Verarztet! Verpflegt! Verloren?

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Donnerstagmorgens, noch vor 7:00 Uhr war ich wieder im Krankenhaus. Zu früh? Wahrscheinlich ja, aber ich wollte meine Chance auf keinen Fall verpassen. Meine Mutter sah ziemlich mitgenommen aus. Meine Frage, ob sie Schmerzen hätte, konnte sie offenbar gar nicht beantworten. Ich holte mir einen Kaffee und wartete, mich mit einem Buch ablenkend, auf die Visite. Schon kurze Zeit später, es war gerade 7:20 Uhr, kam die Visite.

Die OP war planmäßig verlaufen. In ca. fünf Tagen, also zum Beginn der nächsten Woche würden die Drähte mittels derer das abgebrochene Knochenstück wieder fixiert wurde, entfernt. Danach könne meine Mutter entlassen werden. Ich wies darauf hin, dass ich, bevor meine Mutter nach Hause zurückkehrt, gewisse Vorkehrungen treffen müsste, da sie wegen ihrer Parkinson-Symptome nicht allein leben könne. Dafür würde ich mindestens fünf Tage benötigen. „Bezüglich des neurologischen Zustandes kann ich nichts sagen“, sagte Dr. Hansen, und bemerkte anschließend, dass er die Neurologie kontaktiert hätte und sich ein Kollege meine Mutter ja zeitnah ansehen würde.

Ich blieb noch zum Frühstück und versuchte Marianne zu motivieren, wenigstens ein wenig zu essen. Mit mäßigem Erfolg. Frustriert verließ ich das Krankenhaus und fuhr nach Hause, um für die Zeit nach ihrer Rückkehr eine Pflegekraft zu organisieren. Per Mail sandte ich eine Anfrage an Frau Kolinek, die Inhaberin einer Vermittlungsagentur für polnische 24-Stunden-Pflegekräfte. Den Kontakt zu und den Kontrakt mit Frau Kolinek hatte ich bereits im letzten Jahr gemacht, als Marianne bereits einmal entsprechende Unterstützung benötigte. Natürlich auch dazu später mehr. Ich schilderte Frau Kolinek die Verfassung meiner Mutter und informierte sie auch über die unklaren Rahmenbedingungen bzgl. der Dringlichkeit beziehungsweise des Startzeitpunktes für den Beginn der Pflege. Frau Kolinek sagte zu, mir baldmöglichst einige Vorschläge für infrage kommende Pflegerinnen zu machen.

Kurze Zeit später klingelte mein Telefon. Meine Mutter war am Apparat. Es schien ihr besser zu gehen, jedenfalls warf sie mir energisch vor, ihr keine geeignete Kleidung in das Krankenhaus gebracht zu haben. Meine Entgegnung ich hätte doch etliche T-Shirts, Pullover, Unterwäsche etc. im Schrank deponiert, konterte sie mit dem Satz: „Da ist nichts.“

Und ich solle auch gleich noch einige T-Shirts von mir mitbringen, weil sie mit dem verbundenen Arm, laut Aussage einer Schwester, diese, weil größeren Kleidungsstücke, leichter würde anziehen können. Da ich nicht schon wieder die mehr als 30 km in das Krankenhaus fahren wollte, vertröstete ich meine Mutter auf den Folgetag, heute müsse sie mit den Sachen zurechtkommen, die vor Ort wären. Ich beendete das Gespräch, erledigte einige weitere Telefonate mit Personen, die mit meiner Mutter häufiger telefonierten und informierte sie über die Situation, damit sie sich keine unnötigen Sorgen machten, wenn sie meine Mutter nicht erreichen würden. Dann sagte ich noch der Putzhilfe und der Friseuse, mit denen noch Termine für die laufende Woche verabredet waren, telefonisch ab.

Mein erstes Ziel am Freitag war natürlich wieder das Krankenhaus. Wegen der am Krankenhaus häufig kritischen Parkplatzsituation, fuhr ich zur Wohnung meiner Mutter und nutzte die dort vorhandene Tiefgarage. In ihrer Wohnung suchte ich noch ein bis zwei Kleidungsstücke heraus und packte diese zu meinen bereits in der Reisetasche befindlichen T-Shirts. Anschließend machte ich mich zu Fuß auf den Weg in das Krankenhaus. Ich wollte noch früh genug vor Ort sein, um Marianne beim Frühstück zum Essen zu motivieren. Es ging ihr heute offenbar etwas besser, denn nach einer kurzen Begrüßung erneuerte sie gleich die Vorwürfe bzgl. der fehlenden Kleidung. Auch als ich den Inhalt des oberen Spindfachs auf ihrer Bettdecke ausbreitete, besserte sich ihre Stimmung nicht wesentlich. Wie vermutet hatte die Schwester nicht im obersten Spindfach nachgesehen, wahrscheinlich hatte sie aufgrund ihrer Körpergröße auch gar keine Chance gehabt, dort hineinzusehen, geschweige denn dort befindliche Kleidungsstücke herauszunehmen. Ich räumte alles wieder ein, inkl. der neu mitgebrachten Pullover und meiner T-Shirts. Auf diese und ihren Platz im Spind machte ich meine Mutter besonders aufmerksam und bat sie, der Schwester mitzuteilen, dass die verlangten Kleidungsstücke, mangels Alternativen, dort oben deponiert waren.

Weder längeres Warten noch zahlreiche Besuche im Stationsstützpunkt bzw. in den Arztzimmern verschafften mir einen weiteren Kontakt mit einem behandelnden Arzt. Gegen Mittag kehrte ich zur Wohnung meiner Mutter zurück, um meine Mails zu lesen. Schließlich konnte es noch immer sein, dass Marianne schon zu Beginn der nächsten Woche entlassen würde. Daher wartete ich ungeduldig auf Vorschläge zu Pflegehilfen von Frau Kolinek. Aber noch war nichts eingetroffen.

Also zurück in das Krankenhaus. Neben den Genesungsfortschritten meiner Mutter war die Unsicherheit über den voraussichtlichen Entlassungstermin meine Hauptsorge. Also wieder, weil Sprechstunden gab es ja nicht, auf dem Zimmer und dem Flur herumlungern und durch zahllose Besuche im Stationsstützpunkt bzw. den Arztdiensträumen sein Glück versuchen. Aber auch hier kein Erfolg. Ein weiterer verzweifelter Versuch im Stationsstützpunkt, es war mittlerweile der späte Freitagnachmittag, brachte zumindest insoweit Klarheit, dass ich heute nichts mehr erfahren würde. Morgen und übermorgen aber auch nicht; dann war ja Wochenende. Und wann hätte ich am Montag eine Chance? Das konnte man mir nicht sagen. Das Beste, so wurde ich informiert, wäre zu versuchen, die Ärzte telefonisch zu kontaktieren. Dazu bräuchte ich nur im Stützpunkt anzurufen, dann würde die Besetzung versuchen, mich zu den Ärzten durchzustellen. Zumindest schien das eine Option, aber angesichts der Möglichkeit, dass Marianne gegebenenfalls bereits zu Anfang der Folgewoche entlassen werden könnte, war die Information, in Anbetracht des dort mengenmäßig enthaltenen Konjunktivs, nicht gerade beruhigend.

Als ich am späten Nachmittag meine Mails abarbeitete, hatte sich zumindest Frau Kolinek gemeldet. Beiliegend zu ihrer Mail fanden sich vier Profile von potenziellen Kandidatinnen. Ich studierte die Profile kurz und gab Frau Kolinek noch am späten Nachmittag meine Präferenzen durch. Nur wenige Minuten später traf schon die Antwort ein. Sie würde mit der bevorzugten Kandidatin Kontakt aufnehmen und sich so bald als möglich bei mir melden. Voraussichtlich würde sich auch dieser Vorgang, auch in Polen war ja Wochenende, frühestens zu Beginn der nächsten Woche weiterentwickeln.

Das Wochenende verlief wie erwartet. Ich fuhr täglich in das Krankenhaus, wobei ich versuchte, den Besuch so zu timen, dass ich Marianne motivieren konnte, möglichst viel vom Mittagessen zu sich zu nehmen und ihr für den Nachmittag noch ein Stück Kuchen als Aufgabe hinstellen konnte. Ansonsten tat sich nichts. Keine Behandlung, vom täglichen Fieber- und Blutdruckmessen und der Medikamenteneinnahme mal abgesehen. Schmerzen hatte Marianne keine, dafür sorgte schon die übliche und seit Jahren angewandte Schmerzmedikation gegen ihre Wirbelbrüche. Nur ihre Mobilität war nach wie vor schlichtweg nicht gegeben. Ja, ein Neurologe hatte sie zweimal untersucht und Medikamente verordnet, aber besser geworden schien mir ihr Zustand nicht. Im Gegenteil. Marianne war häufig apathisch und schlief fast ausnahmslos, selbstständig essen konnte sie wegen starkem Zittern nur schwerlich, an Gehen war gar nicht zu denken. Sie konnte sich noch nicht einmal im Bett aufrichten bzw. sich nach oben bewegen. Dabei mussten ihr die Schwestern helfen. Wenn ich da war, packte ich sie vorsichtig unter den Schultern und wuchtete sie nach oben. Was kein Problem war, da sie nur noch sehr wenig wog.

Montagmorgens, pünktlich um 10:00 Uhr, wie mit der Schwester am Freitag verabredet, rief ich im Stationsstützpunkt an. Ja, ich musste dafür die eigentlich wichtige Telefonkonferenz mit meinen Kollegen vorzeitig verlassen, aber man muss ja Prioritäten setzen. Nach ca. fünf Versuchen und mindestens ebenso vielen Minuten hob jemand ab. „Nein“, so die Antwort, „im Moment ist kein Arzt verfügbar. Die sind alle noch im OP. Versuchen Sie es doch später einfach nochmal.“ „Wann wäre denn ein sinnvolles später“, fragte ich sicherheitshalber nochmals nach. „Na, so gegen 10:30 Uhr müsste eigentlich jemand da sein.“ Also sich bedanken, verabschieden und zurück in die Telefonkonferenz. Sicherheitshalber wartete ich bis ca. 10:45 Uhr, dann verabschiedete ich mich wieder aus der Konferenz. Diesmal hatte ich Glück. Aber nur insofern, als dass ich beim ersten Versuch Anschluss bekam. Die Nachricht kam schneller, war aber nicht besser. „Nein, es ist kein Arzt erreichbar. Das ist aber auch nicht zu erwarten. Montags dauert es im OP üblicherweise immer länger. Versuchen Sie es doch nochmals um 11:30 Uhr.“ Um 11:30 Uhr sollte zumindest meine beruflich bedingte Telefonkonferenz beendet sein. Und glücklicherweise bekam ich bei dem erneuten Versuch seitens der am anderen Ende der Leitung sprechenden Schwester sogar mitgeteilt, dass sie versuchen würde, mich mit der Ärztin zu verbinden. Und das sogar erfolgreich, da sich kurz darauf Frau Dr. Maternus meldete. „Leider bin ich gerade im Gespräch“, teilte sie mir mit, aber sie würde mich gerne in einigen Minuten zurückrufen. „Ja, meine Nummer ist im Stationsstützpunkt hinterlegt“, antwortete ich ihr auf ihre Frage nach meiner Telefonnummer. Ob es drei oder vier Kunden oder Kollegen waren, die ich mit der Lüge „ich bin gerade im Gespräch, ruf aber später zurück“, konfrontierte, weil ich die Leitung für den Rückruf der Ärztin freihalten wollte, weiß ich nicht mehr so genau. Aber entscheidend war für mich seinerzeit, dass ich endlich eine Gelegenheit bekam, mit einem behandelnden Arzt über den wahrscheinlichen Entlassungstermins sprechen zu können. Nachdem ich mich nach ihrer Einschätzung hinsichtlich des Zustandes meiner Mutter erkundigt hatte, schilderte ich Frau Dr. Maternus das Problem bzgl. einer angemessenen Betreuung meiner Mutter nach ihrer Entlassung. Wir kamen überein, dass meine Mutter frühestens am Freitag entlassen werden sollte, damit ich noch Zeit oder zumindest eine Chance hatte, eine Betreuung zu organisieren. Zum Abschluss verabredeten wir einen erneuten Telefontermin für kommenden Mittwoch 11:30 Uhr.

 

Danach hatte ich die Gelegenheit noch ein wenig zu arbeiten, bevor es wieder zum Krankenhaus ging. Ach ja, vielleicht zur Einordnung ein paar Worte zu der beruflichen Situation von mir und meiner Frau. Wir arbeiten beide, wenn auch in unterschiedlichen IT-Firmen, als Projektmanager. Das bedeutet neben der Tatsache, dass eine 40-Stunden-Woche in der Regel bei weitem nicht ausreicht, auch viele feste regelmäßig wahrzunehmende Termine, sowie häufig unerwartet auftauchende Probleme, auf die möglichst verzögerungsfrei reagiert werden muss. Mobilität, also viele, auch kurzfristig erforderliche Dienstreisen gehörten eigentlich auch dazu. Also nahezu ideale Nebenbedingungen für die zusätzlich notwendige intensive Betreuung von hilfebedürftigen Angehörigen. Doch zurück zum Wesentlichen.

Der Zustand meiner Mutter war wenig erfreulich. Sie wirkte nach wie vor häufig apathisch, aß kaum und konnte sich kaum bewegen. Ich erkundigte mich bei einer Schwester, ob sie meine Besorgnis teilte und ob die Apathie meiner Mutter quasi ein Dauerzustand wäre. Im Wesentlichen bestätigte die Schwester meine Beobachtungen, verwies mich aber für nähere Auskünfte an die behandelnden Ärzte.

Wer waren denn eigentlich die behandelnden Ärzte? Frau Dr. Maternus hatte ich ja bereits persönlich kennengelernt. Dann hatte ich während der Visite am vergangenen Donnerstag Dr. Hansen und Dr. Andresen getroffen, die ich bereits von früher kannte. Doch dazu später mehr. Aber auf der Station gesehen, hatte ich sie seitdem nicht mehr. Und dann war da natürlich noch der Assistenzarzt, der die erste Infusion am Mittwoch verabreicht hatte. Einen Neurologen sollte es ja auch noch geben. Von ihm hatte ich bisher aber weder etwas gehört, noch ihn gesehen.

Ich blieb noch bis zum Abendessen im Krankenhaus, konnte meine Mutter aber nicht motivieren, nennenswerte Mengen zu essen. Die Brote hatte ich ihr belegt und in sehr kleine Stücke geschnitten. Doch sie zitterte stark und hatte Probleme die Bissen in den Mund zu führen. Zudem schien ihr das Kauen Schwierigkeiten zu machen. Meine Vermutung war, dass ihr Gebiss als Folge des Gewichtsverlustes nicht mehr passte. Also konzentrierten wir uns auf die rindenfreien Innenstücke der Brote. Aber viel erreichten wir nicht.

Am Abend, wieder zu Hause, hatte ich Nachricht von Frau Kolinek. Gespannt öffnete ich ihre Mail. Die von uns favorisierte Pflegerin könnte, so ihre Nachricht, erst in ca. 10 Tagen beginnen, aber die von uns als zweitbeste Lösung eingeschätzte Dame könnte gegen Ende der Woche beginnen. Ich antwortete sofort und bat Frau Kolinek mit Dame Nummer zwei eine Arbeitsaufnahme zum nächsten Wochenende zu verabreden.

Als ich am Dienstag im Krankenhaus eintraf und die Schwestern im Stationsstützpunkt begrüßte, wurde mir mitgeteilt, ich sollte Kontakt mit dem Sozialdienst des Krankenhauses aufnehmen. Auf Nachfrage nannte man mir die Telefonnummer. Der Zustand meiner Mutter hatte sich nicht gebessert. Das sah man auf den ersten Blick. Sie konnte immer noch nicht alleine aufstehen.

Ich verbrachte einige Zeit lesend auf dem Krankenzimmer, immer wieder unterbrochen von Versuchen, den Sozialen Dienst telefonisch zu erreichen. Zwar hatte ich bereits beim zweiten Mal eine Bitte um Rückruf auf dem Band hinterlassen, aber ich wollte nichts unversucht lassen. Nach einiger Zeit signalisierte meine Mutter mir, dass sie zur Toilette müsste. Ich betätigte den Schwesternruf und wartete. Nachdem sich ca. 15 Minuten später noch immer nichts bewegt hatte, ging ich zum Stationsstützpunkt. Die dort anwesenden Pflegerinnen waren einerseits mit dem Vorbereiten von Medikamenten und andererseits mit Arbeiten am Computer beschäftigt. Ich entschuldigte mich und wies auf das Problem meiner Mutter hin und bat um Unterstützung. Als ich erwähnte, dass ein längeres Warten das Problem und den Arbeitsaufwand ja nicht kleiner machen würden, entgegnete die am Computer arbeitende Schwester gelassen, dass es nicht eilig sei, da meine Mutter ja bereits Windeln tragen würde.

Weil offenbar in der Vergangenheit ein- oder zweimal die Zeit vom Betätigen der Notfallklingel bis zum Erreichen der Toilette nicht gereicht hatte, hatte man meiner Mutter vorsorglich Windeln angezogen. Das konnte ich einerseits nachvollziehen, weil es unnötig Aufwand bzw. Kosten verursacht, ein Krankenbett außerplanmäßig neu zu beziehen. Andererseits war es ja nicht so, dass Marianne ihre Ausscheidungen nicht beherrschen konnte und sich zu spät meldete. Ich kann auch die Belastung und Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte nur durch punktuelle Beobachtungen einschätzen. Es ist ja auch gar kein Drama, wenn es mal nicht mehr zur Toilette reicht. Aber das Rufsignal ermöglicht ja keine differenzierten Signale. Und es mag ja Vorkommnisse geben, bei denen es zu spät ist, wenn die Reaktion des Pflegepersonals erst 20 Minuten nach dem Signal erfolgt. In nahezu allen Lebensbereichen gibt es für Reaktionszeiten Standards bzw. Richtwerte. Gibt es die eigentlich auch im Krankenhaus, wo es durchaus um Menschenleben gehen kann?

Die Zeit, die eine dann doch noch zur Hilfe geeilte Schwester benötigte, um meiner Mutter zu helfen, wollte ich nutzen, um den Sozialdienst aufzusuchen. Da ein Rückruf bis dato nicht erfolgt war, ging ich in das Büro im Erdgeschoss. Den Standort kannte ich bereits, denn wenn man zur Cafeteria ging, kam man an der Eingangstür des Sozialdienstbüros vorbei. Obwohl ich auf mein Anklopfen keine Antwort erhielt, drückte ich die Türklinke hinunter, öffnete die Tür ein wenig und schob meinen Oberkörper hinein. „Guten Tag“, begrüßte ich die junge Dame am Schreibtisch und betrat das Zimmer. „Entschuldigen Sie die Störung“, fuhr ich fort und stellte mich und mein Anliegen vor. „Ach gut, dass Sie kommen“, entgegnete die Dame. „Ich wollte Sie gerade zurückrufen.“ Ich denke, sie wollte mir mitteilen, was sie mir nun vis-a-vis berichtete: Für den meine Mutter betreffenden Vorgang wäre ihre Kollegin, die im Moment nicht im Haus sei, zuständig. Sie käme aber um 13:30 Uhr wieder zurück. Ihre Frage, ob ich denn dann noch im Hause wäre, bejahte ich nach einigem Zögern. So lange wollte ich eigentlich nicht bleiben, aber jetzt war es bereits nach 12:00 Uhr und auf die Stunde mehr kam es nun auch nicht mehr an. Trotzdem es ein Dienstag und für mich eigentlich ein Arbeitstag war. „Prima, ich sage meiner Kollegin Bescheid. Es kann allerdings ein paar Minuten später werden, denn sie kommt ja erst um 13:30 Uhr an und braucht dann sicher noch ein paar Minuten zur Kommunikation und für den Weg“. Aber es kam ja letztlich nicht mehr darauf an.

Zurück im Krankenzimmer unterstützte ich Marianne wie gewohnt beim Mittagessen, mit dem üblichen Ergebnis. Viel Aufwand, wenig Erfolg. Blieb nur auf das Stück Kuchen zu vertrauen, das ich ihr im Anschluss an den Besuch im Büro des Sozialdienstes noch aus der Cafeteria mitgebracht hatte. Annähernd pünktlich, kurz vor 14:00 Uhr betrat die Angestellte des Sozialen Dienstes das Zimmer. Nachdem wir uns gegenseitig vorgestellt hatten, wollte sie mich mit den wesentlichen Informationen rund um die Pflege von Angehörigen versorgen. Den Versuch unterband ich sehr schnell, indem ich mich bedankte, gleichzeitig aber darauf hinwies, dass ich mich nunmehr bereits seit mehr als fünf Jahren um Marianne kümmerte, auch eine Pflegestufe bereits vorhanden sei und dies, nach meiner Erinnerung, Mariannes vierter Krankenhausaufenthalt binnen eines Jahres war. Doch auch dazu später mehr.

„Oh, dann ich Ihnen ja gar nicht helfen“, entgegnete die Dame und wollte schon gehen. „Eine Sache wäre da noch“, entgegnete ich. „So immobil wie im Moment war meine Mutter zu Hause nicht.“ Derzeit würde sie ja offenbar von den Schwestern mithilfe eines fahrbaren Toilettenstuhles in das Bad transportiert. Wenn denn dieser nicht zweckgemäß direkt benutzt würde. Eine solche Transportmöglichkeit hatte meine Mutter, bei allem was bereits vorhanden war (und von dem später natürlich auch berichtet werden wird) noch nicht. Ob sie mir sagen könne, was zu tun wäre, damit ich für meine Mutter rechtzeitig vor ihrer Entlassung ein derartiges Hilfsmittel besorgen könnte. Zudem wäre es hilfreich, für den Fall der Fälle auch Inkontinenzmaterial, also Windeln und Betteinlagen verfügbar zu haben. Die Dame teilte mir mit, dass der Toilettenstuhl durch einen Arzt des Krankenhauses verordnet werden könnte, das Verbrauchsmaterial für die Inkontinenz dürfte das Krankenhaus allerdings nicht verordnen. Dazu müsste ich mich an den Hausarzt wenden. Sie versprach, die entsprechende Verordnung für den Toilettenstuhl vorzubereiten und durch den Stationsarzt abzeichnen zu lassen. Dann verabschiedete sie sich.

Als ich das Krankenhaus verließ, eine Tüte voll benutzter Wäsche im Gepäck, war es 14:30 Uhr. In puncto Arbeitstag war festzustellen: „Der war eigentlich gelaufen.“

Zurück zu Hause, mittlerweile 16:00 Uhr, füllte und startete ich die Waschmaschine. Dann kümmerte ich mich um meine Mails. Erfreulicherweise war auch eine Mail von Frau Kolinek darunter. Sie brachte die erhoffte Bestätigung, dass die gewünschte Pflegerin verfügbar sei und am Samstag anreisen könne. Noch bevor ich mich richtig freuen konnte, klingelte das Telefon. Frau Kolinek hatte schlechte Nachrichten. Die noch soeben zugesagte Pflegerin konnte nun doch nicht kommen. Ihre Mutter hätte sich das Bein gebrochen und die Dame müsste sich nun um ihre eigene Mutter kümmern. Wir müssten von vorne anfangen. Ich würde noch am Abend neue Vorschläge erhalten. Ach ja, zumindest die Waschmaschine lief problemlos durch.

Gegen 19:00 Uhr waren die neuen Vorschläge da. Ich entschied mich schnell. Es war Dienstagabend und wir brauchten die Unterstützung ja schon am Samstag. Insofern hatte Frau Kolinek bereits um 19:30 Uhr meine neuen Präferenzen.

Am späten Mittwochvormittag rief ich von meiner Arbeitsstätte zur vereinbarten Zeit bei Frau Dr. Maternus an. Ich erreichte sie bereits im zweiten Versuch. Sie bestätigte, dass sie seitens der Kolleginnen vom Sozialdienst eine Verordnung bekommen und diese abgezeichnet hatte. In Bezug auf den Gesundheitszustand meiner Mutter gäbe es keine wesentlichen Neuigkeiten. Der Arm verheile gut und voraussichtlich könnten Donnerstag bzw. Freitag die Klammern entfernt werden. Damit wäre die chirurgische Behandlung beendet. Wir einigten uns auf den Samstag als Entlassungstermin und beendeten das Gespräch. Am späten Nachmittag machte ich dann noch den obligatorischen Krankenhausbesuch und fuhr dann nach Hause. Und wirklich. Eine Mail von Frau Kolinek mit der guten Nachricht, dass Frau Zofia am Samstag anreisen würde. Sie hatte bereits eine Fahrkarte gekauft und würde am Samstag gegen 10:00 Uhr am Bahnhof in Bochum ankommen. Ich sollte ihr noch Bescheid geben, ob ich die Pflegerin dort abholen könne oder sie mit dem Taxi zur Wohnung meiner Mutter anreisen solle. Die Antwortmail enthielt neben meinem Dank die Entscheidung: „Ich hole sie ab.“

Am Donnerstag hatte eigentlich die Beschaffung des Toilettenstuhls Priorität. Dazu musste ein Termin für die Anlieferung vereinbart werden. Also rief ich bei der Firma Teich, einem größeren in unserer Gegend beheimateten Sanitätshaus, an und fragte, ob die Verordnung bereits vorläge. Nein, eine derartige Verordnung lag dem Sanitätshaus noch nicht vor. Wer selbige ausgestellt hatte, wollte die mich bedienende Dame wissen. Das Krankenhaus in Wattenscheid. Nein, wenn das Krankenhaus eine derartige Verordnung ausgestellt hätte, müsste sie auch schon vorliegen. Ein Mitarbeiter des Sanitätshauses fahre jeden Nachmittag das Krankenhaus an und nehme die vorhandenen Verordnungen mit. Man würde der Sache nochmals unverzüglich nachgehen, aber viel Hoffnung bestünde nicht.

Ich rief beim Sozialdienst an. Das Übliche. Der Anrufbeantworter. Nach wiederholten Versuchen ohne Rückruf setzte ich mich sicherheitshalber in mein Auto und fuhr in das Krankenhaus. Notfalls könnte ich dann wieder persönlich beim Sozialen Dienst vorsprechen. Und ich wollte ja sowieso noch in der Praxis des Hausarztes meiner Mutter vorbeischauen und das Inkontinenzmaterial verschreiben lassen. Als ich, auf dem Weg zu Fuß in das Krankenhaus, an der Praxis des Hausarztes vorbeikam, traf ich vor der Tür zwei seiner Sprechstundenhilfen. „Ah, welch ein Glück, dass ich Sie hier antreffe“, eröffnete ich das Gespräch. „Das erspart mir ja gegebenenfalls einen Besuch am Nachmittag.“ Die ältere der beiden Sprechstundenhilfen wies mich bestimmt darauf hin, dass sie und ihre Kollegin schon Mittagspause hätten. Wenn ich was wolle, solle ich am Nachmittag in die Praxis kommen. „Nun, ich müsste tagsüber eigentlich auch arbeiten, statt mich von einer Instanz des Gesundheitswesens zur nächsten zu schleppen“, entgegnete ich. „Und ich bitte ja nicht um viel, sondern nur, dass Sie Dr. Fischer eine Nachricht übermitteln.“ „Ja, und was denn?“, blaffte die Dame zurück. Ich betrachtete dies trotzdem als Aufforderung und fasste mich kurz. „Meine Mutter wird am Samstag aus dem Krankenhaus entlassen und bräuchte einen Toilettenstuhl und Verbrauchsmaterial für Inkontinenz.

 

Den Toilettenstuhl hat das Krankenhaus auch schon verordnet. Das Verbrauchsmaterial dürfen sie dort nicht verordnen. Dafür soll ich mich an den Hausarzt wenden, was ich hiermit tue.“

„Ihre Mutter wird am Samstag entlassen?“, fragte mich die Assistentin. Ich nickte. „Und sie ist derzeit noch im Krankenhaus?“, setzte sie nach. Ich bejahte. „Na, dann ist die Angelegenheit einfach“, entgegnete sie. „Solange ihre Mutter noch im Krankenhaus ist, darf der Hausarzt nichts verschreiben.“

Ich staunte nicht schlecht und deutlich. Und die Damen bemerkten das auch. „Da kann man nichts machen. So ist das geregelt“, schloss die Sprecherin und wir gingen getrennte Wege. Ich beschloss, es später trotzdem noch mit einem Telefonat mit dem Hausarzt zu versuchen.

Im Krankenhaus ging ich zunächst zu dem sich im Erdgeschoss befindlichen Büro des Sozialdienstes. Ich hatte wieder Pech. Auf das Klopfen reagierte niemand und die Tür war abgeschlossen. Also dann zuerst Richtung Krankenzimmer, zu Marianne. Ihr Zustand war erschreckend. Wenn sie nicht apathisch dalag, zitterte sie extrem stark. Zudem schien sie zeitweise desorientiert. Sie war nicht in der Lage, einen Bissen oder ein Getränk und sei es auch aus der Schnabeltasse in den Mund zu bekommen. Sie konnte weder die Fernbedienung des Fernsehers noch ein Telefon bedienen. Mag sein, dass chirurgisch alles in Ordnung war, neurologisch auf keinen Fall. Sofort begab ich mich in das Stationszimmer und fragte die dort anwesende Schwester, ob ein Arzt anwesend sei. Als sie dies verneinte, fragte ich sie, ob sie meine Mutter an diesem Tag schon gesehen bzw. unterstützt hatte. Als sie dies bejahte, schilderte ich ihr meinen Eindruck und bat sie um eine Einschätzung. Sie bestätigte meine Meinung, dass der neurologische Zustand der Patientin schlecht schien.

Meine Frage nach dem behandelnden Neurologen konnte sie nicht beantworten, stattdessen empfahl sie mir, doch einfach mal in die Neurologie zu gehen. Sofort machte ich mich auf den Weg, hetzte die Treppen herunter, lief über den langen Gang, diesmal das Büro des Sozialen Dienstes ignorierend, vorbei an der Cafeteria und hinein in den Empfang der neurologischen Ambulanz. Ungeduldig wartete ich, bis die Sekretärin die drei vor mir wartenden Patienten abgearbeitet hatte. Eine Viertelstunde nach meinem Eintreffen hatte ich mein Anliegen vorgebracht, aber nur um zu erfahren, dass die Ambulanz für stationäre Patienten nicht zuständig sei und ich mich an das Büro des Chefarztes der Neurologie wenden solle. Bedanken, kehrtmachen und den Flur hinunter in das Büro von Dr. Kloos. Auch der dort arbeitenden Sekretärin schilderte ich die Lage. Dr. Kloos sei derzeit nicht im Büro, sie werde ihn aber informieren und man würde sich bei mir melden.

Zurück auf der Station lief mir glücklicherweise Frau Dr. Maternus in die Arme. Ich sprach sie sofort auf meine Mutter und deren Verfassung an, worauf sie mich in das Krankenzimmer begleitete. Sie sprach meine Mutter an, bekam aber wenig Feedback. Daraufhin bat sie mich, ihr auf den Flur zu folgen. Vor der Tür sagte ich ihr, dass ich zwar kein Arzt und schon gar kein Neurologe sei, mir aber nicht vorstellen könne, dass man sie in diesem Zustand entlassen könnte. Frau Dr. Maternus bestätigte meinen Eindruck, bemerkte aber einschränkend, dass auch sie keine Neurologin sei, sich aber mit den Kollegen kurzschließen würde. Sie verschwand in einem Arztzimmer. Ich blieb allein auf dem Gang zurück. Etwa 15 Minuten später ging die Tür des Arztzimmers auf, Frau Dr. Maternus kam heraus und teilte mir mit, dass sie mit Dr. Kloos telefoniert hatte. Man hatte beschlossen, meine Mutter stationär in der Neurologie aufzunehmen.

Ich bedankte mich und überbrachte meiner Mutter die für sie sicher schlechte Nachricht, dass sich ihr Aufenthalt im Krankenhaus noch um einige Tage verlängern würde. Kaum hatte ich das Zimmer betreten, klingelte mein Handy. Der Rückruf des Sozialen Dienstes. Nein, man könne sich nicht erklären, weshalb die Verordnung bei Teich nicht vorlag. Der Vorgang wurde ordnungsgemäß zu Ende bearbeitet und die unterzeichnete Verordnung in den Ausgang für derartige Vorgänge gelegt. Der Ausgang war am heutigen Morgen leer. Ich bat die Dame trotzdem, bitte nochmals selbst bei Teich anzurufen und den Fall direkt mit dem Sanitätshaus zu besprechen. Nachdem ich meine Mutter informiert und anschließend beruhigt hatte, ging ich in ihre Wohnung, um ein neues Problem zu lösen. Die polnische Pflegekraft musste umdisponiert werden. Keine Ahnung, wann sie denn nun sinnvollerweise kommen sollte, am kommenden Samstag aber sicher nicht. Den in der Wohnung meiner Mutter vorhandenen WLAN-Anschluss nutzend, informierte ich Frau Kolinek per Mail. Ergänzend bat ich sie um einen kurzfristigen Anruf. Schon kurz darauf klingelte das Telefon. Aber es war nicht Frau Kolinek die anrief, sondern die Firma Teich, die mir mitteilte, dass alles geklärt wäre. Ich teilte der Mitarbeiterin mit, dass ich innerhalb der nächsten Stunde vorbeischauen würde, um den Liefertermin zu klären. Ich wollte ja sowieso noch Inkontinenzmaterial kaufen, um die ersten Tage nach der Entlassung meiner Mutter bis zur Verschreibung durch den Arzt und die Lieferung durch das Sanitätshaus Teich zu überbrücken. Bis zum Standort der Firma waren es, wenn man nicht gerade in der „rush hour“ unterwegs war, nur ca. zehn Minuten mit dem Auto.

Bei Teich eingetroffen ging ich an den Serviceschalter, wo sich nach kurzer Wartezeit ein freundlicher junger Mann meiner Anliegen annahm. Nachdem ich den Namen und das Geburtsdatum meiner Mutter angegeben hatte und der Servicemitarbeiter diese in den hinter dem Schalter befindlichen Computer eingegeben hatte, war er auf Ballhöhe. Die Irritationen um die Verordnung des Toilettenstuhls hatten sich geklärt. Nein, was da schiefgelaufen war, könne er an den Daten nicht erkennen, aber das war nun auch nebensächlich. Eine weitere gute Nachricht: Der Toilettenstuhl war auf Lager und könnte, wenn die hauseigene Spedition nicht unerwartet Protest anmeldete, noch diese Woche, also morgen geliefert werden. Ich würde noch im Laufe des Nachmittags einen Anruf seitens der Spedition bekommen, in dem man mir entweder mitteilen würde, dass es doch nicht klappt, was allerdings nicht zu erwarten stand oder man mich über den genauen Termin der Anlieferung informieren würde. Inkontinenzmaterial könnte ich natürlich käuflich erwerben.

„Was brauchen Sie denn?“, fragte der Servicemitarbeiter. „Windelhöschen und Bettauflagen“, antwortete ich. „Welche Größe?“, fragte der Servicemitarbeiter. Meine Hoffnung, dass sich die Frage auf die Größe des Bettes wegen der Auflage bezog, war spätestens zerstört, als er in einem Nebenraum, in den wir mittlerweile spaziert waren, das Sortiment an Windelhöschen vor mir ausbreitete. Ich entschied mich für Größe M. Besser etwas zu groß und nur bedingt funktionierend als zu klein und völlig unbrauchbar dachte ich. „Wie viel Material brauchen Sie?“, fragte der Mitarbeiter. „Ich muss ein bis zwei Wochen überbrücken“, antwortete ich. Er nahm ein Paket mit 12 Windelhöschen aus dem Regal und legte dann noch sicherheitshalber gratis zwei Höschen mit Größe S obendrauf. Für den Fall das M zu groß wäre. „Die zu großen passen zwar, helfen aber nicht wirklich, da dann viel daneben läuft“, erklärte er. Zurück am Schalter zahlte ich in etwa 20 EUR und verließ mit einem Packen von Inkontinenzmaterial unter dem Arm das Gebäude.