Im Sternbild des Zentauren

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Mytherra, Schimmerwald …

Hektor

Lilaja und ich wollen uns gerade am Teich verabschieden, als in unmittelbarer Nähe plötzlich ein Krachen zu hören ist, das dem eines Blitzschlages gleicht. Wir fahren erschrocken herum und ich sehe gerade noch das Licht, das die Umgebung kurz erleuchtet. Dann ist es gespenstisch still. Wir sehen uns fragend an.

„Bei den Göttern, was hat das zu bedeuten?“, wispere ich beunruhigt.

„Das hörte sich eben ganz danach an, als hätte jemand ein Portal benutzt“, erwidert Lilaja angespannt und sieht sich vorsichtig um, als könne uns jemand belauschen. „Komm!“

Noch bevor ich fragen kann, was sie vorhat, sprintet sie leichtfüßig los und ich folge ihr. Es dauert nicht lange, bis wir finden, wonach wir suchen. Auf dem Waldboden liegen zwei Gestalten und als wir näherkommen und ich mehr erkennen kann, stockt mir kurz der Atem.

„Menschen!“, stoße ich hervor, während ich die Hufe in die Erde schlage und schockiert innehalte. Lilaja blickt sich hektisch um.

„Ein Mann und eine Frau. Wer hat sie hergebracht? Und warum?“, fragt sie aufgeregt. „Menschen können alleine doch nicht durch ein Portal reisen!“

Ich zucke mit den Schultern. „Sie scheinen aber alleine zu sein. Was kümmert das uns?“ Ich möchte ihr sagen, dass wir von hier verschwinden sollten, doch Lilaja eilt geradewegs zu den offensichtlich Bewusstlosen und neigt sich zu ihnen hinunter. Ein Laut der Entrüstung weicht aus meiner Kehle. „Was machst du denn? Bleib weg von ihnen!“ Fassungslos beobachte ich, wie Lilaja prüft, ob die Frau noch atmet.

„Sie scheint nicht verletzt zu sein.“ Anschließend widmet sie ihre Fürsorge dem Mann. „Oh mein Gott, da ist Blut!“ Sie schiebt seine Oberbekleidung zur Seite und keucht erschrocken auf. Lilaja fixiert die gläserne Phiole, die an meinem Hals an einem Lederband baumelt. „Den Heiltrank! Gib ihn mir … bitte, Hektor!“

Im ersten Moment glaube ich mich verhört zu haben. Als mich Lilaja erwartungsvoll ansieht, schüttle ich ungläubig den Kopf.

„Bist du verrückt? Ich werde dir doch nicht den wertvollen Trank der Zentauren geben!“ Ich greife rasch nach der Phiole, die im Schein des Vollmondes funkelt. „Nicht für ihn!“

„Hektor! Gib mir den Trank, oder wir waren einmal Freunde!“ Lilajas Augen blitzen entschlossen auf.

„Den Teufel werde ich tun! Das sind Menschen. Lass sie liegen, verdammt! Die haben in unserer Welt nichts verloren!“

„Ich habe dich noch nie um etwas gebeten … tu es für mich, ich bitte dich!“ Die Nymphe blickt flehend zu mir auf. „Sie können doch nichts dafür!“

Einige Herzschläge lang herrscht eisiges Schweigen zwischen uns.

„Verflucht!“ Schließlich streife ich mir das Lederband über den Kopf und reiche Lilaja die Phiole. Sie entreißt sie mir förmlich, als hätte sie Angst, dass ich es mir doch anders überlege.

„Ein, zwei Tropfen müssten genügen“, sagt sie aufgeregt und öffnet den kleinen Silberdeckel der Phiole. Ich trete ein Stück vor und nehme den Menschen in Augenschein. Er kann nicht viel älter sein, als ich. Sein Obergewand ist teilweise zerrissen und mit Blut durchtränkt. Lilaja schiebt den Stoff zur Seite und ich erkenne eine Stichwunde zwischen rechter Schulter und Brust.

„Ja, zwei Tropfen reichen, auch wenn ich es für Verschwendung halte“, zische ich gereizt.

Lilaja nickt hastig. Fast zärtlich streicht sie dem Fremden das dunkelbraune, zerzauste Haar aus dem Gesicht, während ihr Blick bewundernd über seinen Körper wandert. Ihre Hand verharrt einen Augenblick auf der Wange des Bewusstlosen, während sie mit den Fingern sanft seine Lippen öffnet und ein paar Tropfen des kostbaren Elixiers dazwischen träufelt. „Er wollte das Mädchen verteidigen“, mutmaßt sie seufzend. „Sieh nur, was für makellose Gesichtszüge er hat … und diese ebenmäßige Haut. Ich wusste nicht, dass Menschen so schön sein können.“

Ich schnaube abfällig und scharre mit den Hufen in der Erde.

„Komm jetzt, wir haben mehr als genug für die beiden getan. Wenn uns jemand mit ihnen sieht …“

„Du wirst sie doch wohl nicht hier liegenlassen wollen?“, entgegnet Lilaja empört und funkelt mich wütend an. „Wir bringen die beiden erstmal rüber in die Grotte.“

„Oh nein, auf keinen Fall! Bist du völlig übergeschnappt? Das … das kannst du von mir nicht verlangen, Lilaja! Ausgerechnet von mir!“

Als ich kurz darauf zuerst die junge Frau und dann den Mann in die Grotte trage, muss ich an Kreon denken, und dass es wegen der Menschen war, dass ich meinen Bruder für immer verloren habe. In diesem Moment fühle ich mich wie ein Verräter. Ungeheurer Zorn steigt in mir auf und nagt an meinen Eingeweiden wie eine Bestie, tief in meinem Inneren. Zorn auf Lilaja, auf Kreon und seine verfluchten Menschen, aber am meisten auf mich selbst.

„Sieh nur, die Wunde hat bereits zu heilen begonnen“, stellt Lilaja erleichtert fest, während sie die nackte Brust des menschlichen Mannes mit einem in Wasser getränktes Tuch reinigt. Sie hat die beiden Menschen mit Fellen zugedeckt und dafür gesorgt, dass sie es bequem haben. Ich verschränke die Arme vor der Brust und werfe ihr einen finsteren Blick zu.

„Ich weiß wirklich nicht, warum ich dir bei diesem Irrsinn geholfen habe“, entgegne ich in frostigem Tonfall. „Ich werde jetzt gehen und ich komme erst wieder, wenn die da verschwunden sind!“

Lilaja sieht mich erschrocken an und schüttelt den Kopf.

„Hektor, bitte! Hätte ich die beiden im Wald sterben lassen sollen?“, fragt sie aufgebracht. „Die Menschen haben mir doch nichts getan!“

„Aber mir! Du weißt, dass Zentauren von Natur aus die Menschen verachten, aber in meinem Fall ist es ja wohl noch um einiges schlimmer!“ Ich werde laut, meine Stimme hallt an den Felswänden wider.

„Es geht aber hier nicht um dich!“, brüllt Lilaja nun wutentbrannt zurück. Ich will gerade antworten, als die junge Frau zu wimmern beginnt. Bevor wir in irgendeiner Weise reagieren können, setzt sie sich plötzlich mit einem Schrei auf und blickt sich verwirrt um.

„Was … wo … ?“ Sie sieht zuerst Lilaja an, dann mich. „Scheiße, ich hab’ doch gar nicht so viel getrunken!“ Ihre Augen heften sich regelrecht an mich und werden immer größer. „Wüsste ich es nicht besser, würde ich sagen, ich hätte gekifft. Aber ich hab’ das erste und letzte Mal an meinem achtzehnten Geburtstag gekifft. Hey, damals hab’ ich im Rausch echt schräge Sachen gesehen, aber ein …“, sie zeigt wild gestikulierend auf mich, „ein Pferde-Tarzan-Dings war nicht dabei.“

„Ich bin ein Zentaur!“, stoße ich erbost hervor und trete ein Stück vor. „Hüte deine Zunge … Menschenfrau!“

Die junge Frau starrt mich einen Moment erschrocken an, dann verdreht sie die Augen und bedeckt kopfschüttelnd ihr Gesicht mit den Händen.

„Natürlich bist du das – weiß ich doch.“ Offensichtlich irritiert über ihre eigene Aussage runzelt sie die Stirn. „Was für ein Arsch hat mir was in den Drink getan?“ Im nächsten Moment zuckt sie zusammen, sieht sich um und entdeckt ihren Freund. „Scheiße, Ben! Ben! Was ist mit ihm? Ist das Blut? Oh Gott, das ist ja Blut! Ist er schwer verletzt?“

„Bei den Göttern, warum spricht sie so viel und so schnell?“, frage ich Lilaja, die etwas überfordert wirkt. Sie kniet sich neben die Frau und berührt vorsichtig ihre Schulter.

„Deinem Freund geht es gut“, sagt sie ruhig. „Wir haben ihm ein Elixier der Zentauren gegeben, die Stichwunde heilt bereits.“

Die Menschenfrau streicht ihrem Gefährten über das dunkle Haar und mustert zuerst Lilaja von Kopf bis Fuß, danach mich.

„Was zum Geier geht hier vor?“, fragt sie offensichtlich verwirrt. „Wo sind wir und was ist das hier überhaupt?“ Sie macht eine ausholende Handbewegung, die Lilajas Grotte umfasst, und schüttelt ungläubig den Kopf. „Wenn das alles ein Scherz sein soll – sorry, aber der ist sogar für mich zu schräg.“

Lilaja wirft mir einen hilflosen Blick zu, bevor sie sich wieder an die Frau wendet.

„Ich bin Lilaja und das hier ist Hektor. Wir haben euch im Wald gefunden. An was kannst du dich erinnern?“

„Ich … bin Sabrina“, antwortet die Menschenfrau, während sie dem Mann wieder über das Haar streicht und ihn besorgt ansieht. „Das ist mein bester Freund Ben. Wir waren in einer Kneipe und haben seinen Geburtstag gefeiert. Danach wollten wir durch den Englischen Garten nach Hause gehen.“ Sie schüttelt den Kopf und stößt einen Seufzer aus, der sich fast nach einem Schluchzer anhört. „Wir hätten es echt besser wissen müssen.“ Sabrina sieht von Lilaja zu mir. „Man spaziert um vier Uhr morgens nicht einfach so durch den Englischen Garten, verdammt!“

Ich verstehe nicht mal die Hälfte von dem, was sie von sich gibt und starre sie verständnislos an.

„Was bei den Göttern ist ein Englischer Garten?“, frage ich ungeduldig. „Wer hat euch hergebracht? Menschen können nicht einfach so nach Mytherra spazieren!“ Das letzte Wort betone ich mit Absicht stärker, um die Lächerlichkeit dieser Worte zu unterstreichen. Sabrina gibt einen erbosten Laut von sich.

„Was soll das sein, Mytherra? Ach scheiße nochmal, wo ist die versteckte Kamera? Ich hab’ keinen Bock mehr auf das Spiel!“

„So kommen wir doch nicht weiter“, wirft Lilaja ein und steht auf. „Ihr redet ja völlig aneinander vorbei!“

„Ich will gar nicht mit einem Menschen reden!“, erwidere ich entnervt, worauf mich Sabrina böse anfunkelt.

„Und ich nicht mit einem dahergelaufenen Zentauren!“

„Hüte deine Zunge, Menschenweib!“

„Fick dich!“

Die eigenartigen Worte, deren Bedeutung ich nicht verstehe, machen mich immer wütender. Ich setze zu einer neuen Schimpftirade an, als sich der Mann plötzlich zu regen beginnt und stöhnend die Lider aufschlägt.

 

Ben

Als ich die Augen öffne, schwebt Sabrinas besorgtes Gesicht direkt über mir. Fürsorglich streicht sie mir eine Strähne aus der Stirn.

„Hey …“, sagte sie leise und lächelt mich an. „Da bist du ja wieder. Du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt.“

Ich will etwas sagen, doch aus meinem trockenen Mund kommt kein Ton. Ich versuche mich zu erinnern, was geschehen ist und zucke zusammen, als mir alles wieder einfällt. Meine Hand schnellt automatisch an meine Brust, wo mich die Klinge eines Messers getroffen hat, doch ich spüre kaum Schmerzen.

„Was …?“ Ich will mich aufsetzen, doch Sabrina drückt mich sanft zurück. „… ist passiert?“, beende ich meinen Satz und sehe sie fragend an.

„Bleib ruhig, Ben, okay? Alles ist gut, dir geht es gut.“

Ich stutze. „Warum glaube ich dir das gerade nicht? Was ist los?“

Sabrina seufzt. „Flipp jetzt nicht gleich aus, okay?“, sagt sie mit einem warnenden Unterton, bevor sie einen unsicheren Blick nach hinten, über ihre Schulter wirft. Als sie mich wieder ansieht, verzieht sich ihre Miene zu einem Grinsen, das so gruselig ist, dass es mir heißkalte Schauer über den Rücken jagt. In meinem Innersten schrillen sämtliche Alarmglocken, aber ich kann meine aufkommende Panik nicht einordnen. Ich will sehen, was meine beste Freundin mit ihrem Körper zu verbergen versucht, doch sie greift nach meinen Schultern und sieht mich streng an. „Du … flippst … nicht … aus, okay?“, wiederholt sie nachdrücklich, als wäre ich irgendein Psycho und sie meine Verhaltenstherapeutin.

„Warum sollte ich denn ausflippen?“, frage ich verwirrt, während ich mich aufrecht hinsetze. „Was ist denn überhaupt …?“ Der Rest des Satzes bleibt mir im Hals stecken, als sich Sabrina zur Seite neigt und den Blick freigibt. Ich stoße ein entsetztes Keuchen aus und will zurückweichen, dabei schlage ich mir den Hinterkopf an etwas Hartem an, das sich wie Stein anfühlt.

„Autsch, fuck! Was …?!“ Mein Gehirn kann nicht erfassen, was meine Augen sehen. Wir befinden uns in einer Höhle, in der Mitte brennt ein kleines Feuer. Was genau passiert ist und wie wir hergekommen sind, weiß ich nicht mehr. Was mich im Moment viel mehr beunruhigt, ist das, was sich neben dem Feuer abspielt. Verdammt nochmal, ich muss mir den Kopf gerade ziemlich hart gestoßen haben. Das ist Möglichkeit Nummer Eins. Oder aber ich bin tot und in einer Art Zwischenwelt gefangen. Kann aber auch sein, dass ich völlig den Verstand verloren habe. Gleich kommen Männer in weißer Kleidung und weißen Turnschuhen, stecken mich in eine Zwangsjacke und nehmen mich mit.

Wie gebannt starre ich auf die Szenerie, die sich vor mir auftut. Neben dem Feuer steht das schönste Mädchen, das ich je gesehen habe. Seine Augen sind trotz des schlechten Lichtes von einem so strahlenden Blau, als würden sie von innen heraus leuchten. Ihr perfekter Körper ist nur von ihrem langen, blonden Haar und ein paar Ketten aus Muscheln und Blättern verhüllt. Was sich allerdings neben dem Mädchen befindet, ist der Grund, warum ich sicher bin, dass es mit mir bergab geht. Andere sehen im Delirium weiße Mäuse, rosa Kaninchen, oder was auch immer. Und was sehe ich? Ich schlucke hart und starre den Zentauren an. Ach Scheiße, nochmal – welcher Geisteskranke stellt sich denn dieses mystische Mensch-Pferdewesen mit dem Oberkörper eines Chippendales-Typen und dem Gesicht eines Elfenkriegers vor? Mit weizenblonden Haaren, die ihm fast bis zur Taille hinunter reichen? Mann, ich bin sooooooo krank! Während ich den Zentauren noch immer anstarre, kommt das schöne Mädchen näher und kniet sich neben Sabrina und mich.

„Hallo Ben.“ Ihre Stimme klingt so engelsgleich, wie sie aussieht. Ich sehe sie fragend an und warte gespannt auf eine Erklärung. „Ich bin Lilaja und das ist Hektor.“ Sie nickt kurz in Richtung des Model-Zentauren, der mich mustert, als wäre ich ein lästiges Insekt. „Wir haben euch im Wald gefunden, du hattest eine Stichwunde, aber dank eines Heiltranks wird nur eine kaum sichtbare Narbe bleiben. Ihr seid hier in Sicherheit.“

Ich schüttle den Kopf und versuche zu verstehen, was Lilaja erzählt, aber ich bekomme es nicht auf die Reihe.

„Was für ein Heiltrank? Was ist das hier?“ Ich sehe mich um und mein Blick bleibt an Sabrina hängen, die mit den Schultern zuckt und schief lächelt.

„Wie seid ihr in unsere Welt gelangt? Menschen haben hier nichts verloren!“ Die bellende Stimme reißt mich aus meinen krampfhaften Überlegungen und ich zucke zusammen. Ich sehe hinüber und bin gerade nicht mehr so sicher, ob der sexy Zentaur wirklich meinen kranken Gehirnwindungen entspringt. Eher nicht, denn dann wäre er nicht so arrogant und unfreundlich. Obwohl ich ihn nicht anstarren will, fesseln mich seine Augen, die wie ein Aquamarin im Sonnenlicht funkeln.

„Ich … wir … waren im Englischen Garten“, stottere ich wirr. „Ein paar Typen haben uns überfallen … der eine hatte ein Messer und …“ Instinktiv greife ich nach meinem Edelstein, doch er ist nicht mehr da. Mir wird vor Schreck heiß und kalt zugleich, ich taste panisch danach, doch er bleibt verschwunden. „Mein Stein!“, rufe ich entsetzt und blickte zwischen den fremden Gestalten und Sabrina hin und her. „Mein Stein ist weg! Ich muss ihn verloren haben, als wir …“, ich überlege fieberhaft und keuche auf, als es mir wieder einfällt, „… als wir gefallen sind.“

„Du hattest einen Portalstein?“ Lilaja sieht mich fassungslos an. „Wie ist das nur möglich?“

Der Zentaur schnaubt abfällig. „Wie sollte ein Mensch in den Besitz eines Portalsteines gelangen?“ Das Wort Mensch spuckt er dabei verächtlich aus.

„Ich weiß nicht, was ein Portalstein ist, aber der Stein war ein Geschenk meiner Mutter“, erwidere ich genervt, denn langsam regt mich der Schönling auf. Ich will aufstehen, aber ein stechender Schmerz hält mich davon ab und ich krümme mich stöhnend zusammen.

„Du musst dich noch etwas schonen“, sagt Lilaja ruhig. „Deine Verletzung ist fast verheilt, aber bis morgen wird es noch wehtun.“ Sie lächelt mich unsicher an.

„Du sagtest gerade, du hattest den Portalstein von deiner Mutter?“

Ich nicke. „Ich habe sie nie kennengelernt. Sie hat mich als Baby bei meinem Vater zurückgelassen – mit nichts als diesem Edelstein. Ich kenne nicht einmal ihren Namen.“

Lilaja sieht mich nachdenklich an, dann blickt sie von mir zum Zentauren.

„Sie muss aus Mytherra sein“, sagt sie und unterstreicht ihre Aussage mit einem Nicken. „Wenn sie im Besitz eines Portalsteins war, hat sie ihn entweder gestohlen, oder aber sie ist …“ Lilaja neigt sich näher zu mir und betrachtet mich so eingehend, dass es mir schon unangenehm ist.

„Was?“, frage ich unsicher. Lilaja ist sich anscheinend der plötzlichen Nähe bewusst, denn sie weicht rasch zurück und murmelt eine Entschuldigung. Dann steht sie auf und geht hinüber zum Zentauren. Erst als sie vor ihm steht, fällt mir auf, wie gewaltig und muskulös er wirklich ist. Neben ihm wirke sogar ich mit Sicherheit wie ein Zwerg.

„Er ist schön, wie ein Halbgott“, sagt sie halblaut zu ihm, aber Sabrina und ich können sie hören. Meine beste Freundin gluckst unterdrückt.

„Uuuhhh … scheint mir, da hat sich jemand schockverliebt?“, wispert sie mir zu, worauf ich ihr mit dem Ellbogen einen Stoß versetze.

Der Zentaur verschränkt die Arme vor der breiten Brust und zieht eine Augenbraue hoch, was ich zugegebenermaßen ziemlich sexy finde.

„Aber seine Augen …“, erwidert er, während er mich feindselig mustert.

Ich zucke innerlich zusammen und überlege fieberhaft, ob ich auch wirklich meine Kontaktlinsen trage.

„Was ist mit seinen Augen?“, fragt Sabrina an meiner Stelle und legt ihre Hand auf meinen Arm.

„Nun“, antwortet Lilaja. „Seine Augenfarbe ist zu … gewöhnlich.“

Sabrina gibt ein ersticktes Geräusch von sich.

„Gewöhnlich …“, wiederholt sie belustigt und sieht mich verschwörerisch an. „Zeig es ihnen, Ben.“ Ihre Miene ist trotzig und selbstsicher.

Ich schüttle den Kopf. „Nein! Warum denn? Wer weiß, was sie dann mit uns machen.“ Ich werfe ihr einen warnenden Blick zu. „Du weißt doch gar nicht, ob es gut oder schlecht ist.“

Sabrina rollt mit den Augen. „Wir sind den beiden doch so und so ausgeliefert. Schlimmer kann es ja wohl nicht werden.“

„Was soll er uns zeigen?“, fragt der Zentaur ungeduldig und tritt ein Stück näher. Lilaja folgt ihm und die beiden sehen mich neugierig an. Ich rapple mich unter leichten Schmerzen auf und weiche zurück, während ich in meiner Jeanstasche nach meinem Smartphone taste und es herausziehe.

„Mir ist das jetzt echt zu blöd“, sage ich zu Sabrina, die ebenfalls aufgestanden ist. „Ich sehe, ob ich jemanden erreiche, der uns abholen kann.“ Nachdem ich den Homebutton gedrückt und mein Handy entsperrt habe, stelle ich fest, dass ich kein Netz habe und fluche unterdrückt. „Wo ist der Ausgang?“, frage ich Lilaja. „Ich hab’ hier drinnen keinen Empfang.“ Ich zeige ihnen mein Handy, worauf mich beide mit großen Augen anstarren.

„Was ist das?“

„Woher kommt das Licht?“

„Steck das Handy weg!“ Sabrina sieht mich warnend an und verdreht die Augen. Mittlerweile ist der Zentaur so nahe, dass ich feststelle, dass ich ihm vermutlich nicht mal bis zur Schulter reiche. Heilige Scheiße, er ist verdammt beeindruckend.

„Was ist das für ein Ding?“, fragt er herausfordernd und mustert mich argwöhnisch.

„Damit kann ich jemanden anrufen und zum Beispiel sagen, dass er mich abholen soll“, antworte ich möglichst selbstsicher. „Aber es funktioniert hier drinnen nicht. Also vergiss es einfach.“ Ich stecke das Handy in die hintere Tasche meiner Jeans und schüttle seufzend den Kopf.

Der Zentaur scheint vorerst zufrieden, dennoch beäugt er mich skeptisch.

„Also, was ist das nun, was du uns zeigen sollst?“, fragt er noch einmal und blickt zwischen mir und Sabrina hin und her. Auch Lilaja tritt nun näher und mustert mich erwartungsvoll.

„Jetzt zeig es ihnen schon“, drängt Sabrina erneut. „Hast du dir schon mal ihre Augenfarbe genauer angesehen?“ Sie macht eine ausholende Handbewegung, die den Zentauren, sowie Lilaja umfasst. Ich habe natürlich schon bemerkt, dass die Augen der beiden so intensive Farben haben, wie meine, aber ich weiß noch nicht, was das zu bedeuten haben könnte. Lilajas Iriden besitzen die Farbe von einem wolkenlosen Sommerhimmel, während die des Zentauren aussehen, als hätte man ihm strahlende Aquamarine eingesetzt.

„Na schön.“ Ich hebe die Hände und taste mit Daumen und Mittelfingern nach meinen Kontaktlinsen. Vorsichtig ziehe ich sie von meinen Augäpfeln und sehe den beiden so selbstsicher wie möglich entgegen.

„Bei den Göttern!“ Lilaja gibt ein überraschtes Keuchen von sich, während dem Zentauren die Kinnlade herunterklappt.

„Seine Augen besitzen das göttliche Licht“, sagt er sichtlich verblüfft. „Der Farbe nach zu urteilen könnte seine Mutter ein Naturgeist sein. Eine Dryade?“

„Ich … nehme es an“, antwortet Lilaja stockend, ohne den Blick von mir abzuwenden. „Auf jeden Fall muss er ein Halbblut sein.“

Ich bin völlig verwirrt, das alles ergibt keinen Sinn für mich. Ich warte immer noch darauf, dass ein Typ irgendwo hervorspringt und ruft: „Versteckte Kamera!“, aber der sehr realistische Anblick des Zentauren macht meine Hoffnung zunichte.

„Halbblut?“, frage ich mit spottendem Unterton. „Warten wir jetzt noch auf die Eule, oder geht es gleich nach Hogwarts?“

Ich ernte verständnislose Blicke, während mir Sabrina einen Schlag gegen die Schulter versetzt.

„Falsche Welt, Dummie“, zischt sie und kichert leicht hysterisch.

„Sorry, ich komm’ grad überhaupt nicht klar“, erwidere ich. „Ich meine, findest du das alles normal, oder was?“

„Ach was ist schon normal?“, fragt sie mich zurück. „Ich meine, hallo? Gerade du solltest dich nicht wundern. Du sprichst mit Pflanzen!“ Kaum hat sie es ausgesprochen, schlägt sie sich die Hand vor den Mund und murmelt ein „Ups!“

Ich sehe Sabrina geschockt an, mir wird heiß und kalt zugleich.

„Du kommunizierst mit Pflanzen?“, fragt Lilaja aufgeregt. Ich fühle mich so überrumpelt, dass ich nicht sofort antworten kann und nur wie blöd nicke.

„Ben hört ihre Stimmen, wenn sie in Gefahr sind und er kann sie heilen und sogar neu wachsen lassen! Ist das nicht abgefahren?“, erwidert Sabrina aufgeregt an meiner Stelle.

 

„Faszinierend“, murmelt Lilaja und beäugt mich mit einem hingerissenen Seufzen.

„Deswegen ist und bleibt er trotzdem ein Mensch!“, donnert der Zentaur plötzlich und schlägt mit seinem rechten, vorderen Huf so hart in den Boden, dass wir alle erschrocken zusammenzucken. „Die beiden gehören nicht hierher!“

„Das sagtest du bereits mehr als einmal! Ich kann es sowieso nicht erwarten, von hier wegzukommen!“, zische ich zurück und funkle ihn böse an. „Mann, was bildest du dir eigentlich ein? Langsam gehst du mir gewaltig auf die Nerven!“

„Ich zertrete dich, wie eine Made!“, brüllt der Zentaur und macht Anstalten, seine Worte in die Tat umzusetzen, aber die Schreie von Lilaja und Sabrina können ihn zurückhalten.

„Schluss damit!“, ruft Lilaja wütend. Sie ist etwas kleiner und zierlicher als Sabrina und trotzdem stellt sie sich furchtlos und mit erhobenem Kinn zwischen uns und streckt die Arme nach beiden Seiten aus. „Hört sofort auf, ihr Streithähne! Hektor, dein Hass auf die Menschen hat hier nichts zu suchen. Ben ist zur Hälfte Mytherrianer, er hat schon einmal einen Portalstein von seiner Mutter bekommen. Wir müssen herausfinden, wer sie ist und wo wir sie finden, nur dann haben Sabrina und er eine Chance, in ihre Welt zurückkehren zu können.“

Hektor knirscht mit den Zähnen. „Besser heute, als morgen“, zischt er ungehalten. „Ich frage mich wirklich, was uns das angeht.“

Ich will ihm sagen, dass er sich zum Teufel scheren soll und dass wir seine Hilfe nicht brauchen, aber ich lasse es. Ich merke, dass Lilaja um Haltung ringt, weil sie den Streit nicht erneut entfachen will. Ich weiß zwar nicht, warum sie mit diesem Zentaurenarschloch befreundet ist, aber ich akzeptiere es und schweige.

„Dass Ben göttlich ist, steht außer Frage, sonst hätte er kein Portal öffnen können“, sagt Lilaja, als wir uns alle etwas beruhigt haben. „Auch seine smaragdfarbenen Augen und seine Gabe lassen keine Zweifel offen. Die Frage ist nur, wer seine Mutter ist und wo wir sie finden.“

„Göttlichen Ursprungs“, wiederhole ich verwirrt, meine Gedanken kreisen wie verrückt, mir wird leicht schwindelig.

„Nur Götter, Halbgötter und deren Nachkommen besitzen leuchtende Augenfarben, wobei die Intensität mit jeder Generation nachlassen kann“, erklärt sie. „Zentauren sind zum Beispiel Halbgötter des Himmels.“ Sie zeigt auf Hektor.

„Und du bist ebenfalls göttlich“, sagt Sabrina plötzlich und mustert Lilaja bewundernd. „Ich vermute, du bist eine Najade und an diesen See hier gebunden?“ Sie zeigt auf den sanften Wasserfall, der die Grotte in einiger Entfernung von draußen abschirmt. Ich folge ihrem Blick, das Wasser fällt mir erst jetzt auf.

Lilaja begegnet Sabrina mit erstauntem Blick.

„Du bist sehr weise, Menschenkind.“

Der Zentaur schnaubt im Hintergrund, aber ich versuche ihn zu ignorieren.

„Ja, ich kenne mich ein wenig aus“, erwidert Sabrina sichtlich stolz und grinst von einem Ohr zum anderen.

„Meine Mutter …“, murmle ich fahrig und schüttle aufgeregt den Kopf. „Ich muss wissen, wer sie ist!“

„Ohne sie seid ihr in unserer Welt gefangen“, sagt Lilaja vorsichtig. „Nur sie könnte dir einen neuen Portalstein geben, wenn du deinen ersten von ihr hattest.“

„Aber wir wissen doch gar nichts von ihr!“ Sabrina starrt mit aufgerissenen Augen zwischen uns hin und her. „Sie kann ja sonst irgendwo sein und vielleicht hat sie gar keinen Stein mehr. Ich meine, können wir nicht irgendwo anders so ein Ding herbekommen und dann von hier verschwinden?“

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