Wer ist dein Gott?

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Der Gott meiner Freiheit und Verantwortung

»Es standen mir mehrmals die Tränen in den Augen die letzten Tage. Ich bin einiges gewohnt und kenne viel, aber dies stößt wirklich an meine psychischen Kräfte. Was alles möglich ist in dieser Welt, überschreitet meine Denkkapazität. Menschen werden hier mit Füßen getreten, die MINUSCA schaut weg, und Menschenrechtsverletzungen werden noch nicht einmal dokumentiert, weil der Zugang zu den umkämpften Gebieten es nicht zulässt, Dörfer alle abgebrannt werden, die alten Menschen, die nicht mehr gehen können, werden in ihren eigenen Hütten verbrannt. Eine Katastrophe, die man sich nicht vorstellen kann. Sag mir bitte, wo ist unser Herrgott.«

Diese Frage stellt eine humanitäre Arbeiterin in der Zentralafrikanischen Republik in ihrer E-Mail an mich. Eine oft gestellte und schwer zu beantwortende Frage. Es ist weniger die Frage, wer Gott ist, sondern wo Gott ist. Vielleicht ist es besser, zu dieser Frage, die ein verzweifelter Schrei der leidenden Menschheit ist, zu schweigen. Die schreiende Gottesfrage hat viele Aspekte, und ich frage mich manchmal: Ist denn Gott immer dann verantwortlich, wenn wir Menschen diese Grausamkeiten und Katastrophen verursachen? Alles, was in der Zentralafrikanischen Republik geschieht, ist Menschen-gemacht. Gott – der abwesende Gott – wird als eine verzweifelte Erklärung herbeigezogen angesichts des völligen Versagens von Menschen in ihrer Freiheit. Wir Menschen halten den Abgrund der menschenmöglichen Barbarei nicht aus und brauchen wenigstens da noch den abwesenden Gott als Letztentschuldigung.

So verständlich diese Frage nach Gott sein mag, so bleiben Menschen – allein Menschen – verantwortlich für die vielen Gräueltaten und Unmenschlichkeiten, die anderen Menschen angetan werden. Es ist unsere gottgegebene menschliche Freiheit, die uns befähigt, so oder anders zu handeln. Wir sind verantwortlich für das, was wir tun oder nicht tun.

Gott bleibt für mich dieser Urgrund unserer menschlichen Freiheit und Verantwortung, der uns ernst nimmt in unserer Freiheit, auch wenn wir versagen und Unmenschliches tun. Aber gerade dort, in der menschlichen Katastrophe des völligen Versagens und der Eigenverschuldung des Menschen, ist Gott, der uns selbst in unserem Versagen auffängt. Da ist Gott in denen, die geschunden werden. Nirgendwo ist Gott mehr präsent als in den Leidenden, in den Gekreuzigten unserer Tage. Gott ist da im stummen Leiden. Aber wo ist der Mensch – der Mitmensch?

Peter Balleis SJ, Genf, geb. 1957

Gott – fern und nah

Der alte Mann mit wallendem weißem Bart fern oder über den Wolken – diese Erinnerung an Gott habe ich überhaupt nicht. Von (meist ungarischen) Sacré-Cœur-Schwestern religiös sozialisiert – Kindergarten und Grundschule im Kloster Riedenburg in Bregenz –, wurde ich anhand von großen, anschaulichen Schaubildern im Nazarenerstil mit Jesus vertraut gemacht: dem Heiler und Menschenfreund, dem Prediger und Meister, dem Freund. Auch wenn ich diese Tafeln heute kitschig nennen würde: Damals regten sie meine kindliche Phantasie an. So einer will ich auch sein – ein Jünger in der Nähe Jesu!

Gott spielte dabei keine große Rolle. Keine, an die ich mich erinnern kann. Das blieb lange so. Als Seminarist (1981/84) stand ebenfalls Jesus im Vordergrund. Bewusst wurde mir der Kontrast in den Gebeten, die sich an Gott richteten, etwa im Stundengebet, oder bei den Psalmen. Erst die Bibelschule in Nazareth und Jerusalem im Sommersemester 1984 brachte eine Horizonterweiterung: Am Sinai, auf dem Berg Horeb und im Katharinenkloster, fühlte ich mich – bei einem unglaublich klaren Sternenhimmel – Gott nahe: dem Schöpfer und Gestalter der Welt, auch wenn ich mich mitten in der Wüste vorfand. Die Psalmen, etwa Ps 8, begannen neu zu wirken. Ein Jahr später trat ich in Innsbruck in den Jesuitenorden ein.

Als mir mein hochverehrter Lehrer Walter Kern SJ empfahl, Karl Rahner SJ zu lesen, ihn selber, seine Texte, nicht Artikel über ihn, konnte ich anfangs mit dem »namenlosen«, »unergründlichen«, »schweigenden«, »fernen« Gott wenig anfangen. Das klang für mich zu abstrakt und zu unpersönlich – und kontrastierte stark mit meiner Heilig-Land-Erfahrung: mit den Augen Jesu sehen und staunen. Erst allmählich, zunächst eher auf der intellektuellen Schiene, entdeckte ich Gott – als »Gott meines Herrn Jesus Christus«. Dass ich mit Jesus dem Christus zusammen vor Gott stehe, zu Gott, dem Vater und Schöpfer, bete, dass ich mich wie Jesus verloren und von Gott verlassen fühlen kann – das brachte mich in die Nähe Gottes. Er war plötzlich fern und nah zugleich. Und weil ich das IHS als »Iesum Habemus Socium« (Wir haben Jesus zum Gefährten) lese, bedeutet mir die Stelle im Kolosserbrief sehr viel: in Jesus »das Bild des unsichtbaren Gottes« (Kol 1,15) vor mir zu haben. Oder Joh 14,9: »Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.«

Etwas kam dazu: Gebete und Meditationen, liturgische Texte, in denen Gott Attribute zugesprochen wurden, die ihn »verfügbar« machen wollen, unbewusst oder bewusst, stießen mich mit der Zeit zunehmend ab als religiöser Kitsch. Vielleicht ist das eine Alterserscheinung. Die »Gras-und-Ufer«-Romantik, so lautstark ich sie als Jugendlicher mitsang, erschien mir unerträglich. So einen Kuschel-Gott wollte ich nicht (mehr). Die beiden Tagebücher von Fridolin Stier (»Vielleicht ist irgendwo Tag« und »An der Wurzel der Berge«) lösten ein gewaltiges Aha-Erlebnis aus und ließen mich Gott neu entdecken – als den nahen, mir innerlicher als ich mir selbst, wie Augustinus sagt, und als den fernen, unantastbaren Gott zugleich.

Deswegen kann ich »Großer Gott, wir loben dich« mit derselben Ergriffenheit singen wie Huub Oosterhuis: »Seit Menschen leben, rufen sie nach Gott … Bist du der Gott, der Zukunft mir verheißt?«

Andreas Batlogg SJ, München, geb. 1962

Du führst mich hinaus ins Weite

Gott ist es, der mir den Mut schenkt, neue Schritte zu gehen. Das ist mein Glaube. Und so verstehe ich den Sinn meines Lebens: weiterzugehen.

Im Paradies zu leben, fest und immer am gleichen Ort – das hat dem Menschen nicht gutgetan. Seitdem ist die jüdisch-christliche Glaubensgeschichte voller Bewegungen: Abraham macht sich auf den Weg, Mose und das erste Volk Gottes und auch Jesus Christus, der Wanderprediger aus Nazareth. Wir Menschen sind für den Weg geschaffen, für die Veränderung und die damit einhergehende Entwicklung.

Zugleich bin ich manchmal müde: vom Tempo der Veränderungen und von der Mühe, weiterzugehen, wenn sich die Versuchung meldet, alles beim Alten zu belassen. Als anstrengend empfinde ich bisweilen die Aufmerksamkeit, die notwendig ist, um etwas Neues zu verstehen, oder um Menschen, die neu in mein Leben treten, gerecht zu werden.

Dann wird mein Glaube zum Gebet: Ich kann Gott ansprechen im Vertrauen, dass er sich schon immer mir zugewandt hat. Gott ist für mich nicht bloß ein Deutungsmuster für verschiedene offene Fragen oder Situationen. Deshalb habe ich mir über die Jahre in der Feier der Liturgie angewöhnt, die Gebete immer mit der direkten Anrede »Du, unser Gott« zu eröffnen. »Du führst mich hinaus ins Weite« ist eine solche Anrede. Als mein Gebet ist es zugleich Bekenntnis und Selbstbeteuerung.

Seit drei Jahren lebe ich im Kosovo in einer kleinen, ständig sich verändernden internationalen Jesuitengemeinschaft und arbeite als Leiter unseres Schulverbundes. Vieles, was den Alltag, die Aufgaben und menschliche Begegnungen betrifft, ist unvertraut. So hatte ich mir mein Leben nie vorgestellt: Als ich vor fast 30 Jahren ins Priesterseminar eintrat und dann vor fast 20 Jahren ins Noviziat der Jesuiten, waren meine Perspektive und meine Vorstellungskraft erheblich begrenzter. Als ich vor gut zehn Jahren einwilligte, Internatsleiter in Sankt Blasien zu werden, konnte ich nicht ahnen, in welche Tiefen seelsorglicher Begleitung mich diese Aufgabe führen würde. Dass ich mich zum Abschluss meiner Ordensausbildung in Sri Lanka wiederfand, war so nicht geplant. Beworben hatte ich mich zuvor für Afrika. Deshalb ist »Du führst mich hinaus ins Weite« ein Bekenntnis. Eine Beteuerung ist es in den Momenten, in denen es sich in mir sträubt, schon wieder weiterzugehen und loszulassen, Gewohntes gegen Fremdes einzutauschen und Routine gegen Vortasten. Dann, wenn ich in Veränderungen noch nicht den guten Willen und die liebevolle Herausforderung Gottes erkennen kann.

Wenn ich nicht erstarre und nicht festhalten will, wenn es mir stattdessen gelingt, dem Mut zu trauen, den Gott mir schenkt, dann wird mein Leben lebendig. Dann kann sich Gott als der erweisen, der er ist: der Lebendigmacher, der mich aus der Begrenztheit meines eigenen Vermögens und meiner Vorstellungskraft in eine neue Weite führt. Das ist die Weite, in der Gott mich und uns leben sehen will. Davon bin ich überzeugt.

Nur selten zerrt er uns heraus aus der Enge, gegen unseren Willen. Dann kann es wehtun, auch das ist mein Glaube.

Treu zu bleiben, dass dieser Vers, »Du führst mich hinaus ins Weite«, immer mehr zum Gebet meines Lebens wird, dieses Bemühen finde ich mit anderen Worten in den Erfahrungen meines Ordensmitbruders Alfred Delp. Das ist ein Satz, der Lust zum Glauben und zum Leben macht: »Wir müssen die Segel in den unendlichen Wind stellen, dann erst werden wir spüren, welcher Fahrt wir fähig sind.«

Axel Bödefeld SJ, Prizren (Kosovo), geb. 1969

Nimm dich nicht so wichtig!

»Friede sei mit euch!« Mit diesen Worten grüßt Jesus seine Jünger nach der Auferstehung. Auferstehung und Frieden – sind dies Realitäten, die wir in unserem Leben wahrnehmen? Immer wieder ringe ich mit Gott. Die Evangelien berichten davon, dass sich die Jünger bei dem Gruß Jesu fürchten; sie spüren scheinbar nichts von diesem Frieden. Sicherlich existiert in vielen Menschen eine Sehnsucht nach Frieden. Doch ist sie eine Realität? Der Blick in die Welt ist ernüchternd: Terroranschläge, Gewalt, Verfolgung etc. Gegenüber all dem wirke ich klein und ohnmächtig. Was kann ich schon tun?

 

Als Priester bin ich auch zu Menschen gesandt, die keinen inneren Frieden haben, und ich muss immer wieder feststellen, wie ohnmächtig ich bin, wie ich an meine Grenzen komme. Was kann ich schon? Der Orden hat mir die Chance gegeben, viel zu studieren, und ich habe sie genutzt. Und doch fühle ich mich hilflos. Ich begegne vielen verschiedenen Menschen: Einige haben psychische Probleme oder sehen keinen Sinn in ihrem Leben, andere haben Zukunftsängste, sei es, wie es in Deutschland weitergeht, sei es, ob sie einen Arbeitsplatz finden, wieder andere leiden unter materieller Not.

Selbst bei der Feier der Sakramente komme ich immer wieder an meine Grenzen. Ich feiere die Eucharistie und bemerke beim Sprechen der Wandlungsworte, dass ich etwas tue, was mich vollkommen übersteigt. Ich höre Beichte, versuche etwas Gutes zuzusprechen und bemerke, wie mich die Worte der Absolution übersteigen. Christus ist auferstanden! Der Friede sei mit euch! Das Glück dieser Aussagen kann ich so oft nicht fassen. Die Menschen, zu denen ich gesandt bin, stoßen an ihre Grenzen. Ich stoße an meine Grenzen und bin ohnmächtig, hilflos.

Da sage ich zu mir selbst: Nimm dich nicht zu wichtig! Im Anschluss an die Auferstehung Christi ziehen Petrus und Johannes umher. Sie treffen einen gelähmten Bettler. Petrus und Johannes haben kein Silber und kein Gold. Aber sie verkünden das Evangelium Christi und Petrus sagt: »Im Namen von Jesus von Nazareth: Steh auf und geh!« Ebenso kommt es nicht auf mich an, sondern auf Christus, in welchem allein die Vollendung zu finden ist.

Es kommt nicht auf mich an, es ist Gott, der in den Sakramenten wirken muss und selbst seine Gegenwart offenbart. Es kommt nicht nur auf mich an, wenn mir in Gesprächen Menschen ihr Leid klagen. Gott muss wirken; er ist es, der den inneren Frieden schaffen muss. Sicher: Ich bin gerufen, Zeugnis zu geben und Christus in meinem Leben, meiner Arbeit nicht zu verleugnen und das Evangelium zu verkünden. Ich bin gerufen, bei den Menschen zu sein, um Sorgen und Nöte mit den Menschen zu teilen. Ich bin gerufen, mit den Menschen Glaube, Hoffnung und Liebe zu teilen. Ich bin gerufen, meinen Dienst in Treue zu verrichten. Das Glück der Auferstehung ist dabei für mich: Es kommt nicht so sehr auf mich an – Christus selbst verheißt den Jüngern den Heiligen Geist, der es richten muss! Es kommt auf den Heiligen Geist an! Er muss den Frieden schaffen, er muss in den Sakramenten und in den Menschen wirken. Es ist Gott, der in das Herz der Menschen einzieht und sie verwandelt. Hiervon darf ich häufig voll Freude Zeuge sein.

Christian Braunigger SJ, Leipzig, geb. 1980

Wenn ich Gott sage …

In meiner Studienzeit las ich das Buch eines französischen Dominikaners mit dem Titel: Quand je dis Dieu … Wenn ich Gott sage … Dieser Buchtitel mit seiner offenen Frage hat mich seither begleitet. Ich habe sie lebensgeschichtlich immer anders beantwortet. Meine Antwortversuche nahmen unterschiedliche Farben an und meine konkreten Lebensperspektiven auf. Die Frage hat ja zwei Seiten: Wann fällt Gott ins Leben ein, und wie sieht das Leben aus, wenn ich Gott sage?

Ich möchte mit drei französischen Wörtern umschreiben, was mir bedeutsam geworden und geblieben ist. – Naissance: Geburt. Das Faktum, geboren zu sein, lässt sich rational nicht einholen. Entbunden werden, zur Welt kommen und als Erdenbürger in eine Familie, in eine historische Zeit und an einem Ort geboren und dort begrüßt worden zu sein. Diese »Vorgabe« des Lebens verbinde ich mit Gott, gerade auch in ihrer Dimension jenseits aller Kausalitäten. Lebenslang werde ich nun vor der durchaus auch schwierigen Herausforderung stehen, was Romano Guardini einmal die Annahme seiner selbst nannte. Wenn ich Gott sage, dann glaube ich daran, dass ich bei aller Tatsache des Geborenseins mich damit in eine Dimension der Gnade und der Verheißung stellen darf, trotz allem. Es ist recht so, dass es mich gibt.

– Renaissance: Wiedergeboren werden und neu anfangen zu dürfen, trotz aller Sackgassen und Verstrickungen des Lebens. Diese Ermutigung zum Wiederund Neugeborenwerden verbinde ich mit den Versen aus Psalm 18: Er führte mich ins Weite … Mit dir überspringe ich Mauern. Im Gespräch mit Nikodemus abseits der Straßen und in der Nacht spricht Jesus vom Wiedergeboren-werden-von-oben. Dazu bedarf es der göttlichen Ermutigung und auch des glaubenden Übermutes.

- Reconnaissance: Das Französische verbindet in diesem einen Wort die Bedeutung von Einsicht und Dankbarkeit. Diese Verbindung liegt wohl nahe, wenn man älter wird: die Einsichten in das Leben auch in seinem irreversiblen Charakter in den übergreifenden Zusammenhang der Dankbarkeit zu stellen. Von Hans-Magnus Enzensberger gibt es ein Gedicht mit dem Titel: Retour à l’expéditeur: Zurück an den Absender. Der Brief des Dankes findet seinen göttlichen Adressaten nicht. Wenn ich Gott sage …, dann glaube und vertraue ich, dass es den Adressaten meiner Lebensbriefe gibt, einen barmherzigen Gott, der sie annimmt mit den klaren Zeilen, auch mit den krummen Zeilen, mit der Geheimschrift und den Palimpsesten, die mir selbst oft nicht durchschaubar sind.

Reconnaissance: Was bleibt, wenn ich geworden sein werde? Wenn ich dann Gott sage, halte ich eine letztgültige Antwort offen und erinnere mich an die Mutation des Lebens ins Futur II: Wenn ich geworden sein werde.

Es gibt eine anrührende und auch streitbereite Passage in einem Brief von Hannah Arendt an ihren ehemaligen Geliebten, den Philosophen Martin Heidegger, über die Liebe und das Futur II: »Volo ut sis: kann heißen, ich will, dass du seiest, wie du eigentlich bist, dass du dein Wesen seiest. Aber kann das nicht auch Herrschsucht sein, die unter dem Vorwand der Liebe das Wesen des anderen zum Objekt des eigenen Willens macht? Es könnte aber auch heißen: Ich will, dass du seiest, wie immer du auch schließlich gewesen sein wirst. Nämlich wissend, dass niemand ante mortem der ist, der er ist, und darauf vertrauend, dass es gerade am Ende recht gewesen sein wird.«

Augustinus spricht in seinen Bekenntnissen seine Gotteserfahrung einmal so aus: Quaestio mihi factus sum. Vor dir bin ich mir zur Frage geworden. Ich glaube, er hat verstanden, worum es auch bei mir geht, wenn ich Gott sage.

Hermann Breulmann SJ, Berlin, geb. 1948

Wir und Gott: nüchternes Feststellen und jubelnder Dank

1. Immer schon fragten und klagten viele Menschen: Weshalb hilfst du mir nicht, Gott? Weshalb mir so wenig und anderen mehr? Wofür soll ich dir überhaupt danken? Zahlreiche Menschen, die tiefgründig ihre Zeit und Gesellschaft untersuchten, zogen den Schluss, dass Gott sich nicht um sie kümmert, entweder weil er sich erhaben über seine Schöpfung fühlt oder weil er tief enttäuscht über seine Geschöpfe ist, ja, dass er sich tieftraurig über uns Menschen wegen unserer Sünden von uns trennte.

Menschen beschlossen deshalb, sich von Gott zu befreien, um bloß für sich selbst zu leben und nur noch vor sich selbst Rechenschaft ablegen zu müssen. Manche leugneten die Existenz eines Gottes überhaupt.

2. Wie will ich, der ich weiterhin bewusst und gewollt Christ bleiben will, darauf antworten? Meine im Gebet und im Verlangen nach Wahrheit errungene, zugleich bereits vor Jahrhunderten errungene Antwort lautet:

Gott Vater erschuf in Liebe zu seinem Sohn und zum Heiligen Geist diese Welt und stellt an deren obersten Platz den mit und zur Freiheit begabten Menschen und liebt ihn.

Gott fordert und fördert wiederum die Liebe des Menschen in den drei Richtungen: 1. zu sich, Gott, 2. des Menschen zum Menschen und 3. des Menschen zu sich selbst. Diese dreifache Ausrichtung lässt uns erkennen: Gott verzichtet bewusst und gewollt aus Liebe zu uns darauf, vorrangig verehrt zu werden, wenn bloß die Menschen, z.B. die Mitglieder eines Staates, sowohl einander wie sich selbst lieben und untereinander für Freude, Frieden und das Gemeinwohl sorgen. Gott bevorzugt insofern das Geschöpf vor sich selbst!

Und so wie Gott von sich selbst absieht und auf seine Verehrung – und sogar um unseretwillen auf das irdische Weiterleben seines Sohnes – verzichtet, so soll je nach Situation auch der Mensch auf eine ihm von Menschen entgegenkommende Liebe verzichten können. Mit ehrfürchtigem Stolz kann uns dies erfüllen!

3. Also: Gott sah sich und sieht sich nie durch eine Sünde zum Rückzug und Ausstieg aus dieser Liebesbeziehung veranlasst, sondern liebt vielmehr ununterbrochen und unvermindert stark die Menschen, ja einen jeden Menschen, auf jedem Schritt und in allen seinen Beziehungen. Und Gott leidet mit, wenn Menschen sündigen und andere an deren Sünden leiden müssen.

Daher sollen wir Menschen eine so starke, souveräne Liebe, also die Gottes zu uns, von unserer Seite aus erwidern und IHN ehren, ja verehren! Allein solche Gegenseitigkeit trägt zu unserem Wohlbefinden – und Heil – bei.

4. Die von Menschen aufgestellte Lehre, dass sich Gott aus Trauer über uns zurückzog, ist unrichtig. Allerdings überträgt Gott sein unmittelbares Wirken zumindest im politischen Zusammenleben von sich auf die Menschen; ER bleibt selbstverständlich, vermittelt durch Menschen, höchst verantwortlich!

Gott zog sich also weder aus Abneigung zu uns noch aus Zorn über uns zurück, sondern aus tiefer Zuneigung zum Menschen, der als freies Wesen geschaffen ist, um sich in freiem Handeln seinem Ziel, dem wahren Menschsein, anzunähern. Menschliches Handeln soll die Schöpfung ihrer Vollendung näherbringen und sie verantwortlich zum Guten, Schönen und gerechten Leben ausgestalten. Und jedes Handeln soll Gott zur wahren Ehre gereichen.

5. Somit lässt sich die von kritischen Zeitgenossen angestrebte Verantwortung auch – und eigentlich nur! – erreichen und anzielen, wenn wir mit Gott, dem Schöpfer, zusammenleben wollen. Unser Ziel bleibt: Gott, den Schöpfer und Erlöser, zu ehren, zu verehren und in Freiheit zu lieben. Gott hilft zugleich unermüdlich, dass wir Schritt für Schritt, Tag für Tag auf dem Weg zu ihm vorwärtskommen, um dieses Ziel, also IHN selbst, zu erreichen.

Schluss:

1. Wer Gott aus der Welt und zu Verzichten drängen will, soll wissen, dass und weshalb Gott sich selbst enorm zurückzieht und verzichtet.

2. Wenn der Mensch sich selbst verliert oder verneint, so hilft Gott, dass der Mensch sich wieder findet und zu bejahen vermag.

3. Wer Gott töten will, soll wissen, dass Gott seinem einzigen Sohn schmerzlichst den Weg zu den Menschen freigab, die fähig zum Töten waren.

4. Wo der Mensch für sich Vorteil, allenfalls Gerechtigkeit fordert, schenkt Gott sich selbst und heilt den Menschen aus Krankheit, Selbstbetrug und Versklavung.

Norbert Brieskorn SJ, München, geb. 1944