Diebe in Nastätten

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Am nächsten Morgen war Undine früh auf und fieberte dem Oktobermarkt entgegen. Reiner war gestern Abend heimgegangen, nachdem sie sich wegen der verschwundenen Schuhe gestritten hatten.



„Macht euch nicht lächerlich!“, hatte er gerufen, als Undine und Lene ihm von den anderen Betroffenen berichtet hatte.



Lene hatte Undines Gesicht gesehen und sich schnell verabschiedet, denn sie wusste, dass jetzt eine Diskussion beginnen würde. Und hierbei wollte sie nicht zwischen die Fronten geraten.



Das Ganze hatte mit Undines Satz geendet: „Du nimmst mich nie ernst!“



Reiner war wortlos vom Tisch vor der Remise aufgestanden und einfach gegangen. Undine wollte nicht nachgeben, also schmollte sie seitdem und konzentrierte sich auf ihren Marktstand. Sie nahm einen Lappen und einen Eimer, füllte Wasser in einen Kanister und machte sich auf den Weg zu ihrem Pavillon, um nochmal zu putzen.



Um sieben würde das große Feuerwerk zur Eröffnung sein und eigentlich hatte sie sich vorgestellt, Arm in Arm mit Reiner dem Lichtermeer zuzuschauen. Dazu müssten sie sich aber noch heute wieder vertragen. Doch wer sollte nachgeben? Undine schrubbte die Tischplatte und grübelte. Wenn sie einlenken würde, dann wäre es zwar taktisch gut, allerdings wären die Schuhe dann immer noch verschwunden und auch die der anderen Nastätter. Darum wäre es besser, Reiner gäbe nach und würde die Opfer befragen.



Als sie über die Stangen des Pavillons wischte, hörte sie ein Räuspern hinter sich. Dort stand tatsächlich Reiner mit einer Rose.



„Was willst du denn hier?“, knurrte Undine.



„Ich wollte dir nur sagen, dass ich es blöd finde, wenn wir uns wegen so einem unwichtigen Kram streiten.“



„Unwichtig?“



In diesem Moment wusste Reiner, dass er es falsch angefangen hatte.



„Ach Mensch, dir kann man aber auch gar nichts recht machen. Du willst dich also nicht vertragen?“



„Doch, ich will mich vertragen. Aber in erster Linie möchte ich, dass du mich ernstnimmst. Ich bin ja schließlich nicht die einzige Nastätter Bürgerin, die bestohlen wurde.“



„Ich weiß.“



„Du weißt?“



„Ja, gestern war jemand da und hat eine Anzeige gemacht.“



„Weil ihm jemand Schuhe gestohlen hat?“



„Ja.“



„Ach nein, und das sagst du so ganz nebenbei?“



„Es ist dienstlich. Ich darf dir das eigentlich nicht sagen.“



„Und warum tust du es dann? Mir glaubst du nicht, aber einem Fremden?“



„Können wir das Thema vielleicht auf nächste Woche vertagen? Ich gebe dir jetzt diese Rose, küsse dich und wir freuen uns auf den Oktobermarkt?“



„Unter einer Bedingung.“



„Welche?“, fragte Reiner und rollte mit den Augen.



„Du kümmerst dich um den Fall.“



„Es ist kein …“



„Reiner!“



„Ja, in Ordnung, ich kümmere mich.“



Zufrieden kam Undine hinter der Verkaufstheke hervor und nahm Reiner die Rose aus der Hand. Dann reckte sie sich und küsste ihn auf die Wange.



„Gehen wir dann um sieben zum Feuerwerk?“



„Gerne, ich fahre jetzt ins Büro und hole dich später ab.“



Er winkte und war fort, ehe Undine etwas erwidern konnte.



„Na also, geht doch.“



Sie zog die Wände des Pavillons zu und lief heim. Dort nahm sie ihre Liste mit den Exponaten, die sie am Nachmittag einräumen wollte und kontrollierte auch nochmal die Preisschilder, als Jasmin die Werkstatt betrat und fragte, ob sie etwas helfen konnte.



„Nein, ich bin soweit fertig. Vielleicht kannst du später beim Einladen helfen.“



„Mach das doch jetzt. Fahr das Auto her und wir packen.“



Das war eine gute Idee, denn wenn sie alles im Auto hatte, könnte sie nochmal zu Lene gehen und mit ihr besprechen, wie sie weiter ermitteln wollten. Reiner sollte davon nichts erfahren. Erst, wenn sie ein Motiv gefunden und den Täter überführt hatten, würde sie es ihm auf dem Silbertablett präsentieren. Sie ahnte, dass er den Fall einfach in eine Ecke schieben würde, denn wer interessierte sich schon für ein paar verschwundene alte Schuhe.



Gesagt, getan. Undine fuhr rückwärts in den Hof, damit sie und Jasmin Kiste für Kiste in den Kofferraum stellen konnten. Als sie fertig waren, machte sie Kaffee und lud ihre Mitbewohnerin dazu ein.



Zorro bellte und das Tor öffnete sich. Es war Herbert, der sich vorsichtig an Undines Hund vorbeidrückte. Er ließ sich auf die Bank fallen und seufzte. Undine und Jasmin sahen ihn neugierig an. Irgendetwas war geschehen, denn Herbert sah bedrückt aus.



„Kaffee?“



„Gerne.“



Als die Tasse vor ihm stand, richtete Herbert sich auf.



„Ihr werdet mir nicht glauben, was passiert ist!“



„Erzähl!“



„Ich wurde bestohlen!“



„Was du nicht sagst“, murmelte Jasmin, die eine böse Ahnung hatte.



„Ja, es ist furchtbar. Ihr könnt euch nicht vorstellen, worauf es die Diebe angesehen haben.“



„Deine Schuhe?“, fragte Undine und grinste.



„Woher weißt du das? Hat Reiner es dir etwa erzählt? Ist das nicht ein Dienstgeheimnis?“



„Herbert, beruhige dich, Reiner hat mir gar nichts gesagt. Mir wurden auch Schuhe gestohlen und vielen weiteren Bewohnern von Nastätten. Hast du gestern Reiner informiert?“



„Ich habe eine Anzeige gemacht. Es kann doch wohl nicht sein, dass einem die Schuhe gestohlen werden.“



Undine und Jasmin sahen sich an.



„Siehst du? Es werden immer mehr!“



Jasmin schnaufte. Vielleicht hatte Undine doch recht und die alten Werkstattschuhe waren wirklich gestohlen worden.



„Jaja, ich verstehe.“



„Reiner hat mir nicht geglaubt und wollte das als Witz zu den Akten legen, aber ich habe darauf bestanden, dass er eine Anzeige aufnimmt. Jennifer hat dann zu ihm gesagt, ich sei ein besorgter Bürger und diese Anzeige sei mein gutes Recht.“



„Richtig, gutes Mädchen, diese Jennifer. Vielleicht sollte ich auch eine offizielle Anzeige machen. Dann muss er mir glauben. Tja, Herbert, die Diebstähle gibt es seit ungefähr zwei Wochen und es sind wahllos Schuhe verschwunden, egal, ob alt oder neu.“



„Woher weißt du das?“



„Lene und ich ermitteln. Möchtest du uns nicht wieder einmal unterstützen?“



„Ähm … also …“, druckste der Feuerwehrmann herum, „ja also, wenn es nicht sein muss, dann lieber nicht. Ich will der Polizei nicht ins Handwerk pfuschen.“



„Wie du meinst, Lene und ich schaffen das schon. Wir brauchen nur noch ein Motiv. Kannst du deine Schuhe beschreiben? Wo standen die denn? Konnte der Dieb einfach an sie drankommen?“



„Ach, so viele Fragen.“



Herbert sagte genau dasselbe, was er schon bei Reiner angegeben hatte und Undine machte sich Notizen. Sie nickte verständnisvoll, als der arme Mann noch einmal nachdrücklich den Kopf schüttelte.



„Danke für die Informationen und kein Wort zu Reiner, klar?“



Herbert nickte und stand auf.



„Danke für den Kaffee, ich muss wieder los. Viel Glück.“



Undine räumte den Tisch ab und sah Jasmin vorwurfsvoll an.



„Ich wusste, dass es so weitergeht! Wir werden immer mehr Opfer finden. Und jetzt muss ich duschen und auf Reiner warten. Sag ihm ja nicht, dass Herbert hier war. Wir haben unseren Streit vertagt, weil wir den Oktobermarkt genießen wollen.“



Jasmin rollte mit den Augen und ging in ihre Wohnung. Sie wollte mit Undines Eigenmächtigkeiten nichts zu tun haben, denn am Ende gab es nur wieder Ärger.





5




Menschenmassen hatten sich auf dem großen Parkplatz vor dem Supermarkt versammelt, um das Feuerwerk zu erleben, das wie jedes Jahr den Oktobermarkt von Nastätten eröffnete. Einige prosteten sich bereits zu, andere mussten ihre Kinder im Auge behalten, damit sie nicht in der Menge verschwanden.



Undine und Reiner waren mittendrin und nickten den Leuten freundlich zu.



„Na, Herr Kommissar, wie ist Ihre Stimmung?“, fragte die Kindergärtnerin Hanna Mückeltz, die zufällig mit ihrer Freundin neben ihm stand.



„Meine Stimmung ist super“, entgegnete Reiner, „die Verbrecher machen Pause und ich kann den Abend genießen.“



„Na dann drücke ich Ihnen mal die Daumen, dass Sie am Oktobermarkt keine Leiche finden. Ich kriege immer noch eine Gänsehaut, wenn ich an die arme kleine Französin denke.“



„Danke, ich habe auch keine Lust auf solch einen Vorfall. Undine hat ab morgen einen Stand hier und ich muss helfen.“



Undine lachte und Hanna winkte, als sie mit ihrer Freundin in der Menge verschwand. Vor dem Feuerwerk hatte wie immer der Fackelzug stattgefunden und nun war es nur noch ein kleiner Schritt zum offiziellen Start des Marktes. Heute wollte Undine die Zeit mit Reiner genießen, ab morgen würde sie ihre Keramik verkaufen und den ganzen Tag auf den Beinen sein.



„Sind Sie nicht der Kommissar?“, fragte eine Frau mit kurzen blonden Haaren.



Sie hatte Reiner mit spitzem Zeigefinger auf die Schulter getippt.



„Ja, aber nur von acht bis vier.“



„Nun seien Sie mal nicht so unhöflich. Ich muss etwas melden!“



„Dann kommen Sie Montag ins Präsidium.“



„Aber Sie wohnen doch in Nastätten? Und Sie stehen nun mal hier herum. Da kann ich …“



Undine, die ein paar Meter entfernt mit Anja Liefelt-Brünn, der Buchhändlerin, geredet hatte, sah jetzt, dass Reiner in der Klemme steckte, kam sie auf ihn zu.



„Hallo Alina! Schön dich zu sehen. Was willst du denn von meinem Reiner?“



Alina Barolsen war immer noch aufgeregt, aber nun wendete sie sich Undine zu. Sie arbeitete im Amt und kümmerte sich um den reibungslosen Ablauf der Nastätter Festivitäten.

 



„Ach Undine“, sagte sie nun etwas ruhiger, „ich kann dir sagen, hier ist was los! Ich habe so viel zu tun und dann werde ich auch noch bestohlen. Meine Schuhe sind weg.“



„Reiner, das ist Alina Barolsen, sie wohnt oben in der Nachbarschaft der Schule. Alina, das ist Reiner Nickich, mein Freund. Jetzt sag doch mal, was los ist! Wir wollen ja dann das Feuerwerk genießen.“



Alina zeigte Reiner die kalte Schulter.



„Ich kann das dieses Jahr gar nicht richtig genießen, wenn ich daran denke, dass niemand zuhause ist. Wer weiß, was noch alles wegkommt!“



Reiner rollte mit den Augen und schüttelte hinter Alinas Rücken den Kopf. Undine wusste, dass die Frau hartnäckig war und beachtete ihn nicht.



„Dein Freund interessiert sich nicht für meine Sorgen, dabei ist das doch ein Verbrechen. Ich habe gehört, er löst die schwersten Fälle, nur mich nimmt er nicht ernst!“



Reiner brummte kurz und gab Alina seine Visitenkarte. Die Menge rückte noch enger zusammen, denn nun begann das Feuerwerk. Das laute Knallen übertönte Alinas Worte. Er sah nur, wie sie die Karte einsteckte und mit Undine tuschelte. Die riss die Augen auf und nickte ernst. Dann legte Alina eine Hand auf Undines Arm, nickte und verschwand in der Menge.



Reiner zog Undine an sich, dann waren ihre Blicke nur noch in den Himmel gerichtet. Der unverkennbare Geruch des Feuerwerks breitete sich aus. Lichter schwebten in den Wolken, aus kleinen leuchtenden Kugeln fielen glitzernde Sterne und blühende Lichterblumen vom Himmel und ein Raunen ging durch die Menge. Irgendwo spielte Musik und die Stimmung der Menschen war positiv und freundlich. Er beugte sich hinüber und küsste Undine auf die Wange. Dann zog er sie hinter sich her durch die Römerstraße, kaufte sich und ihr eine Bratwurst und zuletzt gingen sie nochmal an Undines Stand vorbei, um nach dem Rechten zu sehen.



„Hat es dir gefallen?“



„Ja, meine Liebe, es war das erste Mal, dass ich bei sowas Spaß hatte. Lag wohl an der Gesellschaft.“



„Das will ich doch meinen. Lass uns nach Hause gehen, ich muss noch ein bisschen die Beine hochlegen. Die nächsten Tage werden anstrengend.“



Reiner grinste.



„Soll ich lieber zuhause Hause schlafen?“



„Nein, sollst du nicht. Ich möchte heute in deinen Armen einschlafen.“



Sie schlenderten über den Parkplatz der Bank und betraten den Hof durch den Garten. Draußen war es immer noch angenehm, also setzten sie sich eng umschlungen vor die Remise.



„Was machst du eigentlich, solange ich auf dem Markt arbeite?“



„Ich habe keinen Dienst, also werde ich ein bisschen aufräumen und dann auf die Abende mit dir warten. Vielleicht komme ich mal vorbei und schaue dir zu, wie du reich wirst.“



„Du kannst dich ja mal mit dem Fall beschäftigen.“



Reiner ließ Undine sofort los und sah sie streng an. Seine Augen blitzten böse.



„Mit welchem Fall?“



„Die Schuhe!“



„Ich habe keinen Dienst. Dieser Quatsch geht mir auf die Nerven!“



„Aber Alina wurde auch bestohlen. Fünf Paar Schuhe, zwei von ihr, zwei von ihrem Sohn und eines von ihrem Mann.“



„Na und? Es sind nur Schuhe.“



„Schuhe sind wichtig. Und nicht jeder kann sich dauernd neue kaufen.“



Reiner stand auf und lief hin und her.



„Das ist mir klar, aber ich suche doch nicht eure Schuhe! Erst deine, dann die von Herbert. Das sind keine Werte! Und ich denke nicht, dass ihr immer alle wisst, wo ihr die Dinger hingestellt habt. Ich habe genug von dem Kram. Wenn du weiter darauf herumreitest, gehe ich heim.“



„Es ist ja gut!“, lenkte Undine ein, als sie sah, wie wütend Reiner war, „Ich bin für heute still. Jetzt setz dich wieder hin. Komm her!“



Sie lächelte sanft und Reiner beruhigte sich. Sie lauschten dem fernen Treiben auf dem Oktobermarkt und sahen die Sterne an.



„Das Feuerwerk war dieses Jahr wirklich toll.“



„Hm.“



„So schön war es lange nicht mehr.“



„Ich weiß nicht. Solche Veranstaltungen sind halt nicht meins. Ich mag diese Menge an Menschen nicht.“



„Ich weiß, mein Lieber, aber ich freue mich, dass du dabei warst.“



„Wann willst du morgen aufstehen?“



„So, dass wir noch zusammen frühstücken können. Holst du Brötchen?“



„Gerne.“



„Bei den Krinkmanns sind auch Schuhe gestohlen worden.“



„Undine! Lass es!“



„Jaja, ich sage ja nichts.“



„Nächste Woche schaue ich mir das Elend mal an, einverstanden?“



Undine war versöhnt und küsste Reiner. Er war doch gar nicht so ein Muffel, wie er immer sein wollte. In seinem Inneren war er ein netter und hilfsbereiter Mensch. Eine halbe Stunde später gingen sie schlafen.





6




Am nächsten Morgen frühstückten Undine und Reiner zusammen, anschließend brachte er sie zu ihrem Marktstand. Sie wurden freundlich gegrüßt und winkten zurück. Undine zog die Seitenteile des Pavillons auseinander und rückte die Keramik in das rechte Licht. Sie dekorierte die Vasen mit Zweigen aus dem Garten, die ihr Jasmin vor die Tür gestellt hatte.



Ein kleiner Tischbrunnen sprudelte los, als Undine den Motor, der mit Batterien lief, einschaltete. Zufrieden ließ sie ihren Blick über die Ausstellungsstücke wandern, küsste Reiner und sah zu, wie er um die Ecke verschwand. Er wollte sofort nach Hause gehen und sich um den Haushalt kümmern.



In seiner Wohnung roch es abgestanden und er riss alle Fenster auf, um die milde Herbstluft einzulassen. Er rieb sich entschlossen die Hände und ging ins Schlafzimmer, um den Wäscheberg in einem Korb zur Waschmaschine zu transportieren. Danach holte er den Staubsauger aus der Abstellkammer und saugte die gesamte Wohnung. Langsam breitete sich Kaffeeduft aus, denn er hatte im Vorbeisaugen in der Küche die Maschine angestellt.



Als er mit der Tasse am Fenster stand, fielen ihm diese leidigen Schuhe wieder ein, die überall gestohlen wurden. Sollte er wirklich eine Ermittlung be­ginnen? Sein Chef würde ihn auslachen. Er wusste, dass Jennifer Undine unterstützte und griff nach dem Handy. In dem Moment klingelte es an der Wohnungstür.



„Wer ist das denn?“



Er warf das Handy auf den Tisch und öffnete.



„Jennifer! Eben wollte ich dich anrufen. Komm rein. Willst du Kaffee? Ich habe ihn frisch gemacht.“



Jennifer lachte und trat ein.



„Gerne. Bist du beim Putzen?“



„Dachtest du, das erledigt Undine für mich?“



„Nein, schon gut.“



Reiner stellte zwei Kaffeetassen auf den Tisch und gab Jennifer einen Wink. Sie setzten sich.



„Was willst du wegen der Schuhe machen?“, überfiel ihn Jennifer direkt.



„Oh Mann, du auch noch!“



„Ja und? Ich finde, das ist schon ein Problem. Wenn wir die Leute nicht ernstnehmen, kommen wir in Teufels Küche.“



„Wir kommen in Teufels Küche, wenn wir dem Chef davon erzählen.“



„Ich finde, die Leute haben ein Recht darauf, dass wir ermitteln. Auch wenn es nur Schuhe sind. Dahinter muss doch etwas stecken!“



„Ja, ich weiß“, lenkte Reiner ein. „Ich habe auch schon darüber nachgedacht. Dann hat mich gestern vor dem Feuerwerk noch eine Alina Dingsbums angesprochen. Und Undine hackt auch ständig darauf herum, sodass wir uns beinahe wieder gestritten hätten.“



„Das tut mir leid, aber ich denke, Undine hat recht. Lass uns mal eine Liste machen, wer alles betroffen ist.“



„Ich habe frei.“



„Ich auch.“



Widerwillig ging Reiner zum Schreibtisch und holte Block und Stift. Er goss Kaffee nach und schrieb Undines Namen auf den Zettel.



„Undine, Herbert, Alina Barolsen hieß die von gestern. Die Krinkmanns.“



Es läutete erneut an der Haustür. Reiner runzelte die Stirn und öffnete. Der große Mann mit dem freundlichen Lächeln kam ihm bekannt vor.



„Guten Morgen, Herr Kommissar, ich bin Martin Lähgrich, der Bürgermeister.“



Jetzt wusste Reiner wieder, wo er den Mann zuletzt gesehen hatte: Er hatte gestern Abend den Markt eröffnet. Der Kommissar hatte nur kurz hingeschaut, denn der Redner stand ein Stück entfernt auf einer Bühne. Reiner wohnte schon eine Weile hier, aber dem Bürgermeister war er noch nicht begegnet.



„Herr Bürgermeister, was kann ich für Sie tun?“



„Darf ich reinkommen? Es ist mir ein bisschen peinlich …“



Reiner ließ Martin eintreten und führte ihn in die Küche, wo auch Jennifer ihn begrüßte. Reiner nahm eine weitere Tasse aus dem Schrank, goss Kaffee ein und bot dem Bürgermeister einen Platz an.



„Was ist denn so peinlich, dass Sie an meinem freien Tag in meiner Privatwohnung auftauchen?“



Reiner wusste, dass das nicht sehr höflich klang, aber er fand den Besuch schon merkwürdig.



„Also … ich … ich fange mal ganz vorne an. Vor einer Woche hat sich meine Frau neue, teure Schuhe gekauft. Die wollte sie ein bisschen auslüften und hat sie vor die Tür gestellt. Am nächsten Morgen waren sie weg. Daneben standen meine Laufschuhe. Auch sie sind weg.“



Reiner und Jennifer sahen sich an.



„Meine Frau hat sich mächtig aufgeregt und wollte sofort die Polizei rufen.“



„Und Sie nicht?“



„Nein, wollte ich nicht, denn es sind ja nur Schuhe. Sicher hat die irgendjemand aus Spaß versteckt.“



„Und warum kommen Sie ausgerechnet jetzt zu mir?“



„Es tut mir leid, ich wollte Sie nicht stören. Ich war auf dem Markt und habe Undine getroffen. Als ich sie gefragt habe, wie ich Sie erreichen kann, wusste sie schon, um was es geht. Sie hat mir die Geschichte von ihren Schuhen erzählt und mich hergeschickt.“



„Na prima. Und was erwarten Sie jetzt?“



Martin hob abwehrend die Hände und lachte.



„Ich erwarte gar nichts. Gestern habe ich mir neue Laufschuhe gekauft. Aber meine Frau ist nun immer noch böse mit mir und ich will mal sehen, wie ich den Familienfrieden wiederherstellen kann. Ich möchte Sie aber bitten, das Ganze nicht an die große Glocke zu hängen.“



Reiner hob ebenfalls die Hände.



„Ich gebe es auf. Aber du, meine Liebe, gehst zum Chef und überzeugst ihn davon, dass wir einen Fall haben. Und Sie berichten mir jetzt mal ganz ausführlich, was vorgefallen ist.“



Martin grinste und schilderte die zeitlichen Abläufe. Danach versuchte er die Schuhe seiner Frau zu beschreiben.



„Und Ihre Laufschuhe?“, fragte Jennifer.



„Naja, so Laufschuhe eben. Ich weiß, ein bisschen alt waren sie schon. Schwarze Schnürsenkel. Also ich muss ja sagen, dass ich mir schon ein bisschen blöd vorkomme.“



„Gut, wir kümmern uns darum, aber machen Sie sich nicht allzu große Hoffnung, dass wir die Schuhe wiederfinden. Ich will den Täter fassen, denn es ist ein Unding, dass wir uns mit solchem Kram be­schäftigen müssen. Gestern wurde ich schon während des Feuerwerks darauf angesprochen.“



„Ich weiß, Alina hat mir gesagt, dass Sie nicht sehr freundlich waren.“



Jennifer lachte los und Reiner sah sie böse an.



„Ich wollte einfach meine Ruhe haben.“



Und wie auf Kommando klingelte es erneut.



„Mann! Wer will denn jetzt schon wieder was von mir? Es wissen doch gar nicht so viele Menschen, dass ich hier wohne.“



Jennifer und Martin zuckten mit den Schultern, während Reiner die Wohnungstür aufriss.



„WAS?“, rief er laut.



Vor der Tür stand Lene und lächelte freundlich. Reiner hielt die Tür auf und Lene transportierte ein großes Kuchenpaket in die Küche. Sie begrüßte Jennifer und Martin, als wären sie hier alle zum gemütlichen Kaffeeklatsch verabredet gewesen. Jennifer setzte die Kaffeemaschine ein weiteres Mal in Gang und stellte eine saubere Tasse auf den Tisch. Nachdem Lene den Kuchen vom Papier befreit hatte, holte Jennifer Teller aus dem Schrank. Martin zog sich die Jacke aus und Lene setzte sich.



„Fühlt euch ruhig wie zuhause“, knurrte Reiner.



„Schau mal, was ich für schönen Kuchen mitgebracht habe“, flötete Lene und schob ihm ein Stück Streuselkuchen auf den Teller.



„Was willst du von mir?“



„Ich war bei Undine und sie sagte mir, dass du ganz allein zuhause bist. Ich wusste ja nicht, dass du dich mit Jennifer und dem Bürgermeister triffst.“



„Jetzt rede nicht so geschwollen! Undine hat dich auf mich gehetzt wegen dieser verfluchten Schuh-Sache.“



Jetzt sah Lene aus dem Fenster. Sie war ertappt worden.



„Ja, du hast recht. Ähm … wir ermitteln ja schon eine …“

 



„Ihr macht was?“



„Wir ermitteln, weil du ja nicht wolltest. Hier ist eine Liste von Leuten, die bestohlen worden sind. Ein paar kennst du. Undine, Herbert und die Krinkmanns. Und heute Nacht bin ich Opfer des Täters geworden.“



„Willst du mir damit sagen, dass dir auch Schuhe abhanden gekommen sind?“


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