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Kunst und Künstler Almanach 1909

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ERINNERUNGEN AN KARL STEFFECK
VON
MAX LIEBERMANN

Ich kam als Sekundaner zu Steffeck, 1863 oder 64, um Mittwoch und Sonnabend Nachmittags bei ihm zu zeichnen. Nachdem ich 1866 das Abiturientenexamen gemacht hatte, trat ich in sein Schüleratelier ein, um Maler zu werden. Möglich also, dass mir Steffecks Bild als zu „verklärt“ in der Erinnerung geblieben ist, im Licht der goldenen Jugendzeit. Steffeck erscheint mir wie „der grosse Künstler“ in Romanen: schön, geistreich, witzig, unter dessen Pinsel mühe- und sorglos, bei anmutigem Getändel mit schönen Damen und klugen Reden mit vornehmen Herren, Meisterwerke entstehen.

Steffeck bewohnte in seinem Hause Hollmannstrasse 17 – er war aus begüterter Familie – das Erdgeschoss; in den anstossenden Garten hatte er zwei Ateliers bauen lassen für sich und seine Schüler. Die Hochschule für bildende Kunst, die damals Akademie hiess, war sehr versumpft und erfreute sich keines besonderen Renommés. Desto mehr Zuspruch hatte Steffeck, dessen Schule nach Pariser Vorbild – dem einzig nachahmenswerten – eingerichtet war: Vormittags von 9-1 Uhr wurde nach dem lebenden Modell gearbeitet, nachmittags nach Gips gezeichnet und abends von 6-8 Uhr war Aktsaal, wo neben uns angehenden Malern Architekten wie Kayser und von Grossheim, Kunsthistoriker wie Wilhelm Bode die menschliche Figur studierten. Oft zeichnete Steffeck selbst mit, und es war eine Freude, zu sehen, mit welcher Sicherheit und Leichtigkeit er das Modell hinunterfegte, fast ohne den Bleistift abzusetzen. Korrekturen gab's bei ihm nicht, wie bei seinem Meister Gottfried Schadow, von dem Steffeck oft die niedliche Geschichte erzählte, dass, als sein Sohn Wilhelm, der spätere Akademiedirektor in Düsseldorf, ihn um einen Groschen für Gummi gebeten, er ihn gefragt hätte, wozu er Gummi gebrauchte, er, Gottfried Schadow, mache keinen falschen Strich, den er wegzuwischen hätte.

Nach seinem allmorgendlichen Spazierritte, so gegen 10 Uhr, kam Steffeck ins Schüleratelier, gewöhnlich noch in Reithosen und mit Sporen an den Stiefeln; im Munde die Zigarre, die er in einem fort ausgehen liess, um sie ebenso oft wieder in Brand zu stecken. Er interessierte sich nur für die Arbeiten, in denen er etwas in der Natur Beobachtetes wiedergegeben fand. Routine und Chick waren ihm ein Greuel, ebenso wie die gewerbsmässige Kalligraphie, wie sie damals auf den Akademien gelehrt wurde. Ueberhaupt wurde er nicht müde, vor diesen Pflanzstätten des Künstlerproletariats zu warnen: „Entweder hat einer genügend Talent, dann braucht er den akademischen Unterricht nicht, oder er hat nicht genügend Talent, dann nützt er ihm nichts.“ Richtig zeichnen lernen, das Uebrige war ihm Hekuba.

„Zeichnet, was Ihr seht“, war seine immer wiederholte und beinahe einzige Lehre. Mit sonstiger Aesthetik behelligte er uns nicht, denn er wusste, dass alles Lernen in der Kunst in nichts anderem bestehen kann, als die Form zu finden, das Gesehene wiederzugeben.

Daher hatte er nur Schüler, die ihn grenzenlos verehrten, oder solche, die ihn ebenso grenzenlos hassten und – bald weiterzogen, besonders nach München, wo Piloty den Nürnberger Trichter zu haben schien, d. h. in ein paar Monaten hatten ihm seine Schüler, die vornehmlich Polen, Tiroler, Böhmen waren, sämtliche Mal-Tricks und Schlenker abgeguckt, und nacheinander gab's eine berühmte tiroler, eine polnische und böhmische Malergeneration. Neben dem vielen G'schnass und dem talentvollen Kitsch trat damals gerade ein wirkliches Genie wie Makart auf, und ich erinnere mich noch des beispiellosen Erfolges seiner Pest von Florenz. Steffeck sagte von dem Bilde: es ist schlecht gezeichnet und mit Hurensalbe lasiert. Und wenn er das Wort nicht erfunden hatte, so hätte er's jedenfalls erfunden haben können.

Er war ein zu getreuer Schüler Schadows und seines vergötterten Lehrers Franz Krüger, dazu Berliner bis auf die Knochen, um sich irgendwelcher Gefühlsduselei in Form oder Farbe hinzugeben. Für das französische Blut in ihm – er gehörte zur Kolonie – war nur der Gedanke, der klar ausgedrückt war, klar gedacht. Auf Klarheit und Richtigkeit war sein Streben in der Kunst gerichtet, wobei er leider, ohne es zu merken, in allzu grosse Nüchternheit und Trockenheit verfiel. Die Franzosen schienen ihm seinem Kunstideale am nächsten zu kommen: er hatte ein paar Jahre in Paris studiert, er sprach glänzend französisch und wurde nicht müde, Paris als das Dorado der Kunst uns zu schildern. Seit Napoleon III. herrschte Couture als französischer Malerkaiser, und jeder Maler, der sich einigermassen respektierte, suchte sich dessen Rezept für die alleinseligmachende Malerei zu verschaffen. Der alte Ravené hatte den berühmten Edelknaben von Couture für seine Galerie erworben, und es ist wohl nicht zu viel gesagt, wenn ich behaupte, dass er bis zum französischen Krieg als schönstes Stück Malerei bei uns angesehen wurde.

Auch Steffeck lehrte nach Coutures Methode: die Zeichnung wurde zuerst mit einem dünnen Umbraton angetuscht, dann wurden die Lokaltöne in die braune Untermalung hineingesetzt, die Schatten blieben womöglich von der Untermalung, jedenfalls ganz dünn und transparent, stehen, und zum Schluss wurden ein paar pastose Glanzlichter aufgesetzt. Neben der Korrektheit der Zeichnung handelte es sich für Steffeck um Eleganz des Vortrages. Wo diese beiden Eigenschaften einem höheren, gesteigerten Leben geopfert waren, wie bei Menzel, war's aus mit seiner Anerkennung. Ueberhaupt hatte er eine ausgesprochene Abneigung gegen Menzel, vor dessen „Karikaturen“ er uns eindringlich warnte.

Freilich stand Steffeck damals mit dieser seiner Abneigung gegen Menzel durchaus nicht vereinzelt da. Dieser war noch der Apostel des Hässlichen, wie ihn W. v. Kaulbach genannt hatte, und noch längst nicht der „Altmeister mit dem Schwarzen Adlerorden“.

Man weiss, wie Schadow über Menzels erste Illustrationen zu Kuglers Friedrich dem Grossen in der Haude und Spenerschen Zeitung geurteilt hatte: „Die Kritzeleien oder Griffonagen eines gewissen Menzel seien des grossen Königs unwürdig“, und noch 1861 erwähnt Wagen in seinem Katalog zu der Wagnerschen Sammlung, Menzels, von dem kein Bild in der Sammlung war, überhaupt nicht. Bis vor dem französischen Kriege waren neben Steffeck der alte Eduard Meyerheim, Gustav Richter, Eduard Hildebrandt und Carl Becker viel berühmter als Menzel, und Steffecks Urteil über ihn erhellt aus folgender Geschichte, die mir mein damaliger Meister öfters als einmal erzählte (denn er war sehr stolz darauf). Menzels Krönungsbild war gerade ausgestellt und war sehr abfällig beurteilt, besonders von Steffeck. Menzel, dem das zu Ohren gekommen sein mochte, hatte sich an Steffeck brieflich mit der Bitte gewandt, wenigstens vor dem Publikum sein ungünstiges Urteil über das Bild etwas zurückzuhalten, worauf ihm Steffeck geschrieben, dass er sich der grössten Mässigung befleissigt hätte, sonst hätte er erklärt, dass das Krönungsbild aussähe, als ob 14 Tage – S…dreck darauf geregnet hätte. Menzels Genie war seiner Zeit um eine Generation voraus, deshalb war unserem Meister, der trotz seines Talentes ganz in seiner Zeit steckte, Menzel zuwider, wie diesem dreißig Jahre später etwa die Impressionisten zuwider waren.

Steffeck war Vater von 14 Kindern, und während der zweieinhalb Jahre, die ich sein Schüler war, hatte ihm seine Gattin drei Zwillingspaare hintereinander „geschenkt“; trotzdem glaube ich nicht, dass die Sorge um seine grosse Familie ihn – wie er oft im Missmut behauptete – an der vollen Entfaltung seines Talentes gehindert hat. Sein kolossales Jugendwerk „Albrecht Achill“, das er als Dreissigjähriger gemalt, hatte sein Renommee gegründet; 20 Jahre später malte er das fast ebenso grosse Bild, das jetzt im Schlosse hängt: „König Wilhelm nach der Schlacht von Königgrätz“, leider ohne den erhofften Erfolg. Das grosse Format lässt die Fehler oder richtiger das Fehlende in Steffecks Talent natürlich vergrössert erscheinen. Ihm fehlte die innere Leidenschaft, der Kampf und das Ringen nach dem Höchsten, die Konzentration, vor allem aber der künstlerische Egoismus, der alles seinem Werke opfert. Weil sein Werk ihn nicht mit sich fortreisst, reisst er auch uns nicht mit sich, wie z. B. Schmitson, der gerade damals, Anfang der sechziger Jahre, Berlin enthusiasmierte. Besser als in den grossen Maschinen, wie „Albrecht Achill“ oder „Die Schlacht von Königgrätz“, erscheint daher Steffecks Talent in den unzähligen Pferde- und Hundebildern kleineren Formats; am schönsten aber in seinen Pferde- und Reiterporträts, die er zu sechs Friedrichsd'or das Stück und gewöhnlich à la prima in einer Sitzung heruntermalte – auch darin, dass er nur prima malte, zeigte sich sein gesunder Instinkt – und die die glücklichen Besitzer oft noch nass mit nach Hause nehmen konnten. Ausser Franz Krüger verstand wohl keiner ein Pferd so gut wie Steffeck. Bevor er den Gaul malte, liess er ihn sich in dem kleinen Garten hinter seinem Atelier vorreiten – ach! wie oft und wie gern habe ich's gethan – um seine Gangart kennen zu lernen. Mit wunderbarer Sicherheit und mit photographischer Treue wusste er sie nachher wiederzugeben. Er hatte eine Steeplechase gemalt, wie ein Gaul, alle vier Beine unterm Leib, über eine Hürde setzte, und die Kritik hatte ihn wegen der allerdings höchst ungewöhnlichen und gewagten Stellung der vier Pferdebeine, als unmöglich in der Natur, heftig angegriffen. Eines Tages zeigte er uns triumphierend eine Momentphotographie, die inzwischen erfunden worden war und woraus deutlich hervorging, dass er ganz richtig die Stellung der Pferdebeine wiedergegeben hatte. Und nur jemand, der sich mit ähnlichen Problemen beschäftigt hat, weiss, was es heisst, derartige Bewegungen zu beobachten und richtig wiederzugeben. Sein Sinn für Zeichnung war eminent: wie jedes wahrhaft künstlerische Zeichnen, beruhte er auf dem Gefühl für richtig und gross gesehene Verhältnisse. Ich entsinne mich noch eines seiner Skizzenbücher mit Studien zu einer Parforcejagd, die er für den Grossherzog von Mecklenburg malen sollte; oft nur Andeutungen, der Kopf in Form eines Ovals und mit ein paar Strichen für Augen, Nase und Mund, aber die Proportionen waren so richtig, dass man aus den wenigen Strichen die dargestellten Personen erkennen konnte.

 

Doch, wie gesagt, Steffeck war nicht nur Berufsmensch und Familienvater: er war auch Genussmensch. Er interessierte sich für alles, für Politik, für alles, was in der Welt, d. h. in Berlin, passierte. Er sass in unzähligen Kommissionen und er war wohl durch 20 Jahre Präsident des Vereins Berliner Künstler. Nicht nur Präsident, sondern dessen Seele: er hatte es verstanden, durch Heranziehen von führenden Männern aus andern Berufen aus dem Verein den geselligen Mittelpunkt Berlins zu machen. Ich glaube, dass er Präsident des Vereins blieb bis zu seinem Weggange nach Königsberg, wo er Direktor der dortigen Akademie wurde. Jetzt ist aus dem Verein, der ursprünglich nur gesellige und wohlthätige Zwecke verfolgte, weder zu seinem Vorteile, noch zu dem seiner Mitglieder ein kunstpolitischer geworden: nachdem er die Mitwirkung an den grossen Kunstausstellungen erlangt hat, wird er versuchen, auch Juryfreiheit für die Mitglieder des Vereins herauszuschlagen. Und es liegt auf der Hand, dass dadurch das Niveau der Kunst in Berlin unendlich leiden muss.

Ich sah Steffeck zum letzten Male im Jahre 1886, als er von Königsberg auf der Durchreise nach Karlsbad sich ein paar Tage hier aufhielt; er war ein Greis geworden, der, von Rheumatismus geplagt, sich nur mühsam, auf den Stock sich stützend, fortbewegen konnte, und wenige Jahre darauf, 1890, ist er gestorben.

Es wäre lächerlich, von Steffeck in Superlativen zu reden: er selbst – denn er war wie Th. Fontane, mit dem er auch sonst manche Aehnlichkeit hat, ein Cyniker, und zwar von der Sorte, der sentimentale Phrasen und feierliche Redensarten am ekelhaftesten sind – würde am lautesten darüber lachen. Aber er war ein ganzer Mensch und ein echter Künstler, der sein Handwerk ehrte, und darum sollte auch ihn das Handwerk ehren.

Seine Kunst und sein Leben waren ausgeglichen und in Harmonie, daher die Liebenswürdigkeit, die beides umstrahlt.

Ich aber wollte der Liebe und Verehrung, die ich ihm übers Grab hinaus bewahrt habe und bewahren werde, Ausdruck geben: Nehmt alles nur zusammen, Steffeck war ein famoser Kerl.

ARISTIDE MAILLOL
VON
MAURICE DENIS

I. Die Begabung für das Klassische

Es gereicht der französischen Skulptur zur besonderen Ehre, dass die Kunst Aristide Maillols ihre Blüte und ihren Erfolg zur gleichen Zeit feiert, in der der ungeheure Ruhm von Rodin uns noch mit seinem ganzen Zauber beherrscht. Rodin hat uns aufgezwungen das Gefühl für seine schneidende Art, für seinen Geschmack an dogmatischer Schönheit an Charakter und Ausdruck, hauptsächlich an seinem Stil, der ganz nur ihm eigentümlich ist, der feurig und kompliziert, leidenschaftlich ist, der zum Fremdartigen neigt und der, was dies Alles besagt, durchtränkt ist von Romantik. Er wird auf unsere Epoche einen ähnlichen Einfluss haben wie Richard Wagner: er ist das Haupt der modernen Schule, alle Neuerer werden aus ihm hervorgehen. – Und nun entdeckt uns ein neuer Meister ein anderes Ideal, andere Schönheiten, deren naive Sinnlichkeit, Einfachheit und Vornehmheit ohne Pose wieder mehr den Geschmack für das Klassische hervorheben und den Reiz eines frischen und kristallklaren Wassers haben.

Seine Kunst ist eine vornehmlich synthetische Kunst. Ohne durch irgend eine Theorie dahin geführt zu werden, nur durch seinen eigensten Instinkt, hat er an der neoklassischen Bewegung teilgenommen, deren Ursprung man bei Cézanne und Gauguin suchen muss. Die Terrakotten und die Holzschnitzereien des Meisters von Tahiti, ebenso wie die Kartons zu Gobelins von Emile Bernard sind nicht ohne Einfluss auf seine Entwicklung gewesen. Die Kunstleistungen der Synthetischen, die sich gegen den eklektischen Realismus der Akademien empörten, haben in Maillol, der ein Schüler von Cabanel war, seine wahrhafte Natur erweckt.

Aber während wir jene Einfachheit, jenen grossen Stil nur in Paradoxen suchten und nur unter grössten Opfern fanden, entdeckte ihn Maillol in sich selbst, fast mühelos. Er verstand es, die kleinlichen Berechnungen, die Vorurteile der akademischen Schule einfach über Bord zu werfen, und kam früh dazu, auf allen Gebieten Werke von wirklich synthetischer Schönheit zu schaffen.

Jeder denkende Künstler kommt früher oder später dahin, diese Art Schönheit jeder anderen vorzuziehen. Das Ideal der Kunst ist, in wenigen klaren und bestimmten Formen die unendlich verschiedenartigen Beziehungen zu kondensieren und zusammenzuziehen, die wir in der Natur beobachten. Gegen Ende ihrer Laufbahn verzichten ein Degas, ein Rodin, ein Renoir auf die köstlichsten Feinheiten ihrer früheren Malweise und erweitern ihr Handwerk, kürzen ab, vereinfachen und bringen Opfer. Wer unter uns, der sich der wahren, der einzigen Schwierigkeit unserer Kunst bewusst ist, würde nicht gern all seine Qualitäten von Geschmack, Feinfühligkeit und Technik eintauschen gegen jene kostbare Gabe, die vorzüglich die Begabung Maillols ist: die klassische Begabung.

II. Ueber klassische Kunst

In der Kenntnis der klassischen Kunst herrscht vor allem die Idee der Synthese. Kein Klassiker, der nicht ökonomisch mit seinen Mitteln umgeht, der nicht die Grazie des Details der Schönheit des Ensembles unterordnet, der nicht die Grösse durch Prägnanz erreichen will. – Aber die klassische Kunst verlangt ausserdem den Glauben an notwendige Beziehungen, an mathematische Proportionen, an einen Schönheits-Standard – entweder ein Sujet des Kunstwerks (Kanon des menschlichen Körpers) oder in der Oekonomie des Werkes (Gesetze der Komposition). Wichtig ist auch, das Gleichgewicht zwischen Natur und Stil, zwischen Ausdruck und Harmonie zu finden. Der Klassiker handelt nach synthetischer Methode, stilisiert oder erfindet sogar vielleicht Schönheit, nicht nur beim Bildhauen oder Malen, sondern schon beim Sehen, wenn er die Natur anschaut. Jedes Objekt, das er betrachtet, erschafft er neu; wenn er ihm auch seine hauptsächliche logische Berechtigung belässt, wandelt er es seinem eigenen Genie gemäss um. Der griechische Bildhauer aus der Schule des Phidias weicht nicht dem Modell aus, indem er vereinfacht; er lässt nichts aus, aber so meisterhaft beherrscht er jedes Detail der Mathematik, dass sie sich alle in erhabener Harmonie auflösen. Der Körper, den seine Kunst erdenkt, ist so objektiv, dass er wahr erscheint, und doch hat ihn der Gedanke des Menschen konstruiert, er hat Stil. So bildet der Klassiker aus den der Natur entlehnten Elementen nicht nur die Elemente von Kunstwerken, wie der Orientale, der Romantiker oder der Impressionist, sondern auch die Elemente einer Natur, wie er sie sieht, ideal verständlich und nach seinem Bilde erschaffen. Es scheint übrigens, dass es die Griechen des fünften Jahrhunderts und die Aegypter sind, welche die allgemein verbreitetsten Schönheitstypen und die besten Proportionen geschaffen, sowie am meisten Leben und Realität in eine bis dahin rein architektonische Auffassung des menschlichen Körpers gebracht haben. Und ist es nicht gerade das, was wir auch in anderen Epochen bei den Meistern der Bildhauer- und Malkunst am Mittelmeer, bei den Mosaikkünstlern von Rom und Ravenna, bei den Giottisten bewundern?

III. Griechische oder gotische Klassik?

Wie jene bemüht sich auch Maillol vollkommen schöne und vollkommen einfache Formen zu schaffen. Den Gegenstand seiner Sinnlichkeit, alles, was er in der Natur liebt, kleidet er in gewisse Konventionen, die er erfunden hat. Er erschafft, ganz naiv, vielleicht sogar unbewusst, klassische Synthesen. Nichts Ueberflüssiges belastet die Knappheit seiner Figuren, von denen so manche die Reinheit einer Tanagra-Figur hat. Durch seine Geburt, durch seine Rasse gehört er dem Süden Frankreichs an: er kommt uns von den Ufern des Mittelmeers, dessen blaue Fluten die Geburt der Venus gesehen und zu so vielen berühmten Kunstwerken begeistert haben. Irgend ein Grieche, sein Ahnherr, hat vielleicht an unsere südlichen Küsten mit dem Kultus der Schönheit auch den der Pallas Athene mitgebracht, also den Kultus des klassischen Geistes. Er selbst, mit seiner gut gebauten Stirn, seiner geraden Nase, seinem borstigen Bart, gleicht einem der Krieger aus dem äginetischen Giebelfeld; er ruft in einem die Gedanken an einen Begleiter des schlauen Odysseus wach, den eine keltische Nymphe an diesen Ufern zurückgehalten hat. In Bauyulx in Roussillon geboren, wo er auch alljährlich die Wintermonate verlebt, ist er zwischen den Pyrenäen und dem Meer aufgewachsen, unter Olivenbäumen und in Weingärten. Da erhält eine freigebigere Sonne die Geister der Menschen, eine lächelnde Jugend. Sie sind immer zum Enthusiasmus bereit, feurig in Worten, zu wunderbaren Erzählungen geneigt. Wer Maillol gehört hat, wie er Melodien seines Vaterlandes singt, den Himmel, die Sonne und den Wein rühmt, der weiss, wie tiefe Wurzeln ihn an den lieben Boden des Vaterlandes knüpfen, Φιλὴν ἒς πατριδα γαῖαν, dort hat er die Weisheit Houdon's wiedergefunden, da knüpft er mit leichter Grazie an die Traditionen der griechischen Bildhauerkunst an.

Von anderer Seite1 wird behauptet, dass Maillol ein Anhänger der Gotik sei. Und das scheint ein direkter Widerspruch gegen uns zu sein. Ich gebe zu, er hat die Grazie, die Intimität, die Feinfühligkeit des Occidentalen. Seine Auffassung des Realen berührt uns näher als die Vollkommenheit der Antike, er hat eine anmutende Heiterkeit, „incessu patuit dea“ lässt sich nicht auf seine nackten Figuren anwenden. Sein Klassizismus liegt uns näher, mit einem Wort, er ist ein Moderner. Aber man muss sich darin verstehen. Ich teile nicht das Vorurteil unserer lateinisch-heidnischen Erziehung, die uns unser Mittelalter als eine dunkle Epoche der Askese und der Barbarei zeigt. Im Gegenteil, das Christentum erweckte die Leidenschaft für die Natur: die Kunst des Mittelalters, bald mystisch, bald sinnlich, hatte ein sehr lebhaftes Gefühl für alles, was reizvoll auf der Erde ist. Die Meisterwerke unserer Bildhauerkunst des XIII. Jahrhunderts lassen sich ganz mit den Meisterwerken des griechischen V. Jahrhunderts vergleichen. Obgleich sie verschiedenartiger, lebendiger, ausdrucksvoller sind, dürfte man ihnen den Charakter allgemeiner Menschlichkeit, und jene erhabene Roheit absprechen, durch die Maillols Statuen mit den schönsten Antiken verwandt sind. Aber von unserm Standpunkt, d. h. vom klassischen Standpunkt aus, muss jeder zugeben, dass z. B. die Statuen von Chartres eine ebenso geläuterte Kunst, einen ebenso gefeilten Stil, ein ebenso reines Formgefühl zeigen wie die schönsten griechischen Statuen. Und es giebt wenig Darstellungen der Frau in der griechischen Kunst des V. Jahrhunderts, die so frisch und köstlich wirken, wie die Darstellung der heiligen Jungfrau, die die Gotik uns so rundlich und heiter lächelnd zeigt. Das Buch über die Sinnlichkeit und die Vollkommenheit der Form der französischen Bildhauerkunst des Mittelalters ist noch nicht geschrieben.

Ich weiss nicht, ob Maillols synthetische Methode sich an die Griechen oder an die Gotiker lehnt. Aber unbedingt sehe ich bei ihm ein entschiedenes Eingehen auf die Natur und auf das individuelle Leben, das er, wie in den Kirchenbildern, durch absolute Wahrheit übersetzt, die ihn bis zur Missbildung und zum Linkischsein führt. Am Portal von Notre Dame in Paris, in der Herodias von Rouen, im Vierblatt von Amiens, im Giebelfeld der Brautthür von St. Sebaldus in Nürnberg finden sich Rundungen, eine Grazie, Naivitäten, die der reine Maillol sind.

In ihm vereinigen sich versöhnlich zwei aufeinanderfolgende Traditionen, das griechische V. und das christliche XIII. Jahrhundert, zwei Kunstformen, die den idealen Typus der Menschheit durch die Fülle der Form verwirklicht haben.

IV. Fülle der Form

Bis zu welchem Grade Maillol das Gefühl für die Form, für die Schönheit einer Linie, für die geometrische Vollkommenheit eines Körpers hat, das drücken schon vollkommen seine Entwürfe, seine flüchtigen Skizzen aus. Ein einfacher Zug genügt ihm, um sein plastisches Interesse an einem Werke zu rechtfertigen, an dem wir ihn dann lange Monate arbeiten sehen. Die zauberhaften Arabesken seiner Tapisserien zeigen sein erstes Tasten nach der Form; allerdings sind sie farbig und das ist auf den ersten Blick ihr grösster Reiz. Wenn er auch aus einem Land stammt, das Poussinsche Linien und mehr graue Tinten zeigt, so reizte ihn doch von Jugend an das Spiel der Farben. Er war ein malerisches und dekoratives Talent, ehe er Bildhauer wurde. Man kennt die schönen gewirkten Tapeten, die er im Salon der Société Nationale ausstellte: grosse Figuren genial drapierter Frauen in der Umgebung eines Obstgartens oder Parks. Aber gerade in diesen ersten Werken, ebenso in seinen wenigen Malereien, Lithographien und Holzschnitten entdeckt man unter der Zartheit der Farben sein tiefes Gefühl für die Form, auf den emaillierten Fayencetellern, die aus seiner Anfangszeit stammen, z. B. den beiden jungen Mädchen, die eine Giesskanne tragen, stehen die Umrisse in voller Schärfe, und doch treten schon die Modellierungen bedeutungsvoll hervor. Und schon seine ersten Figurinen zeigen in ihrer Fülle all seine plastischen Qualitäten. Seine Meisterschaft bestätigt sich in den Statuen und Statuetten der letzten Jahre, der halbdrapierten Figur von Octave Mirbeau; den Kämpferinnen und dem sitzenden jungen Mädchen von Herrn Vollard, einer stehenden Frau von Mr. Fayet, einer kauernden weiblichen Gestalt vom Grafen Kessler; in allen entdeckt man erstaunliche Kombinationen von Flächen und gefälligen Rundungen, ein vollkommenes Verständnis der relativen Wichtigkeit der Volumen, eine starke Modellierung und Breite in der ganzen Ausführung. Was ist nun in der Ausarbeitung seines Werkes sein Kriterium, sein Führer? Es ist nicht der Charakter eines ein für allemal gewählten Typus; denn er entnimmt verschiedenen Modellen, Abgüssen und selbst Photographien die ganz verschiedenen Elemente, die er zu einem Ganzen verschmilzt. Es ist auch nicht die Bewegung, denn er verändert sie im Laufe seiner Arbeit, es ist einfach das wundervolle, instinktive, natürliche Gefühl für die Form.

 

Keiner komponiert so wie Maillol das Element des Fleisches, die Symmetrie eines Torsos und die ganze Architektur der Sinne, in der sich seine Phantasie entfaltet. Er braucht absolute Freiheit, um nach seinem sicheren Instinkt zu erfinden und die Materie zu gestalten. Aber auch im Meistern der Ueberfülle seiner Gaben, in der Art, wie er unter tausend verschiedenen Elementen diejenigen wählt, die am geeignetsten sind, ihn zu befriedigen, fühlt er ganz wie die Klassiker das Bedürfnis eines Zwangs. Dieser Nachkomme der Aegypter, der Griechen und des herrlichen Pradier schreibt sich selbst festgelegte Proportionen, feste Satzungen vor: nach seinen gewöhnlichen Modellen hat er die Maasse präzisiert, die ihm gefallen, und einen idealen Typus geschaffen, dem er nach Möglichkeit alles unterwirft. Ich habe beobachtet, dass er sich, indem er möglichst systematisch kugel- und cylinderähnliche Formen verwendet, den Rat von Ingres zu verwirklichen bemüht: „dass die Beine wie Säulen sein müssen“. – Und er verwendet die vom Meister bezeichneten Mittel: „Um die Schönheit der Form zu erreichen, muss man rund und ohne innere Details modellieren. Denn „schöne Form ist gerade Flächen mit Rundungen“. – Und Ingres fügte hinzu: „Warum schafft man nicht grossen Stil? weil man statt einer grossen Form drei kleine macht.“ Eine glänzende Formel, welche die ganze Kunst und Methode Maillols umfasst!

V. Der Sinn für das Reale

So haben wir nun untersucht, welche Qualitäten er für sein Schaffen mitbringt und mit welcher Beherrschung er eine ganz konkrete und ganz mit Realismus genährte Phantasie beherrscht. Denn solche Kunst wäre in der That akademisch, wenn die Liebe zum Realismus nicht überall darunter hervorblühen würde. Aus seinen vollendetsten Synthesen ist es leicht, seine Begeisterung für die Natur herauszufühlen. Dieser grosse Klassiker hat eine ganz kindliche Empfindung. Jedes noch so vertraute Schauspiel in der Natur sieht er jedesmal wieder mit entzückten Augen und einem frischen Herzen. Die ganze Aussenwelt liebt er leidenschaftlich. Giebt er nun wirklich dem was er sieht den Vorzug vor dem, was er erfindet? Eine offene Frage. Jedenfalls hat er die Gabe der Frische in einem unerhörten Grade. Ich habe ihn in Ekstase geraten sehen über einen Kieselstein, über ein Stückchen Erde, über den Glanz eines Metalls. Seine Zärtlichkeit ist unermesslich, er ist für den Zauber jeder Sache empfänglich.

Wenn seine künstlerische Neugierde so universell ist, wenn er sich so warm mit dem anzuwendenden Material, mit der Patina, beschäftigt, wenn er gern neue Mischungen zum Modellieren erfindet, wenn er bei seinen Spaziergängen auf dem Lande Pflanzen sammelt, um ihren Saft zu Farbstoffen auszupressen, so kommt das daher, dass nichts in der Natur ihn gleichgültig lässt. Er ist eben mit allen Sinnen der geborene Realist.

VI. Maillols Sinnlichkeit

Dies ist auch das Geheimnis seiner sexuellen, mehr griechischen als christlichen Sinnlichkeit, in der seine Kunst sich gefällt. Ein voller Rücken, strotzende Schenkel, runde Schultern, die Weichheit des Leibes, straffe Brüste – bei all diesen Reizen des weiblichen Körpers verweilt zärtlich sein Meissel. Die Antike, die nicht die Frauen liebte, hat uns wenige so verführerische Figuren hinterlassen. Keine Romantik, keine Literatur kompliziert ihm die jugendliche Vision dieser schönen, zur Liebe bereiten Körper, ohne Scham und ohne Leidenschaft, Geschöpfe der feinsten und köstlichsten Bestialität, kräftig gebaute und gesunde Musen, deren lässige Stellungen sie der Mutter Erde nähern, oder die manchmal ohne Bewegung im Glanz ihrer Nacktheit dastehen; Architekturen des Fleisches, die kalt wären ohne jenes Erzittern der Haut, ohne jene Unbestimmtheit der Geste, ohne die Zärtlichkeit, die ihnen die wundervolle Schüchternheit Maillols einhaucht.

VII. Das Linkische in Maillols Kunst

So oft er aufrichtig ist, wird er linkisch. Ich verstehe unter „linkisch“ jene Art von Ungeschicklichkeit, durch die sich, nicht gebunden an äussere Formen, die persönliche Erregtheit des Künstlers offenbart. Nicht nur unsere alten Meister, die frühen Gotiker, nein, auch die grössten unserer Modernen haben uns Zeugnis von dieser glücklichen Naivität gegeben. Ingres ließ sich, statt sich mit den akademischen Vorschriften der Schule Davids zu begnügen, ruhig der Ungeschicklichkeit zeihen und wagte die Thetis zu zeichnen! Der alternde Puvis de Chavannes bäumte sich gegen den Verfall der Ingres-Schule auf und in ihm erstand die Kindlichkeit der Giottoschule wieder. Um der jämmerlichen Oberflächlichkeit der Kunst des zweiten Kaiserreichs zu entgehen, begnügten sich Manet, Renoir, Degas damit, aufrichtig zu sein und verachteten die Virtuosität, und die Kritik witzelte über ihre Unkenntnis der Prinzipien von Kunst, Farbe und Zeichnung!

Der Fall Maillol ist ein komplizierterer; seine Kunst ist eine Kunst der Formeln, aber sein Instinkt stellt sie auf: er enthält sich jedweder Konvention, wenn er sie nicht, wenn ich so sagen darf, selbst erlebt hat. Man muss folgendes richtig verstehen: Seine Aufrichtigkeit kennt nur Grenzen insoweit, als sein klassischer Geschmack in Betracht kommt. Immerhin ist sie aber begrenzt; und trotz dieses Zwanges bricht sie überall siegreich hervor, sie macht diese kanonische Schönheit lebendig, so dass, so vollendet er auch erfindet, seine Kunst doch der Triumph des Instinkts ist. Wie naiv sieht er sein Modell, wie natürlich formt er es! Die Kühnheiten, die er sich mit der Natur erlaubt, die Missbildungen, durch die er eine Bewegung, eine Stellung betont, der Rhythmus eines schönen Körpers, kein Kunstgriff verbirgt sie: man sieht sie deutlich, er hat gar nicht die Absicht, etwas zu verbergen! Keinerlei Erleichterung, kein Notbehelf! Wie seine Frauengestalten sind, ist seine Kunst nackt und natürlich! Und wie sie hat er auch jene bäurische Derbheit, eine ganz altmodische Gesundheit und jene Schamhaftigkeit, die jeder von Natur offene Mensch einer komplizierten Zivilisation gegenüber hat. Welch herrliches Naturell! er vereinigt die Tugend eines Klassikers mit der Unschuld eines Primitiven!

1Jacques Blanche.