Öffentliches Recht im Überblick

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ff) Außenvertretung

142

Schließlich liegt beim (Minister-)Rat auch die Koordinierung der außenpolitischen Kompetenz der Union. Als „Rat Auswärtige Angelegenheiten“ (dem die Außenminister der Mitgliedstaaten angehören) wirkt er auf ein politisch geschlossenes und einheitliches Auftreten der EU und ihrer Mitgliedstaaten nach außen hin. Zugleich ist der (Minister-)Rat – auf der Basis von Vorarbeiten der Kommission – für den Abschluss völkerrechtlicher Abkommen mit Drittstaaten oder internationalen Organisationen zuständig (Art. 218 AEUV).

5. Kommission

Vertiefungshinweis:

Fischer/Fetzer, Europarecht, Rn. 102-121.

a) Bedeutung und Zusammensetzung

143

Ist der (Minister-)Rat das politische Herzstück der EU-Organisation, bildet die Kommission das administrative Zentrum der EU (siehe im Einzelnen unten, Rn. 148). Deshalb beschäftigt sie auch den weit überwiegenden Teil aller EU-Bediensteten: Während bei der Kommission rund 32 000 Menschen arbeiten, sind es im Parlament über 7500 und beim Generalsekretariat des (Minister-)Rates ca. 3500 Personen.[31]

144

Die Kommission soll als unabhängige und objektive Behörde das europäische Gemeinwohl sicherstellen und allein dem Unionsinteresse verpflichtet sein (vgl. Art. 17 III UA 3 EUV).[32] Dadurch unterscheidet sich die Kommission vom (Minister-)Rat, der natürlich primär den Interessen der entsendenden Mitgliedstaaten verpflichtet ist, aber auch zum EP, in dem parteipolitische Interessen dominieren. Allerdings steht dieses Konzept einer sachbezogen agierenden Fachbehörde in einem gewissen Spannungsverhältnis zu den Bemühungen einer (Partei-)Politisierung der Kommission im Zuge der Aufstellung von Spitzenkandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten und zur Entsendungszuständigkeit der Mitgliedstaaten.[33]

145

Die Kommission besteht aus der Kommissionspräsidentin, dem Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und (derzeit) 25 Kommissaren. Dabei korrespondiert die Gesamtzahl der 27 Kommissionsmitglieder mit der Zahl der 27 Mitgliedstaaten, wobei jeder Staat ein Mitglied entsendet (Art. 17 IV EUV). Zwar gilt seit 2014 der Grundsatz, dass die Zahl der Kommissionsmitglieder nur noch zwei Drittel der Mitgliedstaaten (also 18) betragen und dadurch schlagkräftiger werden soll; allerdings kann der Europäische Rat einstimmig davon abweichen. So wurde 2009 beschlossen, dass auch weiterhin jeder Mitgliedstaat ein Kommissionsmitglied stellen soll. Aufgrund politischer Festlegungen v.a. kleinerer Mitgliedstaaten hat der 2/3-Grundsatz derzeit keine Umsetzungsperspektive.[34]

146

Die Präsidentin der Kommission nimmt innerhalb des Gremiums eine klare Führungs- und Leitungsrolle ein:


Dies beginnt mit ihrer herausgehobenen Einzelwahl und -ernennung durch den Europäischen Rat und das EP (Art. 17 VII UA 1 EUV).
Des Weiteren hat die Präsidentin eine starke Stellung bei der personellen Zusammenstellung „ihrer“ Kommission: So bedarf die Auswahl der übrigen Kommissionsmitglieder ihrer Zustimmung und sie kann jedes Kommissionsmitglied zum Rücktritt verpflichten (Art. 17 VI UA 2, VII UA 2 EUV).
Außerdem kommt der Präsidentin die interne Organisationshoheit der Kommission zu: Sie entscheidet über die Ressortverteilung unter den einzelnen Kommissionsmitgliedern (Art. 248 AEUV) und über ihre Stellvertretung mit Ausnahme des als Vizepräsidenten gesetzten Hohen Vertreters der Union für die Außen- und Sicherheitspolitik (Art. 17 VI UA 1 lit. c, 18 IV EUV).
Schließlich legt die Präsidentin die Leitlinien für die Arbeit der Kommission fest und verfügt so über eine (auf die Kommission) beschränkte Richtlinienkompetenz (Art. 17 VI UA 1 lit. a AEUV).

147

Die Kommissionsmitglieder müssen „aufgrund ihrer allgemeinen Befähigung und ihres Einsatzes für Europa […] die volle Gewähr für ihre Unabhängigkeit bieten“ (Art. 17 III UA 2 EUV). Sie dürfen auch keine Weisungen entgegennehmen oder einholen, insbesondere nicht von Ihrem entsendenden Heimatstaat (Art. 17 III UA 3 EUV). Diese wohlklingenden Sätze kontrastieren etwas mit der politischen Wirklichkeit, wonach es nach wie vor die nationalen Regierungen sind, die im Wesentlichen über die Person „ihres“ jeweiligen Kommissars entscheiden. Denn die Kommission wird (mit Ausnahme ihrer Präsidentin, die einzeln auf Vorschlag des Europäischen Rates vom EP gewählt wird) vom (Minister-)Rat auf der Basis von Vorschlägen der einzelnen Mitgliedstaaten zusammengestellt und – nach einer Kollektivbilligung durch das EP – für die Dauer von fünf Jahren ernannt (Art. 17 III UA 1, VII EUV).

b) Hauptaufgaben

aa) Exekutivfunktionen

148

Zu den zahlreichen Exekutivaufgaben der Kommission gehören gem. Art. 17 I EUV


die Durchsetzung der Umsetzung und Anwendung des EU-Rechts durch die Mitgliedstaaten (dazu nachfolgende Rn.),
die Aufstellung und der Vollzug des EU-Haushaltsplans (Art. 314, 317 ff. AEUV),
die Verwaltung der vielfältigen Förder- oder Aktionsprogramme der Union (etwa in den Bereichen Forschung oder Umwelt) oder

bb) „Hüterin der Verträge“ (Kontrolle)

149

Das EU-Recht wird in aller Regel nicht durch die EU selbst, sondern durch die einzelnen Mitgliedstaaten umgesetzt und angewendet (Art. 291 AEUV). Der Kommission kommt dabei die Aufgabe zu, diese Umsetzung und Anwendung des Unionsrechts seitens der Mitgliedstaaten zu überwachen (Art. 17 I 3 EUV). Verstößt ein Staat gegen das Unionsrecht, leitet die Kommission ein sog. Vertragsverletzungsverfahren gegen den betreffenden Staat ein, das sie bis zum EuGH betreiben kann (Art. 258 AEUV). Dabei handelt es sich keineswegs um eine seltene Ausnahme – so waren Ende 2018 insgesamt 1571 solche Vertragsverletzungsverfahren anhängig.[36]

150

Dies kann je nach Schwere und Dauer der Vertragsverletzung für die betroffenen Staaten teuer werden. Denn nach Art. 260 II, III AEUV kann der EuGH auf Antrag der Kommission Zwangsgelder und Pauschalbeträge verhängen. Das Zwangsgeld beträgt täglich 3.116 €, multipliziert mit einem Faktor von 1 bis 20 je nach Schwere des Verstoßes, nochmals multipliziert mit einem Faktor von 1 bis 3 je nach Dauer des Verstoßes und ein drittes Mal multipliziert mit einem Länderfaktor, der vom Bruttoinlandsprodukt und der Zahl der EP-Abgeordneten des jeweiligen Landes abhängig ist und zwischen 0,07 (Malta) und 4,62 (Deutschland) liegt.[37] Damit liegt der Tagessatz eines solchen Zwangsgeldes für Deutschland zwischen 14.395,92 € und 863.755,20 €.

151

Einen besonderen Schwerpunkt der Kontrolltätigkeit der Kommission bildet dabei die Sicherstellung fairer Handels- und Wirtschaftsbedingungen innerhalb des gemeinsamen Marktes. Dieser Auftrag richtet sich zum einen wiederum gegen die Mitgliedstaaten, deren Subventionsvergaben von der Kommission überprüft und an den Maßstäben der Art. 107 ff. AEUV gemessen werden (Art. 108 I AEUV). Danach sind solche Subventionen (im EU-deutsch: „Beihilfen“) unzulässig, die den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen (Art. 107 I AEUV) und nicht durch eine der Ausnahmen (z.B. Förderung strukturschwacher Gebiete, Art. 107 III lit. a AEUV) gedeckt sind (s.u., Rn. 1117 f.). Verstößt eine mitgliedstaatlich gewährte Subvention dagegen, verlangt die Kommission von dem betroffenen Staat die Rückforderung der Subvention (Art. 108 II AEUV).

152

Zum anderen bezieht sich die Wirtschaftskontrolltätigkeit der Kommission auch auf die einzelnen Unternehmen, die im gemeinsamen Markt tätig sind. Treffen Unternehmen entgegen Art. 101 f. AEUV wettbewerbsbehindernde Absprachen oder missbrauchen sie eine marktbeherrschende Stellung, hat die Kommission entsprechende Ermittlungs- und Sanktionsbefugnisse mit Zwangsgeldern und Geldbußen (Art. 103, 105 AEUV). So hat die Kommission beispielsweise im Jahr 2013 eine Geldbuße von 561 Mio. € gegen Microsoft festgesetzt, weil der Konzern seinen Kunden keine freie Browser-Wahl ermöglicht hat.[38] Am höchsten waren bisher die Strafen für Google; 2017 musste das Unternehmen wegen eines wettbewerbswidrigen Preisvergleichsdienstes 2,42 Mrd. € bezahlen und 2018 sogar 4,34 Mrd. € wegen rechtswidriger Einschränkungen beim Smartphone-System Android.[39]

 

cc) Rechtssetzung

153

Trotz ihrer Fokussierung auf exekutive Aufgaben hat die Kommission ein weitgehendes Alleinstellungsmerkmal im EU-Gesetzgebungsverfahren, nämlich das Initiativmonopol (Art. 17 II EUV). Danach ist – von wenigen Ausnahmen in den Verträgen abgesehen – allein die Kommission dazu berechtigt, den beiden Legislativorganen (EP und Rat) Gesetzgebungsvorschläge zu unterbreiten. Für den Haushaltsplan ist dieses Initiativmonopol in Art. 314 II AEUV verankert. Nicht einmal die beiden Organe selbst haben ein unmittelbares Initiativrecht, sondern können nur die Kommission zur Unterbreitung des Vorschlags auffordern, was diese aber mit Begründungspflicht ablehnen kann (Art. 225, 241 AEUV).

154

Daneben hat die Kommission auch eigene Rechtssetzungskompetenzen. So können EP und (Minister-)Rat in Gesetzgebungsakten die Kommission zur delegierten Rechtssetzung ermächtigen; dabei müssen Ziele, Inhalt, Geltungsbereich und Dauer dieser Delegation im Einzelnen festgelegt sein (Art. 290 AEUV; s.u. Rn. 205 ff.). Daneben gibt es einige (wenige) vertragliche Direktermächtigungen wie in Art. 106 III AEUV.

dd) Außenvertretung

155

Des Weiteren liegt bei der Kommission der Schwerpunkt der operativen Außenpolitik der Union, was vor allem durch das im Lissabon-Vertrag geschaffene Amt des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik zum Ausdruck kommt (Art. 17 I S. 6, 18 IV 3 EUV). So führt in der Regel die Kommission die Verhandlungen über Verträge mit Drittstaaten und internationalen Organisationen. Davon unberührt bleibt die Abschlusskompetenz des (Minister-)Rates für solche Verträge und dessen stärker strategisch ausgerichtete Koordinierungsfunktion der EU-Außenpolitik (s.o., Rn. 142).

c) Regierungsähnlicher Charakter

156

Der dargestellte Organisations- und Aufgabenzuschnitt der Kommission weist zahlreiche Parallelen mit einer Regierung auf Staatenebene auf:


Die starke Stellung der Kommissionspräsidentin in personeller wie inhaltlicher Hinsicht entspricht der eines Regierungschefs (s.o., Rn. 146).
Durch die Auskunftspflichten und die Gesamtverantwortlichkeit gegenüber dem EP besteht zwischen Kommission und EP eine Verantwortungs- und Kontrollbeziehung, wie sie im klassischen Dualismus zwischen Regierung und Parlament üblich ist. Dies wird auch durch die Parallelisierung der Legislaturperioden des EP und der Amtszeiten der Kommission unterstrichen.
Schließlich ist die Kommission – wie eine Regierung – im Schwerpunkt für Exekutivaufgaben sowie die Aufstellung und den Vollzug des Haushalts zuständig. Auch die delegierte Rechtssetzung gehört zum klassischen Spektrum von Regierungsaufgaben (vgl. etwa Art. 80 GG).

157

Dennoch wäre es zu weitgehend, die Kommission als „EU-Regierung“ zu bezeichnen. Zum einen würde dies sprachlich-funktionell eine Staatlichkeit der EU suggerieren, die ja gerade wegen der dominanten Rolle der Mitgliedstaaten und des Prinzips der Einzelermächtigungen gem. Art. 5 EUV nicht besteht (s.o., Rn. 52). Zum anderen aber fehlt der Kommission ein zentrales Regierungselement: Eine Regierung ist ein Organ der politischen Staatsleitung,[40] während die Kommission relativ stark auf administrative Fragen fokussiert ist und die politische Führung sehr viel stärker beim Europäischen Rat und beim (Minister-)Rat liegt.

6. Gerichtshof der Europäischen Union

Vertiefungshinweis:

Fischer/Fetzer, Europarecht, Rn. 140-152; 246-327.

a) Aufgabe und Struktur

158

Abbildung 16:

Struktur, Instanzen und Zuständigkeitsverteilung beim Gerichtshof der EU


[Bild vergrößern]

aa) Begriff

159

Um eine letztendlich EU-weit einheitliche Auslegung des europäischen Rechts sicherzustellen, gibt es auch eine EU-Gerichtsbarkeit. Diese tritt unter der Bezeichnung „Gerichtshof der Europäischen Union“ auf, besteht aber aus zwei verschiedenen Gerichtsebenen. Oben steht der „Gerichtshof“ (EuGH) und darunter das „Gericht“ (EuG); von der in Art. 257 AEUV eröffneten Möglichkeit zur Einrichtung von darunter stehenden Fachgerichten hat die EU nur zeitweilig mit dem „Gericht für den öffentlichen Dienst der EU“ (EuGöD) Gebrauch gemacht.[41] Gemeinsam bilden diese Gerichte den „Gerichtshof der Europäischen Union“ i.S.v. Art. 19 EUV.

bb) Instanzenzug

160

Die instanzielle Hierarchie zwischen diesen Gerichten ergibt sich aus Art. 256 AEUV. Soweit das EuG erstinstanzlich tätig wird, unterliegen seine Entscheidungen grundsätzlich einer Überprüfung durch den EuGH. Dieses Rechtsmittel kann jedoch keine strittigen Sachfragen mehr thematisieren, sondern nur noch die Rechtsauslegung bzw. -anwendung betreffen (Art. 256 I AEUV).

cc) Zuständigkeiten

161

Die Verteilung der (erstinstanzlichen) Aufgaben unter den beiden verschiedenen Gerichtsebenen ist in Art. 256 AEUV und in Art. 51 der Satzung des Gerichtshofs der EU geregelt. Daraus ergibt sich (bei einigen Ausnahmen) im wesentlichen folgende Zuständigkeitsverteilung (zu den einzelnen Verfahrensarten s.u., Rn. 168 f.):

162


Der Gerichtshof (EuGH) ist erstinstanzlich hauptsächlich für Streitigkeiten zwischen EU-Organen oder zwischen der EU und einzelnen Mitgliedstaaten zuständig. Darüber hinaus obliegt ihm die Gewährleistung der einheitlichen Rechtsanwendung, in dem er als zweite Instanz – wie dargestellt – unter bestimmten Voraussetzungen Entscheidungen des Gerichts rechtlich überprüfen kann. Außerdem ist er exklusiv für Vorlagen nationaler Gerichte zuständig, wie eine bestimmte Norm des EU-Rechts (vor dem Hintergrund eines konkreten Rechtsstreits) auszulegen ist (sog. Vorabentscheidungsverfahren, s.u. Rn. 169).

163


Das Gericht (EuG) ist demgegenüber als erste Instanz für die Klagen juristischer oder natürlicher Personen – also insbesondere von Bürgern oder Betrieben – wegen Maßnahmen von EU-Organen bzw. deren Substrukturen zuständig (Art. 256 AEUV). Ein Beispiel dafür wäre, wenn sich ein Unternehmen dagegen wehren möchte, dass die Kommission ihm wegen Wettbewerbsverstößen eine Geldbuße auferlegt. Hinzu kommen Schadenersatzklagen, Nichtigkeits- und Untätigkeitsklagen (soweit nicht der EuGH zuständig ist) sowie Entscheidungen aufgrund von Schiedsklauseln (Art. 268, 272 AEUV).

164


Ebenso ist es (seit der Auflösung des EuGöD) auch für dienst- und arbeitsrechtliche Streitigkeiten von EU-Beamten und sonstigen Bediensteten der EU mit der Union als Arbeitgeberin zuständig (Art. 270 AEUV).

dd) Besetzung

165

Alle Richter werden auf sechs Jahre ernannt und können wiedergewählt werden (Art. 253 UA 4 AEUV). Alle drei Jahre wird jeweils die Hälfte der Richter sowohl beim EuGH als auch beim EuG neu ernannt (Art. 253 UA 2 AEUV). Jeder Mitgliedstaat hat im EuGH eine und im EuG zwei Richterstellen zu besetzen. Die Ernennung erfolgt im Einvernehmen der Regierungen aller Mitgliedstaaten, wobei der jeweiligen nationalen Regierung ein Vorschlagsrecht zusteht (Art. 253 UA 1 AEUV). In Deutschland muss – schon aus verfassungsrechtlichen Gründen – diesem Vorschlag der nationale Richterwahlausschuss zustimmen (§ 1 III RiWG).[42]

166

Für jeden Mitgliedstaat gilt außerdem, dass der Ernennung eine Anhörung durch den Richterprüfungsausschuss gem. Art. 255 AEUV vorausgeht. Dieser Ausschuss besteht aus sieben Persönlichkeiten, die entweder ehemalige Europarichter sind, den höchsten nationalen Gerichten angehören oder sonst anerkannt hervorragend befähigte Juristen sind. Die Einbindung des Ausschusses soll zum einen eine europäische Sichtweise in das nationale Auswahlverfahren einbringen, und zum anderen die erforderliche fachliche Qualität der Richter sicherstellen.

b) Verfahrensarten

167

Die meisten EU-Verfahrensarten sind sog. „Direktklagen“, weil sie – oft nach erfolgloser Durchführung eines internen Vorverfahrens[43] – direkt bei einem europäischen Gericht eingeleitet werden können. Diese Verfahren dienen zum einen zur Entscheidung von Streitfällen innerhalb des EU-Systems, also von EU-Organen untereinander oder mit EU-Mitgliedstaaten. Zum anderen haben sie die Funktion, Meinungsverschiedenheiten zwischen EU-Bürgern (v.a. Unternehmen) und der Union bzw. Unionsorganen zu lösen (ohne Zwischenschaltung nationaler Instanzen).[44] Zu diesen Direktklagen gehören Vertragsverletzungsverfahren, Nichtigkeits- und Untätigkeitsklagen, Amtshaftungsklagen und dienst- und arbeitsrechtliche Klagen von EU-Bediensteten.

168

Abbildung 17: Direktklage-Verfahren beim Gerichtshof der EU


Verfahrensart Streitparteien Gegenstand des Verfahrens Konsequenzen bei Erfolg
Vertragsverletzungsverfahren (Art. 258, 259 AEUV) Handeln des beklagten Mitgliedstaates, das nach Auffassung des Antragstellers gegen primäres oder sekundäres EU-Recht verstößt. Verpflichtung des beklagten Staates, den festgestellten Verstoß schnellstmöglich abzustellen bzw. zu korrigieren (z.B. eine zu Unrecht gewährte Subvention zurückzufordern). Ansonsten drohen finanzielle Sanktionen.
Nichtigkeitsklage (Art. 263, 264 AEUV) Klageberechtigt sind die Mitgliedstaaten, die EU-Organe und der AdR sowie – bei persönlicher Betroffenheit – nat. und jur. Personen. Klagegegner ist ein EU-Organ oder eine sonstige EU-Einrichtung. Rechtlich verbindlicher Akt des beklagten EU-Organs (bis hin zu Gesetzgebungsakten), der nach Auffassung des Klägers gegen das EU-Recht verstößt. Rückwirkende Nichtigkeitserklärung des angegriffenen Rechtsaktes (z.B. einer Richtlinie, für die keine Zuständigkeit der EU besteht).
Untätigkeitsklage (Art. 265 AEUV) Klageberechtigt sind die Mitgliedstaaten, die EU-Organe sowie – bei persönlicher Betroffenheit – nat. und jur. Personen. Klagegegner ist ein EU-Organ. Unterlassen des Erlasses eines rechtlich verbindlichen Aktes, zu dem das beklagte EU-Organ nach Auffassung des Klägers verpflichtet ist (ohne Ermessen). Verpflichtung des beklagten EU-Organs, den unterlassenen Akt schnellstmöglich zu erlassen (z.B. über eine an das EP gerichtete Petition zu befinden). Ansonsten drohen finanzielle Sanktionen.
Amtshaftungsklage (Art. 268 AEUV i.V.m. Art. 340 II, III AEUV) Klageberechtigt sind alle nat. und jur. Personen. Klagegegner ist die Union als Rechtsträgerin des betroffenen Organs. Geltendmachung eines Schadens, der dem Kläger durch eine rechtswidrige oder fehlerhafte Amtshandlung eines EU-Organs bzw. -Bediensteten entstanden ist. Ausgleich des Schadens durch Geldzahlung seitens der EU (z.B. Bezahlung des Zinsschadens, den ein Unternehmen wegen einer zu Unrecht von der Kom. verhängten Geldbuße erlitten hat).
Dienstklage (Art. 270 AEUV) Klageberechtigt sind alle EU-Beamten und -Bediensteten. Klagegegner ist die jeweilige EU-Behörde, bei der der Kläger angestellt ist. Jedes Tun oder Unterlassen der Anstellungsbehörde, durch die die Rechtsposition des Klägers aus dem Beamtenstatut beeinträchtigt wird. Aufhebung der beanstandeten Maßnahme (z.B. einer disziplinarischen Rüge) oder Bewilligung einer vermögensrechtlichen Leistung (z.B. zu Unrecht einbehaltenes Gehalt).

169

 

Neben diesen Direktklagen gibt es noch das praktisch sehr bedeutsame Vorabentscheidungsverfahren (Art. 267 AEUV). Dem Vorabentscheidungsverfahren liegt stets ein Rechtsstreit vor einem nationalen Gericht zugrunde, bei dem es auf die Auslegung primärrechtlicher EU-Normen oder die Vereinbarkeit sonstiger EU-Normen mit dem Primärrecht ankommt. Da hierüber allein der EuGH (und nicht einmal ein nationales Verfassungsgericht!) letztverbindlich entscheiden kann, muss das nationale Gericht spätestens in letzter Instanz einen solchen Fall dem EuGH vorlegen, damit dieser seine Rechtsauffassung darlegen kann. Nur durch dieses Auslegungs- und Verwerfungsmonopol des EuGH kann eine EU-weit einheitliche Anwendung und Auslegung des EU-Rechts sichergestellt werden. Die EuGH-Entscheidung ist dann sowohl für das konkret vorlegende Gericht als auch – soweit eine Aussage über die Auslegung oder Gültigkeit einer EU-Norm getroffen wird – generell für alle EU-Organe und Mitgliedstaaten verbindlich (z.B. Feststellung der Rechtswidrigkeit der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung[46]).