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Z serii: Please insert coin #1
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Kaum macht sich Ava mit ihrem 2-Gänge-Menü auf dem Weg aus der Küche, bleibt sie abrupt stehen. Nachdenklich blickt sie zum Wasser hinunter. Sie wendet den Kopf und schaut zum Spülbecken.

Sagte sie nicht, dass es hier kein fließendes Wasser gibt?

Misstrauisch hebt Ava das Glas und riecht an dem Wasser. Nichts, es riecht ganz normal. Kein Kloakegeruch oder ähnliches. Das Wasser scheint sauber zu sein. Sauber aus einer Wasserleitung.

Aha.

Nachdenklich verkriecht sich Ava in ihr Zimmer, stellt das Essen auf dem kleinen Tisch ab und schiebt die schwere Schreibmaschine zur Seite.

Ok, du musst dir eine Strategie ausdenken, um das hier zu überstehen. Sie wird dich mit Absicht fertigmachen wollen. Sie will dich nicht hierhaben und scheinbar will sie auch nichts von dem Buch wissen. Also wird sie dich für alles verantwortlich machen und dich bluten lassen. Wappne dich.

Auf dem trocknen Brot herumkauend schaut sich Ava im Zimmer um. Sie hat bisher nur eine Tasche geöffnet und ein paar Sachen auf der Kommode verteilt. Auf dieser steht eine kleine Vase mit einer einzelnen Wildblume.

Mit Sicherheit ist die aus Plastik.

Ava tritt an die Kommode, schiebt die Nase vor und riecht an der Blume. Verwundert schaut sie diese an.

Wow, die ist ja echt. Hat die Doktorin etwa eine sanfte Seite?

Ava öffnet eine Seite des großen Schranks, dann die andere. Nichts Besonderes. In den Regalborten liegen einige zusammengefaltete Decken, mehr nicht. Sie hat also genügend Platz um ihre Kleidung zu platzieren.

Ein kurzer Blick aus dem Fenster wird getan, dann tritt Ava an das Bett heran. Mit vorgeschobener Unterlippe mustert sie das ausrangierte Stück. Niemand in L.A. würde sich so ein Klappergestell ins Schlafzimmer stellen.

Da kann man es mit Sicherheit nicht hemmungslos drauf treiben. Man muss ja ständig eine Ölkanne bei sich haben.

Amüsiert über ihre eigenen Gedanken, wandert Ava um das Bett herum, bis ihr bei der Matratze etwas ins Auge sticht. Am Fußende blinzelt etwas hervor.

»Was bist du denn?« Vorsichtig zieht Ava an einem hellen Stöckchen. Sie zieht es ganz aus der Matratze und schaut es skeptisch an.

»Stroh? Wieso ist in einer Matratze Stroh?« Mit dem Stück Stroh in der Hand, blickt sie zu dem Bett zurück. Die Zahnrädchen in ihrem Kopf rattern langsamer als sie es gewohnt ist. Daher dauert es etwas, bis der Groschen fällt.

»Nein!« Atemlos wirft Ava den Strohhalm über die Schulter, stürzt auf die Matratze und zieht den Bezug hoch.

»NEIN!« Entsetzt starrt sie auf Stroh in neunzig Zentimeter Breite und einsachtzig Meter Länge. Die Matratze, die zum Schlafen da sein soll, besteht zu hundert Prozent aus Stroh.

»NEIN! NIEMALS!« Schreiend schleudert Ava den Bezug auf das Bett zurück. Wankend taumelt sie einige Schritte rückwärts. Fassungslos schlägt sie sich die Hände vor den Mund. Tränen treten in ihre Augen. Wild beginnt sie den Kopf zu schütteln.

Du hast nichts gemacht und sie hasst dich jetzt schon. Ich mache das nicht. Mein Boss kann sich morgen was anhören. Der soll sich jemand anderen für diesen Scheiß suchen. Ich bleibe keinen Tag länger bei dieser Psychotussie. Die ist doch krank. Wie kann sie nur?

***

Ava schreckt in diesem Etwas, was den Titel Bett trägt, hoch, als mit einem Mal ihre Zimmertür lautstark aufgerissen wird.

Die Journalistin hat eine halbe Stunde gebraucht, bis sie den Schock wegen dem Bett überwunden hat. Ava wischte all die Verzweiflung und Angst aus ihrem Gesicht und begann sich zu stärken. Die junge Frau ist alt genug, um sich nicht von so einer Person fertigmachen zu lassen. Auch wird sie mit aller Macht dieses Buch schreiben. Es kann für sie nur ein Lernprozess für das Leben sein. Je mehr sie lernt, umso stärker wird sie. Und wenn sie schon an der Seite einer so gebildeten Frau ist, muss sie das für sich nutzen.

»Herrgott, hören Sie mit diesem verfluchten Zähneklappern auf! Dabei kann doch kein Mensch schlafen!« Wie eine Furie steht Miss Jercy in einem cremefarbenen Seidenschlafanzug in Avas Zimmer. Ihr Gesicht sprüht vor Zorn. Der rote Dutt von heute Abend hat sich in einen gekämmten Pferdeschwanz verwandelt.

Schon mal was von anklopfen gehört?

»M-mir is-ist k-ka-kalt«, klappert Ava mit den Zähnen und blinzelt über die Decke.

»Es ist Herbst! Was machen Sie denn im Winter? Erfrieren? Im Schrank sind Decken. Nutzen Sie diese, dann wird Ihnen so warm, dass Sie für die Kannibalen im Regenwald schon vorgegart sind.« Mit diesen Worten wendet sich die Doktorin von Ava ab.

Sollte das witzig sein, oder was?

»Auf den Decken liege ich. Das Stroh zwickt nämlich ziemlich, müssen Sie wissen.«

So, jetzt hast du den Salat.

»Dann machen Sie den Kamin an.« Gerade als die Doktorin die Tür hinter sich zuziehen will, ertönt Avas Stimme. Leise und irgendwie verlegen.

»Ich weiß nicht wie das geht.« Langsam öffnet sich die Tür. Mit großen Augen schaut die Doktorin Ava an. Die Journalistin kann ganz genau in diesen Augen sehen, dass die gute Frau die gesprochenen Worte nicht glauben kann.

»Das kommt davon, wenn man sich von Smartphones und Co. abhängig macht.« Kopfschüttelnd betritt Miss Jercy das Zimmer.

»Kommen Sie her.« Bestimmend zitiert sie Ava zu sich an den Kamin. Wie ein Wrap in die Decke eingewickelt, hüpft Ava durch das Zimmer und begibt sich neben der Doktorin in die Hocke. Je kleiner sie sich macht, umso weniger Angriffsfläche hat die Kälte und umso wärmer bleibt sie.

»Als erstes müssen Sie die Lüftungsklappen öffnen, ansonsten ersticken Sie irgendwann. Logisch, nicht wahr?«

So blöd bin ich nun auch nicht.

»Und im Gegensatz zu allem was Ihnen Ihre Großmutter erzählt hat, lassen wir das Holz von oben nach unten abbrennen. Das heißt«, die Doktorin holt neben dem Kamin einige Scheite Holz hervor und legt diese kreuzweise in den Kamin. Drei Scheite horizontal, darauf drei Scheite vertikal und wieder drei horizontal. Ava fällt dabei auf, dass das Holz von unten nach oben immer schmaler wird. Dann zeigt ihr Miss Jercy mehrere recht kleine Holzstücke.

»Diese Hölzer sind die sogenannten Anfeuermodule. Dazu gehört«, ein Griff zwischen die Holzscheite neben dem Kamin wird getan »diese mit Wachs getränkte Holzwolle. Diese legen Sie in die Mitte der kleinen Holzstücke. Dann brauchen Sie die Holzwolle nur noch anzuzünden.« Ihren Worten begleitend, entfacht sie mit einem Streichholz die Holzwolle. Auch wenn die Flamme noch recht klein ist, bildet sich Ava ein, die Wärme jetzt schon zu spüren. Am liebsten würde sie sich auf der Stelle in das Feuer schmeißen, nur damit ihr wärmer wird. Das Zähneklappern konnte sie bis jetzt noch nicht einstellen.

»Und wieso lässt man das Holz von oben nach unten abbrennen? Ich meine, ich habe zwar selbst noch nie einen Kamin angemacht, aber ich konnte bisher immer sehen, dass das Holz auf dem Feuer lag und somit nach oben hinweg brannte.« Den Blick auf das langsam wachsende Feuer gerichtet, nickt die Doktorin.

»So macht man das eben, wenn man keine Ahnung von Naturgewalten hat. Diese Art des anzünden«, sie zeigt auf das Feuer vor sich »verspricht einen langsamen und kontrollierten Abbrand. Außerdem ist es rauchärmer.«

Ava betrachtet Miss Jercy von der Seite. Sie sieht deren Blick auf das Feuer gerichtet. Sie wirkt mit einem Mal nachdenklich und in sich gekehrt. Der Blick wirkt apathisch.

Avas Augen wandern zum Gesicht der Doktorin. Wie sie es noch aus der Akte der guten Frau weiß, ist Nora Jercy neunundvierzig. Ava muss zugeben, dass sie sie auch in diese Altersgruppe eingeschätzt hätte. Die Falten an ihren Augen verraten ein höheres Alter. Ebenso die Falten um den Mund herum. Die Haut wirkt nicht mehr ganz so straff und rosig, lädt aber noch nicht dazu ein, ein Spannbettlaken daraus zu machen.

Nur gut, dass ich nicht auf ältere Frauen stehe, sonst könnte ich mich glatt vergucken.

Unauffällig schielt Ava zum Oberteil des Schlafanzuges. Sie reckt den Hals etwas und blinzelt in den Ausschnitt.

»Wieso starren Sie mich so an?«, faucht die Doktorin, dreht den Kopf und schaut Ava mit scharfen Blick direkt in die Augen. Sofort reißt sich Ava zum Feuer herum und schüttelt hektisch den Kopf.

»Nichts.«

»Das ist keine Antwort auf meine Frage.« Ava schaut zu der Doktorin zurück.

Ich habe deine Frage beantwortet. Was willst du von mir?

»Nein haben Sie nicht! Ich habe gefragt, wieso Sie mich so anstarren. Der Kernpunkt und die Betonung der Frage liegt also auf dem Wieso!« Mit einem Mal tippt die Doktorin Ava mit dem Zeigefinger beschämend gegen ein Ohr.

»Zuhören, Miss Ramirez, zuhören!« Brummend zieht sich Ava zurück.

Bin ich hier in der zweiten Klasse, oder was? Geht es noch beleidigender?

»Ich höre zu. Das mache ich immer.« Erneut beantwortet Ava die Frage nicht direkt. Diese ist mit einem Mal in den Hintergrund gerückt.

Erstaunt zieht die Doktorin eine Augenbraue hoch. Überrascht nimmt sie den Kopf zurück.

»Ach, echt? Sind Sie sich da sicher?«

»Ja und ob ich mir sicher bin.« Ein hinterlistiges Grinsen beginnt in dem Gesicht von Miss Jercy zu wachsen.

»Na dann werden wir morgen sehen, wie gut Sie zuhören. Ich freue mich darauf. Gute Nacht.«

Was soll das denn heißen?

Verwirrt blickt Ava der Doktorin hinterher. Diese verlässt ohne jeglichen weiteren Kommentar ihr Zimmer und zieht langsam die Tür hinter sich zu.

 

»Durch die werde ich zehn Jahre früher sterben und zwanzig Jahre früher graue Haare bekommen.« Fluchend schaut Ava zum Feuer zurück. Die Flammen sind mittlerweile gewachsen und beginnen tatsächlich Wärme zu spenden.

Kapitel 3

Zähne zusammenbeißend steht Ava am nächsten Morgen am Fluss und blickt knurrend auf das Wasser. Sie weiß, dass sie sich die Nippel abfrieren wird. Und sämtliche Hühneraugen, wenn sie welche hätte. Ihre Vagina würde sich wahrscheinlich wegen der Kälte vor Schreck soweit zusammenziehen, dass sie wieder Jungfrau ist, aber da muss sie jetzt durch.

»Du schaffst das schon. Es kann dich nur abhärten.«

Mit Gedanken an das wärmende Feuer von letzter Nacht, macht Ava die ersten Schritte in den Fluss. Das Feuer heizte schon nach kurzer Zeit das Zimmer so weit auf, dass Ava die Decke etwas zur Seite legte und irgendwann ganz ohne dalag. Es war so warm wie noch nie in ihrem Leben. Aber es war gut. Es half zu schlafen und dieses Bett zu vergessen, dass sie bei jeder kleinsten Bewegung daran erinnerte, quasi in einem Pferdstall zu schlafen.

Quiekend hüpft Ava in dem kalten Fluss umher und wäscht sich so schnell wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Die Haare werden im rekordverdächtigen Tempo gewaschen. Anders geht es gar nicht, wenn sie lebend aus dem Fluss kriechen will.

***

In sich selbst verkrochen, bibbernd und zitternd dribbelt sie zur Hütte zurück. Sie sieht Miss Jercy auf der Veranda sitzen. Die Doktorin hält sich, wie gestern Abend, eine Tasse mit einem warmen Getränk vor das Gesicht und blinzelt irgendwie belustigt über den Dampf hinweg zu Ava.

»Guten Morgen«, brummt die jüngere Frau.

»Guten Morgen«, erwidert die Doktorin und schaut Ava mehr als eindeutig hinterher.

Als die Journalistin die Hütte betreten will, bleibt sie abrupt stehen. Sie geht zwei Schritte rückwärts und schaut auf den Tisch neben der Doktorin. Dort steht ein Fernglas.

Die wird doch nicht etwa … ?

Ava schaut aus ihrer Position in Richtung Fluss.

Scheiße! Die konnte mich genau sehen.

»Was denken Sie sich eigentlich? Haben Sie schon mal etwas von Privatsphäre gehört?«, flucht Ava wütend. Sie kann es nicht fassen. Da hat die Doktorin sie tatsächlich durch so ein beschissenes Fernglas im Fluss beobachtet. Dass sie natürlich splitterfasernackt in dem Gewässer stand, versucht sie zu verdrängen. Sie möchte der Doktorin im Augenblick lediglich den Hals umdrehen.

Was bildet die sich eigentlich ein?

Miss Jercy blickt zu Ava hoch. Sie lächelt.

»Ihre Privatsphäre haben Sie gestern verloren, als Sie mein Haus betraten«, kontert sie gelassen, greift nach einer Schachtel Zigaretten und zündet sich eine an.

»Was zum Teufel bilden Sie sich eigentlich ein? Wie reden Sie überhaupt mit mir?« Plötzlich hat Ava das Gefühl, dass die Welt stehenbleibt. Irgendwie herrscht mit einem Mal eine ungewöhnliche Stille. Nicht, dass diese sehr ungewöhnlich mitten im Nirgendwo wäre. Aber diese Art der Stille ist anders. Sehr viel anders.

Langsam dreht die Doktorin den Kopf. In Zeitlupe hebt sie diesen und schaut zu Ava hoch. Sie legt die Zigarette in den Aschenbecher und steht vom Stuhl auf.

Oh oh, habe ich da etwa einen wunden Punkt getroffen? Bekommst du etwa nicht so oft Konter?

»Ich, an Ihrer Stelle, würde mir ganz genau überlegen was Sie zu mir sagen. Ich bin Ihnen haushoch überlegen und kann Sie mit nur einem einzigen Satz vernichten.« Miss Jercys Blick liegt unnachgiebig auf Ava. Er ist ruhig, aber bestimmend. Beängstigend und mit einem Hauch Drohung.

Anstatt sich davon einschüchtern zu lassen, dreht sich Ava zu der Doktorin um. Sie stellt sich ihr gegenüber und presst den Kiefer zusammen.

Ich lasse mich von dir nicht fertigmachen. Da musst du schon früher aufstehen.

»Seit ich gestern hier angekommen bin, gehen Sie mich nur an. Ich weiß nicht was ich Ihnen getan habe, aber Ihr Verhalten ist kindisch. Sie sind eine erwachsene und gestandene Frau und gehen mit mir um, als wenn ich Ihnen die Suppe versalzen hätte. Ich will genauso wenig hier sein, wie Sie mich hierhaben wollen. Ich schlage vor, dass wir beide das Beste aus der Situation machen und irgendwie versuchen miteinander auszukommen. Denn je schneller und reibungsloser ich dieses Buch schreiben kann, umso schneller bin ich wieder aus Ihrem Leben verschwunden. Dann können Sie sich jemand anderen suchen, den Sie mit ihren Triaden terrorisieren können.«

Ausdrucklos schaut die Doktorin Ava an. Die junge Frau kann nichts aus ihrem Gesicht lesen. Es ist wie versteinert und wirkt tot. Kein Muskel bewegt sich, gar nichts.

In einer überraschend ruhigen Bewegung setzt sich Miss Jercy auf den Stuhl zurück, nimmt die Zigarette und zieht daran.

»Gehen Sie sich fertigmachen. Sie wollten einkaufen gehen.«

Damit ist das Thema also für dich abgeschlossen, oder wie? Fällt dir nichts mehr dazu ein? Tja, tschaka.

Mit erhobenem Haupt und einer ordentlichen Portion Mut, betritt Ava das Haus und steuert auf ihr Zimmer zu.

Auf halbem Weg hört die Doktorin ihre neue Mitbewohnerin plötzlich lauthals kreischen.

»Badezimmer? Sie haben ein Badezimmer? Sie haben ein beschissenes Badezimmer?« Nora lehnt sich zur Seite, blinzelt in das Haus und sieht Ava vor einer offenen Tür stehen. Die junge Frau krallt ihren Haufen Klamotten, Handtuch und Kulturbeutel vor die Brust und starrt fassungslos in ein Badezimmer, welches dem normalen Standard entspricht.

»Natürlich habe ich ein Badezimmer. Glauben Sie allen Ernstes, dass ich so blöd bin und in dem Fluss baden gehe?«

»Was?« Quietschend wirbelt Ava um die eigene Achse. Ihr brennender Blick durchbohrt die Doktorin, die sich an dem Anblick labt. Wie Ava kochend und pfeifend vor einem zivilisierten Badezimmer steht und nicht weiß wohin mit ihrer Wut.

»Aber Sie haben gestern doch … .« Nora steht vom Stuhl auf, betritt das Haus und steuert auf Ava zu.

»Ok, spulen wir auf Anfang zurück und starten von vorne.« Bewusst tritt die ältere Frau vor Ava. Die Journalistin pfeift noch immer wie eine Dampflok und kann nicht glauben, dass ihr die Doktorin das Badezimmer vorenthalten hat.

»Wir standen gestern hier und ich bin vor Ihnen gelaufen. Folgen Sie mir also.« Wie am Abend zuvor, geht Miss Jercy den Flur entlang und zeigt auf die Zimmertür zu ihrer rechten Seite.

»Ist das Ihr Zimmer? Nein!« Sie zeigt nach links.

»Ist das Ihr Zimmer? Nein!« Sie zeigt zum offenen Badezimmer.

»Ist das Ihr Zimmer? Nein!« Als sie Avas Zimmer betritt, hat die Journalistin den Hauch einer Ahnung worauf die Doktorin hinaus will.

»Ihr Zimmer.« Sie dreht sich zu Ava um und zeigt ein arrogantes Lächeln.

»Und Sie dachten, dass diese Zimmer für Sie tabu sind, nur weil ich Nein gesagt habe, nicht wahr?«

Geh aus meinem Kopf.

»Und wenn ich mich nicht irre, glauben Sie allen Ernstes, dass es im Haus keinen Strom und kein fließendes Wasser gibt, richtig?« Avas Zähne beginnen zu knirschen, als sie diese hart aufeinanderpresst.

Geh, verdammt nochmal, aus meinem Kopf.

»Als ich Ihnen sagte, dass es hier keinen Strom und kein fließendes Wasser gibt, stand ich in diesem Zimmer. Das heißt, dass es hier«, demonstrativ zeigt die Doktorin vor ihre Füße »kein Strom und kein fließendes Wasser gibt. Wenn Sie mir richtig zugehört hätten, wären Sie nicht so dumm gewesen, in den Fluss zu urinieren und dann auch noch dort drinnen zu baden. So viel also zu Ihrer gestrigen Aussage, dass Sie immer zuhören. Vielen Dank, dass Sie mir so reichlich Futter gegeben haben, um Sie verarschen zu können. Es war sehr amüsant. Das habe ich mal wieder gebraucht.«

Du Schnepfe! Du Miststück! Du Biest! Du Fotze! Du … du … du, ach, ich bringe dich um.

Lächelnd geht die Doktorin an Ava vorbei, hebt eine Hand und wedelt mit dem Zeigefinger.

»Oooh, umbringen können Sie mich nach dem einkaufen. Ich warte auf Sie.« Mit einem arroganten zwinkern lässt die Doktorin Ava stehen und verschwindet aus dem Zimmer.

Vor Wut, Enttäuschung und auch irgendwie Verzweiflung, steigen Ava Tränen in die Augen. Sie ist noch nie in ihrem Leben so beschämend behandelt worden – noch nie so verarscht worden. Wenn das die ganze Zeit so geht, wird sie das nicht überleben, das weiß sie. Egal wie sehr sie eine schützende Mauer um sich zieht, die Doktorin wird diese immer und immer wieder mit beängstigender Leichtigkeit einreißen und Ava piesacken. Sie wird sie fertigmachen und in jeder neuen Wunde herumstochern, bis Ava zusammenbricht.

»Bis dahin werde ich mich aber wehren.« Ava hebt den Kopf, streckt sich in ihrer Haltung und spricht sich selbst Mut zu. Sie wird das packen – irgendwie.

***

Auf dem Weg aus dem Haus, sieht sie die Doktorin auf der Veranda stehen. Rauchend. Diese blickt zu ihrer Mitbewohnerin zurück, drückt die Zigarette im Aschenbecher aus und folgt ihr mit einem Mal. Ava bleibt stehen und schaut sie fragend an.

»Wieso folgen Sie mir?«

»Sie wollen doch einkaufen, oder? Ich begleite Sie.«

»Wieso machen Sie das? Ich habe Sie nicht darum gebeten.«

»Kennen Sie sich hier aus? Wissen Sie wo Sie hinmüssen?« Ava verengt die Augen.

»Nein, aber mein Navi funktioniert einwandfrei.«

Eine glatte Lüge, aber das muss diese Ziege ja nicht wissen.

Beiläufig winkt Miss Jercy ab.

»Mit einem Navi lernen Sie aber nichts von mir. Schließlich wollen Sie ein Buch über mich schreiben.« Verdattert schaut Ava die Doktorin an.

Was hat das Einkaufen denn nun mit dem Buch zu tun?

Ohne so richtig auf eine Aufforderung oder Einladung zu warten, steigt Nora in Avas Wagen und setzt sich auf die Beifahrerseite. Verdattert bleibt Ava stehen und glaubt nicht so recht was sie da sieht. Die Doktorin verhält sich, als wenn sie Ava schon seit ewigen Zeiten kennen würde und somit alles nutzen kann, was der Journalistin gehört.

»Na kommen Sie, Hoke. Ich warte«, ruft Nora aus dem Wagen heraus und klopft auf den Fahrersitz.

Sagte sie gestern nicht irgendetwas von Respekt dem Eigentum anderer Menschen gegenüber?

»Sie müssten dann aber hinten sitzen, Miss Daisy«, kontert Ava und steigt ein. Sie wirft der Doktorin einen flüchtigen Blick aus dem Augenwinkel zu. Diese scheint die Aussage allerdings zu ignorieren. Es kommt keine Regung von ihr. Stattdessen blickt sie sich im Wagen um, als wenn sie noch nie in solch einer Blechbüchse gesessen hätte. Interessiert schaut sie sich um, bis Ava beginnt das Navi einzustellen.

»Lassen Sie das. Das brauchen Sie nicht«, wedelt Nora hektisch mit einer Hand herum und fuchtelt dann nach vorne.

»Na los, fahren Sie.«

***

Nach fast zwei Stunden Fahrt und exakten Angaben der Richtungen von Nora, parkt Ava den Wagen in Helena am Straßenrand. Selbstsicher steigt die Doktorin aus, obwohl Ava das nicht ganz versteht. Im ganzen Umkreis kann sie kein Lebensmittelgeschäft sehen, nichts. Tankstelle, Spirituosenladen, Elektrowaren und andere Geschäfte für das tägliche Leben, aber keine Lebensmittel.

Vielleicht fehlen der guten Frau ja doch einige Schrauben und ihr ist das bis heute nicht aufgefallen.

Kichernd steigt Ava aus und folgt der Doktorin. Diese steht an einer Bushaltestelle und schaut sich interessiert um.

Schweigend stellt sich Ava neben sie und jongliert noch ein klein wenig mit ihren Gedanken. Als ein Bus vorfährt, sich rauschend die Türen öffnen und die Doktorin einsteigt, klappt Avas Kinn herunter. Verwirrt schaut sie zwischen dem Bus und ihrem Wagen hin und her.

»Zweimal«, hört sie die Doktorin mit dem Busfahrer sprechen. Geld klimpert.

Sie bezahlt für mich? Wieso macht sie das? Und wieso sollen wir jetzt mit dem Bus fahren? Hallo?

»Na kommen Sie. Oder wollen Sie Wurzeln schlagen?« Ergeben verwirft Ava jeglichen weiteren Gedanken, steigt ein und folgt der Doktorin. Die Psychiaterin scheint sich mit der Wahl des Sitzplatzes unschlüssig zu sein. Sie schaut sich tatsächlich suchend um, bis sie ganz zum Ende geht und in der hintersten Reihe Platz nimmt.

 

»Kommen Sie her.« Wieder klopft die Doktorin auf die Sitzfläche neben sich. Ava kommt sich allmählich wie ein Kleinkind vor, folgt aber dennoch den Anweisungen. Was soll sie auch anderes machen?

Wieso ist sie eigentlich plötzlich so freundlich? Haben meine Worte von vorhin etwas bei ihr bewirkt?

Die Doktorin neigt sich leicht zu Ava hinüber. Skeptisch beobachtet die junge Frau dies.

»Was sehen Sie?«, flüstert Nora, als wenn es niemand anderes hören dürfte. Ava legt die Stirn in Falten, schaut kurz nach vorne durch den Bus und dann zu der Doktorin zurück.

»Nichts Ungewöhnliches. Wieso, was sollte ich denn sehen?« Prüfend betrachtet Nora Ava. Sie scheint in der jungen Frau etwas zu suchen.

»Ok, stehen Sie auf, gehen Sie nach vorne zum Anfang des Busses, kehren zu mir zurück und schauen sich währenddessen um. Laufen Sie aber nicht so schnell. Lassen Sie sich Zeit.« Verdattert schaut Ava die Doktorin an.

»Wieso soll ich das machen? Was bringt mir das?«

»Na los, machen Sie schon. Ich werde Sie dann schon noch aufklären. Los los.« Wieder wedelt die Doktorin mit einer Hand in der Luft herum.

Auch wenn Ava keineswegs weiß worauf das hinauslaufen soll, steht sie vom Platz auf und folgt den Anweisungen der Doktorin. Sie geht zum Anfang des Busses, dreht um, kehrt zurück und schaut sich währenddessen um.

»Und? Was haben Sie gesehen?«, flüstert die Doktorin, als sich Ava wieder neben Sie setzt. Die Journalistin blickt noch einmal durch den Bus und zieht die Schultern hoch.

»Nichts. Nichts was meine Aufmerksamkeit erregen könnte.« Ohne jegliche Regung betrachtet die Doktorin Ava und zeigt dann nach vorne.

»Nochmal.«

»Was? Wieso? Was soll das?«

»Na los, nochmal.« Noras Hand wedelt schon wieder in der Luft herum.

»Nein, die Leute halten mich doch für bescheuert, wenn ich grundlos Runden im Bus drehe und sie ganz nebenbei auch noch angaffe.« Interessiert schaut die Doktorin Ava an.

»Aha, es interessiert Sie also was die Menschen über Sie denken?« Mit hochgezogener Augenbraue nimmt Ava den Kopf zurück.

»Natürlich interessiert mich das.« Nora lehnt sich zu ihr hinüber. Prüfend betrachtet sie die jüngere Frau.

»Und weshalb interessiert es Sie was andere Menschen über Sie denken?« Als wenn sie die Frage nicht richtig verstehen würde, weil diese in ihren Augen völlig überflüssig ist, zieht Ava die Schultern erneut hoch.

»Weshalb sollte es mich auch nicht interessieren?« Nora lehnt sich in den Sitz zurück, verschränkt die Arme vor der Brust und setzt einen nachdenklichen Blick auf.

»Ok, ich verstehe. Es ist Ihnen also tatsächlich wichtig was die Menschen, die Ihnen völlig fremd sind, über Sie denken? Und wenn Sie wissen würden was sie denken, und Ihnen der ein oder andere Gedanke dieser Person nicht gefällt, würden Sie dann quasi Ihr Verhalten anpassen, um den Menschen zu gefallen?« Jetzt ist es Ava die nachdenklich schaut.

»So würde ich das jetzt nicht unbedingt ausdrücken.«

»Sondern?« Etwas verunsichert schaut Ava um sich. Sie fühlt sich im Augenblick unwohl und irgendwie eingekesselt.

Wieso stellt sie jetzt diese Fragen? Wird das irgendwie ein Psychospielchen von ihr, oder was?

»Weiß nicht, mir ist es einfach wichtig. Ja, irgendwie möchte ich den Menschen schon gefallen, aber deswegen würde ich mich nicht extra für sie verbiegen.« Kopfschüttelnd zeigt die Doktorin nach vorne.

»Na los, nochmal.« Schnaufend wirft Ava den Kopf in den Nacken. Sie versteht nicht was dieses Theater soll. Irgendwie hat sie das Gefühl, dass die Doktorin ihre kostbare Zeit raubt. Wenn sie aber genauer darüber nachdenkt, wüsste sie nicht was sie im Augenblick anderes mit ihrer Zeit anstellen sollte.

Somit steht sie also auf, geht wieder zum Anfang des Busses und wandert zurück. Schon nach wenigen Schritten winkt die Doktorin sie zu sich zurück.

Herrgott, was soll das denn jetzt? Ich kriege bei dieser Frau noch ein Schleudertrauma.

Bockig pfeffert sich Ava neben die Doktorin.

»Sie haben zugemacht, das bringt jetzt nichts mehr. Wir werden das jetzt so oft machen, bis ich von Ihnen das höre, was ich hören will.«

Was sie hören will, aha.

»Was? Wieso? Was meinen Sie mit zugemacht? Was soll das?« Nora tippt Ava gegen den Kopf, was die jüngere Frau im Augenblick recht beleidigend findet. Sie denkt kurz darüber nach, die Hand der Doktorin wegzuschlagen.

»Durch meine Aussage habe ich Sie verunsichert. Sie denken im Augenblick zu viel darüber nach, als dass Sie mit klaren Gedanken und einem guten Blick das im Bus sehen könnten, was ich von Ihnen erwarte. Wir werden das also wiederholen.« Ava schaut nach vorne. Sie sieht Menschen, die auf ihren Plätzen auf dem Weg zu ihrem Reiseziel sind und fragt sich, was die Doktorin darin sehen will. Es gibt nichts was es da zu sehen gibt. Weshalb also dieses Theater?

»Kann ich Sie etwas fragen?«

Oh Gott, das hast du jetzt nicht wirklich getan. Du fragst sie ernsthaft, ob du sie etwas fragen kannst?

»Natürlich«, lächelt die Doktorin selbstsicher.

Sie kann lächeln, wow, sie kann tatsächlich lächeln. Und dieses Lächeln scheint auch noch ehrlich gemeint zu sein.

»Was soll das? Ich meine, warum soll ich durch den Bus laufen und um mich schauen? Und wenn wir schon einmal beim Thema Bus sind«, Ava wirft ihre Hände in die Luft »weshalb sitzen wir hier drinnen? Ich habe einen Wagen mit dem wir weiterfahren hätten können. Warum sitzen wir hier also?« Als wenn sie die Aussagen bestätigen würde, nickt Nora.

»Ich habe Sie dazu aufgefordert durch den Bus zu laufen, weil ich möchte, dass Sie sehen. Und was die andere Frage angeht: Sie möchten doch das Buch über mich schreiben, richtig?« Etwas verunsichert nickt Ava. Ja, sonst wäre sie schließlich nicht hier. Sonst hätte sie nicht ihre schöne Wohnung zurückgelassen. Sonst hätte sie nicht ihre Freunde und Familie zurückgelassen.

»Sicherlich wäre es von Vorteil, wenn Sie wissen und verstehen was Sie da schreiben. Und das können Sie nur, wenn Sie einige Dinge am eigenen Leib erfahren und miterleben. Quasi ein Learning-by-doing. Was anderes ist das nicht.«

Aha. Ich verstehe die Frau nicht. Muss ich das denn?

***

Während Ava über die Worte der Doktorin nachdenkt, hebt diese einen Arm und streicht ihr in einer fast beunruhigend sanften Geste mit einem Mal ein paar Haare hinter das Ohr. Schon fast liebevoll lächelt sie die junge Frau an.

»Sie sind so blind und verwirrt, dass Sie mir schon fast leidtun«, haucht sie gefühlvoll.

Als Avas Gehirn ihr bewusst macht, was hier im Augenblick passiert, schreiben tausend Nadeln Ava eine Gänsehaut auf den Körper.

Dieses Miststück von Doktorin lächelt sanftmütig und berührt die Journalistin ebenso, so dass diese glatt vergessen könnte, was seit ihrer gestrigen Ankunft alles passiert ist. Sie sieht derzeit nur noch diese bernsteinfarbenen Augen der Doktorin, die sie charmant umschmeicheln. Auch die Form ihrer Lippen deuten ein Lächeln an.

Was war in der Zigarette drin? Meint die das wirklich ernst? Kann die gute Frau tatsächlich freundlich sein?

»Wir sind gleich da«, lenkt Nora Avas Aufmerksamkeit von sich ab und verlässt den Platz. Langsam wandert sie zur hinteren Bustür und drückt den Stop-Knopf. Sie schaut nicht zu Ava zurück und zitiert sie auch nicht zu sich. Stattdessen bewegt sie ihren Kopf in einer langsamen Geste, bis der Bus die Geschwindigkeit drosselt. Ein junger Mann steht von seinem Platz auf und stellt sich neben die Doktorin. Mehr als deutlich betrachtet Nora den guten Mann, blickt zu Ava zurück und ruft sie mit einer stummen Kopfbewegung zu sich.

Gehorsam wie sie manchmal sein kann, trottet Ava zur hinteren Tür. Verwundert beobachtet sie die Doktorin dabei, wie sie ihren Platz an der Tür verlässt und direkt hinter sie tritt. Jetzt fühlt sich Ava in ihrer Privatsphäre recht gestört. Ihr steht Nora einfach zu nahe.

»Wenn sich die Türen öffnen gehen Sie einfach. Egal was passiert, gehen Sie einfach geradeaus.« Flüsternd wirft Nora Ava diese Worte an den Kopf, die das in keinster Weise nachvollziehen kann.