Theorie und Therapie der Neurosen

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Wie sieht nun die Nutzanwendung dieser Logo-Theorie in der Praxis aus? In diesem Zusammenhang möchte ich den Fall einer Krankenschwester zitieren, die mir im Rahmen eines Seminars, das ich für das Department of Psychiatry an der Stanford University zu halten hatte, vorgestellt wurde:

Diese Patientin litt an einem nicht operierbaren Krebs, und sie wußte darum. Weinend trat sie ins Zimmer, in dem die Stanford-Psychiater versammelt waren, und mit von Tränen erstickter Stimme sprach sie von ihrem Leben, von ihren begabten und erfolgreichen Kindern und davon, wie schwer es ihr nun falle, von alledem Abschied zu nehmen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich, offen gesagt, noch keinen Ansatzpunkt gefunden, um logotherapeutisches Gedankengut in die Diskussion zu werfen. Nunmehr ließ sich das in ihren Augen Negativste, daß sie das für sie Wertvollste in der Welt zurücklassen muß, in etwas Positives umsetzen, als etwas Sinnvolles verstehen und deuten: Ich brauchte sie nur zu fragen, was denn eine Frau sagen soll, die keine Kinder hätte. Ich sei zwar überzeugt, daß auch das Leben einer kinderlos gebliebenen Frau keineswegs sinnlos bleiben muß. Aber ich könnte mir sehr wohl vorstellen, daß eine solche Frau zunächst einmal verzweifelt, weil eben nichts und niemand da ist, den sie „in der Welt zurücklassen muß“, wenn es dazu kommt, von der Welt Abschied zu nehmen. In diesem Augenblick hellten sich die Züge der Patientin auf. Plötzlich war sie sich dessen bewußt, daß es nicht darauf ankommt, ob wir Abschied nehmen müssen, denn früher oder später muß es jeder von uns. Sehr wohl kommt es aber darauf an, ob überhaupt etwas existiert, von dem wir Abschied nehmen müssen. Etwas, was wir in der Welt zurücklassen können, mit dem wir einen Sinn und uns selbst erfüllen an dem Tag, an dem sich unsere Zeit erfüllt. Es läßt sich kaum beschreiben, wie erleichtert die Patientin war, nachdem das sokratische Gespräch zwischen uns eine kopernikanische Wendung genommen hatte.

Ich möchte nun dem logotherapeutischen Stil einer Intervention den psychoanalytischen gegenüberstellen, wie er aus einer Arbeit von Edith Weisskopf-Joelson (einer amerikanischen Anhängerin der Psychoanalyse, die sich heute zur Logotherapie bekennt) hervorgeht:

„Die demoralisierende Wirkung der Verleugnung eines Lebenssinns, vor allem des tiefen Sinnes, der potentiell dem Leiden innewohnt, läßt sich anhand einer Psychotherapie illustrieren, die ein Freudianer einer Frau zuteil werden ließ, die an einem unheilbaren Krebs litt.“ Und Weisskopf-Joelson läßt K. Eissler zu Wort kommen: „Sie verglich die Sinnfülle ihres früheren Lebens mit der Sinnlosigkeit der gegenwärtigen Phase; aber selbst jetzt, wo sie nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten konnte und sich für viele Stunden am Tag hinlegen mußte, sei ihr Leben trotzdem sinnvoll, meinte sie, und zwar insofern, als ihr Dasein für ihre Kinder wichtig war und sie selbst so eine Aufgabe zu erfüllen hatte. Wenn sie aber einmal ins Spital eingeliefert würde, ohne Aussicht, jemals nach Hause zurückkehren zu können, und nicht mehr fähig, das Bett zu verlassen, würde aus ihr ein Klumpen nutzlosen faulenden Fleisches werden und ihr Leben jeden Sinn verlieren. Zwar war sie bereit, alle Schmerzen so lange zu ertragen, als dies noch irgendwie sinnvoll wäre; aber wozu wollte ich sie dazu verurteilen, ihre Leiden zu einer Zeit zu erdulden, zu der das Leben längst keinen Sinn mehr hätte? Daraufhin erwiderte ich, daß sie meines Erachtens einen groben Fehler begehe; denn ihr ganzes Leben sei sinnlos und von jeher sinnlos gewesen, noch bevor sie jemals erkrankt wäre. Einen Sinn des Lebens zu finden, sagte ich, hätten die Philosophen noch immer vergeblich versucht, und so bestehe denn auch der Unterschied zwischen ihrem früheren und ihrem gegenwärtigen Leben einzig und allein darin, daß sie in dessen früherer Phase an einen Sinn des Lebens noch zu glauben vermochte, während sie in der gegenwärtigen Phase eben nicht mehr imstande war, es zu tun. In Wirklichkeit, schärfte ich ihr ein, seien beide Phasen ihres Lebens ganz und gar sinnlos gewesen. Auf diese Eröffnung hin reagierte die Patientin, indem sie ratlos war, mich nicht recht zu verstehen vorgab und in Tränen ausbrach.“8

Eissler gab der Patientin nicht etwa den Glauben, daß auch noch das Leiden einen Sinn haben kann, sondern er nahm ihr auch noch den Glauben, daß das ganze Leben auch nur den geringsten Sinn haben könnte. Fragen wir uns aber nicht nur, wie ein Psychoanalytiker, sondern auch, wie ein Verhaltenstherapeut Fällen von menschlicher Tragik wie dem bevorstehenden eigenen Tod oder dem Tode eines anderen gegenübertritt. Einer der repräsentativsten Vertreter der lerntheoretisch begründeten Verhaltensmodifikation läßt es uns wissen: In solchen Fällen „sollte der Patient telephonische Anrufe besorgen, auf der Wiese das Gras mähen oder Geschirr waschen, und diese Betätigungen sollten vom Therapeuten gelobt oder anderweitig belohnt werden.“9

Wie sollte auch eine Psychotherapie, die ihr Menschenverständnis von Rattenexperimenten bezieht, mit dem fundamental-anthropologischen Faktum fertig werden, daß der Mensch einerseits mitten in der Überflußgesellschaft Selbstmord begeht und andererseits bereit ist zu leiden, vorausgesetzt, daß sein Leiden Sinn hat? Vor mir liegt der Brief eines jungen Psychologen, der mir schildert, wie er versucht habe, seine sterbende Mutter innerlich aufzurichten.“ Es war eine bittere Erkenntnis für mich“, – schreibt er dann – „daß ich nichts von all dem, das ich in 7 langen Jahren Studiums gelernt hatte, verwenden konnte, um meiner Mutter die Härte und Endgültigkeit ihres Schicksals zu erleichtern“ – nichts, als was er während seiner anschließenden logotherapeutischen Ausbildung gelernt hatte „vom Sinn des Leidens und von der reichen Ernte in die Geborgenheit der Vergangenheit“. Und angesichts dessen habe er sich eingestehen müssen, daß diese „teilweise unwissenschaftlichen, jedoch weisen Argumente in letzter menschlicher Instanz das höhere Gewicht besitzen“.

Inzwischen dürfte klargeworden sein, daß nur eine Psychotherapie, die es wagt, über Psychodynamik und Verhaltensforschung hinauszugehen und in die Dimension der spezifisch humanen Phänomene einzusteigen, mit einem Wort, daß nur eine rehumanisierte Psychotherapie imstande sein wird, die Zeichen der Zeit zu verstehen und den Nöten der Zeit sich zu stellen. Mit anderen Worten, es dürfte inzwischen klargeworden sein, daß wir, um die existentielle Frustration oder gar eine noogene Neurose auch nur zu diagnostizieren, im Menschen ein Wesen sehen müssen, das – kraft seiner Selbst-Transzendenz – ständig auf der Suche nach Sinn ist. Was aber nicht die Diagnose, sondern die Therapie anlangt, und zwar nicht die Therapie der noogenen, sondern die Therapie der psychogenen Neurose, müssen wir, um alle Möglichkeiten auszuschöpfen, auf die den Menschen nicht weniger auszeichnende Fähigkeit zur Selbst-Distanzierung zurückgreifen, und ihr begegnen wir nicht zuletzt in Form seiner Fähigkeit zum Humor. Eine humane, eine humanisierte, eine rehumanisierte Psychotherapie setzt also voraus, daß wir die Selbst-Transzendenz in den Blick bekommen und die Selbst-Distanzierung in den Griff bekommen. Beides ist aber nicht möglich, wenn wir im Menschen ein Tier sehen. Kein Tier schert sich um den Sinn des Lebens, und kein Tier kann lachen. Damit ist nicht gesagt, daß der Mensch nur Mensch und nicht auch Tier ist. Die Dimension des Menschen ist ja gegenüber der Dimension des Tieres die höhere, und das heißt, daß sie die niedrigere Dimension einschließt. Die Feststellung spezifisch humaner Phänomene im Menschen und die gleichzeitige Anerkennung subhumaner Phänomene an ihm widersprechen einander also gar nicht, denn zwischen dem Humanen und dem Subhumanen besteht ja kein Ausschließlichkeits-, sondern – wenn ich so sagen darf – ein Einschließlichkeitsverhältnis.

Es ist nun genau das Anliegen der logotherapeutischen Technik der paradoxen Intention, die Fähigkeit zur Selbst-Distanzierung im Rahmen der Behandlung der psychogenen Neurose zu mobilisieren, während einer weiteren logotherapeutischen Technik, der Dereflexion, das andere fundamental-anthropologische Faktum, nämlich die Selbst-Transzendenz, zugrunde liegt. Um diese beiden Behandlungsmethoden zu verstehen, müssen wir aber von der Neurosentheorie der Logotherapie ausgehen.

Wir unterscheiden da drei pathogene Reaktionsmuster. Das erste läßt sich folgendermaßen beschreiben: Der Patient reagiert auf ein gegebenes Symptom (Abbildung 1) mit der Befürchtung, es könnte wieder auftreten, also mit Erwartungsangst, und diese Erwartungsangst bringt es mit sich, daß das Symptom dann auch wirklich wieder auftritt – ein Ereignis, das den Patienten in seiner ursprünglichen Befürchtung nur bestärkt.

Nun kann das, vor dessen Wiederauftreten der Patient solche Angst hat, unter Umständen auch die Angst sein. Unsere Patienten sprechen da von einer „Angst vor der Angst“, und zwar ganz spontan. Und wie wird diese Angst von ihnen motiviert? Nun, für gewöhnlich fürchten sie sich vor dem Ohnmächtigwerden, vor einem Herzinfarkt oder davor, daß sie der Schlag treffen könnte. Wie reagieren sie aber auf ihre Angst vor der Angst? Mit Flucht. Sie vermeiden es etwa, das Haus zu verlassen. Tatsächlich ist die Agoraphobie das Paradigma dieses ersten, des angstneurotischen Reaktionsmusters.


Abb. 1

Warum soll dieses Reaktionsmuster aber „pathogen“ sein? Auf einem auf Einladung der American Association for the Advancement of Psychotherapy gehaltenen Vortrag (New York, 26.2.1960) haben wir es folgendermaßen formuliert: „Phobias and obsessive-compulsive neuroses are partially due to the endeavor to avoid the Situation in which anxiety arises.“ (Viktor E. Frankl, „Paradoxical Intention: A Logotherapeutic Technique“, American Journal of Psychotherapy 14, 520, 1960.) Diese unsere Auffassung jedoch, daß die Flucht vor der Angst durch das Vermeiden der die Angst auslösenden Situation für die Perpetuierung des angstneurotischen Reaktionsmusters so entscheidend ist, – diese unsere Auffassung ist inzwischen auch von verhaltenstherapeutischer Seite wiederholt bestätigt worden. So sagt I. M. Marks („The Origins of Phobic States“, American Journal of Psychotherapy 24, 652, 1970): „The phobia is maintained by the anxiety reducing mechanism of avoidance.“ Wie denn überhaupt nicht zu verkennen ist, daß die Logotherapie vieles vorweggenommen hat, das später von der Verhaltenstherapie auf eine solide experimentelle Grundlage gestellt wurde. War es doch bereits 1947, daß wir folgende Ansicht vertraten:

 

„Bekanntlich kann man die Neurose in einem gewissen Sinne und mit einem gewissen Recht auch als bedingten Reflex-Mechanismus auffassen. Allen vornehmlich analytisch orientierten seelenärztlichen Behandlungsmethoden geht es dann vorwiegend darum, die primären Bedingungen des bedingtes Reflexes, nämlich die äußere und innere Situation des erstmaligen Auftretens eines neurotischen Symptoms, bewußtseinsmäßig zu erhellen. Wir aber sind der Ansicht, daß die eigentliche Neurose – die manifeste, die bereits fixierte – nicht nur durch ihre primäre Bedingung verursacht ist, sondern durch ihre (senkundäre) Bahnung. Gebahnt jedoch wird der bedingte Reflex, als welchen wir das neurotische Symptom jetzt aufzufassen versuchen, durch den Circulus vitiosus der Erwartungsangst! Wollen wir demnach einen eingeschliffenen Reflex sozusagen entbahnen, dann gilt es allemal, die Erwartungsangst zu beseitigen, und zwar in jener angegebenen Art und Weise, als deren Prinzip wir die paradoxe Intention hingestellt haben“ (Viktor E. Frankl, Die Psychotherapie in der Praxis, Franz Deuticke, Wien 1947).


Abb. 2

Das zweite pathogene Reaktionsmuster ist nun nicht in angstneurotischen, sondern in zwangsneurotischen Fällen zu beobachten. Der Patient steht unter dem Druck (Abbildung 2) der auf ihn einstürmenden Zwangsvorstellungen und reagiert auf sie, indem er sie zu unterdrücken versucht. Er sucht also, einen Gegendruck auszuüben. Dieser Gegendruck aber ist es, was den ursprünglichen Druck nur erhöht. Wieder schließt sich der Kreis, und wieder schließt sich der Patient in diesen Teufelskreis ein. Was die Zwangsneurose charakterisiert, ist aber nicht, wie im Falle der Angstneurose, eine Flucht, sondern der Kampf, das Ankämpfen gegen die Zwangsvorstellungen. Wieder hätten wir uns zu fragen, was ihn dazu bewegt und veranlaßt. Und es stellt sich heraus, daß sich der Patient entweder davor fürchtet, die Zwangsvorstellungen könnten mehr als eine Neurose sein, indem sie eine Psychose signalisieren. Oder der Patient fürchtet sich davor, er könnte Zwangsvorstellungen kriminellen Inhalts in die Tat umsetzen, indem er jemandem etwas antut – jemandem oder sich selbst. So oder so: Der an einer Zwangsneurose leidende Patient hat nicht Angst vor der Angst selbst, sondern Angst vor sich selbst.

Es ist nun die Aufgabe der paradoxen Intention, die beiden Zirkelmechanismen zu sprengen, aufzubrechen, aus den Angeln zu heben. Und zwar geschieht das, indem den Befürchtungen des Patienten der Wind aus den Segeln genommen wird, indem er also, wie sich ein Patient einmal ausdrückte, „den Stier bei den Hörnern packt“. Wobei darauf Rücksicht zu nehmen ist, daß sich der Angstneurotiker vor etwas fürchtet, das ihm widerfahren könnte, während sich der Zwangsneurotiker auch vor etwas fürchtet, das er anstellen könnte. Beides wird nun berücksichtigt, wenn wir die paradoxe Intention folgendermaßen definieren: Der Patient wird angewiesen, genau das, wovor er sich immer so sehr gefürchtet hatte, nunmehr sich zu wünschen (Angstneurose) beziehungsweise sich vorzunehmen (Zwangsneurose).

Wie wir sehen, handelt es sich bei der paradoxen Intention um eine Inversion jener Intention, die die beiden pathogenen Reaktionsmuster charakterisiert, nämlich des Vermeidens von Angst und Zwang durch Flucht vor der ersteren beziehungsweise Kampf gegen den letzteren. Das ist aber genau das, was heute auch die Verhaltenstherapeuten für entscheidend halten: I. M. Marks bringt etwa im Anschluß an seine Hypothese, daß die Phobie durch die Angst herabsetzenden Mechanismen der Vermeidung aufrechterhalten wird, folgende therapeutische Empfehlung vor: „The phobia can then be properly overcome only when the patient faces the phobic Situation again.“ (l. c.) Und dazu bietet sich eben die paradoxe Intention an. In einer gemeinsamen mit S. Rachman und R. Hodgson verfaßten Arbeit hebt Marks ebenfalls hervor, daß der Patient dazu überredet und ermutigt werden muß, sich gerade auf das einzulassen, was ihn am meisten aufregt („The Treatment of Chronic Obsessive-Compulsive Neurosis“, Behav. Res. Ther. 9, 237, 1971). Aber auch in einer gemeinsam mit J. P. Watson und R. Gaind verfaßten Arbeit empfiehlt er therapeutisch, daß der Patient an den Gegenstand seiner Befürchtungen so nahe und so rasch herantreten muß, wie er nur kann, und nicht mehr solchen Gegenständen ausweichen darf („Prolonged Exposure“, Brit. Med. J. 1, 13, 1971).

Daß die Logotherapie in Form der bereits 1939 beschriebenen paradoxen Intention diese therapeutischen Empfehlungen längst schon in die Tat umgesetzt hatte, wird heute auch von führenden Verhaltenstherapeuten zugegeben.

„Die paradoxe Intention geht zwar von einem ganz anderen als dem lerntheoretischen Ansatz aus“, schreiben H. Dilling, H. Rosefeldt, G. Kockott und H. Heyse vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie, ihre „Wirkung könnte möglicherweise aber mit einfachen Prinzipien der Lernpsychologie erklärt werden“. Nachdem die Autoren zugeben, daß mit der paradoxen Intention „gute und zum Teil sehr rasche Erfolge erzielt wurden“, interpretieren sie diese Erfolge lernpsychologisch, indem sie „eine Lösung der konditionierten Verbindung zwischen auslösendem Reiz und Angst annehmen. Um neue, angepaßtere Reaktionsweisen auf bestimmte Situationen hin aufzubauen, muß das Meidungsverhalten mit seiner ständig verstärkenden Wirkung aufgegeben werden und die betreffende Person neue Erfahrungen mit den angstauslösenden Reizen gewinnen“. („Verhaltenstherapie bei Phobien, Zwangsneurosen, sexuellen Störungen und Süchten“, Fortschr. Neurol. Psychiat. 39, 293, 1971.)

Dieses Geschäft besorge eben die paradoxe Intention. Arnold A. Lazarus bestätigt ihre Erfolge ebenfalls und erklärt sie vom Standpunkt der Verhaltenstherapie aus folgendermaßen:

„When people encourage their anticipatory anxieties to erupt, they nearly always find the opposite reaction coming to the fore – their worst fears subside and when the method is used several times, their dreads eventually disappear.“ (Behavior Therapy and Beyond, McGraw-Hill, New York 1971).

Die paradoxe Intention wurde von mir bereits 1929 praktiziert (Ludwig J. Pongratz, Psychotherapie in Selbstdarstellungen, Hans Huber, Bern 1973), aber erst 1939 beschrieben (Viktor E. Frankl, „Zur medikamentösen Unterstützung der Psychotherapie bei Neurosen“, Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie 43, 26, 1939) und erst 1947 unter ihrem Namen publiziert (Viktor E. Frankl, Die Psychotherapie in der Praxis, Franz Deuticke, Wien 1947). Die Ähnlichkeit mit später auf den Markt gekommenen verhaltenstherapeutischen Behandlungsmethoden wie anxiety provoking, exposure in vivo, flooding, implosive therapy, induced anxiety, modeling, modification of expectations, negative practice, satiation und prolonged exposure ist unverkennbar und ist auch einzelnen Verhaltenstherapeuten nicht verborgen geblieben. Dilling, Rosefeldt, Kockott und Heyse zufolge „liegt der Methode der paradoxen Intention nach V. E. Frankl, obwohl sie ursprünglich nicht lernpsychologisch konzipiert wurde, möglicherweise ein ähnlicher Wirkungsmechanismus zugrunde wie den Flooding und Implosive Therapy genannten Behandlungsformen“ (l. c.). Und was die zuletzt genannte Behandlungsform anlangt, verweist I. M. Marks ebenfalls auf „certain similarities to the paradoxical intention technique“ (Fears and Phobias, Academic Press, New York 1969) sowie auf das Faktum, daß diese unsere Technik „closely resembled that now termed modeling“ (Treatment of Obsessive-Compulsive Disorders, in: Psychotherapy and Behavior Change 1973, edited by Hans H. Strupp et al., Aldine Publishing Company, Chicago 1974).10

Wenn jemand gegenüber der paradoxen Intention eine Priorität beanspruchen kann, dann sind es meines Erachtens nur folgende Autoren: Rudolf Dreikurs verdanke ich den Hinweis auf einen analogen „Trick“, der bereits 1932 von ihm (Das nervöse Symptom, Verlag Moritz Perles, Wien und Leipzig) und noch früher von Erwin Wexberg beschrieben wurde, welch letzerer ad hoc den Ausdruck „Antisuggestion“ prägte. Und 1956 wurde mir zur Kenntnis gebracht, daß H. v. Hattingberg ebenfalls auf eine analoge Erfahrung hinweist:

„Wem es zum Beispiel gelingt, das Auftreten eines nervösen Symptoms, gegen das er sich bisher ängstlich gewehrt hatte, bewußt zu wünschen, der kann durch diese willentliche Einstellung die Angst und schließlich auch das Symptom zum Schwinden bringen. Es ist also möglich, den Teufel durch den Beelzebub auszutreiben. Eine solche Erfahrung ist freilich nur manchen praktisch erreichbar. Es gibt jedoch kaum eine Erfahrung, die für den seelisch Gehemmten lehrreicher wäre.“ (Über die Liebe, München-Berlin 1940.)

Es ist auch nicht anzunehmen, daß die paradoxe Intention, wenn sie wirklich wirksam sein soll, nicht ihre Vorgänger und Vorläufer gehabt haben sollte. Was man der Logotherapie daher als Verdienst anrechnen kann, ist nur, daß sie das Prinzip zu einer Methode ausgebaut und in ein System eingebaut hat.

Nur um so bemerkenswerter ist es, daß der erste Versuch, die Wirksamkeit der paradoxen Intention experimentell zu beweisen, von Verhaltenstherapeuten unternommen wurde. Waren es doch die Professoren L. Solyom, J. Garza-Perez, B. L. Ledwidge und C. Solyom von der Psychiatrischen Klinik der McGill University, die in Fällen von chronischer Zwangsneurose jeweils zwei gleich intensiv ausgeprägte Symptome auswählten und dann das eine, das Zielsymptom, mit paradoxer Intention behandelten, während das andere, das „Kontroll“-Symptom, unbehandelt blieb. Tatsächlich ergab sich, daß einzig und allein die jeweils behandelten Symptome dahinschwanden, und zwar innerhalb weniger Wochen. Und zu Ersatzsymptomen kam es in keinem einzigen Falle! („Paradoxical Intention in the Treatment of Obsessive Thoughts: A Pilot Study“, Comprehensive Psychiatry 13, 291, 1972.)11

Unter den Verhaltenstherapeuten war es nun wieder Lazarus, dem „an integral element in Frankl’s paradoxical intention procedure“ aufgefallen ist: „the deliberate evocation of humor. A patient who fears that he may perspire is enjoined to show his audience what perspiration is really like, to perspire in gushes of drenching torrents of sweat which will moisturize everything within touching distance.“ (l. c.) Tatsächlich gehört, wie wir ja bereits vorwegnehmend bemerkt haben, als von der Mobilisierung der Fähigkeit zur Selbst-Distanzierung die Rede war – tatsächlich gehört der Humor, mit dem der Patient die paradoxe Intention jeweils formulieren muß, zum Wesen dieser Technik, und mit ihm hebt sie sich auch von den verhaltenstherapeutischen Behandlungsmethoden ab, die wir aufgezählt haben.

Mit welchem Recht wir aber immer schon und immer wieder auf die Bedeutung des Humors für den Erfolg der paradoxen Intention hingewiesen haben, wurde jüngst ebenfalls von einem Verhaltenstherapeuten bewiesen, und zwar war es Iver Hand vom Londoner Maudsley Hospital, der beobachten konnte, daß an Platzangst leidende Patienten, die – in Gruppen zusammengefaßt – mit den bis dahin von ihnen vermiedenen, weil ihre Angst auslösenden Situationen konfrontiert worden waren, ganz spontan sich selbst und einander mit Humor zur Übertreibung ihrer Angst antrieben: „They used humor spontaneously as one of their main coping mechanisms.“ (Vortrag auf dem Montrealer Logotherapie-Symposium, veranstaltet von der American Psychological Association auf ihrer Jahrestagung 1973.) Kurz, die Patienten „erfanden“ die paradoxe Intention – und so wurde ihr Reaktions-„Mechanismus“ von dem Londoner Forscher-Team auch interpretiert!

 

Nun wollen wir uns aber der paradoxen Intention zuwenden, wie sie lege artis, nach den Regeln der Logotherapie durchgeführt wird, und zwar soll dies anhand von Kasuistik erläutert werden. In diesem Zusammenhang darf zunächst einmal auf die Fälle verwiesen werden, die in meinen Büchern „Theorie und Therapie der Neurosen“, „Die Psychotherapie in der Praxis“, „Der Wille zum Sinn“ und „Ärztliche Seelsorge“ besprochen werden. Im folgenden konzentrieren wir uns aber auf unpubliziertes Material.

Spencer Adolph M. aus San Diego, California, schreibt mir:

„Zwei Tage, nachdem ich Ihr Buch Man’s Search for Meaning gelesen hatte, befand ich mich in einer Situation, die mir Gelegenheit gab, die Logotherapie einmal auf die Probe zu stellen. An der Universität nehme ich nämlich an einem Seminar über Martin Buber teil, und während der ersten Zusammenkunft nahm ich mir kein Blatt vor den Mund, als ich glaubte, genau das Gegenteil von dem sagen zu müssen, was die anderen gesagt hatten. Da begann ich auf einmal, mächtig zu schwitzen. Und sobald ich das bemerkt hatte, bekam ich es mit der Angst zu tun, die anderen könnten es merken, woraufhin ich erst recht zu schwitzen begann. Plötzlich fiel mir der Fall eines Arztes ein, der Sie wegen seiner Angst vor Schweißausbrüchen konsultiert hatte, und ich dachte mir, meine Situation sei doch ähnlich. Aber ich halte nicht viel von der Psychotherapie, und von der Logotherapie am allerwenigsten.

Aber nur um so mehr schien mir meine Situation eine einmalige Gelegenheit zu sein, um die paradoxe Intention einmal auszuprobieren. Was war es doch, was Sie Ihrem Kollegen geraten hatten? Er möge sich doch zur Abwechslung einmal wünschen und vornehmen, den Leuten zu zeigen, wie tüchtig er schwitzen kann – ,bisher hab’ ich nur 1 Liter zusammengeschwitzt, jetzt aber will ich 10 Liter herausschwitzen‘, heißt es in Ihrem Buch. Und während ich im Seminar weitersprach, sagte ich mir: Tu doch auch du einmal deinen Kollegen was vorschwitzen, Spencer! Aber so richtig – das ist noch gar nichts – noch viel mehr sollst du schwitzen! Und es vergingen nicht mehr als ein paar Sekunden, und ich konnte beobachten, wie meine Haut trocken wurde. Innerlich mußte ich lachen. War ich doch nicht darauf gefaßt, daß die paradoxe Intention wirken wird, und noch dazu sofort. Zum Teufel noch einmal, sagte ich mir, da muß was dran sein, an dieser paradoxen Intention – das hat hingehaut, und dabei bin ich doch so skeptisch gegenüber der Logotherapie.“

Einem Bericht von Mohammed Sadiq entnehmen wir folgenden Fall:

„Frau N., eine 48 Jahre alte Patientin, litt an Zittern, und zwar in dem Maße, daß sie außerstande war, eine Schale Kaffee oder ein Glas Wasser zu halten, ohne etwas zu verschütten. Auch konnte sie weder schreiben noch ein Buch ruhig genug halten, um lesen zu können. Eines Morgens ergab es sich, daß wir einander allein gegenübersaßen und sie wieder einmal begann zu zittern. Daraufhin beschloß ich, einmal die paradoxe Intention zu versuchen, und zwar richtig mit Humor. So begann ich denn: Wie wärs, Frau N., wenn wir einmal ein Wettzittern veranstalteten? – Sie: Was soll das heißen? – Ich: Wir wollen einmal sehen, wer schneller und wer länger zittern kann. – Sie: Ich hab’ nicht gewußt, daß Sie ebenfalls an Zittern leiden. – Ich: Nein, nein – keineswegs; wenn ich aber will, dann kann ich zittern. (Und ich begann – und wie.) Sie: Jö – Sie könnens ja schneller als ich. (Und lächelnd begann sie, ihr Zittern zu beschleunigen.) Ich: Schneller – los, Frau N., Sie müssen viel schneller zittern. – Sie: Aber ich kann ja nicht – hören Sie auf, ich kann nicht mehr weiter. – Und sie war wirklich müde geworden. Sie stand auf, ging in die Küche und kam zurück – mit einer Schale Kaffee. Und sie trank sie aus, ohne auch nur einen Tropfen zu verschütten. Wann immer ich sie seither beim Zittern ertappe, brauche ich bloß zu sagen: Nun, Frau N., wie wär’s mit einem Wettzittern? Woraufhin sie zu sagen pflegt: Schon recht, schon recht. – Und das hat noch jedesmal geholfen.“

Georg Pynummootil (USA) berichtet folgendes:

„Ein junger Mann kam in meine Ordination, und zwar wegen eines schweren Blinzeltics, der immer auftrat, wenn er mit jemandem zu sprechen hatte. Da die Leute ihn zu fragen pflegten, was denn los sei, wurde er immer nervöser. Ich überwies ihn an einen Psychoanalytiker. Aber nach einer ganzen Reihe von Sitzungen kam er wieder, um mir zu melden, der Psychoanalytiker hätte nicht die Ursache finden, geschweige denn ihm helfen können. Daraufhin empfahl ich ihm, das nächste Mal, wenn er mit jemandem zu sprechen habe, soviel wie möglich mit den Augen zu zwinkern, um seinem Gesprächspartner zu zeigen, wie ausgezeichnet er das könne. Er aber meinte, ich müsse wohl verrückt geworden sein, wenn ich ihm mit solchen Empfehlungen komme, denn so was könne seinen Zustand ja nur verschlechtern. Und er ging. Ein paar Wochen lang ließ er sich nicht wieder sehen. Dann aber kam er eines Tages wieder, und zwar um mir ganz begeistert zu erzählen, was inzwischen geschehen war: Da er von meinem Vorschlag nichts gehalten hatte, dachte er auch nicht daran, ihn in die Tat umzusetzen. Das Zwinkern verschlimmerte sich aber, und als ihm eines Nachts wieder einfiel, was ich ihm gesagt hatte, sagte er sich: Jetzt hab’ ich alles versucht, was es gibt, und nichts hat geholfen. Was kann schon passieren – versuchst halt’ mal, was der dir da empfohlen hat. Und als er am nächsten Tag dem Erstbesten begegnete, nahm er sich vor, soviel wie möglich mit den Augen zu zwinkern – und zu seiner größten Überraschung war er einfach außerstande, es auch nur im geringsten zu tun. Von da an machte sich der Blinzeltic nie mehr bemerkbar.“

Ein Universitätsassistent schreibt uns:

„Ich hatte mich irgendwo vorzustellen, nachdem ich mich um einen Posten beworben hatte, an dem mir sehr gelegen war, da ich dann in der Lage gewesen wäre, Frau und Kinder nachkommen zu lassen nach Kalifornien. Ich war aber sehr nervös und bemühte mich riesig, einen guten Eindruck zu hinterlassen. Wann immer ich aber nervös werde, fangen meine Beine zu zucken an, und zwar in einem Ausmaß, daß es die Anwesenden merken müssen. Und so geschah’s auch diesmal. Diesmal aber sagte ich mir: Jetzt werde ich einmal diese Saumuskeln da so zwingen zu zucken, daß ich nicht mehr sitzen bleiben kann, sondern aufspringen muß und im Zimmer so lange herumtanzen, bis die Leute glauben, daß ich übergeschnappt bin. Diese Saumuskeln werden heute zucken wie noch nie – heut’ gibt’s einen Zuckrekord. – Nun, die Muskeln haben während der ganzen Besprechung kein einziges Mal gezuckt, ich hab’ den Posten bekommen, und meine Familie wird bald hier in Kalifornien sein.“

Zwei Beispiele von Arthur Jores (Der Kranke mit psychovegetativen Störungen, Vandenhoeck, Göttingen) passen in diesen Zusammenhang:

Es kam eine Krankenhausfürsorgerin zu Jores, „die darüber klagte, daß sie immer, wenn sie zu dem Arzt in sein Zimmer müsse, um mit ihm etwas zu besprechen, rot anlaufe. Wir übten zusammen die paradoxe Intention, und wenige Tage später bekam ich einen glücklichen Brief, es funktioniere ausgezeichnet.“ Ein anderes Mal kam ein Medizinstudent zu Jores, „für den es wegen eines Stipendiums außerordentlich wichtig war, ein gutes Physikum zu bestehen. Er klagte über Examensangst. Auch mit ihm wurde die paradoxe Intention geübt, und siehe da, er war während des Examens vollständig ruhig und bestand es mit einer guten Note“ (Seite 52).

Larry Ramirez verdanken wir folgenden kasuistischen Beitrag:

„The technique which has helped me most often and worked most effectively in my counseling sessions is that of paradoxical intention. One such example I have illustrated below. Linda T., an attractive nineteen year old College Student, had indicated on her appointment card that she was having some problems at home with her parents. As we sat down, it was quite evident to me that she was very tense. She stuttered. My natural reaction would have been to say, ,relax, it’s alright‘, or ,just take it easy‘, but from past experience I knew that asking her to relax would only serve to increase her tension. Instead, I responded with just the opposite, ,Linda, I want you to be as tense as you possibly can. Act as nervously as you can‘. ,O. K.‘, she said, ,being nervous is easy for me‘. She started by clenching her fists together and shaking her hands as though they were trembling. ,Thats good‘, I said, ,but try to be more nervous‘. The humor of the situation became obvious to her and she said, ,I really was nervous, but I can’t be any longer. It’s odd, but the more I try to be tense, the less I’m able to be‘. In recalling this case, it is evident to me that it was the humor that came from using paradoxical intention which helped Linda realize that she was a human being first and foremost, and a client second, and that I, too, was first a person, and her counselor second. Humor best illustrated our humanness.“