Lebendige Seelsorge 1/2019

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Die grüne Ersatzreligion

Die Enzyklika Laudato si‘, in der sich Papst Franziskus nicht nur an die Katholiken, sondern an die ganze Menschheit zu wenden behauptet, liest sich wie eine Theologie der Grünen. Der eigentliche Adressat ist aber der Wohlstandsbürger der westlichen Welt – und das weckt den Verdacht, die katholische Kirche reite hier auf der höchsten Welle des Zeitgeistes („Klimakatastrophe“), um verlorenen Boden wiedergutzumachen. Denn in der Tat haben sich die religiösen Bedürfnisse der westlichen Welt so sehr in Richtung Umweltschutz verschoben, dass sie von den grünen Parteien und NGOs überzeugender befriedigt werden können als von den christlichen Kirchen. Deshalb suchen diese nun ihr Heil eben auch im Umweltschutz, unter dem Titel „Schöpfungsbewahrung“. Wie konnte es dazu kommen? Norbert Bolz

Als Max Weber den Gesinnungsethikern seiner Zeit eine Verantwortungsethik entgegenstellte, war dieser Begriff der Verantwortung ein Ausdruck des politischen Augenmaßes und einer gereiften Männlichkeit, die weiß, dass man mit jeder wertorientierten Lebensentscheidung in Teufels Küche gerät. Seither hat sich die Bedeutung des Begriffs Verantwortung geradezu in ihr Gegenteil verkehrt. Terroristen übernehmen weltöffentlich „Verantwortung“ für ihre wahnsinnigen Mordtaten, und große Unternehmen blähen sich mit Konzepten wie „Corporate Responsibility“ als große Bürger der Weltgesellschaft auf. Dem entspricht auf der Ebene intellektueller Empfindsamkeit der Anspruch der Gutmenschen, von den Ereignissen der ganzen Welt „betroffen“ zu sein.

WIR SOLLEN UNS FÜRCHTEN VOR DEM, WAS WIR KÖNNEN

Die Ethik der Weltverantwortung entspringt dem rein religiösen Bedürfnis, inmitten der entzauberten Welt das Mysterium des Humanen wieder zu Geltung zu bringen. Es steht und fällt mit dem Phantasma, der Mensch sei Mandatar eines Wollens der Natur. Diese Formulierung stammt von Hans Jonas, dessen Ethik die religiöse Grundstruktur des Humanitarismus besonders deutlich macht. Das „Prinzip Verantwortung“ von Jonas ist zentriert um die Begriffe von Furcht und Tabu, um das Humanum und das Heilige. Sein Ausgangspunkt ist das Tabu über den Menschen als Geschöpf Gottes, das heute von der Gentechnik angetastet wird. Von hier startet Jonas einen Generalangriff gegen die wissenschaftliche Entzauberung der Welt. Und dieser Humanitarismus ist stets bereit, in Fundamentalismus umzukippen – so fordert Jonas ausdrücklich: Unsere so völlig enttabuisierte Welt muss angesichts ihrer neuen Machtarten freiwillig neue Tabus aufrichten. Mit der paradoxen Formel von den freiwilligen Tabus meint Hans Jonas Praktiken, die uns das Fürchten lehren. Wir sollen uns fürchten vor dem, was wir können. Der Mensch ist sich hier selbst zum bösen Demiurgen geworden, gegen den er Sicherheitsvorkehrungen treffen muss. Technik ist des Teufels, der uns einem Absolutismus des Machbaren unterworfen hat. Mit anderen Worten: Der faustische Mensch mit seinen technischen Möglichkeiten wird zum letzten und eigentlichen Feind der Menschheit stilisiert.

Norbert Bolz

geb. 1953 in Ludwigshafen; von 1992-2002 Universitätsprofessor für Kommunikationstheorie am Institut für Kunst- und Designwissenschaften der Universität GH Essen; seit 2002 Professor für Medienwissenschaft an der TU Berlin.

FURCHT WIRD ZUR ERSTEN BÜRGERPFLICHT

Das „Prinzip Verantwortung“ ist also im Kern eine Ethik der Furcht vor unserer eigenen Macht. Eine Angstkultur soll das naturwissenschaftlich-technische Wissen der Gegenwart vermenschlichen. Damit wird Furcht zur ersten Bürgerpflicht – nicht mehr die „Furcht des Herrn“, sondern die Furcht des Menschen vor sich selbst. Die Angst des Menschen vor den eigenen Techniken tritt hier die Erbschaft der archaischen Weltangst und der mittelalterlichen Angst vor Gottes Allmacht an. Es ist das große Verdienst von Hans Jonas, diese Denkstruktur so klar herausgearbeitet zu haben, dass sie als religiöses Fundament der fundamentalistischen Grünen erkennbar wird.

Die moderne Technik hat unsere Gesellschaft radikal von sich abhängig gemacht und konfrontiert sie ständig mit den Risiken ihrer Nebenfolgen. Darauf antwortet Technikangst. Sie ist aber weniger eine Angst vor bestimmten Techniken wie Atomkraft und Gentechnologie als vielmehr eine Angst vor jener radikalen Abhängigkeit. Denn bei Themen wie Umweltverschmutzung, Global Warming, Energieversorgung und Überbevölkerung spürt jeder, dass die Zukunft von Techniken abhängt, die derzeit noch nicht zur Verfügung stehen.

Unsere Gesellschaft ist deshalb durch einen latenten Bürgerkrieg zwischen Machern und Mahnern gekennzeichnet. Die Identität von Risiko und Chance wird nämlich vor allem an der Technik deutlich. Die Macher können darauf verweisen, dass man die Risiken moderner Technologien nur abschätzen kann, wenn man sich auf sie einlässt. Die Mahner dagegen proklamieren das Precautionary Principle, das die Installation technischer Innovationen davon abhängig machen möchte, dass deren Beherrschbarkeit im Vorhinein nachgewiesen werden kann. Diese Position, die einfach die Beweislast umkehrt, macht sich auch Papst Franziskus zu eigen (vgl. Laudato si‘ Nr. 186). Gefahr ist ein ontologischer Begriff, Risiko ist eine Beobachtungsform. Jede Gefahr kann man als Risiko kalkulieren, und jedes Risiko kann man als Gefährdung erleben. Die Unterscheidung von Risiko und Gefahr ist also die Unterscheidung zwischen Entscheidern und Betroffenen. Die einen pflanzen genmanipulierten Mais an, die anderen haben Angst vor „Mutationen“. Jede Entscheidung verwandelt eine Unsicherheit in ein Risiko – aber eben nur für den Entscheider. Die Betroffenen haben eine völlig andere Perspektive auf denselben Sachverhalt, die viel plausibler scheint: Wir haben Angst!

Nun ist aber die Rationalität der modernen Gesellschaft ans Risiko geknüpft. Deshalb erregt sie ein permanentes Unbehagen. Denn das Kalkül mit dem Risiko ist komplex, die Angst vor der Gefahr und die entsprechende Forderung nach Sicherheit dagegen sind einfach. Es kann deshalb nicht überraschen, dass die ökologischen Folgen der Technik im öffentlichen Diskurs ihre zweckrationalen Perspektiven verdunkeln.

Das Reaktorunglück in Fukushima hat eindrucksvoll gezeigt, welche Folgen das hat. Die Faszination durch die Katastrophen verstellt den Blick auf die Technikabhängigkeit der Gesellschaft. Wer Angst hat, kennt kein akzeptables Risiko. „Katastrophe“ heißt nämlich: Ich will nicht rechnen. Deshalb haben die Propagandisten des Precautionary Principle leichtes Spiel. Man muss nur ein dramatisches Bild des möglichen Schadens zeichnen, um jedes Risiko-Kalkül zu blockieren. Die Angst vor der Katastrophe lässt sich nichts vorrechnen. Wir sind abhängig von technischen Systemen, die so komplex sind, dass wir ihre zukünftige Entwicklung nicht berechnen können. Und das macht Angst. Alles, was undurchschaubar ist, verunsichert. Wir haben die Technik nicht in der Hand, aber wir können auch nicht aus ihr „aussteigen“. Risiko, das ist die Welt der Wahrscheinlichkeitsstatistik, der Unsicherheit, des Zufalls und der Chance.

DIE DEUTSCHEN BILDEN WELTWEIT DIE AVANTGARDE DER ANGST

In unserem Verhältnis zur Technik sind wir auf dem Rückweg vom Risiko zum Tabu, das heißt von einem rationalen zu einem magischen Verhalten. Das zeigt sich sehr deutlich am Vorsorgeprinzip, also jenem Precautionary Principle. Es geht hier um die Gefahr der noch unerkannten Gefahr, mit der eine Politik der Angst die technologische Entwicklung lähmt. Unterstützt wird sie dabei von einer medialen Angstindustrie, die in Fernsehen und Nachrichtenmagazinen die Apokalypse als Ware verkauft. Katastrophe ist der inflationär gebrauchte journalistische Begriff für Risiko. Und im Sensationsjournalismus genügt der größte anzunehmende Unfall längst nicht mehr; es muss schon der Super-GAU sein.

Vor allem in Deutschland warnt man reflexhaft vor dem technisch Machbaren und wehrt sich mit Ethikräten, Nachhaltigkeitsprogrammen und grünen Apokalypsen gegen die neuen Techniken. Wir sollen uns fürchten vor dem, was wir können. Es gibt aber keine Ethik der Technik. Forschungsethik ist der Versuch, dem Prometheus zu verbieten, das Feuer zu holen. Eine vernünftige Diskussion müsste mit der Sonderstellung der deutschen Angst beginnen. Erinnern wir uns: Nach Tschernobyl ging in Freiburg die Welt unter, während wenige Kilometer weiter, hinter der französischen Grenze, das Leben seinen gewohnten Lauf nahm. Und auch heute ist die deutsche Reaktion auf Fukushima singulär. Sind nur wir die Schriftkundigen, die das Menetekel lesen können? Sind die anderen alle Analphabeten der modernen Technik? Wird die „German Angst“ zum Exportschlager, oder lernen wir vom Rest der Welt Gelassenheit?

So wie in den 60er und 70er Jahren revolutionäres Klassenbewusstsein produziert wurde, wird heute apokalyptisches Umweltbewusstsein produziert – die Bewusstseinsindustrie hat von Rot auf Grün umgestellt. Und wie damals die Roten, so beuten heute die Grünen das Schuldbewusstsein der westlichen Kultur aus. Dabei entfaltet sich eine Dynamik, die jedem Religionswissenschaftler vertraut ist: Die apokalyptische Drohung produziert Heilssorge.

Deshalb tritt man der Sekte bei, wirft Bomben im Namen der Unterdrückten und Beleidigten, befreit die Hühner aus den Legebatterien, oder trennt doch wenigstens den Hausmüll. Zugleich wirkt in der apokalyptischen Drohung aber auch die Verheißung, die eigene Lebenszeit mit der entfremdeten Weltzeit endlich zur Deckung zu bringen, die eigene Existenz mit der Welt zu synchronisieren. Sei es der Untergang der Welt oder der Sonnenaufgang des Kommunismus, sei es die Rache der Natur an der Zivilisation oder das Flammenzeichen des Millenniums – das Entscheidende geschieht in Deiner Lebensfrist!

Die grüne Bewusstseinsindustrie ist auf dem Markt der öffentlichen Meinung eben deshalb so erfolgreich, weil sie die Apokalypse als Unique Selling Proposition offeriert. Und Apokalypse heißt stets: Was hier auf dem Markt der Gefühle angeboten wird, war noch niemals da; die Wende der Welt steht mir selbst bevor – als absolutes Erlebnis. Dass dies nicht metaphorisch, sondern buchstäblich zu verstehen ist, haben amerikanische Spötter mit drei Lesarten des Hilferufs SOS verdeutlicht, in denen sich konkretisiert, wie die Apokalypse als Ware auf dem Markt der Gefühle funktioniert.

 

SOS heißt ursprünglich natürlich Save Our Souls – unüberbietbar vermarktet von dem Hollywood-Film „Titanic“. Der gescheiterte Präsidentschaftskandidat und Friedensnobelpreisträger Al Gore hat dann die zweite Lesart durchgesetzt: Save Our Selves – unüberbietbar vermarktet in dem Weltkonzert „Live Earth“. SOS heißt schließlich, drittens, Save Our Sales. Denn nichts verkauft sich heute in der westlichen Wohlstandsgesellschaft besser als Öko, Bio und Grün. Und längst hat Hollywood diese neue Form der Gehirnwäsche, das „Greenwashing“, in eigene Regie genommen; seine Sterne und Sternchen präsentieren uns die Rettung der Welt als gute Unterhaltung.

Doch diese Kunst, aus der apokalyptischen Drohung den Honig der guten Tat und der erfolgreichen Geschäftsidee zu saugen, unterscheidet zurzeit noch die amerikanische Öko- Religion von der deutschen, die sehr viel mehr auf die Katastrophe als Negativ des Heils fixiert ist. So kann es auch nicht verwundern, dass die empirischen Apokalypsen überwiegend deutsche Phantasien sind. 1837 dichtet der Naturforscher Karl Friedrich Schimper die Eiszeit. 1865 beschwört der Physikprofessor Rudolf Clausius den Wärmetod. 1981 prophezeit der Bodenforscher Bernhard Ulrich das Waldsterben. Nur die Klimakatastrophe verdankt sich nicht deutscher Einbildungskraft: 1988 entdeckt James Hansen die „globale Erwärmung“.

GESTALT DER GRÜNEN APOKALYPSE: ÖKOLOGIE DES WELTUNTERGANGS

Diese vier Gestalten der grünen Apokalypse mögen genügen, um ein Zwischenfazit zu ziehen. Die Theologie des Weltuntergangs ist durch die Ökologie des Weltuntergangs ersetzt worden. Und hier handelt es sich um eine präzise Umbesetzung im religiösen Stellrahmen: Der Untergang der Welt ist das Jenseits als Diesseitserwartung. Statt „Was darf ich hoffen?“, fragt die heutige Religiosität: „Was muss ich fürchten?“ Wenn es nämlich keinen positiven Gegenstand der Verehrung mehr gibt, richtet sich die für jede Religion charakteristische Sehnsucht nach Abhängigkeit auf das Unvorhersehbare, das die alten Griechen Tyche nannten.

So hat sich in der westlichen Welt eine Ökumene der Ängstlichen formiert, die Schützenhilfe von engagierten Wissenschaftlern bekommt. Das läuft dann so: Am Anfang steht die Erfindung einer Krise; die Krise begründet die Notwendigkeit der Forschung; die Bedeutsamkeit dieser Forschungen legitimiert ihre staatliche Finanzierung; die Forschung im „öffentlichen Interesse“ braucht eine politische Organisation – und dort entsteht, was Wissenschaftstheoretiker „scientific bias“ nennen. Zu Deutsch: Man findet immer, was man erwartet. Und immer ist es Fünf vor Zwölf.

Die Katastrophe fasziniert offenbar als genaues Gegenbild zum funktionierenden System der modernen Gesellschaft. Keine Statistik, keine Mathematik und keine Erfahrung können uns auf eine Katastrophe vorbereiten. Die Katastrophe ist nämlich just der Fall, für den man die modernen Techniken von Risikokalkül und Expertenurteil nicht akzeptiert. Rationalität hat hier keine Chance einzuhaken. Gerade beim Thema Global Warming präsentieren sich viele Wissenschaftler als Glaubenskrieger. Seit dem Fall der Berliner Mauer beobachten Medienwissenschaftler eine Inflation der Katastrophenrhetorik. Offenbar hat das Ende des Kalten Krieges ein Vakuum der Angst geschaffen, das nun professionell aufgefüllt wird. Man könnte geradezu von einer Industrie der Angst sprechen. Politiker, Anwälte und Medien leben ja sehr gut von der Angst. Und eine ständig wachsende Anzahl von Gefälligkeitswissenschaftlern nutzen die Universitäten als eine Art Zulieferindustrie.

In der Faszination durch die Katastrophe oszilliert aber auch eine Dialektik von Heilsversprechen und Elendspropaganda, die zugleich Hysterie und Hoffnung produziert. Denn die Welt ist noch zu retten, wenn wir alle am Gottesdienst der Vorsorge und Sicherheit teilnehmen. Schon heute ist die Religion des Sorgens und Schützens die eigentliche Zivilreligion der Deutschen. Sie folgen dabei den grünen Hohepriestern, die sie weg von Gott Vater und hin zu Mutter Erde führen. Dieser Kult der Natur, der den Verlust der Gnade kompensiert, gipfelt in „Biophilia“ (Wilson), der Liebe zum Lebendigen an sich.

Die Öko-Religion hat durchaus ihre Priester, ihre Pilgerfahrten und ihren Heiligen Gral. Nur dass die jungen Glaubenshelden heute Ölplattformen besetzen und die Rainbow- Warrior gegen finstere Atommächte in See sticht. Das sind die Kreuzritter der heilen Welt. Nicht-Regierungsorganisationen stehen für eine neue Religiosität, die auf den Namen „Umweltbewusstsein“ getauft ist. Umwelt heißt der erniedrigte Gott, dem die Sorge und die Heilserwartung gelten. Die Heilssorge unserer Zeit artikuliert sich als Sorge um das ökologische Gleichgewicht. Und das bedeutet im Klartext: Für die fundamentalistischen Grünen ist Natur selbst die Übernatur. So funktioniert das Umweltbewusstsein als Quelle einer neuen Religiosität.

Dieses grüne Glaubenssystem ist natürlich viel stabiler als das rote, das es ablöst. Die Natur ersetzt das Proletariat – unterdrückt, beleidigt, ausgebeutet. Die Enttäuschung des linken Heilsversprechens hat apokalyptische Visionen provoziert, nämlich solche vom Untergang der Umwelt. Für eine funktionalistische Betrachtung liegt der Zusammenhang auf der Hand: Weil die Hoffnung auf Erlösung enttäuscht wurde, interessiert man sich wieder für Schöpfung – unter dem Namen Umwelt. Und dabei muss man nicht einmal auf den Rausch der Revolution verzichten.

DIE ÖKO-RELIGION IST DER NEUE GLAUBE FÜR DIE GEBILDETE MITTELKLASSE

Wer profitiert also vom Niedergang der christlichen Kirchen? Vor allem diejenigen Organisationen, die den unverändert starken religiösen Impuls in ein neues Glaubensschema umleiten können. Sie alle entfesseln mit dem Gesetz des Herzens den Wahnsinn des Eigendünkels. Die Öko-Religion ist der neue Glaube für die gebildete Mittelklasse, in dem man Technikfeindlichkeit, Antikapitalismus und Aktionismus unterbringen kann.

Hier gilt es nun, ein naheliegendes Missverständnis auszuschalten. Ökologie als Heilsreligion zu beschreiben, wie wir es gerade getan haben, bedeutet nämlich nicht, das ökologische Komplexitätsbewusstsein zu denunzieren, sondern es von einem neuheidnischen Naturkult zu unterscheiden, der allerdings die Sympathie der Massenmedien auf seiner Seite hat. Diejenigen, die sich mit religiöser Inbrunst der Natur zuwenden, sind von der Geschichte enttäuscht. Und weil sie sich nicht mehr in die Arme der Kirche zu werfen wagen, beten sie grüne Rosenkränze. Die Natur ersetzt Gott als externe Instanz des Urteils über die Gesellschaft. So hat sich das Devotionsbedürfnis auf die Natur verschoben: die Umwelt als Übernatur. Diejenigen, die es entrüstet als Zumutung von sich weisen, Gott Vater anzubeten, huldigen ganz selbstverständlich einem Kult der Mutter Erde. Und der hat alle Evidenzen der modernen Medienwelt auf seiner Seite; das Foto vom blauen Planeten ist wohl das am häufigsten reproduzierte. Die ikonische Qualität der aus dem Weltraum gesehenen Erde hat der Öko- Religion eine unvergleichliche Aura verschafft. Dieses Bild steht für die Sakralisierung der Erde und die große Rückwendung des menschlichen Interesses von der Vermessung des Unermesslichen zur Sorge um die eigene Endlichkeit.

Das Wunder ist der theologische Begriff für die Ausnahme, die das Gesetz der Natur nicht akzeptieren kann. Da wiegt es besonders schwer, wenn ausgerechnet der Philosoph Hans Blumenberg, der überzeugend wie kein anderer die für die Selbstbehauptung der Neuzeit konstitutive wissenschaftliche Neugier legitimierte, am Ende seiner Beschreibung der kopernikanischen Welt den blauen Planeten Erde als das Wunder der Ausnahme feiert. In dieser Pastorale scheint sich der Philosoph mit den neuen Hirten des Seins zu treffen. Sie wollen die Schöpfung bewahren, statt auf die Erlösung hoffen. Doch die entscheidende Differenz liegt in der Hybris der Schöpfungsbewahrer, die sich als Hirten des Seins aufspielen. Und Blumenberg hat sie mit ironischer Schärfe benannt: Der Mensch besorgt die Sache Gottes, nicht als dessen Nachahmer, sondern als dessen Schadensbereiniger, Nachhilfelehrer, wenn nicht gar als dessen Nachlassverwalter.

Der ökosoziale Dialog als locus theologicus

Ob die Kirchen eine hörbare Stimme im Umwelt- und Entwicklungsdiskurs sind, hängt wesentlich davon ab, wie sie ihre spezifische Perspektive einbringen. Es kommt darauf an, den ökosozialen Diskurs als „locus theologicus“ zu entschlüsseln. Dafür bietet die Enzyklika Laudato si‘ bemerkenswerte Wegweisungen. Markus Vogt

Der gegenwärtige Wandel der MenschUmwelt-Beziehungen ist ein epochales, mit tiefem Leid verbundenes Phänomen, in dem Aufbrüche zu einem neuen Verständnis der gesellschaftlichen Leitwerte sichtbar werden und das zu einer radikalen Umkehr auffordert. Ausgehend von diesen Kriterien lässt er sich als „Zeichen der Zeit“ deuten (Vogt 2013, 40-76). Der hermeneutische Gewinn einer solchen Perspektivierung ist, dass sie die Art und Weise aufzeigt, in der die Kirchen gesellschaftliche Entwicklungen so wahrzunehmen vermögen, dass darin die theologisch relevanten Fragen zum Vorschein kommen.

Mit anderen Worten: Die ökosozialen Krisenphänomene als Zeichen der Zeit zu deuten, macht nur Sinn, wenn man die damit verbundenen grundsätzlichen Anfragen an das Weltverständnis, die Gottesbeziehung und die zivilisatorischen Leitwerte aufdeckt und sie als locus theologicus erkennt, an dem sich der christliche Heilsanspruch heute neu bewähren muss. Genau das leistet Papst Franziskus mit seiner Enzyklika Laudato si‘. In ihr wird die Umweltkrise erstmals auf der Ebene der Katholischen Soziallehre in ihren umfassenden ökosozialen, ethisch-kulturellen, politischstrukturellen und spirituellen Zusammenhängen wahrgenommen.

Bisher wird der Text außerhalb der Kirche fast intensiver rezipiert als innerhalb. Dies liegt auch daran, dass der theologische Stellenwert ökologischer Fragen immer noch höchst umstritten ist. Der katholische Priester Raimon Panikkar nimmt hier eine offensive Position ein: „Folgendes möchte ich behaupten: Die ökologische Krise stellt eine Offenbarung dar. Wenn man sie nicht als Offenbarung sieht, sieht man sie nicht genügend tief und ernst. Es ist gewiß keine Theophanie: Was offenbar wird, ist kein neuer Gott. Auch keine Anthropophanie wie die der Aufklärung, die uns ein neues Menschenbild gegeben hat. Sondern eine Kosmophanie: Der bis jetzt stumme Kosmos schreit auf und spricht. Es handelt sich darum, dieses Geschrei zu hören, diese Sprache zu verstehen, diese Kosmophanie wahrzunehmen. Diese Kosmophanie ist die heutige Offenbarung, und sie ist die Offenbarung der Kontingenz. Es geht nicht darum, aus der Ökologie eine Religion zu machen, sondern die Religion wird ökologisch. Dieser Unterschied ist wichtig“ (Panikkar, 59f.).

Markus Vogt

seit 2007 Ordinarius für Christliche Sozialethik an der Ludwig-Maximilians-Universität München; berät seit 1995 im Rahmen der Ökologischen Arbeitsgruppe die Deutsche Bischofskonferenz; Mitglied der Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030 sowie des Bioökonomierates der Bayerischen Staatsregierung.

Die Herausforderung der Rückbesinnung auf ein tragfähiges Verhältnis zur Schöpfung betrifft die Fundamente unserer Kultur und unseres Selbstverständnisses. Insofern ist die ökologische Bewegung eine Erneuerungs- und Suchbewegung, die religiöse Fragen nach den Grundlagen und Zielen des Lebens einschließt. Als produktive Verunsicherung durch die Entdeckung eines „Überschusses an Kontingenz“ schafft die ökologische Frage zugleich einen neuen Bedarf an Religion (Gabriel, 157-163). Ökologische Ängste, Ungerechtigkeit und Aufbrüche sind ein Thema, dem weltweit auch im Kontext lebendiger Seelsorge wachsende Bedeutung zukommt.

Die Frage nach dem, was in den existenziellen Gefährdungen von Zukunft heute Rettung und Neuorientierung zu geben vermag, stellt sich hier auf neue Weise. Es gilt, im Aufschrei der Kreatur den leidenden Christus zu erkennen und Naturerfahrungen als möglichen Ort der Gotteserfahrung in den Blick zu nehmen, ohne dabei die Natur unmittelbar zu divinisieren. Ein wegweisender Hintergrund hierfür ist insbesondere die Prozesstheologie, die die verborgene Gegenwart Gottes inmitten der schöpferischen Prozesse entdeckt, weltverwoben statt jenseits von Raum und Zeit (vgl. Vogt 2013, 216-372). Die Theologie der Zeichen der Zeit ermöglicht, die Umweltkrise als religionsproduktive Suchbewegung zu entziffern. Die ökologische Herausforderung steht paradigmatisch für veränderte Kommunikationsbedingungen und Kontexte von Glaubensfragen heute.

 

AUFKLÄRUNG STATT „MORALAGENTUR“

Im 2018er-Bericht an den Club of Rome mit dem Titel „Wir sind dran. Der Weg zu einer neuen Aufklärung“ werden große Erwartungen an die Kirchen als Katalysatoren des nötigen ökosozialen Wandels geweckt (vgl. Weizsäcker/ Wijkman, 124-130). Da alle naturwissenschaftlichen Erkenntnisse über planetary boundaries nicht zur nötigen radikalen Umkehr geführt haben, müsse die Problematisierung eine Stufe tiefer ansetzen: bei den Grundannahmen unseres Verständnisses von der Welt, was als „Aufklärung 2.0“ bezeichnet wird. Für diese Suche finden die Autoren ein wichtiges Gegenüber in den Religionen, allen voran in Papst Franziskus und seiner Enzyklika Laudato si‘. Ihre spirituelle Dimension eröffne einen Zugang zur Vorstellung des menschlichen Lebens und Handelns in der Welt als Ganzer. Dies könne dabei helfen, für selbstverständlich gehaltene Hintergrundannahmen des rationalistischen Reduktionismus und insbesondere die Vorstellung einer „leeren Welt“ als endloser Raum unbegrenzter Ressourcen zu überwinden.

Dabei ist stets im Blick zu behalten, dass die Kirchen nicht nur Teil der Lösung, sondern mit ihrem Beharren auf mentalen Infrastrukturen der Naturvergessenheit oft auch Teil des Problems sind. So steht auch die biblische Schöpfungstheologie auf dem Prüfstand. Es gilt, diese durch einen Rückgang zu den Quellen neu zu erschließen, von Fehlinterpretationen zu befreien und im Gespräch mit den Umweltwissenschaften für die heutige Zeit weiterzudenken. Denn in ihr steckt „ein Wirk- und Vernunftpotenzial“, das auch heute „die Mentalität und das überlebensnotwenige ökologische Bewusstsein der Nachhaltigkeit im Umgang mit den natürlichen Ressourcen substantiell zu befördern, zu stärken und zu erhalten vermag“ (Hardmeier/Ott, 162).

Im Blick auf Laudato si‘ erkennt der Club-of- Rome-Bericht die Religionen als unverzichtbare „andere“ Stimme im pluralen Bemühen um das Ziel einer nachhaltigen Gesellschaft. Überzeugend sind die Kirchen dabei nicht als „Moralagenturen“ (Joas; Bischof/Sautermeister), die sozialökologische Imperative mit dem Anspruch auf autoritäre Weisungsbefugnis theologisch unterfüttern. Ihre spezifische Kompetenz setzt hier vielmehr mit der Botschaft der Befreiung sowie dem Lobpreis der Schöpfung an und bringt die Sehnsucht nach verlorener Integrität, Gerechtigkeit und Lebensfülle zur Sprache.

Aufklärung 2.0 im Spannungsfeld zwischen Natur, Kultur und Technik braucht eine Rückbesinnung auf die großen Erzählungen von Schuld und Verantwortung sowie von Gemeinschaft, Konfliktbewältigung und gelingendem Leben. Zur Sorge (cura, ein im Deutschen leider uneinheitlich übersetzter Schlüsselbegriff der Enzyklika) um das Haus der Schöpfung lassen sich in der Bibel viele auch für die Seelsorge spannende Texte entdecken.

KRITIK EINES TOTALITÄREN VERSTÄNDNISSES VON NACHHALTIGKEIT

Die ganzheitliche ökosoziale Sicht des Leitbildes der Nachhaltigkeit hat starke religiöse Wurzeln. So war Carl von Carlowitz, der den Begriff 1713 erfunden hat, stark religiös geprägt (pietistisch sowie beeinflusst von Spinozas Leitbegriff der „natura naturans“ als göttlich-schaffender Macht, die sein Nachhaltigkeitskonzept maßgeblich prägt; Vogt 2018, 254). Bereits in den 1970er Jahren hat der Weltrat der Kirchen als erste globale Institution ein Programm für Nachhaltigkeit bzw. „Sustainable Society“ ins Leben gerufen (Vogt 2013, 180-183). Ein weiteres Beispiel für religiöse Wurzeln des integrativen Konzepts der nachhaltigen Entwicklung ist der konziliare Prozess, der konsequent die Themen Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung zusammengedacht und den Entwicklungsbegriff sowie wesentliche Formulierungen der Texte der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 vorgeprägt hat. Auch die von Religionsgemeinschaften mitgetragene Earth-Charta-Bewegung hat hier maßgebliche Impulse gesetzt.

Nachhaltigkeit braucht eine Abkehr vom Modell des grenzenlosen Wachstums. Die mentalen Barrieren, die dies bisher verhindern, haben ihre Ursache auch im Verlust eines Transzendenzhorizontes: Der Mensch hat das tiefe Bedürfnis nach einem offenen, Sinn stiftenden Horizont. Da viele diesen heute nicht mehr in einer – wie auch immer gearteten – religiösen Vorstellung von Transzendenz finden, projizieren sie ihn in die Zukunft als Utopie unbegrenzter Möglichkeiten. Die globale Beschleunigungsgesellschaft, die in atemlosem Tempo die energetischen und stofflichen Ressourcen aus Jahrmillionen verbraucht und unser Lebenstempo durch den „kinetischen Imperativ“ Jederzeit, überall, immer, alles! (Höhn) bestimmt, lässt sich als eine auf maximale Aneignung und Steigerung ausgerichtete säkulare Funktionalisierung des Hoffnungsprinzips deuten.

Die untergründige Macht solchen tradierten Denkens in der europäischen, inzwischen längst globalisierten modernen Zivilisation kann nicht durch moralische Appelle überwunden werden, sondern nur durch eine tiefergehende Reflexion der naturphilosophischen, anthropologischen, theologisch-kulturgeschichtlichen Weichenstellungen des Projekts der Moderne. Eine Kultur der Nachhaltigkeit braucht qualitative Vorstellungen von gutem Leben. Es geht nicht primär um Verzicht, sondern um Sensibilisierung für einen aufmerksamen Naturgenuss als Teil geistig-seelischer Gesundheit, Identitätsfindung und Lebensqualität. Auch christliche Umweltethik muss und kann hier lernen, sich durch den Austausch mit solchen Konzepten aus dem Bann des instrumentellen und dichotomen Subjekt-Objekt-Denkens in der Naturbeziehung zu befreien und die eigenen Traditionen der Schöpfungstheologie philosophisch und praktisch neu zu erschließen.

Ohne diese kulturelle Tiefendimension verflacht das Leitbild der Nachhaltigkeit zur politischen Floskel und zur naiven Utopie des Versprechens einer vermeintlichen Harmonie zwischen ökologischen, sozialen und ökonomischen Zielen. Das religiöse Wachhalten des Kontingenzbewusstseins ist ein wichtiger Betrag, um Nachhaltigkeit gegen potenziell totalitäre Allzuständigkeitsvorstellungen abzugrenzen (vgl. Vogt 2010, 58-59).

POLITIKFÄHIGER GLAUBE

Traditionell wird von den Kirchen im ökosozialen Diskurs vor allem ein Beitrag zum Wertewandel erwartet (vgl. oekom u. a.). Dieser kann allerdings nur dann gesellschaftliche Transformationen in Gang setzen, wenn Mikro-, Meso- und Makroebene in spezifischer Weise interagieren. Gesucht wird also nach einer positiven Korrelation zwischen (1) Pionieren nachhaltiger Praxis, (2) öffentlicher Kommunikation hinsichtlich des Wertewandels und dessen Vermittlung in Bildung und Lebensstilen sowie (3) politisch-rechtlichem Institutionenwandel. Die Kirchen sind auf allen drei Ebenen gefragt:

- Als Raum für Pioniergruppen, die erhoffte Änderungen durch exemplarisches Handeln in die Tat umsetzen. Der Impuls zur Veränderung geht offensichtlich nicht hinreichend von den großen Weltkonferenzen aus, sondern muss ebenso von unten kommen, also von einer Vielzahl unterschiedlicher Akteure und Vordenker des kulturellen Wandels in der Zivilgesellschaft. Der praxisorientierte Ansatz entspricht der Erfahrung und Struktur christlicher Glaubensvermittlung, in der über das Wort hinaus immer das gelebte Zeugnis ein unverzichtbarer Ausgangspunkt der angestrebten Transformationen war.

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