Umweg ins Glück

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Z serii: Nelly #3
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Marius schwieg, denn er wusste nicht, was er sagen sollte. Katja stand auf, forderte die Männer auf, die beiden alleine zu lassen und alle gingen ihrer Wege. Nelly war froh, dass sie nun ungestört mit Marius reden konnte. Sie setzte sich auf seinen Schoß und umarmte ihn. Er machte sich los, um ihr in die Augen zu sehen.

„Was soll ich jetzt denken?“

„Das weiß ich nicht. Ich weiß ja selbst nicht, was ich davon halten soll. Aber eines weiß ich sicher: Ich liebe dich und will mit dir zusammen sein.“

„Gut, dann denke ich mal nur, dass ich dir vertraue.“

Er hoffte, dass das kein Fehler war, denn was Nelly mit Paolo gemacht hatte, war ihm sehr wohl bewusst. Zärtlich legte er den Arm um sie und küsste sie voller Leidenschaft. Nellys Hände wanderten unter sein T-Shirt. Plötzlich schob Marius sie von seinem Schoß.

„Ich muss heim, Süße. Morgen bin ich wieder da.“

Nelly sah ihm verständnislos hinterher. Warum wollte er nicht bei ihr bleiben? War es Zurückhaltung? Hatte er vor irgendetwas Angst? Hatte sie etwas falsch gemacht? Sie lief heim, wo ihre Eltern schon angekommen waren und setzte sich schweigend zu Katja auf die Couch. Die stieß Christian an, der verstand, gähnte und verabschiedete sich ins Bett. Katja legte einen Arm um Nellys Schultern.

„Willst du mit mir reden?“

Nelly nickte und erzählte ihr, was Marius gesagt hatte.

„Und dann ist er einfach abgehauen. Ich wünschte, er wäre geblieben und mit mir eingeschlafen. Oder will ich zu viel?“

„Süße, ihr seid doch noch ganz am Anfang eurer Beziehung. Ich finde, es ehrt ihn sehr, dass er nicht sofort mit dir ins Bett gehen will. Aber ob du zu viel willst? Keine Ahnung, ich wollte auch immer gleich alles.“

Die beiden Frauen lachten, denn Nelly wusste genau, was Katja meinte. Wie gut, dass Christian schon im Bett war, der hätte seine Frau sicher wieder geneckt.

„Marius ist toll, also sei einfach glücklich. Er wird schon mal bei dir einschlafen wollen. Wie geht es dir denn damit, dass Paolo kommt?“

„Ehrlich gesagt war ich sehr erschrocken. Was ist, wenn ich noch etwas für ihn fühle? Ich bin in Marius verliebt.“

„Warte es ab, meine Kleine, vielleicht triffst du ihn nicht alleine?“

„Solange ich nicht weiß, was genau mit Marius los ist, werde ich am besten Oliver dazu holen. Der hat genügend Abstand.“

Katja nickte, gähnte nun auch und die beiden legten sich schlafen. Marius lag zuhause schon länger auf seinem Bett und dachte über Paolo nach. Was wäre denn, wenn Nelly noch etwas für ihn empfinden würde? Sollte er sie zu dem Treffen begleiten? Aber dafür musste er erst selbst mit seinem Problem reinen Tisch machen. Er seufzte, als es leise klopfte. Seine Mutter schaute durch einen schmalen Spalt und Marius winkte sie hinein.

„Alles gut, mein Sohn?“, fragte sie mit einem Blick auf das hell erleuchtete Zimmer.

Marius rückte ein Stück und Barbara setzte sich zu ihm auf das Bett. Er berichtete von den Tagen auf dem Weingut und dass ihm die Arbeit sehr viel Spaß machte.

„Aber du siehst verwirrt aus. Ist etwas passiert? Stimmt alles mit Nelly und dir?“

„Mama, du kannst immer sehen, wie es mir geht. Ich bin vollkommen verunsichert. Ich habe ihr noch nicht die Wahrheit gesagt und jetzt kommt ihr ehemaliger Freund aus Italien zurück.“

Marius erklärte den Zusammenhang und Barbara hörte genau zu.

„Nun machst du dir Sorgen, dass noch Gefühle zwischen den beiden sind?“

Er nickte resigniert. Barbara strich ihm über den Arm und lächelte zuversichtlich.

„Sie ist mit dir zusammen, sie liebt dich, du liebst sie. Vertraust du ihr?“

Marius nickte und Barbara fuhr fort: „Lass es auf dich zukommen. Vielleicht will sie ja, dass du mit dabei bist, wenn Paolo kommt. Vielleicht hat sie aber auch eine Freundin oder einen guten Freund, der sie bei dem sicher sehr schwierigen Gespräch begleiten kann.“

Marius stellte sich Simona vor und musste lachen. Dann fiel ihm Oliver ein. Er nickte erneut.

„Ich werde Oliver bitten, dass er ein Auge auf sie hat. Nun gibt es aber noch ein anderes Problem. Ich will sehr gerne mit ihr einschlafen und wieder aufwachen, aber wie soll das gehen?“

„Du musst offen zu ihr sein. Das erwartest du doch auch von ihr, nicht wahr?“

Marius nickte abermals, er wusste, dass seine Mutter recht hatte. Schließlich konnte und wollte er ja nicht jedes Mal weglaufen, wenn Nelly und er sich näherkamen. Fest entschlossen plante er das wichtige Gespräch für den kommenden Tag. Barbara verließ das Zimmer. Das Licht ließ sie eingeschaltet. Marius fand keinen Schlaf, erst gegen Morgen, als es hell wurde, schlief er für zwei Stunden ein.

Dementsprechend müde war er am nächsten Morgen, als sie alle gemeinsam beim Frühstück saßen. So lief es auch in den nächsten zwei Wochen. Der Besuch von Paolo rückte näher. Marius hatte Nelly von seinen Ängsten erzählt, aber sie hatte ihm versichert, dass seine Bedenken unnötig waren. Trotzdem nahm er zwei Tage vorher Oliver zur Seite.

„Kannst du mir einen Gefallen tun, mein Freund?“

Oliver sah ihn an, denn er ahnte, was dem jungen Mann auf der Seele brannte.

„Ist es wegen Paolo?“

„Ich bin mir so unsicher, wie das alles werden soll. Denkst du, Nelly fühlt noch etwas für ihn?“

Oliver zuckte mit dem Schultern und sagte: „Ich weiß es nicht, aber ich glaube nicht. Sie ist ja nun schon länger nicht mehr mit ihm zusammen. Du hast Angst, dass er sie zurückhaben will?“

„Ja, das ging mir heute Nacht durch den Kopf. Kann ich mir ihrer sicher sein? Wir haben uns bis jetzt auch nur geküsst. Ich bin nicht so schnell in Sachen … du weißt schon.“

Oliver war es heiß und kalt geworden, er hatte selbst in der letzten Zeit so oft daran gedacht, wie es wäre, Nelly in den Armen zu halten, zu küssen und neben ihr aufzuwachen. So konnte er gut verstehen, wie es in Marius aussah. Aber sie war seine beste Freundin, da waren diese Gedanken sowieso absurd. Er wischte sie beiseite.

„Nelly hat mich schon gebeten, sie zu begleiten, wenn es ernst wird. Sie will dir das nicht zumuten. Ich finde auch, das wäre ein bisschen sonderbar. Also mach dir keinen Kopf. Ich passe auf.“

Erleichtert schüttelte Marius Oliver die Hand. Dieser schaute ihn aufmerksam an. Da ist doch noch etwas, dachte er, und hakte nach.

„Oh, darüber muss ich mit Nelly selbst reden“, erklärte Marius. „Sei nicht sauer, aber es ist ein schwieriges Problem aus meiner Vergangenheit und darüber kann ich nicht so gut sprechen.“

„In Ordnung, aber wenn du einen Freund zum Zuhören nötig hast, weißt du, dass du zu mir kommen kannst.“

„Danke, Freund, ich weiß das sehr zu schätzen.“

Marius fuhr nach Hause und fieberte genauso wie Nelly der Begegnung mit Paolo entgegen. Am nächsten Abend saßen sie vor ihrem Haus auf der Treppe. Wuschel sprang fröhlich dem Ball nach, den Marius in die Büsche warf. Schnell brachte er ihn zurück zu den beiden und legte ihn in Nellys Hand.

„Morgen ist es soweit.“

„Ja, Marius, glaube mir, mir ist schon ganz schlecht bei dem Gedanken an das Zusammentreffen. Aber Oliver ist mit dabei, also fühle ich mich ein bisschen besser. Vielleicht kommt auch Leon mit. Ich kann heute sicher nicht schlafen. Wollen wir hier sitzenbleiben?“

„Ich kann auch nicht schlafen, doch das ist eine andere Geschichte. Nelly, ich wollte dir schon längst alles erzählen, aber das ist nicht so einfach. Jetzt ist erst einmal wichtig, dass du mit Paolo ins Reine kommst. Ihr habt sicher eine Menge zu besprechen. Ich fahre heim, Süße. Sei nicht sauer, dass ich nicht bleibe. Eines Tages …“

Er sprach nicht weiter, sondern küsste sie sanft, um danach aufzustehen. Nelly ging ins Haus und legte sich in ihrem Zimmer auf das Bett. Sie war allein, denn Katja und Christian waren zu Bea und Hannes gefahren. Morgen, dachte Nelly, morgen sehe ich Paolo wieder. Den Mann, den sie geliebt, geschätzt, aber auch belogen und betrogen hatte - den Mann, der nicht um sie gekämpft, sondern sie einfach verlassen hatte. Die Gedanken fuhren Achterbahn, aber hatte sie noch Gefühle für ihn? Mit einem Seufzer schlief sie ein. Sie hatten sich zu einem Kaffee am Rhein verabredet.

Oliver hatte Nelly daheim abgeholt und sah nun ab und zu zur Seite, wo sie schweigend auf der Unterlippe kaute. Er fuhr durch die Weinberge auf die Bundesstraße am Rhein in Richtung Koblenz. In Assmannshausen blinkte er und hielt schließlich vor einem kleinen Restaurant, wo unter einem Dach aus Blättern und Blüten zahlreiche Tische hübsch eingedeckt waren.

Nelly schaute Oliver an und seufzte. Er nahm ihre Hand und drückte sie zärtlich.

„Ich bin da, was immer auch passiert. Also mach dir keine Sorgen, es wird schon gutgehen.“

„Oh Mann, ich habe eine riesige Angst. Danke, Oliver, dass du bei mir bist. Du bist echt mein allerbester Freund.“

Sie beugte sich zu Oliver hinüber und küsste ihn auf die Wange. Dann öffnete sie die Tür und stieg aus. An einem der Tische sah sie Leons dunkle Locken. Paolo saß mit dem Rücken zu ihr und hatte den Arm um eine blonde Frau gelegt. Nelly erschrak. Paolo war nicht allein nach Deutschland gekommen?

Oliver erschien neben ihr und schob sie sanft vorwärts. Nelly schluckte und ging auf den Tisch zu. Leon erhob sich lächelnd und begrüßte auch Oliver mit einem festen Handschlag. Paolo und die Frau waren ebenfalls aufgestanden.

„Hallo Paolo“, sagte Nelly heiser.

„Guten Tag Nelly, es ist gut, dass du gekommen bist. Darf ich dir meine Freundin Teresa vorstellen? Sie hat mich aus Italien hierher begleitet.“

 

Die junge Frau mit den blonden, glatten Haaren lächelte nicht, sondern sah Nelly mit zusammengekniffenen, dunklen Augen an. Sie murmelte eine Begrüßung auf Italienisch und setzte sich wieder. Oliver rückte Nelly einen Stuhl zurecht und drückte sie darauf. Sie atmete tief durch.

„Du hast also eine neue Freundin. Das freut mich für dich.“

„Nelly, es tut mir leid, was dir passiert ist. Wer konnte denn ahnen, dass wir die Opfer einer Intrige werden? Ich bin froh, dass du noch lebst.“

„Danke, ich bin auch froh, dass Marius mich aus dem Wasser gezogen hat. Wir sind jetzt zusammen.“

„Komm, wir gehen ein Stück.“

Paolo war aufgestanden und zog Nelly von ihrem Platz. Sie liefen nebeneinander durch die Fußgängerunterführung zum Rheinufer. Dort lehnte sich Paolo an das Geländer und sah in das schnell dahinfließende Wasser. Vor ihnen erhob sich ein Stück Felsen im Fluss.

„Es tut mir leid, dass ich dich im Stich gelassen habe, aber du hast mich sehr verletzt. Nach einer langen Zeit habe ich Teresa kennengelernt und ihr alles erzählt. Sie war für mich da und nun bin ich endlich wieder glücklich. Erzähl, wie alles gekommen ist.“

Nelly begann am Tag der Familienfeier und endete im Rettungswagen. Tränen liefen über ihre Wangen und Paolo legte eine Hand auf ihren Rücken. Als sie geendet hatte, schwiegen beide bedrückt. Entschlossen wischte Nelly ihre Tränen fort.

„Ich habe Simona wiedergewonnen und damit konnten Gabriel und Martin nicht alles zerstören. Dass ich dich betrogen habe, tut mir heute noch leid. Es war nicht fair. Vielleicht kannst du mir irgendwann verzeihen.“

„Ich habe dir verziehen, als mir Leon gesagt hatte, was passiert war. Diese Menschen haben eine schwere Strafe verdient. Ich hoffe, du schaffst das, wenn die Verhandlung ist. Leon wird da sein.“

„Ich weiß, alle sind für mich da: Mama, Papa, Oliver, Simona und noch viele mehr. Marius muss wie ich als Zeuge aussagen. Vielleicht kann ich endgültig damit abschließen, wenn das vorbei ist. Sei nicht mehr sauer, ich wollte wirklich an dem Abend reinen Tisch machen. Die Liebe war fort, aber ich habe noch Freundschaft für dich empfunden, also wollte ich dir nicht wehtun.“

„Du hast mir sehr wehgetan und mich gedemütigt, darum konnte ich nicht bleiben. Es hätte nicht funktioniert, auf dem Weingut zu leben und zu arbeiten und womöglich dich mit dem Kerl zu sehen, der dich mir weggenommen hat. Für Benjamin tat es mit sehr leid, er war immer für mich da und ich habe ihn im Stich gelassen. Ich bin ihm unendlich dankbar.“

„Fahre doch mal vorbei und sage ihm das persönlich, ehe du wieder nach Italien gehst. Ich wünsche dir von Herzen alles Gute mit Teresa. Sie ist schon eine starke Frau, wenn sie dich sogar heute begleitet hat. Keine Angst, ich empfinde Freundschaft, wenn ich so mit dir spreche, nicht mehr. Danke, dass wir reden konnten.“

Sie gingen langsam zu den anderen zurück. Oliver sah Nelly entgegen und atmete auf, als sie nickte. Teresa griff sofort nach Paolos Hand und zog ihn neben sich auf den Stuhl.

Leon fragte: „Wie geht es dir damit, dass du die beiden vor Gericht wiedersiehst?“

„Mir ist ganz schlecht, wenn ich daran denke. Ich hoffe, sie sind einsichtig und ich kann mit dem Gefühl der Gerechtigkeit dort hinausgehen.“

Oliver nahm Nellys Hand und hielt sie fest. Bald verabschiedeten sie sich. Leon und Paolo umarmten Nelly, Teresa nickte nur. Oliver gab den Männern die Hand. Paolo hatte versprochen, bei Benjamin vorbei zu schauen und sich zu bedanken.

Bevor sie heimfuhren, parkte Oliver noch einmal in den Weinbergen. Er stieg aus und wartete auf Nelly, um noch ein Stück mir ihr zu laufen. Nach einigen Schritten kamen sie an eine Bank und Nelly setzte sich.

Sie zog Oliver neben sich auf den Platz und schlang die Arme um ihn, um ihren Tränen freien Lauf zu lassen. Oliver streichelte Nellys Rücken, bis sie wieder aufhörte zu weinen.

„Danke“, schniefte sie hörbar, „es ist ganz gut zu wissen, dass Paolo mir verziehen hat und mich nicht mehr hasst. Wie konnte ich mich nur auf Gabriel einlassen? Ich dachte wirklich, es ist Liebe.“

„Man weiß manchmal erst nach sehr langer Zeit, wer der oder die Richtige ist. Ich bin froh, dass es dir nach dem Gespräch gut geht. Diese Teresa war nicht so begeistert, dich zu sehen, aber sie hat nur italienisch mit Leon geredet, ich habe nichts verstanden. Ich saß daneben wie ein Trottel.“

Oliver lachte und Nelly stimmt ein.

„Das ist bescheuert, da denkt man immer, die reden über einen, wenn man nichts versteht. Ich bin froh, dass ich dich mitgenommen habe und nicht Marius. Wer weiß, wie er reagiert hätte. Danke für alles.“

Noch einmal schlang Nelly die Arme um Olivers Hals, dessen Herz wild klopfte, aber er verbot sich jeden Gedanken, der jenseits von freundschaftlichen Gefühlen war.

„Komm, wir fahren heim. Marius wird schon warten.“

So war es auch. Als Nelly ausstieg, kam ihr Marius entgegengelaufen. Er fragte, wie es gewesen war und Nelly erzählte alles wahrheitsgemäß.

„Und jetzt ist er mit Teresa zusammen und glücklich. Ich bin froh, dass er mir verziehen hat. Ist es so in Ordnung für dich?“

Marius nickte, küsste Nelly und erwiderte: „Ihr habt beide einen guten Neuanfang verdient. Jetzt bringen wir noch die Verhandlung hinter uns und dann wird nur nach vorne geschaut.“

„Aber … Marius … ich spüre seit langem, dass du mir etwas sagen möchtest. Wann wirst du das tun? Ich glaube, wenn wir beide zusammen nach vorne blicken wollen, ist das ganz wichtig.“

Marius wäre am liebsten weggelaufen, aber er wollte Nelly nicht vor den Kopf stoßen. Mit hängenden Schultern stand er vor ihr.

„Ich … ja, ich muss dir noch so viel erzählen, aber es ist schwierig. Gib mir noch ein bisschen Zeit. Ich ringe jeden Tag mit mir.“

„Hat es mit mir zu tun?“

„Nein, um Himmels willen, es hat nur mit mir zu tun und mit der Vergangenheit. Ich verspreche dir, immer ehrlich zu sein, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich muss einen guten Zeitpunkt erwischen.“

„Einverstanden. Ich werde dich nicht drängen. Dafür bist du mir zu wichtig.“

In diesem Moment bog Simona mit ihrem Fahrrad um die Ecke und riss die beiden aus ihren Gedanken. Sie war aufgeregt und ein Sturzbach von Tränen lief über ihre Wangen. Nelly fing sie auf, als sie vom Rad sprang. Sie gab Marius ein Zeichen, er nickte und ließ die beiden alleine.

„Simona, was ist passiert? Noah?“

„Ja … ja“, schluchzte die Freundin und konnte kaum richtig reden. „Er ist krank geworden und kann noch zwei oder drei Wochen nicht heimkommen. Eigentlich wollte er morgen zurück sein aus Berlin, aber er kommt nicht! Noah ist im Krankenhaus. Wenn er wieder da ist, hat die Schule schon begonnen und dann habe ich kaum noch Zeit wegen des Abiturs. Das ist alles total unfair!“

„Es tut mir so leid“, sagte Nelly und schimpfte innerlich über den falschen Freund.

Sicher war er bei einer anderen, aber Simonas Brille war immer noch rosarot wie am ersten Tag. Wie viel Mist und Lügen Martin auch erzählt hatte, die Bilder und die Geschichten über Noah waren leider wahr. Nelly dachte: Wie kann ich ihr bloß helfen? Da fiel ihr Oliver ein. Nachdem sich Simona den ganzen Nachmittag bei ihr ausgeweint hatte und auf andere Gedanken gekommen war, als Nelly von dem Treffen mit Paolo berichtet hatte, suchte sie Oliver. Er war in der Vinothek und trank mit Marius ein Glas Traubensaft.

„Ist Simona weg?“, fragte Marius mitfühlend.

„Sie ist am Boden zerstört und ich befürchte, dass sie mit der wirklichen Wahrheit über Noah gar nicht klarkommt. Ich mache mir echt Sorgen. Noah ist ein Mistkerl und es wird ihr den Boden unter den Füßen wegziehen. Was soll ich nur machen?“

„Nelly“, begann Oliver, „ich finde es großartig, dass du für sie da bist, auch wenn sie dich in deiner größten Not fallengelassen hat. Wenn ich dir irgendwie helfen kann, dann sag es bitte.“

Marius nickte und schlug dem Freund auf die Schulter.

Er versprach: „Auf meine Hilfe kannst du auch zählen. Simona ist zwar eine Nervensäge, aber eine liebe.“

„Ich habe eine Idee. Einer von euch muss nach Berlin fahren und Noah dort finden. Er soll angeblich ein Seminar haben, aber das ist sicher gelogen. Er wird bei einer Frau sein.“

Oliver schüttelte den Kopf.

„Wie stellst du dir das vor? Wir können doch nicht in dieser riesigen Stadt an allen Türen klingeln und nach Noah fragen. Das geht einfach nicht!“

„Aber … aber vielleicht kennst du ja Leute dort, die wiederum ihn als Musiker kennen. Bitte, Oliver, versuche es!“

„Einverstanden. Ich setzte mich heute Nacht an den Computer und versuche etwas herauszubekommen. Morgen sehen wir weiter. Geh du mal schlafen, Süße. Marius bringt dich sicher sehr gerne heim.“

Der rutschte vom Hocker, nahm Nellys Hand und zog sie hinter sich her. Oliver setzte sich im Büro an den Computer und begann zu recherchieren.

Marius hatte sich mit einem innigen Kuss verabschiedet und war nach Hause gefahren. Dort lag er in seinem hell erleuchteten Zimmer und schlief kurze Zeit später erschöpft ein.

Nelly lag auch noch eine Weile wach. Es waren so viele Dinge in ihrem Kopf, die sich nur schwer ordnen ließen. Zuerst die Sache mit Paolo, dann die bevorstehende Verhandlung, Simonas Verzweiflung und dazu kam noch das bedrohliche Geheimnis, das Marius mit sich herumschleppte. Seufzend lag sie in ihrem Bett und hatte Mühe einzuschlafen.

Als es leise klopfte und Katja hereinschaute, setzte sie sich noch einmal auf und berichtete von ihrem Tag.

Katja sagte sanft: „Ich bin froh, dass du mit Paolo im Reinen bist. Dass ihr jetzt Simona helfen wollt, finde ich super. Manchmal muss man einem Freund wehtun, um ihn vor sich selbst oder vor Gefahren zu retten. Ich bin stolz auf euch. Oliver ist ja sowieso ein toller Kerl, und ich muss sagen, dein Marius gefällt mir ausgesprochen gut. Sei geduldig mit ihm. Mache es besser als ich, will ich damit sagen, denn Geduld zählt nicht zu meinen Stärken.“

„Gute Nacht, Mama, danke für alles.“

Nelly schlief endlich ein und machte sich am nächsten Morgen neugierig auf den Weg zum Weingut. Dort frühstückten sie und anschließend folgte sie Oliver und Marius unter die Kastanie. Oliver hatte die halbe Nacht recherchiert und tatsächlich einen Freund in Berlin gefunden, der selbst Musiker war und Noah Friesert kannte. Er hatte ihn sofort angerufen und erfahren, dass es wirklich ein Seminar gegeben hatte, bei dem sich die beiden Musiker begegnet waren, aber dieses Seminar hatte nur vier Tage gedauert. Der Freund hatte mit Noah die Telefonnummern ausgetauscht und heute würde er ihn anrufen, um zu fragen, ob er noch in Berlin sei. Wenn Noah das bestätigte, würde er ihn zu einem kleinen Konzert einladen.

„Aha, ich hatte also recht mit meinem schlechten Gefühl!“, rief Nelly empört. „Dieser Mistkerl amüsiert sich mit einer anderen und lässt sich den Spaß sogar noch von Simona finanzieren. Wie kann man nur so mies sein?“

„Schatz, wie fies Menschen sein können, weißt du doch am besten, oder? Oliver, was fangen wir denn nun mit unserem Wissen an?“

„Ich habe einen Vorschlag, aber dazu müsst ihr auch etwas beisteuern.“

Nelly nickte und forderte Oliver zum Reden auf.

Der erklärte: „Wenn sich mein Kumpel Rocco heute nochmal meldet und mir sagt, dass er mit Noah verabredet ist, dann mache ich mich auf den Weg und treffe die beiden bei dem Konzert, das kommendes Wochenende ist. Vielleicht ist eine andere Frau dabei. Das würde alles leichter machen, aber mein Kumpel will ihn auch gleich fragen, ob er vielleicht seine Freundin mitbringen will.“

Marius war nachdenklich geworden.

„Hast du deinem Kumpel gesagt, um was es geht?“

Oliver nickte.

„Ist er denn zuverlässig und verrät nichts?“

„Rocco ist absolut zuverlässig und fand Noah sowieso schon sehr merkwürdig, denn der hat wohl auf dem Seminar versucht, so ziemlich alle Musikerkollegen anzupumpen.“

„Aha!“, rief Nelly abermals und war aufgesprungen. „Simona hat ihm ihr ganzes Geld überwiesen.“

„Wenn wir dem das Handwerk legen können, ist es eine gute Sache, auch für die anderen Frauen und Mädchen, die ihm auf dem Leim gegangen sind. Das geht schon viel zu lang. Leider gibt es immer wieder Menschen, die auf solche Typen hereinfallen“, sagte Oliver sachlich.

 

„Mann, das ist wie im Krimi. Aber wie geht es dann weiter? Simona wird nichts davon glauben.“

Das wusste Nelly und sie durften kein Risiko eingehen. Natürlich würde sie verletzt sein und alles abstreiten, nur war es besser so: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Das sagte auch Marie immer. Sie hörte nun wieder Oliver zu.

„Wenn sich das alles bestätigt, dann kommt ihr ins Spiel. Wir müssen auch die anderen einweihen, denn du musst dir deine Freundin schnappen und Marius muss euch nach Berlin fahren. Sie wird mitkommen, denn ihr müsstet ihr einreden, wir besuchen am Tag nach dem Konzert den armen, kranken Noah und du willst ihr damit eine Freude machen. Am Ende kommen wir wieder nach Hause und kümmern uns um Simona. Einverstanden?“

Oliver hielt ihnen eine Handfläche hin und die beiden schlugen ein. Die Männer gingen mit Benjamin und Christian im Weinberg an die Arbeit und Nelly kümmerte sich um die Vinothek. Katja war mit Cora und Bea nach Potsdam zu Kirsten gefahren. Hannes besuchte seine Kinder, Michel arbeitete in Spanien.

Bald sind die Ferien zu Ende, dachte Nelly, dann muss Simona sich auf ihr Abitur konzentrieren. Nelly rief Leon an, denn sie hatte einen Gedanken im Kopf, der sie nicht mehr losließ.

„Hallo Nelly, ist etwas passiert?“

„Das ist etwas schwierig zu erklären, hör zu.“

Nelly schilderte die Geschichte von Noah und Simona und was sie jetzt geplant hatten.

„Ist das eigentlich Betrug und sollen wir oder Simona das anzeigen?“

„Es wäre gut, wenn sie ihn anzeigt, aber noch besser wäre es, wenn wir noch mindestens eine Frau finden, mit der er das auch abgezogen hat.“

„Hm, das ist ein Problem, die einzigen Menschen, die die anderen Mädels jemals gesehen haben, sind Gabriel und Martin. Nur die können wir ja schlecht befragen. Aber … warte … ähm, da gibt es noch Linda, die immer mit den beiden auf den Partys war. Ich weiß aber nicht, wo sie wohnt.“

„Das lass mal meine Sorge sein. Wie ist denn ihr Nachname? Ich finde sie für euch und frage sie. Versprochen.“

Nelly nannte Lindas Nachnamen und bedankte sich. Sie legten auf und Nelly fühlte sich wie ein Detektiv. Hoffentlich habe ich danach noch eine Freundin, dachte sie voller Angst. Am Abend saßen sie nach dem Essen zusammen und Oliver erläuterte noch einmal ihren Plan.

Christian war nicht wohl dabei, also sprach er seine Bedenken aus: „Wie stellt ihr euch das vor? Eigentlich ist es doch eher ein Fall für die Polizei.“

Nelly sah ihren Vater offen an und sagte: „Papa, ich verstehe dich. Darum habe ich auch schon mit Leon geredet, damit alles in den richtigen Bahnen läuft.“

Sie gab jetzt das Gespräch mit Leon wieder und alle nickten.

„Das ist eine gute Idee“, meinte nun Benjamin, der bisher nur zugehört hatte. „Der Typ muss bestraft werden. Ich denke, auf Leon ist Verlass. Christian, ich finde Olivers Idee gut, also lass ihn und die beiden anderen fahren, wenn wir damit Simona helfen können. Sie ist zwar eine Schnattertante, aber schon so lange mit Nelly befreundet. Wir sollten froh sein, dass es zwischen den Mädchen wieder stimmt.“

„Einverstanden. Aber keine Alleingänge! Mein altes Vaterherz verkraftet nicht noch mehr Kummer.“

Nelly war aufgestanden und umarmte Christian. Sie versprachen, keine unüberlegten Entscheidungen zu treffen und im Ernstfall sofort Kontakt zu Leon aufzunehmen. Christian machte sich auf den Heimweg, während sich die jungen Leute noch unter die Kastanie setzten. Benjamin war ins Bad gegangen und danach gleich ins Bett.

„Macht nicht mehr so lange!“

„Nein, Papa, ich komme gleich nach.“

In dem Moment klingelte Olivers Handy und sein Freund aus Berlin war dran. Ihr Plan ging auf, denn Noah hatte sich über die Einladung zum Konzert sehr gefreut und versprochen, seine Freundin mitzubringen. Als Oliver aufgelegt hatte, war er wütend.

„Dieser Scheißkerl! Es ist nicht zu fassen.“

Er fasste das Gespräch zusammen und danach planten sie ihre Reise. Oliver wollte am Donnerstag fahren, Nelly und Marius würden mit Simona am Freitag folgen.

„Weißt du was? Das ist doch Quatsch, wenn wir nicht alle vier am Donnerstag zusammen fahren. Ich kläre das morgen mit Simona und kriege sie schon zu einem schönen Wochenende überredet. Ich sage ihr, es ist eine Überraschung von uns allen. Sie wird schon mitkommen, schließlich hat sie ja sonst nichts vor.“

Oliver würde morgen seine Eltern anrufen und sie vom Besuch in Kenntnis setzen. Er küsste Nelly auf die Wange und ging schlafen. Marius nahm ihre Hand und begleitete sie heim. Sie küssten sich lange und Nelly wollte gerade fragen, ob er nicht bei ihr schlafen könnte, da schüttelte er den Kopf, so, als hätte er ihre Gedanken gelesen.

„Nicht böse sein, Süße. Bald schlafen wir zusammen ein. Ich liebe dich.“

„Gute Nacht, ich werde geduldig sein.“

Der Mittwochmorgen begann mit einem Gewitter. Nelly war schon um acht Uhr wach, obwohl sie heute ausschlafen wollte, und schaute den großen Regentropfen zu, die gegen ihr Fenster platschten. Sie streckte sich und schob die Beine aus dem Bett. Dort hangelte sie mit dem großen Zeh nach ihrem Shirt und zog es an. Wuschel hob im Körbchen seinen Kopf. Sie gingen gemeinsam ins Wohnzimmer, wo Nelly die Tür zum Garten öffnete. Der kleine Hund war kein Freund von Regen, also rannte er nur schnell zum Apfelbaum und hob sein Bein, um sich gleich danach neben Nelly das Wasser aus dem Fell zu schütteln.

„Du kleines Schwein“, schimpfte sie und forderte ihn auf, mit in die Küche zu kommen.

Sie stellte die Kaffeemaschine an und deckte für ein schnelles Frühstück den Tisch, als ihr Handy piepte.

„Bist du wach? Kuss, Marius“, stand dort.

Nelly antwortete: „Ja, eben aufgestanden. Ich komme, wenn das Gewitter vorbei ist. Frühstückt ohne mich.“

In dem Moment läutete es an der Haustür. Nelly fiel Marius um den Hals, der dort mit einer Tüte Brötchen unter einem riesigen Schirm stand.

„Das ist ja lieb! Müsstest du nicht im Weingut sein?“

„Benjamin hat mir bis Sonntag frei gegeben, damit wir das mit Simona planen können. Ich dachte, wir frühstücken erstmal und danach nehme ich dich mit zu meinen Eltern. Es wird Zeit, dass sie meine Traumfrau kennenlernen. Einverstanden?“

Nelly nickte und musste lachen.

„Ich muss ja nur noch deine Mama kennenlernen. Wie ist denn dein Vater drauf, wenn er privat ist? Ich sollte mich sicher besonders gut benehmen. Oh mein Gott, ich besuche meinen Schulleiter.“

Marius war in ihr Lachen eingestimmt und küsste sie auf die Nase.

„Du bist doof. Mein Vater ist voll nett und meine Mama ist die Beste. Benimm dich einfach ganz normal. Wir haben Ferien. Und jetzt habe ich Hunger.“

Nelly zog ihn an den Küchentisch, ließ die Brötchen in den kleinen Korb gleiten und stellte noch schnell einen Teller und eine Tasse dazu. Jetzt setzte sie sich zu Marius, der Kaffee eingoss und noch einmal aufstand, um im Kühlschrank nach der Milch zu suchen. Sie frühstückten und nach dem Abräumen folgte Marius seiner Freundin nach oben, wo Nelly vor dem Schrank stand, um nach einer Hose zu suchen.

Marius war hinter sie getreten und hatte seine Hände um ihre Taille geschlungen. Seine zitternden Lippen berührten ihren Nacken und Nelly schloss die Augen. Sie drehte sich um, schlang die Arme um seinen Hals und schob ihn zum Bett. Dort ließen sie sich der Länge nach hineinfallen und Marius küsste sie leidenschaftlich, während Nelly die Beine um seine Hüfte legte. Plötzlich biss er sich auf die Unterlippe und zog sich zurück.

„Es tut mir leid, aber es geht nicht. Noch nicht. Verzeih mir.“

Nelly seufzte traurig, aber sie hatte versprochen Geduld zu haben. Also zog sie ihn wieder an sich und flüsterte: „Halt mich nur noch eine Weile fest. Mehr nicht. Wir warten.“

Erleichtert kuschelte sich Marius an sie. Nach einer halben Stunde fragte er, wann sie mit Simona reden würde.

„Lass uns doch gleich noch bei ihr vorbeifahren. Dann erzählen wir ihr gemeinsam, dass wir für morgen eine Überraschung geplant haben. Am Abend muss ich das auch noch Mama sagen, sie kommt heute aus Potsdam zurück. Ich denke, sie wird uns genauso unterstützen wie Papa und Benjamin.“

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