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Z serii: Eltville-Thriller #11
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7

Am nächsten Morgen saß Susanne bereits am Schreibtisch, als Ferdinand und Eric hereinkamen. Sie tat so, als wäre sie am Computer beschäftigt.

„Guten Morgen, wie sieht es denn in unserem Fall aus? Ich habe den Staatsanwalt gleich mitgebracht, er wollte auch wissen, was heute anliegt.“

Glücklicherweise kam jetzt Robin und übernahm das Reden. Er berichtete von ihrem Besuch in der Praxis und dass Fabian Tschötz dort fachlich sehr angesehen war. Nach Susannes eindringlichen Fragen hatte eine Kollegin zugegeben, auch eine Affäre mit ihrem Chef gehabt zu haben.

Ferdinand seufzte.

„Warum muss solch ein Klischee immer erfüllt werden? Arzt und Krankenschwester, Chef und Sekretärin … na ich weiß nicht. Was finden die Frauen an Vorgesetzten? Die meisten sind verheiratet und haben Kinder. Unser toller Schönheitschirurg auch.“

Susanne zuckte mit den Schultern.

„Also mich ziehen solche Typen nicht an. Da musst du die betroffenen Frauen fragen.“

„Das ist, denke ich, für unseren Fall nicht relevant“, erwiderte Eric, „Sie sollten uns schnell den Täter präsentieren. Wie steht es mit der Liste der Patientinnen?“

„Kommt nachher.“

„Ich hatte Druck gemacht, auch wenn der Richter gar nichts davon hören wollte. Der kannte den Arzt, weil seine Frau bei ihm eine neue Nase bekommen hat. Aber wenn er irgendetwas Mieses angestellt hat, ist mir das egal. Findet alle Sauereien heraus!“

Robin nickte und Eric verließ das Büro. Ferdinand sah die beiden Kommissare ernst an.

„Ich muss euch nicht sagen, dass ihr diskret vorgehen müsst?“

„Musst du nicht“, erwiderte Robin.

„Man wird gar nicht merken, dass wir ermitteln“, setzte Susanne grinsend hinzu.

Ferdinand lachte.

„Na dann verstehen wir uns ja!“

Auch er verließ das Büro und Robin machte erstmal Kaffee. Dann setzte er sich an den Schreibtisch und sah Susanne gut gelaunt an.

„Ihr habt euch schon wieder nicht gestritten. Es klappt langsam.“

„Wir gehen sachlich miteinander um. Ich werde immer ich sein und nie Bianca.“

Robin zuckte zusammen.

Susanne erschrak.

„Entschuldige, ich wollte nicht … ähm … alte Wunden aufreißen.“

Robin winkte ab.

„Ist schon in Ordnung. Mir ist nur aufgefallen, dass ich nicht mehr ständig daran denke.“

„Ich schon. Ich denke immer, ich bin euch nicht genug.“

Robin stand auf und hockte sich zu Susanne. Er legte ihr eine Hand auf den Arm.

„Du bist du und das ist gut so. Ich mag dich, wie du bist und du sollst niemand anderes sein. Versuch, den Gedanken an Bianca aus dem Kopf zu bekommen. Vielleicht fällt es dir dann auch leichter mit Eric. Er ist ein wirklich guter Kerl und ich wünsche mir, dass ihr eine freundschaftliche Ebene miteinander finden könnt. Du bist nicht schuld an Biancas Tod und du musst nicht sie sein. Das ist einfach so.“

Susanne nickte nur. Wenn sie jetzt etwas sagen würde, kämen die Tränen mit dazu. Robin wusste das und erwartete keine Antwort. Er setzte sich wieder auf seinen Platz und fuhr den Computer hoch.

„Ach, hier ist die Liste der Patientinnen. Es sind auch ein paar Männer dabei. Dann wollen wir mal alle befragen, wie zufrieden sie waren.“

„Denkst du, er hat gepfuscht?“

„Ja, das ist durchaus möglich. Du nicht?“

„Hat seine Frau nicht auch ein Motiv?“

Robin sah sie erstaunt an.

„Schon, aber ich halte sie nicht für eine Mörderin.“

„Ich sage ja nicht, dass sie ihn ermordet hat. Vielleicht ist sie ihm an dem Abend gefolgt, hat ihn zur Rede gestellt, gestoßen und hat dann Panik bekommen, als er sich nicht mehr bewegt hat. Es könnte ein Unfall gewesen sein. Oder eine Tat im Affekt. Oder Notwehr, wenn er sie vielleicht bedroht hat.“

Das klang logisch und Robin konnte diese Möglichkeit nicht ausschließen.

„Ich hätte mir das auch nicht gefallen lassen.“

„Da hat dein Phillip ja Glück, dass er dich nicht betrogen hat.“

Susanne runzelte die Stirn und kaute auf der Unterlippe.

„Hat er?“

„Was?“

„Dich betrogen?“

„Keine Ahnung, ich dachte immer, er ist mir treu, aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Er hatte ja schon eine Neue am Start, da waren meine Rücklichter noch zu sehen.“

„Ach was, du siehst bestimmt Gespenster.“

„Er war mit der Tussi bei meiner Mutter.“

„Was ziemlich blöde ist.“

Sie grinsten sich an und Susanne winkte ab.

„Ich habe keine Lust mehr, mir das Leben versauen zu lassen. Er kann sich gerne von meiner Mutter adoptieren lassen.“

„Dann musst du dein Erbe teilen.“

„Hör jetzt auf! Wir haben Wichtiges zu erledigen. Los!“

Sie machten sich auf den Weg zum Auto und klapperten der Reihe nach die Patientinnen ab, die auf der ersten von vier Seiten standen. Alle Damen waren sehr zufrieden und betonten sehr deutlich, dass es nur ein Arzt-Patientinnen-Verhältnis war.

Im Auto schnaufte Susanne. Sie klappte die Sonnenblende herunter, schaute in den Spiegel und tippte mit dem Zeigefinger unter ihren Augen herum. Robin brach in schallendes Gelächter aus.

„Was machst du da? Willst du dich jetzt auch zerschnippeln lassen?“

„Ich werde alt und das sieht man. Meinst du, ich sollte etwas machen lassen?“

„So ein Unsinn.“

Robin griff nach oben und klappte Susannes Sonnenblende wieder hoch. Dann drehte er ihr Gesicht zu sich und betrachtete es eingehend. Ab und an wackelte er mit dem Kopf, zischte kurz und grinste dann.

„Das geht alles noch.“

Susanne schüttelte sich und seine Hand ab.

„Na danke schön, geht noch ist kein Kompliment.“

Plötzlich klopfte es an die Scheibe auf der Beifahrerseite. Die Frau, die sie eben befragt hatten, sah sich hastig um und rutschte auf den Rücksitz.

„Ich … ich schäme mich. Und mein Mann darf nichts wissen.“

„Sie hatten eine Affäre? Eine Beziehung?“

Sie duckte sich hinter die Sitze.

„Es war nur Sex. Mein Mann ist nie zuhause und da habe ich mich einsam gefühlt. Fabian war so einfühlsam und man konnte sich gut mit ihm unterhalten. Aber ich wusste, dass ich ihn nicht haben kann. Das war auch nicht unsere Absicht. Wir haben uns ab und zu getroffen und … sie wissen schon.“

„Wann zum letzten Mal?“

„Letzte Woche Freitag in einem Hotel.“

Sie schrieb Robin die Adresse auf.

„Wissen Sie, mit wem Fabian Tschötz noch etwas am Laufen hatte?“

„Nein, nur von der einen Krankenschwester hat er mir erzählt. Sie war eifersüchtig. Merle.“

Robin und Susanne sahen sich erstaunt an.

„Davon hat uns die nette Dame gar nichts gesagt.“

„Bitte, Herr Hinschler, sagen Sie meinem Mann nichts. Er ist eigentlich einer von den Guten.“

Robin nickte. Als die Frau ausgestiegen und im Haus verschwunden war, sah er Susannes Ärger.

„Wenn er so ein Guter ist, sollte sie ihn nicht bescheißen!“, knurrte sie.

„Das denke ich auch, aber wir sind nicht für die Moral der Menschen verantwortlich.“

„Warum hast du eigentlich keine Freundin? Du bist doch auch einer von den Guten?“

„Weil ich keine Zeit dafür habe. Und nun besuchen wir unsere liebe Krankenschwester noch einmal. Eifersucht ist ein sehr interessantes Motiv.“

8

Der Arzt klopfte kurz und betrat das Zimmer mit wehendem Kittel. Jewgeni saß auf dem Bett, seine nackten Füße baumelten ein Stück über dem Boden. Leo stand vor dem Spiegel im Bad und ging neugierig zurück ins Bett. Er hatte sich die Haare gekämmt, die dadurch aber keineswegs ordentlicher aussahen.

„Hey, Doktor Benger, wollen Sie uns besuchen?“

„Ich wollte Sie entlassen. Herr Sabritschek, Ihre Werte sind in Ordnung, wir schicken Sie zurück in Ihre Zelle und sind bei der Planung einiger Reha-Maßnahmen. Man kümmert sich dort um Sie.“

„Ich bin gesund?“

„Nein, gesund sind Sie erst, wenn Sie Ihren Lebensstil anpassen. Kein Stress, gute Ernährung und Sport, den natürlich in Maßen. Und Sie, Herr Krummhorst, dürfen mit. Der Gips bleibt noch ein bisschen dran, lassen Sie ihn sich nicht kaputtschlagen. Ich will Sie hier nicht mehr sehen. Die Rippe wird noch eine Weile wehtun, heilt aber von selbst.“

„Cool, Doktor. Siehst du, Chef, jetzt bleiben wir zusammen.“

Der Arzt sah missmutig zu Jewgeni.

„Chef?“

Jewgeni zuckte mit den Schultern.

„Na dann. Auf Wiedersehen.“

Als sie wieder allein waren, ergoss sich ein irrer Redefluss über Jewgeni, in dem Leo ihre gemeinsamen Aktivitäten in schillernden Farben beschrieb. Jewgeni hoffte, dass es sich lohnte, diesem Irren nicht sofort den Hals umzudrehen. Er legte sich auf sein Bett und starrte an die Decke, während Leo redete und redete. Bald fielen ihm die Augen zu und er dachte an alte Zeiten. Sie waren ein gutes Team gewesen, sie konnten sich aufeinander verlassen. Der einzige Störfaktor war Ludgers Anwalt gewesen.

Der hatte immer auf Ludger eingeredet: „Tu dies nicht, tu das nicht, das ist zu gefährlich …“

Jewgeni hatte immer gedacht: Was für ein feiger Hund! Lässt sich auf die Sache ein und jammert dann. Aber Ludger hielt ihn für wichtig. Hätte er ihn doch gleich verschwinden lassen. Doch für diese Dinge war er nicht zuständig gewesen. Er war der Kerl, der Eindruck machte. Er drohte, boxte und nahm auch mal einen in den Schwitzkasten. Die wichtigsten Probleme löste Sandro, ein desillusionierter Endzwanziger ohne Empathie und bereit, für Geld alles zu tun. Aber auf Sandro konnte man sich verlassen. Jewgeni hatte zugesehen, wie sein Kollege, ohne mit der Wimper zu zucken, den Mann, der sich ihnen widersetzte, im Rhein ersäufte.

 

Ludger war immer großzügig gewesen, hatte aber auf Anraten des Anwaltes alles akribisch notiert und das hatte ihnen letztendlich Ärger gemacht. Die Schlampe, die er entführt hatte, hatte später für Ludger gearbeitet und sie ebenso verraten. Aber die hatte ihre Strafe bekommen: Sie durfte ihren Mann beerdigen. Dieser Drecksack hatte mehr Geld gewollt und Ludger gedroht. So ein Idiot.

Jewgeni sah Eric vor sich: aalglatt und arrogant bis in die Haarspitzen. Er hatte sich eingeschlichen und sie an die Bullen ausgeliefert. Und dann hatte die miese Kommissarin einfach Ludger erschossen. Das hatte in der Zeitung gestanden. Um jemanden zu retten. Jemanden. Sicher diesen Anwalt.

Am besten hatte ihm Doktor Rosenschuh, der Staatsanwalt, gefallen. Dem stand die Gier in den Augen, dass es nur so blitzte, wenn Ludger ihm dies und das versprach. Der war Wachs in Ludgers Fingern. Aber am Ende ist er auch in den Bau gegangen.

Jetzt schlich ein Lächeln in sein Gesicht. Es hatte noch mehr in der Zeitung gestanden: Die Kommissarin war Opfer eines Psychopathen geworden. Er hatte sie erschossen. Da waren sie und Eric schon ein Paar gewesen. Er konnte sich noch genau erinnern: „Bianca Verskoff, die Lebensgefährtin des Staatsanwaltes Eric Ströckwitz, ist heimtückisch ermordet worden. Wir trauern um eine hervorragende …“

Und so weiter und so weiter. Jewgeni öffnete die Augen und sein Herz klopfte schneller. Der Gedanke, dass bald auch jemand einen Nachruf auf Eric schreiben würde, beflügelte seinen Hass. Er hatte lange nicht mehr daran gedacht, erst Leo hatte ihn wieder darauf gebracht. Das Gefühl, dem Verräter die Kehle durchzuschneiden, musste grandios sein. Er sah vor sich, wie das Blut hervorsprudelte, wie der Typ die Augen aufriss und wie er, Jewgeni, ihn dann auslachte. Danach würden sie sich besaufen und vielleicht würde er Leo auch noch die Kehle durchschneiden, damit der endlich die Schnauze hielt.

„Mann, was ich mich freue, Chef, wenn wir morgen zusammen auf dem Hof spazieren gehen. Niemand wird mich jemals wieder anfassen. Und als Dank helfe ich dir, deinen Verräter zu erledigen.“

Jewgeni nickte. So wird es laufen. Mal sehen, wie lange es dauerte, bis er wegen seiner gesundheitlichen Probleme rauskam. Er musste dringend seine Anwältin anrufen und das mit ihr besprechen.

Am späten Nachmittag kamen die Wachhabenden und brachten Jewgeni und Leo zurück in ihre Zellen. Niemand erkundigte sich nach ihrem Befinden, niemand sagte oder fragte irgendetwas. Sie verabschiedeten sich und Jewgeni genoss die Ruhe in seiner Zelle. Er sollte noch schlafen, deshalb stellte ihm nur jemand sein Abendessen auf den Tisch.

Leo hingegen erzählte dem Wärter, dass er jetzt den Schutz von einem richtig guten Mann genießen würde.

„Hey, da fasst mich keiner mehr an. Ich muss denen gleich sagen, dass es jetzt knallt, wenn sie mir ans Leder wollen.“

„Herr Krummhorst, ruhen Sie sich noch aus mit der Rippe. Provozieren Sie Ihre Mithäftlinge nicht, dann brauchen Sie auch keinen Beschützer.“

Damit ging die Zellentür zu und Leo konnte sich seinen Racheplänen hingeben. Er malte sich aus, wie er stundenlang mit Jewgeni im Auto saß, belegte Brötchen aß, Bier trank und jeden Schritt von diesem Eric beobachten würde. Sie würden abwechselnd schlafen und dem Mann auf Schritt und Tritt folgen. Wenn der Typ irgendwohin laufen würde, könnte Leo ihm zu Fuß folgen, denn ihn kannte Eric ja nicht. Jewgeni durfte das nicht, er sah viel zu auffällig aus. Da würde der Verräter gleich Lunte riechen.

Wenn sie ihn dann allein sahen, vielleicht abends, wenn er am Rhein spazieren ging, würden sie ihn in die Zange nehmen. Er stellte sich vor, wie Jewgeni Eric, der um sein Leben bettelte, festhielt und Leo zunickte. Er würde ihm ein Messer überreichen, das im Mondlicht glänzte. Leo würde genau zuschauen, wie die Klinge durch den weißen Hals des Opfers glitt, als wäre er aus Butter.

Leo kicherte vor sich hin und rieb sich die Hände. Er wollte sich genau ansehen, wie das Blut heraussickerte oder spritzte. Jewgeni würde Eric dann auf den Boden sacken lassen, der Fußweg wäre rot.

Und dann würden sie ihn an den Beinen und den Schultern packen - dabei würde der Kopf schlaff herunterhängen - und ihn in den Rhein werfen. Der Fluss würde die Leiche mitnehmen und vielleicht nie wieder hergeben. Danach würden sie sich die Hand geben. Leo kicherte grunzend. Die blutüberströmte Hand. Sabber lief ihm aus dem linken Mundwinkel und er wischte ihn mit dem Ärmel ab.

Wenn es so ein gutes Gefühl war wie bei den Schlampen damals, dann würde er sich mal wieder eine von ihnen suchen. Er war nie erwischt worden. Noch immer gab es sechs verschwundene junge Frauen, die auch in den nächsten hundert Jahren niemand finden würde. Sie hatten sich gewehrt und das war das Beste daran. Er hatte die Angst gesehen, die nackte Angst, genauso nackt waren ihre Seelen in diesem Moment gewesen. Er hatte mit dem Messer ihren Hals gestreichelt und dann den Augenblick genossen, in dem der Schnitt der rasiermesserscharfen Klinge in das zarte Fleisch eindrang.

Er war nie erwischt worden, weil ihm niemand so etwas Großes zutraute. Alle hielten ihn für den geborenen Verlierer. Dabei traute er sich ALLES! Außer­dem war er schlau. Er hatte zuerst im Wald ein Loch gegraben, dann die Mädchen betäubt und direkt neben dem Grab getötet. Es gab keine Spuren, weil er immer Handschuhe getragen hatte, und er sparte sich die Schlepperei und das Putzen, was nun wirklich schlau war.

Um die Leute von seiner Harmlosigkeit zu überzeugen, hatte er nur ab und zu gestohlen, denn er war arbeitslos, hatte aber keine Lust, zum Amt zu gehen. Er kam auch anderweitig an Geld. Viel brauchte er nicht zum Leben. Auch als Kind hatte er nie viel gehabt, weil seine Mutter das ganze Geld in Schnaps investierte. Er war also den Mangel gewohnt. Als er ihr die Kehle durchgeschnitten hatte, war er fünfzehn. Alle dachten, dass es einer ihrer Saufkumpane gewesen war.

Leo war noch drei Jahre im Heim gewesen und hatte dann seine Laufbahn als Kleinkrimineller begonnen, bis ihm dieses Mädchen über den Weg gelaufen war. Es hatte ihn getroffen wie der Blitz: Liebe. Biggi war das erste Mädchen gewesen, welches solche krassen Gefühle in ihm ausgelöst hatte. Er konnte nicht mehr schlafen, nichts essen und trinken.

Er lief ihr hinterher wie ein Dackel, doch sie wollte nichts von dem dürren, zerzausten Teenager wissen. Irgendwann, als sie betrunken von einer Party kam, hatte er ihr an der Rheinpromenade aufgelauert. Sie war auf ihn zu getorkelt, in der rechten Hand eine Flasche Wodka.

Als sie ihn sah, begann sie zu lachen. Er fragte, ob er helfen könne, aber sie hatte ihn ausgelacht und weggestoßen. Da war er weggerannt und hatte einen Tag später sein erstes Loch gebuddelt.

Als sie am nächsten Abend wieder zu einer Party wollte, hatte er angeboten, sie zu fahren. Er hatte ein Auto aufgebrochen und war statt zu der Party mit ihr in den Wald gefahren. Weil sie bereits angetrunken war, konnte sie nicht mehr schnell genug reagieren, als er ihr die Kehle zudrückte, bis sie bewusstlos war.

Er hatte sie neben das Loch gelegt und ihre Bluse aufgeknöpft, um ihre Brüste zu betrachten, aber das interessierte ihn nicht so sehr wie diese kleine Kuhle am Hals. Er hatte den Duft dieser Stelle eingesogen wie eine Droge. Das Messer hatte alles rot gefärbt.

Biggis warmes Blut roch metallisch und vertrieb den Duft, der ihn so fasziniert hatte. Es war aus und vorbei. Er hatte den leblosen Körper in das Loch geschoben und es mit Erde gefüllt. Danach war er wie berauscht. Er hatte sie mit den alten Lederhandschuhen angefasst, aber auch nur so viel wie sein musste.

Als der Hund eines Jägers ihre Leiche vor knapp zwei Jahren ausgebuddelt hatte, gab es keine Spuren mehr. So stand es damals zumindest in der Zeitung.

9

„Ich kann Ihnen nicht weiterhelfen“, sagte Merle Kessert in arrogantem Tonfall.

Sie stand am Schreibtisch, hatte Akten sortiert und war gerade dabei, die Briefe über das Ableben des Arztes an die Patienten in Briefumschläge zu packen.

„Sie hatten eine Affäre mit Ihrem Chef, das hat uns eine Patientin gesagt, also lassen wir die Spielchen.“

Susanne hatte sich über den Schreibtisch gebeugt und sah Merle in die Augen. Sie wusste, dass die Frau log, weil ihr linkes Augenlid sichtbar zuckte.

„Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen.“

Robin fragte freundlich: „Können Sie uns sagen, wo Sie in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch waren?“

„Was denken Sie denn? Nach einem anstrengenden Arbeitstag war ich zuhause im Bett.“

„Kann das jemand bezeugen?“

„Nein, natürlich nicht. Ich bin Single. Und mein Kater kann nun mal nicht sprechen.“

Merle hatte die Arme vor der Brust verschränkt und signalisierte deutlich ihre Ablehnung.

„Ohne meinen Anwalt sage ich nichts.“

„Wenn Sie meinen, dann müssen Sie uns jetzt auf das Präsidium begleiten.“

„Bin ich verhaftet?“

Merle war verunsichert.

„Im Moment noch nicht“, sagte Robin wütend, „aber Sie machen sich gerade verdächtig!“

„Sie wissen ja gar nicht, was für ein Arschloch Fabian war!“, platzte es aus Merle heraus, während sie sich auf den Stuhl fallen ließ. „Er hat Frauen immer nur ausgenutzt. Und es war ihm egal, ob Patientin, Ehefrau oder Mitarbeiterin.“

„In welcher Form ausgenutzt?“

„Wenn ich Ihnen alles sage, kann ich dann nach Hause?“

Susanne sah Robin an, dann nickte sie. Sie befürchtete, dass die Liste der Verdächtigen wachsen würde, je mehr sie über Fabian Tschötz in Erfahrung brachten.

Merle legte die Briefe beiseite und es schien, als hätte sie auch ihren Widerstand weggeschoben.

„Es begann sehr romantisch. Ich hatte meine erste Arbeitswoche hinter mir, da kam er mit einer Rose und erklärte, dass er noch nie solch eine gute Mitarbeiterin hatte wie mich. Ich fühlte mich geschmeichelt, ließ mich auch zum Essen einladen und fühlte mich wie eine Königin, als er mir sagte, dass er seine Frau verlassen würde, um mit mir zu leben. Das hat er sicher jeder Affäre versprochen. Ich war so blöd, das zu glauben, denn bald danach hatten wir Sex, wann immer es passte. Und hinterher hat er mir noch mehr Arbeit auf den Tisch geknallt und ist zur nächsten Frau gefahren. Ich bin ihm mal gefolgt. Abends ist er wahrscheinlich völlig erschöpft von seiner ach so wichtigen Arbeit nach Hause gekommen und hat es seiner Frau dann auch nochmal besorgt.“

Susanne schnaufte. Solche Typen waren ihr zuwider und die „alte“ Susanne hätte ihn zumindest verprügelt. Sie konnte verstehen, dass ihn jemand von sich gestoßen hatte.

Merle fuhr fort: „Er wurde immer grober und ich hatte auch mal blaue Flecken, aber immer an gut verdeckten Stellen. Irgendwann hatte er genug von mir und hat mich abserviert. Er hat versucht, mich zur Kündigung zu überreden, aber den Gefallen habe ich ihm nicht getan.“

„Stattdessen haben Sie ihn zur Rede gestellt und getötet?“

„Nein!“

Merle war aufgesprungen und funkelte Robin böse an.

„Niemals hätte ich das getan. Ich habe mich jeden Tag gefeiert! Er konnte mir nicht mehr in die Augen sehen, denn ich habe ihm gedroht, seiner Frau alles zu sagen.“

„Sie haben ihn also erpresst? Das macht es noch schlimmer. Vielleicht wollte er sich das nicht mehr gefallen lassen und hat Sie in die Weinberge bestellt. Sie haben sich gestritten und dann haben Sie ihn gestoßen, wobei er zu Tode gekommen ist.“

„Nein! Ich war nicht in den Weinbergen!“

Robin ärgerte sich. Er hätte die Frau gern in U-Haft gesteckt, doch sie konnten ihr nichts beweisen. Eric hätte ihnen niemals einen Haftbefehl ausgestellt. Außerdem hatte er das Gefühl, dass sie die Wahrheit sagte.

„Gut, das reicht erstmal. Wissen Sie denn die Namen der Damen, die er noch auf seiner Liste hatte?“

Merle nahm ein Blatt Papier und notierte sieben Namen.

„Das sind die Patientinnen, mit denen er im Bett war. Also die, von denen ich weiß. Immer nur die jungen und sehr hübschen. Aber ich war ja auch so blöd, auf ihn hereinzufallen.“

„Wissen Sie, wie das Verhältnis zu seiner Frau war? War sie über seine Affären informiert?“

Merle rollte mit den Augen.

„Natürlich wusste sie Bescheid. Jedenfalls denke ich mir das, aber sie war sicher nicht über Details im Bilde. Er hat sich nicht sehr viel Mühe gegeben, das alles zu verbergen. Manchmal hat er behauptet, sie hätten eine offene Beziehung. Dass ich nicht lache!“

 

Im Auto sagte Robin: „Mandy Tschötz wirkt so lieb und süß, wie ein Engel … sie schien nichts zu wissen.“

„Tja, wahrscheinlich ist sie eine gute Schauspielerin. Aber eines weiß ich: Wir haben eine fast unlösbare Aufgabe vor uns, denn es gibt sehr viele Kandidaten, die für einen Mord infrage kommen. Männer und Frauen haben ein Motiv.“

„Da hast du recht. Lass uns morgen zuerst zu den Damen von der Liste fahren. Eine Sache haben wir noch gar nicht herausgefunden.“

„Was denn?“

„Ob es mal eine verpfuschte OP gab.“

„Stimmt. Wir brauchen einen Plan, wie wir diesen Berg Arbeit in den Griff bekommen, sonst sind wir die nächsten drei Wochen nur noch mit Befragungen beschäftigt.“

Ferdinand stimmte ihnen zu, als Robin ihm die Tragweite des Falles schilderte.

„Ich besorge Leute, die euch unterstützen können. Und ihr sollt zu Dr. Hacke kommen.“

Susanne stöhnte, denn sie hasste den frauenfeindlichen Gerichtsmediziner. Er vergriff sich jedes Mal im Ton, obwohl ihn sowohl Ferdinand als auch Eric ermahnt hatten, vernünftig und sachlich mit ihr zu reden. Es war das einzige Mal gewesen, dass Susanne Eric wütend erlebt hatte. Danach hatte sich Dr. Hacke zusammengerissen, aber in der letzten Zeit war er wieder zu seinem üblichen herablassenden Tonfall übergegangen.

„Ich gehe allein“, sagte Robin und lächelte, als hätte er ihre Gedanken gelesen.

„Danke. Ich mache mal eine Liste und teile die Namen auf.“

„Mach das.“

In dem Moment klingelte ihr Handy und Susanne sah auf das Display. Es war Phillip und sie drückte ihn weg.

„Was ist los?“

„Das ist mein Ex. Aber dafür habe ich jetzt keinen Nerv.“

„Er will dich zurück, also wird er sicher nochmal anrufen.“

„Leider.“

Susanne lachte verbittert. Robin lief zum Gerichtsmediziner und Susanne schrieb die Namen der Verdächtigen auf ein weißes Blatt.

Sie schaute über die Anzahl der Menschen, mit denen es sich Fabian Tschötz verdorben hatte.

„Mann, Mann, der hat jegliches Vertrauen in die Tonne getreten. Wie kommt Mandy damit klar? Und was wissen die Kinder über ihren Vater?“

Sie hoffte, dass die drei Mädchen nichts mitbekommen hatten. Viele Eltern dachten, dass ihre Kinder von Streitigkeiten in der Ehe nichts bemerkten, aber Kinder hatten einen ganz feinen Draht, ein Gespür für das, was passierte, auch wenn sie es meistens nicht zeigten. Die Wahrheit war unbarmherzig und verletzend, das wusste sie aus eigener Erfahrung. Ihr Vater war gegangen, als sie ganz klein war. Sie hatte es trotzdem gefühlt. Später hatte sie herausgefunden, dass ihre Mutter ihn erdrückt und ihm keine Luft zum Atmen gelassen hatte.

Robin kam zurück und wedelte mit einer Akte.

„Auf dem Hemd des Toten hat der Doc fremde DNA gefunden. Weiblich. Aber es ist zu wenig für einen Abgleich.“

„Dann können wir wenigstens die Männer ausklammern.“

Susanne schob die Liste über den Tisch.

„Das sind die, von denen wir wissen. Ich denke, es werden noch ein paar Namen dazukommen. Mit den Patientinnen können sich die Kollegen beschäftigen. Lass uns morgen nochmal bei Mandy anklopfen.“

Erneut klingelte ihr Handy.

„Geh dran!“, sagte Robin. „Wir machen jetzt Feierabend und morgen weiter, wenn wir mehr Leute haben.“

Seufzend nahm Susanne den Anruf an, als Robin ihr von der Tür aus winkte.

„Phillip, was gibt es?“

„Ich bin gestern angekommen und wohne in einer Ferienwohnung. Gehst du mit mir essen?“

„Nein, tut mir leid, ich habe keine Zeit. Wir haben einen Mord auf dem Tisch.“

„Morgen? Da ist Samstag. Nur essen und reden.“

Susanne wollte nicht, sagte aber zu, denn er würde ja doch keine Ruhe geben. Sie würde ihm deutlich sagen, dass er sich seine Hoffnungen sonst wohin stecken konnte. Natürlich würde sie es höflich verpacken.

Sie legten auf und Susanne lief am Rhein entlang nach Hause. Sie blieb noch kurz auf einer Bank sitzen und dachte über Mandy Tschötz nach.

Wie konnte man es mit einem Mann wie Fabian aushalten, ohne auszurasten? Aber vielleicht konnte sie das ja nicht und hatte ihn getötet.

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