tali dignus amico

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Z serii: Classica Monacensia #54
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Der Horaz-Sprecher von carm. 2,18 zeigt Mitgefühl mit der Figur des armen cliens, der als Opfer des geizigen Patrons hilflos und wie ein unglücklicher Aeneas gezeichnet wird, der mitsamt seinen Penaten und mit Frau und Kind fliehen muss, während der patronus in seiner Habgier gnadenlos und unverantwortlich handelt.24 Dass dieser die Fürsorgepflicht verletzt hat, wird durch die Notdürftigkeit des armen cliens besonders betont. Denn nicht immer stehen die Klienten für pauperes, hier jedoch muss der dives-pauper-Kontrast zur Kritik an der übertriebenen luxuria und avaritia eingesetzt werden. Das lyrische Ich kann den avarus nur mit der Erinnerung an die eigene Vergänglichkeit, also mit einem topischen Argumentationsmuster, zur Erkenntnis seines Fehlverhaltens bringen – und mit ihm auch den Leser.

condicio humana als moralphilosophischer Diskurs (29-40).

Horazcarm. 2,18,29-40Ob man limites clientium auch im übertragenen Sinne verstehen darf – also als die Grenzen gebotener Menschlichkeit –, bleibt offen.25 Für den Dichter scheint dennoch eines klar zu sein: dass alle Menschen gleichwertig sind. Denn nach dem Tod seien materielle Güter überflüssig – ein aus epikureischen Vorstellungen hervorgehender ethischer Diskurs, der bei Horaz zu einer thematischen Konstante wird (im zweiten Odenbuch denke man nur an carm. 2,3; 2,14; 2,16)26. Damit mahnt der Sprecher seinen Adressaten an die condicio humana (carm. 2,18,29‑40):


nulla certior tamen
rapacis Orci fine destinata 30
aula divitem manet
erum. quid ultra tendis? aequa tellus
pauperi recluditur
regumque pueris, nec satelles Orci
callidum Promethea 35
revexit auro captus. hic superbum
Tantalum atque Tantali
genus coercet, hic levare functum
pauperem laboribus
vocatus atque non vocatus audit. 40

Das genaue Verständnis des dritten Teiles ist in der Forschung umstritten.27 Unabhängig davon ist für die vorliegende Untersuchung die Beobachtung wichtig, dass zentrale Motive des Gedichts in diesem dritten Teil konsequent unter dem Aspekt der Ewigkeit erneut betrachtet werden: a) Wurde vorher der reiche Patron als avarus charakterisiert (26), ist es nun Orkus, der rapax über den überheblichen dives erus triumphiert (30f.).28 b) Fand zudem die Habgier des dives in der von ihm errichteten Luxusvilla ihren Ausdruck (19ff.), ist jetzt vom eigentlichen Wohnsitz die Rede, der auf alle Menschen wartet, dem Palast des Orkus (30f.). c) Wurde der arme cliens aus seinem Landgut verstoßen (24ff.), so findet der pauper im Tod endlich Ruhe von seinen labores (38ff.).

Dass Horaz sich selbst zu Beginn des Gedichts als pauper darstellt (10), verstärkt den Eindruck einer Art von Solidarität gegenüber dem Opfer des dives avarus. Doch scheint es zu weit zu gehen, in Analogie dazu den Armen auch weiterhin mit Horaz gleichzusetzen und den Reichen dementsprechend als Maecenas zu verstehen.29 Dass der mahnende Ton ad personam gelesen werden soll, wird im Text nirgends bestätigt. Vielmehr bleibt die Selbstinszenierung des Horaz als pauper cliens und amicus des Maecenas auf den Anfang der Ode beschränkt und erfüllt den Zweck eines Exempels.

Resümee

In diesen beiden Gedichten betrachtet der Horaz-Sprecher die patronus-cliens-Problematik aus der Außenperspektive. Dabei wird der cliens als bemitleidenswertes Opfer mit Sympathie dargestellt, der patronus dagegen unsympathisch gezeichnet. Das patronus-cliens-Verhältnis dient jeweils zur Konkretisierung der Spannungen zwischen Armut und Reichtum im Kontext ethischer Fragestellungen. Während in epod. 2 die clientela als Inbegriff der Stadthektik präsentiert ist und dabei Vergils Darstellung des Landlebens in georg. 2,457ff. als ethisches Motiv wieder aufgegriffen wird (doch im Unterschied dazu mit einem humorvollen Effekt), steht der archaisierende Duktus in carm. 2,18 im Dienst eines ernsteren Effekts der ethischen Mahnung an die condicio humana. Denn die Spannung zwischen geizigen Patronen und armen Klienten wird als Teil des dives-pauper-Kontrastes eingesetzt. Dabei wird Maecenas im ersten Teil der Ode als potens amicus präsentiert, doch als positives Beispiel des großzügigen und aufrichtigen Freundes, dem der pauper Horaz-Sprecher dankbar ist. Erst in den Episteln wird sich Horaz offener über sein eigenes Verhältnis zu Maecenas äußern und in der Selbstinszenierung in einer komplexeren Weise auf die Probleme reagieren.

c) Empfehlungen aus eigener Erfahrung: Episteln 1,7; 1,17 und 1,18

Die Freundschaft zu Maecenas wird auch für das erste Buch der Episteln gleich zu Beginn als bestimmendes Thema eingeführt, indem Maecenas nicht nur als Widmungsadressat, sondern als Anfang und Ende von Horaz’ Muse apostrophiert wird (prima dicte mihi, summa dicende Camena, epist. 1,1) – selbst wenn diese Rolle Maecenas nicht in jeder Epistel zukommt.Horazepist. 1,1

Gerade in dieser ersten Epistel überrascht Horaz den Maecenas allerdings mit einer Absage. Nicht sofort wird deutlich, was Horaz meint, denn er spricht metaphorisch: Maecenas fordert ihn zum antiquus ludus auf. Doch Horaz fühlt sich wie ein Gladiator, der die ehrenvolle Entlassung erreicht hat (donatum iam rude quaeris?, 2); er will nicht mehr in die Arena zurück.1 Ist das eine Absage an die Dichtung überhaupt? Auch das nächste Bild suggeriert das: Ein alterndes Pferd sollte nicht mehr zum Rennen antreten (‘solve senescentem mature sanus equum, ne | peccet ad extremum ridendus et ilia ducat.’ 8f.). In Vers 10 spricht er es endlich aus: Er legt den Vers und alle anderen ludicra beiseite – und gibt eine Alternative an: Die philosophischen Grundfragen nach dem verum atque decens2 sind es, die ihn stattdessen bewegen.

Doch das alles sagt der Horaz-Sprecher in Versen. Er will damit also vor allem signalisieren, dass es ihm thematisch auf den philosophischen Gehalt seiner Briefe ankommt. Auch die Sermones hat er in dieser Weise einerseits abgewertet, andererseits aber gerade im Vergleich mit Lucilius seinen gestalterischen Anspruch verdeutlicht (sat. 1,5; 1,10). Es ist zu erwarten, dass auch hier die Kunst der Diskretion angewandt wird. Zugleich signalisiert Horaz aber mit diesem ersten Absatz ein Thema, das ihm in seiner Beziehung zu Maecenas wichtig ist: die Wahrung der eigenen Unabhängigkeit. Er möchte dichten können, wenn ihm danach ist, nicht wenn jemand anderes (sein ‚Mäzen‘) will, dass er dichtet. Und er will thematisch das behandeln, was ihm wichtig ist, nicht das, was andere von ihm erwarten.Horazsat. 1,5Horazsat. 1,10

Was dieses Philosophieren für Horaz bedeutet, macht er dem Leser nicht nur in dieser ersten Epistel, sondern sukzessive auch in den folgenden Episteln deutlich. Die zweite Epistel,Horazepist. 1,2 die an den jungen Lollius adressiert ist, exemplifiziert das Verhältnis von Philosophie und Dichtung, das Horaz im Blick hat: Homers Epen sind für ihn eine lehrreichere Moralphilosophie als die moralphilosophischen Werke der Spitzenphilosophen der Stoa (Chrysipp) und der Akademie (Krantor): Die fabula der Ilias zeige richtiges und falsches Verhalten überdeutlich, der Held der Odyssee sei das Modell für virtus und sapientia.3 Die Leser der Episteln werden allmählich dazu angeleitet, auch in dem scheinbar harmlosen Florus-Brief (epist. 1,3)Horazepist. 1,3 oder den Einladungsbriefen 1,4 und 1,5 an Albius (Tibullus)Horazepist. 1,4Horazepist. 1,5 und Torquatus mehr zu sehen: Die bescheidene Zurückgezogenheit wird als fortuna (epist. 1,5,12) und Voraussetzung zum Genuss wahrer Freundschaft erklärt. In epist. 1,6 präsentiert der Sprecher seinem Adressaten Numicus die in diesem Rahmen garantierte Ataraxie als einzigen Weg zur beatitudo (nil admirari prope res est una, Numici, | solaque, quae possit facere et servare beatum, epist. 1,6,1f.).Horazepist. 1,6 Doch die Auseinandersetzung mit der Problematik der Abhängigkeit vom Gönner und Freund wird bald thematisch aufgegriffen. In dem an Maecenas adressierten Brief 1,7Horazepist. 1,7 kommen nämlich die mit den patronus-cliens-Diensten assoziierten Stadtprobleme wieder zur Sprache,4 und zwar als Grund, warum sich der Dichter aufs Land zurückgezogen hat. Offen als ruris amator wird sich der Horaz-Sprecher in der dem Fuscus gewidmeten epist. 1,10Horazepist. 1,10 demjenigen entgegensetzen, der das anstrengende Stadtleben vorzieht. Doch gleichzeitig sind die Vorteile des Verhältnisses zu einem (einfluss-)reichen Gönner für den Sprecher von einer so großen Bedeutung, dass er sie für empfehlenswert hält: In den jeweils an Scaeva und Lollius adressierten epist. 1,17 und 1,18 werden praktische und ethische Warnungen davor ausgesprochen, dass jemand von einem Abhängigkeitsverhältnis profitieren will, insbesondere als Dichterklient. Werden die Widmungen an Maecenas (1,1 und 1,19)Horazepist. 1,19 und an Lollius (1,2 und 1,18) als Hinweise auf die Gliederung des Epistelbuchs wahrgenommen, so bilden diese Gedichte einen thematischen Bezugsrahmen,5 der als Klammer die ganze Sammlung einfasst: die dialektische Spannung zwischen der Suche nach innerer Freiheit und den Vorteilen einer gewissen Abhängigkeit von einem mächtigen Gönner.

 

Damit wird evident, dass der Leser einen tieferen Einblick in die Problematik des patronus-cliens-Verhältnisses erhält, vor allem in den Episteln, in denen sich der Ich-Sprecher als schon reifer und erfahrener Dichterklient inszeniert, dem es dank der Förderung des Maecenas möglich ist, endlich die so begehrte Ruhe zu genießen. Dabei sind vor allem die epist. 1,7; 1,17 und 1,18 von zentraler Bedeutung. Dort betont der Sprecher die Vor- und Nachteile der amicitia (bzw. des Abhängigkeitsverhältnisses) zu mächtigen Gönnern/amici, indem er sich sogar in einer didaktischen Rolle dem jüngeren Unerfahrenen gegenüber positioniert. Das Ganze wird aber durch Stilbrüche an bestimmten Stellen relativiert, so dass sich die cultura potentis amici (epist. 1,18,86) zwar immer noch als problematische und gefährliche Kunst erweist, doch gleichzeitig über die positiven Aspekte als nutzbringende und empfehlenswerte Tätigkeit betont wird6 – dabei spielen die Kontraste zwischen Land- und Stadtleben sowie innerer und äußerer Freiheit, ähnlich wie in Epode 2 und Satire 2,6, eine wichtige Rolle.

i) Die Kunst des Schenkens und Nehmens: Abhängigkeit und Freiheit in Epistel 1,7.

Horazepist. 1,7Das Verhältnis zwischen Horaz und Maecenas hält die Waage zwischen einer amicitia und einer clientela. Epistel 1,7 beschreibt dieses Verhältnis, indem Horaz hier ein ebenso zentrales wie sensibles Thema aus unterschiedlichen Perspektiven bespricht: die Kunst des Schenkens und Nehmens und die Auswirkungen von Freiheit und Abhängigkeit.1

Der Brief setzt mit einer scheinbar harmlosen Situation und einem vertrauten Tonfall ein, steuert aber damit sofort auf das zentrale Problem zu: Der Sprecher, der sich als vates tuus (11) bezeichnet, wendet sich an Maecenas als seinen dulcis amicus (12), den er um Nachsicht (venia, 5) für einen Wortbruch (mendax, 2) bitten muss: Unter dem Vorwand, sich fünf Sommertage frei zu nehmen, reist er nämlich nun ab, um aus der Ferne anzukündigen, dass er von August bis zum nächsten Frühjahr2 nicht in Rom sein werde. Dem Vorwurf, der wegen der Dreistigkeit dieses Vorgehens zu erwarten wäre, kommt Horaz zuvor, indem er seine angegriffene oder genauer noch seine gefährdete Gesundheit betont (quam mihi das aegro, dabis aegrotare timenti, | Maecenas, veniam, 4F.) und damit an die Fürsorgepflicht des Maecenas (3) appelliert. Die ungesunde Luft im Sommer, an die Horaz dramatisierend mit dem Verweis auf allgemein um sich greifende Todesfälle erinnert, macht die villeggiatura lebensnotwendig. Hinzu kommt die hochgefährliche officiosa sedulitas in der Stadt, die zu Fieberanfällen führt (8). Das rechtfertigt dann offensichtlich auch die Abwesenheit im Winter, denn der Dichter muss sich schonen und bei der Lektüre erholen (11‑12).

Der Ton des Briefes gilt in der Wissenschaft insgesamt als problematisch: Einerseits wird eine gewisse Dreistigkeit gegenüber Maecenas wahrgenommen.3 Andererseits deutet die Epistel jedoch auf einen vertraulichen Umgang mit dem Adressaten hin und weist einen humorvollen Ton auf, der nicht vernachlässigt werden darf.4

Es geht offensichtlich um die Möglichkeit, ein Stück Unabhängigkeit in der Abhängigkeit vom patronus zu wahren. Die Epistel bespricht das heikle Thema durch eine ganze Sequenz von erzählerischen Einlagen,5 die vom Calaber-Witz über die Fabel-Einlage vom Füchslein in der Mehlkiste und das Telemach-Zitat aus der Odyssee bis zur ausführlicher erzählten Geschichte des Volteius Mena, der zum Klienten des Philippus wird, reichen. Horaz akzentuiert damit jeweils unterschiedliche Problemstellungen und gibt i.d.R. auch exegetische Hinweise dazu.

Mit der Beteuerung, dass Maecenas den Dichter reich gemacht hat (tu me fecisti locupletem, 15), wird zugleich die erste der Erzähleinlagen als Vergleich eingeführt, bei dem Maecenas als idealer Geber charakterisiert werden soll. Der Witz führt einen kalabrischen Gastgeber ein, der seinem Gast, der höflich abzulehnen versucht, seine Birnen aufdrängt, indem er am Ende beteuert: „Nimm sie mit, sonst kriegen sie die Säue.“ Diesen Calaber zu übertreffen, ist auf den ersten Blick sicher nicht das größte Kompliment für Maecenas. Aber Horaz interpretiert den an sich leicht eingängigen Witz in einer moralphilosophischen Exegese, die das Verhältnis von Geber und Beschenktem mit der Zielsetzung verdeutlicht, warum Horaz sich im Unterschied dazu durch das Geschenk des Maecenas als locuples fühlen darf (epist. 1,7,20‑28):Horazepist. 1,7,20 28


prodigus et stultus donat quae spernit et odit: 20
haec seges ingratos tulit et feret omnibus annis.
vir bonus et sapiens dignis ait esse paratus,
nec tamen ignorat quid distent aera lupinis:
dignum praestabo me etiam pro laude merentis.
quodsi me noles usquam discedere, reddes 25
forte latus, nigros angusta fronte capillos,
reddes dulce loqui, reddes ridere decorum et
inter vina fugam Cinarae maerere protervae.

Der Calaber ist prodigus und stultus, weil er das Geschenk geringschätzt und damit zugleich den Beschenkten auf die Stufe seiner Schweine herabsetzt, die mit dem Geschenk gefüttert werden. Damit ist die Aussage des Witzes selbst deutlich geworden. Mit Bezug auf Maecenas ist die Aussage wichtig, dass dem prodigus damit der Lohn für das Geschenk entgeht und die Beschenkten ingrati bleiben. Horaz will aber auf die Wirkung hinaus, die ein würdiges Geschenk auf den Beschenkten und den Schenkenden ausübt: Die Dignität des Geschenks überträgt sich auf den damit Geehrten. Es ist die Wertschätzung, die auf einem positiven Urteil des Schenkenden beruht, die wiederum auf den Schenker angenehm zurückwirkt, weil sich der Beschenkte dieses Urteils als würdig erweisen will. Soweit schließt Horaz die Interpretation mit einer Ich-Aussage ab: Er versichert, dass er sich auch des Maecenas als würdig erweisen wird.6

Die argumentative Funktion des Vergleichs mit dem Calaber muss noch auf die Ausgangssituation zurückgeführt werden: Maecenas soll die Dignität des Horaz auch weiterhin berücksichtigen, indem er die Gabe nicht als etwas abwertet, das durch eine ständige Anwesenheitsverpflichtung erkauft werden muss. Horaz verdeutlicht diese überzogene Forderung durch ein witziges Adynaton, das den Ausgangspunkt der Stadtflucht in Erinnerung ruft: die gesundheitliche Anfälligkeit des alternden Dichters. Wenn nämlich Maecenas auf die Anwesenheit besteht, muss er Horaz etwas schenken: die Jugend.7 Das kann Maecenas nicht. Also muss er Menschlichkeit und Fürsorge im Umgang mit schwachen Menschen zeigen. Wie in epist. 1,1 macht Horaz deutlich, was Maecenas erwarten darf und was nicht: Dichterische Kreativität in 1,1 und freundschaftliche Unterhaltung in 1,7 kann und soll niemand auf Kommando und kontinuierlich leisten.8

Umgekehrt wird mit der anschließenden volpecula-Fabel das Verhalten des Horaz charakterisiert (epist. 1,7,29‑36):Horazepist. 1,7,29 36


forte per angustam tenuis volpecula rimam
repserat in cumeram frumenti, pastaque rursus 30
ire foras pleno tendebat corpore frustra;
cui mustela procul: ‘si vis’ ait ‘effugere istinc,
macra cavum repetes artum, quem macra subisti.’
hac ego si conpellor imagine, cuncta resigno:
nec somnum plebis laudo satur altilium nec 35
otia divitiis Arabum liberrima muto.

Der Ich-Sprecher vergleicht sich als beschenkten Klienten mit einem Füchslein, das sich in eine Getreidekiste eingeschlichen hatte,9 nach dem Fressen aber so zugenommen hat,10 dass es nicht mehr ins Freie entschlüpfen kann. Den Rat des Wiesels an das Füchslein, wieder abzunehmen, also auf die Annehmlichkeiten der Abhängigkeit zu verzichten, bezieht Horaz auf seine Situation und antwortet dezidiert: Ja, er kann auf alle Annehmlichkeiten verzichten; nein, er tauscht die otia liberrima11 nicht gegen die Schätze Arabiens ein.12 Es bleibt jedoch trotz der resoluten Aussage ein gewisser Zweifel.13 Dass diese scheinbare oder drohende Absage an Maecenas anders akzentuiert ist, erkennt der Leser durch die nachfolgende dritte Einlage, das Telemach-Zitat aus der Odyssee (4,601ff.).HomerOd. 4,601ff.

Erneut geht es um die sozialen Positionen, die Schenkender und Empfangender einnehmen. Der Geber weist dem Beschenkten mit der Gabe eine Position zu, die dieser akzeptieren oder auch korrigieren kann (epist. 1,7,37‑45):Horazepist. 1,7,37-45


saepe verecundum laudasti, rexque paterque
audisti coram, nec verbo parcius absens:
inspice si possum donata reponere laetus.
haud male Telemachus, proles patientis Ulixei: 40
‘non est aptus equis Ithace locus, ut neque planis
porrectus spatiis nec multae prodigus herbae;
Atride, magis apta tibi tua dona relinquam.’
parvum parva decent: mihi iam non regia Roma,
sed vacuum Tibur placet aut inbelle Tarentum. 45

Zunächst sind die Vielschichtigkeit des Begriffes sowie der betreffende Vers in seinem Zusammenhang zu berücksichtigen: Zwar signalisieren die Anredetermini deutlich ein hierarchisches Gefälle zwischen cliens und patronus; doch dass hierbei rex nicht ganz negativ zu verstehen ist, ist evident: Der Ich-Sprecher gibt die Anrede zum einen humorvoll wieder, denn sie betont offenbar eine gewisse Unterordnung bzw. ein gewisses Gefälle im Verhältnis.14 Zum anderen erkennt Maecenas die Aufrichtigkeit des Horaz (saepe verecundum laudasti, 37) an, so dass der Ausdruck Respekt bezeugt.15 Indem Horaz coram und absens im Gebrauch der Anrede unterscheidet, werden die typischen Verhaltensweisen eines üblichen Klienten angedeutet: Wenn der rex nicht anwesend ist, wird anders über ihn gesprochen. Horaz dagegen beteuert, dass er in Maecenas’ Anwesenheit und Abwesenheit gleich spricht (und empfindet). Mit nec verbo parcius zeigt der Sprecher also deutlich, dass solche Termini, ähnlich wie im Falle von amicitia-Begriffen,16 auch als positiv bewertet werden können.

 

Andererseits erinnert der Hexameterschluss an epische Anreden. Recht häufig sind bei Homer Vokativ-Ausdrücke von Zeus wie Ζεῦ πάτερ oder Ζεῦ ἄνα zu finden. Als Formel kommt bei Vergil oft das auf Homers πατὴρ ἀνδρῶν τε θεῶν τε zurückzuführende Epitheton divum pater atque hominum rex für Jupiter vor.17 Der Horaz-Sprecher spielt offenbar humorvoll darauf an: Nicht umsonst ist ab dem Vers 40 ausdrücklich vom Homerischen Werk die Rede. Beim Telemach-Zitat (40‑43) werden sogar einige Odyssee-Verse paraphrasiert und wird eine Parallele zur Horazwelt hergestellt (dazu s.u.). Berücksichtigt der Leser außerdem, dass der Horaz-Sprecher Maecenas nicht selten humorvoll den Göttern gleichsetzt (erinnert sei z.B. an die Darstellung davon, was das volgus in sat. 2,6 von Horaz und seiner Nähe zu den „Göttern“, nämlich Maecenas und Augustus, hielt: deos quoniam propius contingis oportet, 52),18 dann ist diese parodistische Anspielung auf Maecenas als beinahe göttlichen rex und pater noch evidenter.

Unter dieser Voraussetzung wird offenkundig, warum der Dichter dem Adressaten provozierend seine Bereitschaft kundtut, alle Geschenke zurückzugeben (inspice si possum donata reponere laetus, 39): Die Homerische Anspielung in den Versen 40‑43 dient zur Veranschaulichung. Der Gestus des Menelaos gegenüber Telemach ist zwar im Rahmen der Homerischen Xenia zu verstehen, doch er deutet auch auf einen Überlegenheitsgestus des Königs gegenüber dem jungen Besucher hin.19

Es ist ein Signal des Reichen, der übertriebene Geschenke gibt, die aber den Bedürfnissen des Beschenkten nicht ganz entsprechen. Die vorbildliche Höflichkeit, mit der Telemach das unangemessene Geschenk zurückzuweist, ohne Menelaos zu beleidigen, wird zum Signal dafür, dass Horaz ebenfalls Maecenas davor bewahren möchte, als rex unangemessen zu schenken. Mit Menelaos gleichgesetzt zu werden, ist nun keine Schande. Und dass Horaz in den Werken Homers seine ethischen Modelle findet, hat er in epist. 1,2 schon betont. Aus dieser seiner Lektüreerfahrung in der Ruhe von Praeneste wagt er es, Maecenas seine Ergebnisse mitzuteilen. Mit der Parallele in den Versen 44f. zeigt er Maecenas, dass regia Roma zwar beeindruckend, doch für ihn nunmehr unpassend ist: Horaz will keine soziale Gleichstellung mit regia Roma und rex Maecenas – er akzeptiert den Unterschied, fordert aber, dass auch Maecenas die Folgen anerkennt und Horaz bescheiden leben lässt (parvum parva decent, 44).20 Dabei liegt das Schlüsselwort dieser Verse vor allem in der adverbialen Zeitangabe iam non (44). Denn der Sprecher inszeniert sich, ähnlich wie in Epistel 1,1, als erfahrener cliens, der seine Ruhe endlich genießen darf: Bemühte sich der jüngere Horaz-Sprecher unter großen Anstrengungen, die städtischen aliena negotia centum, die etwa in sat. 2,6 vorkommen, zu erledigen, so gehören sie nunmehr zur Vergangenheit. Damit knüpft er implizit auch an die Verweigerung der officiosa sedulitas und der opella forensis vom Epistelanfang an. Die Erwähnung von vacuum Tibur und inbelle Tarentum (45) erinnert außerdem indirekt an das Motiv der vita solutorum misera ambitione gravique des ersten Satirenbuches (sat. 1,6,129)Horazsat. 1,6,129 und an die topische Gegenüberstellung von Stadt- und Landleben, etwa in sat. 2,6 oder epod. 2Horazsat. 2,6Horazepod. 2 – doch in epist. 1,7 wird das Landleben an sich nicht gepriesen, und dies muss betont werden.21 Denn im Mittelpunkt steht die Thematik des richtigen Schenkens.

Dies wird auch in den gleich darauffolgenden Versen gezeigt, in der sog. Philippus-Mena-Anekdote (epist. 1,7,46‑95).Horazepist. 1,7,46-95 Dort erfolgt einerseits die Gegenüberstellung von Stadt- und Landleben, doch andererseits wird diese nur als Ausgangspunkt der Thematik des Schenkens und seiner Folgen im Rahmen des Kontrasts zwischen innerer Freiheit und Abhängigkeit genutzt. Dabei unterscheidet sich diese letzte Erzählung nicht nur durch ihre Ausführlichkeit, sondern vor allem durch die explizite Vergleichbarkeit der Situation: Hier wird im Rom der Gegenwart gezeigt, wie ein patronus-cliens-Verhältnis entsteht und sich zu Ungunsten des cliens entwickelt, obwohl der patronus Hochachtung für den cliens hegt und aus Fürsorge für ihn handelt. Aber durch diese Fürsorge verliert der cliens die Eigenschaften, die ihm zuvor die Aufmerksamkeit und Hochachtung des patronus verschafft haben.

In dieser beinahe 50 Verse langen Erzählung treten zwei Figuren auf: der erfahrene und reiche Redner Philippus sowie der wohl jüngere, schüchterne praeco,22 Volteius Mena. Zwischen den beiden wird sich ein freundliches patronus-cliens-Verhältnis entwickeln, das aber durch problematische Elemente gekennzeichnet ist. Ob Philippus und Mena Horaz und Maecenas widerspiegeln sollen, ist eine berechtigte Frage, die allerdings nicht einfach beantwortet werden kann.23 Beide Figuren dürfen zwar als „parabolic counterparts of Maecenas and Horace“ gelten; jedoch ist mit Shackleton Bailey 1982, 159 zu betonen: „these sorry couples are caricatures“.

Als externer Beobachter beschreibt der Sprecher die Entstehung und den Verlauf des Verhältnisses. Die Erzählung ist in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil (46‑71) führt die Figuren in ihrer Ausgangssituation ein: Philippus wird als wohlhabender und alter Anwalt charakterisiert, der seine Aktivitäten auf dem Forum erledigt hat und sich auf dem weiten Heimweg befindet (46‑49). Der angehende cliens Mena wird dagegen erstens als ein namenloser Jemand (quendam, 50) vorgestellt, der von Philippus beobachtet wird. Schon die ersten Elemente deuten auf eine komische Inszenierung hin: Während sich Philippus aufgrund seines Alters über die zurückzulegende Wegstrecke zum Stadtteil der Carinae beschwert (48f.), wird Mena beim Barbier nach einem Haarschnitt beobachtet, wie er sich entspannt die Fingernägel manikürt (50f.). Er erweckt die Aufmerksamkeit des wohlhabenden Philippus, so dass dieser sich durch seinen Sklaven über die Herkunft und den Stand des Mannes informieren lässt (52‑54, ausdrücklich: quo sit patre quove patrono, 54).24 Nur durch diesen Bericht erfährt der Leser zugleich mit Philippus, wer dieser Jemand ist: Volteius Mena, ein freier Mann, der beruflich als praeco tätig und von geringem Einkommen, doch unbescholten ist (55f.). Er sei zudem fleißig und wisse seine Ruhe, das eigene Haus, Freunde, Spiele und Sport am Marsfeld zu genießen (55‑60) – ein einfacher Bürger also, der als honestus den idealen cliens-Typ darstellen könnte25. Daher lädt ihn Philippus zur cena ein.

Mena ist jedoch offensichtlich mit seiner bescheidenen Ruhe zufrieden, denn die Einladung lehnt er ab. Philippus ist überrascht und sein Sklave erklärt die Ablehnung maliziös mit der Angst oder Nachlässigkeit eines inprobus (60‑64). Am nächsten Tag trifft Philippus Mena allerdings auf dem Forum wieder; als praeco verkauft Mena dort dem gemeinen römischen Volk billiges Zeug (tunicato … popello, 65); Philippus grüßt ihn als Erster (66a). Da Mena als Bürger niedrigeren Standes als Erster hätte grüßen sollen, entschuldigt er sich: Aus Arbeitsüberlastung sei es ihm unmöglich gewesen, am frühen Morgen zu Philippus zu kommen (68, zur salutatio, denn Mena weiß von Philippus’ Interesse an ihm als cliens, lässt sich vermuten) oder ihn vorher auf dem Forum zu begrüßen (66b-69a). Philippus zeigt sich verständnisvoll und lädt ihn erneut zur cena ein. Dieses Mal kann Mena nicht ablehnen (69b-70). Der letzte Satz des Philippus betont das Verständnis für Menas Tätigkeit: ergo | post nonam venies; nunc i, rem strenuus auge (70b-71). Bemerkenswert ist die Tatsache, dass Philippus für Mena ein Adjektiv verwendet, mit welchem der Horaz-Sprecher ihn am Anfang der Erzählung (46) charakterisiert hat: strenuus; es lässt sich folglich feststellen, inwieweit sich beide Figuren aus der Perspektive des Erzählers ähneln und worauf die Sympathie des Philippus für Mena basiert: auf inneren Werten – in diesem Falle: auf Fleiß und Arbeitseifer, d.h. Mena und Philippus gleichen sich in ihrer Selbsteinschätzung und ihrem Werteverständnis.