann man ungetrübt die Esplanade und Fort Cornwallis und die zahlreichen im Hafen liegenden Schiffe betrachten. Für einen Moment bleibt Wilhelm Kurz in der Lobby des Hotels stehen. Der Adler soll ruhig noch ein bisschen warten, erst einmal wandern Wilhelm Kurz Blicke im Eingangsbereich umher.

Er weiß noch ganz genau wie er von Reisenden in Kiel hörte, dass es eine beklagenswert geringe Anzahl von vernünftigen Unterkünften für Europäer im fernen Asien, von komfortableren Übernachtungsmöglichkeiten ganz zu schweigen, gebe. Als Gast musste man zufrieden sein, einen überteuerten Raum fernab von Schmutz und Staub der Straße, von Ratten und streunenden Hunden sowie Dieben und Bettlern zu bekommen. Moskitonetze galten als Gipfel des Luxus. Darüber hinaus erzählte man sich, dass die Zimmertüren der Hotels selten verschließbar seien und plötzlich stehe ein Diener unangemeldet im Zimmer. Manches Mal in einem unpassenden Moment. Das war’s dann auch, was die Qualität der Unterkünfte anbelangt. Das exotische Asien hatte nicht viel mehr zu bieten.

Hier ist es anders. Schon kommt der hochgewachsene livrierte Inder Singh dienstbeflissen auf Wilhelm Kurz zu und fragt ihn in einem komischen indischen Sing-Sang Englisch:

„Kann ich dem Herrn Offizier zu Diensten sein, Sir?“

Wilhelm Kurz in seiner weißen Marineuniform mustert den indischen Concierge für einen kurzen Augenblick. Dann siegt seine Neugierde.

„Ich bin sehr beeindruckt von diesem Hotel.“

Mehr braucht Wilhelm gar nicht zu sagen, da sprudelt es auch schon aus dem Inder mit stolzgeschwellter Brust hervor, wobei sich sein Kopf hin und her bewegt, wie es bei den Indern üblich ist, wenn sie etwas Wichtiges betonen wollen.

„Sir, wie in den Luxushotels Londons so ist auch hier das Monogramm unseres ehrwürdigen Hotels in die Bettbezüge, Kissen und Handtücher eingestickt, Sir. Dazu verzieren zierliche Porzellanfiguren die Kaminsimse. Sir, Sie werden es nicht für möglich halten, Sir, aber vierzig Zimmer verfügen über ein Badezimmer mit Badewannen und fließend heißem und kaltem Wasser, Sir. Sir, wir wissen, dass die europäischen Reisenden eine Hotellage direkt am Wasser bevorzugen, Sir. Das Hotel verfügt über dreihundert Meter Strand. Damit hat es die längste Wasserfront aller Hotels auf der Welt, Sir. Ist das nicht unglaublich, Sir?“

Allmählich geht Wilhelm Kurz dieses stolze und selbstgefällige Gerede auf die Nerven, trotz der interessanten Informationen. Und dann dieses ewig „Sir“. „Sir“ hier „Sir“ da. Und dann das Wackeln des Kopfes von der einen zu der anderen Seite. Wir sind doch nicht an Bord eines Schiffs, denkt er sich verwundert. Der Inder nimmt keine Notiz von Kurz zunehmender Ungeduld.

„Sir“, fährt der Inder unbeirrt fort und schiebt dabei seinen Kopf schon fast verschwörerisch nahe an Wilhelms heran, „unser ehrwürdiges Hotel wird unter Kennern nur kurz E & O genannt. Das reicht und jeder weiß Bescheid, Sir. Sir, ich darf Ihnen ehrerbietigst versichern, das E & O ist das beste Hotel östlich von Suez, Sir.“

Heftig mit dem Kopf hin und her wackelnd bestätigt der Inder noch einmal seine Worte.

In der Tat ist Wilhelm Kurz beeindruckt von den Neuigkeiten, bedankt sich militärisch knapp für die Ausführungen und lässt sich zu dem wartenden Heinrich Adler führen.

Auf dem Weg dorthin verharrt der livrierte Inder und verbeugt sich tief vor einem vorbeischreitenden Chinesen. Nachdem dieser den Inder und Wilhelm Kurz passiert hat, ohne sie eines Blickes zu würdigen, wendet sich Singh wieder dem deutschen Marineoffizier zu. Jedoch spricht der Inder dieses Mal leise, ja ehrfürchtig und mit veränderter Stimmlage.

„Sir, der Gentleman ist Cheong Fatt Tze, ein Chinese von unfassbarem Reichtum. Er ist der Prominenteste der reichen Chinesen unserer Insel. Nebenbei ist er auch noch chinesischer Konsul in Penang. Es heißt, er hat sich diesen ehrwürdigen Titel schlicht und einfach vom kaiserlichen Hof in China gekauft. Normalerweise muss man erst die vorgeschriebenen äußerst schwierigen Prüfungen bestehen. Sir, ich könnte Ihnen noch mehr erzählen, wenn Sie wollen, Sir!“

Nun ist Wilhelm Kurz doch gefangen von den Erzählungen des Inders. Seine Augenbrauen heben sich minimal und mit einem kaum erkennbaren Nicken bedeutet er dem Inder Singh fortzufahren.

„Sir, Cheong war früher nur ein einfacher Wasserträger“, raunt er Wilhelm Kurz hinter vorgehaltener Hand zu. „Durch harte Arbeit und familiäre Unterstützung ist er Millionär geworden. Cheong lebt mit seiner Großfamilie, mit mehreren Frauen und einer großer Dienerschaft in herrlichen Herrenhäusern in Saus und Braus. Wenn Cheong hier bei uns in Georgetown ist, wohnt er in seinem berühmtem „Blauen Herrenhaus“ in der Leith Street. Das, Sir, müssen Sie sich mit eigenen Augen einmal ansehen. Aber ich kann Ihnen auch darüber etwas erzählen, Sir.“

„In Gottes Namen, so tun Sie das“, entfährt es Wilhelm Kurz etwas unwirsch, was der Inder Singh indes gar nicht bemerkt.

„Sir, Cheongs indigoblaues Herrenhaus hat achtunddreißig Räume, fünf mit Granit gepflasterte Innenhöfe, sieben Treppenaufgänge und zweihundertzwanzig traditionelle hölzerne Fensterläden, Siiiir.“

Beim Erwähnen dieser Dimensionen zieht der Inder nicht nur das „Sir“ in die Länge und rollt mit dem Kopf noch intensiver als sonst hin und her, sondern auch seine Augen weiten sich sichtlich.

„Nun kommt es, Sir. Die hervorstechende blaue Farbe des Herrenhauses ist das Ergebnis des Zusammenmischens von Kalk mit der natürlichen blauen Farbe, die aus der Indigopflanze gewonnen wird. Die Farbe wurde extra aus Indien importiert. Die so gekalkten Mauern weisen die übliche Feuchtigkeit unseres tropischen Wetters sehr schön ab und lassen zugleich die Mauersubstanz unbeschadet. Eigentlich ist Weiß die am einfachsten erhältliche Farbe, aber da sie auch die Farbe des Todes für die Chinesen ist, hat Cheong sich für die weitaus teurere blaue Farbe entschieden.

 

Sir, Sie können es sich nicht vorstellen, Sir. Bei öffentlichen Anlässen treten seine Frauen und seine Töchter in ihren üppigen und verschwenderischen Kleidern mit glitzernden Juwelen behangen auf. Sir, Cheong hat bestimmt in unserem Hotel Geschäfte gemacht. Er ist Stammgast bei uns und ...“, will der Inder fortfahren. Aber Wilhelm hat genug und macht mit einer Handbewegung deutlich, dass er aufhören soll, denn mittlerweile haben sie Heinrich Adler erreicht.

„Geschäfte, Geschäfte“. Das sind auch die ersten Worte, die Wilhelm Kurz von Heinrich Adler zu hören bekommt, als er sich zu ihm an den Ecktisch im Restaurant des Hotels setzt. Selbstgefällig grinst Adler und zeigt mit seinem fetten Zeigefinger auf den aus dem Hotel schreitenden Cheong.

„So macht Behn, Meyer & Co. Geschäfte. Nur mit den reichsten und einflussreichsten Leuten vor Ort“, tönt es Wilhelm Kurz entgegen. Von Anfang an ist ihm sein Gegenüber unsympathisch. Dieses feiste, von Schweiß glänzende runde Gesicht mit den kleinen Schweinsäuglein und dem selbstgefälligen Blick. Der Bierbauch des höchstens Enddreißigers Adler ist auch nicht zu übersehen.

Kurz runzelt die Stirn, zieht heftig die Augenbrauen zusammen und zögert einen Augenblick. Dann atmet er bewusst aus. Sein Gesichtsausdruck ist wieder normal, sein Tonfall ebenso. Aber was soll er machen? Adler ist nicht nur ein Landsmann, sondern auch der Kontaktmann für seinen Geheimauftrag.

Heinrich Adler lässt sich nicht lange bitten und legt Kurz die Lage dar, wobei der Kapitänleutnant nicht umhin kommt anzunehmen, dass Adler seine Rolle, die er dabei spielt, doch etwas ausschmückt.

„Vor kurzem weilte ich im Sultanat Kedah auf der gegenüberliegenden malaiischen Halbinsel zu Besuch. Da deutete der Wesir Wan Mohamed Saman an, dass das Königreich Siam, zu welchem Kedah gehört, es gerne sehen würde, wenn Deutschland an der Westküste der malaiischen Halbinsel eine Kolonie anlegen würde. In diesem Zusammenhang sei die Insel Langkawi, nördlich von Penang an der Einfahrt zur Straße von Malakka gelegen, sehr geeignet.“

„Von Kolonie oder ähnlichem ist überhaupt keine Rede“, unterbricht ihn Wilhelm Kurz im schneidenden Ton. „Streichen Sie solche Begriffe aus Ihrem Kopf. Ist das klar, Adler?“

Adler nickt eifrig und fährt gewichtig mit viel Pathos in der Stimme fort:

„Selbstverständlich, Herr Kapitän. Der Herr Kapitän müssen wissen, dass neben der hervorragenden geografischen Lage die Fruchtbarkeit der Insel sehr groß ist. Im Innern gibt es Süßwasserseen, so dass reichlich Wasser vorhanden ist. Die Produkte, die in Penang angebaut werden, wachsen auch auf Langkawi, wie Gewürznelken, Muskatnüsse und Pfeffer. Zwar habe ich die Insel nicht persönlich in Augenschein nehmen können, doch weiß ich durch meine Kontakte, dass sie an der Ostküste über einen geschützten Ankerplatz verfügt.“

„Herr Adler, schön und gut, aber wie ist es um die Besitzverhältnisse der Insel bestellt? Habe ich richtig verstanden, dass die Insel zum einen dem Sultan von Kedah gehört, das Sultanat selber aber unter der Oberhoheit des Königs von Siam steht?“

Nun klingt Wilhelm Kurz etwas gereizt.

„Sehr richtig Herr Kapitän“, antwortet Adler und fährt mit großer Überzeugung fort:

„Langkawi gehört zum Sultanat Kedah, das zwar der Souveränität Siams untersteht, aber der Sultan ist de facto ziemlich unabhängig vom König von Siam. Das Hauptproblem des Sultans ist vielmehr, dass er sehr hoch verschuldet ist. Und genau das ist der Ansatzpunkt: Geld. Doch ist der Sultan zugleich ein sehr stolzer Mann. Deshalb ist es günstig, zunächst an ihn heranzutreten und erst dann den König von Siam zu konsultieren. Übrigens hat meine Firma bereits vor geraumer Zeit einen Vertreter aus Singapur, Herrn Adolf Schönherr, nach Langkawi entsandt.“

Bei der Erwähnung des Namens zuckt Wilhelm innerlich kurz zusammen, lässt sich aber nach außen nichts anmerken. Unbeirrt setzt Adler seinen Redeschwall fort.

„Der Schönherr sollte Ihren Aufenthalt vorbereiten. Nur, er mag sich ja gut in Singapur auskennen, aber mit den speziellen hiesigen Verhältnissen ist er nun wahrlich nicht vertraut. In aller Bescheidenheit, Herr Kapitän, ich kenne die Herren von Kedah sehr gut und spreche auch malaiisch. Gegen ein kleines Entgelt, schließlich bin ich ja Kaufmann“, tönt es selbstgefällig aus Adlers Mund, „bin ich gerne bereit, die Verhandlungen wegen Langkawi zu einem schnellen Ende zu führen. Mit dem Herrn Neubrunner, dem siamesischen Konsul, mit dem ich zusammen wohne, habe ich die Sache auch schon durchgesprochen. Der wird anschließend seine Kontakte zum Königshaus in Bangkok spielen lassen. Alles kein Problem.“

Bei diesen Worten verfinstert sich Wilhelm Kurz Gesicht. Er traut seinen Ohren immer noch nicht. Ein fragender Blick breitet sich über sein Gesicht aus. Normalerweise ist Wilhelm Kurz ein eher ruhiger und überlegter Charakter. Freunde bezeichnen ihn als ausgeglichen. Aber jetzt wäre er fast aufgesprungen und hätte dem Adler am liebsten ordentlich gerüttelt. Da er aber einen klaren Auftrag hat, reißt er sich zusammen. Kurz spricht leise, aber so eindringlich wie er kann. Zischend quetscht er die Worte zwischen seinen Zähnen hervor:

„Adler, verdammt noch mal, das ist eine geheime Reichssache. Kapieren Sie das endlich und halten Sie Ihren Mund. Schlimm genug, dass es sich anscheinend schon innerhalb der Firma von Behn, Meyer & Co. herumgesprochen hat. Aber nun auch der Neubrunner. Wie mir berichtetet wurde, ist der Kerl ein Plappermaul. Da der Neubrunner von der Unternehmung Kenntnis hat, wissen es vielleicht auch schon die Hofschranzen in Bangkok und wer weiß, wer noch. Hoffentlich nicht die Engländer.“

Etwas bedröppelt schaut Adler drein, zu verblüfft, um zu antworten. Auf so eine Zurechtweisung durch den schneidigen Kapitän der kaiserlichen Marine ist er nicht vorbereitet gewesen.

Kleinlaut fragt Heinrich Adler: „Wie kann ich dem Herrn Kapitän noch zu Diensten sein?“

„Erstens: Klappe halten! Zweitens: dem Neubrunner vorerst mitteilen, dass das Zielobjekt keinen Wert für die Marine hat“, fährt Kapitänleutnant Kurz ihn militärisch kurz an und schaut Adler dabei so ernst wie nur möglich an.

„Wie sieht es mit dem Vorvertrag aus? Haben Sie den im Namen Ihrer Firma vorbereitet?“

„Jawohl“, kommt es weiterhin kleinlaut aus Adlers Mund.

„Unsere Firma ist bereit, den Hafen von Langkawi als zukünftige Kohlenstation vom Sultan von Kedah gegen eine feste Summe und eine Beteiligung des Sultans von zehn Prozent des jährlichen Nettogewinns zu pachten. Alles vertraulich natürlich. Sobald Sie den Platz der möglichen Kohlenstation in Augenschein genommen und Ihre Zustimmung erteilt haben, Herr Kapitänleutnant, ist Behn, Meyer & Co. bereit, den Vertrag zu besiegeln.“

„Das will ich auch hoffen. Gut so. Dafür ist es notwendig, dass Sie sofort Kontakt zu dem Gewährsmann des Sultans auf Langkawi herstellen. Er soll mich morgen am Ufer des besagten Ankerplatzes treffen. Ich muss mir persönlich ein Bild von der Lage machen. Schließlich geht es besonders für Ihre Firma um viel Geld. Nur wenn die kaiserliche Marine bei Ihnen auf Langkawi dann auch kohlen lässt, können Sie Geld verdienen.“

Fast hätte er noch hinzugefügt: Da wird der Engländer aber gucken, wenn wir erst einmal auf Langkawi sitzen und ihm die Vorherrschaft in der Straße von Malakka mit unserem Stützpunkt streitig machen. Aber Wilhelm Kurz hält sich zurück. Das geht den Adler gar nichts an. Dafür führt er aus:

„Wenn ich den Platz auf Langkawi als Kohlenstation für geeignet halte, halten Sie sich bereit, auf meine Anweisung hin die erste Rate der Pachtsumme dem Sultan von Kedah zu übergeben und Berlin unverzüglich per Telegrafen das vereinbarte Codewort, das ich Ihnen zukommen lassen werde, zu übermitteln. Ist das klar? Und Adler“, dabei sieht Kurz ihn eindringlich an und formuliert militärisch scharf: „HALTEN Sie fortan Ihren Mund, verstanden?“

Zunächst ist Adler zu perplex, um zu antworten. Dann aber schallt Kapitänleutnant Kurz ein militärisch knappes „Jawohl, Herr Kapitän!“, entgegen. Schließlich hat Adler gedient, wie jeder gute Deutsche.

Außerdem will er es dem Kapitänleutnant recht machen. Heinrich Adlers vermeintliches Selbstvertrauen ist nur vorgeschützt. Ihm selber wird von der Firmenleitung in Singapur nur noch eine Art Gnadenfrist gewährt.

Die Niederlassung von Behn, Meyer & Co. in Penang ist besonders im Zinngeschäft sehr aktiv. Vor einiger Zeit stattete der Leiter der Firma aus Singapur, Direktor Karl Wittmann, Penang einen Besuch ab. Dabei stellte er fest, dass man in Penang ein unüblich großes Lager von Zinn unterhielt, das von der Firma bevorschusst werden musste. Dieses Zinn lagerte in engen, düsteren Godowns, wie man die Warenlager hier nennt, und war in Blöcken aufgestapelt. Wittmanns Ermahnung, festzustellen, ob tatsächlich alles Zinn noch vorhanden sei, stieß bei Heinrich Adler auf taube Ohren. Adler hatte volles Vertrauen in seinen chinesischen Vorarbeiter Low. Zudem ist Adler auch etwas träge und genießt lieber die Vorzüge eines weißen Kaufmanns in den Tropen.

Dann aber kam, was kommen musste. Die Nachricht von einem großen Manko in den Zinn-Godowns von Penang drang sogar bis zur Firmenzentrale in Hamburg. Direktor Wittmann erhielt den Auftrag, sofort wieder nach Penang zu reisen, um nach dem Rechten zu sehen. Nach der Überprüfung musste er feststellen, dass eine große Menge an Zinn im Wert von mehreren hunderttausend Dollar fehlte. Der angeblich vertrauenswürdige Vorarbeiter Low, der wie alle Chinesen zu einem weitverzweigten Familienclan gehört, entpuppte sich als regelrechter Gauner.

Low war es gelungen, von Adler die Ersatzschlüssel zu den Godowns zu erhalten, und gab dafür gefälschte Duplikate zurück. Der bequeme Adler ahnte davon nichts. Mit diesen Ersatzschlüsseln konnte Low in der Nacht zusammen mit seinen Kulis in die Godowns eindringen und das Zinn herausholen. Dabei ging er geschickt vor. Um seine Diebstähle zu verschleiern, ließ er die vorderste Reihe intakt und plünderte dafür die hinteren Reihen aus. Außerdem ersetzte er die gestohlenen wertvollen Zinnblöcke durch minderwertige. So hätte nur eine genaue Überprüfung den Betrug aufdecken können, die Adler aber nicht vorgenommen hatte.

Da sich ansonsten das Geschäft von Behn, Meyer & Co. glänzend entwickelte, wollte die Firma Negativschlagzeilen vermeiden, sodass von den Betrügereien nichts an die Öffentlichkeit drang. Davon profitierte auch Heinrich Adler, der in seinem Amt blieb, nicht zuletzt auch wegen seiner exzellenten Kontakte zu allen möglichen Leuten in der Gegend. Fortan stand Adler jedoch unter strengster Beobachtung.

Doch von all dem weiß Wilhelm Kurz nichts. Nachdem dieser das Hotel verlassen hat und in die Rikscha steigt, die ihm zu seinem Schiff bringt, muss er tief durchatmen und kann über den Landsmann Adler nur den Kopf schütteln.

Am nächsten Morgen stehen die Kessel des Kanonenboots Iltis unter vollem Dampf. Es kann losgehen. Kapitän Wilhelm Kurz brennt förmlich darauf, endlich mit seinem Schiff wieder in See stechen zu können. Für einen eingefleischten Seewolf gibt es nichts Schöneres, als wenn sich das Schiff in den Wellen des unendlichen Meeres wiegt. Das Ziel, das er ausgegeben hat, sind Schießübungen, die man nordöstlich von Penang abhalten will, um den Alltag der Bewohner nicht zu stören. Genauso hat er das dem Hafenkommandanten Jenkins versprochen. Und genauso wird er es auch machen. Ein zufriedenes Lächeln zeichnet sich in Kurz Gesicht ab.

Mit seinem Schiff, dem Kanonenboot Iltis, ist er auch zufrieden. Erst im August 1898 lief das Schiff in Danzig vom Stapel. Endlich, so jedenfalls empfindet es Kurz, hat man in Berlin auf die neue deutsche Stellung in der Welt reagiert und schließlich die Gelder für die langersehnten Kanonenboote, die extra für den Dienst in den deutschen Kolonien vorgesehen sind, bewilligt.

Noch im ersten Monat des neuen Jahres verließ Kurz mit seinem Schiff die Förde in Kiel mit dem Ziel Tsingtau, die deutsche Kolonie in Nordchina. Die Fahrt auf dem zweiundsechzig Meter langen und neunhundert Tonnen verdrängenden Schiff verlief bisher reibungslos. Auf seine acht Offiziere und einhunderteinundzwanzig Mann Besatzung ist Kapitänleutnant Kurz stolz. Tadelloses Schiff, tadellose Besatzung. Nur die vier 8,8 Zentimeter Schnellfeuerkanonen und die sechs 3,7 Zentimeter Revolverkanonen warten noch darauf, getestet zu werden.

 

Mit seinen zwei qualmenden Schornsteinen schiebt sich das Kanonenboot Iltis durch das ruhige tiefblaue Meer. Obwohl die Tropensonne von einem ebenso blauen Himmel erbarmungslos scheint, bringt der Fahrtwind eine leichte Abkühlung. Nur die Heizer tief unten im Rumpf des Schiffs unter der Wasseroberfläche bekommen davon nichts mit. Ihnen rinnt der Schweiß nur so vom Körper. Eine regelmäßige Ablösung und Wasseraufnahme ist im wahrsten Sinne des Wortes überlebenswichtig.

Langsam nimmt Iltis Fahrt auf. Die Hafeneinfahrt von Georgetown erstreckt sich zwischen der Nordküste Penangs und dem malaiischen Festland über eine Entfernung von fünfzehn Seemeilen. Mit einer Fahrgeschwindigkeit von mittlerweile zehn Knoten benötigt es dafür ungefähr eineinhalb Stunden. Als Iltis den äußeren Hafen verlässt, muss das Schiff zu beiden Seiten seichte Gewässer passieren. Äußerste Konzentration auf der Brücke wird beim Durchfahren der knapp drei Kilometer breiten Fahrrinne zwischen Georgetown und Butterworth verlangt. Man muss höllisch aufpassen, nicht in die flachen Gewässer zu geraten.

Ganz allmählich verschwinden die hohen Hügelrücken, die die Insel Penang in ihrer ganzen Länge durchziehen, am Horizont. Für kurze Zeit ist noch der Tanjong Puchat Muka Leuchtturm im Norden der Insel zu sehen. Dann verschwindet auch er. Von dem vor über fünfzehn Jahren fertiggestellten Leuchtturm, der aus Granit ist und sechsundzwanzig Meter über dem Meeresspiegel ragt, hat man einen fantastischen Blick. Sein Licht kann aus dreißig Seemeilen Entfernung noch gesehen werden. Aber dafür hat jetzt weder Kapitän Kurz noch einer seiner Leute ein Auge. Mit voller Konzentration wird Iltis auf Kurs gebracht.