Unfassbar traurig

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Z serii: Eltville-Thriller #5
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Riva sah Bianca erschrocken und ungläubig an.

„Wie kann das denn sein? Du wohnst doch nur ein paar Schritte entfernt und du lebst da. Einkaufen musst du doch auch. Wo machst du das denn?“

„Ich kaufe in Wiesbaden ein, fahre heim in meine Wohnung und schließe hinter mir die Tür. Am nächsten Morgen fahre ich wieder in die Stadt.“

„Und am Wochenende?“

„Schließe ich mich ein und lese.“

„Du hast recht!“, rief Riva. „So kann das nicht weitergehen. Aber eines sage ich dir noch: Du musst es schaffen alleine rauszugehen. Es nützt nichts, wenn du immer mit mir kommst und ich dich zwingen muss.“

„Ich weiß das, aber es ist verdammt schwer. Es hat mir unterwegs hierher schon fast die Kehle zugeschnürt.“

„Ach Bianca, es tut mir so leid, dass es dir schlecht geht. Könnte ich doch nur etwas für dich tun!“

„Es ist schon sehr gut, dass du mir zuhörst, ohne mich therapieren zu wollen. Und Mitleid will ich auch nicht. Danke, dass du für mich da bist.“

„Das ist in Ordnung. Ich mag dich wirklich gerne. Mach dir doch einen Plan. Zum Beispiel: Montag – zum Anleger gehen. Dienstag – zum Bäcker in der Einkaufsstraße. Und so weiter. Weißt du, jeden Tag ein paar Schritte weiter.“

„Das hört sich ganz sinnvoll an. Vielleicht mache ich das mal. Danke für deinen Tipp.“

„Aber nun musst du mir mal etwas erklären“, sagte Riva und grinste, „wie kann man sich denn am Meer nicht wohlfühlen?“

„Es war einfach nur beklemmend. Ich bin nach meiner Ankunft an den Strand gegangen, da war es kühl und es waren nur wenige Menschen unterwegs. Aber schon im Restaurant war mir alles zu viel. Vor allem gab es nur Touristen, niemand hat sich für mich interessiert.“

„Aber das wolltest du doch auch gar nicht.“

„Ja, aber ich kam mir so unnütz und fehl am Platz vor. Vor allem, weil alle Menschen so verdammt glücklich waren. Wieso auch nicht, die hatten ja Urlaub. Ich eigentlich auch, aber ich wollte meine Flucht planen. Nun bin ich gescheitert. Ich kann hier nicht weg. Es geht nicht. Ich kann Michael nicht zurücklassen.“

„Und das ist gut so. Wann warst du denn das letzte Mal auf dem Friedhof?“

Nun senkte Bianca den Kopf. Sie schämte sich, denn sie war schon sehr lange nicht mehr zu Michael ans Grab gegangen. In der Nähe von seinem war das von Benedikt, dessen Familienangehörige im Testament gelesen hatten, dass er in Eltville begraben werden wollte, falls ihm mal etwas zustoßen würde. Es tat so weh und zerriss Bianca das Herz.

„Am letzten Jahrestag.“

„Das ist ja nicht lange her.“

„Im letzten Jahr. Dieses Jahr konnte ich nicht. Ich schäme mich so.“

Eine Träne tropfte auf Biancas Shirt und hinterließ einen dunklen Fleck.

„Oh nein, du musst dich nicht schämen! Ich verstehe das sehr gut. Friedhöfe sind furchtbar. Aber vielleicht musst du hingehen und dich dem stellen.“

Bianca wusste, dass Riva recht hatte. Sie musste lernen, mit dem Schmerz umzugehen.

„Weißt du, wenn wir ein Kind gehabt hätten, dann wäre es sicher leichter. Ich hätte etwas gehabt, was zu ihm gehört. Jetzt ist auch dafür alles zu spät.“

„Du kannst aber immer noch Kinder haben, allerdings bräuchtest du dazu einen Mann. Zumindest wäre das die preiswerte Variante. Und wenn du den Kerl dann noch lieben würdest, wäre alles perfekt. Du kannst dir natürlich auch einfach nur ein Kind machen lassen.“

„Bah, nein, hör auf. Ich werde mich nie wieder verlieben und ein Kind lasse ich mir auch nicht machen. Was soll es denn mit so einer Mutter, wie ich eine bin, anfangen?“

„Ich denke, du wärst eine tolle Mutter. Mit deinem besonderen Gespür würdest du immer wissen, was gut für dein Kind ist.“

Bianca musste lachen. Riva war manchmal so naiv, dass es schon lustig war, aber ihr war nicht nach Lachen zumute.

„Ich werde morgen an den Rhein gehen. Das ist schon mal ein Anfang.“

4

Ella hatte die Tür zugeknallt und Ferdinand saß kopfschüttelnd vor dem Computer. Der Staatsanwalt war dagewesen und hatte nach Ergebnissen gefragt.

„Wer ist die Tote? Wann ist sie gestorben? Woran? Wer war es?“, waren seine drängenden Fragen, die er in gewohnt überheblicher Art ausgesprochen hatte.

Ferdinand hatte geantwortet: „Wir sind eben ins Büro gekommen und haben in der Gegend jeden gefragt, ob jemand etwas mitbekommen hat und wir waren dort, wo diese Party gewesen war. Aber niemand hat das Mädchen gesehen. Der Obduktionsbericht ist noch nicht da.“

„Zum Teufel aber auch! Dann holen Sie ihn. Frau Grassoux, ab in die Gerichtsmedizin! Und Sie, Herr Waldhöft? Haben Sie eine Idee, womit Sie sich sinnvoll beschäftigen können?“

Ella hatte eine böse Erwiderung auf der Zunge, aber sie schluckte sie tapfer hinunter. Schon oft war sie mit Dr. Rosenschuh aneinandergeraten. Ihm passte ihre schnippische Art nicht und sie hatte nicht die Ruhe und den inneren Abstand, um nicht jedes Mal heftig zu reagieren.

„Ich bin dabei, die Vermisstenfälle durchzugehen und das dauert nun mal eine Weile“, erklärte Ferdinand sachlich. „Es kann ja sein, dass sie schon länger als vermisst gilt. Da wir nicht genau wissen, wie alt sie ist, können wir die Suche noch nicht genügend eingrenzen.“

Der Staatsanwalt hatte nur verächtlich geschnauft und war aus dem Büro gerannt. Ferdinand rief das nächste Bild auf, aber es war wieder kein Treffer. Das Mädchen, das hier verschwunden war, war zwar blond wie das Opfer, aber viel jünger. Sie war mit sechs Jahren im Schwimmbad verschwunden, als ihre Eltern die Sachen zusammengeräumt hatten. Sie hieß Nicola und müsste jetzt elf Jahre alt sein.

„Wie schrecklich für die Eltern, wenn sie nicht wissen, ob ihr Kind lebt oder bereits tot ist“, murmelte er beim Anblick des kleinen Mädchens mit den blonden Zöpfen, das auf einer Wiese saß.

Ferdinand sah einen Baum und neben dem Mädchen, das mit ihren blauen Augen strahlte, lag ein Strohhut. Nach einer halben Stunde ging die Tür wieder auf und Ella kam mit einer Akte hinein. Sie warf sie Ferdinand zu und ging an den Kühlschrank, um sich eine kalte Cola herauszunehmen. Sie leerte die kleine Flasche in einem Zug und rülpste ungeniert.

„Prost Mahlzeit!“, sagte sie und setzte sich.

„Wie war es?“

„Wie war was?“

„Wie war es in der Gerichtsmedizin? Gibt es Neuigkeiten?“

„Es war wunderbar kühl, der Doc hat geredet wie ein Wasserfall und der Gestank nervt mich immer noch. Zufrieden?“

„Kannst du mal bitte deine miese Laune an jemand anderem auslassen? Rede nicht mit mir, als wäre ich der letzte Arsch.“

Ferdinand war sauer, denn auch heute hatte seine Kollegin schlechte Laune.

„Oh, nun sei doch nicht so empfindlich. Also, Neuigkeiten: erstens eine Menge DNA, die schon überprüft wird. Zweitens: Es gibt sie nicht.“

„Es gibt wen nicht?“, fragte Ferdinand verständnislos.

„Die Identifizierung ist ein Problem. Sie hat keinen Ausweis, es gibt keine Merkmale wie einen Zahnstatus, den man einem Zahnarzt zuordnen kann. Drittens kann man ihr Alter auf sechzehn bis achtzehn Jahre bestimmen, aber irgendwie gibt es sie nicht wirklich. Wir müssen schauen, ob und wann sie vermisst wurde und es ist nicht einmal klar, ob sie aus Deutschland stammt.“

Ferdinand hatte gebannt zugehört und in seinem Kopf ratterten die Gedanken hin und her. Er widmete sich wieder dem Computer und gab die Daten ein, die er kannte. Die Datei war noch nicht vollständig, es gab nur Vermisstenfälle, die fünfzehn Jahre zu­rückreichten. Alles, was vorher geschehen war, lag im Archiv in endlosen Regalen.

„Wir müssen ins Archiv. Hier passt keine der Vermissten ins Bild.“

„Dann geh mal schön alleine, ich habe jetzt einen Termin.“

„Was denn für einen Termin?“

„Meine Süße will mit mir essen gehen. Sie meinte heute früh, sie hätte mir etwas zu sagen.“

„Ist das jetzt gut oder schlecht?“

„Keine Ahnung“, knurrte Ella und fuhr ihren Computer herunter. „Vielleicht will sie ja jetzt doch heiraten.“

„Dann viel Glück. Es ist noch früh, also mache ich mich sofort auf den Weg. Wir sehen uns morgen.“

Ella hatte nichts mehr gesagt und war schon verschwunden. Ferdinand beschloss, vorher im Archiv anzurufen und zu fragen, ob er jetzt noch kommen dürfe.

Er läutete dreimal, dann meldete sich eine erotische Stimme, die so gar nicht in die trockene Atmosphäre zwischen den staubigen Akten passte.

„Minettoz. Was kann ich für Sie tun?“

Er war versucht zu sagen, dass er gerne eine Massage hätte, aber dann fand er die Idee sehr unpassend.

„Ferdinand Waldhöft, Polizeipräsidium Eltville. Wir haben eine unbekannte Tote. Ich brauche Ihre Hilfe, denn es macht den Eindruck, als würde es diese junge Frau gar nicht geben.“

„Aha, das klingt ja merkwürdig. Aber eigentlich geht das gar nicht, denn wenn sie tot ist, muss sie ja auch gelebt haben.“

„Darf ich jetzt noch kommen?“

„Ich frage meine Kollegin, die ist bestimmt nicht sauer, wenn sie später Feierabend hat.“

Es dauerte einen Moment, dann war Riva wieder am Telefon und sagte, dass der Kommissar willkommen wäre. Ferdinand wollte gerade gehen, da klingelte sein Telefon.

„Waldhöft“, meldete er sich.

Es war die Gerichtsmedizin. Man hatte jemanden gefunden, der zur DNA des Mannes passte, der seine Spuren am Opfer hinterlassen hatte. Der Kommissar rang mit sich, ob er zuerst in die Gerichtsmedizin fahren sollte, entschied sich aber dagegen. Er erklärte, warum er erst morgen kommen würde und gab eine Fahndung nach dem vermeintlichen Täter heraus.

 

Endlich machte er sich auf den Weg nach Wiesbaden. Als er auf dem Parkplatz angekommen war, fiel ihm ein, dass hier auch die berühmte Bianca Verskoff arbeitete. Vielleicht würde er sie endlich einmal persönlich kennenlernen. Die Kollegen hatten gesagt, seit ihr Mann und sein Kollege tot waren, hatte sie sich vollkommen zurückgezogen und war unnahbar geworden. Mit Spannung betrat er das Gebäude, wo er sich am Empfang anmeldete.

„Ich bin Ferdinand Waldhöft und habe einen Termin im Archiv.“

„Fahren Sie mit dem Aufzug hinunter. Frau Verskoff erwartet Sie.“

Oh, dachte er, ich werde sie tatsächlich treffen. Mit schnellen Schritten war er am Fahrstuhl angekommen und fuhr abwärts. Im Keller war es kühl. Ein Summen, das Ferdinand nicht zuordnen konnte, durchbrach die Stille. Es schien aus einem der hinteren Räume zu kommen.

„Guten Tag, Herr Waldhöft“, sagte eine Stimme hinter ihm.

Der Kommissar drehte sich um und sah eine schlanke Frau mit schulterlangen dunklen Haaren in der hinteren Tür stehen, aus der jetzt ein helles Licht floss. Die Traurigkeit ihres Herzens schwappte wie eine Welle über ihn, obwohl sie lächelte. Es waren ihre Augen, die wie hinter einem Schleier aus Schmerz zu liegen schienen.

„Frau Verskoff?“

Die Kommissarin nickte und ging Ferdinand entgegen.

„Wir können uns ins Besprechungszimmer setzen, dort ist es freundlicher als hier unten.“

„Das macht mir nichts aus, Frau Verskoff, wir können gerne hierbleiben. Nur kein Aufwand.“

„Gut“, sagte Bianca und ging zurück in ihr Büro.

Sie setzten sich an den Schreibtisch, nachdem Bianca den zweiten Stuhl an die gegenüberliegende Seite gerollt hatte. Im Vorbeigehen war Ferdinands Blick auf den Bildschirm gefallen. Das kleine Mädchen saß auf einer Wiese und ein Strohhut lag neben ihr. Die blauen Augen leuchteten fröhlich und die Sonne schien.

„Nicola“, sagte Ferdinand und sah Biancas verblüfften Blick. „Wenn ich ihr Lachen sehe, muss ich immer an die Mutter denken, die ihr kleines Mädchen vermisst. Ob sie noch lebt?“

Bianca hatte schnell den Bildschirm ausgeschaltet, denn irgendwie erschien es ihr sonderbar, dass ein Fremder Nicola kannte. Ferdinand ahnte, dass dieses Bild etwas Besonderes war, darum wechselte er rasch das Thema.

„Wir haben eine Tote, die zwischen sechzehn und achtzehn Jahre alt ist. Meine Kollegin hat gesagt, es gibt sie nicht.“

„Ich verstehe. Es könnte sein, dass sie länger als fünfzehn Jahre vermisst wird. Dann werde ich mal in den alten Akten danach suchen und melde mich. Haben Sie den Obduktionsbericht und einige Eckdaten für mich?“

Ferdinand schob einen Ordner über den Tisch und Bianca schlug die erste Seite auf. Dort befand sich das Foto der Toten. Sie hatte blonde lange Haare, die anscheinend zu zwei Zöpfen geflochten waren, aber auf der einen Seite lagen die Haare locker neben ihrem Kopf. Ein Zopf war noch intakt und wurde von einem blauen Samtband zusammengehalten.

„Gibt es das zweite Band?“, fragte Bianca.

„Nein, das muss der Täter mitgenommen haben. Vielleicht wollte er eine Art Trophäe. Sie haben ihn aber schon identifiziert. Er ist der Polizei bekannt. Toby Däkelts, vorbestraft wegen sexueller Übergriffe, hat aber niemals gemordet. Er ist sechsundzwanzig.“

„Warum sind solche Männer auf freiem Fuß?“

„So blöd es auch klingt, er hat eine Therapie gemacht und galt als ungefährlich.“

„Oh Mann, so etwas macht mich fertig. Das Mädchen könnte noch leben. Ich habe eine Frage: Wie kam sie denn dahin? Und woher kam sie? Das ist sehr merkwürdig. Es gab da mal …“

Sie rannte plötzlich aus dem Büro und kam nach einigen Minuten zurück.

„Es gab vor zwei Jahren mal eine junge Frau, achtzehn Jahre alt, die stand einfach eines Tages mitten in Eltville und war vollkommen verwirrt. Sie wusste nicht, wie sie an diesen Ort gekommen und wo sie vorher war. Sie heißt Karoline, aber auch das ist nicht zu hundert Prozent sicher … Moment.“

Bianca löste den Knoten um die dicke Akte und schlug sie auf. Vom Foto schaute ihnen eine blonde junge Frau entgegen. Sie trug geflochtene Zöpfe, die mit blauen Samtbändern zusammengehalten wurden.

Die beiden sahen sich an und schluckten, denn alles sah aus, als gäbe es hier einen Zusammenhang. In dem Moment kam Riva von oben und steckte den Kopf durch die Tür.

„Hallo, Herr Kommissar, wir haben vorhin telefoniert. Ich bin Riva Minettoz. Sie sollen sofort ins Büro kommen. Es gab wohl eine Verhaftung. Ein Toby Däkelts.“

Schnell sprang Ferdinand auf und eilte zur Tür. Riva wartete im Flur. Er drehte sich noch einmal zu Bianca um.

„Warum kommen Sie nicht mit? Dann verhören wir ihn zusammen. Vielleicht weiß er, woher sie gekommen ist.“

Bianca war zusammengezuckt und wurde blass. Niemals wieder würde sie ihr altes Büro im Präsidium betreten. Niemals!

„Danke, aber ich versuche herauszufinden, wer das Opfer ist.“

Ferdinand zuckte mit den Schultern und ging.

5

Toby Däkelts heulte wie ein Schlosshund. Er hatte schon zwei Pakete Papiertaschentücher verbraucht, seit er hier angekommen war.

„Ich wollte das nicht, ehrlich“, winselte er. „Sie hat plötzlich geschrien und um sich geschlagen.“

„Sie haben die junge Frau vergewaltigt, als sie bereits tot war“, bellte der Staatsanwalt, der vor Ferdinand zur Vernehmung angekommen war.

Ella stand an der hinteren Wand und nickte ihrem Kollegen zu. Ferdinand grüßte höflich, erhielt aber keine Antwort. Er setzte sich neben den Staatsanwalt.

„Bitte, Sie müssen mir glauben, ich wollte das nicht!“, schrie Toby jetzt panisch.

Dr. Rosenschuh schlug mit der Faust auf den Tisch. Ferdinand räusperte sich und bat ihn, mit hinauszugehen. Sie standen auf und verließen das Büro. Ella behielt Toby im Auge.

„Er hat gestanden, was wollen Sie denn noch?“

„Herr Dr. Rosenschuh, das ist alles schön und gut, aber wir wissen immer doch gar nicht, wer die Tote ist, wie alt sie ist oder woher sie an diesem Abend kam.“

„Ja, aber …“

„Lassen Sie mich bitte ausreden. Es gibt vielleicht eine Verbindung zu einem Fall von vor zwei Jahren. Da stand ein Mädchen ähnlichen Alters plötzlich mitten in Eltville. Bis heute wissen wir fast nichts. Ich habe die Akte bei Frau Verskoff gelassen und gehe morgen noch einmal hin.“

„Was denn für eine Verbindung?“

„Beide sind blond, haben geflochtene Haare und tragen blaue Samtschleifen.“

Der Staatsanwalt zog die Augenbrauen hoch und grinste.

„Ja, klar. Und schon vermuten die lieben Ermittler einen Serientäter. Frau Verskoff ist sicher zu haben für Ihre Theorie. Viel Spaß. Ich bringe jetzt den Vergewaltiger und Mörder hinter Gitter.“

„Darf ich ihn allein befragen?“

„Bitte, wenn Sie es für richtig halten. Sie haben fünf Minuten. Dann geht er ab in seine Zelle, wo er weiterheulen kann.“

Ferdinand schluckte seinen Ärger hinunter und ging zurück in den Vernehmungsraum. Ella stand immer noch schweigend an der Wand. Sie war seltsam still und schien mit den Gedanken woanders zu sein. Der Kommissar setzte sich.

„Ich bin Kommissar Waldhöft. Herr Däkelts, ich habe noch einige Fragen und möchte Sie bitten, ganz genau nachzudenken. Wo ist Ihnen die junge Frau begegnet? Haben Sie sie von irgendwo kommen sehen?“

Der Angesprochene hörte auf zu weinen, wischte mit dem Ärmel seiner Jacke über sein Gesicht und sah den Kommissar an.

„Also, ich war da auf dieser Party. Dann musste ich pissen und das Klo war zu, also bin ich raus auf den Hof. Und da war sie. Sie stand einfach nur so da und hat gezittert.“

„War irgendjemand in der Nähe zu sehen?“

„Nein, sie war ganz alleine. Ich bin dann zu ihr hin und habe sie angesprochen. Sie hat nicht reagiert. Da habe ich sie gefragt, ob sie mit reinkommen will.“

„Und?“, fragte Ferdinand, als Toby nicht weiterredete.

„Sie war irgendwie merkwürdig, als wäre sie zugedröhnt. Ich dachte, sie hat sich was eingeworfen, um mehr Spaß zu haben. Als ich sie am Arm ein Stück ziehen wollte, hat sie angefangen zu heulen. Ich habe sie dann gefragt, ob sie lieber nach Hause will und sie hat genickt.“

„Hat sie gesagt, wo sie wohnt?“

„Nein, sie hat gar nichts gesagt. Überhaupt kein Wort. Sie ist dann losgelaufen. Irgendwann waren wir in den Weinbergen angekommen und sie ist stehengeblieben.“

„Warum das?“

„Keine Ahnung, es war, als wäre ihr eingefallen, dass sie auf dem falschen Weg war. Ich habe gesagt, dass ich sie hübsch finde. Sie sah aus, als wenn sie gar nicht kapiert, was ich sage. Ich wollte sie küssen und ein bisschen fummeln, aber da ist sie plötzlich wahnsinnig schreiend auf mich losgegangen. Ich wollte das nicht, glauben Sie mir!“

Beim letzten Satz hatte er wieder begonnen zu jammern und zu weinen. Er schlug die Hände vor das Gesicht und Ferdinand ahnte, dass aus ihm nichts mehr herauszubekommen war.

Der Kommissar gab dem Kollegen in Uniform einen Wink und der führte den Täter ab. Ferdinand blieb sitzen und drehte sich zu Ella um.

„Was ist los?“

Ella stieß sich von der Wand ab, setzte sich auf den Stuhl, auf dem eben noch Toby Däkelts gesessen hatte und fuhr sich durch die roten Haare.

„Sie hat Schluss gemacht und geht zurück nach Berlin“, sagte die Kommissarin so sanft wie noch nie.

Ferdinand ahnte, wie düster es jetzt in seiner Kollegin aussah, aber er wusste auch nicht, was er sagen sollte.

Ella sprach weiter, als wäre er nicht anwesend: „Ich bin wegen ihr hergekommen und jetzt sagt sie mir, dass sie es nicht mehr ertragen kann, dass ich so viel Zeit für meinen Beruf aufbringe und es manchmal passieren könne, dass ich nicht mehr heimkomme. Sie hatte schon alles hinter meinem Rücken arrangiert.“

Sie sah Ferdinand jetzt an.

„Und weißt du was? Sie hat verdammt nochmal recht! Ich war so wenig zuhause, dass ich nichts davon mitbekommen habe. Nichts!“

„Das tut mir leid.“

Ella nickte.

„Mir auch. Dieser Scheißjob frisst uns alle auf. Hast du ein Privatleben?“

„Nein“, sagte Ferdinand ernst. „Ich will gar keine Beziehung eingehen, denn ich könnte niemals die Ansprüche an ein richtiges Familienleben erfüllen. Meine Mutter hat immer gedrängt, dass ich mir eine Frau suche, aber wer will denn schon einen Mann, der so viel Zeit für seinen Job aufbringen muss? Wenn wir das nicht täten, könnten wir auch einen Bürojob bei der Versicherung machen.“

„Ich liebe diese Frau, aber vielleicht hast du einfach recht und man ist ohne Liebe glücklicher. Es fühlt sich nur scheiße an. Und um mir zu sagen, dass sie mich verlässt, lädt sie mich auch noch zum Essen ein. Ich hätte am liebsten gekotzt.“

„Glaubst du nicht, du kannst sie überreden zu bleiben?“

„Nein, sie hat hier den Job gekündigt, in Berlin wartet bereits eine neue Stelle und sie hat sogar schon eine Wohnung. Wie nett, dass ich die hier behalten darf.“

Der Staatsanwalt riss die Tür auf und stürmte herein.

„Wir haben einen Mordfall zu klären und Sie halten einen kleinen Plausch? Haben Sie nichts zu tun?“

Ella stand auf und ging wortlos aus dem Raum. Ferdinand bat Dr. Rosenschuh sich zu setzen. Der blieb stehen und stützte sich auf dem Tisch ab.

„Haben Sie etwas herausgefunden und arbeiten jetzt daran oder wollen Sie die liebe Kollegin trösten?“

Ferdinand ging nicht darauf ein und blieb ruhig.

„Sie stand einfach nur da. So wie das Mädchen vor zwei Jahren. Keiner weiß, woher sie kam. Es muss also eine Verbindung geben.“

„Papperlapapp, so ein Quatsch. Haben Sie sich schon bei Frau Verskoff angesteckt mit diesem Wahnsinn? Die hat auch immer und überall irgendwelche Verbindungen gesehen.“

„Sie hatte jedes Mal recht, wenn ich den Kollegen glauben darf.“

„Machen Sie, was Sie wollen. Ich sehe keine Verbindung, der Fall ist damit erledigt, also gehen Sie und trösten Frau Grassoux. Den Bericht können Sie auch morgen noch tippen.“

Ferdinand stand auf und biss sich auf die Unterlippe. Er beschloss zu Bianca ins Archiv zu fahren, aber er hatte nicht die Absicht, den Staatsanwalt darüber zu informieren. An der Tür drehte er sich noch einmal um.

„Ella geht es nicht gut und ich denke, ein wenig Mitgefühl würde Ihnen auch mal ganz gut stehen.“

Dann verließ er das Zimmer und verpasste das wütende Schnaufen des Staatsanwaltes.

 

„Was bildet der Kerl sich ein?“, murmelte er leise und lief zurück in sein Büro.