Der 7. Lehrling

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Er prüfte jedes einzelne Blatt auf Fehler, und wenn alles in Ordnung war, schloss er die Augen, hielt die Hand über die Karte und murmelte leise „Wikkæ gaskeinan“. Jedes Mal, wenn er den Zauber beendet hatte, erschienen lauter kleine rote Punkte auf der Karte, die sich langsam, aber zielstrebig auf einen Ort zubewegten: Filitosa.

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Noch drei Tage bis zum Beginn der Suche.

Viele Zauberer und Hexen waren bereits eingetroffen und der kleine, bis vor ein paar Tagen noch verschlafene Ort Filitosa glich mehr und mehr einem Marktplatz. Überall standen kleine Gruppen und unterhielten sich über die bevorstehende Suche oder tauschten sich über andere Sachen aus. Viele von ihnen hatten sich seit Jahren nicht gesehen, da gab es jede Menge zu erzählen.

Jeder Neuankömmling wurde in der Empfangshalle des Haupthauses begrüßt, erhielt einen Laufzettel und wurde zunächst zu seiner Unterkunft gebracht. Dann ging es kreuz und quer durch das Dorf, um die Ausrüstung zusammenzustellen.

Die Küche im Haupthaus lief in drei Schichten auf Hochtouren. Für jeden, der gerade angekommen war und Hunger oder Durst hatte, stand ein kleiner Imbiss bereit, auch wenn es nicht die gewöhnlichen Essenzeiten waren.

Alle Handwerksbetriebe hatten von frühmorgens bis spät in die Nacht geöffnet, um die Ausrüstung der Suchmannschaft zu vervollständigen oder auch persönliche Gegenstände wie Kleidung bereitzustellen.

Alle waren auf die große Versammlung gespannt, die am Abend des letzten Tages stattfinden sollte. Bis dahin wurde viel spekuliert, denn Korbinian war nur selten zu sprechen. Aber Adinas Idee der drei Speichen sprach sich natürlich herum, dafür sorgten schon die Lehrlinge.

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Aminas Tagesablauf hatte sich eingespielt. Sie stand in aller Frühe auf, war die Erste in der Metzgerei und machte den Plan für den Tag. Wenn dann die anderen zur Arbeit kamen, war schon alles vorbereitet.

Wenn am späten Abend die letzte Wurst in der Räucherkammer hing, die Geräte gründlich gereinigt waren und alle gegangen waren, saß Amina noch in ihrem kleinen Kontor und war mit dem Führen der Listen beschäftigt. Wenn sie dann endlich damit fertig war, löschte sie das Licht und ging noch auf einen Plausch zu Adina hinüber.

Die Vorräte stapelten sich in den Lagerräumen. Amina hatte noch ein Nachbarhaus als Lager dazunehmen müssen, sonst hätte gar nicht alles hineingepasst. Sie war schon ein bisschen stolz darauf, was sie mit ihrer Handvoll Helfer alles hinbekommen hatte.

Immer wieder dachte sie an Milan, aber ein solch starkes Gefühl wie zwei Abende zuvor hatte sie nicht mehr gehabt. Sie war sehr gespannt auf seine Ankunft, nicht zuletzt, weil sie sich selbst davon überzeugen wollte, dass es ihm gut ging.

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Quentin grübelte. Den ganzen vergangenen Tag hatte er auch schon gegrübelt. Er wusste einfach nicht, wie es weitergehen sollte.

Einerseits mochte er Finja und Falk sehr gern und, wenn er es sich recht überlegte, sogar Medard ein bisschen. Außerdem machte ihm die Arbeit viel Spaß. Andererseits wusste er seit dem nächtlichen Gespräch mit Finja, dass er nicht der Einzige war, der „anders“ war. Und er wollte unbedingt diese „anderen“ finden, denn er wusste, dass nur sie ihn wirklich verstehen würden.

Wenn er allerdings an den Magier vom Marktplatz dachte, lief ihm auch jetzt noch ein kalter Schauer über den Rücken. War der Magier auch einer von den „anderen“? Was von dem, was er aufgeführt hatte, war ein Trick, und gab es tatsächlich Kunststücke darunter, die in Wirklichkeit Magie waren?

Wenn das stimmte, dann war der Magier vom Markt ja ein echter Zauberer! Und war er selbst, der Müllerssohn Quentin, dann auch ein Zauberer?

Nein, das konnte nicht sein. Oder doch?

So drehten sich seine Gedanken ständig im Kreis, bis Medard ihn recht ruppig in die Seite knuffte und anmaulte: „Wenn Hoheit dann mit Nachdenken fertig sind, könntet Ihr vielleicht die Güte besitzen, Eure hochwohlgeborenen Hände an diesen schlichten Kornsack anzulegen?“

Medard war echt sauer, aber er hatte ja recht: Quentin hatte wirklich schon genug Zeit mit Grübeln vertan. Mit ein paar entschuldigenden Worten machte er sich an die Arbeit.

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Meara war in einem Landstreifen angekommen, den sie gut kannte. Als sie noch Lehrling in Filitosa war, hatte sie ab und zu mit anderen lange Wanderungen unternommen. Natürlich nicht nur zum Spaß: In dieser Gegend gab es seltene Kräuter, die in Filitosa nicht wuchsen. Schon ein paar Generationen vor ihr hatten die Bewohner den Versuch aufgegeben, diese Kräuter in Filitosa anzupflanzen: Es klappte einfach nicht. Und so wurden regelmäßig ein paar Lehrlinge ausgesandt, um die Vorräte wieder aufzufüllen.

In Gedanken war sie wieder bei einer dieser Wanderungen, als sie an einem Wald vorbeikam, in dem sie schon einmal diese besonderen Kräuter gefunden hatte. Fast unbewusst ging sie vom Weg ab und in den Wald hinein.

Wenig später kam sie an die Stelle, an der die Kräuter innerhalb eines kreisrunden Hexenrings wuchsen. Meara fing sofort an, die Kräuter vorsichtig abzuschneiden und in ihrem Beutel zu verstauen. Konnte ja nicht schaden, wenn sie den jetzigen Lehrlingen einen Weg abnahm, oder?

Als sie mit den Kräutern fertig war, entdeckte Meara in der Nähe einen wilden Apfelbaum. Schnell pflückte sie ein paar von den reifen Früchten und setzte sich, um zu Mittag zu essen.

Kauend und gleichzeitig grinsend blickte sie zu dem Hexenring hinüber. Wenn die Menschen wüssten, dass diese Hexenringe überhaupt nichts mit Zauberei zu tun hatten, sondern nur eine besondere Art von Pilzen waren ... Aber so waren die Kräuter jedenfalls bestens geschützt!

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Milan hatte am Vormittag einem Bauern geholfen, eine Kuh wieder einzufangen, die sich von ihrem Strick losgerissen und anschließend auf den Weg gemacht hatte, um die große, weite Welt auf eigene Faust zu erkunden. Der Bauer war schon völlig verzweifelt, als Milan ihn traf, denn er war allein, und so konnte ihm die Kuh immer wieder ausbrechen, bevor er sie einfangen konnte.

Nach ein paar schweißtreibenden Versuchen hatten sie die Kuh endlich zu fassen bekommen. Nun stand sie wieder friedlich mit den anderen beiden Kühen zusammen, die der Bauer ins nächste Dorf zum Schlachter bringen wollte.

Der Bauer hatte sein Brot mit Milan geteilt, dessen Proviantbeutel ja auf dem Grund der Schlucht lag. Es war ein einfaches, aber schmackhaftes Mahl. Nach ein paar herzlichen Abschiedsworten war Milan dann in die eine, der Bauer in die andere Richtung weitergezogen.

Jetzt war es bereits wieder Nachmittag. Vor Milan lag ein kleines Dorf. Er wäre zu gern in die Schänke eingekehrt, aber sein Geld war fast alle, und er wollte mit seinen zerrissenen Sachen auch nicht auffallen.

Also umging er die Häuser in einem weiten Bogen. Gegen Abend kam er an einem Aussiedlerhof an, wo er um ein wenig Essen und ein Nachtlager im Heu bat. Die Bäuerin schnitt ihm eine dicke Scheibe leckeren Schinken ab und gab ihm ein halbes selbst gebackenes Brot dazu. Milan verschlang sein Essen mit großem Appetit und legte sich bald zum Schlafen nieder. Am Morgen sollte es in aller Frühe weitergehen.

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Meara war bei Sonnenuntergang einfach weitermarschiert. Sie wusste zwar, dass sie noch ein gutes Stück Weg vor sich hatte, aber die Spannung hätte sie ohnehin nicht schlafen lassen.

So stapfte sie zielstrebig durch die stille Nacht dahin. Gegen Abend war sie noch ein paar Wanderern begegnet, aber nun war sie ganz allein unter einem prächtigen Sternenhimmel.

Ein neugieriges Käuzchen begleitete sie ein Stück ihres Weges und flatterte mal hierhin, mal dorthin von Baum zu Baum. Meara versuchte es zu locken, aber es blieb immer in sicherem Abstand. Nach einer Weile flatterte es ein paar Mal um sie herum und verschwand dann mit einem letzten „Hu-huuh!“ in die Richtung, aus der es gekommen war.

Gegen Mitternacht erreichte Meara eine Quelle, die neben dem Weg aus einem Hang sprudelte. Durstig trank sie das kühle, erfrischende Wasser und setzte sich dann ins Gras, um zu verschnaufen. Noch etwa fünf Stunden, dann müsste sie am Ziel sein.

In Gedanken an die Zeiten als Lehrling aß sie ihr letztes Stück Brot und dazu die beiden Äpfel, die vom Mittag noch übrig waren. Es war eine schöne Zeit gewesen in Filitosa. Immerzu hatte sie mit den anderen Lehrlingen Spaß gehabt, auch wenn es viel zu lernen gab. Es war eine kleine, behütete, starke Gemeinschaft gewesen. Meara war gespannt, ob das immer noch so war.

Als sie aufgegessen hatte, trank sie noch ein wenig von dem frischen Wasser und machte sich wieder auf den Weg. Stunde um Stunde verging. Die Sterne zogen über Meara auf ihrer alten Bahn dahin. Es wurde immer dunkler, und wenn der Mond nicht gewesen wäre, hätte Meara ihren Plan irgendwann aufgeben müssen. Sie schaute nach oben. In zwei Tagen würde Vollmond sein. Hoffentlich ein gutes Omen für den Grund der Zusammenkunft, was auch immer es sein mochte.

Meara kam Filitosa immer näher, und ihre Vorfreude wuchs mit jedem Schritt, den sie auf das Dorf der Magier zuging. Plötzlich spürte sie etwas.

Sofort war sie vom Weg verschwunden und versuchte aus einem Gebüsch heraus den Grund für ihre Unruhe zu entdecken.

Eine Weile sah sie nichts, nur den Weg vor sich, der auf eine Kreuzung zulief. Dann spürte sie mehr, als sie es wirklich sah, eine Bewegung neben dem Weg direkt an der Kreuzung. Mit all ihren Sinnen konzentrierte sie sich auf den Punkt, an dem sie die Bewegung wahrgenommen hatte.

Schlagartig wich die Anspannung von ihr. Sie stand auf und ging mit einem Lächeln auf die Kreuzung zu. „Ich glaube, wir haben den gleichen Weg!“, rief sie in die Dunkelheit.

 

Viele Wiedersehen und letzte Vorbereitungen

Kaum waren ihre Worte verklungen, gab es wieder eine Bewegung an der Kreuzung. „Guten Abend, Meara! So spät noch auf den Beinen?“, neckte eine weibliche Stimme aus der Dunkelheit.

„Guten Abend, Katalin!“, rief Meara der Stimme entgegen und eilte zur Kreuzung. Die beiden Hexen fielen sich um den Hals und betrachteten sich dann gegenseitig im Licht des Mondes. Katalin war eine von den Lehrlingen, die nun im letzten Lehrjahr sein mussten. Meara hatte sich über die Jahre mit ihr angefreundet.

„Komm, wir gehen den Rest des Weges zusammen“, schlug Meara vor. „Nein, das geht nicht“, entgegnete Katalin. „Ich bin heute Nacht einer der Vorposten, die rings um Filitosa aufgestellt sind. Du hast jetzt noch etwa eine Stunde vor Dir.“ Sie grinste. „Oder muss ich Dir etwa den Weg beschreiben?“

Nach ein paar weiteren freundschaftlichen Worten machte sich Meara auf, um das letzte Stück Weg so schnell es ging hinter sich zu bringen.

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Quentin lag im Bett. Durch die ganze Grübelei war der Tag noch anstrengender gewesen, als er durch die Arbeit ohnehin schon war. Das musste ein Ende haben, und so hatte er beschlossen, nicht eher zu schlafen, bis ihm eine Lösung eingefallen war.

Auf der einen Seite war der Wunsch immer noch groß, andere zu finden, die so waren wie er. Er wusste allerdings nicht, wie. Und niemand schien darüber zu sprechen. Auch seine Eltern hatte er niemals von so einer merkwürdigen Gabe sprechen hören.

Auf der anderen Seite fühlte er sich bei Finja und Falk sehr wohl. Und dass Finja wusste, was mit ihm los war, machte ihm nichts aus – ganz im Gegenteil! Er fühlte sich seit langer Zeit zum ersten Mal verstanden, und das gab ihm ein gutes, geborgenes Gefühl.

Er nahm seine kleine Kugel in die Hand, die sofort zu leuchten begann, und starrte hinein. Dann traf Quentin seine Entscheidung.

Er würde zuerst seine Lehre beenden und nebenbei darüber nachdenken, wie er anschließend seine Suche nach den „anderen“ beginnen konnte. Finja konnte ihm dabei bestimmt mit ihrem Rat zur Seite stehen.

Genau so werde ich es machen!, dachte Quentin und drehte sich zur anderen Seite um.

Mit der leuchtenden Kugel in der Hand schlief er endlich ein.

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Fast schon schlafwandelnd kam Meara an einer Kreuzung an. Sie kannte diese Stelle sehr gut, es war einer der Zugänge nach Filitosa. Normale Menschen hätten an dieser Stelle allerdings gar keine Kreuzung gesehen. Für sie erhob sich auf der rechten Seite des Weges eine lange Reihe von scheinbar undurchdringlichem Dornengestrüpp, auf das Meara jetzt ohne Zögern zuschritt.

Kurz vor dem Dickicht bewegte Meara kurz die Finger und murmelte halblaut die Worte „Duram andæn“, worauf im Nu die Illusion verblasste. Nachdem sie den Zugang passiert hatte, verschwand mit einem kleinen Rascheln die Lücke zwischen den Büschen wieder. Nur noch eine knappe halbe Stunde!

Ihre Müdigkeit verflog, als Meara die ersten Lichter des Dorfes durch den Wald schimmern sah. Ihr erstes Ziel war natürlich das Haupthaus. Dort angekommen, wurde sie von einem ziemlich schläfrigen Lehrling freundlich begrüßt. Er gab ihr den Laufzettel, erklärte ihr die Dinge, die sie am nächsten Tag zu erledigen hatte, und fragte sie zum Schluss, ob er sie jetzt zu ihrer Unterkunft führen dürfe.

Meara aber hatte trotz aller Müdigkeit Hunger und Durst. Mindestens etwas trinken wollte sie noch, bevor sie sich ins Bett legen würde. „Kein Problem!“, sagte der Lehrling zu ihr, „die Küche ist rund um die Uhr geöffnet. Nur ob Du noch Schlaf bekommst, wenn Du erst einmal da bist, bezweifle ich stark ...“ Er lächelte wissend und begleitete die verwirrt dreinschauende Meara zum Speisesaal.

Sie waren noch ein gutes Stück vom Speisesaal entfernt, als sich Meara schließlich das Lächeln erklären konnte: Schon aus dieser Entfernung konnte man deutlich hören, dass der Speisesaal alles andere als verlassen war. Laute Gespräche und Lachen drangen durch die massive Tür. Dort angekommen, verabschiedete der Lehrling Meara, wünschte ihr guten Appetit und verschwand wieder auf seinen Posten im Foyer.

Meara zog die schwere Eichenholztür auf und sah in den vertrauten Raum, in dem sie schon als Lehrling manchen langen Abend verbracht hatte. Köpfe flogen zu ihr herum, und von mehreren Tischen wurden ihr Grüße entgegengerufen, die sie winkend und lachend erwiderte. Sie bewegte sich händeschüttelnd durch einen ausgelassenen Haufen von etwa dreißig bis vierzig Gesellen, bis sie sich zu einer Gruppe ihres Abschlussjahres durchgekämpft hatte. Dort ließ sie sich nieder und trank durstig aus dem Glas, das ihr sofort gereicht wurde.

Der Lehrling im Foyer hatte recht gehabt: An Schlaf war jetzt nicht mehr zu denken!

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Korbinian hatte gut geschlafen und war wie gewohnt früh auf den Beinen. Er war zufrieden, was seinen Teil der Vorbereitungen anging, und hatte deshalb für den Vormittag einen Spaziergang geplant.

Zuerst jedoch ging er zum Speisesaal, um sich zu stärken. Als er die Tür öffnete, stellte er fest, dass er nicht der Erste an diesem Morgen war: Es saßen etwa zehn Gesellen dort und waren bereits beim Frühstück. Ein zweiter Blick verriet Korbinian allerdings sehr schnell, dass diese zehn nicht erst heute morgen hierhergekommen waren. Das Lächeln und die guten Wünsche, die ihm entgegengebracht wurden, kamen allesamt aus sehr, sehr müden Gesichtern.

Korbinian holte sich schnell etwas zu essen und ging direkt zu den übernächtigten Gesellen. Nachdem er jedem die Hand geschüttelt hatte, setzte er sich auf einen freien Platz neben die ebenfalls noch wache Meara und bat einen nach dem anderen, ihm Neuigkeiten zu berichten.

Während er sich mit dem Essen viel Zeit ließ, lauschte er aufmerksam den spannenden Geschichten, die die Gesellen in ihren ersten Jahren der Wanderschaft erlebt hatten. Dabei wurde ihm fast ein bisschen wehmütig ums Herz, denn auch er hatte seine Gesellenzeit – die natürlich schon viele Jahre zurücklag – sehr genossen.

Als er mit dem Frühstück fertig war, ermahnte er die Gruppe noch schmunzelnd, sich zur Wiederherstellung ihres jugendlichen Aussehens doch bald einmal schlafen zu legen, und verließ mit den Worten „Gute Nacht!“ gut gelaunt den Saal.

Draußen erwartete ihn ein sonniger Morgen. Aus den Kaminen stieg der Rauch der Back- und Räucheröfen, des Schmiedefeuers und des Gießereiofens kerzengerade in den Himmel, überall hatte das in den letzten Tagen zum gewohnten Bild gewordene geschäftige Treiben schon wieder begonnen.

Auf dem Weg durch das Dorf begegnete er nicht nur den arbeitenden Lehrlingen, sondern auch bereits angekommenen Gesellen, die sich als Helfer in den Werkstätten und Betrieben angeboten hatten. Dies machte Korbinian sehr froh. Es war doch nach wie vor eine hilfsbereite und vielleicht gerade auch deshalb so starke Gemeinschaft.

Sie würden den fehlenden Lehrling finden. Ihr kleines Dorf und mit ihm ihr Geheimnis würden auch weiterhin beschützt sein. Dessen war er sich sicher.

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Auch Samuel war schon aufgestanden und wollte vor dem Frühstück schnell einen Blick in die Schneiderei werfen. Dort hatte gestern irgendein Teil einer großen Nähmaschine der Dauerbelastung nicht mehr standgehalten und musste repariert werden. Als er durch die Tür der Schneiderei trat, hörte er bereits wieder das surrende Geräusch der offenbar reparierten Maschine. Er beglückwünschte den Leiter der Schneiderei und seine drei Helfer, die die ganze Nacht mit der Reparatur zugebracht hatten und nun beim letzten Probelauf waren.

„Gut, dass die restlichen vier Lehrlinge bald kommen“, sagte Gereon zu Samuel, „Wir müssen unbedingt ein paar Stunden schlafen. Ansonsten hat nachher noch jemand seine Finger an den Sachen festgenäht ...“. Gereon war so wie Amina und Adina kurz vor der Prüfung und ein durch und durch zuverlässiger Leiter der Schneiderei.

Samuel nickte ihm zu. „Sicherlich können die ausgeruhten Lehrlinge auch erst einmal allein klarkommen. Du hast richtig entschieden, die Hälfte von Euch schlafen zu schicken.“ Er schmunzelte. „Auch wenn das den vieren gestern Abend ganz offensichtlich nicht gefallen hat, so sind sie doch jetzt ausgeruht und können ein wenig eurer Arbeit mit erledigen.“ Er erinnerte sich noch gut daran, dass die vier nur unter lautstarkem Protest gegangen waren.

Nachdem sie noch ein paar Worte über die Vorhaben des Tages gewechselt hatten, ging Samuel wieder hinaus und schlug den Weg zum Haupthaus ein. Schon von Weitem sah er Korbinian und winkte ihm zu. Sie trafen sich bei einer alten Kastanie und setzten sich auf eine Bank.

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„Hast Du auf die Karten gesehen?“, fragte Korbinian seinen langjährigen Freund. Als dieser mit besorgtem Blick nickte, wusste Korbinian, dass Samuel ebenfalls die kleinen Punkte beobachtet hatte, die sich Filitosa unaufhaltsam näherten. Und, dass er sich bereits ähnliche Gedanken gemacht hatte wie er selbst.

Samuel antwortete mit ernster Stimme. „Einige werden es nicht bis zum Sonnenaufgang morgen früh schaffen, auch wenn sie nicht einmal zum Essen oder Schlafen anhalten würden. Selbst bis zum Beginn der Versammlung am Abend nicht. Sie sind einfach noch zu weit weg.“ Samuel kratzte sich am Kinn. „Ich habe schon hin und her überlegt, aber mir will keine Lösung einfallen. Wir können den Beginn der Suche nicht verschieben, die Zeit wäre zu knapp. Hast Du eine Idee?“

Korbinian schüttelte langsam den Kopf. „Nicht wirklich. Mir schoss ein paar Mal ein Gedanke durch den Kopf, auf den letzten zu warten und dann die Suche mit Pferden durchzuführen. Aber wo sollten wir zweihundert Pferde hernehmen?“

Er schüttelte nochmals den Kopf und blickte dann ziellos in das Dorf hinein. So saßen beide minutenlang da und grübelten. Bis Samuel den Kopf zu Korbinian drehte und ihn anlächelte. „Und was wäre, wenn nicht alle mit Pferden auf die Suche gingen, sondern nur ein paar? Es könnte doch auch so funktionieren: Die Suche beginnt wie geplant. Dabei lassen wir einige Lücken in den drei Speichen. Wir warten auf die Verspäteten und schicken sie einfach mit den Pferden hinter den anderen her. So können sie den Vorsprung relativ schnell aufholen, ohne dass die anderen kostbare Zeit durch Warten verlieren müssten!“

Jetzt lächelte auch Korbinian wieder. Er schlug seinem Freund auf die Schulter. „Wie kann man um diese Uhrzeit schon so gute Ideen haben? Ja, ich glaube, das wird funktionieren! Ich mache mich gleich an die Planung!“

Zusammen gingen sie zum Haupthaus. Dort bog Samuel zum Speisesaal ab, während Korbinian die Treppen zu seinem Kontor hinaufstieg.

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Quentin war auf dem Weg zum Markt. Finja hatte ihn nach dem zweiten Frühstück losgeschickt, um einige Besorgungen zu machen. Leider waren die Schausteller schon weitergezogen, und so stapfte Quentin ein wenig griesgrämig zum Bäcker.

Dort angekommen, besserte sich seine Laune schlagartig. Der Bäcker empfing ihn mit großer Freundlichkeit, erkundigte sich nach dem Befinden von Finja und bot ihm süße Teilchen und Saft an, während Quentin erzählte.

Als die Besorgungen erledigt waren, war Quentin so vollgestopft, dass er zu Mittag kaum etwas essen konnte. Finja wunderte sich, weil Quentin sonst immer ein guter Esser war. Sie fragte, ob es ihm gut gehe, und lachte schallend, als Quentin von seinem nahrhaften Gespräch mit dem Bäcker berichtete.

Nach dem Essen ging es wieder in die Mühle. Es mussten noch einige Säcke vorbereitet werden, denn Medard sollte am Nachmittag wieder zu einer Auslieferungsfahrt in die benachbarten Dörfer aufbrechen.

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Meara blinzelte verschlafen. Sonnenstrahlen fielen durch kleine Spalte zwischen den zugezogenen Vorhängen ihrer Unterkunft und malten helle Flecken auf ihre Bettdecke. Es musste längst Nachmittag sein. Sie überlegte, ob sie sich noch einmal umdrehen sollte. Aber es gab noch einige Sachen zu besorgen, und so schwang sie sich etwas widerwillig aus dem Bett.

Natürlich war in der Runde im Speisesaal die Suche nach dem fehlenden Lehrling das beherrschende Thema gewesen. Sie hatten den Plan in allen Einzelheiten – so weit sie ihn kannten – durchgesprochen und freuten sich schon alle auf die Herausforderung. Das war doch mal etwas anderes als tagaus, tagein einem Beruf nachzugehen! Viele der Gesellen hatten sich in einer Anstellung verdingt, und der eine oder andere war sogar ganz froh, auf diese Weise einem allzu strengen Handwerksmeister entronnen zu sein. Meara lächelte in Gedanken an die lustige Runde, die bis weit nach Sonnenaufgang zusammengesessen hatte.

 

Sie hatte wirklich Glück mit ihrer Unterkunft: Als eines der wenigen Häuser im Dorf hatte es ein kleines Badezimmer und zwei richtige Schlafzimmer. Die anderen Häuser waren fast ausnahmslos Werkstätten oder Geschäfte, nahezu alle Zauberer und Lehrlinge schliefen für gewöhnlich im Haupthaus. Mearas Mitbewohner waren schon lange gegangen, um ihre Besorgungen zu machen. So konnte sie sich in aller Seelenruhe waschen und anziehen.

Nachdem sie fertig war, setzte sie sich auf ihre Bettkante und ging die Liste mit den vorbereiteten Ausrüstungsgegenständen durch. Einige von ihren Habseligkeiten waren durch ständigen Gebrauch inzwischen arg mitgenommen. Die würde sie in jedem Fall ersetzen. Ihre Decke war noch völlig in Ordnung, die konnte sie weiterbenutzen. Auch ihr kleiner Topf und die Kochutensilien bedurften keiner Erneuerung. Aber ihre Zimmermannskleidung war für die Suche nicht geeignet. Also musste sie auch zum Schneider.

So ging sie die Liste Punkt für Punkt durch und staunte dabei nicht schlecht, was die Dorfbewohner in so kurzer Zeit alles auf die Beine gestellt hatten. Dahinter musste ein echtes Talent stecken. Meara tippte auf ihren Lehrmeister Samuel, der hatte während ihrer Lehrzeit schon immer ein besonderes Geschick für die Organisation von großen Festen und anderen Veranstaltungen bewiesen.

Meara freute sich darauf, ihn zu treffen und ihm ihre Erlebnisse zu berichten. Sie richtete noch kurz ihr Bett und trat dann hinaus in das warme Licht eines wunderschönen Nachmittages.

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Adina kam gerade mit einem anderen Bäckerlehrling vom Haupthaus zurück, wo sie Kuchen und andere süße Sachen für den Nachmittagskaffee im Speisesaal abgeliefert hatten, als sie auf Meara traf. Sie begrüßten sich freudig und fingen natürlich sofort an, über die Suchaktion zu reden. Meara wusste, dass sie mit Adina diejenige Person vor sich hatte, die für das alles verantwortlich war, und teilte ihr natürlich mit, wie gut die Idee bei den Gesellen ankam.

Adina bekam leuchtend rote Flecken auf den Wangen und machte abwehrende Handbewegungen. „Ach was, da wäre früher oder später auch ein anderer daraufgekommen. Aber sag mal“, fuhr sie fort, „was hältst Du von einem oder zwei Stück Kuchen und einer Tasse Kaffee in der Bäckerei?“

Meara stimmte sofort zu. Schon beim Gedanken an ein leckeres Stück Pflaumenkuchen lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Das letzte Stück zur Bäckerei gingen sie ein bisschen schneller.

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Samuel saß an seinem Schreibtisch, als Meara am frühen Abend zur Tür hereinkam. Mit freudigem Lächeln stand er auf, ging ihr entgegen und schloss sie lange in seine Arme. In den Jahren ihrer Ausbildung war Meara ihm sehr ans Herz gewachsen.

Sie setzten sich vor dem Haus auf eine Bank, und Meara erzählte in aller Ausführlichkeit, was ihr im letzten Jahr widerfahren war. Irgendwann unterbrach Samuel lächelnd ihren Redefluss. „Hast Du denn schon alle Sachen besorgt, die Du brauchst, Meara?“ „Ich denke schon“, antwortete sie. „Ich muss morgen früh nur noch zum Schneider und meine Sachen abholen, die gerade geändert werden. Warum?“

„Ich könnte morgen ein wenig Unterstützung gebrauchen“, sagte Samuel, und schon war Meara eingeteilt, die Organisation der Versammlung zu übernehmen, die am nächsten Abend stattfinden sollte. „Alles, was Du brauchst, ist immer noch an den gewohnten Orten. Ich habe mir gedacht, wir machen die Versammlung am See, da haben wir am meisten Platz. Korbinian wird ein kleines Podest brauchen, damit ihn auch alle sehen können. Nimm Dir ein paar Gesellen aus Deinem Abschlussjahr dazu. Ich habe gehört, dass dem einen oder anderen so langweilig sein soll, dass sie die Nächte im Speisesaal verbringen.“ Samuel lächelte verschmitzt, als die Hexe bis über beide Ohren errötete.

Meara war erleichtert, als Samuel die etwas unangenehme Situation mit der Frage beendete, ob sie gern mit ihm zu Abend essen würde. Natürlich wollte sie, denn auf diese Weise hatten sie noch ausreichend Zeit, sich zu unterhalten. Sie hakte sich bei Samuel unter, und gemeinsam schlenderten sie zum Haupthaus.

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Quentin wusch sich gründlich. Ein weiterer Tag seiner Lehre war vorbei. Er mochte Falk und Finja, die Arbeit machte ihm viel Spaß. Und auch mit Medard hatte er sich mittlerweile arrangiert. Im Grunde genommen war Medard ein fleißiger und kluger Geselle, er war eben nur manchmal etwas mürrisch. Aber das würde Quentin ihm schon austreiben!

Falk hatte am Nachmittag angedeutet, dass das heutige Abendessen etwas Besonderes werden würde. Quentin war schon sehr gespannt. Er ging zu Finja in die Küche, um zu fragen, ob er etwas helfen könne. „Natürlich“, antwortete Finja. „Kannst Du Feuer machen?“ Quentin blickte sie verständnislos an. „Aber es ist Sommer, da brauchen wir doch kein Feuer ...“

Finja lächelte. „Nein, ich meine draußen hinter dem Haus. Dort, wo die Bänke um die Feuerstelle stehen.“ Quentin verstand immer noch nicht, wofür das gut sein sollte. Da klärte Finja ihn auf: „Wir werden heute Abend selbst Brot machen. Um einen Stock gewickelt und über dem Feuer gebacken. Kennst Du das?“ Und als Quentin den Kopf schüttelte, erklärte sie weiter: „Den Teig habe ich heute Vormittag schon gemacht. Der wird um einen Stock gewickelt und dann über das Feuer gehalten, bis er gar ist. Dann wartet man ein bisschen, bis das fertige Brot abkühlt, nimmt es vom Stock und kann in das Loch in der Mitte leckere Sachen hineintun. Ich habe Marmelade, Schinkenwürfel und kleine Käsewürfel gemacht. Man kann es natürlich auch nur mit Butter essen ... Ich sehe schon, Du hast es begriffen.“, lachte sie, als sie Quentins Gesicht vor Vorfreude erstrahlen sah. „Nun spute Dich, sonst gibt es erst um Mitternacht etwas.“ Sie lachte immer noch, als Quentin bereits wie der Blitz aus der Tür geschossen war.