Hurra, wir dreh’n uns noch

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Ich konnte nicht so schnell gucken, wie Kleber zur Stelle war und mir aus dem Auto half. Mit meinen Händen weit auseinander, klebte ich am Autodach. „Je weniger sie sich wehren, umso weniger tut’s weh!“, so Klebers Meinung, nachdem ich kurz: „Hau auwah!“, etwas wehleidig kundgetan hatte.

Dann beklopfte mir die vom Staat bezahlte Type in synchroner Zwietracht all seiner Hände beidseitig die Schultern und strich erst über, dann unter meine Arme. Dann kam im Befehlston, mit dem knurrigen Spruch eines zu lang schon in Askese lebenden Koches, dessen einziger Gesprächspartner ein ebenso einsames Schnitzel: „Bitte wenden!“

Am Ende meines Autos stand der dritte im Bunde dieser Bande. Ohne eine Miene zu verziehen, stabilisierte er sich dank seiner altersbedingten nicht mehr besten Statik vom Dach gehalten. Anstatt mit etwas Anteilnahme mein Leiden zu lindern, starrte er apathisch durch mich hindurch. Dafür klopfte mir Kleber noch zweimal beidhändig auf den Brustkasten und endete mit einem coolen Cowboyspruch: „Fürs Erste!“

„Und“, stand die Polizistin wieder an meiner Seite, „was haben wir jetzt festgestellt?“ Dazu lächelte sie, wie man dazu ebenso lächelt als Beamtin, und löste gleich selber: „Richtig, hier mach ich die Witze!“ (Beamtenlächeln = Durchfall akut bei 87b)

„Ja, ich dachte ja nur, das …“

„Nicht denken, Herr Törl. Das machen wir hier“, hatte sie meine Fleppen, sichtbar angewidert, auseinander klamüsert. Lesbar war wohl nicht nur mein Name: „Moped und Traktor wär noch möglich! Naja Mensch, sie haben es ja richtig zu was gebracht, in Ihrer Zeit.“

Was soll das heißen: In ihrer Zeit? Ihrer Zeit, gleich alter Mann? Ich glaub es hackt! Am liebsten würd ich ihr eins auswischen. Doch mit dem Kleber an ihrer Seite ist das eher schwierig. Dieser Möchtegern-Cowboy, dieser einsame Reiter mit fehlendem Pferd, der tatscht mich doch gleich wieder an. Irgendetwas musste mir einfallen. Keine Lust, mich von dieser Asphaltzecke vorführen zu lassen.

„Aha“, bemerkte sie süffisant, „das Auto gehört Ihrer Frau. Haben sie ihr das Chaos im Kofferraum schon gebeichtet?“

„Hä, was denn für ’n Chaos?“

„Na hier“, lächelte sie mich an, „oder sammeln Sie Schrott?“

„Das ist doch kein Schrott, das ist mein Werkzeug!“ Ich war erbost, doch wollte ich ihr das auf keinen Fall zeigen. Sicher, ein wenig unaufgeräumt war es schon. Nur wenn es nach Hause geht, wer räumt da schon auf? Und hätte ich doch eine gewisse Hausordnung hergestellt, für wen bitte schön, wenn morgen eh Erd unter?

„So transportieren Sie Ihr Werkzeug? Ungesichert verteilen sich die Teile im gesamten Innenraum Ihrer, von Frau Törl ausgeliehenen, Rostlaube. Was würde wohl Ihre Frau dazu sagen, wenn sie dieses Desaster hier zu Gesicht bekommt? Und was würde wohl passieren, wenn Sie eine Notbremsung machen müssten?“

Ich hatte mal einen Lehrer, der mich genauso ansah wie diese Frau Bürstig. Sich seiner sicher, dass ich eh nichts wüsste und einem süffisant-triumphierenden Gesichtskrampf, als wollte er für breit aufs Bild.

Doch diesmal konnte ich mit Wissen glänzen, was zumindest die dritte Frage betraf: „Ich musste schon einmal bremsen.“

„Nein was, sagen sie bloß! Da haben sie schon mal gebremst?“

Ich konnte mir nicht helfen. Mich beschlich das Gefühl, dass sie mich veralbern wollte. Dabei ist das sonst mein Part. Nur diesmal, mit dem von Wissen Klebers Existenz, war ich doch ein wenig verdattert. Grad so, dass sich bei mir kein Sprachfehler einschlich, verbesserte ich: „Notgebremst! Also was ich meine ist, dass ich aus Not bremsen musste.“

„Na sieh mal an. Doch schon eine Notbremsung heute?“

Wenn sie jetzt noch den belehrenden Zeigefinger erhebt, wird mich spontan eine Blechschere finden wollen, mit welcher ich mich, den Kleber ignorierend, schnittsicher dieser knöchernen Drohgebärde bemächtigen würde.

„Und, ist was passiert?“, riss mich das Fräulein Bürstig aus meiner ihr zugedacht-imaginären Amputation.

„Passiert? Na nix ist passiert. Außer das ich den Kofferraum aufräumen muss!“

„Sehn’ se! Und mal aussaugen tät Not.“ Uach, was ein Frettchen: „Ja ich sehe und saugen lass ich!“

Sie hatte ja recht. Es sah bei mir schon aus, wie übermorgen vielleicht die ganze Welt. Zumindest wenn es nach den Zahlenjongleuren von Übersee ging. Dank Kofferraum doch aber noch kompakt, nur ähnlich eben. Möglicherweise eine kleine tektonische Plattenverschiebung oberhalb der Hinterachse. Ein unbändiger Vulkan in der Abgasanlage, dessen undurchdringliche Staubwolke sich ungefragt auf das meine Interieur hatte herniedergelegt? Es wär alles egal, wenn sie doch nun endlich einmal zum Punkt kommen würde! Doch das schien schwierig. Kämpfte sie doch momentan mit meiner Fahrerlaubnis, welche ihr am Daumen klebte. Dazu murmelte sie geheimnisvolle Beschwörungsformeln und zeigte meinen Fleppen, die mittlerweile am linken Handballen klebten, angewidert ihr Gebiss. Anstatt, dass sie mir diese Verkehrsberechtigung zurückgab, rief sie nah der Verzweiflung „Deiner“ Kleber um Hilfe. Sie musste nicht viel reden. Deiner Kleber war auch ohne Banane und die vielleicht extra Portion Milch zur Stelle. So rief sie mit erhobenem Daumen, an welchem erneut das Corpus Delicti klebte: „Für dich!“ Beherzt griff „Deiner“ Kleber nach der klebrigen Fahrerlaubnis, um seine Kollegin von diesem verklebten Relikt zu befreien. Auch wenn es ihm gleich beim ersten Versuch gelang, jammerte Frau Wachtmeister Bürstig immer noch über ihren eingesauten Daumen. Mit Zellstoff und Spucke versuchte sie den, wie sie meinte, verseuchten Knubbel wenigstens mit einer ersten Grundreinigung beizukommen. Sie mühte sich ehrlich, doch es half alles nicht. Ihr Zellstofftuch wurde immer kleiner und sie selber immer fuchtiger.

„Vielleicht lassen Sie Ihren Kollegen einmal drauf spucken?“

„Wie kommen Sie auf diesen Unsinn? Dem klebt Ihr Lappen genauso am Daumen …“

„… Zeigefinger, jetzt Mittel. Ich meine ja auch den anderen“, nickte ich in Richtung greisem Polizisten.

„Aber sonst geht’s noch, oder wie?“

„Oder wie, was …“

„Was?“

„Na was wie! Oder?“

„Wieso, oder was wie? Wenn, dann doch wohl eher wie, was? Oder was? Oder nicht?“

„Na wenn, wie Sie meinen, dann wohl doch eher wie und kein was? Das ist ja wohl die Frage! Wenn nicht was, kann ja nur noch wie! Oder was meinten sie?“

„Was ich wie meinte, das ist doch … das, äh … kann doch …“

Da standen sie da, alle beide, mit zerbombtem Zellstoff am Daumen und meiner Fahrerlaubnis momentan zwischen kleinem und Ringfinger an der Linken. Freund und Helfer, zwei Fragezeichen denen der Kopf qualmte. Und Polizist senil, der dritte im Bunde, starrte immer noch apathisch stur in eine Richtung. Wie mag er wohl heißen? Spontan einigte ich mich auf Schitzo. Von Schitzo! Die zahlreichen Falten hinterließen was Adliges. (Auch wenn mir als erstes Nacktmull einfiel. Doch will ich ja niemanden beleidigen!)

„Apropos – kann doch! Kann ich denn dann?“

„Kann ich dann was?“

„Kann ich dann gehen? Oder besser fahren, vielleicht?“

„Na vielleicht mal nicht!“, wurde sie lauter. Das Fräulein Bürstig bekam Farbe, ihre Halsadern drückte es in eine schon beängstigend konvexe Form und Aspirationstropfen entrannen ihrer grübelnden Stirn. Flugs wischte sie diese mit einem ihrer Ärmel hinfort. Einmal hin, einmal her. Wie sie es gemacht hatte, weiß ich nicht. Doch wie sie ihre Anzugsordnung wieder herstellte, Mütze gerade rückte, hing das Stück Zellstoff unter dem Deckel in einer Haarsträhne. Mit dem Versuch, ihre Erregung zu unterdrücken, befahl sie ihrem Kollegen Kleber, sich nun mal endlich dieses Lappens, was immer noch meine Fahrerlaubnis war, zu entledigen. Hilflos klebte er sich das Teil von einem Finger auf den anderen, von der linken zur rechten Hand. Sollte es einem nicht schwindelig werden wollen, sah man besser nicht hin.

Bürstig verdrehte genervt die Augen. Ab da muss sie das Stück Zellstoff bemerkt haben. Was sie aber versuchte sich nicht anmerken zu lassen. Fortan stand sie vor mir und blinzelte pausenlos mit dem linken Auge. Dienstbeflissen, die Störung ignorierend, muss sie sich dunkel erinnert haben, wo sie sich befand: „Um was geht es hier eigentlich?“

„Das müssten Sie doch wissen!“

„Na ich weiß das. Aber Sie, wissen Sie es? Das ist doch die Frage!“

„Das ist die Frage?“, fragte ich ahnungslos. „Was wollen Sie da jetzt hörn, wenn das die Frage ist?“

Wieder wischte sie sich mit dem Ärmel übers Gesicht. Ich nutzte die Gelegenheit und befreite Kleber von dem klebrigen Lappen. Einfach mal von hinten angehen, das Delikt. Naja, Polizisten – kannst nix machen. Schnell schob ich mir das Teil in die Gesäßtasche. Die hatte ich schon mal sicher!

Bürstigs ihre, welche sich erneut geordnet hatte, formulierte neu: „Weswegen wir sie angehalten haben? Das ist die Frage, Herr Törl!“ Erleichtert, den Faden wiedergefunden zu haben, mit dem Zusatz: „Sie erinnern sich wohl noch?“

„Na sicher doch! Oder seh ich vielleicht aus, wie Heimers Alz. Nur wusste ich vorhin schon keine Antwort. Wie kommen Sie also darauf, dass ich jetzt eine wüsste?“

„Na weil Sie ja nun schon eine ganze Weile Zeit hatten, genau darüber nachzudenken!“

„Nachdenken, bei dem Theater hier?“, sah ich vorwurfsvoll zum Kleber, welcher mir daumenlutschend einen Dank entgegen sabberte.

„Theater?“ Mann oh Mann, das war zu viel. Sie schien sich in ihrer verbeamteten Existenz beleidigt: „Theater? Was denn für ein Theater? Dann werd ich Sie mal schlau machen, Sie Schlaumeier Sie! Sie denken wohl, sie kommen um ein Bußgeld drum rum, oder was, wie? Aber mit mir nicht! Nicht mit mir, Nada!“ Zu viele Fragen, die geradezu nach Antworten gierten. Doch nicht von mir. Schon eher von ihrem gemeinsamen Dienststellen-Ötzi? Nur werd ich bestimmt nicht fragen. Das sollen die Mal schön selber, soll’n die … Nachher häng’ die mir noch ein dran. Wegen unsachgemäßen Ansprechens verwitterter Vereinskollegen vom Amt mit Todesfolge. Nicht auszudenken, was wenn? Stattdessen hielt ich einen ersten vorsichtigen Angriff für angemessen: „Frau Polizistin Bürstig! Erstens sollte ich laut Ihren Worten nicht denken. Zweitens heißt das ja wohl rum drum und nicht, wie Sie behaupten, drum rum! Und drittens, …“

 

Drittens musste ich lachen. Es ging nicht mehr, wie sie vor mir stand und versuchte, mit dem Zellstoff über dem nun rechten Auge, zwinkernd mich ernsthaft anzusehen. Jetzt schien es endgültig zu viel, so dass sie sich nicht scheute um Mithilfe zu bitten: „Kleber, gründlich!“

Und eh ich mich versah, klebte mich Kleber, wie schon beim ersten Mal, ans Autodach. Während er unter den Achseln anfing, fing Bürstig an, mich mit ihrem schier endlosen Wissen zu bereichern: „Erstens, haben Sie nicht nur mehrfach den Randstreifen nicht nur gestriffen, nein, Sie mussten ihn gleich mehrfach überfahren. Zweitens, der Mittelstreifen wurde von Ihnen wiederholte Male in eben analoger Manier … bekämpft, möchte ich schon meinen! Und drittens! Drittens in einer Geschwindigkeit, welche für diese Strecke nicht zugelassen. Sie waren über siebzig Prozent unserer Geschwindigkeitsmessung mit achtzehn Kilometer pro Stunde, abzüglich drei zu Ihrem Gunsten … macht, äh … Kleber?“

„Zwölf!“, meldete sich Kleber von meinen Kniekehlen und krabbelte über die Hüften wieder hoch.

„Danke, richtig! Mit zwölf Kilometern pro Stunde zu schnell unterwegs. Was will Ihnen das sagen?“

„Was will mir wer sagen? Und wieso regen Sie sich so auf? Morgen ist eh Weltuntergang. Der Letzte, wie man so spricht. Also, was soll’s? Easy!“

„Easy?“ Wutentbrannt riss sie sich die Mütze vom Kopf: „Was ich Ihnen damit sagen will, frag ich Sie?“

„Das sie mir … vielleicht … schon eine Weile … hinterher gefahren sind, vielleicht?“ Mit dieser Antwort, welche ich als Frage dieser uniformierten Hysterie gereichte, reichte dieser nicht wirklich. Schnaufend, was das Tanzen des Zellstoffs unterstützte, offenbarte sie mir ihre Vermutungen, was meine Beweggründe für dieses verkehrswidrige Verhalten gewesen wäre: „Entweder Sie seh’n mich dual, in Folge von blau, sprich volltrunken! Sie sind high und sehen mich in Farbe? Oder aber, was da noch in Frage käme: Sie sind dermaßen übermüdet, dass Sie unfähig sind, beidhändig das Lenkrad zu halten. Unkontrolliert brettern Sie als eine Gefahr, … Was sag ich? Eine tickende Zeitbombe!“ Dazu hob sie ihre Arme gen bewölkten Himmel und simulierte unter verbaler Unterstützung einen Zusammenstoß mit einem … Feldhamster vielleicht? Ich weiß es nicht. Ich weiß so vieles nicht. Was ich aber mit Sicherheit wusste: Die Bürstig, diese Polizistin, diese auch von mir bezahlte Beamtin, die hat nicht alle Latten am Zaun. Dazu dieser Kleber, welcher gerade höchst selbst mich vom Dach löste und eigenhändig wieder in Richtung drehte, um mit den Worten eines verkannten John Waynes sein Tun zufrieden zu beenden: „Fürs Zweite!“ Jeder normal denkende Cowboy würde doch wohl nun, nach solch getaner Arbeit, seinen ausgenutschten Pfriem in Dreck spucken. Nur nicht Kleber. Nein, Kleber nicht. Kleber machte dazu lieber ein Geräusch, was so klang, als wenn er ein Hummelpärchen beim Paarungsflug abrupt aus ihrer Turtelbahn in eine Regentonne schnippte, wo sie von einem aggressiven Rudel Mückenlarven angefallen und während des Ertrinkens, bei lebendigem …

„Also Herr Törl, was sind Sie denn nun? Müde, besoffen, oder doch eher high?“

„Ich weiß auch nicht so recht.“

„Das kann ja wohl nicht so schwer sein! – A, B, oder C?“

„Was ist mit D?“

„D? Wieso D, was soll das denn jetzt?“

„Na D, wie Durcheinander.“

„Durcheinander? Das steht unter C, also doch high! Seh’n Sie mir mal in die Augen!“, forderte sie streng.

Wie sollte ich der Bürstig ernsthaft in die Augen sehen? Klebte der Zellstoff immer noch an der Braue und tanzte bei jeder noch so kleinen Gesichtsmuskelverzerrung wie verzückt. Gleich musste ich wieder lachen, ging nicht anders.

„Was ist so albern? Ich?“

„Nichts, alles gut!“ Ich hätte Knigge lesen sollen. Aber nö – Mohr und die Raben von London – Danke!

„Keine Veränderung der Pupillen“, murmelte sie vor sich hin „und ’ne Fahne riech ich auch nicht. Aber“, fuhr sie deutlich lauter fort, „muss das ja nichts heißen. Sind Sie dennoch mit einer Alkoholkontrolle einverstanden?“ Die Frage nach der dazu gehörigen Lokalität lag nah. Grad so, dass ich mich zurückhalten konnte, trat ich der Polizistin Bürstig besser mal entgegen.

„Wenn ich Ihnen damit eine Freude mache. Ich wähle aus, sie zahlen!“ Und schon spürte ich, wie mir heiß und kalt wurde.

„Was haben wir jetzt aber auch gelacht, Herr Törl!“

Oh Mann, so ein Mist. Ich wollte das nicht. Ich wollte das wirklich nicht! So ein Mist aber auch!

Schon hörte ich Bürstig nach ihrem ersten Adju rufen: „Haben wir vorhin etwas vergessen? Eine Kleinigkeit vielleicht, Herr Kollege? Falls ja, wär genau jetzt der Moment für Korrektur!“

Klebers Rechte formte sich zu einer Backerschaufel in Unterkante Hüfthöhe. Den Griffel auf- und zu klappend, kam er bedrohlich breit grinsend auf mich zu. Schnellstens quälte ich mir ein zwei Entschuldigungen ab. Bürstigs Kleber machte sonst noch ernst und greift mir, zwei Kilo Marihuana vermutend, an den Sack.

„So Herr Törl, da bin ich wieder.“

„Sie waren weg?“

Wieso war ich dann noch da? So viele Fragen! So wenig Antworten!

„Das Mundstück hier mal bitte auspacken. Dann das da drauf stecken und mal kräftig hinein pusten. Bitte!“

„Na Danke!“, brabbelte ich mir in meinen Bart, das klebrige Teil auseinander klamüsernd.

„Wie meinen?“

„Na sicher doch! Mir ein leichtes.“

„Na denn!“

Mit weit von tief unten geholter Luft, gab ich mir echt Mühe, Bürstigs Bitte nachzukommen. Das Ding machte auf verstopft. „Immer weiter, weiter, weiter … gleich geschafft. Ein bisschen noch uuund … Danke! Sehr schön, das war’s schon.“

„Na?“

„Na und?“

„Na und was?“

„Na und was nu?“

„Na was und nu?“

„Na nix nu!“

„Nix nu?“

„Nix!“

Sie war echt überenttäuscht. Auch ihr Polizistenkollege, Anhängsel Kleber, war von einer totalen Unzufriedenheit befallen. Aufgeregt zerscharrte er sich beidhändig diesen Unmut unter seiner Berufsbedeckung. Doch war die Trauer von nur kurzer Dauer.

„A!“, fiel ihr wieder ein, was auch Kleber, seine Spürnase raushängen lassend, für weit mehr als nur sinnig erachtete. Obwohl er schon lang nicht mehr wusste, worum es ging, lachte er „Haha“ in der Hoffnung auf Erfolg mich dennoch siegessicher an. Grad so, dass er nicht noch begeistert applaudierte.

„Ich bin ja immer noch für D“, warf ich ungefragt mein Befinden in die Runde. Vielleicht hatte ich ja ein wenig Glück und konnte meine Lage ein wenig verbessern. Fiel mir doch noch eine ganz andere Bombe ein, nachdem sie mich als selbige nur eben tickende, betitelte.

„Was woll’n Sie schon wieder mit D? Was soll das?“

„Vielleicht hat das ja einen Grund, warum ich so schnell unterwegs bin!“

„Es gibt keinen Grund so zu rasen! Auch nicht für Sie!“

„Na vielleicht mal doch!“

Sie will es anscheinend nicht anders. So berichte ich ihr nun doch, mit der völlig überzogenen Verzweiflung eines grad so Überlebenden, welcher der um einen Tag vorgezogenen Vernichtung uns aller, dem nackten Grauen grad so entkommen: „War ich doch auf der Flucht vor dem Bösen! Das nackte Grauen, der Horror schlechthin!“

„Von was reden Sie bloß?“

„Na von den Verrückten, den Türken, die da wie die Verrückten …“

„Nu mal ganz langsam und in Ruhe und das Ganze am besten von vorn.“

„Ja genau“, musste Kleber noch zwischen nei’ quatschten, „am besten von …“

Ein strafender Blick Bürstigs ließ ihn, sich seiner Rangordnung erinnernd, seinen Satz vorzeitig beenden.

„Also, die Türken warn da!“

„Was wer? Sind Sie sich sicher?“

„Na sicher bin ich mir sicher! Sonst wär ich mir ja nicht sicher! Oder? Und wenn nicht, dann warn das eben irgendwelche südostosmanischen Rumtreiber!“

„Rumtreiber“, wiederholte Bürstig mit erkennbarem Zweifel in der Stimme.

Oh je, ich musste mir flugs was einfallen lassen, was mich halbwegs glaubwürdig aus der Nummer wieder raus brachte. Und das nicht erst morgen, sondern jetzt, hier und das sofort! Mir wurde es ungewöhnlich warm im Hirn. „Die lauerten da im Zelt. Manche lungerten auch nur so rum. Wie zum Sprung bereit, so eben.“ Ich sah auf Interesse hoffend in unsere kleine Runde. Erleichtert konnte ich fortfahren: „Einer hatte sich zwischen so’n Stapel Fußabtreter versteckt. Der tat so, als wenn er so’n kleiner, so’ne Art von Muck wär. So was hinterhältiges! Wie der schon aufstand, der wurde ja immer größer. Man bekam echt Gänsehaut.“

„Gänsehaut? Sie, oder wen meinen sie? Und was hat der …, der Muck gemacht, der Kleine?“

„Na erst mal nichts.“

„Nichts?“

„Naja, nichts eben. Aber Kinder schrien, die schrien verzweifelt nach dem Weihnachtsmann. War doch da so’n Typ, so’n grusliger, der da dem Jungen das Fell gerben wollte. So hatte ich das jedenfalls verstanden. Doch provozierte das wiederum zwei Typen im Bademantel oder was das sein sollte. Moses’ Verwandtschaft, war mein erster Gedanke. Was aber nicht sein konnte, war Moses doch auf unserer Seite, dachte ich bis da.“

„Moses?“, bekundete Kleber aufrichtiges Interesse.

„Ein Guter!“

„Ach was?“

„Na ja doch!“ Gespannt, gleich einem Kleinkind, auf den Fortgang dieser Geschichte, klotzte mich Kleber mit weit aufgerissenen Augen an. Was wiederum Bürstig dazu veranlasste, ihren Kleber zweifelnd an seiner Kompetenz als Hüter für Recht und Ordnung, strengen Blickes zu strafen.

„Und die, die waren bewaffnet …!“

„Bewaffnet? Das meinen Sie nicht ernst?“

„Und ob! So wahr ich hier stehe, die war’n bewaffnet, war’n die! Mit so ’nem ellenlangem Messer. Messer! Was sag ich? Ein Säbel war das, ein Säbel! So lang!“ Ich zeigte in etwa Gribs lichte Höhe (man muss ja nicht gleich übertreiben), wie ich mir ihr Erscheinen in Erinnerung rief. „Gott sei Dank hat er sich mit der Klinge in seinem Zelt verfangen. Welches er dann vor lauter Wut gleich in seine Einzelteile zerlegte, das die Menge verschreckt auseinandersprengte. Sein Kumpel rief dazu wie gestört und ferngesteuert, dass Allah uns richte. Uns alle, das hat er gerufen, ganz laut. Und die Zunge wollte er uns rausschneiden, falls Allah nicht selber …“

„Wer war jetzt gleich noch mal Allah?“ Kleber zeigte sich wieder interessiert. Und ich dachte mir: Jetzt bloß nicht den Faden verlieren. Dran bleiben, die Bürstig schien beeindruckt! Wenn das nicht zu meinem Nutzen ist, was dann?

„Jetzt mal Ruhe, Kleber. Das klären wir dann später!“ Und wieder zu mir gewandt: „Und was nun weiter?“

„Nicht, dass das schon schlimm genug wäre, nein, der Typ, so ein großer, so ein … Schwarzenecker, ein Athlet wie Ihr Kleber hier, …“

Kleber schwoll die Brust. Er sah sich schon die verfilztverwilderten Wüstenhorden direkt vom Kamel aus im Alleingang zur Strecke bringen. Zum Einsatz bereit, die Hand an der Waffe.

„Dieser Kerl“, fuhr ich fort, „der stand da auf dem Podest, von wo er mit finsterer Miene, hinter einem gruslig maskierten Gesicht und einem garantiert falschen Bart laut in die Menge rief: „Gleich lassen Bombe platzen ich! Bombe gleich werden platzen! Große Überraschung oooh, große Überraschung, wenn ich lassen platzen Bombe! Gleich ist so weit, gleich isis … Verzweifelt schrie eine Mutter, ihre Kinder in Sicherheit bringend, was das alles solle. Das kann doch nicht sein! Sie schafften es, wenn ich das richtig mitbekam, bis zum Zelt einer Spanierin. Glaube ich zumindest …, oder hoffe ich doch, hoff ich das!“

Entsetzt starrten mich Kleber und Bürstig an. Und wie diese Bürstig den Mund aufmachte, um wer weiß was zu fragen. Kam ich ihr besser zuvor und hob meine Hände als wolle ich sie segnen: „Und nun frage ich sie, Frau Bürstig, oder sie, Herr Kleber, oder sie, Herr … egal!“, winkte ich den greisen Greis ab. „Was tun Sie dann? Was tun Sie dann in so einem Fall, wenn Sie selber nicht der Held sind? Wenn Sie selber mehr Willy und weniger Maja? Apropos Maja. Natürlich könnte laut majanesischer Rechenmeister morgen alles im Argen sein, sodass die Welt aussieht wie der Kofferraum meiner Frau. Doch was, wenn diese sich verrechnet? Dann häng ich dann da, da auf dem Säbel! Und einer von diesen vollbärtigen terroristischen Knusperköppen gerbt laut lachend mir das meine Fell? Was tun Sie dann? Was?“

 

Meine Güte! Was für eine Rede? Ich hätt mir selber die Schulter beklopfen mögen. Es fiel schwer, dieser grad eben verbal verzapften Unsinnigkeit wegen, nicht verräterisch laut aufzulachen. So wie die beiden guckten, glaubten sie mir diese haarsträubende Geschichte. Die glauben bestimmt auch, das Teppichfliegen fliegen können. Nur muss man das bisschen Glück nicht reizen, wenn man finanziell schadfrei raus wollte.

Fragend sahen sie mich an. Hoffend, ich würde ihnen die Antwort gleich noch dazu liefern. „Also ich, … ich weiß grad nicht, …“

„Also ich, ich würde denen aber, aber denen würde ich mal so was von voll in ihren …“

„Sie sind jetzt mal still Kleber!“

„… aber sowas von voll“, beendete Kleber seine ungefragte Angriffstaktik, wozu er unnütz aufgeregt an seiner Dienstwaffe ruckelte.

„Na, kam denn keine Polizei, wenn das so schlimm …? Es muss ja bestimmt irgendwer die Kollegen gerufen haben?“

„Wie ich raus bin, sah ich nur die Spanierin in ’nen Papierkorb kotzen. Ich verstand nur, dass es nicht die Carmen war, die sie …“

„Ist die vergiftet worden?“

„Anscheinend, mit der komischen Soße, die selbstgemachte. Nur wie und was …, ich war ja schon weg.“

„Und keine Polizei?“

„Hab ich nicht gesehen, nein. Aber kurz drauf kreuzte die Armee meinen Weg. Gleich ein ganzer LKW. Und ein Leichenwagen fuhr auch hinterher.“

„Und ein Leichenwagen?! Haben Sie das gehört, Kollegin Bürstig? Ein Leichenwagen!“ Kleber war völlig aufgedreht.

Er riss sich die Mütze runter und musste sich erst einmal den Schweiß von der Stirn wischen. Um, während er sich den Deckel wieder überstülpte, fortzufahren: „Ich hab es schon immer gewusst, schon immer! Die verschwenden keine …“

„Klappe Kleber!“

„Aber mir glaubt ja wieder …“

„Psst!“

„… keiner!“

Plötzlich meldete sich die Dienststelle. „Die wollen wissen, wann wir am Unfallort sind?“

„Ich hab es ja gehört Kleber! So ein Mist, aber …“

„Es staut sich wohl schon bis Krostitz, sagen die.“

„Kleber, ich kann es auch hören, wir alle können das hören, so laut wie das eingestellt ist. Man Kleber!“ Und schon wandte sie sich wieder mir zu. „Was Sie nun anbelangt, Herr Törl, machen wir es kurz. Auch wenn das ’ne tolle Geschichte ist, kommen Sie um eine kleine Strafe nicht rum drum. Erstens, für diese Geschwindigkeitsüberschreitung. Wobei Sie noch Glück haben, dass Sie nicht über fünfzehn Kilometer pro Stunde zu schnell unterwegs waren. Aber bei zwölf – da sind wir noch bei dreißig Euro. Dazu kommt aber Ihre verkehrsgefährdende Fahrweise, die Nummer mit dem Mittelstreifen und so. Sie erinnern sich? Fein“, nahm sie mein fragendes Gesicht als Zustimmung. So fuhr sie fort: „Ich denke, Sie haben Verständnis dafür, wenn ich Ihnen sage, dass das so schon mal gar nicht geht! Dreißig Euro! Als nächstes Ihr Kofferraum. Sie haben ja selber bemerkt, was passieren kann, wenn … Da will ich mal Einsicht zu Ihren Gunsten gutrechnen, bleibt noch … äh? Zehn, genau, zehn Euro.“

„Zehn von was?“

„Ruhe! Jetzt noch die Beleidigung!“

„Beleidigung?“

„Ich sage nur Theater!“

„Welches Theater …?“

„… bei dem Theater hier! Haben Sie vielleicht gedacht, dass ich ausseh’ wie Heimers Alz? Oder wie …? Fünfundsiebzig Euro!“

„Waaas?“

„Keine Diskussion, Kollege Kleber wird das nun einmal für uns zusammenrechnen. Kleber, bitte!“

Sogleich fing Kleber an vor sich her zu murmeln. Mal was mit fünfundzwanzig, mal was von zehn und schon waren seine Finger im Spiel. Grad so, dass er sie sich nicht brach. Sein Hirn stieß an seine Grenzen, dass es ihn schmerzte. Erst kratzte er sich links, dann rechts und einmal musste sogar die Mütze seinen Skalp freiräumen, ehe er zu einem endgültigen Ergebnis kam. „Einhundertfünfzehn Euro, nach Adam und seine Riesen.“

„Prima Kleber, das passt“, ereilte ihn Bürstigs Belobigung, um mir mit der Gabe einer ernst zu nehmenden Amtsfrau entgegen zu flöten: „Also, Sie haben es gehört.“

Na sicher hatte ich gehört. Ich bin ja nicht taub, bin ich nicht! Der Typ konnte nicht mal rechnen. Nur werd ich mich hüten …

„Und weil wir heut nicht in Stimmung sind, uns noch weitere ihrer unsinnigen Argumente anzuhören, komme ich Ihnen aus Gründen, von mir aus auch wegen des bevorstehenden Weltuntergangs, ein Stück weit entgegen. Einhundert Euro, wenn Sie gleich zahlen. Ohne Quittung natürlich!“

„Natürlich!“

„Außer, Sie suchen Streit! Dann müsste ich neu berechnen. Und das wollen Sie bestimmt nicht!“

Auch wenn ich ein wenig verdattert war, so war ich doch auch erleichtert. Hät ja echt schlimmer kommen können.

„Ich zahle sofort!“

„Das heißt auch, dass Sie auf einen Wiederspruch verzichten …“

„Verzichte!“

„Na prima! Kleber, schaff Pitt ins Auto! Ich kassier mal eben ab.“

Und während ich bezahlte, hörte ich zum ersten Mal diesen Pitt, welcher mit meinem Auto schon wie verwachsen schien, einen Satz reden. Selbst Bürstig, die Dienstmütze für bessere Sicht über ihren Pony schiebend, sah erstaunt rüber.

„Kann ich einmal ihren Verbandskasten sehen?“

„Na dafür ist es wohl ein bisschen spät nun. Was Pitt?“ Und zu mir gewandt: „Machen Sie mal ein Päuschen, Herr Törl! Sie sind ja völlig übermüdet!“

Ich dankte für den bestimmt gut gemeinten Tipp. Trotz allem verzichtete ich darauf, diesem Trio hinterher zu winken, wie sie mit Blaulicht und einem ohrenbetäubenden tatü und ebenso lautem tata in Richtung Krostitzer Stauende dahin brausten.

Prima, sagte ich mir. Endlich hatte ich diesen Dreiertrupp geschafft. Zumindest redete ich mir das ein. Dafür hatten diese Polipappnasisten mir die Reisekasse ruiniert. Gründlich, wie ich nach einem kurzen Kassensturz entsetzt feststellte. Alles was Sie mir zum Überleben ließen? Fünf Euronen! Fünf verschi… Euro! Kaum zu glauben, was?

Oder was glaubt Ihr? Glaubt Ihr ernsthaft, dass Beamte sich zu ihren Gunsten auf Kosten Heimreisender ihr Weihnachtsgeld schön rechnen dürfen? Dass dank meiner und deiner Steuern bezahlter Hobbycowboy einen einfach so zu seinem Vergnügen mal eben abfingern darf? Dass sich eine Polizistin über mich, mein Auto (ja, das Auto meiner Frau) und dessen Inhalt lustig machen kann? Dass man noch nicht mal einen Witz machen darf, zu Ungunsten derer Zunft! Glauben Sie das? Nein? Ich auch nicht!

Tatsache ist, es war noch Platz. Wie sollte ich den nutzen, wenn keiner da war, den man fragen konnte? Wenn eine Entscheidung gefordert. Ihr werdet verstehen, ich musste handeln!

Die Wahrheit, also die „reine Wahrheit“ und nur die, die ist so langweilig und unaufgeregt simpel, dass es nicht lohnen wollte die Seiten zu bekleckern. Falls sich jedoch wer findet, welcher trotz all der Schwindelei Interesse (auch wenn nur geheuchelt) anzeigt, so will ich denn doch noch ein paar Blatt zu tun, um diese Zeitverschwendung jenes Trios auf selbigem zu manifestieren.

Es muss so gegen fünfzehn Uhr gewesen sein, als ich Delitzsch die Rücklichter kehrte, heilfroh, dem Innenleben dieser Stadt meinen Auspuff zu zeigen. Mir wollen heut noch meine Gesichtsbacken schmerzen, wenn ich zurückdenke, wie ausgerechnet ab Höhe Polizeirevier meine Zähne permanent aufeinanderschlugen. Bis mir ein Mitarbeiter vom Amt für Straßen- und Tiefbau freundlich Mitteilung machte, dass ab der nächsten Kreuzung, doch bitte der Umleitung Folge zu leisten wär.

Auch wenn sich meine Zähne daran gewöhnten, an die Klapperei – mir brummte der Schädel. Auch wenn ich nach der dritten Runde Markt, ein Schild für Umleitung immer noch nicht fand, fand ich die Stadtmauer, welche so alt schien, dass Napoleon höchst selbst sie für ein Denkmal erachtete. Eigenhändig beidhändig markierte er, den Kaiser raushängen lassend, diese als sein Revier. Man kann das heut noch, hier und mitunter auch da, an den ausgespülten Fugen in Kniehöhe erkennen.

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